Buchinfo

Doppelter Lesespaß für Pferdefans:

Amal – Tochter des Windes:

Als sich Mias Augen an das Dämmerlicht im Schuppen gewöhnt haben, erkennt sie ein Pferd vor sich im Stroh. Die Araberstute Amal erwartet ein Fohlen, das sie vielleicht nicht mehr zur Welt bringen kann. Denn Amal ist schwerkrank. Nun blickt Mia zu Tarek. Er hat die Stute gegen den Willen des Stallmeisters heimlich hierher gebracht und damit viel riskiert. Warum nur bedeutet ihm Amal so viel?

Das Schicksal der Stute Amal und die schillernde Geschichte der legendären Araberpferde

Archer – Legende des roten Landes:

Australien, 1861. Auf dem Gestüt Touchstone herrscht große Aufregung. Der 16-jährige Stallbursche Ray und sein Rennpferd Archer dürfen am ersten Melbourne Cup teilnehmen. Doch vor ihnen liegt ein gefährlicher Weg, der sie 500 Meilen durchs Outback führt. Sie müssen nicht nur gegen Hunger, Hitze und Verletzungen ankämpfen, sondern auch gegen Diebe, die es auf das kostbare Rennpferd abgesehen haben ...

Mitreißend, spannend und nach einer wahren Begebenheit

2 außergewöhnliche Pferderomane

Autorenvita

Astrid Frank

© Axel Schulten

Astrid Frank wurde 1966 in Düsseldorf als Tochter des Schriftstellers Karlhans Frank geboren, wodurch sie sich schon in frühester Kindheit mit dem Verlagswesen konfrontiert sah. Trotzdem führte sie ihr Weg bereits während ihres Studiums der Germanistik, Biologie und Pädagogik in die gleiche Richtung: Sie war als Lektorin und Rezensentin in mehreren und für mehrere deutsche Verlage tätig und machte außerdem eine Ausbildung zur »Zoobegleiterin des Kölner Zoos«. Nach dem Studium arbeitete sie für ein halbes Jahr in einer Buchhandlung und beleuchtete das Medium Buch damit von einer weiteren Seite. Seit 1996 ist sie freie Lektorin und Übersetzerin, seit 1998 schreibt sie Geschichten (für Kinder). Astrid Frank lebt mit Mann, zwei Söhnen und Hund Aimee in Köln.

Titelbild

Titelbild

Für J. H.

Der Ausdruck ihrer Augen gleicht dem einer liebenden Frau,
ihr Gang dem eines schönen Weibes,
ihre Brust ist wie die eines Löwen,
ihre Flanke wie die der Gazelle.
Sie ist die Trinkerin des Windes,
sie trottet wie ein Wolf und galoppiert wie ein Fuchs,
ihr Fell ist wie ein Spiegel,
ihr Haar so dicht wie die Federn auf Adlers Schwingen,
und ihr Huf so hart wie Stein,
von dem man Feuer schlagen kann,
und gerade so weit,
dass eine Maus darin ihr Nest bauen könnte.
Sie ist sanft wie ein Lamm,
aber wie ein Panther im Zorn,
wenn sie geschlagen oder gereizt wird.
Ihre Nüstern sind geöffnet wie Blütenblätter einer Rose.
Ihre Schultern verwandeln sich in Flügel, wenn sie rennt.
Ihre Beine sind stark wie die eines wilden Straußes
und voller Muskeln wie jene des Kamels.
Ihre Augenwimpern sind lang wie Gerstenähren
und die Ohren wie zwei Halbedelsteine eines Speerkopfes.
NACH DEM KORAN

Prolog

Liebe Jule,

jeden Moment kommt der Bus, der uns zum Flughafen bringt, und bald sehen wir uns endlich wieder! Ich kann es kaum erwarten, dir alles zu erzählen: von dem Geheimnis, das ich hier entdeckt habe, von dem süßesten Jungen, dem ich je begegnet bin, und von den aufregendsten Momenten in meinem Leben, die ich hier erlebt habe. Diesen Urlaub werde ich nie mehr vergessen. Es ging um Leben und Tod. Und wir haben gleichzeitig gewonnen und verloren.

Aber noch musst du dich etwas gedulden, bis ich wieder bei dir bin und dir berichten kann von Amal, der Hoffnung, und allem anderen.

Deine Mia

1

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Um das Pferd zu schaffen, sprach Gott zum Südwind: »Ich will aus dir ein neues Wesen schaffen, das den Guten Glück bringt und Unglück den Bösen. Das Gute sei gebunden an seine Stirnhaare, die Beute an seinen Rücken und Freude und Glück an seinen Besitzer.«
ARABISCHE ERZÄHLUNG

Mia drückte die Kappe fest auf den Stift, nachdem sie die Postkarte zu Ende geschrieben hatte, und kniff die Augen zu. Sie hätte sich gerne eingebildet, dass es die blendende Sonne war, die sie dazu brachte, ihre Augen zu schließen. Doch sie wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Es waren die Tränen, die sie zurückzuhalten versuchte. Tränen des Leids über die schmerzlichen Verluste, die sie erlitten hatte, und Tränen des Glücks über das, was sie hier gewonnen hatte.

Ihre Ferien waren im Grunde vorbei. Sie saß auf einer Bank, neben sich das Gepäck, und wartete darauf, dass der Shuttlebus kam, der sie und ihre Eltern zum Flughafen bringen sollte.

Wenn Mia jetzt daran zurückdachte, wie alles angefangen hatte, kam es ihr so vor, als müssten Monate oder wenigstens Wochen seitdem vergangen sein. Dabei war es heute gerade mal zehn Tage her – oder, in einer anderen Zeitrechnung, drei Briefe an Jule –, dass sie Tarek und seinen atemberaubend schönen Pferden zum ersten Mal in ihrem Leben begegnet war.

Nach dem ersten Schock am Ankunftstag über die Hotelanlage, die die Herzen sämtlicher Urlauber außer dem Mias höher schlagen ließ, hielt der zweite Urlaubstag wenigstens eine Überraschung für sie bereit.

»Ist das nicht bezaubernd?« Der Ausruf ihrer Mutter beim Anblick des halben Dutzends Araberpferde, die auf einer Koppel weideten, klang Mia jetzt noch in den Ohren.

Die gleiche Begeisterung hatten die sogenannte kleine Familiensuite, der Hotelpark mit Poollandschaft, das Restaurant, die Bar, der Tennisplatz, die Kamele, aber vor allem der Wellnessbereich, der sich über mehr als 1500 Quadratmeter erstreckte, bei ihrer Mutter ausgelöst. Bei Mia löste das alles nichts weiter als Magenschmerzen aus. Wo sie hinsah, erblickte sie dicke, rotgesichtige Touristen in Shorts und mit weißen Tennisstrümpfen in den Sandalen. Wenn man sie darauf anspräche, in welchem Land sie eigentlich gerade ihren Urlaub verbrachten, müssten sie vermutlich erst einmal nachdenken. Falls es ihnen überhaupt einfiel!

