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Nr. 108

 

Grenze im Nichts

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Das Jahr 3587 nach Christus hat begonnen. Mit dem Fernraumschiff BASIS sind Perry Rhodan und seine Gefährten in der fernen Galaxis Tschuschik unterwegs, Millionen Lichtjahre von der Heimat entfernt. Sie schaffen es, die Bedrohung abzuwehren, die von dem riesigen Sporenschiff PAN-THAU-RA ausgeht. Aber schon wartet das nächste Ziel auf sie: Perry Rhodan sucht die uralten Kosmischen Burgen und die Materiequelle, über die unbegreifliche Mächte auf den Kosmos einwirken.

 

Die Loower, die sogenannten Trümmerleute, halten weiterhin das Solsystem besetzt. Ihr Quellmeister ist während seiner Suche nach der Materiequelle im Bereich der Kosmischen Burgen verschollen. Ein Spezialroboter trifft Vorbereitungen für eine Rettungsmission.

 

Noch kennen beide Seiten die Zusammenhänge nicht. Aber Perry Rhodan, der Arkonide Atlan und der Quellmeister müssen bereits um ihr Überleben kämpfen ...

1.

 

 

Als Dalanja von ihrem Vater weglief und zu dem fremden Raumschiff rannte, handelte sie wie in Trance. Sie war sich ihrer Umgebung kaum bewusst und fühlte sich frei und leicht, keineswegs so, als stünde sie unter Zwang. Arglos lief sie den seltsamen Männern entgegen.

Die Fremden sprachen kein Wort, nicht einmal untereinander. Dalanja fand das so selbstverständlich, als erlebte sie es jeden Tag, dass Männer mit leblosen Gesichtern in den Feldern landeten. Eines dieser steifen Wesen trug sie ins Schiff, und sie fühlte sich plötzlich sehr müde. Dalanja schlief ein und erwachte nur einmal für wenige Sekunden. Der Fremde war noch bei ihr, und sie glaubte, dass dies ein Spiel sei, lachte leise und schlief wieder ein.

Irgendwann erwachte Dalanja zum zweiten Mal. Und nun war alles anders.

Sie lag in einem seltsamen Sessel in einem noch seltsameren Raum. Es war sehr hell, von den Wänden strahlte grellblaues Licht. Dalanja blinzelte, denn ihre Augen tränten. Gegen das Licht sah sie die Silhouetten von fünf hochgewachsenen, muskulösen Männern, die sich langsam hin und her bewegten und mit den flachen Händen die Wände berührten.

Dalanja hatte vor nicht allzu langer Zeit im Meeresaquarium einen Kraken gesehen, der ständig mit seinen Fangarmen über die Wände tastete, als suche er nach einem Ausgang aus seinem gläsernen Gefängnis. An diesen Kraken fühlte sie sich erinnert, während sie die Fremden beobachtete. Sie wusste allerdings recht gut, dass diese Männer nicht nach Türen suchten. Offenbar steuerten sie ihr Raumschiff auf diese Weise.

Dalanjas Augen gewöhnten sich allmählich an das grelle Licht. Es gab hier nichts, was an Kontrollpulte erinnerte, keine Holoschirme, keine Messgeräte – nicht einmal Kontursessel. Das Ding, in dem sie saß, schien der einzige Einrichtungsgegenstand in diesem Raum zu sein. Dalanja war sich nicht einmal sicher, ob es noch weitere Räume gab. Vielleicht bestand das Raumschiff nur aus dieser leuchtenden Zelle.

Die Furcht überfiel sie aus heiterem Himmel. Entsetzt starrte sie die Fremden an, die sich wie in einem abstrakten Tanz um sie herum bewegten.

»Ich will nach Hause!«, forderte Dalanja nach langer Zeit mit bebender Stimme. »Bringt mich wieder heim!«

Die Männer kümmerten sich nicht um sie. Sie gingen mit wiegenden Schritten umher, langsam und gemessen. Sie drehten sich nicht einmal nach Dalanja um. Dem Mädchen schossen Tränen in die Augen, und fast hätte es losgeheult, obwohl es sich dazu eigentlich schon viel zu erwachsen fühlte. Gerade noch rechtzeitig fiel Dalanja ein, dass die Fremden dann vielleicht doch kommen würden, um sie zu trösten. Sie wollte nicht von solch glattgesichtigen Männern getröstet werden. Darum verhielt sie sich still.

Die Fremden blieben schließlich stehen und drehten sich – wie auf ein unhörbares Kommando – alle miteinander um.

Dalanja spürte die Blicke dieser kalten Augen. Wie gelähmt kauerte sie in dem Sessel und wartete. Nach etwa einer Minute trat einer der Männer einen Schritt vor. Er hob die linke Hand und deutete mit seinem langen, glatten Zeigefinger auf Dalanja, als richte er eine Waffe auf sie.

»Komm mit!«, sagte der Mann. Er hatte eine hohl klingende Stimme, die nicht gerade beruhigend wirkte. Dalanja drückte sich tiefer in den Sessel. Sie dachte darüber nach, ob man sie zurückbringen würde, wenn sie sich nur lange genug still verhielt.

Aber noch während sie beschloss, genau das zu versuchen, bewegte sich ihr Körper. Sie wollte es nicht. Aber sie stand auf und ging zu dem Fremden hinüber, und innerlich zerbrach sie fast vor Verzweiflung, weil es ihr nicht gelang, einfach stehen zu bleiben.

Sich herumwerfen, schreiend weglaufen – das war unmöglich.

Der Fremde verzog keine Miene. Er strich mit dem Finger über Dalanjas Stirn und drehte sich um. Sie musste ihm wohl oder übel folgen, als er auf die leuchtende Wand zuschritt.

 

Gyder Bursto stieg in den Gleiter und ahnte Schlimmes. Selna betrachtete ihn mit jener undefinierbaren Miene, die sie stets aufsetzte, wenn es galt, Bursto in die Pflicht zu nehmen. »Was ist los?«, fragte er herausfordernd.

»Noch nichts«, antwortete Selna gelassen. »Aber es wird jede Menge Ärger geben, dafür garantiere ich.«

Bursto reagierte nicht darauf.

»Du wirst die Finger von der UFO-Geschichte lassen!«, forderte die Frau.

»Zu spät«, sagte der Reporter schwer und startete den Gleiter. »Ich habe dir eben zugehört – jetzt hör du mir zu!«

»Bilde dir ja nicht ein, dass ich auf schöne Worte hereinfallen werde.«

»Kein Versuch, dich zu überreden – okay? Ich erkläre, was ich vorhabe, danach entscheidest du, was du tun willst. Einverstanden?« Bursto wartete Selnas zustimmendes Nicken gar nicht erst ab. »Ich will herausfinden, was sich in diesen Feuerkugeln befindet. Alle anderen Antworten ergeben sich dann schon von selbst. Eigentlich haben wir eine gewaltige Arbeit vor uns. Es gilt, ein paar tausend Augenzeugenberichte zu sichten und zu vergleichen. Die Expertin für diese Dinge bist du.«

