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Gerhard Ammerer / Ingonda Hannesschläger / Thomas Hochradner (Hg.)

Von Venedig nach Salzburg

Spurenlese eines vielschichtigen Transfers

Veröffentlichungen der
Forschungsplattform „Salzburger Musikgeschichte“
Band 3

Von Venedig nach Salzburg

Spurenlese eines vielschichtigen Transfers

Bericht einer Tagung der Forschungsplattform

„Salzburger Musikgeschichte“ im Centro Tedesco di Studi
Veneziani, 24. bis 26. Oktober 2013

herausgegeben von
Gerhard Ammerer, Ingonda Hannesschläger
und Thomas Hochradner

redigiert von
Sarah Haslinger

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Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Gerhard Ammerer

Handelsbeziehungen zwischen Venedig und Salzburg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit – und ein Plädoyer für den Blick auf den Kulturtransfer

Ingonda Hannesschläger

Salzburg und Venedig – Netzwerkstrukturen als Basis des kulturellen und künstlerischen Austauschs. Elia Castello und Vincenzo Scamozzi

Thomas Hochradner

Venedig ↔ Salzburg: eine musikalische Achse?

Daniela Baehr

Tesori dell’editoria veneziana. Venezianische Bücherschätze in Salzburg als Exempel für die Verbreitung venezianischer Druckwerke im deutschsprachigen Raum

Elisabeth Giselbrecht

‚Musica transalpina‘. Venezianische Musikdrucke im Salzburg der Frühen Neuzeit

Stefan Engels

Venezianische Drucke liturgischer Bücher des Salzburger Domes im 17. und 18. Jahrhundert

Ulrike Kammerhofer-Aggermann

Salzburger „Maschkeraläufe“ im 17. und 18. Jahrhundert. Alpine Formen des Karnevals an den Fernhandelsrouten

Carlo Bosi

Oper, Politik und Philosophie in der Serenissima des 17. Jahrhunderts und ihre internationalen Vernetzungen

Adriana De Feo

Venedig und Salzburg als Traditionsstätten der Serenata. Selbstdarstellung als Verbindung von irdischer und göttlicher Macht

Eva Neumayr

„… in das Welschland hinein geschicket, um aldorten in dem Singen zu perfectionieren …“. Salzburger Hofsängerinnen in Venedig

Walter Kurt Kreyszig

Heinrich Ignaz Franz Bibers Teilhabe am kulturellen Transfer von Venedig nach Salzburg. Die Missa Salisburgensis im Kontext der von San Marco ausgehenden Cori spezzati-Tradition im Zuge einer erweiterten antiphonalen Praxis

Renate Ebeling-Winkler / Horst Ebeling / Dominik Šedivý

Die Venezianische Symphonie von August Brunetti-Pisano

Photogalerie

Michael Malkiewicz

Geschichte(n) zum Tanz zwischen Venedig und Salzburg. Vortrag zum Konzert im Ospedale della Pietà anlässlich des Symposions

Vorwort der Herausgeber

Zahlreich sind die thematischen Verbindungslinien zwischen Venedig und Salzburg, sowohl in ökonomischer als auch in kultureller Hinsicht. Vor allem wirtschaftshistorische und musikwissenschaftliche Themen wurden zwar bereits mehrfach behandelt, doch sind sie bis dato nie gebündelt in den Blick genommen und auf ihre Wechselwirkungen hin geprüft worden. Diesem Desiderat galt eine im Oktober 2013 in Venedig ausgerichtete interdisziplinäre Arbeitstagung im Rahmen des interuniversitären Schwerpunktes „Wissenschaft & Kunst“. Das Symposion „Von Venedig nach Salzburg – kultureller und wirtschaftlicher Transfer“ wurde von der Forschungsplattform „Salzburger Musikgeschichte“ koordiniert und in Zusammenarbeit mit dem Department für Musikwissenschaft der Universität Mozarteum, den Fachbereichen Geschichte und Kunst-, Musik- und Tanzwissenschaft der Paris-Lodron-Universität sowie dem Deutschen Studienzentrum in Venedig durchgeführt, in dessen Räumlichkeiten ein Teil der Veranstaltungen stattfand. Zudem wurden mehrere Referate an historischen Stätten abgehalten, wodurch die Ausführungen eine räumliche Vorstellung erfuhren.

Studierende des Instituts für Alte Musik an der Universität Mozarteum nahmen nicht nur an Vorträgen teil, sondern gaben gemeinsam mit KollegInnen aus Venedig ein Konzert, dessen Programm einen unmittelbaren Bezug zu Venedig und zum Vortrag von Michael Malkiewicz, „Geschichte(n) zum Tanz zwischen Salzburg und Venedig“, aufwies. Dieser Brückenschlag von theoretischem Wissen zur künstlerischen Praxis war uns ein besonderes Anliegen. So waren Kontakte zwischen Salzburg und Venedig erneut hergestellt, wie sie in ähnlicher Form bereits die gesamte Frühe Neuzeit hindurch Bestand hatten. Und welches Gebäude hätte sich für ein Konzert besser geeignet als das Ospedale della Pietà, in dem Vivaldi die dort versorgten Findelkinder unterrichtet hatte und wohin mehrere Salzburger Hofsängerinnen von Fürsterzbischof Schrattenbach zur Aus- und Weiterbildung geschickt worden waren.

Der Transfer musikalischer Formen und Leistungen bildete denn auch eine der thematischen Säulen der Tagung. Er dokumentiert sich in einem ‚Beziehungsknoten‘ um die Wende ins 17. Jahrhundert, als die Kunstaffinität des Erzstiftes Salzburg unter den Fürsterzbischöfen Wolf Dietrich von Raitenau und Marcus Sitticus von Hohenems besonders stark nach Italien ausgerichtet war. In einesteils momentanen, andernteils rezeptionsgeschichtlichen Bezugnahmen setzte sich diese Tendenz in den folgenden Jahrzehnten fort. Modelle der Librettistik, Entwicklungen der Oper und Kirchenmusik, musiktheoretische Rekurse und die eigentümliche, zu künstlerischem Schaffen anregende Sphäre der Lagunenstadt sorgten für eine zwar oft kursorische, letztlich aber ungebrochene Präsenz ihrer Strahlkraft in Salzburg.

Salzburg und Venedig standen unter einer Wechselwirkung als Zielorte, Ausgangsorte, Transferorte und Umschlagplätze. Welche Wege Menschen, Waren, Informationen sowie künstlerische Programmatik nahmen und zu welchem Zweck sie diese suchten und fanden, war näher zu erkunden. Untersucht wurden daher im Rahmen der Tagung neben Prozessen der Migration auch der Austausch von materiellen Gütern, von Wissenschaft, Architektur und Musik, die Vermittlung von künstlerischen und allgemein kulturellen Konzepten und Zeichensystemen und vieles andere mehr.