Letztes Jahr war Mia mit ihren Eltern in der Türkei gewesen und soweit sie sich erinnern konnte, war es dort nicht sehr viel anders gewesen. Zumindest das, was Mia gesehen hatte: nämlich das Hotel und außerdem noch das Hotel. Ach ja, und natürlich das Hotel. Und vor zwei Jahren hatten sie auf einer der kanarischen Inseln ihre Ferien verbracht. Mia konnte sich nicht mehr erinnern, auf welcher. Und es war ja auch egal. Denn von der Insel hatte sie ohnehin nichts gesehen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie das bislang auch nicht sonderlich gestört. Hauptsache, der Pool war gut und es gab ein paar andere Kinder in ihrem Alter. Aber irgendetwas war in der letzten Zeit mit ihr geschehen. Jetzt, mit vierzehn, konnte sie diese Dekadenz um sich herum nur noch schwer ertragen. Und tagaus, tagein auf engstem Raum mit ihren Eltern zusammen sein zu müssen, war auch kein Vergnügen.

»Ist das nicht bezaubernd?«, hatte ihre Mutter also ausgerufen und Mia dabei aufmunternd angesehen.

Bei diesem Begeisterungsausbruch regte sich zum ersten Mal nicht sofort Mias Widerspruchsgeist. In der Tat war der Anblick, der sich ihr hier bot, faszinierend. Ein halbes Dutzend Pferde standen in kleinen Zweier- oder Dreiergruppen friedlich beieinander. Die Sonne ließ ihr Fell seidig glänzen und das entspannte Spiel ihrer Ohren fesselte Mias Blick. In diesem Augenblick hob einer der zwei Füchse den Kopf, sah Mia unvermittelt an und wieherte laut. Dabei reckte er den Hals und einen Sekundenbruchteil später preschte er in stolzem Galopp vom einen Ende der Koppel zum anderen. Als er dort angekommen war, stoppte er abrupt, wandte den Kopf erneut in Mias Richtung und sah sie herausfordernd an, als wollte er sagen: »Na, findest du mich nicht schön?«

Mia musste unwillkürlich lächeln und antwortete im Stillen mit einem »Ja!«.

Der Junge, der eins der zierlichen Pferde striegelte, blickte zu Mia und ihrer Mutter hinüber und lächelte, als könne er Mias Gedanken lesen. Dabei zeigte sich an seiner linken Wange ein tiefes Grübchen. Er legte das Putzzeug zur Seite und kam in schlenderndem Gang an den Zaun, wobei er seine Hände lässig in die Taschen seiner ausgeleierten Jeans steckte.

Zunächst war Mia einfach nur erstaunt. So lange und dichte Wimpern hatte sie noch bei keinem Jungen gesehen. Sie konnte den Blick kaum von diesen strahlenden Augen abwenden.

»Möchtest du reiten?«, fragte er und Mia spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.

Noch bevor Mia etwas entgegnen konnte, hatte ihre Mutter bereits für sie geantwortet: »Bestimmt möchte sie das, nicht wahr, Mia? Du reitest doch so gerne!«

Mia brachte ihre Mutter mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen. Sie kam sich vor wie ein fünfjähriges, dummes, kleines Kind. Als könnte sie nicht für sich allein sprechen! Noch vor einer Sekunde hatte sie tatsächlich den Wunsch verspürt, auf dem Rücken eines dieser wundervollen Pferde zu sitzen. Doch jetzt drehte sie sich um und ging ohne ein Wort fort, ließ ihre Mutter und den Jungen am Zaun stehen.

Das war ihre erste Begegnung mit Tarek gewesen, und wenn nicht diese langen, dichten Wimpern und das Grübchen gewesen wären und wenn nicht dieser außergewöhnliche Fuchs ihr seine Freundschaft angeboten hätte, dann wäre es vermutlich auch die einzige geblieben.

Noch am gleichen Nachmittag begannen die Wellnessbehandlungen für Mias Mutter. Sie startete mit einer entspannenden Lavendelpackung und einer einstündigen Rückenmassage gegen Verspannungen. Mias Vater hatte in der Zwischenzeit Tennisstunden gebucht.

Wenn es nach Mia gegangen wäre, dann hätten weder Wellnessbehandlungen noch Tennisstunden jemals wieder aufzuhören brauchen – jedenfalls nicht bis zum Ende des Urlaubs. Endlich konnte sie in Ruhe die Hotelanlage durchstreifen. Vielleicht gab es ja irgendwo noch einen vernünftigen Menschen in ihrem Alter? Aber wie es schien, war sie das einzige weibliche Wesen unter dreißig. Wenn man mal von dem schreienden Säugling im Kinderwagen absah, dessen Mutter immer wieder »Ist ja gut, Lenchen, ist ja alles gut« vor sich hin murmelte, während sie den Kinderwagen so schüttelte, dass Mia allein vom Zusehen schlecht wurde. Kein Wunder, dass Lenchen schrie!

Im Nachhinein glaubte Mia, dass es vielleicht doch kein Versehen gewesen war, als sie sich plötzlich am Rand der Koppel wiederfand, die sie bereits am Morgen gemeinsam mit ihrer Mutter entdeckt hatte. An diesem Nachmittag jedoch war sie völlig überrascht gewesen, als sie dem Jungen mit den langen schwarzen Wimpern erneut gegenüberstanden hatte. Und sicher hätte sie sich augenblicklich wieder umgedreht und wäre davongelaufen, wenn der Junge sie nicht sofort bemerkt hätte.

»Hast du es dir anders überlegt?«, fragte er, diesmal ohne die Kardätsche zur Seite zu legen.

Stumm schüttelte Mia den Kopf.

»Reitest du nicht gern?«

Mia zuckte mit den Schultern.

Der Junge sah sie einen Moment lang schweigend an und wandte sich dann wieder dem Pferd zu.

Mia beobachtete, wie er die Kardätsche mit gleichmäßigem Druck über den Rücken des Pferdes gleiten ließ und anschließend in einer fließenden Bewegung am Striegel abstrich. Das Pferd, ein Fuchs, schien die Berührungen hingebungsvoll zu genießen. Es hatte die Augen geschlossen und die Ohren standen entspannt still.

Mia war sich sicher, dass dies nicht der Fuchs war, der ihre Aufmerksamkeit beim ersten Treffen auf sich gezogen hatte. Trotz gleicher Fellfärbung und vergleichbarer Statur und Größe konnte sie die Tiere bereits beim zweiten Mal eindeutig auseinander halten. Was für ausgeprägte Charaktere diese Pferde doch waren! Mia ließ den Blick auf der Suche nach »ihrem« Fuchs über die kleine Herde wandern. Da stand er, mit dem Rücken zu ihr gewandt, und graste. Beim Anblick der sechs zierlichen und auffallend hübschen Tiere, keins von ihnen größer als knapp einen Meter fünfzig, dachte Mia unwillkürlich an Pirat, das Pferd, das ihre Freundin Jule zu Hause oft ritt. Pirat flößte ihr regelmäßig Angst ein, wenn er sich unmittelbar vor ihr zu seiner vollen Größe aufbaute, den riesigen Kopf stolz erhoben, und aus seiner majestätischen Höhe auf sie hinabblickte.

