Über das Buch

Kann man ein Bakterium im Körper dazu bringen, seine Umgebung zu »beobachten« und mit seiner Hilfe Krankheiten besiegen? Die Antwort lautet: Ja. Forscher experimentieren sogar schon damit, aus diesen Beobachter-Bakterien Transportmittel für Medikamente zu machen. Und wieso überhaupt noch Häuser bauen, wenn man sie auch drucken könnte? Wäre es nicht praktisch, wenn wir einen Lift ins All hätten? Klingt verrückt, aber wir leben in einer Zeit, in der all das nicht mehr bloße Fantasie ist, sondern Realität werden könnte – bald!
Die Weinersmiths erklären die Zukunft so unterhaltsam und spannend, wie es sonst keiner kann.

Kelly und Zach Weinersmith

BALD!

10 revolutionäre Technologien,
mit denen alles gut wird
oder komplett den Bach runtergeht

Aus dem Englischen von Karsten Petersen,
Thomas Pfeiffer und Sigrid Schmid

Carl Hanser Verlag

Dieses Buch ist unseren Eltern

PATRICIA UND CARL SMITH

und

PHYLLIS UND MARTIN WEINER

gewidmet, ohne die dieses Buch nie zustande gekommen wäre.

Ihr habt uns mit Essen versorgt, habt uns gepflegt,

als wir krank waren, ihr habt auf Ada aufgepasst,

wenn wir es nicht konnten, und ihr habt dafür gesorgt,

dass wir ab und zu eine Pause eingelegt haben.

Wir werden nie vergessen, wie ihr uns geholfen habt,

unseren Traum zu verwirklichen.

Dieses Buch gehört ebenso sehr euch wie uns.1


1 Die Schecks behalten natürlich wir. Aber wir sind dankbar.

Inhalt

Einleitung
Wie bald ist bald?

TEIL 1
Das Universum, bald

1   Billiger Zugang zum Weltall
Die unendlichen Weiten sind verdammt teuer

2   Asteroidenbergbau
Der Schrottplatz des Sonnensystems – das Eldorado der Zukunft

TEIL 2
Materie, bald

3   Fusionsenergie
Sie treibt die Sonne an, aber kann ich damit auch meine Brötchen toasten?

4   Programmierbare Materie
Was, wenn alles auch alles andere sein könnte?

5   Roboter am Bau
Bau mir einen Partykeller, alter Blechbutler!

6   Augmented Reality
Eine Alternative zum Weltverbessern

7   Synthetische Biologie
Wie Frankenstein, nur arbeitet das Monster ganz brav für Medizin und Industrie

TEIL 3
Der Mensch, bald

8   Präzisionsmedizin
Alles, was mit Ihnen ganz persönlich nicht in Ordnung ist – ein statistischer Ansatz

9   Bioprinting
Wenn man sich einfach eine neue Leber drucken kann, dann darf es auch mal eine Margarita mehr sein

10   Gehirn-Computer-Schnittstellen
Weil Sie nach vier Milliarden Jahren Evolution Ihre Schlüssel immer noch nicht finden können

Fazit
Nicht ganz so bald, oder: Der Friedhof der verlorenen Kapitel

Dank der Autoren

Bibliografie

Register

Einleitung

Wie bald ist bald?

In diesem Buch sagen wir die Zukunft voraus.

Zum Glück ist das ziemlich einfach. Das machen die Leute andauernd. Mit der Vorhersage richtigzuliegen ist ein bisschen schwieriger, aber mal ehrlich, juckt das irgendjemanden?

Im Jahr 2011 gab es eine Studie mit dem Titel »Ist das, was TV-Experten sagen, nur heiße Luft?«,2 in der die Vorhersagefähigkeiten von 26 Experten überprüft wurden. Die Bewertungen reichten von »meistens richtig« bis »normalerweise falsch«.3

Die meisten Leser mochten diese Studie, weil sie aufdeckte, dass gewisse Personen nicht nur unerträglichen Quatsch erzählten, sondern statistisch belegbar unerträglichen Quatsch von sich gaben. Für uns als populärwissenschaftliche Autoren hielt die Studie ein noch aufregenderes Ergebnis bereit: All diese Menschen hatten immer noch einen Job, egal wie schlecht ihre Vorhersagen waren. Tatsächlich trafen gerade die bekanntesten Persönlichkeiten die schlechtesten Vorhersagen.

Wenn zwischen Vorhersagefähigkeiten und einer erfolgreichen Karriere wirklich kein Zusammenhang besteht, dann haben wir beste Chancen. Diese Experten wollten schließlich nur vorhersagen, was in naher Zukunft mit ein paar wenigen zankenden politischen Akteuren geschieht. Sie wollten keine Aussagen darüber treffen, ob wir in 50 Jahren einen Aufzug ins Weltall haben werden oder in nächster Zeit unsere Gehirne in eine Cloud hochladen4 oder ob Maschinen neue Lebern, Nieren und Herzen für uns ausdrucken oder ob in den Krankenhäusern Krankheiten mit winzigen, durch den Körper schwimmenden Robotern geheilt werden.

Ehrlich gesagt ist es superschwierig vorherzusagen, ob irgendeine der Technologien in diesem Buch zu einer bestimmten Zeit in vollem Umfang realisiert werden wird. Eine neue Technologie ist nicht nur eine kontinuierliche Ansammlung von immer neuen Verbesserungen. Die großen Sprünge, wie der Laser oder der Computer, kommen oft durch völlig andere Entwicklungen in fremden Fachgebieten zustande. Und selbst wenn große Entdeckungen gemacht werden, ist nicht immer sicher, ob sich für diese Technologie ein Markt findet. Ja, ihr Zeitreisenden aus dem Jahr 1920, wir haben fliegende Autos. Und nein, keiner will sie haben. Sie sind das Schachboxen5 unter den Fahrzeugen – ab und zu ganz amüsant, aber meistens will man beides doch lieber getrennt.

Weil die meisten Vorhersagen, die wir hier treffen, nicht nur falsch, sondern doof sein werden, haben wir beschlossen, ein paar Strategien anzuwenden, die wir uns in anderen Büchern abgeschaut haben, in denen die Autoren über die Zukunft schreiben.

Zunächst ein paar grundsätzliche Vorhersagen:

Wir sagen voraus, dass Computer schneller werden. Und dass Bildschirme eine höhere Auflösung bekommen. Wir sagen voraus, dass Gensequenzierung billiger wird. Wir sagen voraus, dass der Himmel blau, Hundewelpen süß und Kuchen lecker bleiben, dass Kühe weiterhin muhen und dass rein dekorative Handtücher auch in Zukunft nur für Mütter Sinn ergeben.

Art01.tif

Am besten überprüfen Sie in ein paar Jahren, wie genau unsere Vorhersagen waren. Zur Beurteilung stehen allerdings nur die Optionen »zutreffend« oder »nicht nicht zutreffend« zur Verfügung, weil wir keine Zeitangaben treffen.

