Die Drei Fragezeichen
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Im Reich der Ungeheuer

erzählt von Hendrik Buchna

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2017, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-14958-4

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Willkommene Störung

Kein Lüftchen regte sich an diesem drückend heißen kalifornischen Sommertag auf dem Gelände des Gebrauchtwarencenters Titus Jonas. Die drei Detektive Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews befanden sich in ihrer geheimen Zentrale, einem umgebauten, vollständig unter einem Schrottberg verborgenen Wohnwagen, und ackerten sich durch das noch unsortierte Protokollmaterial ihres letzten Falls. Eine notwendige, aber nicht gerade beliebte Tätigkeit, zumal bei diesen Temperaturen.

»Mannomann …« Leise stöhnend wischte sich Peter über die schweißnasse Stirn. »Kann es sein, dass dieser famose Ventilator die Saunaluft hier im Raum einfach nur hin- und herschiebt, statt uns abzuküh–«

In diesem Moment klingelte das Telefon. Neugierig nahm Justus den Hörer ab und drückte gleichzeitig die Verstärkertaste, damit seine Freunde mithören konnten. »Justus Jonas von den drei Detektiven.«

»Hier Robertson, Wally Robertson«, meldete sich die heisere Stimme eines älteren Mannes. »Ich habe kürzlich einen Bericht über euch gelesen. Stimmt es, dass man euch engagieren kann, um … Probleme zu lösen?«

»Ja, das ist zutreffend, Sir. Darf ich fragen, um was für ein Problem es sich handelt?«

»Das sage ich euch, wenn ihr hier seid«, wiegelte der Anrufer ab. »Könnt ihr sofort herkommen? Wir brauchen eure Hilfe möglichst schnell – insbesondere die von Bob Andrews.«

Justus hätte gar nicht erst in die Gesichter seiner Freunde blicken müssen, um sicher zu sein, dass ihnen diese Abwechslung auch ohne nähere Informationen nur allzu willkommen war. Nachdem er von Mr Robertson die Adresse erhalten und das Gespräch beendet hatte, deutete er vielsagend auf den dritten Detektiv. »Da benötigt jemand offenkundig die Fähigkeiten eines begabten Rechercheurs.«

Nachdenklich kratzte sich Peter an der Schläfe. »Ein Wally Robertson mit Anschrift in den Hollywood Hills? Irgendetwas klingelt da bei mir … Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass Dad diesen Namen vor einiger Zeit mal erwähnt hat, aber ich komme nicht drauf, warum.«

Peters Vater arbeitete in der Filmbranche als Experte für Spezialeffekte und kam immer wieder mit interessanten Persönlichkeiten aus Hollywood in Kontakt.

Tatendurstig richtete sich Bob auf und streckte sich. »Dann schlage ich vor, dass du jetzt bei deinem Vater anrufst, um die Erinnerungslücke zu schließen. Währenddessen radele ich nach Hause und hole mein Auto.«

»Guter Plan«, stimmte Justus zu. »Und ich werde mal schauen, ob im Internet etwas Brauchbares über Mr Robertson zu finden ist.«

Sie machten sich an die Arbeit. Wegen eines Kundengesprächs konnte Justus am Computer jedoch nur einen kurzen Blick auf alte Zeitungsfotos und eine Aufnahme der Robertson-Villa werfen. Für wirklich nützliche Informationen würde also Peter sorgen müssen.

Gute fünfzehn Minuten später waren die drei Detektive startklar. Als Erstes kurbelten die Jungen die Fenster des VW Käfers herunter, um im stark aufgeheizten Innenraum für etwas Durchzug zu sorgen. Doch trotz des Fahrtwinds blieb die Temperatur auf stabilem Sahara-Niveau.

»Und?«, fragte Bob an Peter gewandt. »Kennt dein Dad diesen Wally?«

»Das nicht. Aber er hat kürzlich mit einem Kollegen vom Fernsehen zusammengearbeitet, der eine Dokumentation über ›vergessene Helden der Traumfabrik‹ plant. Mein Dad hat mir dessen Nummer gegeben und ich habe ihn tatsächlich gleich erreicht. Noch ist nichts spruchreif, aber falls das Projekt umgesetzt wird, soll auch Wally Robertson darin vorkommen. Man hat schon Kontakt zu ihm aufgenommen.«

Überrascht blinzelte Justus. »Man höre und staune! Wie genau wurde Mr Robertson denn zu einem – wenn auch vergessenen – Hollywood-Helden?«