Jule hatte gelacht, als Mia ihr einmal ihre Furcht beichtete. Sie selbst, obwohl sie gut einen Kopf kleiner war als Mia, kannte keine Angst im Umgang mit Pferden. Sie saß auf Pirat wie eine Königin auf ihrem Thron.

Mia schüttelte sich unwillkürlich. Nein, diese kleinen und freundlich wirkenden Pferde hier waren ihr deutlich lieber. Obwohl auch sie eine gehörige Portion Stolz und Selbstbewusstsein ausstrahlten. Aber sie strahlten noch etwas anderes aus: Friedfertigkeit und ein grundsätzliches Interesse an Menschen.

Da Mia nichts einfiel, was sie hätte sagen können, wollte sie sich gerade abwenden, als der Junge fortfuhr: »Kannst du nicht sprechen oder willst du nicht?«

Mia zuckte überrascht zusammen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass der Fremde ihr stilles Beobachten als Ablehnung auffassen musste, und sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. »Natürlich kann ich sprechen«, beeilte sie sich zu sagen.

»Und?«, fragte der Junge.

Mia musste einen Augenblick nachdenken, was dieses »Und?« zu bedeuten hatte. Dann lächelte sie. »Und ich will auch«, ergänzte sie dann. Sie gab sich einen Ruck. »Ich heiße Mia, Mia Mauritz.«

Jetzt grinste der Junge. »Hallo, Mia«, sagte er. »Ich bin Tarek Abdelamid.«

Wieder merkte Mia, dass sie rot wurde. O wie sie das hasste! »Woher kannst du so gut Deutsch?« Mia versuchte, ihre Unsicherheit zu überspielen.

»Das haben mir meine wechselnden deutschen Freundinnen beigebracht, die hier im Sommer ihren Urlaub verbringen«, antwortete Tarek mit verrucht klingender Stimme. Als er Mias entsetzten Gesichtsausdruck sah, begann er zu lachen. »Das war ein Scherz«, sagte er. »Meine Mutter stammt aus Deutschland. Sie hat mit mir von klein auf in ihrer Muttersprache gesprochen, weil sie wollte, dass ich zweisprachig aufwachse. Sie arbeitet hier im Hotel am Empfang.«

Mia nickte und versuchte zu lächeln. Sie wurde nicht schlau aus Tarek und wenn sie ehrlich war, bestand genau darin seine Anziehungskraft. Darin und in seinen strahlenden Augen.

»Magst du Pferde nicht?«, fragte Tarek.

»Doch«, antwortete Mia. »Sehr sogar.«

»Und warum willst du dann nicht reiten?«

»Ich kann es nicht besonders gut. Ich hatte zwar einige Reitstunden, aber …«

»Du kannst es lernen.« Tarek sah zu Mia hinüber. »Oder hast du Angst?«

»Nein, natürlich nicht … oder … vielleicht ein bisschen«, gab sie zu. Es war nicht nur der Respekt vor den Pferden, sondern mindestens ebenso sehr die Angst davor, sich vor dem Jungen zu blamieren.

Zu Hause, in Deutschland, war sie einige Male mit Jule zusammen geritten. Ihre Freundin war eine passionierte Reiterin, die zwei Pflegepferde in einem Reitstall betreute. Mia machte das Reiten Spaß, aber sie wusste, dass sie keine gute Figur auf dem Rücken eines Pferdes abgab. Sie begnügte sich meistens mit der Zuschauerrolle.

Darin war sie gut: Mensch und Tier genau zu beobachten. Auf Partys saß sie oft den ganzen Abend still in einer Ecke und sah dem Treiben der anderen zu. Sie war kein Mauerblümchen, weiß Gott nicht, aber sie stand nicht gerne im Mittelpunkt. Mia wusste, dass ihre zurückhaltende Art ihr den Ruf eingebracht hatte, arrogant zu sein. Sie galt als unnahbar, was offenbar auf viele Jungen einen nicht näher bestimmbaren Reiz ausübte. An Angeboten mangelte es ihr jedenfalls nicht. Doch in der Regel hatte Mia kein Interesse an Verabredungen. So etwas wie bei Tarek, dass sie sich auf Anhieb von jemandem angezogen fühlte, hatte sie noch nie erlebt. Und diese neue Erfahrung verunsicherte sie.

Tarek schien ihre Unsicherheit zu spüren. Auch das war etwas, das neu für Mia war. Sonst merkte nie jemand, dass die Mauer, die sie gerne um sich herum aufbaute, zum Selbstschutz da war und nichts mit Überheblichkeit zu tun hatte.

»Wir haben sechs Pferde, alles Araber, die den Hotelgästen für Ausritte zur Verfügung stehen«, begann Tarek.

Mia hatte das Gefühl, dass er diese Erklärung nicht zum ersten Mal herunterleierte. Doch sie war ihm trotzdem dankbar, dass er nicht weiter auf ihr Bekenntnis, sich ein wenig vor den majestätischen Tieren zu fürchten, einging. Und ihr war schnell klar, dass er mit seinen Worten versuchte, ihr die Unsicherheit zu nehmen.

»Das hier ist Freiha, ein al ashqar.« Er deutete auf die fuchsfarbene Stute, die er soeben striegelte. »Ein arabisches Sprichwort sagt: ›Wenn man dir erzählt, ein ashqar-Pferd sei geflogen, so glaub es.‹ Die Araber behaupten nämlich, unter den Füchsen seien die schnellsten Pferde zu finden. Rot ist die Farbe des Vollmonds, der Göttin der Liebe und des Sommers.«

Er sah Mia tief in die Augen und ihr Herz schlug für einen Moment schneller. Hatte sie diese Anspielung richtig verstanden? Warum sah er ihr auf diese Weise in die Augen, wenn er von der Göttin der Liebe sprach?

»Aber Rot ist auch die Farbe des Krieges und der Schlacht«, fuhr er fort.

Und Mias Herzschlag normalisierte sich wieder.

Tarek trat einen Schritt zur Seite und streckte die Hand nach dem zweiten zierlichen und ebenfalls fuchsfarbenen Wallach aus, der sofort neugierig herankam und mit seinen Nüstern über Tareks offene Hand glitt. »Das hier ist Sultan. Ihn können die Araber nicht gemeint haben, denn er ist nur dann der Schnellste, wenn’s ums Fressen geht.«

Mia lachte schallend und strich Sultan zärtlich über die Stirn. Der Fuchs stieß seinen Kopf mehrmals mit sanftem Druck gegen ihre Hand, als wollte er sie auf diese Weise begrüßen.

Tarek schnalzte mit der Zunge und sofort sahen auch die übrigen vier Pferde, die ein wenig entfernt standen und grasten, aufmerksam zu ihm herüber.

»Die Rappstute dort heißt Zahara«, stellte Tarek weiter vor. »Schwarz ist die Farbe des abnehmenden Mondes, der Göttin des Todes. Es symbolisiert den Herbst. Der Prophet soll gesagt haben: ›Glück liegt im al adham al akhrah‹, im reinen, sauberen Schwarz.«

»Der Prophet?«, fragte Mia.

»Mohammed«, erklärte Tarek, als wäre mit diesem Namen alles Nennenswerte gesagt.

