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Nr. 94

 

Die Kaiserin von Therm

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Mit dem Generationenraumschiff SOL reisen Perry Rhodan und der Arkonide Atlan auf wichtiger Mission durch das Universum: Sie suchen die Erde und den Mond, die es auf ihrer beispiellosen Odyssee in eine fremde Region des Kosmos verschlagen hat. Dabei treffen sie auf die Kaiserin von Therm, eine so genannte Superintelligenz, deren Entstehung auf ein kosmisches Ereignis vor Jahrmillionen zurückzuführen ist.

 

Diese Begegnung wird zum Prüfstein für die Besatzung der SOL. Als Perry Rhodan und seine Gefährten aber nach langem Flug endlich ihr Ziel erreichen, finden sie die Heimatwelt der Menschheit entvölkert vor. Zwanzig Milliarden Menschen, bis vor kurzem im Bann der Aphilie gefangen, sind spurlos verschwunden; statt dessen beherrscht nun eine fremde Macht die Erde.

 

Allein auf dem Planeten Intermezzo, wenige Lichtjahre entfernt, verbirgt sich noch menschliches Leben: Dorthin sind Alaska Saedelaere und eine Hand voll Überlebender geflohen. Perry Rhodan erkennt, dass die SOL zwischen die Fronten der Auseinandersetzung kosmischer Mächte geraten ist – er nimmt den Kampf gegen die Kleine Majestät auf, die Terra beherrscht ...

Vorwort

 

 

Das Leben auf unserer guten alten Erde ist schon sehr vielfältig. Dabei überblicken wir lediglich einen zeitlich äußerst begrenzten Ausschnitt, eigentlich nur wenige Jahrtausende von gut einer halben Milliarde Jahren. Trotzdem wissen wir, wenn auch sicher nicht umfassend, welche Geschöpfe einst auf unserem Planeten lebten. Vor allem Fossilien verraten es uns. Die Dinosaurier sind zweifellos die bekannteste Lebensform; welches Kind wäre von diesen Giganten der Urzeit nicht fasziniert, und sei es nur, weil sie mit Kraft und Größe ein hervorragendes Monsterbild abgeben.

Ob Leben nun zwei Beine hat, vier, sechs oder noch mehr ... ob Haut und Haare, Schuppen oder ein Federkleid ... ob dieses Leben blind ist, weil es lichtlose Höhlen nie verlässt, ob es sich mit Hilfe von Ultraschall orientiert oder wie wir Menschen über ein räumliches optisches Sehvermögen verfügt – die Frage stellt sich, ob die Schöpfung damit schon ihr gesamtes Potenzial ausgereizt hat.

Zweifellos nicht. Futuristische Künstler und Science-fiction-Autoren zeigen uns eine breite Palette der absonderlichsten Lebensformen – nein: Formen, die für unser Selbstverständnis absonderlich erscheinen, die draußen im Weltall jedoch völlig normal sein mögen. Da ist dann Leben, das in der Gluthitze einer Sonnenkorona existiert, ebenso vertreten wie der im Vakuum des Weltraums schwebende höhere Organismus. Da gibt es ätherische Intelligenzen und zugleich die planetenumspannende, starr ortsgebundene Kreatur. Dass organisches Leben keineswegs an Sauerstoff gebunden sein muss, erleben wir ja schon auf der Erde in vielfältiger Weise.

In der PERRY RHODAN-Serie beginnt mit diesem Buch ein neuer und spannender Handlungsabschnitt, der eigentlich nahtlos an den vorangegangenen Zyklus anschließt, aber dennoch eigenständig ist. Wir haben schon von der Kaiserin von Therm gelesen und von BARDIOC, zwei Superintelligenzen. Aber wir wissen bislang nichts über deren Aussehen.

Wie also sollen wir uns Superintelligenzen vorstellen? Humanoid? Das wohl kaum. Der Mensch neigt jedenfalls dazu, alles Fremde erst einmal in

bekannte Schemata einzuordnen, und so werden neue Begegnungen stets mit Altbekanntem verglichen. Weil etwas, das man beschreiben kann, leichter zu begreifen ist. Die Frage stellt sich, ob es in seinen Eigenheiten damit auch leichter verstanden werden kann. Das bleibt nämlich zu bezweifeln.

Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die Keime des Lebens einst aus dem Weltraum auf die Erde gelangten. In diesem Buch erleben wir eine ähnliche Historie, die zur Entstehung intelligenten Lebens führt, eines Lebens, das ganz anders ist, als wir es kennen.

Aber blättern Sie einfach weiter und lassen Sie sich für viele Stunden in eine andere und ferne Welt entführen.

Die in diesem Buch enthaltenen Originalromane sind: Die Kaiserin von Therm (800) und Sirenen des Alls (801) jeweils von William Voltz; Planet der toten Kinder (802) von Clark Darlton; Stätte der Vergessenen (803) von Ernst Vlcek; Der Zeithammer (804) und Flucht von Intermezzo (805) jeweils von Kurt Mahr sowie Der Marsianer und der MV (806) und Der Kampf um Terra (807), beide von H. G. Ewers geschrieben.

 

Hubert Haensel

Zeittafel

 

 

1971/84 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest. Mit Hilfe der arkonidischen Technik gelingen die Einigung der Menschheit und der Aufbruch in die Galaxis. Geistwesen ES gewährt Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit. (HC 1–7)

2040 – Das Solare Imperium entsteht und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar. In den folgenden Jahrhunderten folgen Bedrohungen durch die Posbis sowie galaktische Großmächte wie Akonen und Blues. (HC 7–20)

2400/06 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Völker vom Terrorregime der Meister der Insel. (HC 21–32)

2435/37 – Der Riesenroboter OLD MAN und die Zweitkonditionierten bedrohen die Galaxis. Nach Rhodans Odyssee durch M 87 gelingt der Sieg über die Erste Schwingungsmacht. (HC 33–44)

2909 – Während der Second-Genesis-Krise kommen fast alle Mutanten ums Leben. (HC 45)

3430/38 – Das Solare Imperium droht in einem Bruderkrieg vernichtet zu werden. Bei Zeitreisen lernt Perry Rhodan die Cappins kennen. Expedition zur Galaxis Gruelfin, um eine Pedo-Invasion der Milchstraße zu verhindern. (HC 45–54)

3441/43 – Die MARCO POLO kehrt in die Milchstraße zurück und findet die Intelligenzen der Galaxis verdummt vor. Der Schwarm dringt in die Galaxis ein. Gleichzeitig wird das heimliche Imperium der Cynos aktiv, die am Ende den Schwarm wieder übernehmen und mit ihm die Milchstraße verlassen. (HC 55–63)

3444 – Die bei der Second-Genesis-Krise gestorbenen Mutanten kehren als Bewusstseinsinhalte zurück. Im Planetoiden Wabe 1000 finden sie schließlich ein dauerhaftes Asyl. (HC 64–67)

3456 – Perry Rhodan gelangt im Zuge eines gescheiterten Experiments in ein paralleles Universum und muss gegen sein negatives Spiegelbild kämpfen. Nach seiner Rückkehr bricht in der Galaxis die PAD-Seuche aus. (HC 68–69)

