Verlockende Affäre

Liebesroman

Vivien Johnson


ISBN: 978-3-95573-321-6
1. Auflage 2015, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2015 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de

Titelbild: Unter Verwendung des Bildes 196657061 (shutterstock).

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Inhalt

Prolog

1. September

 

Meine liebste Abigail,

 

wenn Du diesen Brief liest, bin ich schon nicht mehr in deiner Nähe.

Ich habe mir solch eine schöne Zukunft für uns beide gewünscht, doch leider konnte ich dich nicht davon überzeugen, bei mir zu sein. All das, was du mit ihm haben wirst. All das habe ich mir für uns gewünscht.

Ein Haus, vielleicht einen Hund. Kinder, die im Garten toben, für die ich eine Schaukel bauen kann. Doch all das ist nicht möglich.

Abigail, ich kann deine Entscheidung nicht nachvollziehen. Doch ich werde sie akzeptieren. Ich dachte, dass es zwischen uns etwas Besonderes war. Vielleicht habe auch nur ich so gefühlt, doch ich war der festen Meinung, dass auch du so dachtest.

Ich bitte dich nur um eines: Lebe dein Leben so, dass du glücklich wirst. Lass dich nicht unterkriegen – schon gar nicht von ihm – und genieße jeden Tag, als wenn es dein letzter wäre.

 

Denn eines hat mir die Zeit mit dir gezeigt: Alles ist begrenzt und wenn es die Anzahl der Tage war, die ich mit dir verbringen konnte.

 

Abigail, ich werde dich immer lieben; keine wird je so sein, wie du es warst.

 

In Liebe,

X

Kapitel 1

Abigail

 

Aufgeregt stellte ich den Wagen ab, ging zur Haustür und öffnete sie.

„Marvin? Bist du da?“, rief ich, doch es kam keine Antwort. Ein wenig enttäuscht ließ ich meine Handtasche im Flur stehen und ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen, den Umschlag immer fest in meinen Händen.

Ich wich den Kartons aus, die noch im Weg standen, und konnte mein Glück immer noch nicht fassen.

Ich hatte all das, wovon ich nie im Leben gedacht hätte, dass es so schnell geschehen würde. Während meiner Studienzeit auf der Uni hatte ich meinen Ehemann kennengelernt – unfassbar, wie gut sich dieses Wort anhörte. Wir kamen recht schnell zusammen, nachdem er mich umworben hatte, wie es sich für einen Mann gehörte. Nie hatte ihn eine andere Frau an der Universität interessiert.

All meine Kommilitoninnen waren so ganz anders gewesen als ich und ich konnte selbst jetzt noch über sie nur den Kopf schütteln – genauso wie Marvin.

Sie waren nur auf Partys unterwegs gewesen, tranken viel Alkohol und wie ich von meiner Mitbewohnerin hautnah mitbekommen hatte, schleppten sie auch einige Männer ab. Ich ekelte mich allein bei dem Gedanken daran, je einen anderen Liebespartner als meinen Mann zu haben, während diese Frauen wöchentlich die Männer wechselten.

Ich konnte nicht nachvollziehen, was daran reizvoll sein sollte. Ich schüttelte den Kopf, trank einen Schluck, setzte mich an den Küchentisch und öffnete den Umschlag.

Zum Vorschein kamen die ersten privaten Bilder unserer Hochzeit. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht und ich fühlte mich an den Tag – der nur eine Woche her war – zurückversetzt.

 

„Du siehst so wunderschön aus, Abigail“, sagte Marvin zu mir, als wir auf der Tanzfläche standen und der typische Hochzeitstanz begann.

1-2-3, 1-2-3, wiederholte ich in Gedanken und versuchte mich darauf zu konzentrieren, was Marvin gesagt hatte.

„Danke schön.“ Ich spürte, wie eine leichte Röte meinen Kopf und mein Dekolleté zierte. Seit knapp drei Stunden konnte ich Marvin meinen Mann nennen. Meine Eltern waren wahnsinnig stolz auf mich, mein Studium, was ich vor knapp einem Jahr abgeschlossen hatte, war passé und ich konnte mich nun auf das konzentrieren, wofür ich geboren war: Kinder kriegen.

Marvin führte mich hervorragend durch den Tanz und allein bei der Vorstellung, was heute Nacht traditionell passieren würde, wurde mir ein wenig mulmig.

Doch mir war bewusst, dass es dazugehörte. Anders konnte ich eben nicht schwanger werden.

 

Bei dem Gedanken an meine Hochzeitsnacht wurde ich nervös. Ich fand es schön, wie Marvin mich berührt hatte, wie es sich angefühlt hatte, als er in mir war. Doch Marvin war genauso wie ich erzogen worden.

Als ich die Fotos durchgesehen hatte, setzte ich den Kaffee auf und sah auf die Uhr. Marvin würde gleich nach Hause kommen und bis dahin sollte ich etwas zu essen bereitstehen haben.

Immer noch schlug mein Herz bei dem Gedanken schneller und ich atmete tief durch, um mich ein wenig zu beruhigen. Ich wollte nicht, dass Marvin mich so sah.

 

„Ich habe heute mein erstes technologisches Wunder gehabt“, erzählte Marvin beim Abendessen aufgeregt. Meine Welt drehte sich nur noch um ihn und ich fand es toll. Ich hörte ihm gespannt zu, als er mir etwas von einem neuen Computerteil erzählte, an dem er mit beteiligt war, und ich fragte mich, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich Marvin nicht kennengelernt hätte.

Doch sofort schalt ich mich selbst für den Gedanken. Ich liebte Marvin, war seit zwei Jahren glücklich mit ihm und wenn ich ihm erst die Kinder geschenkt hätte, wie wir es uns wünschten, wäre meine Welt perfekt. Endlich konnte ich das Leben meiner Mutter führen und hatte nichts, aber auch gar nichts auf der Welt vermisst.

„Warst du schon beim Frauenarzt?“, fragte Marvin und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch.

„Nein, aber ich habe für übermorgen einen Termin.“ Genervt schüttelte er den Kopf.

„Abigail, du hast nichts anderes zu tun, als dich darum zu kümmern, wie wir eine Schwangerschaft vorantreiben können. Ich will nicht so oft … du weißt schon.“ Röte schoss in meinen Kopf. Uns beiden war es unangenehm, über dieses Thema zu reden. Was für andere ‚normal‘ war, glich in unseren Familien einer Schande.

„Es tut mir leid, aber sie hatten für heute keine Termine mehr“, entschuldigte ich mich und Marvin schnaufte nur.