»Das schaffen wir nicht. Wir würden Wochen brauchen, und bis dahin liegen neue Berichte mit neuen Daten vor, die unsere Ergebnisse infrage stellen. So geht es kaum, Bursto. Aber während du draußen warst, habe ich eine Meldung aufgefangen. Eine Frau in Kapstadt behauptet, ihr kleiner Sohn sei von UFOs entführt worden und die Regierung halte diese Information zurück. Ein Reporter fragte sie nach ihrer Meinung zu dieser Art von Zensur, sie vertrat die Ansicht, dass eine Panik verhindert werden solle. Bursto – wir wissen, dass im zwanzigsten Jahrhundert schon Menschen entführt wurden, aber es waren selten Kinder. Mal überwiegend Männer, dann fast nur Frauen, für kurze Zeit schienen sich unsere Besucher für Paare zu interessieren.«

»Und nun sind Kinder dran? Aber es gab eine so lange Pause ...«

»Für uns Menschen, Bursto. Klar. Aber wie steht es mit den Fremden? Vielleicht kamen sie damals zu dem Schluss, dass die Menschheit noch zu jung war ...«

»Das ist mir zu fantastisch.«

»Ausgerechnet du musst das sagen! Du bist von ›oben‹ zurückgepfiffen worden – und fast gleichzeitig kommt diese Frau und spricht von Entführung. Julian Tifflor hält sich gerade bei den Loowern auf dem Mars auf. Hatten die nicht auch ein Kind entführt?«

»Geht das schon wieder los mit den Loowern?« Bursto seufzte. »Ein Glück, dass wir sie haben, wie? Ihnen können wir buchstäblich alles in die Schuhe schieben.«

»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«

»Oh doch. Wir fliegen nach Kapstadt.«

»An die Mutter des entführten Kindes kommen wir bestimmt nicht heran. Aber ich schätze, es muss noch mehr Fälle dieser Art geben.«

Bursto schaute seine Begleiterin nachdenklich an. »Wenn ich dich recht verstehe, willst du dich nun doch an diesem Unternehmen beteiligen.«

»Es scheint nur so«, behauptete Selna gelassen. »Mich interessieren nicht die UFOs – ich will mehr über die Entführungen herausfinden.«

Bursto wandte den Kopf zur Seite, damit die Lornsiterin sein Lächeln nicht sehen konnte. So viel Spitzfindigkeit hätte er Selna gar nicht zugetraut. »Wo fangen wir an?«, fragte er. »Wir können schlecht über Rundruf die Eltern entführter Kinder bitten, sich bei uns zu melden.«

Selna deutete auf das Funkgerät. »Ich werde es versuchen. Der Mann, mit dem ich gleich rede, stammt wie ich von Lornsite.«

Das Gespräch ging nach Terrania. Das Gesicht eines älteren Mannes baute sich auf.

»Selna!«, sagte er mit unterkühlter Freude. »Nett, dich mal zu sehen.«

»Das finde ich auch, Cuve. Ich brauche eine Auskunft. In welcher Region fand die letzte UFO-Entführung statt?«

Bursto holte tief Luft. Das konnte nicht gut gehen. Nicht einmal ein Lornsiter konnte die Dienstvorschriften umgehen. Zu seiner Überraschung zögerte Cuve nicht lange.

»Zudir in Nordindien. Ein Mädchen, acht Jahre alt. Name: Dalanja Tharpo«, sagte der Mann.

»Danke, Cuve.«

Der Schirm erlosch.

»Das gibt es nicht!«, stieß Bursto hervor. »Einer von euch missachtet seine Dienstvorschriften ...«

»Das hat Cuve keineswegs getan. Er weiß, dass jede Information bei mir sicher ist. Niemand kann einen Lornsiter zwingen, ein Geheimnis zu verraten – frag die Überschweren. Und für Cuve ist es selbstverständlich, dass ich mich für dich verbürge.«

»Heißt das, dass ich so tun muss, als hätte ich nichts gehört?«

»Wir sollten Zudir aufsuchen!«

Bursto biss die Zähne zusammen und änderte wieder einmal den Kurs. Um Zeit zu sparen, suchten sie die nächste Transmitterstation auf und nahmen sich am Ziel einen Mietgleiter. Auf der Fahrt nach Zudir sahen sie die letzten Nachrichten.

Inzwischen gab es erste öffentliche Stellungnahmen zu den Entführungen. Burstos Laune sank auf den Nullpunkt. Natürlich wurde versucht, die Sache abzuwiegeln. Niemand sprach von UFOs, sondern von fremden Raumschiffen, was sich weniger geheimnisvoll anhörte. Offenbar arbeiteten staatliche Stellen daran, einen Kontakt zu den Fremden herzustellen. Alle bisherigen Erkenntnisse, hieß es, wiesen darauf hin, dass die Kinder gesund und munter wären ...

»Alles Unsinn.« Bursto schaltete ab. »Diese Leute wissen überhaupt nichts. Das Gerede dient nur dazu, die Bevölkerung ruhig zu halten.«

»Und die Aufmerksamkeit von den Loowern abzulenken«, fügte Selna hinzu.

»Es wäre eine so tolle Nachricht gewesen.« Bursto seufzte. »Diese Brüder in Imperium-Alpha gönnen uns auch gar nichts.«

»Abwarten«, murmelte Selna. »Vielleicht bekommen wir mehr als genug Stoff für einen Bericht. Dort vor uns – das muss Zudir sein.«

Die Stadt war klein und geradezu unnatürlich still. Auf einem Platz im Zentrum stoppte Bursto den Schwebegleiter und sah sich nachdenklich um.

»Kein Mensch zu sehen«, stellte er fest. »Merkwürdig!«

Nicht nur die Einwohner fehlten, auch die vielfältigen Geräusche einer lebendigen Stadt. Eine Katze huschte über die Straße und verschwand zwischen den Häusern, irgendwo bellte ein Hund. Sonst war der Ort wie ausgestorben.

Bursto ging zu einem Haus und betätigte den Türmelder. Niemand kam, um nach dem Besucher zu sehen. Der Automat gab keine Auskunft darüber, wo sich die Hausbewohner in diesem Augenblick aufhielten.

»Das ist unheimlich«, flüsterte Selna.

Bursto zuckte mit den Schultern. »Wo wohnen die Eltern des entführten Mädchens?«

»Außerhalb des Ortes, auf einer Farm.«

»Hoffentlich geht es dort ein bisschen lebhafter zu.«

Sie brauchten knapp zehn Minuten, um San Tharpos Soja-Farm zu erreichen. Und schon von Weitem sahen sie die vielen Menschen. Ganz Zudir schien sich um die niedrigen Gebäude versammelt zu haben.

Bursto pfiff leise durch die Zähne. »Da drüben«, sagte er leise. »Kennst du diesen Gleitertyp?«

Selna nickte betrübt. »Wieder eine Story, die man uns vor der Nase wegschnappt.«

Bursto hatte die Männer erspäht, die um den Gleiter aus Terrania herumstanden. Er schaltete die Fernoptik ein. Ihre Abzeichen wiesen sie als Sicherheitskräfte aus Imperium-Alpha aus. Und zwei Personen stammten möglicherweise von der örtlichen Polizeistation. Alle starrten sie auf die Menschen rund um Tharpos Anwesen, als wollten sie die Menge hypnotisieren.

Bursto landete den Gleiter neben der Maschine aus Terrania. Selna schüttelte den Kopf. »Sie werden uns davonjagen«, behauptete sie vorwurfsvoll.

»Keineswegs«, versicherte Bursto. »Und wenn sie es doch versuchen, dann werden sie es bereuen.«

Selna runzelte besorgt die Stirn.