3457/58 – Perry Rhodans Gehirn wird in die Galaxis Naupaum verschlagen. Auf der Suche nach der heimatlichen Galaxis gewinnt er neue Freunde. Schließlich gelingt ihm mit Hilfe der PTG-Anlagen auf dem Planeten Payntec die Rückkehr. (HC 70–73)

3458/60 – Die technisch überlegenen Laren treten auf den Plan und ernennen Perry Rhodan gegen seinen Willen zum Ersten Hetran der Milchstraße. Rhodan organisiert den Widerstand, muss aber schließlich Erde und Mond durch einen Sonnentransmitter schicken, um sie in Sicherheit zu bringen. Doch sie rematerialisieren nicht am vorgesehenen Ort, sondern weit entfernt von der Milchstraße im »Mahlstrom der Sterne«. Den Terranern gelingt es nur unter großen Schwierigkeiten, sich in dieser fremden Region des Universums zu behaupten. (HC 74–80)

3540 – Auf der Erde greift die Aphilie um sich, die Unfähigkeit des Menschen, Gefühle zu empfinden. Perry Rhodan, die Mutanten und andere gesund Gebliebene beginnen an Bord der SOL eine Reise ins Ungewisse – sie suchen den Weg zurück in die Milchstraße. (HC 81)

3578 – In Balayndagar wird die SOL von den Keloskern festgehalten, einem Volk des Konzils der Sieben. Um der Vernichtung der Kleingalaxis zu entgehen, bleibt der SOL nur der Sturz in ein gewaltiges Black Hole. (HC 82–84)

3580 – Die Laren herrschen in der Milchstraße, die freien Menschen haben sich in die Dunkelwolke Provcon-Faust zurückgezogen. Neue Hoffnung keimt auf, als der Verkünder des Sonnenboten die Freiheit verspricht. Lordadmiral Atlan sucht die Unterstützung alter Freunde, die Galaktische-Völkerwürde-Koalition (GAVÖK) wird gegründet. (HC 82, 84, 85)

Auf der Erde im Mahlstrom zeichnet sich eine verhängnisvolle Entwicklung ab. (HC 83)

3581 – Die SOL erreicht die Dimensionsblase der Zgmahkonen und begegnet den Spezialisten der Nacht. Um die Rückkehr zu ermöglichen, dringt ein Stoßtrupp in die Galaxis der Laren vor und holt das Beraghskolth an Bord. (HC 84, 85) Nur knapp entgeht die SOL der Vernichtung; die Entstehung des Konzils wird geklärt. (HC 86) Monate nach der SOL-Zelle-2 erreicht Perry Rhodan mit der SOL die Milchstraße und wird mit einer falschen MARCO POLO und dem Wirken eines Doppelgängers konfrontiert. Die Befreiung vom Konzil wird vorangetrieben. (HC 87, 88)

Im Mahlstrom halten der geheimnisvolle Plan der Vollendung und die PILLE die Menschen im Griff. Die Erde stürzt in den »Schlund«. (HC 86)

3582 – Alaska Saedelaere gelangt durch einen Zeitbrunnen auf die entvölkerte Erde (HC 88) und gründet mit einigen wenigen Überlebenden der Katastrophe die TERRA-PATROUILLE. (HC 91)

Die SOL fliegt aus der Milchstraße zurück in den Mahlstrom der Sterne (HC 89) und erreicht die Heimatgalaxis der Feyerdaler, Dh'morvon. Über die Superintelligenz Kaiserin von Therm eröffnet sich eine Möglichkeit, die Spur der verschwundenen Erde wiederzufinden. (HC 90, 91)

Die Inkarnation CLERMAC erscheint auf der Heimatwelt der Menschen, und das Wirken der Kleinen Majestät zwingt die TERRA-PATROUILLE, die Erde zu verlassen. (HC 93)

3583 – Die SOL erreicht das MODUL und wird mit dem COMP und dem Volk der Choolks konfrontiert. (HC 92)

In der Milchstraße machen die Laren Jagd auf Zellaktivatoren, um ihre Gegner endlich auszuschalten. (HC 93)

Prolog

 

 

Das Jahr 3583 n. Chr. hält vielfältige Veränderungen bereit ...

Hinter den Menschen liegt die schwerste Krise ihrer ohnehin bewegten Geschichte. Das Solare Imperium existiert schon lange nicht mehr, und die Menschheit wurde sehr viel weiter im Kosmos verstreut, als dies noch vor wenigen Jahrzehnten für denkbar gehalten worden wäre. Ob in der heimischen Milchstraße, im Mahlstrom der Sterne oder in fernen Galaxien, der Anschein verdichtet sich, dass Höhere Mächte ein Spiel begonnen haben, in dem Terraner nur Figuren sind.

Die SOL, Perry Rhodans Fernraumschiff, folgt dem verschollenen Heimatplaneten. In der Galaxis Dh'morvon, in der das Volk der Feyerdaler die beherrschende Rolle spielt, ergibt sich eine viel versprechende Spur. Dh'morvon gehört zur Mächtigkeitsballung der Kaiserin von Therm, einer Superintelligenz, über die Perry Rhodan und seinen Getreuen nichts bekannt ist außer dem Umstand, dass ausgerechnet sie mehr über das Schicksal der Erde zu wissen scheint.

Jetzt, im Jahr 3583 n. Chr., begegnen die Menschen der SOL erstmals der Kaiserin von Therm, und sie hoffen darauf, endlich die Koordinaten der Erde zu erhalten.

Dass die Kaiserin von Therm mit der Superintelligenz BARDIOC im Konflikt steht, scheint nicht Rhodans Problem zu sein. Er weiß noch nicht, dass die letzten Menschen der Erde von einer Inkarnation BARDIOCS bedroht werden. Die TERRA-PATROUILLE, der Alaska Saedelaere und Douc Langur, ein Forscher der Kaiserin von Therm, angehören, musste die Erde vor dem übermächtigen Gegner bereits verlassen.

Im Jahr 3583 n. Chr. naht die Entscheidung ...

Der Glaube, es gäbe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste aller Selbsttäuschungen.

Paul Watzlawick

 

Es wäre durchaus möglich, dass der nächste Schritt unserer Evolution die Entwicklung einer elektronischen Intelligenz sein wird und dass diese aus einem toten Planeten nur durch die Zwischenstadien organischen Lebens produziert werden konnte.

Lyall Watson

1.

 

Menschen I

 

 

Durch die Unendlichkeit des Weltraums bewegt sich ein Schiff. Sein Name ist SOL. Das Ziel des Schiffes ist die Kaiserin von Therm, obwohl es vorher geheißen hatte, die übermittelten Koordinaten seien mit denen der Erde identisch. Man wusste nun, dass dem nicht so war ...

 

 

Die Geschichte der Kaiserin von Therm

 

 

Vergangenheit I

Die tiotronische Totalkontrolle des Verkehrsnetzes auf Blosth machte angeblich eine Überlastung der Transportstrahlen unmöglich, aber die Wirklichkeit, mit der Archivverwalter Callazian jeden Morgen konfrontiert wurde, sah anders aus. Cryor-Strahl war jeden Morgen überbelegt. Seine Ausläufer mündeten in die mächtigen Kuppelbauten der Kommunikationszentren, spien täglich eine halbe Million Soberer an die Arbeitsplätze und saugten sie abends wieder ein. Der zweite Hauptstrahl, Drysor, war für den Privatbereich vorgesehen, doch sein Zustand erschien nicht weniger erbarmungswürdig. Die Wahrscheinlichkeit, über Drysor-Strahl in die Vergnügungsparks zu gelangen, war so gering, dass Callazian sich oft genug gefragt hatte, wer die vielen Millionen Soberer waren, die den Optimismus aufbrachten, Drysor-Strahl zu benutzen.

