Details

Wenn der November vorüber ist


Wenn der November vorüber ist

Chronik eines Abschieds
, Band 3 3. Aufl.

von: Nikola Hahn

4,99 €

Verlag: Thoni Verlag
Format: EPUB
Veröffentl.: 27.02.2013
ISBN/EAN: 9783944177199
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 50

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Es ist ein warmer Sommertag in Heidelberg, als die Ahnung der Tochter zur Gewissheit wird und die Gehprobleme der Mutter einen Namen bekommen: ALS. Drei harmlose Buchstaben, die jedes Später plötzlich endlich werden lassen: Man kann nichts mehr verschieben. Auch nicht das, was im eigenen Leben zu lange unausgesprochen blieb …
Nikola Hahn, Jahrgang 1963, trat 1984 in die Polizei ein. Sie arbeitete als Ermittlerin unter anderem in der Mordkommission, bevor sie mit den Arbeitsschwerpunkten Vernehmungstaktik, Todesermittlungen und Ausbildung polizeilicher Pressesprecher an die Polizeiakademie Wiesbaden wechselte. Die Erste Kriminalhauptkommissarin entwickelte das Konzept "Werkzeugkoffer Vernehmung. Kriminalistisch Vernehmen" für die Fortbildung der hessischen Schutz- und Kriminalpolizei und hat einen Lehrauftrag für Kriminalistik an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. Nebenberuflich absolvierte sie Ausbildungen in belletristischem und journalistischem Schreiben, in Karikatur- und Pressezeichnen.
Ich habe bisher nicht viel über die Krankheit von Mama geschrieben. Weil es zu schrecklich ist? Unfassbar – im wahrsten Sinne des Wortes? Hier und da finden sich Notizen in meinem Tagebuch: Wut, Ärger, Traurigkeit, die ganze Treppe der Gefühle rauf und runter: Wenn die Mutter zum Kind wird. Wenn der Tod anklopft: Wie kann man damit leben? Ist unter diesen Umständen nicht alles verzeihlich?
Später, dieses Wort, das ich schon meinem Vater verübelt hatte. Wie bitter ist es, wenn dieses Später plötzlich endlich wird, wenn es eine Grenze erhält, die so nah in der Zukunft liegt, dass die Lüge nicht mehr greift: Man kann nichts mehr verschieben.
Mit einem unsicheren Gang fing es an. Vor ungefähr drei Jahren. Mama erzählte mir, ihre Arbeitskolleginnen hätten gemeint, sie habe einen „Watschelgang“. Später erwähnte sie, dass ihr die Beine öfter einschliefen. Nachts hatte sie Wadenkrämpfe. Eine Odyssee begann, von Arzt zu Arzt. Die Bandscheibe, diagnostizierte der eine, die Nerven der nächste. Sieben Wochen Uni-Klinik in Marburg waren der Horror. Man ließ nichts aus, einschließlich Schlaflabor. Zu einem Ergebnis kam man nicht.
Ich werde nie vergessen, wie ich ihre Beschwerden in meinem Medizinnachschlagewerk zu klären suchte. Mit den Symptomen, die sie schilderte, landete ich bei einer Krankheit, von der ich noch nie gehört hatte: ALS. Unheilbar. Ursache unbekannt. Teils vererblich. Überlebenszeit nach Ausbruch drei bis fünf Jahre. Ich sagte damals zu meinem Mann: Ich hoffe nur, das ist es nicht. Und schob den Gedanken weit, weit weg.
Mama erzählte ich nichts davon. Es dauerte lange – dazwischen lagen eine Bandscheiben-Operation und weitere unzählige Arztbesuche – bis diese drei schrecklichen Buchstaben von einem Arzt ausgesprochen wurden. Allerdings erst, nachdem man Mama Rilutek verschrieben hatte. Die Freundin meines Bruders kannte das Medikament. Danach rückte der Arzt mit der Wahrheit heraus.
Mama hat’s beiseitegeschoben. Sie tut es bis heute. Selbst nachdem man ihr im Sommer in der Uni-Klinik Heidelberg die Diagnose bestätigt hat, sagt sie immer noch, dass es diese Sache nicht sei. Nicht sein KANN. Ihr Weg, damit zu leben. Muss man akzeptieren. Aber es fällt manchmal schwer.
Vor allem, wenn Hoffnungen in Hoffnungsloses gesetzt wird: Rote Strümpfe, die die Telefonheilerin empfiehlt, um die schlechten Energien abzuleiten, sinnlose Rituale, Bücher über Gebete und Heilige, die ich ihr besorge, weil sie glaubt, darin eine Lösung zu finden.
Heute Morgen ging es mit den Füßen besser. Und den rechten Finger kann ich gut bewegen. Es wird schon wieder.
Eine endlose Geschichte. Sie belastet. Ich träume davon. Klar, da sind die eigenen Ängste: Was, wenn es bei mir in zwanzig Jahren auch soweit ist? Das heißt, ich hätte zwei Drittel meines Lebens schon hinter mir. Kein Wunder, dass ich manches nicht mehr so an mich ranlasse. Alles wird relativ. Manchmal wäre es mir lieb, sie würde über das Unvermeidliche sprechen, mit sich ins Reine kommen. Sie sagt: Ich kann das nicht akzeptieren. Und: Wenn ich wieder gesund bin, dann mache ich alles anders. Ich ziehe mit meinem Freund in eine gemeinsame Wohnung. Ich nehme mir endlich Zeit. Für dies und das. Wie oft hat sie das gesagt, als sie noch gesund war: Wenn ich in Rente bin, nächstes Jahr, im Sommer, im Winter, bald, SPÄTER …
Auf dem Heimweg hätte ich heulen können.
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