Mia traute sich nicht weiter nachzufragen und es war sicher auch nicht so wichtig, denn Tarek fuhr bereits fort: »Malik ist der Name des Schecken.«

Mia war schon gespannt, ob Tarek ihr auch zu dieser Fellfärbung etwas erzählen würde, und sie sollte nicht enttäuscht werden.

»Die Schecken wurden von den Arabern nicht besonders geschätzt. Sie galten als Wesen von gemischtem Charakter. ›Fliehe sie wie die Pest, denn sie sind die Brüder der Kuh‹«, zitierte Tarek und Mia konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Kismet ist der Braune dort drüben am Zaun. Ein Sprichwort sagt: ›Vernimmst du, dass ein braunes Pferd vom höchsten Berg gefallen und unversehrt geblieben ist, so glaub es.‹ Die Araber rühmten die Energie, Ausdauer und Stärke der Pferde mit dieser Fellfärbung.«

Mia konnte den Blick nicht mehr von Tarek abwenden. Diese braunen Augen mit den langen Wimpern wurden immer ausdrucksstärker und strahlten zunehmend intensiver – wenn das überhaupt noch ging –, je länger der Junge über seine Pferde sprach. Wie alt mochte Tarek sein? Fünfzehn? Sechzehn?

»Und Asisa, der Schimmel dahinten, ist unser edelstes Pferd, abgesehen von …« Tarek stockte.

»Abgesehen von …?«, fragte Mia. Warum sprach Tarek nicht weiter? Wurde er jetzt rot? Oder bildete sich Mia das bloß ein?

»Ach, nichts, sie stammt in direkter Linie von Abayyah ab, einer der fünf Stuten des Propheten.«

Mia nickte, obwohl sie in Wahrheit überhaupt nichts verstand. Die fünf Stuten des Propheten? Was sollte das sein? »Es sind wunderschöne Tiere«, sagte sie.

»Die schönsten«, bestätigte Tarek. Dabei sah er Mia an, als gälten diese Worte ihr, als wäre sie in seinen Augen die Schönste.

Wieder spürte Mia, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie konnte das Klopfen buchstäblich hören und es klang in ihren Ohren, als würde eine Herde Wildpferde über die Steppe galoppieren.

»Ich … ich muss jetzt gehen«, stotterte Mia. Obwohl das nicht stimmte. Niemand erwartete sie. Ihre Eltern waren sicher noch beschäftigt. Aber sie konnte ihre eigenen verwirrenden Gefühle nicht länger ertragen. Mia musste erst Klarheit darüber gewinnen.

»Schade«, sagte Tarek und Mia sah an seinem Gesichtsausdruck, dass er es ernst meinte. »Kommst du noch mal wieder?«

Mia nickte stumm, als hätte sie nun tatsächlich ihre Sprache verloren. Dann hob sie schweigend die Hand zum Gruß, drehte sich auf dem Absatz um und unterdrückte mühsam den Impuls zu laufen. Sie spürte Tareks Blick auf ihrem Rücken.

Mia lag mit unter dem Kopf verschränkten Armen auf ihrem Hotelbett, starrte die Decke an, die von einigen Mückenleichen verunstaltet war, und versuchte ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Es war durchaus nichts Neues für sie, wenn ein Junge ihr Komplimente machte. Und normalerweise brachte sie das nicht so aus der Fassung, dass sie Hals über Kopf davonrannte. Aber Tarek machte ihr ja noch nicht einmal Komplimente! Es war die Art, wie er mit ihr sprach und wie er sie dabei ansah. Als hätte alles, was er sagte, eine tiefere Bedeutung.

War es Zufall, dass Tarek ausgerechnet Freiha, die fuchsfarbene Stute, gestriegelt hatte, als sie gekommen war? Oder gab es so etwas wie Bestimmung? Was hatte Tarek gesagt? Rot ist die Farbe der Göttin der Liebe oder so ähnlich. Und sie wäre am liebsten in seinen Augen versunken. Dass Tarek auch gesagt hatte, Rot sei die Farbe des Krieges und der Schlacht, daran erinnerte sich Mia in diesem Augenblick nicht. Aber selbst wenn, so hätte das an dem, was in den nächsten Tagen geschehen sollte, sicher nichts geändert.

2

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Das schnellste Pferd ist der Fuchs,
Das ausdauerndste der Braune,
Das feurigste der Rappe,
Und das seligste hat eine weiße Stirn.
EMIR ABD-EL-KADER

Liebe Jule,

wie findest du den Namen Tarek? Klingt er nicht wunderschön? Nein, wahrscheinlich klingt er nur wunderschön, wenn man in die dazugehörenden braunen Augen mit den dichten, langen Wimpern blickt und das Grübchen auf der linken Wange (oder ist es die rechte?) zum Vorschein kommt. Auf jeden Fall hat er nicht nur die schönsten Augen, sondern auch die schönsten Hände, die ich jemals gesehen habe. Schade, dass ich sie dir nicht zeigen kann. Ich muss unbedingt ein Foto von ihm machen, das ich dir mitbringen kann. Vergiss alles, was ich im letzten Brief geschrieben habe – hier ist es wunderbar!

Verwirrte, aber glückliche Grüße

von deiner

Mia

Wahrscheinlich hielt Jule sie für verrückt, aber das war Mia egal. Sie würde ihr alles haarklein berichten, sobald sie nach Hause kam.

Nach Hause? Bei diesem Gedanken legte sich eine Eisenzwinge um Mias Herz und drückte unerbittlich zu. Daran hatte sie ja noch gar nicht gedacht! Das würde ja bedeuten, dass sie Tarek nie wiedersah!

Auf jeden Fall bedeutete es, dass sie nicht viel Zeit hatte. Entschlossen klebte sie das Kuvert zu und schrieb Jule Grebes Adresse auf die Vorderseite. Ihre Mutter und ihr Vater waren noch nicht zurück. Also konnte sie vor dem Abendessen noch einmal los.

Mia versuchte, sich eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Doch sie klebte fest. Ebenso wie ihre Hosenbeine und alles andere. Kein Wunder, bei zweiunddreißig Grad im Schatten. Eigentlich war es eine angenehme, trockene Hitze – vorausgesetzt, man lag dicht am Pool und bewegte sich nicht allzu viel. Höchstens um die Hand nach einem mit Eiswürfeln gekühlten Drink auszustrecken zum Beispiel. Aber der Pool und die Eiswürfel lagen hinter Mia. Einige hundert Meter entfernt. Und zwischen Mia und dem Pool standen Dutzende, wenn nicht Hunderte Kakteen und Palmen. Der sorgfältig geharkte Fußweg, der durch den Park führte, staubte bei Mias Schritten. Die Luft flirrte über dem Boden und Mia hätte sich nicht allzu sehr gewundert eine Fata Morgana zu sehen. Stattdessen hörte sie das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen.

Merkwürdig aussehende Insekten kreuzten ihren Weg und Mia hielt die Augen offen, um nicht aus Versehen auf eine Schlange zu treten oder was es sonst noch alles hier gab. Sie sog den herb-süßen Duft nach frisch gemähtem Gras und exotischen Blüten ein, in den sich allmählich der unverwechselbare Geruch von Pferden mischte.