Die Salzburger Fürsterzbischöfe zogen als Träger wissenschaftlicher und kultureller Aktivitäten ausländische Künstler, vielfach aus Venedig oder dem Trentino, in ihren Dienst: Gelehrte, Baumeister, Maler, Stukkateure, Schauspieler, Sänger, Musiker und Tänzer. Diese bauten wiederum die Kontakte (nicht nur) zu ihrer Heimat aus, über welche der Informationsaustausch bestens funktionierte. Netzwerke auf der Basis von Familien- und Gruppensolidarität lassen sich vor allem im künstlerisch-bautechnischen Bereich fassen. Die Beziehungstypen waren Verwandtschaft, Freundschaft, Nachbarschaft, Patronage und Werkstattpraxis.

Den außergewöhnlichen Stellenwert der Beziehungen zwischen Venedig und Salzburg zeigen Huldigungen und Widmungen von Druckwerken auf, die der Anbahnung, um nicht zu sagen der (Be-)Werbung dienten. Davon ausgehend ist nach den Marktfaktoren zu fragen, das heißt nach den Parametern von Angebot und Nachfrage. Das Erzstift hatte abgesehen von interessanten Waren wie dem Salz vor allem seine Stellung als anerkannter und mächtiger Fürstenhof nördlich der Alpen zu bieten, Venedig hingegen besaß namhafte und versierte Künstler, einen weitreichenden Ruf für den Buchdruck und exotische Handelswaren. Über die private Weitergabe von Informationen und den Buchdruck konnte innovatives Gedankengut transferiert werden, so zur Architekturtheorie, Aufführungspraxis von Musik, zur Liturgie, aber auch zu vergnüglichen Veranstaltungen wie Maskeraden. Die Ergebnisse dieses Transfers lassen sich in den vielseitigen Impulsen ablesen, die für die künstlerische Entwicklung nördlich der Alpen weitreichenden Einfluss hatten.

Eine wesentliche Basis für die intensiven Beziehungen zwischen Venedig und Salzburg bildete der seit dem Mittelalter gepflogene bedeutende Handel, der eine breite Palette von unterschiedlichen Transferleistungen mit sich brachte, die weit über den Warenaustausch hinausreichten. Bekanntschaften von Bildungsreisenden und Diplomaten verdichteten das Informationsnetzwerk. Neben dem Wissenstransfer stand der direkte Austausch über persönliche Vernetzungen, die in ihrer Intensität schon Formen der Migration darstellen. In der hohen Präsenz von Italienern im Norden wie auch von Reisenden und Zugewanderten aus Ländern des Heiligen Römischen Reiches im Süden liegt auch eine starke Rezeption von Bräuchen als Teil des kulturellen Lebens begründet.

Grundlegend für die Formen des kulturellen Austauschs waren Selbstdarstellung und höfische Repräsentation zum Zweck der Machtdemonstration. Dies zeigt sich in Architektur und Musik in gleicher Weise. Neben Kultur und Handel sind jedoch kirchenpolitische Aspekte nicht minder wichtig. Kunst, Politik und Theologie waren eng miteinander verwoben und aus dem Kulturtransfer ergaben sich wiederum Impulse zur Umsetzung wirtschaftlicher Interessen.

Über einen Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert bieten Einzeluntersuchungen im vorliegenden Band ein Kaleidoskop von Indikatoren, weshalb Venedig als Vorbild für Architektur, Musik und Feste sowie als Ausgangspunkt für vielfältige Luxusgüter für das Salzburger Hofleben über lange Zeit eine so essentielle Bedeutung besaß.

Die Kooperationspartnerschaft mit dem Schwerpunkt „Wissenschaft & Kunst“ bietet ebenso wie die kollegiale Zusammenarbeit mit dem HOLLITZER Verlag eine bewährte Grundlage für das Zustandekommen der Publikationen der Forschungsplattform „Salzburger Musikgeschichte“. Mit Blick auf den vorliegenden Band gilt unser herzlicher Dank dem Centro Tedesco di Studi Veneziani, insbesondere seiner damaligen Leiterin Dr. Sabine Meine und Petra Schäfer M.A. im Sekretariat, für eine wunderbare Kooperation und unserer Kollegin Dr. Andrea Gottdang für das Knüpfen der entsprechenden Kontakte. Mag. Sarah Haslinger hat in gewohnt umsichtiger Weise für die redaktionelle Einrichtung der Texte gesorgt. Darüber hinaus danken wir der Universität Mozarteum Salzburg, an deren Department für Musikwissenschaft die Plattform Salzburger Musikgeschichte nunmehr verankert ist, ferner dem Rektor und der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg, sowie Land und Stadt Salzburg für die großzügige finanzielle Unterstützung zur Drucklegung dieses Buches.

Gerhard Ammerer

Ingonda Hannesschläger

Thomas Hochradner

Gerhard Ammerer

Handelsbeziehungen zwischen Venedig und Salzburg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit – und ein Plädoyer für den Blick auf den Kulturtransfer

Zwar haben sich in der Vergangenheit Historiker bereits mehrfach mit dem Salzburger Levantehandel beschäftigt, doch fehlen bisher genaue Analysen zu ökonomischen Aspekten des Kulturtransfers zwischen der Hafenstadt Venedig und der Residenz- und Handelsstadt Salzburg. Ziel der im Oktober 2013 stattgefundenen Tagung war es, diesbezügliche Defizite sichtbar zu machen, einige neue Forschungsergebnisse zu präsentieren und zu weiteren Studien anzuregen. Denn die Anwendung des Kulturtransferkonzeptes könnte zukünftig auch die Perspektiven in der Landeshistoriographie wesentlich erweitern und Salzburg vor allem bei einer intensiveren Aufarbeitung der dynastisch-familiären Handelsverbindungen stärker als bisher in den Fokus der vergleichenden europäischen Forschung rücken.

Das Konzept des (Kultur-)Transfers wurde zu Beginn der 1980er Jahre entwickelt und beruht in konzeptioneller und methodischer Hinsicht auf Interdisziplinarität1, wobei alle Humanwissenschaften daran Anteil haben sollten, insbesondere die Sprach- und Literaturwissenschaft, die Kunst- und Musikgeschichte sowie diverse Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft wie Wissenschafts-, Sozial-, Mentalitäts-, Institutionen-, Minderheiten- oder Migrationsgeschichte. Die Übernahme fremder Kulturelemente basiert in der Hauptsache auf der Grundlage von regelmäßiger Kommunikation zwischen Individuen und Gesellschaften, wobei der Kulturbegriff sehr weit gefasst ist und von Wissensbeständen über Praktiken bis hin zu materiellen Gütern reichen kann.2 Als beispielhaftes punktuelles Ereignis sei auf die Einführung des ‚Appalto-Systems‘ verwiesen, das 1627 in Mantua und 1659 in Venedig entwickelt und bald danach vom Habsburgerreich wie auch dem Erzstift Salzburg übernommen wurde. Dabei ersetzte eine gezielte Fiskalpolitik mit der Verpachtung der Einhebung von Abgaben die zuvor bestandenen Verbote des Tabakkonsums.3