»Als Stuntman. Er muss wirklich gut gewesen sein und hat als junger Mann noch mit den großen Stars des sogenannten ›Goldenen Zeitalters‹ zusammengearbeitet. Die Schauspieler, die er in gefährlichen Szenen gedoubelt hat, sind echte Filmlegenden: James Stewart, Gregory Peck, Henry Fonda und so weiter.«

»Wow …«, entfuhr es Bob, während er einen mit mehreren Surfbrettern beladenen Pick-up überholte. »Stuntman ist schon ein irrer Beruf. Eigentlich machen solche Leute doch in Wahrheit das große Kino aus. Was wären all die tollen Abenteuer- und Actionfilme ohne die spektakulären Kämpfe, Verfolgungsjagden, Karambolagen und halsbrecherischen Sprünge von Klippen oder Hochhäusern?«

»Nur halb so sehenswert«, stimmte der Erste Detektiv zu. »Man kann diese Stuntmänner und -frauen also tatsächlich mit Fug und Recht als Helden der Traumfabrik bezeichnen.«

Peter nickte. »Während seiner Karriere hat Mr Robertson sogar ein paar Stuntrekorde aufgestellt. Beispielsweise mit Motorradsprüngen von Wolkenkratzern, bei denen er erst in letzter Sekunde den Fallschirm ausgelöst hat. Solche Aktionen haben für eine Menge Aufsehen gesorgt, und prompt verpasste ihm die Presse den Spitznamen Mighty Wally

Bob pfiff durch die Zähne. »Der ›mächtige Wally‹ war also früher ein richtiger Promi. Sonst stehen Stuntleute ja nicht so im Rampenlicht. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt einen mit Namen kenne.«

»Doch, auch in der Stunt-Szene gab und gibt es echte Berühmtheiten«, setzte Justus zum Dozieren an. »Neben Evel Knievel war wohl der frühere Rodeo-Star Yakima Canutt der Bekannteste. Er ist vor allem mit seinen grandiosen Western-Stunts auf Pferden und Kutschen in die Filmgeschichte eingegangen, unter anderem als Double für die Cowboy-Ikone John Wayne. Er war also im wahrsten Sinne des Wortes ein ›Vorreiter‹ der Stuntkunst.«

»Du und dein Lexikonwissen, unglaublich.« Peter schnaubte verblüfft. »Aber irgendwann kommt noch mal der Tag, an dem ich dich mit einem Thema überrasche, von dem du nicht den geringsten Schimmer hast.«

Bob grinste. »Dann darf’s also nichts mit Essen zu tun haben.«

Bevor der für seinen stattlichen Appetit bekannte Erste Detektiv auf diese immer wieder beliebte Neckerei reagieren konnte, klingelte sein Handy. Irritiert erkannte er an der angezeigten Nummer, dass er von zu Hause aus angerufen wurde. Da Onkel Titus derzeit einen Kunden besuchte, konnte es nur Justus’ Tante sein.

»Tante Mathilda?«, fragte er überrascht, nachdem er die Annahmetaste gedrückt hatte. »Ist etwas passiert?«

»Das werdet ihr selbst herausfinden müssen, Justus«, erwiderte Mrs Jonas. »Ich wollte euch nur schon mal vorwarnen.«

Der erste Detektiv stutzte. »Vorwarnen?«

»Vorwarnen?«, wiederholte Peter alarmiert, wurde von Justus jedoch mit einer energischen Geste zur Ruhe angewiesen.

»Hier hat gerade eine unglaublich schwerhörige Frau angerufen, die euch dringend sprechen will«, erklärte Tante Mathilda. »Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mit ihrem Gebrabbel etwas anfangen konnte, aber offenbar handelt es sich um den größten Notfall aller Zeiten. Deshalb habe ich ihr deine Handynummer gegeben – wundere dich also nicht, wenn du gleich ein keifendes Nervenbündel am Apparat hast.«

»Da bin ich ja mal gespannt«, entgegnete Justus mit krauser Stirn. »Vielen Dank auf jeden Fall für die Ankündigung.«

»Gern geschehen. Aber stellt mir bloß nicht wieder irgendeinen gefährlichen Unfug an!« Tante Mathildas mahnend erhobener Zeigefinger war selbst per Telefon wahrnehmbar.

»Wir werden uns bemühen, versprochen«, beschwichtigte der Erste Detektiv und legte auf.

»Probleme bei deiner Tante?«, erkundigte sich Bob.