Die sechs Araber standen auf der Weide und sahen ihr erwartungsvoll entgegen. Als sie bemerkten, dass sie nicht die Person war, auf die sie warteten, wandten sie sich nacheinander wieder ab und setzten ihre unterschiedlichen Tätigkeiten fort. Auch Sultan machte diesmal keine Ausnahme. Fast hatte Mia den Eindruck, die Tiere wären enttäuscht. Aber vielleicht lag das auch nur an ihrer eigenen Enttäuschung, denn sosehr Mia nach ihm Ausschau hielt, sie konnte Tarek nirgends entdecken. Sie lehnte sich gegen das Gatter und beobachtete die Pferde. Nur schwer konnte sie die aufkeimende Niedergeschlagenheit verdrängen. Da hatte sie es sich fest vorgenommen, ihren Schutzwall niederzureißen, und nun war er nicht da!

Die Pferde schienen Tarek auch zu vermissen. Hatte Mia die Tiere bei ihren bisherigen Besuchen auf der Koppel als eine einheitliche Gruppe empfunden, so stand jetzt jedes Tier für sich, abgegrenzt von den anderen. Als wäre es allein Tareks Anwesenheit, die aus den sechs einzelnen Tieren eine Herde machte.

Was sollte Mia tun, wenn sie Tarek nie mehr wiedersah? Wenn er heute nur ausnahmsweise bei den Pferden gewesen war? Diesen Gedanken versuchte sie lieber zu verdrängen. Morgen würde sie erneut hier vorbeigehen und dann war er gewiss wieder da. Und wenn nicht, dann hatte sie immer noch Zeit, sich für ihr dummes Verhalten von vorhin zu verfluchen.

Nun hob einer der beiden Füchse den Kopf und sah zu Mia herüber. Er schien zu überlegen. Langsam setzte sich das Pferd in Bewegung und kam auf Mia zu. Unmittelbar vor ihr blieb es stehen und streckte den Kopf über den Zaun, um sie zu beschnuppern.

»Sultan?«

Mia hatte leise gesprochen. Dennoch spitzte der Wallach die Ohren, als er seinen Namen hörte, und schnaubte.

»Wieder auf der Suche nach was Fressbarem?« Mia erinnerte sich an Tareks Worte, mit denen er ihr den Wallach vorgestellt hatte. Sie streckte die Hand nach ihm aus und ließ Sultan ihren Geruch aufnehmen. Seine Ohren waren genau auf sie gerichtet, als lauschte er ihren Worten. Mia hob die Hand, rieb dem Fuchs sanft die Stirn und glitt mit ihren Fingern über seine Nase. Das Fell war seidenweich und schimmerte im Sonnenlicht. Sultan legte den Kopf schief und lehnte sich gegen Mias Hand. Es war offensichtlich, dass er die Streicheleinheiten genoss und mehr forderte. Mia lächelte, während sie dem Wunsch des Pferdes nachkam und seinen Hals unter der seidigen Mähne mit ihren Fingern bearbeitete. Sie fühlte, wie sie ruhiger wurde und die Zuneigung des Tieres in sich aufsog. Sie hätte stundenlang so stehen bleiben und Zärtlichkeiten austauschen können.

Und dem menschenfreundlichen Sultan schien es nicht anders zu gehen. Er schloss die Augen und lehnte sich so stark gegen Mias Hand, dass das Mädchen Schwierigkeiten hatte, dem Druck standzuhalten.

Es muss wunderschön sein, ein solches Pferd zu reiten, dachte Mia und erinnerte sich an einen ihrer Kindheitsträume: auf dem Rücken eines Pferdes über einen Strand zu galoppieren. Wie oft hatte sie sich gewünscht, das einmal zu erleben! Was für ein erhebendes Gefühl musste es sein, wenn die Hufe des Pferdes den Sand aufwirbelten und die Gischt des Meeres bis zum Reiter hochspritzte. Vorausgesetzt, man konnte reiten und saß nicht ausgerechnet auf einem armen, geschundenen Schulpferd.

Am liebsten hätte Mia Sultan umarmt und ihren Kopf an seinen warmen, weichen Hals gelehnt. Doch nicht nur der Zaun war im Weg, auch ein letzter Rest Skepsis hielt Mia davon ab.

Sultan schien für den Augenblick genügend Streicheleinheiten bekommen zu haben. Er wandte sich ab und kehrte in die Mitte der Weide zurück.

Mia sah ihm hinterher, ganz erfüllt von diesem Erlebnis. Noch nie zuvor hatte sie sich einem Pferd so nah und vertraut gefühlt, es ohne die geringste Scheu angefasst.

Mia war zufrieden mit ihrem Besuch auf der Koppel, auch wenn der eigentliche Zweck, Tarek zu sehen, unerreicht geblieben war. Soeben wollte sie sich mit einem Lächeln im Gesicht umdrehen, als sie eine Gestalt bemerkte, die hinter dem Offenstall hervortrat. Im ersten Moment dachte sie, es sei Tarek. Doch dann erkannte sie, dass dieser Mann viel älter war. Er trug einen Oberlippenbart und rauchte.

Ihr erster Impuls war, so zu tun, als hätte sie den Fremden nicht bemerkt, und sich einfach umzudrehen und fortzugehen. Der Mann war ihr auf Anhieb nicht sonderlich sympathisch. Irgendetwas Musterndes lag in seinem Blick. Er schien sie regelrecht zu taxieren. Doch es war zu spät dafür, ohne ein Wort das Weite zu suchen, wenn sie nicht unhöflich erscheinen wollte. Und vielleicht konnte er ihr verraten, wo sie Tarek fand?

»Deutsche?« Die Stimme des Mannes ließ Mia augenblicklich an Micky Maus denken. Sie passte überhaupt nicht zu seinem betont männlichen Aussehen.

Mia nickte stumm.

Der Mann grinste selbstgefällig. »Das hab ich mir gedacht«, sagte er und kam auf Mia zu. »In neunzig Prozent der Fälle liege ich richtig.«

Ist ja toll, dachte Mia, angewidert von der eitlen Art des Mannes. Dennoch lächelte sie freundlich.

»Gestatten«, der Mann streckte ihr über den Zaun hinweg die Hand entgegen und Mia ergriff sie widerwillig. »Ben Belisar. Ich bin für die Pferde zuständig.« Er machte eine Kopfbewegung zu den weidenden Tieren, ließ Mia dabei aber nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen und erst recht nicht gab er ihre Hand frei.

»Ich dachte, Tarek kümmert sich um sie.« Mia schaute überrascht und versuchte, ihre Hand zu befreien. Als es ihr endlich gelang, wischte sie sie unauffällig an der Seite ihrer Hose ab.

»Tarek?« Der Mann lächelte, aber es war ein aufgesetztes Lächeln. »Nun, er ist mein Angestellter«, erklärte er. »Genauer gesagt, angestellt vom Hotel, aber er arbeitet für mich.« Er zwinkerte Mia zu. »Und womit kann ich der hübschen jungen Dame eine Freude machen? Ich bin nämlich Experte in den Belangen von Frauen.« Er zwinkerte wieder.