Zu Recht wurde jedoch auf das Problem aufmerksam gemacht, dass keine zwei regionalen Einheiten existieren würden, die völlig isoliert über den Untersuchungszeitraum hinweg stabil blieben und weder auf gemeinsame Wurzeln zurückgingen, noch sich in irgendeiner Art und Weise gegenseitig beeinflussten. Die Untersuchungseinheiten seien vielmehr, so der Haupteinwand, in der Regel immer Teil eines engen Beziehungsgeflechtes. Dies auszublenden führe nicht nur zu Verzerrungen, sondern auch zur Illusion von kulturell unabhängigen Nationalstaaten oder Regionen.4 Daher wurden als Ergänzung zur Analyse des Kulturtransfers die Komparatistik sowie der – umstrittene, weil forschungstechnisch wenig praktikable – wissenschaftliche Ansatz der Verflechtung von Kulturräumen vorgeschlagen, die wesentlich erweiterte Perspektiven auf individuelle und soziale Kommunikationsnetzwerke zu eröffnen vermögen.5 Netzwerke können als „Ergebnis und Basis sozialer Interaktion“6 definiert werden, wobei ein wesentlicher Bestandteil von Interaktion die Gruppensolidarität ist, die in verschiedenen Beziehungstypen auftreten kann. Dazu zählen Freundschaft, Nachbarschaft, Patronage und Verwandtschaft.

Gerade die Fernhändler und ihre ökonomischen Aktivitäten weisen spezifische Merkmale auf und können gut beobachtet und verglichen werden. Die Vertreter der Komparatistik haben darauf hingewiesen, dass jeder Vergleich der Abstraktion bedarf, weshalb sich komplexe Totalitäten nicht vergleichen ließen, sondern nur bestimmte Teilaspekte7, was in unserem Fall gegeben ist, da vor allem Waren- und Wissensaustausch zur Disposition stehen.

(Fern-)Händler fungierten in vielfältiger Weise als Vermittler von Kunst- und Kulturgütern über weite Räume. Anhand eines singulären familiären Netzwerkes sei zunächst auf mögliche Ausgangspunkte für solche Veränderungsprozesse hingewiesen, die – als gewichtiger Teil eines gerade begonnenen Forschungsprojektes8 – auf breiter Basis noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sein sollten.

Als Franz Anton Spangler, der Sohn des Wirtshausbesitzers und Weinhändlers Georg Spangler aus Taufers im Ahrntal, einem Seitental des Tiroler Pustertales, 1729 im Alter von knapp 24 Jahren nach Salzburg kam und hier im Handelshaus der laimprucherschen Erben eine Anstellung erhielt, war das der Beginn einer persönlichen Erfolgsgeschichte, die bis heute bleibende – und keine geringen – Spuren hinterlassen hat. Franz Anton Spangler konnte sich in Salzburg rasch etablieren, bereits 1731 wurde ihm die Direktion der Handelsfirma der laimprucherschen Erben übertragen und im Juli desselben Jahres das Bürgerrecht der Stadt verliehen.9

Nach dem Tod seiner Frau Katharina 1743 erbte er das Haus Alter Markt 2. Um 11.000 Gulden kaufte er die darin untergebrachte „Prötzsche Seiden-, Tuch- und Wollhandlung“, die er nach seiner Übernahme in „Franz Spänglersche Tuch- und Seidenhandlung“ umbenannte.10 Im Jahr darauf ehelichte er die Witwe Anna Elisabeth Lang(in) und gelangte nach deren Tod zudem in den Besitz der ‚Langschen Bettenhandlung‘. Inzwischen zu Wohlstand und Ansehen in der Stadt Salzburg gelangt, vermählte er sich 1754 mit Maria Theresia Trambauer, einer Kaufmannstochter aus Wien, zu welcher Hochzeit Leopold Mozart die „12 menuetti fatti per le nozze del Signore Francesco Antonio Spängler“11 komponierte.

Das „Hauptbuch des Handlungshauses Joseph Spängler zu Salzburg“12 aus den Jahren 1767 bis 1777 zeigt den Umfang der Handelstätigkeit der Firma an. (Abb. 1) Als Geschäftspartner sind rund 800 Namen eingetragen, darunter viele Produzenten diverser Waren, deren Niederlagen weit verstreut lagen, von Amiens und Basel über Italien, Görz, Brünn bis zu diversen deutschen Städten wie Regensburg, Augsburg und Hamburg. Aber auch in Leeds und Manchester finden sich Geschäftspartner.13

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Abb. 1: Eintrag im Hauptbuch des Handlungshauses Josef Spängler in Salzburg 1767–1777; Archiv der Stadt Salzburg, Privatarchivalien 1180, S. 589

Sowohl Franz Anton Spanglers Vater Georg als auch sein Onkel Johann, der Inhaber eines Wirtshauses in Sterzing, waren bereits lange vorher am Weinhandel zwischen Südtirol und Salzburg beteiligt gewesen und hatten im Jahr 1677 von Pfalzgraf Johann Georg von Werndle im Namen Kaiser Leopolds I. einen Wappenbrief erhalten. Das Wappen, das zwei aufrecht stehende Löwen zeigt, die in ihren Pranken eine große Weintraube halten, wurde fortan von fast allen männlichen Nachkommen der Tiroler, der Salzburger sowie der Venediger Linie geführt. Noch heute ziert es den Hauptsitz des Bankhauses im sogenannten Bazargebäude, Schwarzstraße 1. (Abb. 2) Das 1828 aus dem Handelsunternehmen hervorgegangene Speditions-, Kommissions- und Wechselgeschäft Bankhaus Carl Spängler & Co. AG. bezeichnet sich stolz als älteste Privatbank Österreichs.

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Abb. 2: Familienwappen der Spangler/Spängler über dem Haupteingang des Bankhauses Carl Spängler & Co. Aktiengesellschaft, Salzburg, Schwarzstraße 1 (Foto: der Verfasser)