Außerdem existierten kleinere Nebenstrahlen. Wer sie benutzte, war jeden Morgen gezwungen, zwei Stunden früher aufzustehen, um das Ziel zu erreichen.

An diesem Morgen war Cryor-Strahl zusammengebrochen – ein kleiner technischer Defekt, hieß es in den Pflichtnachrichten; Callazian vermutete indes einen Sabotageakt –, was einen unerhörten Ansturm auf die Nebenstrahlen nach sich zog. An den Zugängen kam es zu chaotischen Ereignissen, und später wurde festgestellt, dass einhundertzwölf Soberer dabei den Tod fanden, von der Zahl der Verletzten ganz zu schweigen.

Callazian beobachtete das Gewimmel vor dem Zugang des Nebenstrahls seines Bezirks aus sicherer Entfernung. Es erschien ihm unvorstellbar, dass er in wenigen Minuten von dieser blind nach vorn drängenden Menge aufgesogen und mitgeschleppt werden könnte.

Er war ein mittelgroßer Geschlechtsloser ohne körperlichen Vorzug. Seine Bescheidenheit ließ ihn oft schwerfällig erscheinen, aber er besaß einen scharfen und analysierenden Verstand, der ihm gestattete, sich über die Anforderungen seines Berufs hinaus mit zahlreichen anderen Dingen zu beschäftigen. Callazian arbeitete in einer der Kommunikationszentralen, Abteilung Geschichte. Dort wurde mit Hilfe der Tiotroniken lückenlos zusammengetragen, was sich auf Blosth und den anderen Welten des soberischen Imperiums ereignete.

Die Sammlung war so umfassend, dass schon der Gedanke daran in Callazian ein Schwindelgefühl auslöste. Er bezweifelte, dass überhaupt ein Soberer in der Lage war, diesen Datenberg zu überblicken, geschweige denn ihn zu bearbeiten.

Der Archivverwalter ertappte sich dabei, dass er stehen blieb. Einige Soberer, die sich bei dem Ansturm auf den Nebenstrahl nach vorne drängten, verwünschten ihn, doch die meisten nahmen ihn gar nicht wahr.

Die tiotronischen Wände beidseits der Zugangsschneise plärrten ihre Nachrichten auf die Menge herab, und über dem Zugang blitzten die Lichter der Unterbewusstseinsinformationen für alle diejenigen, die ihre Pflichtnachrichten versäumt hatten. Kein denkendes Wesen gelangte uninformiert in die Zentren von Blosth.

Am Zugang staute sich die Menge sehr schnell zurück. Callazian wandte sich abrupt um und entfernte sich von dem Nebenstrahl. Dabei drängte sich ihm die Vision eines Stücks Treibholz auf, das stromaufwärts schwamm.

Er verließ die Schneise über eine Treppenplattform zum Wohnbezirk hinauf. Die Gebäude waren still, tiotronisch neutralisiert bis zum Abend.

Auf seinem Weg zurück zu seinem Wohnkessel begegneten Callazian zwei Informationsunwürdige: ein Kind und eine blinde alte Frau. Callazian hatte solche Soberer bislang nie beachtet, nun fragte er sich zum ersten Mal, was sie den ganzen Tag über trieben.

Entlang eines Wohnkessels bewegte er sich auf den freien Platz inmitten der Kesselgruppe zu. Vor ihm tauchte ein alter Geschlechtsloser auf. Seine Kleidung bestand aus einem einfachen Umhang und Schnürsandalen. Er hatte den gleichgültigen Gesichtsausdruck eines Informationsunwürdigen, blickte aber dennoch in Richtung der Schneise, schaute danach Callazian an und sagte verhalten: »Dort kommst du nicht mehr mit ...«

Der Archivverwalter überwand seine Abneigung. »Vorerst nicht«, gab er zu. »Ich werde es später noch einmal versuchen.«

»Die Tiotronik wird alle Strahlen zum üblichen Zeitpunkt abschalten.«

Callazian schwieg.

»Vielleicht kann ich dir helfen«, fuhr der alte Soberer gedehnt fort.

Dass ausgerechnet ein Informationsunwürdiger ihm Hilfe anbot, war Callazian peinlich. Er ging wortlos weiter.

Der Geschlechtslose folgte ihm. »Du glaubst nicht, dass ich dir helfen kann?«

»So ist es.«

»Ich könnte dich zu einer Bahn führen.«

»Jetzt habe ich genug!«, stieß der Archivverwalter hervor. »Es gibt keine Bahnen.«

»Bist du sicher?«

»Es gibt keine Informationen über funktionsfähige Bahnen, also können sie auch nicht existieren.«

»Und wenn ich dich hinführe?«

Ich muss verrückt sein, dass ich mir das anhöre!, dachte Callazian. Laut sagte er und hatte dabei Mühe, seinen Widerwillen zu unterdrücken: »Die tiotronische Information ist umfassend. Du musst krank sein, wenn du von Dingen sprichst, die nicht zur tiotronischen Ordnung gehören.«

Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinanderher, dann hatten sie den Wohnkessel erreicht, in dem Callazian lebte.

»Du wohnst hier?«, erkundigte sich der alte Soberer.

»Ja«, bestätigte der Archivverwalter widerwillig.

Hoch über ihnen leitete einer der täglich ankommenden Frachtraumer das Bremsmanöver ein. Der Triebwerkslärm ließ die Luft dröhnen und schien sogar noch tief in Callazians Leib nachzuschwingen, als schon längst nichts mehr zu hören war.

»Mein Name ist Kostroy«, sagte der Geschlechtslose unerwartet.

»Das ist eine Uninformation!«, versetzte Callazian ärgerlich.

»Das mag schon sein – aber ich heiße so.«

Sie sahen sich an, und Callazian hatte den Eindruck, dass er den anderen belustigte. Diese Feststellung war unerträglich und steigerte seinen Ärger.

»Ich nehm's dir nicht übel, dass du mir nicht glaubst«, meinte Kostroy leichthin. »Du lebst in der tiotronischen Ordnung und ignorierst die Dinge, die sich außerhalb ereignen.«

»Außerhalb der tiotronischen Ordnung herrscht Uninformation. Das bedeutet Willkür und Chaos.«

»Und dort?« Kostroy deutete in Richtung der Schneise.

»Eine technische Störung, die bald behoben sein wird.«

»Neben der tiotronischen Ordnung ist eine zweite Welt entstanden«, sagte Kostroy ernst. »Die Welt der Uninformation. Je gründlicher die tiotronische Ordnung wird, desto schneller breitet die Uninformation sich aus.«

»Bist du Philosoph?«

»Ich bin Wahrsager!«

»Ein Wahrsager.« Callazian riss empört die Augen auf. »Die tiotronische Ordnung ist überschaubar und wird geplant. Alles geschieht, was zu geschehen hat.«

»Wir haben die Kontrolle über unser tiotronisches Kommunikationssystem längst verloren«, sagte Kostroy traurig. »Die Tiotroniken funktionieren innerhalb des Rahmens, den sie sich selbst geschaffen haben; wir sind nur noch ihre Bediensteten. Die totale Information hat uns versklavt. Wir haben den Überblick verloren und uns einer unsoberischen Institution ausgeliefert.«

»Bist du auch ein Revolutionär?«, fragte Callazian bestürzt.