Hatte der Mann ein Augenleiden? Mia musste sich zwingen, nicht genervt aufzustöhnen. Dieser Belisar hatte eine schleimige Art, die ihr überhaupt nicht gefiel. Er betrachtete sie lüstern, sein Blick glitt immer wieder über ihre Figur und er stank nach Zigarettenqualm und irgendeinem aufdringlichen Rasierwasser. Eine Mischung, die Mia schon immer gehasst hatte. Zugegebenermaßen sprach er perfekt Deutsch. Lediglich seine Aussprache verriet, dass es nicht seine Muttersprache war. Und obwohl viele Tunesier, die im Hotel arbeiteten, ein paar Brocken Englisch und Deutsch beherrschten, fielen seine Sprachkenntnisse positiv auf.

»Vielleicht können Sie mir sagen, wo ich Tarek finde?«

Der Mann zog an seiner Zigarette. »Das wüsste ich selbst gern«, sagte er, während er den Rauch ausblies. Mitten in Mias Gesicht.

Mia hielt die Luft an.

»Aber es gibt nichts, was ich nicht mindestens genauso gut wie Tarek für eine so attraktive junge Frau tun könnte«, fuhr Belisar fort.

Mia fühlte sich zunehmend unwohl. Es war nicht zu übersehen, dass der Mann sie umwarb. Es gab Männer, die einem jungen Mädchen wie Mia Komplimente machten und dabei dennoch die Regeln des Anstands wahrten, und andere, zu denen zweifelsohne Ben Belisar gehörte, die ihre Opfer bedrängten, ohne sie auch nur einmal anzufassen.

»Danke«, antwortete Mia, »aber es handelt sich um etwas Persönliches.«

Belisar zog die Augenbrauen hoch. »Tja, dann …« Er sprach nicht weiter, sondern starrte Mia gierig an.

»Tja.« Mia lächelte verlegen und ärgerte sich über sich selbst, weil sie sich von diesem Mann derart verunsichern ließ. »Auf Wiedersehen«, sagte sie, wandte sich ab und kehrte ihm und den Pferden den Rücken zu. Sie fühlte sich gedemütigt und gleichzeitig wütend. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Glaubte er ernsthaft, einer wie er könnte Mia gefallen? Aber irgendwie hatte er es geschafft, dass Mia sich klein und benutzt vorkam. Mia spürte Übelkeit in sich aufsteigen.

Mias Mutter lobte die entspannende Wirkung der Lavendelpackung und der Rückenmassage über den grünen Klee. Für den nächsten Tag stand ein Friseurbesuch auf dem Programm und darüber hinaus hatte sich Frau Mauritz eine Fangobehandlung aufschwatzen lassen.

Aufschwatzen war das Wort gewesen, das Mias Vater gewählt hatte. Er hatte sich dafür einen vernichtenden Blick seiner Gattin eingeheimst. Er seinerseits hatte verkündet, dass er die kommenden Tage am Pool verbringen würde. Die Tennisstunden waren nicht ganz nach seinem Geschmack gewesen. Er hielt nicht viel von Sport, wie man an seinem wachsenden Bauchansatz sah. Sich im Urlaub sportlich zu betätigen, war die Idee seiner Frau gewesen. Nun hatte er der Pflicht Genüge getan und wollte den Rest der Ferien nach seinem eigenen Gusto verbringen.

»Und was möchtest du morgen machen, Liebes?« Ihre Mutter sah Mia über den Rand ihres Salattellers hinweg an. Etwas anderes als Salat aß Frau Mauritz nie zum Abendessen, um ihre schlanke Linie zu halten, wie sie es formulierte.

Mia machte sich keine Gedanken über Diäten und schlanke Linien. Sie aß, wonach ihr gerade der Sinn stand. Im Augenblick waren das gegrillte Meeresfrüchte mit in Öl schwimmenden Kartoffelspalten aus dem Backofen. Und auf dem Dessertbüfett hatte sie bereits eine köstlich aussehende Torte ins Auge gefasst. Direkt neben der Mousse au Chocolat, für die sich sicher auch noch ein Plätzchen im Magen finden ließ.

Obwohl Mia gerne und viel aß – ein Freund, der seitdem ein Exfreund war, hatte mal gesagt, sie äße mehr als zwei Männer und würde bestimmt irgendwann mal dick werden –, war sie schlank. Nicht gerade der hagere Typ mit hervorstehenden Knochen, aber trotzdem schlank. Sportlich konnte man wohl auch sagen, obwohl sie bei Weitem nicht so sportlich war, wie sie aussah. Sonst hätte sie vielleicht auch nicht solche Hemmungen gehabt, zu reiten.

»Was hast du für morgen geplant, Mia?« Ihr Vater wiederholte die Frage, die immer noch unbeantwortet im Raum stand, während ihre Mutter an ihrem Mineralwasser nippte.

Mia zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, vielleicht gehe ich reiten.«

Auf Frau Mauritz’ Gesicht zeigte sich ein entzücktes Lächeln. »Das finde ich prima«, sagte sie begeistert. »Siehst du, vielleicht ist es hier doch gar nicht so schlecht, wie du zuerst gedacht hast!«

»Ja, vielleicht«, antwortete Mia und schob sich eine volle Gabel Gambas in den Mund.

Tarek sattelte soeben zwei Pferde, als Mia am nächsten Vormittag am Rand der Koppel auftauchte. Erleichtert stellte sie fest, dass von diesem widerlichen Ben Belisar weit und breit nichts zu sehen war. Sie konnte gut darauf verzichten, diesem Mann noch einmal in ihrem Leben zu begegnen und sich von ihm begutachten zu lassen.

Ein Touristenpaar, eine Frau und ein Mann mit rheinländischem Dialekt, wartete darauf, dass Tarek mit dem Auftrensen fertig wurde, und unterhielt sich in der Zwischenzeit angeregt über die einfache Landbevölkerung Tunesiens, der es an Bildungsmöglichkeiten fehle. Mia wunderte sich über die Unhöflichkeit, denn es war nicht zu übersehen, dass sie Tarek in ihre Überlegungen mit einschlossen. Erst als sie feststellte, dass Tarek kein Wort mit den beiden wechselte, wurde ihr bewusst, dass sie nicht ahnten, dass der Junge jedes ihrer Worte verstand. Und er schien auch nicht vorzuhaben, sie über ihren Irrtum aufzuklären. Im Gegenteil, er hatte offensichtlich großen Spaß daran, den einfachen tunesischen Jungen zu spielen. Mia allerdings ärgerte sich über die Arroganz ihrer Landsleute. Ob sie auch nur ein Wort Arabisch sprachen? Sicher nicht!

Tarek drückte den beiden die Zügel in die Hand und nahm das Trinkgeld, das sie ihm in einer gönnerischen Geste reichten, mit einer leichten Verbeugung zu seinen ausgetretenen weißen Turnschuhen entgegen. »Schukran jasilan«, sagte er und selbst ohne Arabischkenntnisse war klar, dass er sich bedankt hatte.