Für die Geschichte der Familie – und für die Kulturtransferleistungen – war neben Georg Spangler und dem Wirt Johann Spangler noch ein dritter Bruder von entscheidender Bedeutung: Mat(t)hias. Dieser ging – wann genau ist nicht nachzuverfolgen – nach Venedig, absolvierte dort seine Ausbildung und begründete einen weiteren (Wirtschafts-)Zweig der Familie: die bis 1797 existierende Handelsfirma Mattio Spangler.14 Ähnlich wie Franz Anton Spangler in Salzburg machte er eine Generation zuvor in Venedig eine außergewöhnliche Karriere und wurde neben seinem Handelsgeschäft auch zum Leiter des Fondaco dei Tedeschi bestellt – eine äußerst wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe.15 In seinem Handelsunternehmen arbeitete er eng mit Geschäftspartnern in Bozen, Augsburg, Garmisch-Partenkirchen, Verona und Mailand zusammen. Auch mit seinem Neffen Franz Anton Spangler stand er in persönlicher und geschäftlicher Verbindung, die sich ab dem Zeitpunkt noch intensivierte, als dieser ins Tuchgeschäft eingestiegen war und von ihm kostbare Seiden- und andere qualitativ hochwertige Stoffe bezog. Das Naheverhältnis zwischen der Salzburger und der Venediger Linie zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Matthias Spangler der Taufpate von zwölf der dreizehn Kinder seines Salzburger Neffen war und ihm zudem bei seinem Tod 1769 4000 Dukaten vermachte. Den Hauptanteil seines Vermögens hinterließ der kinderlos gebliebene Handelsmann jedoch einem anderen Neffen: Johann/Giovanni Spängler, der die Firma in Venedig erfolgreich weiterführte und 1783 wiederum einen seiner Neffen, Anton Paul Spangler aus Bruneck, als Universalerben einsetzte. Dieser hatte 1768 bei seinem Onkel Franz Anton Spangler in Salzburg eine kaufmännische Lehre absolviert, bevor er in der Firma von Mattio Spangler in Venedig arbeitete.16 Aus- und Weiterbildung sowohl in Salzburger als auch in Venediger Handelshäusern gehörten nicht nur innerhalb dieser Familie offenbar zur kaufmännischen Standardsozialisation.

Allein dieser kurze genealogische Ausflug – die Spanglers/Spänglers waren nur eine von mehreren Salzburger Handelsfamilien, die sich, aus dem Trentino kommend, im 18. Jahrhundert in Salzburg ansiedelten und im Handel bleibend etablieren konnten – zeigt auf, welche engen Beziehungen und bedeutenden geschäftlichen und familialen Verbindungen zwischen Salzburg und Venedig, aber auch ins Gebiet des heutigen Südtirol bestanden. Arbeitsmigration und Neuansiedlung einzelner Familienmitglieder führten dabei zur Etablierung von gut funktionierenden überregionalen Netzwerken mit wirtschaftlichen Vorteilen für die Ausgangs- und Zielregionen17, welche näher zu untersuchen durchaus lohnend wäre.18

Venedig

Die Adriametropole war und blieb über Jahrhunderte der wichtigste Handelspartner Salzburgs. Im Mittelalter bildete sich eine staatliche Struktur heraus, die von einer Oligarchie kontrolliert wurde und durch eine Überlappung von merkantiler Klasse und Regierung bestimmt war.19 Der gesamte Handel war den Patriziern und den Bürgern Venedigs vorbehalten und Ein- und Ausfuhrzölle speisten das gesamte Steuersystem der Republik. Diese Ausrichtung prägte auch die politische Entwicklung der Stadt maßgeblich. Insbesondere Venedigs Fremdenpolitik und seine politische Unabhängigkeit ließen die Hafenstadt mit ihrer prädestinierten Lage, den Absatzmarkt Zentraleuropa zu bedienen, ab dem 12. Jahrhundert zum ‚Eckpfeiler‘ des Wirtschaftsraumes der Levante werden.20 Entlang der Adria sowie des Ostufers des Mittelmeeres entwickelte sich ein Netz von Handelspartnern. Ständige Niederlassungen der Kaufleute vom Rialto entstanden durch die Aufteilungsverträge der siegreichen Kreuzfahrer schon früh in Konstantinopel, den Ionischen Inseln, in Ätolien, einem Teil des Peleponnes, in Epirus und auf den Inseln Ägina und Salamis.21 Zahlreiche weitere Stützpunkte in der Ägäis folgten. Das weit verzweigte Stützpunktsystem in Griechenland nannten die Venezianer selbst stolz ihren ‚stato da mar‘, ihren Meeresstaat.22

Bald etablierte sich Venedig als Einfallstor und Hauptumschlagplatz für den Handel mit Orientwaren in Europa23, expandierte weiter, baute eine gigantische Flotte auf und führte zu Anfang des 14. Jahrhunderts das System der staatlichen Galeeren-Geleitzüge ein. Diese vom Staat bewaffneten und ausgerüsteten regelmäßigen Schiffskonvois wurden ‚mude‘ genannt.24 Gegen Ende des 14. Jahrhunderts spezialisierten sich die venezianischen Kaufleute immer mehr auf den gewinnträchtigen Handel mit Gewürzen, besonders dem Pfeffer, zunehmend wichtiger wurde jedoch auch der Handel mit Baumwolle aus Ägypten und Syrien.

Das 15. Jahrhundert wird in der Literatur übereinstimmend als das Goldene Zeitalter Venedigs bezeichnet. Als bevorzugter Warenumschlagplatz zwischen dem Orient und Europa war es tatsächlich zur ‚Hauptstadt‘ des europäischen Handels geworden und zu großem Wohlstand gekommen. Der Umsatz an Gütern, die über Venedig, nunmehr eine der reichsten Städte des Abendlandes, verhandelt wurden, betrug 1473 rund eine Million Dukaten.25 Venedig war eine Stadt mit einem hohen Fremdenanteil, darunter allen voran Griechen, gefolgt von Deutschen. Zur Verwaltung und Kontrolle des Handels war bereits um 1225 ein deutsches Kaufhaus errichtet worden, das zwar 1318 niederbrannte, jedoch wieder aufgebaut und in der Folge mehrfach erweitert wurde. Dennoch war der Platz nie ausreichend und man musste Dependancen errichten.26 Bereits von 1268 an wurden die Händler von den venezianischen Behörden gezwungen, ihr Quartier dort zu nehmen und Lager- und Handelstätigkeiten nur dort auszuüben.27 Die Verwaltung des Hauses unterstand einem Vertreter der venezianischen Regierung, dem ‚vis dominus‘, der alle Geschäfte abwickelte, die Gebühren einhob und bei Verstößen auch die Strafgewalt ausübte.28 Den Kaufleuten wurde ein Makler der Republik, ein Sensal zur Seite gestellt, der als Mittelsmann für Käufe und Verkäufe fungierte.29

Bereits ab dem 14. Jahrhundert sind Salzburger in Venedig bezeugt, so 1328 ein Conradus (Teislinger?), 1340 ein Petrus (Keuzl?), 1341 ein Henricus (Dankl?), 1409 Ulrich Samer, 1419 Johannes Oeder und 1429 Ulrich Elsenhymer.30 Nach einem abermaligen Brand des Fondaco im Jahr 1505 wurde er 1508 wiedererrichtet.31 Im Jahr der Neueröffnung scheinen die Salzburger Händler Stefan Kaserer, Sebastian Tunkl, Johann Matschberger, Ruprecht Lasser, Sebastian Wagner, Georg Prantstätter und Wolfhard Fuller als Pächter von Räumlichkeiten auf.32 Auf die wichtige Funktion des Fondaco als ‚Künstlerbörse‘ sei nur am Rande hingewiesen.