»Von deinem Standpunkt aus – wahrscheinlich. Aber es gibt keine Revolution, die uns retten könnte, denn sie wäre letztlich nur eine Reflexion unserer Zivilisation.«

Einer inneren Eingebung folgend, sagte Callazian spontan: »Führe mich zu der Bahn!«

»Ich wusste, dass du mitkommen würdest«, sagte Kostroy gleichmütig. »Als ich dich von der Schneise zurückkommen sah, war ich überzeugt davon. Du stehst im Begriff, das zu verlassen, was du die tiotronische Ordnung nennst.«

»Das ist absurd. Ich bin nur neugierig.«

»Neugierig – worauf? Alles ist bekannt; jeder ist umfassend informiert. Also bist du neugierig auf die Uninformation.«

Eine Kinderbande verließ den Wohnkessel. Callazian wurde damit einer Antwort enthoben. Die Halbwüchsigen schleppten Diebesgut auf den Platz und zündeten es an. Als sie sich zurückzogen, kamen Roboter, löschten das Feuer und transportierten die halb verkohlten Gegenstände davon. Danach reinigten sie den Platz.

Angewidert und fasziniert zugleich hatte Callazian den Vorgang beobachtet. Prompt fragte er sich, ob solche Dinge jeden Tag geschahen.

»Diese Kinder sind Verzweifelte, die sich gegen die herrschende Ordnung auflehnen«, sagte Kostroy leise.

»Informationsunwürdige und Diebe«, krächzte Callazian.

»Sie sind vergleichsweise harmlos«, widersprach Kostroy. Er blickte den Archivverwalter lauernd an. »Warum nennst du deinen Namen nicht?«

»Einem Informationsunwürdigen?« Nach einigem Zögern fügte er jedoch hinzu: »Callazian!«

»Hör mir zu, Callazian! Die angestrebte tiotronische Vollkommenheit ist nicht zu erreichen. Unser Volk wird dabei auf der Strecke bleiben. Hast du jemals miterlebt, wenn zwei Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen sich verständigen wollen? Sie sind nahezu hilflos, sie reden in verschiedenen Sprachen. Also sind sie dazu übergegangen, alles an die Tiotroniken weiterzugeben, die ihre Informationen koordinieren.«

»Woher weißt du das?«

»Ich war selbst Wissenschaftler, bevor ich das Alter der Informationsunwürdigen erreichte.« Kostroys trübe Augen bekamen etwas Glanz. »Allerdings bin ich über meinen derzeitigen Zustand nicht traurig. Die Uninformation gestattet einen besseren Überblick, ich kann Zusammenhänge wenigstens im Ansatz erkennen.«

»Es ist wichtig, über alles informiert zu sein!«, zitierte Callazian eine Regel der tiotronischen Ordnung.

»Es ist weit wichtiger, zu erkennen, welche Informationen von Bedeutung sind. Und man muss in der Lage sein, diese Unterscheidungen selbst treffen zu können.«

Kostroy setzte sich in Bewegung, Callazian folgte ihm. Sie überquerten den Platz und gingen zwischen zwei Wohnkesseln in einen anderen Bezirk hinüber. Zu dieser Stunde hätte Callazian schon im Archiv sein müssen. Außerdem war es Zeit für die zweiten Nachrichten.

»Was in der Bahn geschieht, wird dich erschrecken«, prophezeite Kostroy. »Du wirst erkennen, dass es neben der tiotronischen Ordnung eine andere Wirklichkeit gibt. Das ist nicht nur auf Blosth so, sondern auf allen Welten unseres Sternenreichs. Du wirst die Anzeichen des Untergangs erkennen.«

Callazian sah sein Gegenüber ungläubig an. »Vielleicht spielen sich im Bereich der Uninformation schlimme Dinge ab«, bestätigte er widerstrebend. »Von einem Untergang kann aber keinesfalls die Rede sein.«

Innerhalb des Durchgangs erschienen zwei alte Frauen mit Farbpistolen und schossen Parolen an die Gebäudefronten. Roboter warteten aber bereits, dass die Informationsunwürdigen wieder verschwanden, danach reinigten sie die Fassaden.

»Hast du das gelesen?«, erkundigte sich Kostroy.

»Wahnsinnsparolen!«

»Wir sind alle mehr oder weniger wahnsinnig. Trotzdem nimmt jeder für sich in Anspruch, normal zu sein. Die Verrückten sind immer die anderen.«

 

Blosth war der vierte von elf Planeten des Seerkosch-Systems und zudem die Hauptwelt des soberischen Sternenreichs in der Galaxis Golgatnur. Die Geschichte der Soberer reichte Millionen Jahre zurück, allerdings war der Start des ersten bemannten Weltraumschiffs zum fünften Planeten als Beginn der Zeitrechnung bestimmt worden.

Inzwischen schrieben die Soberer das Jahr 182.293, und niemand wusste genau zu sagen, wie viele Welten zum eigenen Sternenreich gehörten. Seit der Erfindung der Großrechner, der Tiotroniken, hatte die Zivilisation einen extremen Aufschwung erlebt. Innerhalb des Heimatsystems bestand die totale Kommunikation, gesteuert von einem Verbund von Tiotroniken auf allen Planeten, Monden, Raumstationen und Raumschiffen. Die Zentraleinheit stand auf Blosth.

 

Sie hatten die Wohnbezirke hinter sich gelassen und waren in das Gebiet stillgelegter Industrieanlagen gelangt. Die Großindustrie war längst auf die äußeren Welten des Seerkosch-Systems verlegt, wo die Umweltbelastung weniger bedrohlich erschien.

Callazian blieb beim Anblick der verfallenen Gebäude stehen. Er hatte den eigentlichen Lebensbereich der Soberer auf Blosth noch nie verlassen. »Wir begeben uns in das Gebiet der Uninformation!«, stieß er erschrocken hervor.

»In die Slums«, korrigierte Kostroy sanft. »Sie haben immerhin den Vorteil, dass sie vom größten Teil der Nachrichten nicht erreicht werden.«

Callazian sah zwischen den Trümmern ärmliche Behausungen, die aus Überresten der Maschinenhallen und Verwaltungsgebäude entstanden waren.

»Hier leben nur noch wenige Soberer«, erklärte Kostroy. »Seit erkannt wurde, dass solche Gebiete den Keim für Revolutionen bergen, versucht man, Informationsunwürdige wieder in den Lebensbereich zu integrieren.«

Callazians schluckte ein paarmal. »Ich bin sicher, dass dies ein Gebiet für Studienzwecke ist«, sagte er.

Kostroy lachte. »Was nicht in die tiotronische Ordnung passt, wird aus dem Kommunikationsnetz ausgeklammert. Ist es nicht außerordentlich bequem, in solchen Fällen von Uninformation zu sprechen?«

Callazian dachte an die sauberen und kühlen Räume des Archivs, in denen er zu diesem Zeitpunkt gewöhnlich arbeitete. Sie erschienen ihm unendlich weit entfernt – in einer völlig anderen Welt.