Nach dieser ersten Vorhersagerunde sind wir jetzt bereit für ein paar mehr. Wir sagen voraus, dass wiederverwendbare Raketen die Kosten für Raketenstarts in den nächsten 20 Jahren um 30 bis 50 Prozent senken werden. Wir sagen voraus, dass es in den nächsten 30 Jahren möglich werden wird, die meisten Krebsarten durch Bluttests zu diagnostizieren. Wir sagen voraus, dass in den nächsten 50 Jahren Nano-Biomaschinen die meisten Gendefekte reparieren werden.

Okay, das sind jetzt insgesamt elf Vorhersagen. Wenn wir bei acht von zehn richtigliegen, sind wir, unserer Meinung nach, Genies. Oh, und falls wir mit einer Vorhersage aus der ersten Runde richtigliegen, dann dürfen Sie gern clevere Artikel darüber schreiben mit Titeln wie z.B. »PÄRCHEN, DAS DIE ZUKUNFT DER GENSEQUENZIERUNG VORHERSAGTE, PROPHEZEIT, DASS DIE RAUMFAHRT BALD BILLIG WIRD«.

Die Zukunft richtig vorherzusagen ist schwierig. Richtig schwierig.

Neue Technologien sind so gut wie nie das Produkt einzelner Genies mit einer netten Idee. Das gilt in immer mehr Fällen. Für Zukunftstechnologien müssen oft erst mehrere Zwischentechnologien entwickelt werden, von denen viele zunächst irrelevant wirken. Ein kürzlich entwickeltes Gerät, das wir in diesem Buch beschreiben, ist die supraleitende Quanteninterferenzeinheit (Superconducting QUantum Interference Device, SQUID). Dieses hochempfindliche Gerät kann kleinste Magnetfelder im Gehirn aufspüren, sodass Gedankenmuster analysiert werden können, ohne Löcher in den Schädel bohren zu müssen. Wie entstand dieses Ding?

Ein Supraleiter ist alles, was Strom ohne elektrischen Widerstand leitet. Das unterscheidet Supraleiter von den normalen, alten elektrischen Leitern (wie z.B. Kupferdraht), die gute Stromleiter sind, bei denen unterwegs aber ein Teil der Elektrizität verloren geht. Wir haben Supraleiter, weil Michael Faraday vor etwa 200 Jahren Glaswaren herstellte und dabei versehentlich Gas in einer Glasröhre unter Druck setzte, sodass es flüssig wurde. Damals gab es noch kein Fernsehen, und die Vorstellung, Gase zu verflüssigen, begeisterte eine Menge Menschen.

Wie sich herausstellte, war es sehr viel einfacher, Gas zu verflüssigen, indem man es richtig stark abkühlte, als es unter hohen Druck zu setzen. Deswegen entwickelten Forscher eine fortschrittliche Kühltechnologie, mit der hartnäckig gasförmige Elemente, wie Wasserstoff und Helium, verflüssigt werden konnten. Und mit flüssigem Wasserstoff oder Helium kann man so ziemlich alles andere herunterkühlen.

Helium ist in flüssigem Zustand etwa minus 270 Grad Celsius kalt. Wenn man flüssiges Helium irgendwo drüberschüttet, verdampft es fast immer zu Gas und zieht Wärme ab, bis das Ding, das man kühlen möchte, ebenfalls etwa minus 270 Grad Celsius hat.*

Irgendwann fragten sich Wissenschaftler, was mit elektrischen Leitern geschah, wenn man sie richtig weit abkühlte. Sie werden dann meist noch bessere Leiter. Einfach ausgedrückt liegt das daran, dass elektrische Leiter so etwas wie Rohre für Elektronen sind, aber keine perfekten. Im Kupferdraht stehen die Kupferatome der Elektronenbewegung im Weg.

Was wir als »Hitze« bezeichnen, sind in Wirklichkeit nur schnelle Taumelbewegungen der Atome. Wenn man die Atome in einem Kupferdraht erhitzt (also zum Taumeln bringt), erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Elektronenfluss blockieren, so wie es auch schwieriger wird, mit dem Auto auf einer Straße voranzukommen, wenn der Fahrer direkt vor Ihnen ständig die Spur wechselt. Auf atomarer Ebene bedeuten die Taumelbewegungen (alias »die Hitze«) eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die Elektronen mit Kupferatomen zusammenstoßen, die dadurch noch stärker ins Taumeln geraten. Deswegen wird auch das Ladegerät des Laptops mit der Zeit richtig heiß.

Gießt man nun flüssiges Helium über einen elektrischen Leiter, dann wird die Taumelenergie in den Kupferatomen auf die Heliumatome übertragen, die dann wegfliegen. Dadurch wird die Taumelbewegung der Kupferatome schwächer und die Elektronen stoßen auf deutlich weniger Widerstand. Je kälter die Atome werden, umso leichter fließen die Elektronen.

Damals wurde diskutiert, was wohl geschehen würde, wenn man die Atome dem absoluten Stillstand annähern würde. Manch einer glaubte, die Leiter würden ihre Leitfähigkeit verlieren, weil jede Bewegung bei dieser Temperatur unmöglich sein müsste, auch für Elektronen. Andere glaubten, die Leitfähigkeit wäre ausgezeichnet, sonst würde aber nichts Aufregendes passieren.

Daraufhin gossen Forscher ultrakalte Gase über Metallelemente. Bizarrerweise stellte sich heraus, dass manche Metalle ab einer bestimmten eisigen Temperatur perfekte Leiter (oder auch Supraleiter) wurden. Wenn man die Metalle konstant bei dieser niedrigen Temperatur hielt und daraus einen Stromkreis schloss, dann floss der Strom darin ewig im Kreis. Das klingt nach einer wissenschaftlichen Kuriosität, aber sie führt zu allerlei Seltsamem! Der im Kreis fließende Strom würde ein Magnetfeld erzeugen. Man könnte aus diesen kalten Metallen also einen dauerhaften Magneten herstellen, bei dem die Magnetstärke davon abhing, wie viel Strom man in den Stromkreis gab.

In den 1960er-Jahren entwickelte ein gewisser Brian Josephson (der den Nobelpreis bekam, sich heutzutage in Cambridge aber für allerlei Unsinn wie kalte Fusion und »Wassergedächtnis« einsetzt) eine Kopplung von Supraleitern, mit deren Hilfe man winzige Schwankungen in Magnetfeldern aufspüren konnte. Diese Apparatur, der sogenannte Josephson-Kontakt, ermöglichte schließlich die Entwicklung von SQUID.

Wenn vor 200 Jahren jemand auf Sie zugekommen wäre und gefragt hätte, wie man eine Apparatur bauen könnte, um die Gehirnmuster von Menschen zu scannen, hätten Sie dann sofort geantwortet: »Dazu müssen wir erst einmal etwas Gas in eine Glasröhre einsperren«?

Wahrscheinlich nicht. Tatsächlich galt der letzte technische Schritt – der Josephson-Kontakt, der von einem Mann erfunden wurde, der glaubt, dass Wasser sich an das erinnert, was man hineingibt – zunächst als theoretisch unmöglich. Die Reaktion wurde später anhand eines Theoriegerüsts erklärt, das lange nach Faradays Tod entwickelt wurde.