»Nein, zu Hause ist alles in Ordnung. Aber wie es scheint, benötigt noch jemand unsere Hilfe. Und dieser Jemand hat–«

Wie aufs Stichwort klingelte erneut Justus’ Handy. Neugierig nahm er das Gespräch entgegen. »Hier Justus Jonas von den drei Detektiven.«

»Na endlich!«, quäkte ihm eine knarzig-dröhnende Frauenstimme ins Ohr, die sofort nahtlos weiterplapperte. »Für ein Dienstleistungsunternehmen seid ihr aber furchtbar schlecht erreichbar, das muss ich in aller Deutlichkeit bemängeln! Erst hatte ich eine viel zu leise sprechende Dame von irgendeinem Gebrauchtwagenzentrum am Apparat, die partout nicht begreifen wollte, worum es geht. Es hat ewig gedauert, bis sie den Ernst der Lage erkannt hat – daraufhin gab sie mir eine elend lange Handynummer durch, bei der ich ungefähr zwanzig Anläufe fürs Notieren gebraucht habe. Und nachdem ich den ganzen Zahlensalat dann endlich mühsam in mein Telefon getippt hatte, war als Krönung auch noch besetzt!«

In Gedanken sandte Justus seiner Tante ein herzliches Dankeschön für ihre Warnung vor der verschrobenen Anruferin.

»Ich hatte schon befürchtet, dass sich ein Zahlendreher in die Nummer geschlichen hat, aber beim zweiten Mal bin ich dann ja, Gott sei Dank, doch noch durchgekommen«, fuhr die Dame ohne Punkt und Komma fort. »Nicht auszudenken, wenn ich noch mal bei dieser begriffsstutzigen Autofrau –«

»Es tut mir leid, dass sich die Kontaktaufnahme so beschwerlich gestaltet hat, aber jetzt haben Sie es ja geschafft«, versuchte Justus den Redeschwall einzudämmen. »Darf ich zunächst nach Ihrem werten Namen fragen?«

»Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank!«, keifte seine offenbar tatsächlich stark schwerhörige Gesprächspartnerin zurück. »Davon kann überhaupt keine Rede sein!«

Justus hatte keine Ahnung, was die Dame verstanden zu haben glaubte, aber es schien sie heftig zu empören.

»Wenn’s so einfach wäre, würde ich ja wohl keine Detektive alarmieren, sondern einfach den nächstbesten Klempner!«

Obwohl die Anruferin es natürlich nicht sehen konnte, hob Justus begütigend die Hand und formulierte zur Verwunderung von Bob und Peter seine nächsten Worte erheblich lauter als zuvor. »Verzeihen Sie bitte das Missverständnis! Um was für ein Problem handelt es sich denn?«

Zwar war das bisherige Telefonat schon überaus sonderbar verlaufen, dennoch ließ die nun folgende Antwort Justus heftig zusammenzucken.

»Problem?? Ich werde dir sagen, was ich für ein Problem habe, Söhnchen: Man will mich umbringen!«

Aus eins wird zwei

Während des anschließenden mühsamen Gesprächs versuchte der Erste Detektiv nähere Einzelheiten über die Art der Bedrohung zu erfahren. Doch die hörgeschädigte Dame, die sich nach einigem Hin und Her als Hedra Flagstaff vorstellte, bestand darauf, diese sensiblen Informationen den drei ??? nur von Angesicht zu Angesicht preiszugeben. Bob hatte inzwischen verunsichert am Straßenrand gehalten.

Da Justus mit seinen Nachfragen nicht weiterkam, ließ er sich schließlich notgedrungen die Anschrift der Frau geben und legte dann stirnrunzelnd auf.

Ruckartig beugte sich Peter zu ihm vor. »Habe ich das richtig verstanden? Diese Frau will uns engagieren, weil sie glaubt, dass sie in Lebensgefahr ist?!«

»Immer mit der Ruhe«, beschwichtigte Justus. »Wie ihr ja vermutlich bemerkt habt, bin ich aus dem Gespräch mit Mrs Flagstaff nicht wirklich schlau geworden. Insofern kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen, ob tatsächlich eine wie auch immer geartete reale Gefährdungslage besteht.«

»Hm …«, murmelte Bob nachdenklich. »Es war ja überdeutlich, dass die Dame einen starken Hörschaden hat. Vielleicht ist das Ganze ja nur ein verrücktes Missverständnis, weil sie irgendetwas in ihrer Umgebung falsch aufgeschnappt hat.«

Der Erste Detektiv zuckte mit den Schultern. »Durchaus denkbar, aber vorerst bleibt es reine Spekulation.«

»Und was machen wir jetzt?«, wollte Peter wissen. »Wir werden doch von Mr Robertson erwartet.«

»Völlig richtig«, bestätigte Justus. »Wir haben ihm unser rasches Kommen zugesagt und das werden wir auch einhalten.« Er machte eine ausgreifende Handbewegung. »Allerdings gilt unser Firmenmotto ›Wir übernehmen jeden Fall‹ ausdrücklich für jeden Klienten, also auch für halb taube Damen mit möglicherweise unbegründeten Angstzuständen. Deshalb sind wir es schon allein unserer detektivischen Sorgfaltspflicht schuldig, die Situation vor Ort zu überprüfen.«

»Dem ist wohl nichts hinzuzufügen«, sagte Bob trocken.