Zu ihrer Erleichterung reagierte niemand auf den Mietgleiter. Im Eingang des Wohngebäudes erschien soeben eine seltsame Gestalt. Selna sah zuerst nur eine Anzahl bunter Tücher, die in seltsamem Rhythmus durch die Luft schwangen. Dann entdeckte sie einen goldfarbenen Kopfputz, darunter schemenhaft ein Gesicht. »Was ist das?«, fragte sie fassungslos.

»Das ist San Tharpo auf dem Weg zu einer Geisterbeschwörung«, erwiderte einer der Polizisten aus Zudir.

»Beschwörung?«, fragte Selna verständnislos.

Erst jetzt schien der Polizist zu bemerken, dass sie nicht zu der Gruppe aus Terrania gehörte. »Ja«, sagte er nüchtern. »Die kleine Dalanja wurde entführt, aber die anderen Familienmitglieder blieben ungeschoren. Tharpo hat drüben in seinen Feldern einen alten Kultbau. In der Stupa stehen ein Buddha und eine Statue der Göttin Kali. Weil die Fremden, die seine Tochter mitnahmen, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Buddha hatten, glaubt er, Kali hätte den Rest der Familie beschützt und könnte auch das Kind zurückbringen. Seit gestern Abend wanderte er pausenlos zwischen dem Haus und der Stupa hin und her. Die Leute hier sollen seinen Beschwörungen die nötige Kraft verleihen.«

Tharpo bewegte sich wie in Trance auf die Felder zu, und Dutzende Menschen folgten ihm. Sie streckten im Gehen die Hände nach oben und verbeugten sich tief; wie Tharpo es ihnen vormachte. Und immer wieder brachen sie in ekstatische Schreie aus. Selna verstand nur ab und zu den Namen »Kali«. »Das ist doch absurd!«, sagte sie ärgerlich.

Gyder Bursto gab ihr im Stillen recht. Der Lornsiterin, die in absolut nüchternen Bahnen dachte, musste das Ganze vorkommen wie eine Szene aus einem Fiebertraum. Da beteten Menschen zu einer Göttin, die seit Jahrhunderten entthront war. Bursto zweifelte sogar daran, dass diese Leute überhaupt Kalis einstige Bedeutung kannten. Er selbst erinnerte sich vage an allerlei blutrünstige Geschichten.

Hastig schoss er einige Bilder. Der Polizist sah ihn ärgerlich an, aber sonst geschah nichts. Schließlich entdeckte Bursto ein junges Mädchen, das an der Tür stand und Tharpo wie erstarrt nachschaute. Er stieß Selna an und ging hinüber.

»Ich darf nichts sagen«, erklärte das Mädchen, ehe Bursto sich auch nur vorstellen konnte.

»Warum nicht?«, fragte er, und er dachte, dass es eigentlich ein unfairer Trick war. Aber das Mädchen war auf der Hut. Es drehte sich schweigend um und ging ins Haus.

»Bist du übergeschnappt?« Selna hielt ihn am Ärmel fest, als er dem Mädchen folgen wollte. »Die Kerle da drüben werden dich glatt wegen Hausfriedensbruch verhaften.«

Bursto schüttelte ärgerlich den Kopf. »Komm endlich«, drängte er. »Wenn dieser Tharpo zurückkehrt, ist die Chance vertan.«

Selna ließ ihn los. Er eilte ins Haus. Das Mädchen stand am Fenster und starrte nach draußen.

»Wir sind nicht von der Polizei!«, sagte Bursto.

Das Mädchen fuhr herum. »Ich habe Ihnen doch gesagt ...«

»Wir sind vom Fernsehen. Glauben Sie nicht, dass dieser Mann dort draußen etwas Reklame brauchen könnte? Es ist Ihr Vater, nicht wahr? – Wie heißen Sie?«

»Desina.«

Bursto atmete heimlich auf. Er hoffte nur, dass ihm genug Zeit blieb, sich mit Desina zu unterhalten. »Was ist eigentlich geschehen?«, fragte er. »Bis jetzt weiß ich nur, dass ein Kind entführt wurde.«

Desina zögerte kaum merklich. Dann berichtete sie.

Bursto war fasziniert von der Beschreibung der Fremden, die Desina ihm gab. Er merkte aber auch, dass Desina zögerte, die Wesen als Menschen zu bezeichnen. Sie wollte sich nicht festlegen, was die Natur dieser merkwürdigen Raumfahrer anbelangte.

»Waren es Menschen oder Roboter?«, fragte Bursto schließlich.

»Ich weiß es wirklich nicht.«

»Androiden?«

Desina schüttelte den Kopf. »Sie waren einfach fremd. Das ist schwer zu beschreiben. Sie wirkten künstlich, aber trotzdem nicht so, als hätte jemand sie gemacht.«

Damit ließ sich nicht viel anfangen. Bursto fragte nach dem Raumschiff der Fremden, nach den Geräuschen, die Desina gehört hatte, nach der Art, wie das Ding gelandet und gestartet war, nach dem Verschwinden der Ernteroboter, und das Mädchen gab sich Mühe, präzise zu antworten. Trotzdem war er hinterher nicht viel schlauer.

Sein Gefühl, mit etwas Unwirklichem konfrontiert zu sein, vertiefte sich, als San Tharpo in das Zimmer trat.

Der Mann trug immer noch sein Fantasiekostüm. Bursto dachte amüsiert, was wohl die früheren Anhänger der Göttin Kali zu dieser Verkleidung gesagt hätten. Dieser Gedanke verflog jedoch, als er Tharpos glühende Augen sah und schaudernd erkannte, dass der Farmer sich völlig in seine Gedankenwelt verkapselt hatte. Tharpo reagierte überaus rabiat, als er seine Tochter in Gesellschaft zweier fremder Menschen fand, von denen einer ein Aufnahmegerät in der Hand hielt.

Bursto sah nur einen bunten Schatten auf sich zufliegen, dann spürte er einen Druck an seiner Kehle. Er hörte Desinas erschrockenen Schrei und dachte, dass dies wohl das Ende seiner Laufbahn als Reporter sei.

 

Die Wand öffnete sich vor dem Fremden. Dalanja ging durch den dunklen Spalt. Für einen Augenblick dachte sie, der Mann hätte sie direkt in den Weltraum geführt. Grenzenlose Dunkelheit umgab sie, und die fernen Sterne leuchteten kalt. Dann fand sich Dalanja in einem anderen Raum wieder, und diesmal war sie nicht allein.

Ein knappes Dutzend Kinder drängten sich gegen die einzige Wand, die nicht leuchtete. Unwillkürlich ging Dalanja zu ihnen, und erst da wurde ihr bewusst, dass sie sich wieder frei bewegen konnte. Aber sie war nicht fähig, daraus einen Nutzen zu ziehen. Sie wäre eher in einen Abgrund gesprungen, als zu dem Mann mit den toten Augen zurückzukehren. Sie wagte es nicht einmal, sich nach dem Fremden umzudrehen. Vielmehr drückte sie sich zwischen den Kindern an die Wand und wartete zitternd darauf, dass etwas geschah.

»Er ist weg«, sagte endlich eine Stimme neben ihr.

Dalanja sank förmlich in sich zusammen.

Die Tränen, die sie so lange standhaft zurückgehalten hatte, strömten ihr über die Wangen.

»Noch eine Heulsuse!«, sagte jemand höhnisch.

Dalanja hörte es, aber es konnte sie nicht treffen. Sie war innerlich stumpf und taub.