Wir haben heute noch keine Mondbasis, obwohl wir das erwartet haben, dafür aber Supercomputer in Hosentaschengröße, mit denen kaum jemand gerechnet hat, eben weil die technische Entwicklung von Zufällen geprägt ist.* Dasselbe Problem gilt für alle Technologien in diesem Buch: Ob wir einen Aufzug ins Weltall bauen können, könnte davon abhängen, wie gut Chemiker lernen, Kohlenstoffatome in kleinen Röhrchen anzuordnen. Ob wir einen Stoff herstellen können, der jede Form annehmen kann, hängt möglicherweise davon ab, wie gut wir das Verhalten von Termiten verstehen lernen. Ob wir medizinische Nanobots bauen können, hängt möglicherweise davon ab, wie gut wir Origami verstehen. Oder vielleicht hat nichts davon letztendlich Bedeutung. Nichts in der Geschichte musste so geschehen, wie es geschah.

Heute weiß man, dass die Griechen der Antike komplexe Getriebesysteme erschaffen konnten, dennoch bauten sie nie eine fortschrittliche Uhr. Die Bewohner des antiken Alexandria verfügten über eine rudimentäre Dampfmaschine, entwickelten aber nie Züge. Die alten Ägypter erfanden vor 4000 Jahren den Klappstuhl, bauten aber keine einzige IKEA-Filiale.

Wir haben keine Ahnung, wann irgendetwas davon geschehen wird.

Warum schreiben wir dann dieses Buch? Weil jeden Tag überall Großartiges geschieht und die meisten Menschen gar nichts davon mitbekommen. Manche Leute werden sogar zynisch, weil sie erwartet haben, wir würden heute bereits über Fusionsenergie verfügen oder könnten Wochenendausflüge zur Venus machen. An dieser Enttäuschung sind nicht immer Wissenschaftler schuld, die überzogene Versprechungen für die Zukunft gemacht haben; oft übergehen solche Bücher wie dieses hier die wirtschaftlichen und technischen Herausforderungen, die wir auf dem Weg zur Zukunft aus den Romanen überwinden müssen.

Warum auf diese Herausforderungen in vielen Büchern nicht eingegangen wird, wissen wir auch nicht. Wäre die Geschichte von Apollo 11 wirklich besser, wenn es einfach wäre, zum Mond zu gelangen? Unserer Meinung nach macht gerade die Tatsache, dass wir kaum eine Ahnung haben, wie man Gedanken decodieren kann, die Vorstellung von einer Computer-Hirn-Schnittstelle so spannend. Da draußen wartet ein unendliches Grenzland darauf, dass Fragen gestellt, Entdeckungen gemacht, Ruhm gewonnen und Heldentaten verkündet werden.

Wir haben zehn verschiedene neu entstehende Fachbereiche ausgewählt, die wir näher ergründen wollen, und sie grob von groß nach klein geordnet. Dabei bewegen wir uns aus den Tiefen des Weltalls über riesige experimentelle Kraftwerke, neue Konstruktionsmethoden und neue Wege, die Welt zu erfahren, bis zum menschlichen Körper und schließlich, last but not least, bis zu Ihrem menschlichen Gehirn.

Unser Leitprinzip bei jedem Kapitel lautete: Mal angenommen, Sie sitzen in einer Bar und jemand fragt Sie: »Hey, worum geht es eigentlich bei dieser nuklearen Fusionsenergie?« Was wäre da die bestmögliche Antwort? Uns hat man unterstellt, wir hätten keine Ahnung, wie es in Bars zugeht. Entscheidend ist aber, dass Sie in jedem Kapitel erfahren, worum es bei dieser Technologie geht, wie der aktuelle Stand der Technik ist, welche Herausforderungen gemeistert werden müssen, bevor sie realisiert werden kann, welche schrecklichen Folgen sie möglicherweise hat und wie sie die Welt großartig machen kann.

Art02.tif

Wir finden wissenschaftlichen Fortschritt nicht nur aufregend, weil er uns Neues bringt. Das alles wird noch aufregender, wenn man versteht, wie verdammt schwierig es wäre, Bergbau auf einem Asteroiden zu betreiben oder mit einem Roboterschwarm ein Haus zu bauen. Wie aufregend genau das ist, werden wir erst wissen, wenn diese Dinge tatsächlich geschehen.6

Sie werden in diesem Buch außerdem einiges über die seltsamen Umwege erfahren, die Wissenschaft und Technik manchmal nehmen, und über die Sackgassen, in die sie geraten. Am Ende jedes Kapitels weisen wir noch auf eine Eigentümlichkeit (abstoßend oder beeindruckend) hin, die wir entdeckt haben. Manchmal haben diese Abschnitte unmittelbar mit dem Thema des Kapitels zu tun, aber manchmal geht es einfach um sehr seltsame Dinge, auf die wir während unserer Recherchen gestoßen sind. Richtig seltsames Zeug. Ein Oktopus aus Maisbrot etwa, solche Sachen.

Für all diese Kapitel mussten wir einen Haufen Fachbücher und -artikel lesen und uns mit einer Menge leicht verrückter Menschen unterhalten. Manche waren verrückter als andere, und die mochten wir meistens am liebsten.

All unsere Recherchen hatten eines gemeinsam: Unsere Erwartungen, die wir im Vorfeld hatten, wurden jedes Mal restlos weggefegt. In jedem Fall entdeckten wir bei den Nachforschungen, dass wir die Technologie selbst gar nicht verstanden hatten, aber vor allem auch nicht verstanden, vor welchen Problemen sie stand. Oft war das, was zunächst kompliziert wirkte, ganz einfach, und das, was einfach schien, kompliziert.

Neue Technologien sind etwas Wunderschönes, aber wie bei Michelangelos Pietà oder Rodins Le Penseur ist es meistens eine verdammte Schinderei, sie zu erschaffen. Wir wollen nicht nur erklären, worum es bei einer Technologie geht, sondern auch, warum die Zukunft sich unseren größten Bemühungen so stur widersetzt.

Kelly und Zach Weinersmith
Weinersmith Manor, September 2016

P.S. Wir werden außerdem von einem Experiment erzählen, bei dem Studenten in einer Prüfung nur durch ein Nasenloch atmen durften. Es ist relevant. Versprochen.

Art04.tif
Art03.tif

1 Eine Gruppe von Public-Policy-Studenten am Hamilton College führte diese Studie durch. Es geht dabei nur um eine kleine Auswahl an Probanden. Aber weil die Ergebnisse unsere Vorurteile bestätigen, haben wir beschlossen, sie zu glauben.

2 Übrigens: In der Studie gab es eine Korrelation von Jura-Abschluss und besonders schlechten Vorhersagen.

3 In die Apple iCloud, wenn sich das Buch gut verkauft. In die Amazon Cloud, wenn es nicht so gut läuft.

4 Das ist eine echte Sportart, die in Russland überraschend beliebt ist. In wechselnden Runden wird Schach gespielt und geboxt, bis ein Beteiligter verliert.