„Immer diese Ausreden.“ Er schüttelte den Kopf. Doch für mich war dieses Verhalten in Ordnung. Ich fand es gut, wenn er mir sagte, dass ich etwas nicht nach seinen Vorstellungen machte. Alles andere wäre nicht gut.

 

Als ich die Küche aufräumte, rief Marvin mir zu, dass ich ihm ein Bier bringen sollte. Ich machte mich sofort daran. Eine perfekte Frau hörte auf ihren Mann. Die Worte meiner Mutter schlichen sich in mein Gedächtnis und ich konnte dabei nur lächeln. Meine Mutter hatte mir viel gelehrt.

„Hier“, sagte ich zu ihm, als ich ihm das Bier reichte.

„Setz dich zu mir“, bat Marvin mich und ich kam seinem Wunsch nach. Er hatte die Nachrichten angeschaltet und schüttelte bei jedem Beitrag über die Regierung den Kopf.

„Es ist einfach nur abartig, was die Regierung mit uns macht.“ Ich äußerte mich nicht dazu. Ich hatte Politikwissenschaften studiert, wusste genau, was die Regierung dort trieb. Doch ich hatte mich einmal auf eine Diskussion mit ihm eingelassen, nie wieder würde ich es wagen, ihm zu widersprechen.

 

Marvin ließ den Sender laufen und als die Uhr irgendwann zur zehnten Stunde schlug, sagte ich ihm Gute Nacht und fing an, mich bettfertig zu machen. Im Bett drehte ich mich jedoch von einer Seite auf die andere. Immer wieder wanderten meine Gedanken zurück zu unserer Hochzeitsnacht.

 

„Du siehst so wunderschön aus in deinem Hochzeitskleid. Ich will es dir gar nicht ausziehen.“ Marvin stand in der Suite im Hotel vor mir, welche wir von meinen Eltern als kleinen Zusatz für eine Nacht geschenkt bekommen hatten.

„Danke“, erwiderte ich und eine leichte Röte zierte meine Wangen. Mit seinem Finger strich er über mein Schlüsselbein, auf dem sich sofort eine Gänsehaut ausbreitete.

„Ich weiß, wir beide haben das noch nicht gemacht, doch ich will, dass es für dich eine schöne Nacht wird.“ Sein Mitgefühl war schon immer das, was ich an ihm besonders liebte. Von Anfang an war er so zu mir gewesen.

Er ging hinter mich, die Musik lief leise im Hintergrund und er fing an, die Knöpfe an meinem Kleid zu öffnen, streifte es mir langsam von meinen Schultern.

 

Gänsehaut überzog meinen Körper allein schon bei dem Gedanken daran. Des Öfteren hatte ich in der Zeit jetzt schon versucht, das mit ihm zu wiederholen, doch bisher hatte nichts funktioniert. Dabei sehnte ich mich so nach dem Gefühl, wenn er in mir war.

 

Weich gebettet lagen wir auf dem großen Kingsize-Bett und küssten uns sanft. Ich hatte noch meine Unterwäsche an und auch er seine Shorts. Doch eindeutig zeichnete sich darunter etwas ab, was ich bisher nur aus dem Sexualkundeunterricht kannte, und es jagte mir eine Heidenangst ein, wenn ich ehrlich sein sollte.

„Es wird alles gut und nicht wehtun“, versuchte Marvin mich zu beruhigen und küsste sich meinen Hals hinab, öffnete nebenbei den BH und warf ihn über die Bettkante. Ein wohliges Gefühl machte sich in meiner Mitte breit und ich konnte es irgendwie immer weniger abwarten.

Sein Mund schloss sich um meine Brustwarzen und ich hätte nie gedacht, dass ich dort so empfindlich sein könnte. Doch es fühlte sich gut an, sehr gut.

Er machte weiter, bis er an meinem Slip ankam, und ich zierte mich ein wenig, als er ihn abstreifte. Bisher konnte ich es immer verhindern, dass er mich ganz nackt sah, doch jetzt führte da kein Weg mehr dran vorbei.

Als er mir auch den ausgezogen hatte, hauchte er mir einen Kuss auf meine Mitte.

„Wunderschön“, flüsterte Marvin und strich über meine Haare. In vielen Frauenzeitschriften, die ich las, stand, dass die Frauen sich rasierten, doch ich hielt bisher nicht viel davon. Doch jetzt? Ich wusste nicht, ob ich es in Betracht ziehen würde.

Marvin kam wieder über mich und küsste mich auf den Mund.

„Gleich ziept es bestimmt kurz, aber danach wird es hoffentlich schön für dich, okay?“ Ich nickte hektisch und war kurz davor, einen Rückzieher zu machen. Doch Marvin strich über meine Seiten, bis hin zu meiner Hüfte, und dirigierte sich dann zu meinem Eingang.

 

Als ich hörte, wie Marvin den Fernseher ausmachte, drehte ich mich schnell auf die Seite und versuchte meinen erhöhten Herzschlag zu beruhigen. Ich musste wohl warten, bis Marvin wieder auf mich zukam, was die ehelichen Pflichten betraf.

Ein wenig enttäuscht darüber schloss ich meine Augen und versuchte einzuschlafen.

 

Am nächsten Morgen setze ich mich mit meiner Tasse Kaffee auf die Veranda und beobachtete die Vögel sowie das bunte Treiben in der Nachbarschaft.

Das Frühstück für Marvin stand schon auf dem Tisch, ich hatte mir vorgenommen, später am Morgen etwas zu mir zu nehmen. Ich winkte meiner Nachbarin zu, die gerade die Zeitung reinholte, in einem weiteren Garten wurde der Rasensprenger angestellt und mein Blick fiel auf das Haus, welches neben unserem stand.

Seit Marvin und ich uns für unser Haus interessiert hatten, stand ein ‚Zu Verkaufen‘-Schild vor dem Nachbarhaus – wenn nicht sogar noch länger. Doch niemand schien es kaufen zu wollen.

Wenn man es sich jedoch näher ansah, konnte man nachvollziehen warum. Die Fenster brauchten dringend einen Anstrich, der Garten war überwuchert von Unkraut und das Innere des Hauses erst ... Es war einfach heruntergekommen und ich konnte mir nicht vorstellen, dass dort jemals einer einziehen würde. Zumindest nicht, ohne ganz viel Geld hineinzustecken.

„Darling?“, rief Marvin und ich erhob mich mit einem Seufzen. Ich mag die Ruhe am Morgen, dachte ich, öffnete die Haustür und trat ein.