Vorbei an zerbröckelten Mauern und von Unkraut überwucherten Hügeln drangen sie tiefer in das Gebiet der Uninformation ein. Kostroy bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit, die darauf schließen ließ, dass er öfter hierher kam. Ein paarmal sah Callazian andere Soberer, aber sie nahmen keine Notiz von ihnen.

Kostroy deutete auf eine zerfallene Brücke, die sich früher über zwei Industriebezirke gespannt hatte. »Auf der anderen Seite befindet sich der Eingang der Bahn!«

Callazian warf einen skeptischen Blick auf die zum Teil eingebrochene dunkelgraue Fläche.

»Keine Angst«, beruhigte ihn Kostroy. »Wir gehen unter der Brücke hindurch. Die Einsturzgefahr ist außerdem gering. Alle wichtigen Wege in diesem Gebiet werden regelmäßig kontrolliert.«

»Zweifellos von Robotern«, erwiderte Callazian erleichtert. Die Vorstellung, dass die Maschinen im Auftrag der Tiotroniken bis hierher kamen, hatte für ihn etwas Tröstliches. Doch Kostroy zerstörte seine Illusionen. »Von Informationsunwürdigen!«, sagte er bestimmt.

Mit einem Mal hatte Callazian den Eindruck, dass er nicht zufällig hier war. Er blieb stehen und ergriff Kostroy am Arm. »Du hast nur auf eine Gelegenheit gewartet, mich an diesen Ort zu bringen! Wahrscheinlich beobachtest du mich schon lange.«

»Das stimmt«, gab der andere unumwunden zu. Seine Offenheit überraschte Callazian.

»Was geht hier eigentlich vor? Soll ich entführt werden?«

»Das hatten wir ursprünglich vor.«

Dem Archivverwalter schoss das Blut in den Kopf. Die schwache innere Sicherheit, die er sich noch bewahrt hatte, schwand dahin. Er fragte sich, ob er fliehen sollte. Es war jedoch zweifelhaft, ob er das Gebiet der Uninformation aus eigener Kraft verlassen konnte.

»Inzwischen haben wir uns entschlossen, dich zu nichts zu zwingen«, fuhr Kostroy fort. »Du kannst jederzeit umkehren. Ich bitte dich jedoch, dir erst anzuhören, was wir vorhaben.«

»Wer ist wir?«

»Eine Gruppe verantwortungsbewusster Soberer, die sich Gedanken über die Zukunft unserer Zivilisation machen.« Kostroy lächelte, und dieses Lächeln verlieh seinem Gesicht einen beinahe übermütigen Ausdruck. »Keine Angst, mein Freund – wir planen keinen Umsturz. Die tiotronische Ordnung ist bereits so verfilzt, dass sie sich nicht mehr entwirren lässt. Und gewaltsame Lösungen würden den drohenden Untergang nur beschleunigen. Doch darüber können wir uns unterhalten, sobald wir am Ziel sind.«

Es waren weniger die Informationen, die Callazian beunruhigten, als die Selbstverständlichkeit, mit der Kostroy sie übermittelte. Der Alte schien genau zu wissen, wovon er sprach.

»Ich komme mit!«, entschied Callazian.

Sie gingen unter der Brücke hindurch, vorbei an morastigen Kratern. Einige Pfeiler ragten aus dem Dreck, aber die Verbindungsstücke zur Brücke waren längst abgerissen, so dass die Stützen nichts anderes waren als Monumente des Verfalls. Ein aus gehobelten Brettern zusammengefügtes Schild verkündete in kantigen Buchstaben: Die tiotronische Ordnung kennt nur die Wahrheit der Information.

»Was bedeutet das?«, fragte Callazian seinen Begleiter.

»Die Wahrheit kann nur der Wirklichkeit entlehnt sein«, antwortete Kostroy. »Aber was ist Wirklichkeit? Du und ich, wir leben in verschiedenen Wirklichkeiten, daher verfügen wir über verschiedene Wahrheiten.«

»Man könnte denken, du hättest etwas gegen die Informationen der Tiotroniken.«

»Informationen sind nur in wertfreier Form ein Gewinn. Was uns jedoch präsentiert wird, sind die gefilterten, manipulierten Informationen der tiotronischen Ordnung.«

Callazian fragte sich, ob Kostroy wirklich kein Revolutionär war. Alles, was er sagte, klang provokativ.

»Dort drüben ist der Eingang zur Bahn«, bemerkte Kostroy in dem Moment. »Wir werden eine Strecke kriechend zurücklegen müssen.«

Hinter der Brücke, am Rand einer Schutthalde, lag der versteckte Eingang. Kostroy räumte einige Steine zur Seite, und Callazian blickte misstrauisch in den dunklen Stollen, der sich vor ihnen auftat.

Niemand war in der Nähe. Was dem Archivverwalter in diesem Gebiet besonders auffiel, war die Stille. Nur ab und zu erklang das Dröhnen landender und startender Raumschiffe. Seit ihrem Aufbruch aus dem Wohnbezirk hatte Callazian keine Nachrichten gehört, das machte ihn unausgefüllt und unruhig. Dennoch folgte er Kostroy in den Stollen. Im Halbdunkel war kaum etwas zu erkennen, aber Callazian hörte den Lärm, den der vor ihm kriechende Geschlechtslose verursachte.

Nach einer Weile erlaubte der Stollen eine gebückte Haltung. Weit vor sich registrierte Callazian den Schimmer künstlichen Lichts.

»Wir stoßen direkt auf die ehemalige Bahnstation«, verkündete Kostroy. »Alle hoffen, dass du kommst.«

Trotz der schlechten Lichtverhältnisse versuchte Callazian, Einzelheiten zu erkennen. Ein Teil der Wände zeigte sogar noch Spuren des alten Anstrichs.

»Vor der Entwicklung der Transportstrahlen gab es auf Blosth ein System unterplanetarischer Bahnen ...«, erklärte Kostroy.

»Sie wurden entfernt!«

»Nur sporadisch. Der größte Teil wurde einfach dem Zerfall preisgegeben.«

Der Stollen mündete in eine Halle. An der Decke brannte ein Licht. Der Boden war sauber und glatt. Auf der anderen Seite der Halle befand sich ein offensichtlich noch intaktes stählernes Tor. Dort stand ein Soberer. Er trug einen blauen, mehrfach um seinen Körper geschlungenen Schal.

»Ein Dragoner!«, stieß Callazian überrascht hervor. »Das kann nicht sein! Dieser Soberer trägt lediglich einen geraubten Dragonerschal.«

Der einsame Wächter kam ihnen entgegen, und Callazian erkannte, dass er männlichen Geschlechts war. Nicht nur das – dieser Mann war so jung, dass er auf keinen Fall zu den Informationsunwürdigen gehören konnte.

»Du täuschst dich nicht«, begrüßte er Callazian. »Ich bin ein Dragoner. Mein Name ist Heysel.«

Heysel war klein, und seine Haut war schuppiger, als Callazian es jemals bei einem anderen Soberer gesehen hatte. Auch Ansätze der bei den Soberern längst verkümmerten Kiemen waren unter Heysels Kinnbacken zu erkennen. »Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich eine Reihe von Atavismen in mir vereinige«, sagte der Dragoner lächelnd.