5 Noch während wir an diesem Buch geschrieben haben, gab es bei zwei Technologien bereits riesige Fortschritte. Wir mussten unser Kapitel über billigen Zugang zum Weltall ergänzen, nachdem SpaceX mehrfach Antriebsstufen seiner Falcon-9-Rakete landen konnte, und unser Kapitel über Augmented Reality mussten wir ergänzen, weil alle nur noch über Pokémon Go redeten.

Teil 1
Das Universum, bald

1 Billiger Zugang zum Weltall

Die unendlichen Weiten sind verdammt teuer

Auf, auf ins weite, fiebrig brennende Blau
Über windgepeitschte Höh’n mit Leichtigkeit.
Wo Lerche nicht und auch kein Adler je geflogen –
Und beim schweigend leichten Ritt
Durch das unberührte Heiligtum des Raums
– Berührte ich mit der Hand das Antlitz Gottes.

John Gillespie Magee, Jr., High Flight, 1941

Geld wird in diesem Gedicht mit keinem Wort erwähnt, das fällt sofort auf. In der Lyrik verzichtet man häufig auf derart technische Aspekte, daher fügen wir noch ein paar Zeilen hinzu:

Und auf die Frage nach dem Preise

Wand ich mich um, HEILIGE SCHEISSE!

In diesem Moment kostet es ca. 10.000 Dollar, um ein Pfund ins All zu schicken.1 Das sind etwa 2500 Dollar pro Cheeseburger.

Aus diesem Grund war bisher nur ein halbes Dutzend Menschen auf der Mondoberfläche, und deswegen sind die Mondfahrzeuge an manchen Stellen auch dünn wie Papier. Es liegt nicht an dem mangelnden wissenschaftlichen Genie der Ingenieure, dass wir im Jahr 2017 ein Raumfahrtmodell haben, das alle Hoffnungen von 1969 enttäuscht hätte. Schuld ist die Art, wie wir ins All gelangen, die ist nach wie vor sehr teuer. Wenn man die Raumfahrtkosten drastisch reduzieren könnte, hätten wir eine wesentlich bessere Weltraumwissenschaft, bessere Kommunikationssysteme, Zugang zu Ressourcen jenseits der Erde, bessere Kontrollmöglichkeiten über das Klima, und vor allem würde uns das Sonnensystem zur Erforschung und Besiedelung offenstehen.

Um zu verstehen, warum es derzeit so teuer ist, Dinge ins Weltall zu bringen, muss man wissen, was eine Rakete eigentlich ist.

Eine Rakete ist im Prinzip eine mit explosivem Treibstoff gefüllte Röhre mit einer wiiinzigen Fracht obendrauf. Bei einer typischen Mission in eine niedrige Erdumlaufbahn (Low Earth Orbit, LEO, in etwa 500 Kilometer Höhe, Ziel der meisten Raketenflüge) heißt das im Massenverhältnis 80 Prozent Treibstoff, 16 Prozent eigentliche Rakete und vier Prozent Fracht (wobei vier Prozent schon viel sind, bei Flügen in größere Höhen sind es eher ein bis zwei Prozent).

Bei den Kosten ist das Verhältnis allerdings umgedreht. Der Treibstoff spielt beim Preis eine kleinere Rolle – er kostet nur ein paar wenige Tausend Dollar. Am teuersten ist die Rakete selbst, die so gut wie immer nur einmal verwendet wird.

Unter dem Strich sind Raketenstarts richtig teuer, und den meisten Platz an Bord nimmt der Treibstoff ein. Daher gibt es zwei Möglichkeiten, wie man die Kosten für Raumfahrt drastisch senken könnte:

  1. Man verwendet die Trägerrakete wieder.
  2. Man verwendet weniger Treibstoff.

Im Jahr 2015 wurde die Wiederverwendung von Trägerraketen plötzlich Realität. Mehr dazu im Abschnitt über wiederverwendbare Raketen. Aber die Grundidee ist ziemlich simpel: Wenn man die Rakete nach einem Einsatz nicht verschrottet, kann man Geld sparen.

Den Treibstoffverbrauch zu verringern ist ein wenig schwieriger, auch wenn Treibstoff 80 Prozent der Masse eines Raumfahrzeugs ausmacht. Warum das so ist, wird verständlich, wenn man die Situation mit einer Autofahrt von Russland nach Südafrika und wieder zurück vergleicht. Man hat zwei Möglichkeiten, um an Benzin zu kommen:

  1. Man tankt an Tankstellen unterwegs immer wieder auf.
  2. Man nimmt das Benzin für die gesamte Fahrt selbst mit.

Selbstverständlich würde man sich für die erste Option entscheiden. Die Frage ist, warum eigentlich.

Ein Auto ist eine Maschine, die Benzin in eine Vorwärtsbewegung umwandelt. Ein sehr schweres Auto braucht mehr Benzin für eine bestimmte Strecke. Wenn man regelmäßig nachtankt, dann besteht das Gesamtgewicht überwiegend aus Auto und nicht aus Benzin. Das bedeutet, dass der Motor mit dem Benzin, das er verbrennt, vor allem das Fahrzeug bewegt (plus Fahrer und Gepäck) und nicht das Benzin im Tank.

Bei der zweiten Option zieht man einen riesigen Tankwagen hinter sich her. Das Gewicht des Benzins übersteigt das Gewicht des eigentlichen Autos wahrscheinlich erheblich. Vor allem am Anfang verbraucht man den Großteil der Energie, die man durch das Benzin erhält, um das Benzin zu bewegen. Das meiste Benzin geht also dafür drauf, anderes Benzin zu bewegen.

Die Folge ist, dass man bei der zweiten Variante erheblich mehr Benzin braucht als bei der ersten. Der kleine Wohnwagen besteht dann, wie alle Weltraumraketen, zum Großteil aus Treibstoff, nicht aus Fahrzeug oder Fracht.

Leider ist es einigermaßen schwierig, Tankstellen für Raketen zu bauen. Bei der Raumfahrt bleibt uns also nur das zweite Szenario übrig, wenn sich nicht einiges ändert.

Daraus ergibt sich eine spannende Rechnung. Wenn man die Trägerrakete wiederverwenden könnte, dann würden sich die Kosten eines Raketenstarts um 90 Prozent verringern. Oder wenn man nur drei Viertel der Treibstoffmenge verbrauchen würde, dann würde sechsmal mehr Fracht hineinpassen,2 sodass sich die Kosten pro Pfund auf ein Sechstel reduzieren würden.

Allerdings kämpft man hier gegen physikalische Grundlagen. Die günstigste verfügbare Umlaufbahn ist LEO. Viele Menschen glauben, »Umlaufbahn« würde bedeuten, dass es keine Schwerkraft gibt. Das ist nicht der Fall. So herrschen auf der Internationalen Raumstation ISS (die sich derzeit im LEO befindet) in 400 Kilometer Höhe etwa 90 Prozent der Schwerkraft, die man auf der Erde erlebt. Warum schweben dann die Astronauten umher, als gäbe es keine Schwerkraft? Weil sie richtig, richtig, richtig schnell sind. Etwa acht Kilometer pro Sekunde schnell. Sie werden zwar die ganze Zeit von der Erde angezogen, aber sie »verfehlen« sie ständig.