»Du hast es nötig«, hörte sie eine andere Stimme sagen. »Du hast gebrüllt wie am Spieß, als sie dich brachten. Lass sie in Ruhe, Jed.«

Dalanja hörte, wie die Kinder sich unterhielten, und langsam beruhigte sie sich ein wenig. Nach etwa einer Stunde hörte sie in der Wand etwas brummen und klappern. Entsetzt sprang sie auf.

»Keine Angst«, sagte ein Junge, der ungefähr ein Jahr älter als Dalanja sein mochte. »Das ist nur eine Automatik. Komm, da gibt es was zum Essen.«

Die anderen Kinder versammelten sich schon vor der Wand. Eine Klappe öffnete sich, und eine Platte schob sich in den Raum. Dalanja starrte verblüfft auf die vielen Schalen und Teller, die darauf standen. Sie hatte noch niemals eine solche Vielfalt von Speisen auf einem Fleck gesehen.

»Finger weg, Jed!«, sagte der Junge neben Dalanja scharf.

Jed, ein etwas zu dick geratener Junge von etwa neun Jahren, presste trotzig zwei Schüsseln mit reich garnierten Süßspeisen an sich. »Wer zuerst kommt ...«, hob er an, aber der andere nahm ihm die eine Schüssel einfach weg und stellte sie auf die Platte zurück.

»Jeder bekommt etwas ab!«

»Gib bloß nicht so an, Denver!«, rief Jed wütend. »Du hast mir überhaupt nichts zu verbieten.«

»Fang endlich an zu essen«, empfahl ein Mädchen spöttisch. »Dann hältst du wenigstens den Mund. Kommt, wir wollen das aufteilen. Jeder nimmt sich einen Teller, und dann los!«

Dalanja hatte keinen Appetit. Denver brachte ihr jedoch einen Teller und setzte sich neben sie. »Iss lieber jetzt«, sagte er. »Bei der nächsten Mahlzeit gibt es nur Wasser und Konzentrate. Woher kommst du?«

Sie sagte es ihm.

»Sie wollen wohl Kinder aus allen Teilen der Erde.« Denver kaute. »Jeder hier kommt aus einer anderen Gegend. Na ja, bald müssten sie genug von uns eingesammelt haben. Dann werden wir sehen, was sie mit uns anstellen wollen.«

Dalanja starrte ihn schweigend an, erschrocken und bewundernd zugleich. Sie dachte mit Entsetzen an die Zukunft, andererseits imponierte es ihr, mit welcher Ruhe Denver darüber sprach.

»Kannst du Geschichten erzählen?«, wollte der Junge wissen.

»Geschichten?«, fragte Dalanja verblüfft.

»Märchen oder so etwas. Wenn wir gegessen haben, kommen die Betten aus der Wand. Die Fremden haben es nicht gern, wenn die Kleinen zu lange wach bleiben. Wenn wir ihnen etwas erzählen, schlafen sie schneller ein.«

Dalanja sah erst jetzt, dass drei der Kinder um die fünf Jahre alt waren. Die Kleinen taten ihr leid. Aber sie selbst tat sich auch leid. Sie hätte ebenfalls jemanden gebraucht, der sie tröstete. Doch Denver sah sie erwartungsvoll an, und sie wollte ihn keinesfalls enttäuschen. »Ich kenne viele Geschichten«, sagte sie daher. »Weißt du, wo wir hier sind?«

»In einem Raumschiff, glaube ich. Die Dinger, mit denen die Fremden auf der Erde landen, sind sicher nur Beiboote.«

»Wenn das hier ein großes Schiff ist, dann wird man uns sicher bald herausholen ... So schwer kann das schließlich nicht sein.«

»Bisher ist niemand gekommen, und ich bin schon seit vier Tagen hier.«

Dalanja sah den Jungen ratlos an. Vier Tage! Hatte denn auf der Erde niemand gemerkt, dass Denver entführt worden war?

Eines der älteren Mädchen kam zu ihnen. »Bobby hat Bauchweh«, sagte es.

Denver nickte grimmig. »Er hat gestern all seine Süßigkeiten auf einen Schlag in sich hineingestopft.«

»Ich weiß«, antwortete das Mädchen gelassen. »Aber wir müssen trotzdem etwas tun, sonst heult er die ganze Nacht über.«

»Gibt es keine Ärzte in diesem Schiff?«, fragte Dalanja.

»Keine Ahnung«, murmelte Denver.

»Ich hatte auch mal Bauchweh«, meldete sich Jed laut zu Wort. »Ich musste operiert werden. Sie haben mir den Bauch aufgeschnitten. Soll ich euch die Narbe zeigen?«

Bobby, ein kleiner, blasser Junge, weinte laut. Er war offenbar alles andere als erfreut über die Aussicht, aufgeschnitten zu werden.

»Wir sollten diesen Kerl gründlich verprügeln!«, zischte das ältere Mädchen wütend. »Jed geht mir auf die Nerven!«

»Lass ihn doch, Saja«, sagte Denver bedrückt. »Wir werden uns nicht prügeln. Die Fremden beobachten uns. Vielleicht warten sie darauf, dass es bei uns Ärger gibt.«

Dalanja glaubte, dass Denver haargenau die Wahrheit erraten hatte. Vielleicht war alles ein Test. Die Fremden wollten sehen, welches Kind so reagierte, wie sie es sich wünschten. Das Mädchen sah eine Möglichkeit, die Situation zu verändern. Sie alle brauchten nur das Gegenteil von dem zu tun, was die Fremden erwarteten. Was konnte das sein?

Für Dalanja war die Antwort einfach. Das ideale Kind – das es selbstverständlich nicht gab – war tolerant. Es fügte sich in die Gemeinschaft ein, ohne dabei seine eigene Persönlichkeit aufzugeben. Es war stets bereit, Unstimmigkeiten in der Gruppe auf friedlichem Weg zu lösen.

»Wenn wir uns gegenseitig verprügeln«, flüsterte Dalanja, »dann bringen uns die Fremden bestimmt zurück nach Terra. Solche Kinder brauchen sie nicht! Wir müssen uns streiten, Krach machen, uns weigern, zu essen und zu schlafen. Wir müssen unartig sein!«

Denver sah sie verdutzt an.

»Das bringt nichts ein«, behauptete Saja altklug. »Wenn es sie stören würde, dass einer von uns so ist, dann hätten sie Jed längst zurückgebracht. Seit Denver hier ist, geht es ja, aber zuerst war ich mit ihm alleine. Ich kann dir sagen, das war eine Zeit! Die Fremden haben sich dennoch nicht darum gekümmert.«

Dalanja hielt ihre Idee trotzdem für gut. Erst als sie Denver ansah, wusste sie, dass auch der Junge ihren Plan ablehnte. Dalanja schwieg enttäuscht. Sie erkannte sehr genau, dass es keinen Sinn hatte, länger darüber zu reden.

Bobby hatte immer noch Bauchweh und weinte steinerweichend. Zu Hause war Dalanja die Jüngste; sie wurde von allen verwöhnt, und wenn jemand weinte, dann war sie das. Dementsprechend fühlte sie sich unfähig, den kleinen Jungen zu trösten. Instinktiv suchte sie Hilfe bei einer übergeordneten Instanz.

Sie ging zu der einzigen materiell erscheinenden Wand und hämmerte mit der Faust dagegen. »Helft uns!«, schrie sie, so laut sie konnte. »Hört ihr nicht? Wir brauchen Hilfe!«

Es war, als hätte sie ein Stichwort gegeben. Denvers erzwungene Ruhe zerbröckelte, Sajas kindlicher Spott verflog. Jed vergaß den Topf mit Pudding, und Bobby dachte nicht mehr an sein Bauchweh. Die Kinder warfen sich schreiend gegen die Wand und schlugen sich fast die Fäuste wund. Sie schrien um Hilfe, bis sie heiser waren. Erschöpft und gleichzeitig wie betrunken von ihrer eigenen Raserei, sanken sie schließlich zu Boden.