Peter seufzte leise. »Okay, also teilen wir uns auf?«

»Korrekt.« Justus öffnete das Handschuhfach, zog eine von insgesamt elf verschiedenen Straßenkarten heraus und entfaltete sie. »Mrs Flagstaff wohnt in der Hammond Street in West Hollywood. Zeitlich dürfte dieser Abstecher vertretbar sein. Notfalls könnt ihr Mr Robertson ja anrufen und Bescheid sagen, dass sich eure Ankunft ein wenig verzögert.«

Bob ließ den Motor wieder an. »Daraus schließe ich, dass wir dich unterwegs absetzen sollen, damit du die Gefährdungslage bei dieser Mrs Flagstaff prüfen kannst.«

»Das schließt du richtig. Vielleicht ist die Sache ja wirklich falscher Alarm und schnell geregelt. Dann komme ich euch nach oder Peter holt mich ab. Wie es scheint, benötigen die Robertsons ja in erster Linie die Hilfe unseres Dritten.« Justus strich die Straßenkarte auf seinem Schoß glatt. »Da dieser Punkt jetzt geklärt ist, sollten wir uns noch einmal den Informationen aus Peters Telefonat zuwenden, damit wir alle auf demselben Wissensstand sind. In dieser Dokumentation soll es ja um vergessene Helden gehen. Kannst du etwas dazu sagen, Zweiter, warum unseren Mr Robertson im Unterschied zu anderen Größen seines Fachs heute niemand mehr kennt?«

»Das hängt wohl mit seinem Charakter zusammen«, gab Peter zurück. »Laut diesem Fernsehtyp war Mr Robertson schon immer sehr verschlossen und öffentlichkeitsscheu. Eigentlich kaum vorstellbar bei einem baumlangen Kerl von knapp zwei Metern, der sich in brennenden Trucks von Steilklippen gestürzt hat.« Der Zweite Detektiv rieb sich über den glühenden Nacken. »Jedenfalls war Mr Robertson der Presse gegenüber immer sehr zurückhaltend und hat so gut wie niemals Interviews gegeben. Auch zu seinen Kollegen hatte er offenbar kaum engeren Kontakt.«

Justus strich sich eine Strähne aus der schweißnassen Stirn. »Ein überschüchterner Stuntman-Star. Sachen gibt’s.«

»Außerdem hat sich Mr Robertson schon vor über zwanzig Jahren vorzeitig zur Ruhe gesetzt«, ergänzte Peter. »Damals war er erst Mitte vierzig.«

»Konnte er sich das denn finanziell leisten?«, fragte der dritte Detektiv verwundert.

Peter nickte. »Das hab ich diesen Fernsehmann auch gefragt, und die Antwort lautet: Ja. Mighty Wally war einer der bestbezahlten Stuntmen seiner Zeit und hat vor seinen Weltrekorden wohl jedes Mal hohe Prämien ausgehandelt. So wurde er zum reichen Mann. Nach seinem Karriere-Ende hat er sich dann komplett zurückgezogen und lebt seitdem mit seiner Frau wie ein Einsiedler in einer Villa in den Hollywood Hills.«

»So schwand er aus dem allgemeinen Gedächtnis und wurde zu einem vergessenen Helden«, resümierte Justus und blickte durch das offene Seitenfenster auf die zerklüftet-staubige Küstenlandschaft entlang des Pacific Coast Highway. Durch den immer zäher werdenden Verkehr kamen sie nur noch quälend langsam voran. »Umso erstaunlicher, dass dieser menschenscheue Sonderling nun drei wildfremde Jugendliche um Hilfe bittet. Das muss ja wahrlich ein spezialgelagertes Problem sein …«

Um einen langen Stau vor Santa Monica zu umgehen, entschloss sich Bob kurzerhand für eine Ausweichroute durch Pacific Palisades und Brentwood. Zwanzig Minuten später hatten sie den Wilshire Boulevard erreicht, eine der wichtigsten Ost-West-Verbindungen von Los Angeles. Hier war es erheblich stickiger als auf dem Highway, wo sie wenigstens eine salzig-frische Seebrise begleitet hatte.