Die beiden Touristen hatten es nicht nötig, sich ebenfalls zu bedanken, sie nickten lediglich großmütig und hievten sich umständlich und mit Tareks Hilfe auf die Pferderücken.

Es waren Sultan und Malik, die Tarek gesattelt hatte. Der Fuchs und der Schecke sahen eindeutig nicht glücklich aus. Die Ohren nach hinten geklappt kauten sie unzufrieden auf ihren Gebissen herum. Sie wären offensichtlich viel lieber auf der Weide geblieben anstatt dickleibige, ungeschickte Reiter durch die Gegend zu tragen. Missmutig setzten sich die beiden Pferde in Bewegung.

Tarek lehnte am Zaun und sah ihnen hinterher. »Auf dem Rückweg geht es immer schneller«, bemerkte er grinsend und ohne den Blick von den Reitern abzuwenden, die ihre liebe Mühe hatten, die zwei Pferde zum nächsten Schritt zu überreden.

»Ich dachte, so störrisch wären nur Schulpferde«, sagte Mia.

Tarek lächelte. »O nein«, antwortete er. »Alle Pferde haben gute Antennen für die Fähigkeiten ihres Reiters. Und wenn sie mit ihm nicht einverstanden sind …« Er brauchte nicht weiterzusprechen.

Mia konnte auch so gut nachvollziehen, was er meinte, denn Malik und Sultan zeigten eindeutig, was sie von den beiden Menschen auf ihren Rücken hielten: nämlich nichts.

Mia sah Tarek von der Seite an und ihr Blick blieb an dem Grübchen hängen. Es war auf der ihr zugewandten linken Seite. Diesmal würde sie es nicht wieder vergessen.

Tarek drehte den Kopf und schaute ihr direkt in die Augen.

Mia stockte der Atem. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sich ihre Schultern beinahe berührten. Ihre Gesichter waren nahe beieinander. So nah, dass sie sich hätten küssen können, wenn sie sich nur noch ein klein wenig weiter vorbeugten.

Doch das taten sie nicht.

Mia wandte sich ab und strich sich mit zittrigen Fingern eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Es ist schön, dich zu sehen«, sagte Tarek mit sanfter Stimme.

»Ich war gestern Abend noch einmal hier«, antwortete Mia. »Aber ich konnte dich nicht finden.«

Tarek lächelte, sagte jedoch nichts.

Sein Schweigen machte Mia nervös. Sie war nicht besonders gut darin, einfach draufloszuplaudern. Zumindest dann nicht, wenn es ihr wichtig war, was ihr Gegenüber von ihr dachte. Ihre Freundin Jule war da ganz anders. Ihr fiel immer etwas ein und sie traf dabei auch den richtigen Ton zwischen Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit. Wie oft hatte sich Mia schon gewünscht, so wie Jule zu sein!

Während Mia noch verzweifelt nach dem nächsten Satz suchte, kam eine junge Frau auf sie und Tarek zu. Und selbst wenn Mia in diesem Augenblick etwas eingefallen wäre, so hätte sie es spätestens jetzt wieder vergessen. Die Frau war auffallend hübsch. Anfang zwanzig, dunkelblondes, gelocktes, schulterlanges Haar, grüne Katzenaugen, eine umwerfende Figur, hohe Wangenknochen, eine schmale und unglaublich gerade Nase, ebenmäßige weiße Zähne in einem etwas zu großen Mund, der aber nur ihre sinnliche Ausstrahlung unterstrich, als sie Tarek jetzt anlächelte. Mia schien sie gar nicht zu bemerken.

»Hallo«, sagte sie und in diesem einen Wort kam deutlich ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, an diesem Ort einem so hübschen jungen Mann wie Tarek zu begegnen.

Mia hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Eben noch hatte sie das Gefühl gehabt, sie könnte Tarek vielleicht auch gefallen. Doch nun kam sie sich schlagartig wieder wie ein kleines Mädchen vor, das bei einem Gespräch zwischen Erwachsenen fehl am Platz ist.

Tarek erwiderte die Begrüßung und die Frau streckte ihm die Hand mit ihren frisch manikürten Fingernägeln entgegen. Selbstverständlich trug sie weißen Nagellack, der ebenso wie ihr übriges Äußeres lediglich ihre Natürlichkeit unterstrich, für die sie morgens sicher nicht länger als höchstens anderthalb Stunden brauchte, wie Mia im Stillen dachte.

Bei Tarek dagegen schien die aufwändig gestylte Natürlichkeit gut anzukommen. Mia entging es nämlich nicht, dass der Handschlag der beiden länger dauerte, als es nötig gewesen wäre. Und auf jeden Fall deutlich länger, als es Mia lieb war. Sie war neidisch auf die Frau, die ihr jetzt schon etwas voraushatte: Sie hatte Tarek berührt, seine schönen braunen Hände angefasst.

Schweigend lauschte Mia dem Gespräch. Die junge Frau, ihr Name war Elena, suchte ein Reitpferd. Und selbstverständlich war sie eine versierte Reiterin.

Tarek empfahl ihr Freiha, die fuchsfarbene Stute, und er erzählte ihr ebenso wie Mia am Tag zuvor, was die Araber über diese Fellfärbung sagten. Argwöhnisch versuchte Mia abzuschätzen, ob sein Blick in Elenas Katzenaugen bei der Erwähnung der Göttin der Liebe genauso lang gedauert hatte wie bei ihr, kam aber zu keinem Ergebnis. Sie schluckte die Enttäuschung darüber hinunter, dass ihr Gespräch am vergangenen Tag für Tarek augenscheinlich nichts Besonderes gewesen war und er die gleichen Worte für jede x-beliebige Person herunterrasselte, und wandte sich wortlos ab. Denn sie befürchtete ihre Niedergeschlagenheit nicht länger verbergen zu können.

Hätte sie sich noch einmal umgedreht, als sie zu dem Hotelkomplex zurückging, wäre ihr vielleicht aufgefallen, dass Tarek ihr nachdenklich und ein wenig traurig hinterherblickte, während Elena auf ihn einredete, ohne von ihm beachtet zu werden. Aber Mia tat es nicht. Und so konnte sie auch nicht sehen, mit welchem Anmut Freiha kurz darauf mit ihrer Reiterin davonpreschte. Etwas Gegensätzlicheres als den missmutigen Abgang von Malik und Sultan und Freihas schwungvollen Galopp, die sich offensichtlich auf den Ausritt freute, gab es wohl kaum.

Nach zwei Stunden Mückenleichenzählen auf ihrem Hotelbett hatte sich Mia wieder einigermaßen im Griff. Natürlich, Tarek war freundlich zu Elena gewesen, aber das musste er ja schließlich auch sein, oder? Außerdem war die Frau zwar attraktiv, aber dennoch viel zu alt für Tarek, der sicher nicht älter als sechzehn sein konnte. Obwohl er, wie Mia festgestellt hatte, durchaus schon eine ausgeprägte Muskulatur und leichten Bartwuchs hatte.

Mia setzte sich im Bett auf und warf einen prüfenden Blick auf ihre Figur, die ebenfalls keineswegs mehr kindlich war. Sie trug zwar keinen BH, aber sie hätte einen tragen können und, wenn es nach dem Willen ihrer Mutter gegangen wäre, auch tragen sollen.