»Geht schlafen«, sagte eine automatenhafte Stimme.

Die Betten schoben sich aus den Wänden.

Dalanja sah, dass alle anderen aufstanden und sich ein Lager für die Nacht suchten. Sie selbst rührte sich nicht von der Stelle. Sie war außerstande, nur einen einzigen Schritt zu tun. Und dann war in ihr ein seltsames Gefühl. Wenn sie sich in diesem Raumschiff zum Schlafen niederlegte, dachte sie, würde sie ihre Eltern niemals wiedersehen.

Das Licht wurde weicher und erlosch schließlich fast ganz. Dalanja hörte die drei kleinsten Kinder weinen. Auch das ging vorbei. Nach einiger Zeit war es still.

Dalanja rollte sich vor der Wand zusammen und dachte an ihren Vater, an die Bohnenfelder und andere, erdgebundene Dinge. Auf diese Weise wollte sie sich wach halten. Aber die Erinnerungen waren wohl das beste Schlafmittel.

Dalanja träumte von dem Fremden, der sie auf den Arm genommen hatte. Im Traum hatte sie keine Angst vor dem reglosen Gesicht und den seltsam toten Augen. Sie erwachte und stellte fest, dass tatsächlich einer der Fremden sie durch grell beleuchtete Korridore trug.

Sie war innerlich wie vereist und empfand weder Angst noch Freude – sie stand einfach über den Dingen. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder verlor sie den Verstand, oder sie bezog die Position des unbeteiligten Beobachters. Dalanja entschied sich für das Letztere.

Der Fremde sagte kein Wort. Auch sonst war es unheimlich still in dem Raumschiff. Es schien, als schluckten die leuchtenden Wände jedes Geräusch. Nur wenn der Fremde eine solche Wand durchschritt, gab es ein scharfes Knistern um ihn und das Mädchen herum.

Dalanja registrierte das alles, ohne länger darüber nachzudenken. Sie fragte sich nicht, wie groß dieses Schiff sein mochte – sie waren viele Minuten unterwegs. Ebenso fand sie es nicht weiter aufregend, dass sie in der ganzen Zeit keinem anderen Fremden begegneten.

Schließlich erreichten sie einen Raum, der voll von den blau gekleideten Männern war. Überall standen sie herum, starrten vor sich hin oder taten Dinge, die Dalanja nicht verstand. Als Dalanja von dem Fremden auf den Boden gestellt wurde, drehten sich die anderen um und sahen sie mit ihren unheimlichen Augen an. Das Mädchen schauderte und machte sich klein.

Lange Zeit geschah nichts. Dann entdeckte Dalanja einen Fleck an der Wand, und während sie hinsah, entstand dort eine Art Bildwiedergabe. Die Erde wurde sichtbar, schwoll schnell an, dann erschien unter grauen Wolkenschleiern eine Landschaft.

Dalanja ahnte, dass sie eine neue Entführung beobachtete. Das Bild wurde von einem tiefer sinkenden Beiboot übertragen. Ein Haus erschien, das Beiboot hielt an.

Dünne, blassgoldene Fäden umschlangen das Haus, das offenbar in einer sonst kaum bewohnten Gegend stand. Nach kurzer Zeit kam ein Kind aus der Haustür, ein Mädchen, ungefähr so alt wie Dalanja. Es ging langsam auf das Beiboot zu. Anfangs versuchte es auszuweichen, sogar zu fliehen, aber dann fing es sich in einer der goldenen Linien, und von da an schritt es zielstrebig vorwärts. Eine Frau wollte dem Kind folgen, prallte aber vor den Linien regelrecht zurück.

Niemand brauchte Dalanja die Bedeutung dieser schwingenden Lichtfäden zu erklären. Sie wusste, dass das Kind und seine Mutter die Linien nicht sehen konnten. Es waren nur Projektionen, die den Fremden die Orientierung erleichtern sollten. Aber die Wirkung hatte Dalanja selbst gespürt. Auch das fremde Kind unterlag dem unheimlichen Einfluss.

Jetzt wurden einige der starren Männer sichtbar. Sie holten das Kind in das Beiboot. Die Mutter stürzte entsetzt vor, und als die Linien verschwanden, gelang es ihr, bis an die äußere Hülle des kleinen Schiffes heranzukommen. Ihr Gesicht war ganz groß auf dem Schirm zu sehen. Unwillkürlich sah sich Dalanja nach den Fremden um. Mussten sie nicht Mitleid bekommen, wenn sie diese angsterfüllten Augen sahen?

Die Männer beobachteten das Geschehen völlig ungerührt.

Dalanja wich zitternd zurück und blieb erst stehen, als sie die Wand in ihrem Rücken spürte. Hätten die Fremden sich an den Qualen ihrer Opfer geweidet, wäre das nicht halb so schlimm für das Kind gewesen wie diese maschinenhafte Aufmerksamkeit.

Das Beiboot startete, und die Projektion erlosch. Dalanja sah einen Mann auf sich zukommen. Schreiend presste sie sich an die Wand und hob abwehrend die Arme. Aber der Fremde deutete nur mit dem Finger auf sie, und jeder Widerstand in ihr zerbrach. Willenlos folgte sie dem Mann durch einen kaum sichtbaren Spalt in den nächsten Raum.

Ein kleinwüchsiger Mann, der nicht zu den glattgesichtigen Fremden gehörte, blickte ihr freundlich entgegen. »Setz dich«, sagte er mit heller Stimme. »Ich muss mit dir reden.«

 

Dalanja saß in einem großen bequemen Sessel. Vor ihr stand ein Tisch, und an den Wänden, die stabil und zuverlässig aussahen, standen Möbel. Dalanjas Angst legte sich ein wenig. Sie betrachtete den Mann auf der anderen Seite des Tisches und fand, dass er wie ein Terraner aussah. Aber er hatte zartblaue Fingernägel, und die Iris seiner Augen war ein violetter Ring, der wie aufgemalt schien. Immerhin wirkten diese Augen nicht so kalt und leblos wie die der anderen Fremden. Er musterte das Mädchen mit deutlichem Interesse.

»Ihr Kinder zerbrecht euch den Kopf darüber, warum wir euch in dieses Schiff gebracht haben, nicht wahr?«

Dalanja nickte vorsichtig.

»Ich heiße Alurus. Ich bin der Kommandant. Ich werde dir erklären, warum wir das alles tun müssen.«

Dalanja sah den Fremden zweifelnd an. Alurus war nur etwa eineinhalb Meter groß, er wirkte nicht sehr kräftig. Er sollte der Kommandant sein? Ihm gehorchten die Fremden mit den toten Augen? Sie konnten – davon war Dalanja überzeugt – diesen Mann mit einer Hand davontragen!

Vielleicht waren doch alle Roboter.

Sie fragte Alurus danach. Er lächelte nachsichtig.

»Du würdest es nicht verstehen«, behauptete er. »Sie sind keine Roboter, aber auch keine Menschen, wie du sie kennst. Du wirst vieles lernen, ehe du in unsere Welt kommst, und dort wird dir noch mehr begegnen, was dir fremd ist.«

»Von welcher Welt redest du?«, fragte Dalanja schüchtern.