»Das ist es nicht«, erwiderte Callazian. »Wie kommt ausgerechnet ein Dragoner hierher? Die Elitetruppe unserer ehemaligen Raumstreitmacht gilt doch als ... als ...«

»Reaktionär?«, half Heysel aus.

»Das wollte ich nicht sagen!«, protestierte Callazian. »Aber die Dragoner sind eine der Hauptstützen der tiotronischen Ordnung.«

Heysel sah von Kostroy zu Callazian. »Gehen wir?«

Kostroy nickte. »Natürlich. Ich glaube, dass wir unseren neuen Freund für uns gewinnen können.«

Callazian brannte ein Widerspruch auf den Lippen, aber in diesem Augenblick öffnete Heysel das Tor. Dahinter lag die Bahnstation. Er hatte sich auf dem Weg schon gefragt, wie sie aussehen mochte, nun musste er erkennen, dass seine Fantasie versagt hatte.

Die Wände waren mit leuchtenden Metallplatten verkleidet. Beidseits der Fahrmulde, die tief in einen dunklen Tunnel hineinführte, standen altertümlich aussehende Apparate, über deren Bedeutung Callazian nur rätseln konnte. Doch das alles war unbedeutend angesichts einer auf Hochglanz polierten Bahn, die in der Mulde stand und hinter deren erleuchteten Fenstern mehrere Dutzend Soberer angeregt diskutierten.

Heysel lachte glucksend. »Damit könnten wir dich in die Zentren bringen, Callazian! Es gibt dort heute noch geheime Ausgänge.«

»Meine Arbeit ist damit getan«, bemerkte Kostroy. »Ich werde dich später zurückbringen, mein Freund.«

Er verschwand in einem Seitengang, und Callazian war mit dem Dragoner allein. Kostroys Weggang irritierte den Archivverwalter, denn er hatte schnell Zutrauen zu dem Informationsunwürdigen gefasst.

Heysel deutete auf den Wagen. Mit einer geschickten Bewegung warf er das Schalende über seine rechte Schulter, dann ging er voraus.

Obwohl Callazian ein Geschlechtsloser war, vermochte er Heysels Aussehen richtig einzuschätzen. Der Dragoner war klein und hässlich, hatte aber etwas Anziehendes an sich.

Die silberfarbene Bahn erinnerte entfernt an ein großes Projektil.

»Wir haben sie restauriert«, erklärte Heysel, als hätte er Callazians Gedanken erraten. »Das heißt, die Romantiker unter uns haben es getan.«

Sie bestiegen den Wagen. Der Geruch von altem Maschinenöl und Leder lastete überall.

Ein großer Soberer trat ihnen entgegen. Callazian hatte den Eindruck, dass er diesen Mann schon einmal gesehen hatte, doch momentan ließ ihn seine Erinnerung im Stich.

Der Große ergriff Callazian am Arm und führte ihn in das Hauptabteil der lichtüberfluteten Bahn. Alle blickten ihnen mit einer Mischung aus Neugier und Freundlichkeit entgegen.

»Das ist der Archivverwalter!«, rief Heysel. Wenn er seine Stimme hob, bekam sie einen schrillen Beiklang. »Sein Name ist Callazian!«

Da Männer und Frauen anwesend waren, machte Callazian das höflich neutralisierende Zeichen des Geschlechtslosen.

Jemand reichte ihm einen Becher mit warmem Wasser und einige Trockenkuchen. Callazian aß und trank langsam, denn das gab ihm Gelegenheit, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.

»Mein Name ist Zosarios«, sagte der große Mann unterdessen. »Wenn du so willst, bin ich der Anführer dieser Gruppe, obwohl der Ausdruck Organisationsleiter besser geeignet wäre.«

Callazian hielt unwillkürlich den Atem an. Zosarios war einer der führenden Tiotroniker auf Blosth. Er gehörte sogar zu den Hauptkommunikatoren der Zentraltiotronik. Wie kam dieser Mann hierher – und vor allem als Teilnehmer an einem Komplott? Das war undenkbar!

Immerhin wusste Callazian nun, wo er diesen Mann schon gesehen hatte. Mit einer Gruppe Technikern hatte Zosarios vor zwei Jahren das Archiv besucht, um sich ein Bild von den dort geleisteten Arbeiten zu machen.

Callazian hörte Heysel an seiner Seite kichern. »Er hält uns für Revolutionäre«, sagte der Dragoner.

Die dichten Schuppen über Zosarios' Augen zogen sich zusammen. »Wir sind Teilnehmer an einem wissenschaftlichen Projekt. Dieses Projekt würde nicht die Unterstützung offizieller Stellen finden, deshalb wird es von einer Gruppe verantwortungsbewusster Soberer im Geheimen vorbereitet.« Er machte eine umfassende Geste. »Fast alle Soberer hier sind Wissenschaftler.«

»Wir haben Sympathisanten auf ganz Blosth«, fügte eine stämmige Frau hinzu, die nach Callazians Schätzung kurz vor dem informationsunwürdigen Alter stand.

»Wollt ihr die tiotronische Ordnung abschaffen?«, erkundigte sich Callazian.

»Sie lässt sich nicht mehr beseitigen, weil sie unsere gesamte Zivilisation durchdringt«, erwiderte Zosarios. »Natürlich wäre eine gewaltsame Lösung denkbar, aber dann würde unsere Zivilisation noch schneller zerstört sein, als wir es unter den gegenwärtigen Umständen befürchten müssen. Unser Volk ist den falschen Weg gegangen, das lässt sich nicht mehr ändern.«

Callazians Verwirrung wuchs.

»Es geht uns darum, unser Vermächtnis zu retten«, fuhr Zosarios fort. »Im Verlauf von Jahrmillionen haben wir eine unvorstellbare Wissensfülle zusammengetragen. Das darf nicht verloren gehen, auch wenn unsere Zivilisation allmählich zerbrechen sollte.«

»In den Archiven wird alles aufbewahrt!«, sagte Callazian naiv.

Zosarios überhörte ihn. »Es gibt statistische Erhebungen«, erklärte er. »Die Zahl der kriminellen Taten nimmt erschreckend zu, aber sie sind noch gering im Vergleich mit den Aktivitäten psychisch gestörter Soberer. Es gibt fast genauso viele Verrückte wie Normale, und das Verhältnis verschlechtert sich ständig zu unseren Ungunsten.«

Diesen bedeutenden Mann so ratlos und verzweifelt zu hören erschütterte Callazian. »Aber es wird sehr viel auf diesem Gebiet getan ...«, wandte er ein.

»Wir gewinnen dadurch nur einen Aufschub. Die tiotronische Ordnung ist längst unserer Kontrolle entglitten und hat sich zu einem selbstständigen Mechanismus entwickelt.«

»Warum schaltet ihr die Tiotroniken nicht einfach ab?«, fragte Callazian.