Aber konnte sie mit einer gestandenen Frau wie Elena konkurrieren?

»Ich werde mich nicht so schnell geschlagen geben«, murmelte Mia vor sich hin. »Das wollen wir doch mal sehen!«

3

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Und (er erschuf) die Pferde …
auf dass ihr auf ihnen reitet
und euch mit ihnen schmückt.
KORAN, 16. SURE

Mia hoffte sehr, Tarek würde nicht merken, wie nervös sie war, als sie am nächsten Vormittag erneut am Rand der Koppel auftauchte. Doch schnell wurde ihr klar, dass ihre Sorge unbegründet war: Tarek schien nichts von ihrer Aufregung zu spüren. Er schien sie, um genau zu sein, überhaupt nicht zu bemerken. Und das, obwohl sie mit etwas Make-up versucht hatte, sich attraktiver zu machen. Er sah nicht einmal auf, als sie sich an den Weidezaun lehnte, sondern fuhr verbissen damit fort, Asisas Schweif auszukämmen.

»Was ist los?«, fragte Mia und versuchte unbekümmert zu wirken. »Ist was passiert?«

Tarek sah zu ihr hinüber, aber das Strahlen seiner Augen fehlte heute. Mia erschrak ein wenig. Tareks Augen wirkten wie verdunkelt. Als hätte sich ein Schatten über sie gelegt. Als sei die Sonne hinter einer Gewitterwolke verschwunden, dachte Mia und ihre selbst auferlegte Selbstsicherheit schwand.

»Möchtest du heute reiten?«, fragte Tarek, seine Stimme klang anders als sonst. Geschäftsmäßig, distanziert.

»Vielleicht«, antwortete Mia, weil sie das Gefühl hatte, dies sei ihre einzige Chance, das Gespräch in Gang zu bringen. »Wenn du mit mir kommst.«

»Ich kann nicht«, erwiderte Tarek und in seiner Stimme schwang nicht der Hauch eines Bedauerns mit. »Ich muss bei den Pferden bleiben.«

Mia fühlte sich, als hätte ihr Tarek eine schallende Ohrfeige verpasst. Hatte sie sich denn wirklich alles nur eingebildet? Das Strahlen seiner Augen? Das Grübchen an seiner Wange? Wo war die Göttin der Liebe? Mia hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. »Tja«, sagte sie. »Dann geh ich mal wieder.«

Tarek nickte wortlos und wandte sich erneut Asisa zu.

Mia blieb noch eine Weile stehen und beobachtete Tarek, musterte sein ärmelloses dunkles T-Shirt, die ausgeleierte und etwas verschmutzte Jeans sowie die weißen Turnschuhe, die er jeden Tag trug. Doch er kümmerte sich ausschließlich um das Pferd. Ohne ein Wort des Abschieds drehte sich Mia schließlich um und ging davon. Die ersten Tränen der Enttäuschung rannen ihr bereits über die Wangen, bevor sie das Ende der Koppel erreicht hatte. Sie konnte sich gerade noch hinter die nächste Ecke auf eine Parkbank retten, dann schluchzte sie laut auf.

Nach dem ersten Entsetzen verwandelte sich Mias Niedergeschlagenheit in Wut. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein? Woher nahm er das Recht, so mit ihren Gefühlen zu spielen? Steckte womöglich doch diese Elena dahinter? Hatte Tarek sie zugunsten der Älteren fallen gelassen, bei der er leichteres Spiel hatte? Elenas Avancen waren schließlich mehr als deutlich gewesen. Wahrscheinlich turteln sie jetzt miteinander und machen sich über meine Dummheit lustig!, dachte Mia und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht. Schwarze Schlieren auf der Haut verrieten ihr, dass die Wimperntusche, mit der sie sich für Tarek hatte hübsch machen wollen, dabei war, sich aufzulösen. Und natürlich hatte sie nicht einmal ein Taschentuch bei sich.

Gerade wollte sie aufstehen, um sich im Schutz ihres Hotelzimmers die Reste des Make-ups aus dem Gesicht zu waschen, als sie erstarrte. Ob vor Überraschung oder vor Schreck, war schwer zu sagen.

Die Person, die raschen Schrittes die Weggabelung kreuzte, vier oder höchstens fünf Meter von der Bank entfernt, auf der Mia saß, kam ihr merkwürdig vertraut vor. Kurzes braunes Haar, ein ärmelloses dunkles T-Shirt, ausgeleierte Jeans und weiße Turnschuhe.

Unwillkürlich verharrte Mia regungslos. Um nichts in der Welt sollte Tarek sie so sehen! Aber die Gefahr bestand auch nicht. So schnell, wie der Junge aufgetaucht war, verschwand er auch wieder aus Mias Blickfeld.

So, so, dachte Mia, er muss also bei den Pferden bleiben! Dann muss es ja etwas sehr Wichtiges sein, was ihn jetzt von seinen Pflichten abhält.

Sie schnaufte verächtlich. Ohne näher darüber nachzudenken, was sie sich davon erhoffte, stand Mia auf und folgte Tarek.

Es war nicht schwierig, unentdeckt zu bleiben. Erstens schien Tarek nicht zu befürchten, dass ihm jemand nachkam, und zweitens bot der großräumig angelegte Hotelpark mit seiner üppigen Vegetation ausreichend Verstecke. Doch Tarek entfernte sich immer weiter von dem Hotelgebäude und Mia hatte Mühe, ihm zu folgen, so schnell bahnte sich der Junge seinen Weg auf immer schmaler werdenden Pfaden.

Allmählich veränderte sich das Bild der Parkanlage. Links und rechts wucherte Gestrüpp, an einer Stelle türmte sich sogar mannshoch ein Müllberg auf. Mia erkannte im Vorübereilen alte Matratzen, Bettgestelle, kaputte Stühle, riesige, zerbeulte Konservendosen und allerlei anderen Unrat. Ein mulmiges Gefühl beschlich Mia. Was hatte Tarek vor? Wohin folgte sie ihm? Sie warf einen Blick über die Schulter zurück, doch das Hotel war so weit entfernt, dass sie es nur noch erahnen konnte. Würde sie den Weg zurück finden? So viel zumindest war klar: Dieser Teil des Grundstücks war nicht für Urlauber gedacht. Hier hatten Touristen wie sie nichts zu suchen.

Mia überlegte soeben, ob sie nicht lieber umkehren sollte, als Tarek vor einem baufälligen Schuppen stehen blieb, der wie aus dem Nichts auftauchte. Die Tür hing schief in den Angeln und selbst aus einigen Metern Entfernung konnte Mia sehen, dass das Dach löchrig war. Tarek blickte sich um und Mia konnte gerade noch hinter einem Dornengestrüpp in Deckung gehen. Sie unterdrückte einen Schmerzensschrei, als sich ein Stachel durch die dünne Leinenhose in ihre Wade bohrte.

Der Junge öffnete die quietschende Tür und verschwand im Dunkel des kleinen Holzhüttchens.

Mia verzog das Gesicht und untersuchte ihre Wade.