»Von der Erde«, erklärte Alurus amüsiert.

»Aber ...«

»Von der Erde in einer anderen Zeit. Wir kommen aus der Zukunft, Dalanja. Du und die anderen Kinder – ihr werdet uns in diese Zukunft begleiten.«

»Aber warum? Was sollen wir da? Wenn du uns sowieso zur Erde zurückbringst – warum lässt du uns dann nicht in unserer Zeit?«

Alurus seufzte. »Ihr Kinder bildet eine große Gefahr für unsere Erde«, sagte er geduldig. »Wir dürfen euch nicht hierlassen. Wenn wir es tun, verurteilen wir die Menschheit zum Untergang.«

Dalanja sah ihn verständnislos an. Eine Gefahr für die Menschheit sollte sie sein? Und nicht nur sie – Denver, Saja, Jed, sogar der kleine Bobby ...

»Wir tun niemandem etwas«, sagte sie ärgerlich. »Das ist ein ganz großer Schwindel ...«

Sie stockte, denn ihr fielen die Geschichten ein, die die Erwachsenen sich über allerlei Mutanten erzählten. Hatte man sie nicht getestet, als sie noch kleiner war? Sie war sicher, dass sie keine ungewöhnlichen Fähigkeiten besaß.

»Du hast auf gewisse Weise recht«, murmelte Alurus zu ihrer Überraschung. »Du und die anderen – ihr seid noch ganz harmlos. Sieh mal, Dalanja, es gibt Entwicklungen, die erkennt man anfangs nicht. Euch hält man auf der Erde für ganz normale Kinder, und das ist auch richtig. Aber ihr werdet Eltern sein, eines Tages, und eure Kinder ...« Alurus unterbrach sich jäh. »Ich kann über Einzelheiten nicht sprechen. Meine Aufgabe besteht darin, euch aus dieser Zeit zu entfernen. Wir sind keine Bestien, Dalanja. Ihr werdet es gut bei uns haben. Euch wird nichts geschehen, denn ihr seid nicht schuld an dem, was uns in der Zukunft bedroht. Wahrscheinlich wird schon eure Entführung eine Änderung bewirken. Es mag sein, dass wir eine ganz neue Welt vorfinden, wenn wir die Zeit übersprungen haben. Auf jeden Fall bleibt uns kein anderer Ausweg. Es wird dafür gesorgt, dass ihr eure Eltern bald vergesst.«

Dalanja war wie betäubt. Sie hörte Alurus zu, aber ihre Gedanken liefen wild durcheinander. Vor allem war sie überzeugt, dass Alurus ihr eine faustdicke Lüge auftischte.

»Unsere Eltern«, flüsterte sie. »Sie werden sehr traurig sein. Wenn wir ihnen wenigstens sagen könnten, was los ist ...«

Alurus lächelte strahlend. Das kam so unerwartet, dass Dalanja erschrak. »Auch daran haben wir gedacht!«, versicherte er eifrig.

Ehe Dalanja ihm weitere Fragen stellen konnte, wurde es dunkel um sie herum. Als hätte jemand in ihrem Gehirn einen Schalter betätigt.

2.

 

 

»Du Schnüffler!«, zischte San Tharpo und drückte mit dem Messer fester zu.

Bursto hielt den Atem an. Warum kam niemand, der diesen Irren zurückhielt? Er hatte gesehen, dass die Männer aus Terrania Waffen trugen. Ein Paralysatorschuss würde ihn retten.

Zeit gewinnen, dachte Bursto. Verzweifelt bewegte er die Lippen.

»Du willst reden, wie?«, fragte Tharpo höhnisch. »Schlage dir das aus dem Kopf. Im Reden sind Leute wie du groß. Ihr dreht einem das Wort im Munde herum, und ehe man es merkt, ist aus Schwarz Weiß geworden.«

Nun, dann nicht! Bursto kämpfte gegen die Todesangst an. Aber wenn du so fest entschlossen bist, mich umzubringen – warum tust du es nicht endlich?

»Dich werde ich opfern!«, flüsterte Tharpo. »Kali verlangt Blut. Ihr denkt, der alte San ist restlos übergeschnappt, nicht wahr? Aber ich weiß alles über Kali und den Kult. Mein Vater erzählte mir davon, wie sein Vater es früher erzählt hat. Einer meiner Ahnen war der letzte Priester hier. Das hast du nicht gedacht, wie?«

Burstos Gedanken hätten das Verfahren sicher drastisch verkürzt, wären sie dem Vater der kleinen Dalanja bekannt gewesen. Bursto dachte nämlich, dass Tharpos Geschichte nur eines bewies: dass Dummheit sich vererbte.

Sie lebten nicht auf irgendeinem hinterwäldlerischen Planeten. Auch wenn ein paar Leute sich dazu hatten hinreißen lassen, diesen Unsinn mitzumachen – bei einem Menschenopfer hörte der Spaß auf. Spätestens dann mussten alle zur Vernunft kommen und Tharpo daran hindern, seinen Irrsinn zu realisieren.

Draußen wurde es laut. Bursto hörte die fanatische Menge schreien, Schüsse zischten. »Das sind die anderen Schnüffler«, flüsterte Tharpo triumphierend.

Ein Mann erschien in der Tür.

»Wir haben es geschafft!«, rief er freudig. »Sie konnten keine Warnung abgeben.«

Das nützt euch auch nichts, dachte Bursto. Die Behörden wissen, wo alle abgeblieben sind.

Tharpo nahm endlich das verflixte Messer weg. »Hol ein paar von den anderen!«, befahl er. »Diesen Kerl und die Frau bringt ihr gleich in die Stupa hinüber. Aber macht es unauffällig!«

Selna protestierte mit keinem Laut, als gleich darauf ein halbes Dutzend kräftige Männer sie in die Mitte nahmen und hinausführten.

Tharpo beobachtete düster seine Tochter.

»Wo ist Mutter?«, fragte Desina plötzlich.

»Ich musste sie einsperren«, erklärte der Farmer gelassen.

»Dann bring mich zu ihr.«

»Warum?«

Desina sah ihren Vater voller Abscheu an. »Weil ich mit diesen Dingen nichts zu tun haben will!«, sagte sie scharf. »Auf diese Weise kannst du Dalanja nicht helfen. Sie wird nicht zurückkommen, nur weil du die komische Statue anjammerst.«

»Du glaubst nicht an die Macht der Kali?«

Bursto wagte kaum zu atmen. Er hoffte, dass das Mädchen sich besann und wenigstens zum Schein auf Tharpos Hirngespinste einging. Aber Desina sagte laut und deutlich: »Nein, ich glaube nicht daran.«

Sekundenlang blieb es sehr still. Dann nickte Tharpo. »Das macht nichts«, versicherte er. »Kali wird dir verzeihen. Bei Sonnenuntergang werde ich ihr das Opfer übergeben. Dann werden wir ja sehen, wer recht behält.«

Die Männer kamen zurück und holten Bursto ab. Wie Selna ging er ebenfalls widerstandslos mit ihnen. Sie waren ohnehin in der Übermacht. Er hoffte, dass sie ihn wenigstens nicht fesselten, solange er sich nicht zur Wehr setzte.