»Abgesehen davon, dass sich die meisten Soberer der Gefahren nicht bewusst sind, würde die regierende Führungsschicht das niemals gestatten«, entgegnete Zosarios. »Und das mit gutem Grund. Denke daran, was alles von den Tiotroniken gesteuert und kontrolliert wird. Sie abzuschalten hieße, die Nahrungsversorgung der Bevölkerung auf allen Welten zu gefährden, die Raumfahrt aufzugeben, überhaupt alles zusammenbrechen zu lassen.«

Obgleich Callazian nie den Versuch unternommen hatte, sich ein Leben außerhalb der fest gefügten Ordnung vorzustellen, wusste er, dass Zosarios Recht hatte. Das Abschalten der Tiotroniken hätte das totale Chaos heraufbeschworen.

»Als wir abstrakt zu denken lernten, war unser Ende vorgezeichnet.« Zosarios ging zwischen den Sitzreihen auf und ab. »Jede Zivilisation, die sich über eine bestimmte Grenze hinaus entwickelt, wird dadurch vom Untergang bedroht. Es muss nicht dazu kommen, wenn rechtzeitig vernünftige Gegenströmungen ausgelöst werden, aber ich fürchte, das haben wir Soberer versäumt.«

»Und wer soll unser Erbe sein?«, fragte Callazian. »Rechnest du mit kleinen Gruppen von Überlebenden, die neu beginnen werden?«

»Das lässt sich nicht ausschließen, aber wir dürfen uns nicht darauf verlassen. Nein, wir übergeben unser Vermächtnis dem Universum und seinen Völkern. Sie sollen unser Wissen erhalten – und damit verbunden die Warnung vor den möglichen Gefahren.«

Die Größe dieses Gedankens ließ sich gar nicht auf Anhieb erfassen. Alles das erschien Callazian absurd; er überlegte ernsthaft, ob Zosarios und dessen Anhänger Verrückte waren. Vor allem: Welche Rolle sollte er, Callazian, dabei spielen?

»Er ist verwirrt«, stellte Heysel fest. »Wir müssen ihm Zeit lassen.«

Zosarios ignorierte den Einwand des Dragoners. Als sei die letzte Gelegenheit gekommen, Callazian einzuweihen und zu gewinnen, sagte er hastig: »Wir planen den Bau einer Anlage, mit der wir eine Prior-Welle in den Weltraum abstrahlen können. Diese Prior-Welle soll alles enthalten, was wir anderen Völkern im Universum mitteilen können. – Dazu brauchen wir dich, Callazian.« In seinen Augen leuchtete ein verhaltenes Feuer.

Der Archivverwalter schüttelte den Kopf. »Was soll ich dabei? Ich verstehe nichts ... ich ...«

»Du bist der Dieb!«, stellte der Wissenschaftler gnadenlos fest.

Da wurde Callazian einiges klar. In dem Archiv, das er zusammen mit vielen anderen Soberern verwaltete, war von den Tiotroniken alles gespeichert worden, was die Soberer jemals erforscht hatten. Er sollte dieses Wissen rauben – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 

 

Menschen II

 

 

»Alles, was wir über die Kaiserin von Therm in Erfahrung bringen konnten, gibt der Spekulation breiten Raum«, sagte Perry Rhodan in der Zentrale der SOL. »Aber wahrscheinlich werden wir erst dann, wenn wir sie erreicht haben, erkennen, wer oder was sie ist.«

 

 

Die Geschichte der Kaiserin von Therm

 

 

Vergangenheit II

Eine Explosion erschütterte das Gebäude. Rauch quoll durch den Korridor, der von den tiotronischen Speichern zur Schaltzentrale führte.

Über die Mauertrümmer hinweg drang Heysel an der Spitze einer Gruppe von sieben Dragonern in den inneren Archivbereich ein. In einer Hand hielt er eine schwere Waffe.

Callazian stand zitternd am Ende des Ganges und schaute den Heranstürmenden entgegen. Nein!, dachte er entsetzt. Das habe ich nicht gewollt! Keine Gewalt.

Heysel erreichte ihn und stieß ihn weg; Callazian taumelte. Wie verabredet war er am vergangenen Abend nicht in seinen Wohnbezirk zurückgekehrt, sondern hatte sich im Schaltraum eingeschlossen, um während der Nacht den Zugang für die Dragoner zu öffnen. Doch das war unmöglich gewesen. Sicherheitsvorrichtungen, von denen Callazian nicht einmal etwas geahnt hatte, hatten ihn daran gehindert, den inneren Archivbereich zum vorgesehenen Zeitpunkt zu verlassen.

Heysel hatte sich also gewaltsam Zutritt verschafft.

Am Tor zum Schaltraum brachten die Dragoner eine Haftladung an. Eine zweite Explosion dröhnte. Callazian rechnete nun jeden Moment mit dem Erscheinen von Robotern.

»Wo bleibst du?«, schrie Heysel.

Benommen wankte der Archivverwalter in Richtung des Schaltraums. Der ätzende Rauch brannte in seinen Augen.

»Schneller!«, herrschte der Dragoner ihn an. »Wir haben nicht viel Zeit. Hast du alles vorbereitet?«

»Soweit es mir ohne Hilfe möglich war.« Callazian hatte in den letzten Stunden alle Anschlüsse der Archivtiotronik freigelegt und miteinander verbunden. Heysels Männer hoben den dabei entstandenen Block nun mühsam auf und schleppten ihn quer durch den Schaltraum bis an die gewünschte Position. Callazian machte sich sofort daran, die offenen Anschlüsse mit dem Funkgerät zu verbinden.

»Wie lange wird das dauern?«, erkundigte sich Heysel.

»Den Rest der Nacht!«, gab Callazian zurück.

»Also müssen wir diesen Raum verteidigen.« Heysel wandte sich an seine Männer: »Verteilt euch draußen im Korridor. Die Angreifer werden nicht mit schweren Waffen kommen, weil sie dann befürchten müssten, dass sie ihre wertvolle Anlage beschädigen.«

In einem Versteck von Zosarios' Gruppe stand das Empfangsgerät. Sobald Callazian die letzten Verbindungen hergestellt hatte, sollte die Archivtiotronik angezapft werden. Callazian ahnte nur vage, wie das vor sich gehen würde, aber Zosarios war schließlich der Experte für Tiotroniken.

Draußen auf dem Gang fiel ein Schuss. Callazian hob den Kopf.

»Weitermachen!«, befahl der Dragoner. »Wir halten die Stellung, bis Zosarios alles abgerufen hat.«

»Das werden wir nicht schaffen!« Callazian spürte den Schlag seines Doppelherzens bis in die Halsgegend. Eilig setzte er seine Arbeit fort und aktivierte schon kurz darauf die letzten Anschlüsse.

»Kannst du mit einer Waffe umgehen?«, fragte Heysel.

»Bestimmt nicht ...«

»Dann bleib hier!« Der Dragoner verließ den Schaltraum.

Von draußen erklang jetzt Kampflärm. Callazian fragte sich entsetzt, wie lange die acht Männer den Archivbereich wirklich verteidigen konnten. Und was würde mit ihm geschehen? An Flucht war nicht mehr zu denken. Allein schon indem er sich hier eingeschlossen hatte, war er zum Ausgestoßenen der tiotronischen Ordnung geworden. Er würde in Zukunft zu den Informationsunwürdigen gehören.

 

Längst erfüllte dicker Qualm den Schaltraum. Callazian erstarrte geradezu, als ihm mit einem Mal bewusst wurde, dass keine Schüsse mehr fielen. Es war still geworden.