„Bin hier“, erwiderte ich und er steckte den Kopf aus der Küche.

„Vielen Dank für das leckere Frühstück“, sagte er, als ich in die Küche kam, und er zog mich in seine Arme.

Es gab selten Momente zwischen uns, in denen er so stürmisch war. Er drückte seine Lippen auf meine und küsste mich intensiv.

„Ich spüre, dass heute ein guter Tag wird“, flüsterte er dicht an meinen Lippen, hauchte noch einen Kuss darauf und ließ mich vollkommen verdattert in der Küche stehen. Und ich hatte das Gefühl, von solchen Momenten zu leben, ihn noch mehr zu lieben.

Ich hörte, wie er den Motor des Wagens anstellte und vom Hof fuhr. Ich drehte mich einmal in meiner Küche um und stöhnte bei dem Gedanken auf, wie viel Kartons ich noch auspacken musste.

Auch wenn Marvin und ich vorher nicht zusammengelebt hatten, so hatte sich doch allerhand Kram angesammelt, der in unserem Haus ein Plätzchen finden wollte.

Ergeben machte ich mich daran, die Kartons auszuräumen, und konnte dabei nur daran denken, wie Marvins Hände über meinen Körper strichen, sich eine ungewohnte Wärme in meinem Inneren ausbreitete.

Ich brauche ihn, dachte ich und stellte mit einem boshaften Blick auf die Uhr fest, dass es noch ewig dauern würde, bis Marvin wieder bei mir war. Und ob er dann seinen ehelichen Pflichten nachkam, war eine ganze andere Sache.

 

Am Abend betrachtete ich stolz mein Werk, als ich den Wagen auf den Hof fahren hörte. Ich hatte heute die Hälfte aller Kartons ausgeräumt und sogar noch ein Essen für Marvin gezaubert, mit dem er nicht gerechnet hatte.

„Guten Abend, Darling“, begrüßte er mich mit einem keuschen Kuss auf den Mund und lächelte mich an.

„Hattest du einen schönen Tag?“, fragte ich, als ich seine Tasche nahm, die Brotdose herausholte und sie in die Spülmaschine stellte.

„Er war perfekt. Mein Chef hat mich gelobt und will mich weiter an die Spitze befördern.“ Er strahlte richtig und nahm mich dabei fest in den Arm.

„Das ist doch super“, erwiderte ich und freute mich für ihn. Da er ein Semester vor mir mit dem Studium fertig geworden war, arbeitete er jetzt schon knapp eineinhalb Jahre bei einer ortsansässigen Firma und wollte dort richtig durchstarten. Dass er es jetzt auch noch schaffte, freute mich einfach wahnsinnig für ihn.

„Bringst du mir zum Essen bitte ein Bier?“, fragte er mich, als er schon auf dem Weg ins Wohnzimmer war und erstaunt in der Tür stehen blieb. „Womit habe ich denn dieses tolle Essen verdient?“ Er drehte sich zu mir um und grinste mich an.

„Ich dachte einfach, dass es ein guter Tag ist“, wiederholte ich seinen Satz vom Morgen und er lächelte daraufhin noch breiter.

„Ich liebe dich, Abigail Hobbs“, flüsterte er, als er mich zu sich gezogen hatte.

„Und ich liebe dich, Marvin Hobbs.“ Er küsste mich kurz auf den Mund, doch bevor es leidenschaftlicher wurde, löste er sich von mir. Innerlich seufzte ich auf. Auch wenn heute bei ihm ein guter Tag war, so hieß das noch nicht, dass ich etwas davon spüren würde.

Wir setzten uns an den Tisch und fingen an zu essen, doch meine Gedanken waren nicht hier. Immer wieder versuchte ich daran zu denken, was noch zu machen war, während Marvin von seinem Tag erzählte und mich mehr oder weniger dabei unterbrach.

„Wann hast du morgen deinen Termin?“, fragte er und legte seine Hand auf meine. Ich zuckte kurz zusammen und antwortete ihm: „Gegen Mittag.“

„Wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich gerne mitkommen.“ Ich sah ihn ein wenig verdattert an. Noch nie war er mit beim Frauenarzt gewesen und ich fand, dass es auch nicht angebracht war, solange ich nicht schwanger war. Was wollte er denn da?

Doch wenn ich ihm jetzt widersprach, dann würde es in einem Streit enden, und das wollte ich nicht. Ich wollte einen netten Abend mit ihm verbringen und vielleicht noch das eine oder andere erleben.

 

„Guten Tag Madam Hobbs, es freut mich, Sie mit neuem Namen begrüßen zu dürfen.“ Meine Frauenärztin, Doktor Miller, reichte mir die Hand. „Und Sie müssen Mister Hobbs sein?“, fragte sie Marvin, der sich betont freundlich vorstellte. So wie wir beide es von Haus aus gelernt hatten.

Wir setzten uns vor den großen Mahagoni-Schreibtisch und sie sah uns abwartend an.

„Was kann ich denn für Sie tun?“

Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, ergriff Marvin das Wort.

„Abigail nimmt ja nun schon seit Jahren die Pille“, fing er an und Doktor Miller nickte.

„Ja, zur hormonellen Steuerung.“

„Wir haben ja nun geheiratet und möchten natürlich so schnell wie möglich Nachwuchs bekommen. Wie schnell ist die Pille abgesetzt?“

Doktor Miller schaute erstaunt zwischen uns hin und her. Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich, was sie zu merken schien.

„Nun, die Pille kann Madam Hobbs sofort absetzen. Doch bei den Hormonen, das hängt ganz davon ab, wie der Körper sie abstößt. Das ist von Frau zu Frau unterschiedlich. Es kann sofort passieren, kann aber auch Wochen oder Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern.“

Marvin stöhnte auf. „Doktor Miller, das verstehe ich. Doch worauf ich hinausmöchte: Gibt es irgendwelche Mittel und Wege, dass die Hormone schnell abgebaut sind beziehungsweise Abigail schnell schwanger wird?“ Jetzt war es an mir, ihn erstaunt anzusehen und wirklich überrascht zu sein. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.

„Mister Hobbs, so etwas kommt nur in Frage, wenn es nach mehreren Monaten oder Jahren nicht zu einer Schwangerschaft kommt. Ich kann mir denken, dass Sie es noch nicht lange versuchen, oder? Wenn Sie gerade erst verheiratet sind?“ Marvin nickte.