Die Gemeinde Venedig schrieb den Salzburger Händlern vor, im Fondaco dei Tedeschi abzusteigen, wo sie speisen, nächtigen, ihre Waren deponieren und unter der Aufsicht des Maklers oder Sensals handeln konnten beziehungsweise mussten33, denn eine individuell-persönliche Kaufabwicklung war ihnen verboten. Sämtliche Waren aus dem Norden durften nur an venezianische Händler verkauft und die daraus erzielten Erlöse mussten, eben unter Beiziehung des amtlichen Maklers, der damit den gesamten Warenverkehr kontrollierte, sogleich wieder vor Ort in Waren investiert werden, für die Ausfuhrzoll zu entrichten war.34 Für die Lagerräume fielen hohe Pachtgebühren an. Die Quellen weisen darauf hin, dass Salzburger Handelsfamilien über Generationen hindurch dieselben Kammern in Bestand hatten.35 Für das Jahr 1532 nennt ein Zeitgenosse die Summe von 120 Dukaten, die der deutsche Fondaco täglich an Pacht einnahm.36 (Abb. 3) Inklusive der Einkünfte aus Steuern und Zöllen war dieses Haus für die Staatskasse Venedigs von größter Bedeutung, was sich auch in einer immer weiter verbesserten Verwaltung niederschlug.37 Die unbeschlagenen Güter, also die weniger wertvollen Waren, die nicht in Baumwolle eingeschlagen und besonders geschützt wurden, wie zum Beispiel Seide oder asiatische Gewürze, wurden bereits hier mit einem Ringlein versehen, also versiegelt, sodass die Saumladungen an den Mautstationen nicht mehr geöffnet werden mussten.38

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Abb. 3: „Mercante“, Holzschnitt von Cristoforo Chrieger nach Cesare Vecellio aus dem Werk De gli habiti antichi et moderni di diverse parti del mondo, Venedig um 1590

Die Entwicklung der Steuereinnahmen aus dem Fondaco zeigt, dass bis in die 1590er Jahre der Handel mit den deutschen Städten expandierte39, doch war das ‚traditionelle‘ venezianische System im Verlauf des 16. Jahrhunderts zu Ende gegangen – und mit ihm auch das goldene Zeitalter des Levantehandels. Die im ausgehenden 15. Jahrhundert einsetzenden Entwicklungen im Mittelmeerreich, insbesondere der Aufstieg der osmanischen Seemacht, die Anfänge der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen von England und Frankreich mit dem Osmanischen Reich und die generelle Neuordnung des Welthandels, wirkten sich für Venedig äußerst nachteilig aus und führten unter anderem zum Verlust beinahe aller Besitzungen in Griechenland. Zudem begann der Handel mit Gewürzen bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts abzunehmen. Venedig verzeichnete einen zunehmenden Frequenzverlust und Antwerpen übernahm schließlich dessen Stelle als wichtigstes Zentrum des besonders gewinnträchtigen Gewürzhandels.40 Neuere Forschungen haben allerdings gezeigt, dass die Entdeckung Amerikas und die Verlagerung der Handelswege vom Mittelmeer hin zum Atlantik keineswegs zu einem raschen Abgleiten des Venediger Handels in die Bedeutungslosigkeit führten. Vielmehr hielt der wirtschaftliche Aufstieg Venedigs noch bis ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts an, ehe er stagnierte.41 Erst in den 1730er Jahren, als die Engländer und Holländer die Venezianer auch mehr und mehr aus den Landverbindungen nach Asien verdrängten, ging der Handel mit Gütern des Orients rapide zurück.42

Bis ins 16. Jahrhundert hatte sich der Rialtobezirk mit seinen Handelsniederlassungen, Magazinen, Geschäften und Banken zum Zentrum des Handels und der hochentwickelten Geldwirtschaft entwickelt – ohne Wechselbrief wären die getätigten Geschäfte unmöglich gewesen – und damit zu einem der großen Wirtschaftszentren der Alten Welt. Hier befand sich das Amtsgebäude der ‚Camerlenghi di Comun‘, wo die gesamten Staatseinkünfte abgerechnet und verwahrt wurden43, und hier wurden auch neue Verrechnungstechniken entwickelt und perfektioniert. (Abb. 4)

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Abb. 4: Domenico Lovisa, Il gran teatro di Venezia ovvero descrizzione esatta delle piu’ insigni prospettive, e di altretanto celebri pitture della medesima città, Venedig 1717, fig. 39: Altra Veduta dell’Isola di Rialto; Biblioteca Casanatense 20. B. I. 45

Viele Söhne von Salzburger Handelsleuten absolvierten häufig nach der Lehre daheim ihre weitere Ausbildung in auswärtigen Häusern der Serenissima, wo sie noch bis ins 17. und 18. Jahrhundert unter anderem die Sprache sowie die fortschrittliche Buchführung und Geschäftspraxis erlernten.44 So war Johannes Hagenauer, der älteste Sohn von Johann Lorenz Hagenauer, 1768 als 27-Jähriger eine Zeit lang bei Giovanni Wider (1707–1797) in Venedig, der seinerseits mehrere Jahre in Salzburg verbracht hatte.45 Bereits 1765 hatten sich der jüngere Hagenauersohn Joseph (23 Jahre) sowie Franz Gschwendtner (25 Jahre) in Italien aufgehalten. Dass auch Joseph Hagenauer in Venedig gewesen sein muss, geht aus einem Brief von Leopold Mozart im Oktober nämlichen Jahres hervor, in welchem er sich bei beiden Söhnen seines Quartiergebers um ein passendes Privatquartier in der Adria-Metropole erkundigt.46

Viele Söhne von Salzburger Händlern erhielten in Venedig einen Teil ihrer Ausbildung, brachten die dort erworbenen Kenntnisse, insbesondere der Bankgeschäfte, in ihre Heimat und konnten sie in den Firmen nutzbar machen – Kulturtransfer par excellence.

Der Reiseschriftsteller Johann Georg Kreysler besichtigte zur Mitte des 18. Jahrhunderts auch die Niederlassung seiner Landsleute in Venedig:

Il Fontico dei Tedeschi oder das Deutsche Haus ist gleichfalls in dieser Nachbarschaft, und die Niederlage oder das Magazin aller Kaufmannswaren, so aus Deutschland kommen oder dahin abgehen. Die Gesellschaft der deutschen Kaufleute, so daran Theil nehmen, besteht itzt aus acht und zwanzig Handlungen oder Häusern; und obgleich das Gebäude dem Staate zusteht, so können jedoch sie und ihre Factore, wenn beyde unverheirathet sind, drinnen wohnen. Man zählet bey fünfhundert Kammern darinnen.47

Die Zolleinnahmen Venedigs betrugen auch in den 1770er Jahren jährlich noch immer rund 20.000 Dukaten.48 Der Fondaco dei Tedeschi war damit nach wie vor ein höchst gewinnbringendes Unternehmen des Fiskus – nicht ohne Grund bezeichnete die Regierung das Haus als „optimo membro de questa zita (= città)“49, also als bestes Glied der Stadt.