Man kann sich das so vorstellen, als würde man eine Kanone auf der Spitze eines Turms abfeuern. Wenn man die Kugel langsam abschießt, dann fliegt sie nur eine kurze Strecke, bevor sie zu Boden fällt. Wenn man sie unglaublich schnell abfeuert, dann fliegt sie ins All. Aber zwischen gleich herunterfallen und ins All fliegen gibt es noch jede Menge Zwischenstufen. Auf jeder Höhe gibt es eine Geschwindigkeit, bei der man nicht mehr zu Boden fällt. Ist man langsamer, bleibt man auf der Erde. Wenn man auf der Kanonenkugel reiten würde, dann würde man fallen, weil einen die Schwerkraft nach unten zieht. Gleichzeitig ist man jedoch so schnell, dass man die Krümmung der Erdoberfläche sieht. Man selbst bewegt sich von einem Punkt auf der Erde in gerader Linie weg, und die Erde biegt sich darunter weg, sodass sich die Entfernung des Fliegenden von der Oberfläche erhöht. Bei dieser speziellen Geschwindigkeit heben sich zwei Wirkungen gegenseitig auf. Die Schwerkraft zieht einen hinunter, aber die Geschwindigkeit hält einen oben. So fliegt man immer weiter, immer rundherum. Man befindet sich in einer Umlaufbahn.

Doch obwohl LEO die billigste Umlaufbahn ist, die man erreichen kann, kostet es immer noch ziemlich viel, dorthin zu gelangen. Einen großen Metallklumpen auf acht Kilometer pro Sekunde zu beschleunigen, ist keine leichte Aufgabe. Wenn wir jemals Raumschiffe haben wollen, die so aussehen wie im Film statt wie riesige, mit Folie umwickelte Blechdosen, dann brauchen wir eine billigere Option.

Art05.tif

Wo stehen wir heute?

Methode 1: Wiederverwendbare Raketen

Kurzfristig bieten wiederverwendbare Raketen die beste Chance für billigere Flüge ins All. Dabei handelt es sich um ganz normale Raketen, die aber nicht ins Meer stürzen, wie sie es heute tun, sondern nach dem Ende der Mission wieder auf der Erde landen. Das ändert nichts an dem Problem, dass Raketen nur vier Prozent Frachtraum haben, aber es könnte die Kosten drücken.

Allerdings gibt es bei diesem Ansatz ein paar Schwierigkeiten: Man muss zusätzlichen Treibstoff an Bord haben für die Landephase, was die Effizienz vermindert. Man will so wenig zusätzlichen Treibstoff wie möglich transportieren, aber das erschwert die Landephase erheblich.

Ein ernsthaftes Problem besteht darin, dass noch niemand weiß, wie viel es kosten wird, eine gebrauchte Rakete wieder instand zu setzen. Das Ding war immerhin im All! Mit einmal draufspucken und polieren und wieder auf die Abschussrampe stellen ist es da nicht getan.

Das US-Spaceshuttle war ursprünglich als wiederverwendbares Raketensystem gedacht, erwies sich aber letztendlich als noch teurer als reguläre Raketen, eben weil die Instandsetzung so kostspielig war. Wer dafür die Verantwortung trägt – die Ingenieure, der US-Kongress, die US-Airforce, die risikoscheue Öffentlichkeit oder andere –, wird immer noch debattiert, aber so oder so scheiterte das Programm vor allem an den hohen Kosten, die entstanden, um das Shuttle nach einem Flug wieder einsatzfähig zu machen. Deswegen waren nicht alle traurig, als das Shuttle in Rente geschickt wurde, viele Raumfahrtfans freuten sich darüber.

Aber es gibt Grund zur Hoffnung, dass eine bessere Mehrwegrakete herstellbar ist. Noch während wir an diesem Kapitel schrieben, brachte SpaceX als erstes Unternehmen erfolgreich eine Fracht ins All und landete danach Teile der Trägerrakete wieder auf der Erde.3

Dies könnte die größte Raumfahrtentwicklung seit einer Generation sein, wenn sich die Kosten so tatsächlich senken lassen. Einer unserer Leser twitterte, er habe als kleiner Junge die Mondlandung miterlebt, aber er finde die Mehrwegrakete noch aufregender. Das klingt verrückt, aber er hat nicht ganz unrecht – die Mondlandung war sicherlich die größere technische Leistung, aber sie verursachte so hohe Kosten, dass sie niemals zur Normalität werden konnte.

Um wie viel genau sich die Kosten für Raketenstarts senken lassen, ist umstritten. Elon Musk behauptet, er könne die Kosten langfristig auf ein Hundertstel senken. Das aktuelle Modell Falcon 9 könnte laut der Präsidentin von SpaceX, Gwynne Shotwell, eine dreißigprozentige Kostensenkung bieten. Das bedeutet, selbst wenn Mehrwegraketen die Kosten nur wenig senken, könnten sie doch den Weg zu enormen Einsparungen in der Zukunft weisen. Der Weg zum Mars könnte mit kleinen Kosteneinsparungen gepflastert sein.

Art06.tif

Methode 2: Luftatmende Raketentriebwerke
und Weltraumflugzeuge

Flugzeuge fliegen heute schon richtig hoch. Könnten wir sie nicht noch ein bisschen höher fliegen lassen, sodass sie das All erreichen?

Nein, können wir nicht. Wie kommt man überhaupt auf so eine Frage? Herrgott.

Das Schwierige, wenn man einen Satelliten auf eine Umlaufbahn bringen will, ist nicht die Höhe, sondern die Geschwindigkeit. Dazu braucht man einen Haufen Treibstoff. Aber mit einem Weltraumflugzeug, einem sogenannten Spaceplane, könnte man enorm sparen. Dazu muss man wissen, was genau Treibstoff ist.

Wer Treibstoff als »Brennstoff« bezeichnet, bekommt von einem NASA-Ingenieur eine mit dem TI-83 übergebraten.4 Treibstoff ist eigentlich eine Kombination aus zwei Dingen: Brennstoff und Oxidator. Für die eigentliche Verbrennungsreaktion braucht man drei Dinge. Brennstoff, Oxidator und Energie. Bei einem Lagerfeuer, zum Beispiel, ist das Holz der Brennstoff, der Oxidator ist (man ahnt es bereits) Sauerstoff, und die Energie liefert ein brennendes Streichholz.

Bei einer Rakete werden Brennstoff und Oxidator im Schiff mitgeführt. Das Verhältnis von Oxidator und Brennstoff variiert je nach Rakete und Mission, aber im Allgemeinen macht der Oxidator den Großteil der Treibstoffmasse aus. Als Oxidator wird oft flüssiger Sauerstoff (engl. liquid oxygen) verwendet.5 Aber warum schleppt man flüssigen Sauerstoff herum, wenn die Rakete auf weiten Teilen ihrer Reise von Sauerstoff umgeben ist?