 

„Jedoch liegt mir nichts daran, es lange hinauszuzögern, Doktor Miller, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir eine dieser Therapien ausprobieren könnten, um eine Schwangerschaft in Gang zu bringen.“ Ich schluckte schwer. Das konnte nicht sein Ernst sein, oder? Bestimmte er gerade darüber, ob ich Hormone bekommen sollte? Doktor Millers Blick lag auf mir und sie musste erkennen, dass es mir nicht wirklich gut ging.

„Mister Hobbs, haben Sie irgendetwas gegen Sex einzuwenden?“, fragte Doktor Miller direkt. Erschrocken holten wir beide Luft und ich konnte meinen Ohren kaum glauben.

„Das geht Sie nichts an“, sagte Marvin entschieden, als er sich wieder eingekriegt hatte.

„Mister Hobbs, ich kann mir denken, wie Sie zu dem Thema stehen, Ihre Frau und ich haben uns schon ausführlich darüber unterhalten. Doch ich werde Ihre Frau keiner Hormontherapie aussetzen, die zurzeit noch nicht notwendig ist. Versuchen Sie, auf normalem Wege schwanger zu werden, und glauben Sie mir, es wird schneller funktionieren, als Sie denken. Sex soll Spaß machen und ist nicht nur für das Kinderzeugen gut. Lernen Sie Ihren Körper und den Ihrer Frau erst einmal richtig kennen, bevor Sie sich mit so etwas wie einer Schwangerschaft auseinandersetzen. Haben Sie Spaß im Bett. Denn das ist es, was eine Partnerschaft auch ausmacht. Vergessen Sie das nicht.“

Vollkommen geschockt saß ich auf dem Stuhl, die Hand vor dem Mund, und wagte es kaum zu atmen. Mit dieser Ansprache hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

„Abigail, wir gehen!“, sagte Marvin entschieden und stand auf.

„Madam Hobbs, denken Sie an meine Worte!“ Doktor Miller sah mich eindringlich an, doch es lag ein Lächeln auf ihren Lippen. Ich erwiderte es kurz, bevor ich von Marvin an der Hand aus der Praxis gezogen wurde, direkt zum Auto.

Auf dem Heimweg brach die Wutattacke aus.

„Ich weiß nicht, was der Frau einfällt. Und wie kannst du mit einer fremden Person über deinen sexuellen Status reden?“ Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an.

„Sie ist meine Frauenärztin und fragt mich automatisch nach solchen Dingen aus“, erwiderte ich. Doch das hätte ich nicht machen sollen.

„Abigail, es geht diese Frau nichts an, was wir beide für ein Sexleben führen!“

„Welches Sexleben denn?“, fragte ich und handelte mir einen bösen Blick ein.

„Du weißt, wie wir beide erzogen wurden. Willst du das jetzt ändern?“

„Nein, aber mir hat das eine Mal mit dir sehr gut gefallen. Es wäre schön, wenn wir das vielleicht wirklich öfters machen könnten.“ Ich senkte meinen Blick und spielte an meinem Ärmel rum. Marvin hielt am Straßenrand und nahm meine Hände in seine.

„Abigail, mir hat es auch viel Spaß gemacht. Es war vollkommenes Neuland für mich, wie sinnlich du in dem Moment warst ... All das habe ich in den letzten Tagen nicht vergessen. Doch trotzdem kann ich die Worte meiner Eltern auch nicht vergessen. So etwas ist für eine Ehe nicht gut. Es kann alles kaputt machen und ich finde, dass wir beide es bei den paar Malen belassen sollten, bis du schwanger bist.“ Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, nickte ich nur.

Ich wusste, dass er recht hatte, doch schwirrten mir die Worte von Doktor Miller im Kopf herum.

Sex soll Spaß machen und ist nicht nur für das Kinderzeugen gut.

Aus den Augenwinkeln schaute ich zu Marvin, der sich wieder in den Verkehr einfädelte. Gerne hätte ich mehr Sex mit ihm gehabt. Aus dem Spaß heraus und nicht, weil ich vielleicht gerade einen meiner fruchtbaren Tage hatte.

Ich seufzte innerlich und wusste nicht, was ich zu alldem sagen sollte. Es tat mir weh, dass Marvin mich anscheinend sonst gar nicht anziehend fand. Doch ich würde mich damit abfinden müssen.

So wurde ich erzogen und ich würde genau diesen Lebensstil weiterführen.

„Machst du uns gleich was zu essen?“, fragte Marvin, als wir in die Straße einbogen, in der wir wohnten.

„Eigentlich wollte ich noch kurz in den Garten“, erwiderte ich und Marvin schüttelte mit dem Kopf.

„Das kannst du danach immer noch machen“, sagte er entschieden und ich fügte mich ein weiteres Mal seinem Wunsch.

Kurz kam der Gedanke in mir auf, ob ich den Rest meines Lebens so weiterleben wollte. Doch ich hatte mich für Marvin entschieden. An der Uni hätte ich einen anderen Weg einschlagen können, wollte es jedoch nicht.

Ich dachte an Kim, meine Mitbewohnerin auf dem Campus, und fragte mich, was sie gerade so machte. Sie hatte ein ganz anderes Leben geführt als ich, war auf Partys unterwegs, hatte Männer kennengelernt, die obszöne Andeutungen gemacht hatten.

Zu genau wusste ich noch, wie ich mich immer davor geekelt hatte, jedoch fragte ich mich gerade, ob ich nicht etwas verpasst hatte, eventuell sogar immer noch etwas verpasste.

Doch sofort schalt ich mich für diese Gedanken. Ich hatte es mit Marvin wunderbar getroffen und er war ein Mann, der mich bedingungslos liebte, alles für mich tat. Und wenn ich mit ihm keinen Sex oder sonst irgendwelche Zuneigungen aus reinem Spaß bekam, dann würde ich damit leben und für ihn zurückstecken. Immerhin war er derjenige, der das Geld nach Hause brachte.

Kim würde dieses Denken gleich wieder als veraltet darstellen. Doch ich musste Marvin recht geben. So wurden wir beide erzogen und ich dachte nicht daran, Schande über meine Familie zu bringen, weil ich auf einmal das Gefühl hatte, ausbrechen zu müssen.

Ich würde alles genau so machen, wie es mir meine Eltern vor Jahren schon eingeflößt hatten.

Also machte ich mich daran, ein wunderbares Essen für Marvin zu zaubern und die eventuellen Wogen zwischen uns zu glätten. Denn ich hasste nichts mehr als Streit.