Justus stöhnte leise. Dann schüttelte er energisch den Kopf. »Da der Zweck einer Frischluft-Zufuhr momentan komplett ad absurdum geführt wird, beantrage ich hiermit eine sofortige Schließung der Fenster.«

»Antrag angenommen«, stimmten Bob und Peter sofort zu.

Tatsächlich war der beißende Cocktail aus Abgasen und Schwebstaub, der wie eine Dunstglocke über diesem Teil der Stadt hing, im wahrsten Wortsinne atemberaubend. Der berüchtigte L.-A.-Smog machte seinem Namen in diesem Sommer wieder einmal alle Ehre.

Die Hochhausfassaden entlang der zeitweise zehnspurigen Hauptverkehrsader wichen nach dem Abzweig über den Whittier Drive nur allmählich der abwechslungsreicheren Kulisse des Sunset Boulevard mit seinen farbenfrohen Werbetafeln, Motels und Geschäften.

Dösend ließ der Zweite Detektiv seinen Blick vom hitzeflirrenden Asphalt zu den kleinen Fächerkronen der bis zu fünfzig Meter hohen Petticoat-Palmen emporwandern, die auf beiden Seiten in langen Reihen die Straßen säumten. Peter wusste, dass die Stadtverwaltung diese eleganten Gewächse, die aber so gut wie keinen Schatten spendeten, liebend gerne gegen Laubbäume mit deutlich breiteren Kronen austauschen würden. Doch er hoffte, dass diese heimlichen Wahrzeichen von Los Angeles noch lange das Bild der Metropole prägen würden.

»Ob das Anliegen von Mr Robertson mit seiner Vergangenheit als Stuntman zusammenhängt?«, fragte Bob in die bleierne Stille hinein.

»Durchaus denkbar«, erwiderte Justus. »Allerdings hätte es aus seiner Sicht dann doch vermutlich nähergelegen, direkt vor Ort ein Detektivbüro zu kontaktieren.«

»Solange wir bei dieser Affenhitze nicht selber irgendwelche Stunts vorführen sollen, ist mir jeder Auftrag recht«, bekundete Peter und wedelte sich stöhnend mit einem Werbeprospekt, den er auf der Rückbank gefunden hatte, Luft zu. »Hoffentlich stellt Mr Robertson uns zur Begrüßung einen großen Eimer Mineralwasser hin.«

Eine knappe Viertelstunde später hatten sie endlich ihr erstes Ziel erreicht und Justus lotste den dritten Detektiv zur Adresse von Mrs Flagstaff. Es handelte sich um ein unscheinbares sandfarbenes Apartmenthaus, das zwischen einem edlen, ganz in mattem Schwarz gehaltenen Café und der mit funkelnden Pailletten besetzten Baldachinfront einer Modeboutique wie ein trister Fremdkörper wirkte. Das gedrungene, zweigeschossige Gebäude verriet auf den ersten Blick, dass es seine besten Jahre hinter sich hatte. An etlichen Stellen bröckelte der Putz, die offen stehende Eingangstür benötigte dringend einen neuen Anstrich und die winzige Rasenfläche im Vorgarten war vollkommen verdorrt, sodass sie eher dem staubgrauen Fell eines struppigen Kojoten glich.

»Hier trennen sich also vorerst unsere Wege«, stellte Justus fest, legte die Karte zurück ins Handschuhfach und stieg aus. »Ich melde mich bei euch, sobald die Situation geklärt ist.«

»Sollen wir nicht doch noch schnell mitkommen und dir Rückendeckung geben?«, fragte Peter unsicher.

Justus schüttelte den Kopf. »Nein, die Robertsons warten sicherlich schon sehnsüchtig auf euch, und bei Mrs Flagstaff läuft garantiert nichts ›schnell‹. Fahrt ruhig los, ich kriege das schon hin.«

»Alles klar, Chef.« Bob tippte sich zum Abschied an die Schläfe. »Dann viel Erfolg!«

Mit einem unbehaglichen Gefühl blickte Peter dem Ersten Detektiv hinterher und nahm dann dessen Platz auf dem Beifahrersitz ein.

Während sich der VW Käfer mit knatterndem Motor entfernte, trat Justus entschlossen durch die offene Tür ins Haus. Im schmalen Flur, der in schummriges Halbdunkel getaucht war, schien es trotz einer laut summenden Klimaanlage keinen Deut kühler zu sein als draußen. Es roch unappetitlich nach einer Mischung aus Tabakqualm, WC-Reiniger und zu oft verwendetem Frittier-Öl. Auf abgewetztem Linoleumboden durchquerte Justus den engen Gang, hielt vor der Tür mit der Nummer drei und klopfte. Hedra