Obwohl den Literaten der wirtschaftliche Niedergang Venedigs in den letzten beiden Jahrhunderten seines Bestehens als selbständiger Staat50 durchaus bewusst war, wiesen sie noch zu Ende des 18. Jahrhunderts auf die nach wie vor bestehende Bedeutung des Warentransfers hin: „Daß diese Stadt einen immer noch ansehnlichen Handel habe“, so ein anonymer Reiseschriftsteller 1793, „schloß ich daraus, daß ich diesen Morgen über sechzig Schiffe nur mit blossen Auge zählen konnte, die auf der See waren, und theils von, theils nach Venedig segelten“.51 Doch handelte es sich bei den unter venezianischer Flagge fahrenden Schiffen um ein Phänomen, das die Zeitgenossen als ‚caravane maritime‘ bezeichneten: die Abwicklung des Mittelmeerhandels des Osmanischen Reiches auf europäischen Schiffen.52

Dass Goethe von seinem Aufenthalt in Venedig 1786 in seiner ‚Italienischen Reise‘ zwar amüsiert den Fischmarkt beschreibt, den Fondaco jedoch mit keinem Wort erwähnt53, erstaunt dennoch.

Längst hatte Venedig aber ein zweites Standbein aufgebaut: Parallel zum Handel erlebte die gewerbliche Produktion in der Adriametropole ab dem 16. Jahrhundert einen Aufstieg. Unter den Manufakturen besonders bedeutend waren die Wollfabrikation, die Seidenherstellung und die Produktion von Seife. Die Herstellung von Luxuswaren, Spitzen, Möbeln, Leder, Juwelen und anderem mehr gipfelte in der Glasindustrie, die bald Weltgeltung erlangte.54 Die Glaswerkstätten von Murano standen auf dem Programm fast aller Reisenden55 und früh schon, bereits um 1600, fand sich Muranoglas unter den Prunkstücken der Silberkammer des Salzburger Hofes56 und auch in der gehobenen Gastronomie.57 Einen enormen quantitativen Aufschwung nahm das Verlagswesen, das den gesamten europäischen Buchmarkt belieferte und neben der Publikation von griechischen, hebräischen und slawischen Texten auch erfolgreich das Segment des Drucks von Musikwerken bediente.58

Erst das Aufkommen weiterer italienischer Häfen wie Livorno und Ancona, die zunehmende Konkurrenz anderer Staaten sowie die Unsicherheit auf See durch vermehrte Überfälle von Piraten ließen die Investitionsbereitschaft der Wirtschaftseliten und somit die Warenproduktion schwinden und gefährdeten auf diese Weise die Vormachtstellung Venedigs in der Handelsschifffahrt.59

Waren und Wege über die Tauern

Ein früher nennenswerter Handel zwischen Venedig und Salzburg führte ab dem 12. Jahrhundert über das ganzjährig begehbare Hochtor (2575m), die so genannte ‚obere Straße‘.60 Die Auftraggeber der Säumer und Fuhrleute waren zumeist Händler, die neben ihrem Eigenhandel auch Kommissionsgeschäfte und Warentransporte für Dritte durchführten. Diese Unternehmer wurden zunächst als ‚Wirte‘, später als ‚Faktoren‘ bezeichnet.61

Ausgangspunkt des Saumhandels, wohin die Waren von Venedig aus auf Schiffen über die Flusshäfen von Latisana beziehungsweise Portogruaro oder auf dem Landweg mittels schwerer Fuhrwerke gebracht wurden, war Gemona im Friaul. Die Route führte weiter über den Plöckenpass, den Gailbergsattel und den Iselberg auf den Tauern, wo sie sich teilte und entweder im Westen durch das Fuscher Törl und über das Saalachtal Salzburg erreichte oder östlich davon durch das Seidlwinkel- und das Raurisertal ins Salzachtal führte.62 Während des Hochmittelalters bestand eine Präferenz dieser Alpentransversale gegenüber den Routen über die Niederen Tauern. Kam zunächst der westlichen Route mehr Bedeutung zu, so erfolgte eine verstärkte Hinwendung zu den östlich gelegenen Routen ab dem 14. Jahrhundert mit dem Aufkommen des Gold- und Silberbergbaus in Gastein und Rauris. Der Grund dafür lag darin, dass einerseits der Großteil des gewonnenen Edelmetalls bis zur Errichtung der Salzburger Münze 1501 direkt von diesen Bergbauzentren – insbesondere über die vom Fernhandel kaum begangenen Gasteiner Tauern (Korntauern, Naßfelder Tauern) – nach Venedig geliefert wurde und andererseits die Weinsäumer mit der Gegenfracht dafür sorgten, dass „sich an den Wochenenden Hunderte von Bergleuten ihren Rausch mit Welschwein“63 antrinken konnten.

Auch die in Richtung Norden verbesserten Verkehrswege führten dazu, dass diese Route bis um 1500 ihre Vorrangstellung behauptete, bevor kurz danach, ab 1520, der Ausbau des Radstädter Tauern für Fuhrwerke – wohl als Antwort auf die Verbesserungen auf der Brennerstrecke im Westen gedacht – die Güter des Fernhandels auf diese Straße umleitete und auch die Salzsäumerei über das Hochtor stark verminderte, sodass dieser Alpenübergang seine Bedeutung fast zur Gänze einbüßte.

Bis zum Verlust der Eigenstaatlichkeit blieb die Radstädter Tauernstraße, die ‚untere Straße‘ – in Oberdeutschland auch ‚Salzburger Straße‘ genannt64 –, sodann die wichtigste Salzburger Alpentransversale. Einer der wesentlichen Vorteile der neuen Tauernroute gegenüber der Brennerstraße bestand – neben den geringeren Abgabenbelastungen – darin, dass es auf einer Strecke von 356 km lediglich acht Zollstationen gab.65 Als schmalste Stelle der Ostalpen hatte sie auch einen entscheidenden topographischen Vorteil gegenüber den Tiroler Pässen und war die einzige Salzburger Verbindung, die 2000m Seehöhe nicht erreichte, allerdings mit dem Katschberg einen zweiten Anstieg aufwies.66 Auch diese Route hatte ihren Ausgangspunkt in Gemona, führte dann durch das Kanaltal nach Villach, weiter durch das Liesertal und den Lungau nach Radstadt sowie durch die Täler des Fritzbaches und der Salzach nach Salzburg.67

Zwar belegen die Zolleinnahmen eine Zunahme der Ferntransporte von den hohen Tauernpässen zur neuen Route über die Radstädter Tauern und den Katschberg, doch schränkte die Steilheit des Anstiegs zu den beiden Pässen die Kapazität der kleinen Wagen mit Gabeldreieck, der so genannten Anzwagen, stark ein – vier vorgespannte Pferde konnten höchstens 15 Zentner ziehen –, sodass daneben der Transport mit Saumtieren, die rund 2,5 Zentner übers Gebirge tragen konnten, weiterhin konkurrenzfähig blieb.68 Im Verhältnis zu den Anzwagen erbrachten sie größere Tagesleistungen und brachten die Waren ohne Umladen bis zur Stadt Salzburg und darüber hinaus Richtung Norden. Die Pferde transportierten beiderseitig Holzfässer zu je 62,5l (nasser Saum = Wein, Branntwein, Honig, Öl), zusammengeschnürte Ballen (‚Säume in Stricken‘) – zerbrechliche Waren waren in Baumwolle verpackt – oder Kisten über das Tauernmassiv. Noch für die 1760er Jahre sind Tauernüberquerungen mit Zügen von 20 bis 50 Pferden bezeugt.