Wir fassen uns hier kurz und drücken es einfach aus: Eine Rakete ist eine ziemlich brachiale Methode, um ins Weltall zu gelangen. Man stopft alles, was man braucht, in eine große Röhre und schießt sich gen Himmel. Bei einem Flugzeug könnte man die Effizienz verbessern, indem man den Oxidator aus der Luft holt, statt ihn mitzuschleppen, aber dadurch wird eine ohnehin schon komplizierte Maschinerie noch komplizierter.

Das große Problem bei Weltraumflugzeugen besteht darin, dass sie mehrere verschiedene Antriebsarten brauchen, um mit den unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Bedingungen auf dem Weg ins All klarzukommen. Und zwar aus folgendem Grund:

Die meisten Flugzeuge benutzen ein Mantelstromtriebwerk. Das ist ein bisschen kompliziert, aber das Grundprinzip ist einfach. Ein Bläserrad saugt Luft in eine Brennkammer. Dort wird die Luft verdichtet, sodass man auf kleinem Raum eine Menge Sauerstoff (den Oxidator!) erhält. Dann wird Brennstoff eingespritzt und entzündet. Die heiße, verdichtete Luft wird hinten ausgestoßen, während man von vorn frische Luft ansaugt. So gelangt Hochdruckluft hinter das Triebwerk bei gleichzeitig vergleichsweise niedrigem Luftdruck vor dem Triebwerk. Man bewegt sich vorwärts.

Allerdings bekommen Strahltriebwerke Schwierigkeiten, wenn man sich der Schallgeschwindigkeit, also etwa 1235 Kilometern pro Stunde,6 nähert, die auch Mach 1 genannt wird. Bei Schallgeschwindigkeit kann die Luft nicht schnell genug um das Flugzeug herumströmen und staut sich davor auf. Das wird zum Problem, wenn die Luft von vorn über ein Bläserrad zugeführt wird.

Eine mögliche Lösung für diese Hürde ist ein sogenannter Nachbrenner. Ein Nachbrenner nimmt den Sauerstoff, der hinter dem Triebwerk übrig bleibt, wirft mehr Brennstoff hinein und entzündet das Ganze. Man erzeugt also eine ständige kleine Brennstoffexplosion hinter dem Flugzeug. So schafft man es auf Mach 1,5, wenn auch nicht besonders effizient. Ab Mach 1,5 kann man dann eine andere Antriebsart einsetzen, den Ramjet.

Ein Ramjet ist eine unglaublich einfache Maschine, aber sie ist nicht unbedingt einfach herzustellen. Im Prinzip ist es ein Mantelstromtriebwerk, nur ohne alle beweglichen Teile. Auch ohne Bläserrad, denn das braucht man nicht, um die Luft zu verdichten, weil das die hohe Geschwindigkeit schon erledigt. Man fliegt schnell, und die Luft wird in eine Brennkammer gedrückt, wo sie verlangsamt wird, bevor man Brennstoff hinzufügt und das Gemisch entzündet. Der Nachteil dabei ist, dass man mit einem Ramjet nicht starten kann, weil die Geschwindigkeit als Verdichter funktioniert. Ein Ramjet funktioniert erst, wenn man mindestens 1770 Kilometer pro Stunde draufhat. Im Aufklärungsflugzeug SR-71 gibt es zum Beispiel ein Triebwerk, das seine Form verändert und wie ein Ramjet funktioniert, wenn man die richtige Geschwindigkeit erreicht.

Wenn man dann so richtig schnell ist (aber immer noch nicht schnell genug, um im LEO zu bleiben), dann braucht man einen Überschall-Ramjet oder »Scramjet« (= Supersonic-Combustion Ramjet [Überschallverbrennungs-Staustrahltriebwerk]). Ein Scramjet ist als Maschine noch einfacher als ein Ramjet und noch schwieriger zu bauen. Im Wesentlichen strömt Luft mit Überschallgeschwindigkeit ins Triebwerk und wird mit Brennstoff unmittelbar entzündet, ohne dass die Luft vorher verlangsamt wird. Das funktioniert, weil der Sauerstoff so schnell hereinströmt, dass ohne Verdichtung genug davon für eine Verbrennungsreaktion vorhanden ist. Allerdings ist es nicht einfach, quasi eine Kerze im Überschallwind anzuzünden. Scramjets befinden sich immer noch im Versuchsstadium, aber ab etwa 7250 Kilometern pro Stunde7 werden sie zum effizientesten Antrieb. Es gab einige Scramjet-Programme, die meisten davon militärisch, aber sie alle waren nur begrenzt erfolgreich. Kein Scramjet hat es bisher auch nur annähernd auf Orbitalgeschwindigkeit gebracht.

Ein ideales Weltraumflugzeug sollte in der Lage sein, alle drei Antriebstypen nacheinander einzusetzen, um in den Weltraum zu gelangen. Im All selbst, wo kein Luftsauerstoff verfügbar ist, wird man wohl auf einen traditionellen Raketenantrieb umschalten. Aber wenn man Sauerstoff aus der Luft verwendet statt aus einem Tank an Bord, ist es möglich, den Brennstoffverbrauch so weit zu senken, dass man zehnmal mehr Fracht transportieren kann.

Oh, und weil es ein Flugzeug ist, kann es danach einfach landen. Wenn das ohne größere Schäden mehrmals hintereinander funktioniert, hat man das Problem des Raketenverlusts und das Brennstoffeffizienzproblem gleichzeitig gelöst.

Problematisch ist allerdings, dass all diese Antriebe unter extremen Bedingungen funktionieren müssen. Die Bedingungen, für die ein Scramjet optimiert ist, sind so extrem, dass sogar eine Simulation auf der Erde schon teuer ist.

Das britische Unternehmen Reaction Engines arbeitet an einem Fahrzeug namens Skylon, das über einen SABRE-Antrieb verfügt (Synergetic Air-Breathing Rocket Engine = synergistischer luftatmender Raketenantrieb). Wir vermuten, dass ihnen der »ABRE«-Teil ziemlich schnell einfiel, sie dann aber ein paar Tage über das S nachgegrübelt haben. In Kurzform geht es dabei um eine Rakete, die aber Sauerstoff aus der Umgebung für die Schubreaktion nutzt. Die Triebwerke sind darauf ausgelegt, dass sie effizient von Mantelstromtriebwerk zu Ramjet zu Raketenantrieb umschalten können. Eine Scramjet-Phase gibt es vermutlich deswegen nicht, weil niemand wirklich weiß, wie man sie hinbekommt.

Es ist ein umfangreiches, kompliziertes Unterfangen, aber das Unternehmen bekommt erhebliche Finanzmittel von der Europäischen Weltraumorganisation8 und der britischen Regierung. Wenn alles nach Plan läuft, könnte das erste dieser hochmodernen Flugzeuge im nächsten Jahrzehnt zum Einsatz kommen.