Kapitel 2

Abigail

 

Am nächsten Morgen wachte ich vollkommen gerädert auf. Es war eine schlaflose Nacht gewesen, da meine Gedanken immer wieder zu dem Gespräch mit Doktor Miller führten. Ich wollte nicht daran denken, wollte für Marvin die perfekte Ehefrau sein.

Immer wieder sprach ich dieses Mantra, als ich im Bad war und mich fertig machte. Marvin schlief immer eine halbe Stunde länger als ich und betrat meistens den Raum, wenn ich fertig war.

So war es bei uns zur Gewohnheit geworden. Wir waren jetzt knapp zwei Wochen verheiratet und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Als ich an der Kaffeemaschine stand und den Kaffee beobachtete, seufzte ich unwillkürlich auf, die Worte meiner Mutter bei der Gratulation kamen mir wieder in den Sinn.

 

„Ich bin so stolz auf dich, mein Kind. Du machst alles genauso, wie wir es uns für dich gewünscht haben. Was mir das bedeutet, kann ich gar nicht in Worte fassen.“ Mit Tränen in den Augen hatte sie mich angestrahlt.

„Ich danke euch, dass ihr mich so erzogen habt“, erwiderte ich lächelnd und zog sie fest in meine Arme.

 

Wieder bekam ich feuchte Augen und lächelte. Ja, ich konnte wirklich dankbar sein. Ich konnte stolz darauf sein, dass ich so tolle Eltern hatte.

Arme umschlangen mich von hinten und ich lächelte.

„Irgendwie kann ich mich ja schon glücklich schätzen, dass ich dich habe und du es auch noch mit mir aushältst.“ Ich drehte mich in seinen Armen um und sah ihn irritiert an.

„Woher kommt das denn auf einmal?“

Mit den Schultern zuckend, nahm er eine Tasse und füllte sich Kaffee ein. „Keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, dass ich dir gestern nach dem Gespräch unrecht getan habe. Der Sex mit dir hat mir auch wahnsinnig viel Lust bereitet. Doch ich weiß nicht, ob ich dir in dem Fall geben kann, was du dir wünschst, Darling. Ich hoffe, dass du mich verstehst und mich unterstützt“, sagte er und ich wusste nicht wirklich, was ich davon halten sollte.

Ich sah ihn vollkommen verwirrt an.

„Was willst du mir damit sagen?“, hakte ich nach und er seufzte.

„Dass wir so weitermachen wie bisher und wie wir erzogen wurden. Ich will, dass wir dieses Gespräch von gestern vergessen, du eine vernünftige Ehefrau bist und auf das hörst, was ich sage“, erklärte er verärgert und ich war geschockt. Er stellte die Tasse etwas unsanft auf den Tisch.

„Ich hatte es eben wirklich gut gemeint, nur dein loses Mundwerk …“ Er schüttelte mit dem Kopf und ich verstand gerade gar nichts mehr. Was war das für ein Stimmungswechsel?

„Ich will, dass heute Abend, wenn ich nach Hause komme, etwas zu essen auf dem Tisch steht. Und vergiss nicht, wer das Geld nach Hause bringt und wessen Wünschen du dich fügen musst.“

Mit offenem Mund sah ich ihm hinterher und verstand gerade nur Bahnhof. Was sollte dieses komische Verhalten von ihm? Erst entschuldigte er sich, nur um fünf Sekunden später ein vollkommen anderer Mensch zu sein?

Ich seufzte und legte meinen Kopf in die Hände. Wir waren erst etwas über eine Woche verheiratet und schon bahnte sich der erste dicke Ehekrach an. Ich hatte geahnt, dass es nicht leicht sein würde, wenn ich Marvin mit zum Frauenarzt nehmen würde, doch dass das Thema das aus uns machen würde, hätte ich nicht gedacht.

Ja, ich wollte auch mit ihm Kinder bekommen, und das so schnell wie möglich. Doch dass er mich irgendwelchen Hormontherapien aussetzen wollte, ging auch mir zu weit. Ich war froh, dass Doktor Miller es sofort abgeblockt hatte. Wo für Marvin das Problem lag, wusste ich selbst nicht, vor allem wenn es ihm Spaß gemacht hatte, wie er behauptet hatte.

Stöhnend rieb ich mir die Schläfen, ich hatte Kopfschmerzen bekommen von den ganzen Gedanken, die meinen Kopf beherrschten. Die ersten Wochen meiner Ehe hätte ich mir schon schöner vorgestellt. Ich erhob mich und fing an, die ersten Sachen im Haushalt zu erledigen. Vielleicht würde ich ja heute noch ein paar Kartons auspacken können, dachte ich und machte mich ans Werk.

 

Eine Woche später hatte sich die Atmosphäre zwischen Marvin und mir ein wenig entspannt. Was unsere Gespräche miteinander anging, waren wir zwar immer noch sehr sparsam unterwegs, doch heute würden wir uns zusammenreißen müssen. Meine Eltern würden zu Besuch kommen und ich wollte sie nicht enttäuschen, indem ich sie mit einem Streit zwischen Marvin und mir überraschte.

Meine Eltern waren nun seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet, doch ich hatte in der Zeit seit meiner Geburt nicht einmal bewusst mitbekommen, dass sie sich gestritten hatten. Anscheinend muss ich mich wirklich besser Marvin fügen, dachte ich. Denn wenn ich das tat, was er wollte, war er glücklich, das spürte ich. Also hatte ich in dieser Nacht beschlossen ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen und das zu tun, was meine Eltern mich gelehrt hatten.

„Ist alles zu deiner Zufriedenheit?“, fragte ich Marvin, der mir nur über den Rand seiner Zeitung ein Nicken zuwarf.

„Marvin, ich weiß, dass zwischen uns im Moment ein kleiner Disput herrscht, und ich will mich bei dir entschuldigen. Ich denke, dass ich es dir gegenüber nicht hätte sagen sollen, wie ich zu dem Thema Sex stehe. Immerhin wusste ich, wie du zu dem Thema stehst und dass es dir nicht gerade leichtfällt. Jedenfalls hoffe ich, dass du meine Entschuldigung annimmst und wir aufhören können zu streiten.“

Er legte seine Zeitung weg und sah mich mit einem undurchdringlichen Blick an, sodass mir eine Gänsehaut über den Körper lief. „Woher kommt denn der Sinneswandel?“, hakte er nach und ich wand mich unter seinem Blick.