Der Warenverkehr über die Salzburger Pässe nahm ab dem 15. Jahrhundert stetig zu. Zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurden jährlich um die 5500 Tonnen Waren über die Tauern gebracht, zur Hälfte Waren des Fernhandels zwischen Deutschland und Italien.69 Mit einem Anteil von rund 40 Prozent führten die Salzburger Fernhändler in dieser Zeit vor den Nürnbergern und Augsburgern.70

Ein Jahrhundert später, 1655, war der Transit auf der Tauernstraße stark gesunken71 und erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts stieg das Frachtaufkommen auf der Tauernstraße wieder merklich an. Straßenverbesserungen im 18. Jahrhundert führten noch einmal zu einer zumindest bescheidenen Renaissance des Handelsverkehrs.72 Dennoch erreichte der Fernhandel nie mehr auch nur annähernd die Bedeutung des späten Mittelalters. Dafür verantwortlich waren neben der zunehmenden Verlagerung der Warenströme von der Levante zu den Atlantikhäfen auch die habsburgischen Prohibitivzölle.73

Die Basis des Handels nach Venedig bildeten zur Mitte des 16. Jahrhunderts rund 750 Tonnen Halleiner Salz, zudem exportierte man Produkte der heimischen Viehzucht, aber auch aus Russland und Polen eingeführte Pelze sowie Tücher und Produkte aus oberdeutschen Städten in Richtung Süden. Neben Eisen ist als Handelsgut auch Arsenik aus den Lungauer und Oberkärntner Revieren erwähnenswert, von dem im Jahr 1565 rund 5500kg durch Gmünd transportiert wurden.74 Dieser Rohstoff war vor allem für die Glasindustrie Venedigs, das Goldschmiedegewerbe und die Erzeugung von Kosmetika und Medizin von großer Bedeutung. Zudem fand Arsenik auch als Aphrodisiakum Verwendung.75 An billigen Produkten wurden von den Salzburger Kaufleuten Wachs, graues Lodentuch, Leinen, Garn, Tuche, Leder, Hornwaren und gelegentlich auch Getreide exportiert.

Vom Süden her über die Tauern kamen Seide, Drogen, Rosinen, Pharmaka, Farbwaren, Weine aus dem Friaul und aus Griechenland, Baumwolle aus Ägypten, Öl aus Apulien und Safran aus den Abruzzen. Direkt aus Venedig und dessen Umgebung stammten Glas, Bücher, Seifen, Papier, Südfrüchte, Fischbein und Schwämme. Reis kam aus der Poebene.76 Als wichtigste Waren aus dem Orient sind Gewürze wie Ingwer, Kümmel, Safran und vor allem Pfeffer aufzulisten. Allein während der drei Jahre 1562 bis 1564 importierte und verhandelte die Lagunenstadt 2400 Tonnen Pfeffer.77 Auch Alaun, den man beim Färben von Textilien als Fixierungsmittel für die Farben benötigte, gehörte zu den führenden Handelsgütern. Baumwolle, Rohseide und Mischgewebe, die auch mit Wolle und Leinen versetzt sein konnten, wurden aus Venedig ausgeführt, zudem preiswertere Stoffe aus Baumwolle, Leinen und Hanf.78

Salzburg

Im späten Mittelalter und – auf einem erheblich niedrigeren Niveau – auch in der Frühen Neuzeit war Salzburg eine wichtige Station auf dem Handelsweg zwischen Venedig und Oberdeutschland. Bedauerlicherweise sind von den großen Salzburger Handelshäusern keine Geschäftsbücher oder ähnliche serielle Quellen erhalten geblieben, die Auskunft über das Handelsvolumen und dessen Entwicklung geben könnten, doch stehen Urkunden, Kopialbücher, Sendbücher und eine Reihe von anderen Akten zur Verfügung, die Einzelhinweise zu den transportierten Gütern, zu Mengenangaben und Preisen vermitteln.79 Seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts gab es in der Stadt zwei Bürgerfamilien, die aus ihrer Tätigkeit sogar ihre Namen ableiteten: die Venediger und die Sa(u)mer.80 1409 findet man einen Ulrich Samer im Fondaco dei Tedesci.81 Das urbane Zentrum des Fernhandels verlagerte sich in Salzburg vom Waagplatz hin zur Getreidegasse, wo die großen spätmittelalterlichen Handelshäuser entstanden und wohin 1508 auch das Niederleghaus übersiedelte.82 Als eines von mehreren Kaufleute-Häusern in der Getreidegasse gehörte das Gebäude Nr. 23 nacheinander mehreren Fernhändlern. Einer davon war Virgil Venediger († 1462). Die Salzburger Fernhändler betrieben einerseits einen umfangreichen Eigenhandel, andererseits waren sie als sogenannte Faktoren tätig und agierten als bevollmächtigte Vertreter für große oberdeutsche Handelshäuser in Regensburg, Augsburg und Nürnberg. Die Spediteure waren für ihr Know-how in der Frachtbeförderung von Venedig bis an den Rhein geschätzt.83 Regelmäßige Handelsbeziehungen bestanden mit zum Teil weit entfernten Städten. In den Sendbriefen des frühen 15. Jahrhunderts findet man bereits Handelspartner in München, Ulm, Basel, Bern, Zürich, Memmingen, Ingolstadt, Frankfurt und Mainz, zudem scheinen Salzburger Kaufleute auch in böhmischen, ungarischen, schlesischen und polnischen Städten auf.84

Der Reichtum der Handelsleute, der sich auch in der Errichtung von Bauwerken, allen voran der Stadtpfarrkirche Zu Unserer Lieben Frau (heute Franziskanerkirche), und in zeitweise durchaus erfolgreichen politischen Partizipationsbestrebungen offenbarte85, resultierte neben dem Kommissions-, Speditions- und Eigenhandel auch aus dem Gold- und Silberbergbau in den Tauern, wo Handelsgewinne investiert wurden.86

Durch die zu Beginn seiner Regierung äußerst kompromisslosen gegenreformatorischen Maßnahmen Wolf Dietrichs und die dadurch hervorgerufene Auswanderung zahlreicher begüterter Handelsbürger sowie durch die allgemeine Wirtschaftskrise der oberdeutschen Städte und die Zusammenbrüche dort ansässiger Handelshäuser, die auch mehrere Konkurse von Salzburger Firmen nach sich zogen87, kam es ab dem frühen 17. Jahrhundert zu einem ersten merklichen Rückgang der Handelstätigkeit in Salzburg. Dem Uskokenkrieg Ferdinands II. gegen Venedig ab 1612 folgten die für einen Großteil der europäischen Staaten wirtschaftlich (und demographisch) verheerenden Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), die zu weiteren, nunmehr tatsächlich massiven konjunkturellen Einbrüchen und einer langfristigen Rezession führten.88