Bei allen Nachteilen spricht für Raketen, dass sie einfach sind. Eine altmodische Rakete funktioniert bei niedriger Geschwindigkeit genauso gut wie bei hoher Geschwindigkeit, in einer dichten oder dünnen Atmosphäre oder bei gar keiner Atmosphäre. Warum versuchen wir es dann nicht mit etwas noch Altmodischerem?

Methode 3: Wahnsinnig riesige,
überdimensional gigantische Mega-Superkanonen

Am meisten Raketentreibstoff spart man, wenn man gar keinen verwendet. Weiter oben ging es darum, dass Raketen zusätzlichen Treibstoff laden und verbrennen müssen, um Treibstoff zu beschleunigen. Aber was wäre, wenn man statt einer relativ langsamen, kontrollierten Verbrennung auf der ganzen Strecke bis zum Weltall einen einzigen riesigen Knall hier auf der Erde hätte? Klar, man müsste insgesamt eine Menge Sprengstoff verwenden, aber diese Explosionen müssen keinen weiteren Sprengstoff in die Luft emporheben. So könnte man viel Energie sparen.

Billig wäre das allerdings auch nicht. Eine solche Kanone müsste wahrscheinlich einige Hundert Meter lang sein, ein Geschützrohr mit drei Meter Durchmesser haben und mit tonnenweise Sprengstoff bestückt werden. Aber sie hätte Vorteile: Keine Wegwerfteile, kein Brennstoffverbrauch, um Brennstoff zu transportieren, und bei jedem Schuss fliegt so ziemlich die gesamte Ladung ins All.

Das ist nicht so irre, wie es klingt, und es gab mindestens zwei großzügig staatlich finanzierte Projekte, die diese Methode erforschten. Um eines dieser Projekte geht es im Notabene zu diesem Kapitel. Aber sie hat zwei entscheidende Nachteile:

Erstens muss man für jeden Schuss eine riesige Explosion erzeugen. Wenn man die Rakete ohne große Zusatzkosten mehrfach verwenden will, dann braucht man eine Kammer, die regelmäßige Explosionen von tonnenweise Sprengstoff aushält.

Zweitens macht es keinen großen Spaß, aus einer Kanone geschossen zu werden. Eigentlich geht es gar nicht um Spaß oder Nicht-Spaß, wenn man aus einer Weltraumkanone geschossen wird. Man wäre ganz einfach Matsch.

Dabei ist noch nicht einmal die Geschwindigkeit das Tödliche, sondern die Beschleunigung – die Geschwindigkeitsänderung.

Wenn man im Fahrstuhl nach oben fährt, hat man das Gefühl, heruntergedrückt zu werden. Das liegt an der leichten Beschleunigung. In einer Achterbahn wird man bis um das Fünffache mehr beschleunigt. Mit entsprechendem Training halten Menschen die zwanzigfache Beschleunigung eines Fahrstuhls aus, ohne ohnmächtig zu werden. Wenn man das deutlich übersteigt, kann man sterben. Warum? Achten Sie mal darauf, wie das Wasser in einem Becher vor- und zurückschwappt, wenn man mit dem Auto beschleunigt. Jetzt stellen Sie sich vor, der Becher wäre Ihr Körper und das Wasser Ihr Blut. Oh, und statt von null auf hundert in zehn Sekunden beschleunigen sie von null auf 17.000.9

Bei einer explosionsbasierten Weltraumkanone reden wir von der 5000- bis 10.000-fachen Beschleunigung eines Fahrstuhls. Etwas Matschiges bringt man mit einer Kanone nicht ins Weltall, auch keine matschigen Menschen.

Das hört sich jetzt schlimmer an, als es ist. Man könnte ja immer noch »gehärtete« Fracht hinaufschicken, etwa speziell entwickelte Elektronik. Man könnte auch alle möglichen Rohmaterialien hinaufschießen – Metalle, Kunststoffe, Wasser, Dörrfleisch. Tatsächlich wird über eine Tankstelle auf einer Umlaufbahn nachgedacht, die dann über eine Kanone beliefert wird.

Für sich genommen ist eine Weltraumkanone keine besonders gute Methode, um den Weltraum zu erforschen. Aber wenn man eine Weltraumkanone mit einer Fabrik auf einer Umlaufbahn verbindet, macht das Sinn. Dann könnte man Rohmaterial zur Fabrik hochschießen und auf der Umlaufbahn riesige Raumschiffe bauen, mit denen man dann in den Weltraum aufbricht. Für lästig zerbrechliche Fracht, wie Menschen, bräuchte man allerdings immer noch eine Weichei-Transportmethode, zum Beispiel Raketen. Aber bei einer großen Weltraummission, die sich bereits im All befindet, muss man vor allem Metall, Plastik und Nachschub für die Fleischklopse im Raumfahrzeug anschleppen. All diese Dinge können »widerstandsfähig« gemacht und einfach in die Umlaufbahn geschossen werden.

Eine elektromagnetische Schienenkanone ist eine weitere Option. Man fängt im Grunde mit einer Magnetschwebebahn an. Diese »Maglev«-Züge schweben auf einem Magnetfeld. Das ist entscheidend, weil sich bei einer konventionellen Bahn die Schienen ab einer gewissen Geschwindigkeit verbiegen oder sogar schmelzen würden. Zug und Magnetschiene werden in eine etwa 160 Kilometer lange Vakuumröhre gesteckt, und dann wird die Geschwindigkeit durch starke Magnetfelder immer weiter erhöht. Im Prinzip erreicht man so ohne Knall Explosionsgeschwindigkeit. Diese Methode ist erheblich sauberer und einfacher als die Kanone. Allerdings sind die notwendigen Materialen – vor allem die ultralange luftleere Röhre und das Zugsystem – sehr viel teurer.

Aber auch bei dieser Methode gibt es ein Problem: Man kann zwar die Beschleunigung zeitlich ausdehnen, aber irgendwann muss das Projektil aus der Röhre austreten und mit Hypergeschwindigkeit aus einer luftleeren Umgebung in die Atmosphäre übergehen.

Um zu verstehen, was geschieht, wenn das Projektil die Röhre verlässt, hilft folgender Vergleich: Sich durch die Luft zu bewegen oder Luft an sich vorbeiziehen zu lassen ist praktisch das Gleiche. Beide Male prallen Luftteilchen gegen den Körper. Die stärksten Winde auf der Erde treten als Tornados auf, und die schnellsten Windgeschwindigkeiten, die je gemessen wurden, liegen bei etwa 450 Kilometern pro Stunde. Wenn man mit ausreichender Geschwindigkeit die Umlaufbahn erreichen will, muss man beim Schuss aus der Kanone 50- bis 100-mal schneller sein als der schnellste Wind.

Bei dieser Geschwindigkeit ist der Luftwiderstand so hoch, dass man im wörtlichen Sinn Feuer fängt. Man wird durch den Luftwiderstand also nicht nur ausgebremst, sondern es kommt zur Explosion. Das ist schlecht für Fracht.