„Ich habe mich daran erinnert, wie glücklich meine Eltern sind, weil sie sich nie gestritten haben, und dass ich dieses Mal der Auslöser dafür war. Ich habe eingesehen, dass ich mich ändern muss. Wir sind immerhin erst kurz verheiratet und ich möchte nicht gleich, dass wir uns streiten.“

Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und seine Züge wurden weicher. „Gut. Es ist richtig, dass du es einsiehst, wenn du etwas falsch gemacht hast. Komm her.“ Er rutschte mit seinem Stuhl ein wenig zurück, sodass ich auf seinem Schoß Platz nehmen konnte.

„Und siehst du jetzt ein, dass du auf das zu hören hast, worum ich dich bitte?“ Ich nickte lächelnd und Marvin küsste mich sanft auf den Mund.

„Immerhin“, sagte er und schubste mich dann regelrecht wieder von seinem Schoß.

„Ich will, dass heute Nachmittag frischer Kuchen auf dem Tisch steht, wenn deine Eltern kommen.“

Panisch sah ich ihn an. War das sein Ernst? Es war Sonntagmittag und ich hatte so gut wie nichts da.

„Ich habe nichts hier“, flüsterte ich und sah ihn an. Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich abfällig.

„Dann sieh zu, dass du irgendwo was herbekommst“, zischte er und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Ich hörte ihn noch etwas murmeln, das wie ‚Gerade einsichtig und schon Widerworte‘ klang, doch ich ignorierte es.

In den Küchenschränken wühlend, suchte ich alles zusammen, was ich für einen Kuchen bräuchte. Doch um etwas Leckeres zu zaubern, fehlte ein Glas Kirschen. Kurzerhand beschloss ich einfach bei meinen Nachbarn klingeln zu gehen, irgendjemand würde mir sicherlich schon weiterhelfen können.

 

„Hallo Madam Armstrong“, sagte ich, als ich bei meiner Nachbarin vor der Tür stand und sie lächelnd vor mir.

„Abigail Hobbs“, erwiderte sie meine Begrüßung. „Ich habe dir doch schon angeboten, mich zu duzen. Nenne mich einfach Linda.“ Linda war ungefähr Anfang dreißig und ich hatte sie gleich am ersten Tag kennengelernt. Sie war im fünften Monat schwanger und lebte seit drei Jahren mit ihrem Mann in diesem Haus. Sie hatte mir das Du wirklich angeboten, doch ich war mir in solchen Sachen immer total unsicher.

„Ja, ich weiß“, lächelte ich sie an und knetete meine Finger in der Hand. „Ich wollte nachfragen, ob Sie … ob du mir ein Glas Kirschen leihen könntest. Leider habe ich vergessen, welche zu kaufen.“ Linda lächelte mich an und bat mich herein.

„Ich wollte nächste Woche einen Kuchen machen, du hast also Glück, dass ich welche dahabe.“ Sie ging in die Küche und kam mit einem großen Glas in der Hand zurück.

„Vielen Dank, ich kaufe dir morgen ein neues und bringe es herum.“ Linda winkte ab.

„Du kannst mir auch einfach ein Stück Kuchen rumbringen. Den mag ich im Moment sehr gerne.“ Sie zwinkerte mir zu und ich nahm die Einladung gerne an. Während ich mich von ihr verabschiedete, versprach ich, morgen auf jeden Fall mit einem Stück Kuchen vorbeizukommen.

Marvin hatte ein großes Problem damit, sich neue Freunde zu suchen, doch ich wollte Linda und ihren Mann Jasper auf jeden Fall besser kennenlernen. Vielleicht würde sich daraus ja eine Freundschaft entwickeln.

 

Keine Stunde später stand der Kuchen im Backofen, Marvin saß vor dem Fernseher, sah sich irgendein Spiel an und ich musste noch die Küche aufräumen, mich fertig machen und den Tisch decken. Unsicher stand ich in der Küche und war am Überlegen, ob ich Marvin fragen könnte, ob er mir half. Doch wie würde er das finden?

Auf meiner Unterlippe kauend entschied ich mich dagegen. Ich wollte keinen Vortrag darüber hören, was ich alles zu tun hatte. Wenn ich mich einfach ein wenig beeilte, würde ich das schon zeitlich alles schaffen.

 

„Du bist aber noch nicht weit gekommen, Abigail. Wie lange wohnt ihr jetzt hier? Du hast noch nicht einmal ein Kind und scheinst schon überfordert zu sein.“ Meine Mutter stand kopfschüttelnd in meiner Küche, als ich den Kaffee aufsetzte.

„Nein, bin ich noch nicht, doch es ist auch nicht so einfach, für alles einen Platz zu finden, der wirklich geeignet ist.“ Meine Mutter winkte ab. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihr zu widersprechen. Keine Ahnung, wieso ich das überhaupt gemacht hatte.

„Abigail, du hast nichts anderes zu tun, als diesen Haushalt zu führen. Das wirst du ja noch einigermaßen vernünftig hinbekommen, oder nicht? Immerhin habe ich dich – meiner Meinung nach – perfekt erzogen.“ Sie drehte sich um und ließ mich in der Küche alleine stehen.

Ich ließ den Kopf hängen und wusste nichts mehr darauf zu erwidern. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass meine Mutter immer noch was zum Meckern finden würde, so war sie einfach.

„Marvin, du hast deine Frau nicht unter Kontrolle“, hörte ich meine Mutter zu ihm sagen und ich versuchte die Tränen zurückzuhalten, die sich versuchten anzubahnen. Auch wenn ich nach Ansicht meiner Mutter mit der Hochzeit alles richtig gemacht hatte und bis dahin Jungfrau gewesen war, wie es sich gehörte, so wusste ich dennoch, dass ich in ihren Augen doch nichts richtig machen konnte.

„Ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist, seit wir verheiratet sind“, antwortete Marvin und ich konnte mir richtig vorstellen, wie er dabei den Kopf schüttelte. Tief durchatmend versuchte ich die Wut, die sich gerade in mir aufbaute, zu unterdrücken. Wie konnte er es wagen, mit meinen Eltern über unseren Streit zu reden? Ich hörte ihn leise mit ihnen sprechen.

Ich nahm die Kaffeekanne in die eine, den Kuchen in die andere Hand und ging ins Wohnzimmer.

„Na, unterhaltet ihr euch nett über mich?“, fragte ich in die Runde und ich sah, dass Marvin meinen Eltern einen Blick schenkte, der alles sagte.

„Kannst du bitte ein wenig freundlicher sein, Darling? Wir haben immerhin Besuch.“ Ich schnaufte.

„Wenn ich dich darum bitten dürfte, dass du keine Eheprobleme ausplauderst.“ Er schüttelte den Kopf.