Sie brachten ihn zu dem alten Gemäuer. Unter der Kuppel lag ein fantastisch ausstaffierter Kultraum, daneben eine kleine Kammer – vermutlich hatte sie früher dazu gedient, die Opfergaben gutgläubiger Stupa-Besucher aufzunehmen. In diese Kammer sperrten die Männer Bursto, und damit er nicht weglaufen konnte, banden sie ihm Hände und Füße. Selna wartete bereits auf ihn. Auch sie war gefesselt.

»Die scheinen uns für Teleporter zu halten.« Bursto betrachtete die uralten Steinwände. Durch die wenigen Ritzen hätte nicht einmal eine Maus entwischen können.

»Wir haben keine Chance mehr«, sagte Selna niedergeschlagen. »Als Tharpo sich auf dich stürzte, hätte ich ihm etwas über den Schädel schlagen sollen. Vielleicht hätte ich es geschafft.«

Bursto verzog das Gesicht. »Vielleicht auch nicht ... Dann wäre ich jetzt schon tot. Verdammt, er kann uns doch nicht einfach abschlachten! Er riskiert Kopf und Kragen dabei.«

»Das mag sein, aber uns hilft das nicht weiter.«

»Er wollte zuerst nur mich opfern.«

»Wer weiß, warum er es sich anders überlegt hat«, murmelte Selna. »Kriegst du die Fesseln auf?«

»Sieht nicht so aus. Aber wir müssen es versuchen. Roll dich herum, damit ich an deine Knoten herankomme.«

Sie wussten beide, dass es zwecklos war, aber sie verloren kein Wort darüber. Die Männer hatten dünne Kunststoffschnüre verwendet, die sich nicht durchschaben ließen. Zudem saßen die Knoten so fest, dass Bursto sie selbst unter anderen Bedingungen nur schwer hätte lösen können. Wenn er wie jetzt blind daran herumtastete, konnte es ihm niemals gelingen.

Der Raum wurde von einer matten Lampe erhellt, die auf einer steinernen Konsole stand. Bursto überzeugte sich davon, dass sich auch mit der Lampe nichts anfangen ließ. Sie stand zu hoch, als dass er sie hätte herunterstoßen können.

Die Zeit verging unendlich langsam. Bursto wünschte sich den Abend herbei, nur damit dieses entnervende Warten endlich ein Ende fand.

Als die Tür jedoch aufgestoßen wurde und Tharpo kam, den blitzenden Dolch in der Hand, da wünschte sich der Reporter, er hätte jede Sekunde dieses schrecklichen Tags bewusst erlebt. Er starrte Tharpo an und erkannte den Wahnsinn in den Augen des Mannes.

 

Ungefähr zur selben Zeit verfolgte Julian Tifflor eine Zusammenfassung der wichtigsten Neuigkeiten des Tages. Homer G. Adams war bei ihm.

Terra schien sich über Nacht in ein Tollhaus verwandelt zu haben. In der Bevölkerung gärte es, überall kam es zu Unruhen. Menschen versammelten sich, und viel zu oft fanden sich aufpeitschende Redner. Uralte Mythen wurden aus den dunkelsten Winkeln der Geschichte gezerrt und gewannen mit atemberaubender Geschwindigkeit neue Anhänger.

»Es ist nicht zu fassen«, sagte Adams.

»Es gab so etwas schon oft, und das nicht nur auf Terra«, murmelte Tifflor.

»Aber es geht sonst nicht so schnell! Solche Entwicklungen brauchen Zeit. Die Menschen werfen nicht binnen weniger Stunden ihre Überzeugungen über Bord.«

»Offenbar doch. Es liegt an diesen UFOs. Wir hätten die Sache mit den entführten Kindern besser geheim halten sollen.«

»Die Angehörigen der Kinder hatten schon mit zu vielen Leuten darüber gesprochen. Nein, Tiff, in einem solchen Fall kann man nur mit offenen Karten spielen.«

Der Erste Terraner ging unruhig auf und ab. »Wenn wir wenigstens wüssten, woher diese UFOs kommen. Wenn wir einen Anhaltspunkt hätten ...«

»Die Menschen haben sich über die Flugobjekte schon einmal den Kopf zerbrochen und keine Lösung gefunden.«

»Damals hatte niemand eine Ahnung davon, wie viele Planeten tatsächlich intelligentes Leben tragen und welch hoch entwickelte Technik manche Völker da draußen haben ... Außerdem wurde das Ganze ohnehin in den meisten Fällen als Spinnerei abgetan. Offiziell glaubte man nicht an die UFOs, darum gab es sie nicht, basta. Wir wissen es heute besser. Wir können die Wahrheit herausfinden, wenn wir uns nur Mühe geben und die Fremden uns etwas Zeit lassen.«

Mittlerweile gab es sehr viel Bildmaterial. Die Aufnahmen zeigten leuchtende Kugeln oder Sphären mit unscharfen Konturen. Die eigentlichen Flugkörper blieben offensichtlich hinter einem undurchdringbaren Energieschirm verborgen.

»Gegen jede Art von Ortung sind sie immun«, sagte Adams nach einer Weile. »Wir wissen nicht mal, aus welcher Richtung sie kommen.«

Tifflor sah überrascht auf. »Einfaches Radar kann sie erfassen. Das habe ich erst vor einer Stunde erfahren. Aber es funktioniert nicht sehr zuverlässig. Die Schiffe hinterlassen nur winzige Reflexe und verschwinden so schnell, dass ihr Kurs nicht einmal ansatzweise bestimmt werden kann.«

»Immerhin – wo wurden sie geortet?«

»Nur in der Nähe der Erde. Es ist wie verhext. Einer von diesen Fanatikern da draußen behauptet, die UFOs kämen gar nicht aus dem Weltraum, sondern von der Erde selbst, und zwar aus der Zukunft.«

Adams sah verblüfft auf. »Das klingt sogar ganz plausibel.«

»Spekulationen!« Tifflor winkte ab. »Damit können wir nichts anfangen. Wir müssen die Dinger ohne Vorurteile unter die Lupe nehmen. Ich habe veranlasst, dass dieser Reporter herkommt, der sich zuerst mit den UFOs beschäftigt hat. Er scheint ein intelligenter Mensch zu sein.«

Adams lächelte verständnisvoll. »Du hast ein schlechtes Gewissen«, stellte er fest. »Du hast ihm eine gute Story verdorben und willst den Schaden ausbügeln.«

»Richtig. Aber in erster Linie will ich hören, was Gyder Bursto sich noch alles über die UFOs zusammengereimt hat – ich meine die Einzelheiten, die er nicht veröffentlichen konnte.«

»Ich möchte dabei sein, wenn du mit ihm sprichst.«

»Er müsste längst hier sein.«

»Wo hielt er sich zuletzt auf?«, fragte Adams.

»Irgendwo in Indien ...«

»Hast du genauere Angaben?«

Tifflor nickte.

»Das ist seltsam ...«, sagte Adams gedehnt. »Wenn ein Reporter nach Imperium-Alpha gebeten wird, hat er es normalerweise sehr eilig, uns auf die Nerven zu gehen. Ich finde, du solltest dich um den Verbleib dieses Mannes schleunigst kümmern.«

Julian Tifflor blieb abrupt stehen. »Du hast recht.« Er seufzte. »Mir scheint, diese UFOs haben tatsächlich einen verheerenden Einfluss auf den menschlichen Verstand. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?«

Kurz darauf wusste er, dass nicht nur Bursto überfällig war. Mehrere Spezialisten, die zu einem der angeblichen UFO-Landeplätze in Indien geschickt worden waren, meldeten sich ebenfalls nicht mehr.