Dieses Problem könnte man vermeiden, indem man den Tunnel so hoch baut, dass die Fracht die Röhre erst in der dünnen oberen Atmosphäre verlässt. Über 40 Kilometer Höhe wird die Atmosphäre rasch dünner. Leider haben Menschen noch nie etwas gebaut, das 40 Kilometer hoch ist. Das höchste von Menschen errichtete Bauwerk ist knapp über 800 Meter hoch,10 und es ist ein Wolkenkratzer, keine Startbahn. Und selbst wenn wir wüssten, wie man so etwas baut, würde das Wahnsinnssummen an Geld verschlingen.

Dennoch arbeiten Menschen nach wie vor an der Kanone in verschiedenen Varianten, darunter zwei mit besonders schönen Namen: der »Slingatron« und der »Raketenschlitten«.

Der Slingatron ist eine Schienenkanone auf einer spiralförmigen Spur. Wir sprachen mit Jason Derleth von NASA Innovative Advanced Concepts (NIAC), einer Art Zuflucht für Menschen mit richtig verrückten Weltraumideen, die vielleicht funktionieren könnten. Er erzählte uns: »Leider wird der Slingatron höchstwahrscheinlich nie funktionieren. Ich mag die Idee sehr. Ich finde sie brillant, aber letztendlich müsste man ihn auf die Spitze des Mount Everest bauen, damit er überhaupt eine Chance hat, weil er die ganze Zeit mit dem Luftwiderstand kämpft.«

Art07.tif

Der Raketenschlitten ist im Prinzip nur eine Schienenkanone, bei der statt eines Projektils ein Schlitten beschleunigt wird, auf dem eine Rakete montiert ist. Der Schlitten wird wahnsinnig schnell, sodass man die dünnen Bereiche der Atmosphäre mit hoher Geschwindigkeit erreicht. Oben angekommen, zündet man die Rakete. Mit der zusätzlichen Höhe und Geschwindigkeit spart man eine Menge Brennstoff. Und man bekommt einen Raketenschlitten.

All diese Methoden ließen sich theoretisch mit einem Ramjet-/Scramjet-System kombinieren. Das sind die, die funktionieren, wenn man schon schnell ist, und für extreme Bedingungen ausgelegt sind. Aber wie bei allen Hybridsystemen bedeutet es, dass das System noch komplizierter wird, aber vielleicht nur ein bisschen zusätzliche Effizienz bringt.

Das bringt uns zu dem anderen Konzept, von dem uns Mr. Derleth erzählte.

Methode 3,5: Wahnsinnig riesiger, überdimensional gigantischer Mega-… Hüpfstock?

»Eine der interessantesten Ideen, die ich gehört habe, wirkt erst einmal lächerlich, okay? Krass bescheuert … Jemand schlug vor, wir könnten das Shuttle auf einen Hüpfstock stecken. Ich meine ein echtes mechanisches Gerät, das man, wie eine riesige Sprungfeder, zusammendrücken kann und durch das man für die Startphase ein bisschen mehr Wumms bekommt. Das klingt völlig idiotisch, aber wahrscheinlich könnte man damit ein Prozent mehr Fracht ins All bringen. Es ist brillant, eine wirklich hübsche Idee.«

Methode 4: Laserzündung

Raketen funktionieren im Prinzip, indem sie heißes Zeug hinten rausblasen. Je heißer das Feuer, umso mehr Schub bekommt man pro Treibstoffmenge. Um alles so richtig heiß zu bekommen, könnte man einen Super-Hochenergielaser an Bord nehmen, der den Brennstoff auf extreme Temperaturen hebt. Aber der würde so viel wiegen, dass sich das nicht rechnen würde.

Daher kamen Wissenschaftler auf eine Idee, die Astronauten wahrscheinlich nicht so toll fanden: Könnte man einen Laser direkt aus dem hinteren Ende einer fliegenden Rakete hinausschießen? Wir fragten Michel van Pelt von der Europäischen Weltraumorganisation ESA danach, und er meinte: »Daran muss man sich vielleicht einfach erst gewöhnen. Ich meine, wenn Sie vor 50, 60 Jahren jemandem erzählt hätten, dass sie mit einem Haufen Raketentreibstoff unter dem Hintern, quasi einer kontrollierten Explosion, in die Umlaufbahn fliegen, hätte das wahrscheinlich auch nicht sehr ansprechend geklungen.«

Art08.tif

Auf diese Weise könnte man eine Menge Brennstoff sparen. Eine Gruppe vermutete sogar, dass man mit einem ausreichend leistungsstarken Laser für die ersten elf Kilometer durch die Atmosphäre gar keinen Brennstoff bräuchte. Man könnte einfach die Luft unter der Rakete extrem überhitzen und so Auftrieb bekommen. Ab einer gewissen Höhe müsste man dann auf Brennstoff umstellen, aber dank der zusätzlichen Laserhitze bräuchte man sehr viel weniger davon. Das Problem dabei?

Wir sprechen hier von einem riesigen, RIESIGEN Laser – mit einer Leistung von circa 50.000 Megawatt. Das entspricht ungefähr der Energiekapazität von 50 Kernkraftwerken. Aber selbst wenn das keine absolut irrsinnige Energiemenge wäre, wüsste immer noch niemand, wie man einen so leistungsstarken Laser baut. Die derzeit leistungsstärksten, nicht pulsierenden Laser stecken in Waffen des US-Militärs und haben eine Spitzenleistung von circa einem Megawatt. Außerdem halten sie den Laserstrahl auch nur für etwa eine Minute aufrecht.

Wenn man aber riesige Megalaser bauen könnte, brächten sie wohl zusätzlichen Schub für den Raketenantrieb. Eine Wissenschaftlergruppe an der Brown University berechnete kürzlich, dass ein leistungsstarker Laser die Bremswirkung durch den Luftwiderstand um bis zu 95 Prozent verringern könnte.

Das sieht dann in etwa so aus: Man lässt sich von einem Laser in die Höhe pusten, während gleichzeitig ein Laser auf die Luft direkt voraus schießt. Dadurch wird die Luftdichte verringert, sodass man auf weniger Widerstand stößt. Allerdings könnten die Astronauten ein wenig nervös werden, weil sie deutlich über Schallgeschwindigkeit, ultrastarke Laser vor und hinter sich, fliegen, aber dann beschimpft man sie einfach als Feiglinge, und das Problem ist gelöst.

Dabei könnte ein Stück dünne Luft um die Rakete herum das Manövrieren erleichtern, aus demselben Grund, aus dem man sich in einer Bar immer den Weg zum Tresen aussucht, auf dem die wenigsten Leute herumstehen.

Wenn man allerdings ein Angsthase ist, dann könnte die Tatsache, dass ein 50.000-Megawatt-Laser eine unglaubliche Waffe ist, ein Problem sein. Immerhin kann man damit aus großer Entfernung fast alles zu Asche verbrennen. Das könnte geopolitisch zu einigem Kopfzerbrechen führen. Aber hey, vielleicht macht den anderen Ländern der Erde das existenzielle Risiko, das unsere DOPPEL-LASER-RAKETE für sie darstellt, gar nichts mehr aus, wenn wir ihnen zeigen, wie cool das Ding ist. Oder zumindest halten sie dann eher den Mund.

Methode 5: Starts in großer Höhe