Im 18. Jahrhundert kam es zu Um- und Neuorientierungen im Salzburger Fernhandel. Salzburgische Firmen konnten vom ständigen Aufstieg Triests und Fiumes (Freihäfen ab 1717 beziehungsweise 1719) profitieren. Triest lief Venedig zunehmend den Rang des führenden Hafens im Levantehandel ab. Obwohl sich die habsburgische Wirtschaftspolitik energisch bemühte, den Handelsverkehr allein auf die Route Graz–Wien zu lenken, wurde die Route Triest–Graz–Ennstal–Salzburg nach der vorübergehenden Benachteiligung durch die Einführung von Prohibitivzöllen im Jahr 1766 zu einer wichtigen Fernhandelsverbindung.89

Negativ wirkte sich hingegen der Auf- und Ausbau von Manufakturen und Fabriken in den Nachbarländern der Habsburger und Wittelsbacher aus, da ein Teil der früher weiträumig gehandelten Waren nunmehr im Land selbst erzeugt wurde. Zur Stützung der heimischen Produktion kam es zu Importsperren für bestimmte Fertigprodukte sowie zu Exportverboten für die im eigenen Land benötigten Rohstoffe. Zudem wandten sich die süddeutschen Städte verstärkt dem Handelsweg über den Brenner und den Märkten in Bozen zu. Aber auch Salzburg orientierte sich beispielsweise mit seinem Leinwandhandel zunehmend nach Bozen90, wobei hier familiäre Netzwerke maßgeblich zum Tragen kamen.

Die wenigen wohlhabenden städtischen Handelsherren des 18. Jahrhunderts waren daher nicht mehr diejenigen der Tauernstraße und der Levantewaren allein. Neben Spänglers Seiden- und Tuchhandlung wickelte etwa auch der erfolgreichste Salzburger Unternehmer, Sigmund Hafner, viele seiner Geschäfte über die Bozener Märkte ab. Hafner wie auch die Eisenhändlerfamilie Robinig wandten sich zudem verstärkt der zweiten wichtigen Handelsverbindung zu, die über das Salzburger Territorium führte: der Tuch-Eisen-Straße in südöstlich-nordwestlicher Richtung91, welche die Verlagsstadt Leoben mit den Eisenhändlern des oberdeutschen Raumes auf zwei Hauptwegen verband: über Radstadt sowie über das Salzkammergut. Der größte Teil dieser Fracht wurde nicht im Inland veräußert, sondern ging über die Zwischenstation Salzburg weiter in nördlicher Richtung. Seit einer Verordnung von 1676 musste sämtliches von fremden Händlern in die Stadt geführtes und nicht am selben Tag verkauftes Eisen in das städtische Niederleghaus gebracht werden, um danach weiter nach München oder Augsburg zu gehen. Die Gegenfracht zum Vordernberger Eisen waren Tuche von hochwertiger Qualität aus Flandern und Brabant, aber auch einfache Stoffe aus den Rheinlanden, der Wetterau und anderen westdeutschen Gebieten. Von Augsburg und München wurden auch die als Fastenspeise hochgeschätzten Heringe und Rheinlachse für die Stadt Salzburg bezogen.92

Warenhandel und städtisches Angebot

Die Anzahl der großen Salzburger Kaufmannsfamilien hatte sich bis zum 17. Jahrhundert auf zehn93, bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf fünf ‚Handelsfaktoren‘ verringert, die in Salzburg eine eigene Wirtschaftsbranche bildeten.94 Im Gegensatz zu Venedig, wo, wie erwähnt, ab dem 16. Jahrhundert exportorientierte Wirtschaftssektoren aufgebaut wurden, brachte die Stadt Salzburg keine nennenswerten Manufakturen hervor, die sie zum Ausgangspunkt bedeutender Handelsbeziehungen gemacht hätten. Der bilaterale Güterautausch war daher ein sehr einseitiger. Eine Aufarbeitung des Kapitalverkehrs, der bankmäßigen Wechsel- und Depositengeschäfte steht noch aus. Die damit Hand in Hand gehende negative Handelsbilanz fiel nicht nur der Salzburger Regierung, sondern im ausgehenden 18. Jahrhundert auch ausländischen Besuchern auf. Johann Christoph Friedrich Schulz (1762–1798) wies noch 1796 darauf hin, „dass die Einwohner [der Hauptstadt] eine Menge Bedürfnisse aus der Fremde ziehen und viel Geld außer Land schicken, welches sie durch einheimische Tätigkeit unter sich selbst im Umtrieb erhalten könnten“.95 Dieser Trend lässt sich auch an den magistratischen Einnahmen aus dem ,neuen Niederlagsgeld‘ ablesen, die nach einem Tiefstand in den frühen 1740er Jahren ab 1757 bis zur Mitte der 1790er Jahre erneut anstiegen und damit die Zunahme des Importgüterverkehrs dokumentieren.96 Insbesondere den Fernhandel mit hochwertiger Ware, der von einer relativ geringen Anzahl von Kaufleuten betrieben wurde, hat die Forschung bereits mehrfach behandelt, weniger jedoch den Handel mit Massengütern, der einer größeren Anzahl der Stadtbewohner Verdienstmöglichkeiten bot.97 Der urbane Markt profitierte durch die Importe in hohem Maße, da alltägliche wie auch Luxuswaren zu relativ günstigen Preisen angeboten wurden.

Die meisten importierten Produkte wurden in den Spezerei- und Materialwarenhandlungen verkauft, von denen es in der Stadt Salzburg 1793 13 gab.98 ‚Spezereien‘ waren Zucker, Kaffee, Kakao, Tee, Vanille, Schokolade, kandierte Früchte, Gewürze, Oliven- und Leinöle, Früchte, Fisch, Käse, Wein, Liköre und andere, also zu einem Großteil diejenigen Warengruppen, die aus dem Levantehandel stammten. Als beispielsweise um die Mitte des 17. Jahrhunderts – höchstwahrscheinlich zu allererst in Venedig um 164799 – die ersten Kaffeehäuser am Kontinent entstanden und bald der private Konsum zunahm, wurde Rohkaffee über Krämer und Apotheker, wenig später auch über Kolonialwarenhändler importiert, geröstet und verkauft100, wobei auch in der Stadt Salzburg die Spezerei- und Materialwarenhändler die Nachfrage danach abdeckten.

‚Materialwaren‘ war die Sammelbezeichnung für Farben, Samen, Wurzeln, Kräuter, Harz, Terpentin, Edelsteine, Salze, Essenzen, Fette, Wachs, Honig, aber auch Schreibutensilien.101 Führend waren hier die Salzburger Handlungen von Raimund Felix Atzwanger, Andrä Wallner, Josef Anton Zezi und Johann Lorenz Hagenauer.