„Wie redest du denn mit deinem Mann?“, mischte sich jetzt auch noch mein Vater ein und ich sah wütend zu ihm hin.

„Wie ich mit ihm rede? So wie es gerade anscheinend angemessen ist, Vater. Er hat nicht das Recht, mit euch über unsere Probleme zu reden, die wir nach ein paar Wochen Ehe schon haben. Es tut mir leid, lasst euch den Kuchen schmecken, aber ich werde jetzt kurz gehen. Ich brauch ein paar Minuten für mich.“

Die Tränen wollten sich einen Weg bahnen, doch ich wollte mir vor ihnen nicht die Blöße geben und weinen. Ich ging hinaus und setzte mich auf eine Gartenbank. Das Taschentuch in meinen Händen knetete ich zusammen wie einen Antistressball und konnte nur den Kopf darüber schütteln, was gerade geschehen war.

Wie kam Marvin dazu, über dieses sensible Thema mit meinen Eltern zu reden? Ich würde doch auch nicht zu seinen rennen und ihnen von dem Gespräch mit der Frauenärztin erzählen. So etwas würde ich nie machen, und das wusste er.

„Ist alles in Ordnung?“ Ich schreckte zusammen, als ich Linda an dem Gartenzaun stehen sah, der hier hinten ein wenig niedriger war, sodass man darüberschauen konnte.

„Ja, ich brauchte gerade nur ein paar Minuten Ruhe.“ Ich lächelte sie beruhigend an.

„Willst du rüberkommen?“, fragte sie.

„Abigail, komm zurück“, hörte ich Marvin wütend rufen und ich seufzte.

„Ich muss wieder zurück.“ Linda nickte und sah mich vorsichtig an. „Behandelt er dich gut?“ Ich wusste, dass sie es nur gut meinte, doch über die Frage war ich doch sehr geschockt.

„Ja … ja, klar. Er würde nie …“ Ich konnte es nicht einmal aussprechen. Anscheinend hatte Linda das gereicht und sie lächelte mich entschuldigend an.

„Okay, tut mir leid, dass ich gefragt habe.“

„Ist schon in Ordnung“, erwiderte ich gerade, als Marvin noch einmal meinen Namen rief. „Ich gehe dann mal. Bis morgen.“ Ich lächelte ihr noch einmal zu und stand von der Bank auf.

„Wo warst du?“, fauchte Marvin mich an, sobald ich durch die Tür war.

„Ich musste mich ein wenig beruhigen“, erwiderte ich und versuchte freundlich zu klingen, ihn nicht anzugreifen. Ich war schon auf dem Weg ins Wohnzimmer, als ich noch einmal stehen blieb und mich zu ihm umdrehte.

„Was ist nur los mit uns?“, fragte ich ihn und ging mit langsamen Schritten auf ihn zu. „Ich habe das Gefühl, dass wir seit der Hochzeit … Keine Ahnung, wie ich das benennen soll. Aber es tut mir weh.“

Marvin seufzte, überwand die letzten Schritte zwischen uns und nahm mich in seine Arme. „Ich mache mir einfach Sorgen, dass dir doch etwas fehlt. Weil ich dir nicht das geben kann, was du gerne hättest. Ich weiß, du würdest gerne öfters … also du weißt schon …“ Ich nickte, um ihm zu zeigen, dass es okay war. „Ich denke, ich lasse das einfach alles in die falsche Richtung laufen. Es tut mir leid.“ Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und nickte.

 

„Ich liebe dich“, flüsterte ich und sah ihn danach an. Seine Hand legte sich an meine Wange.

„Ich liebe dich doch auch, Abigail. Über alles.“ Er lächelte mich liebevoll an und ich schmolz sofort dahin. Vergessen war alles, was noch vor ein paar Minuten im Wohnzimmer zwischen uns geschehen war. Man musste einfach an einer Ehe arbeiten und es war halt doch was anderes, als wenn man nur ein Paar war.

„Lass uns zurück zu deinen Eltern gehen“, sagte er und ich nickte. Er zog mich an meiner Hand zurück ins Wohnzimmer und ich ignorierte den Blick meiner Eltern. Es zählte jetzt nur, dass Marvin und ich uns wieder richtig verstanden.

 

„Behandle deinen Mann gut, Abigail, das ist das Einzige, was wir Frauen zu tun haben. Du solltest wirklich auf ihn hören und ihn nicht verärgern.“ Ich nickte, als sich meine Mutter von mir verabschiedete, und ich wusste, dass sie recht hatte. All das hatte sie mir die letzten Jahre eingebläut und ich hatte keine Ahnung, warum ich mich dagegen so wehrte.

Ich wollte mich für Marvin und unsere Beziehung ändern und ich hoffte, dass ich das wirklich hinbekommen würde.

„Hey, wo bist du mit deinen Gedanken?“, riss Marvin mich aus ebendiesen und ich drehte mich in seinen Armen um.

„Ich habe nur ein wenig nachgedacht.“ Mit einem Lächeln sah ich ihn an und er erwiderte es.

„Ich wollte mich wirklich noch einmal bei dir entschuldigen. Ich hätte es deinen Eltern nicht erzählen dürfen.“ Da ich dieses Thema einfach nur hinter mir lassen wollte, winkte ich ab.

„Ist schon okay“, antwortete ich und er beugte sich zu mir vor, um mich zu küssen.

„Komm, lass uns nach oben gehen“, sagte er und zwinkerte mir zu. Schmetterlinge sammelten sich in meinem Bauch, mein Blick fiel auf den Esstisch und ich sah das dreckige Geschirr. Doch darum wollte ich mich gerade nicht kümmern. Ich wollte es genießen, wenn er es mir schon anbot.

 

Als ich am nächsten Morgen in die Küche kam, fühlte ich mich regelrecht beflügelt. Marvin hatte sich alle Mühe gegeben und sich wundervoll um mich gekümmert, auch wenn er es nicht mehr mit solch einer Hingabe getan hatte wie in unserer Hochzeitsnacht.

Doch ich würde es akzeptieren und mich über das freuen, was ich von ihm bekommen hatte.

Als ich alles aufgeräumt hatte und Marvin bei der Arbeit war, schnappte ich mir den restlichen Kuchen und ging zu Linda hinüber.

Freudig begrüßte sie mich und bat mich direkt herein.

„Es freut mich wirklich, dass du gekommen bist. Bis jetzt hatte ich nie wirklich Zeit dazu, mich mit meinen Nachbarn anzufreunden. Ich hoffe, dass wir beide das hinbekommen können.“ Sie zwinkerte mir zu, holte uns eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und führte mich auf die Veranda.