Ungläubig stellte der Archivverwalter fest, dass die Nacht fast vorüber war. Die Dragoner hatten wirklich standgehalten. Aber wo waren die Angreifer geblieben?

Schritte näherten sich der Tür. Callazians Augen weiteten sich vor Furcht. Seit seinem Zusammentreffen mit Zosarios' Gruppe hatte er wie in einem Zustand der Trance gehandelt, erst jetzt begriff er allmählich, worauf er sich wirklich eingelassen hatte.

Die Tür wurde aufgestoßen.

Callazian stieß einen erstickten Schrei aus. Im Eingang stand Heysel, sein Schal war verkohlt, und seine rechte Körperhälfte war von einer schrecklichen Wunde entstellt. In der Rechten hielt der Dragoner noch seine Waffe.

Callazian fragte sich, wie es möglich war, dass dieser Mann überhaupt noch lebte. Aus einem entstellten Gesicht starrten ihn zwei fast blinde Augen an.

»Fertig?«, krächzte Heysel.

Callazian nickte beinahe mechanisch, und das schien dem Dragoner zu genügen. »Sie werden gleich hier sein«, sagte er tonlos.

»Ich habe nichts damit zu tun!«, rief Callazian. »Ich wollte das alles nicht.«

»Was ist, wenn wir uns täuschen?« Heysel ächzte. »Vielleicht sind wir nur Werkzeuge der Tiotroniken. Sie haben uns manipuliert, damit wir dafür sorgen, dass ihr Wissen weiterexistiert, wenn es schon längst keine Soberer mehr gibt.«

»Das wäre ja Wahnsinn!«

»Wirklich?« Heysel taumelte auf eine Schaltwand zu und schlug mit dem Kolben seiner Waffe auf die Konsole ein. Schließlich verließen ihn die Kräfte, und er rutschte an der Wand entlang auf den Boden. Dann regte er sich nicht mehr.

Draußen auf dem Gang wurden Stimmen laut. Einige Gestalten stürmten in den Schaltraum. Sie trugen Atemmasken und Waffen.

»Ich habe nichts damit zu tun«, sagte Callazian bebend. »Ich bin nur der Archivverwalter.«

Sie nahmen ihn in die Mitte und führten ihn hinaus.

 

 

Menschen III

 

 

»Gewisse Anzeichen deuten darauf hin, dass es sich bei der Kaiserin von Therm um einen Großrechner handeln könnte.« Perry Rhodan wandte sich an Dobrak, den keloskischen Rechenmeister. »Wäre eine Entwicklung zur Superintelligenz überhaupt denkbar?«

»Es sieht so aus, als würde die Kaiserin von Therm ihre Mächtigkeitsballung nach den Prinzipien einer Positronik kontrollieren«, erwiderte Dobrak. »Diese Möglichkeit bietet sich geradezu an.«

»Ich denke an die Forscher Daloor, Poser und Kaveer«, mischte sich Atlan ein. »Sie sind sich nicht darüber im Klaren, ob sie Roboter oder organische Wesen sind. Sehen wir da nicht in verkleinertem Maßstab das Problem der Kaiserin von Therm?«

»Sicher hat die Superintelligenz kein Identitätsproblem«, widersprach Dobrak. »Sie weiß, wer sie ist, andernfalls wäre sie keine Superintelligenz.«

2.

 

Die Geschichte der Kaiserin von Therm

 

 

Vergangenheit III

Jede Rückkehr in die Heimat hatte auf bestimmte Weise auch den Charakter eines Besuchs, dachte Vlission beklommen. Soberer, die sich viele Jahre außerhalb des Seerkosch-Systems aufhielten, verloren den Kontakt zu der stetig fortschreitenden Entwicklung. Das linkische Benehmen der Raumfahrer, sobald sie ihre gelandeten Schiffe verließen, war ein sicherer Beweis für diese These.

Vlission hatte Blosth als Jugendlicher an Bord eines Narvion-Raumers verlassen und kehrte nun, nach 122 soberischen Jahren, als der Kommandant dieses Schiffes wieder zurück. Damals, bei seinem Aufbruch, hatte noch eine Narvion-Flotte bestanden, heute waren ihre Einheiten, sofern sie noch existierten, über ganz Golgatnur verstreut.

Der Narvion-Raumer verließ die Überlichtspur und tauchte unmittelbar in der Nähe von Blosth in den Normalraum. Vlission und die achtzehnköpfige Besatzung hatten große Anstrengungen unternommen, um hierher zu gelangen. Allerdings war der Kommandant kein Mann mit romantischen Neigungen – er war einfach neugierig.

Vlission war korpulent und muskulös, seine Augen traten leicht hervor. Quer über seinen braun geschuppten Kopf verlief eine Narbe, die sich dunkel verfärbte, wenn Vlission erregt war.

Als die Funkortung ansprach, richtete er sich überrascht auf. Das Symbol der tiotronischen Ordnung wurde projiziert.

»Sendet Identitätsimpuls und den Namen des Kommandanten! Wünscht ihr die neuesten Nachrichten zu hören?«

Vlission nickte Fyolt zu.

»Natürlich wünschen wir die neuesten Nachrichten zu hören.«

Erwartungsvoll starrte Vlission auf das Hologrammfeld, doch er erlebte eine Enttäuschung. Alles, was hereinkam, war ein Wetterbericht.

Vlission drehte sich im Sessel um und sah die anderen Besatzungsmitglieder an. »Wir beantragen Landeerlaubnis!«, sagte er.

 

Der Raumhafen bot ein trostloses Bild. Die Landefläche war stellenweise aufgebrochen und von Pflanzen überwuchert. Wracks von Montagefahrzeugen und Entladeanlagen standen zwischen verlassenen Raumschiffen. Viele Gebäude waren eingestürzt. Vlission sah nur ein einziges Schiff, dessen Mannschaft offensichtlich die Startvorbereitungen eingeleitet hatte.

Vlission schaltete eine Funkverbindung zu dem wabenförmigen Handelsschiff. In der Bildwiedergabe erschien ein mürrisch dreinschauender Soberer unbestimmbaren Alters.

»Ein Narvion-Raumer«, sagte der Mann ohne besonderes Interesse. »Ich dachte, die Flotte existiere nicht mehr.«

Vlission ging nicht darauf ein. Er spürte die Aufbruchsstimmung des anderen und wollte möglichst viele Informationen bekommen. »Was ist passiert?«, fragte er schnell.

»Passiert?« Der Kommandant des Handelsraumers lachte auf. »Oh, du meinst die Zustände hier? Was hast du denn erwartet?«

»Mein Name ist Vlission«, stellte der Soberer sich vor. »Ich habe Blosth vor einhundertzweiundzwanzig Jahren verlassen und war seither nicht mehr hier.«

»Miryus«, sagte der Mürrische. »Blosth ist keinen Besuch mehr wert. Die wenigen hunderttausend Soberer, die hier noch leben, sind fast alle verrückt. Einige Tiotroniken funktionieren noch und versorgen die Bevölkerung mit Nachrichten, aber wenn du dir den Raumhafen ansiehst, hast du ein Bild davon, wie es überall auf diesem Planeten aussieht.«

»Wohin sind alle gegangen?«

»Gegangen?«, echote Miryus ironisch. »Niemand geht von hier irgendwohin. Die Leute hören einfach auf zu existieren.«