 

San Tharpo trat auf Selna zu und streckte die Hand mit dem Dolch aus. Die Lornsiterin zuckte zusammen.

»Es ist noch nicht so weit.« Tharpos Stimme klang ruhig. Er schnitt die Fesseln beider Gefangenen durch.

Bursto krümmte sich, um den Farmer anzuspringen. Aber dann knickten die Beine unter ihm ein. Stöhnend blieb er liegen.

»Ich habe nichts gegen Sie persönlich.« Tharpo redete weiter, als wäre nichts geschehen. »Es ist reines Pech für Sie, dass Sie mir über den Weg gelaufen sind. Aber ich verspreche Ihnen, dass es schnell gehen wird. Ich will Sie nicht quälen.«

Bursto starrte den Mann hasserfüllt an.

»Auf diese Weise werden Sie keine Gelegenheit erhalten, mit Ihrer Tochter zusammen zu sein«, sagte Selna bedächtig. »Ihnen wird der Prozess gemacht, Tharpo.«

»Das ist mir klar«, erwiderte der Farmer gelassen. »Aber mein eigenes Schicksal ist mir gleichgültig. Mir geht es nur um Dalanja. Wenn Sie Kinder hätten, könnten Sie mich verstehen.«

»Das bezweifle ich«, murmelte Bursto.

»Fühlen Sie sich jetzt stark genug, mich nach draußen zu begleiten?«, fragte Tharpo höflich.

Bursto schüttelte den Kopf. »Denken Sie wirklich, wir würden freiwillig mit Ihnen gehen?«

»Sterben müssen Sie sowieso.«

Der Reporter spürte, wie das Blut in die abgeschnürten Adern zurückkehrte. Wenn er Tharpo noch hinhalten konnte, gab es vielleicht eine Chance für Selna und ihn. »Ich mag nicht geopfert werden. Weder Ihrer Kali noch sonst jemandem.«

»Kommen Sie jetzt!«, befahl Tharpo. »Sie machen es sich nur unnötig schwer.«

»Und wennschon – wir haben nichts mehr zu verlieren.«

Bursto erwartete, dass Tharpo seine Helfer rufen würde. Aber der Farmer drehte seinen Dolch zwischen den Fingern und betrachtete die beiden Opfer ziemlich ratlos. Bursto fragte sich verzweifelt, worauf Tharpo wartete. Er fühlte, dass sich hinter dessen Zögern der Schlüssel zur Freiheit verbarg.

Seine Hände und Füße waren schon nicht mehr so gefühllos. Bursto wartete auf eine Chance, den Farmer zu überwältigen. Er musterte ihn unauffällig, und da sah er den Umriss eines kleinen Paralysators in dessen Jackentasche. Gleichzeitig tastete Tharpo mit der linken Hand nach dieser Waffe.

»Das hat keinen Sinn!«, sagte Bursto scharf. »Was soll Kali von Ihnen halten, wenn Sie zwei paralysierten Opfern die Kehle durchschneiden – das ist kein würdiges Opfer, oder?«

Tharpo wirbelte herum, als er eine Bewegung sah, aber Burstos Kommentar hatte ihn vorübergehend abgelenkt. Er reagierte zu spät. Selnas rechte Handkante traf ihn im Genick. Tharpo brach zusammen, der Dolch klirrte auf den Steinboden.

Bursto richtete sich langsam auf. Er sah zur Tür – niemand kam, um nach Tharpo zu sehen.

»Entweder sind sie alle weggelaufen, oder Tharpo wollte keine Zeugen bei der Opferung«, sagte Selna leise.

»Letzteres«, murmelte Bursto. »Er hat sich selbst in die Falle manövriert und hätte uns die Fesseln nicht abnehmen dürfen. Seiner Meinung nach wäre unser Tod nur drüben vor der Statue sinnvoll gewesen – und wir mussten bei Bewusstsein sein.« Schaudernd hob er den Dolch auf und legte ihn neben die Lampe. »Tharpo ist zweifellos verrückt.«

Selna hatte ein paar Schnüre entdeckt. Bursto half ihr, Tharpo zu fesseln.

»Was machen wir mit ihm?«, fragte er ratlos.

»Wir verschwinden hier und benachrichtigen eine Ambulanz ... Tharpo gehört in die Hände von Ärzten – die Polizei könnte ihm nicht helfen.«

Sie schlichen in die Stupa. Durch die offene Tür drangen ferne Stimmen herein. Selna stolperte in der Finsternis. Bursto hielt sie fest. »Still!«, zischte er. »Da ist etwas!«

Vor der Tür raschelte es in den Bohnenstauden. Augenblicke später schob sich eine schmale, dunkle Gestalt ins Innere der Stupa. Bursto sah für einen Augenblick ein metallisches Glänzen. Er zog Selna neben sich auf den Boden herab, und sie lauerten mit angehaltenem Atem nahe der Wand auf den Schatten, der mit unsicheren Schritten näher kam. Gegen die hellere Tür erschien ihnen die Gestalt größer, als sie in Wirklichkeit war.

Der oder die Fremde ging an ihnen vorbei, ohne etwas zu merken. Die Tür zu der Kammer wurde aufgestoßen, und im herausfallenden Licht erkannten sie endlich Tharpos ältere Tochter. Desina stieß einen erschrockenen Laut aus, als sie ihren Vater gefesselt am Boden liegen sah.

Bursto trat blitzschnell hinter sie und hielt sie fest. Selna durchsuchte das Mädchen, aber Desina hatte keine Waffen bei sich.

»Was soll das?«, fragte Desina ärgerlich. »Ich komme, um Ihnen zu helfen, aber Sie ...«

»Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht«, wurde sie von Bursto unterbrochen. »Wollten Sie uns wirklich helfen? Ohne Waffe?«

Desina zuckte mit den Schultern.

»Wo sind die anderen?«, fragte Selna.

»Beim Haus. Mein Vater hat ihnen die Rückkehr des fremden Raumschiffs versprochen. Sie sollten nur still warten, sagte er, während er in der Stupa mit Kali sprechen wolle. Noch vor Mitternacht werde das Schiff kommen und Dalanja zurückbringen.«

»Können Sie uns einen Weg zeigen, auf dem wir ungesehen zu unserem Gleiter gelangen?«

»Kommen Sie.«

Bursto und Selna folgten Desina nach draußen. Das Mädchen führte sie in weitem Bogen durch die Felder.

Sie hatten kaum die halbe Strecke zurückgelegt, da blieb der Reporter jäh stehen. Selna prallte gegen seinen Rücken, und Desina sah sich verwundert um.

Bursto starrte in den dunklen Himmel hinauf. Er erinnerte sich daran, wie es gewesen war, als er zum ersten Mal diese merkwürdigen Flugkörper gesehen hatte. Auch zu dem Zeitpunkt war eine unerklärliche Angst in ihm aufgestiegen. Er sah die Sterne und hielt Ausschau nach einem, der sich bewegte oder die Farbe änderte. Aber er fand nichts.

»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Selna.

Ein dünnes Sirren hing in der Luft. Es schwoll an. Alle drei hörten es und hasteten von Panik erfüllt davon. Bursto glaubte zu spüren, wie sich etwas auf ihn herabsenkte, wie die Luft zusammengepresst wurde, bis er kaum noch atmen konnte. Tränen schossen ihm in die Augen und er stolperte halb blind zwischen den hohen Pflanzen dahin. Seine Flucht fand ein jähes Ende, als er auf dem feuchten Boden ausglitt und stürzte.