„Mach es dir bequem, ich bin sofort bei dir.“ Sie verschwand noch einmal kurz im Haus und ich hörte einiges klappern, bis sie dann wieder mit Geschirr herauskam.

„Wisst ihr schon, was es wird?“, fragte ich sie nach einiger Zeit, als wir uns unverfänglich unterhalten hatten. Sie schüttelte mit dem Kopf.

„Wir wollen uns eigentlich überraschen lassen. Aber glaub mir, ich werde noch wahnsinnig, wenn ich noch mehr Dinge kaufen muss, die neutral gehalten sind, geschweige denn, dass ich weiß, wie ich das Kinderzimmer streichen soll.“ Ich lachte.

„Ich kann mir vorstellen, dass es einen zur Weißglut treiben kann. Arbeitest du noch?“

„Nein, es gab einige Komplikationen und ich musste beruflich kürzertreten. Aber mir fehlt die Arbeit total. Du bist den ganzen Tag zu Hause, oder?“ Ich nickte und fühlte mich mit der Antwort ein wenig unbehaglich. „Warum? Ich meine, du hast doch bestimmt studiert und würdest einen Job bekommen.“

Ich zierte mich ein wenig und fand all das, was meine Eltern mich gelehrt hatten, mit einem Mal albern und kindisch. In die Ferne schauend versuchte ich mich auf keinen besonderen Punkt zu konzentrieren.

„Nach dem Studium habe ich nicht angefangen zu arbeiten. Es war meine Aufgabe, mich um den Haushalt zu kümmern, Marvin und mir ein Zuhause zu suchen und mich mit der Planung der Hochzeit auseinanderzusetzen.“

„Willst du denn noch arbeiten gehen? Ich meine, wofür hast du denn studiert?“ Sie klang wirklich schockiert.

„Weißt du, ich wurde erzogen, dass ich den Haushalt führe, und mein Studium war nur dafür da, dass ich was im Hintergrund habe, worum ich mich kümmern könnte. Und dann habe ich Marvin kennengelernt, aber ich wollte das Studium schon gerne beenden. Ich weiß, dass es für jemand Außenstehenden komisch klingen muss.“

„Das tut es allerdings. Aber ich verurteile dich nicht. Wenn du damit glücklich bist, dann freut mich das für dich. Man sollte immer das machen, was einem gefällt.“ Ich nickte.

„Als was hast du gearbeitet?“, fragte ich sie. Linda war wirklich eine sehr interessante junge Frau, von der ich gerne mehr erfahren wollte. Sie erzählte mir von ihrem Job, auch davon, wie sie ihren Mann Jasper kennengelernt hatte, und nahm mich mit ihren Geschichten vollkommen mit. Ich merkte erst, wie spät es eigentlich schon war, als ihr Mann nach Hause kam.

Erschrocken sah ich auf die Uhr und stellte fest, dass Marvin gleich kommen würde und ich hatte noch nichts zu essen vorbereitet. Und ich wollte möglichst den nächsten Streit vermeiden.

Ich verabschiedete mich schnell von Linda, beschloss kurzerhand, dass wir heute Abend grillen könnten, und bereitete schnell einen kleinen Salat vor. Das würde schon reichen, sagte ich mir, als Marvin in dem Moment auch schon das Haus betrat.

„Darling?“, rief er mich und eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Das Wort erinnerte mich an letzte Nacht.

„In der Küche“, antwortete ich ihm und er begrüßte mich mit einem Kuss, als er den Raum betrat. „Ich dachte, dass wir bei dem herrlichen Wetter grillen könnten.“

„Gerne“, erwiderte er und nahm mir kurzerhand die Fleischplatte aus der Hand, machte sich auf den Weg nach draußen und stellte unseren Gasgrill an.

Das Wetter war einfach zu herrlich, um hineinzugehen. Marvin lag seit einer halben Stunde im Bett und ich hatte ein paar Minuten für mich alleine.

„Ach, genießt du auch noch das Wetter?“, hörte ich Lindas Stimme über den Gartenzaun und sah zu ihr herüber.

„Ja, es ist einfach zu schön, um reinzugehen.“ Sie nickte. „Komm doch rüber“, fügte ich noch hinzu und sie bat mich um eine Minute, als es auch schon am Gartenzaun ruckelte und sie ein paar Sekunden später um die Ecke bog.

„Es war schön, dich heute näher kennenzulernen“, sagte sie, als sie sich neben mir niederließ.

„Ja, das fand ich auch. So etwas sollten wir öfters machen.“ Wir redeten ein wenig, bis die Müdigkeit auch mich immer mehr in Beschlag nahm.

„Ich lass dich jetzt glaub ich mal alleine“, meinte Linda, als ich das fünfte Mal hintereinander gähnte.

„Tut mir leid, aber die letzte Nacht war ein wenig schlaflos“, erwiderte ich und spürte, wie eine Röte meinen Hals hinaufkroch. „Komm, ich bring dich zur Tür.“

Wir gingen leise durchs Haus und ich öffnete die Tür für sie.

„Vielleicht sehen wir uns ja morgen“, verabschiedete sie sich von mir und ich nickte.

„Das würde mich freuen.“ Ich konnte mir vorstellen, dass Linda und ich wirklich Freundinnen werden könnten, und freute mich darauf. Ich sah mich ein wenig in der Straße um, als ich stutzte.

„Seit wann ist denn das Schild verschwunden?“ Linda drehte sich noch einmal zu mir um und sah, dass ich auf das Nachbargebäude zeigte.

„Oh, habe ich dir das noch gar nicht erzählt? Das Haus wurde gestern verkauft. Anscheinend zieht ein junger Mann ein. Der hat sich ganz schön was vorgenommen“, lachte sie und ich konnte nur mit einstimmen.

„Solange er Lust dazu hat“, erwiderte ich und winkte Linda noch einmal zu, bevor sie um die Hecke verschwand und das Licht auf ihrer Veranda anging.

Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, ging ich die Treppe leise hinauf und direkt ins Schlafzimmer.

Ich beobachtete Marvin im Schlaf und ein unbeschreibliches Gefühl überwältigte mich. Für mich war es immer noch unfassbar, wie viel Glück ich in meinem Leben bisher gehabt hatte. Mit ihm, mit meinem Studium, einfach mit allem.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht machte ich mich bettfertig und war schon gespannt auf unseren neuen Nachbarn. Wie der wohl so sein würde?