Die grossen Western 170 – Trail der rauchenden Colts

Die grossen Western –170–

Trail der rauchenden Colts

Roman von U. H. Wilken

Der Hauch der Wildnis umgab ihn noch, als er in die Stadt hineinritt. Cheyenne blickte sich in diesem jämmerlichen Nest um und fand, dass es verschlafen wirkte.

Doch da sah er schon einen kleinen Mann im hohen Bogen durch die Schwingtür eines Saloons fliegen und in den Straßenstaub rollen. Das Zweite, was er sah, war ein Glas Milch, das diesem Mann folgte.

Stöhnend richtete sich der kleine Mann auf den Knien auf. Er sah die Beine eines Pferdes. Langsam hob er den Blick und sah Rascal Cheyenne im Sattel sitzen, fast nur in weiches Leder gekleidet. Das hagere, knochige Gesicht des Reiters verzog sich nicht einmal. Er war schlank, sehnig und zäh. Als er nun auch noch aus dem Sattel stieg, erinnerten seine Bewegungen an die eines erfahrenen, narbigen und stets wachsamen Wolfes.

Vor dem Saloon waren drei Cowboys aufgetaucht und lachten. Rascal Cheyenne stellte den kleinen vertrockneten Kerl auf die Beine.

»Danke, Mister«, flüsterte der kleine Satteltramp hohl.

Cheyenne nickte und wandte sich ab, um in den Saloon zu gehen.

»Mein Name ist Tennessee«, sagte der Tramp.

Cheyenne sah zurück. Irgendwie erinnerte ihn der Tramp an einen geprügelten Hund, der vergebens seinen Herrn gesucht hatte.

»Komm mit, Tennessee«, sagte er rau. »Ich lade dich zu einem Drink ein.«

Dann trat er auf den Brettersteg hinauf. Die Cowboys rückten zur Seite. Er stieß die Schwingtür auf und ging hinein.

Tennessee wollte ihm folgen, aber ihm versperrten die Cowboys den Weg. »Leg dich unter eine Kuh, wenn du Milch trinken willst«, knurrte einer der Cowboys. »Du kommst nicht hinein. Auch wenn du eingeladen bist. Verschwinde!«

Langsam drehte Cheyenne sich um, drückte die Türflügel wieder auf und blieb so stehen.

»Lasst ihn rein«, sagte er ganz ruhig und sehr freundlich.

Die Cowboys grinsten. »Nein«, sagte einer bestimmt.

Cheyenne begriff, dass sie Streit suchten. Es war seine Art, sich nie lange aufhalten zu lassen.

»Tut mir leid«, murmelte er, kam hervor und schlug zu. Der erste Cowboy flog auf die Straße. Der zweite Cowboy prallte gegen die Wand des Saloons und rutschte mit dem Rücken daran herunter. Der dritte versuchte allerdings, Cheyenne den Kolben seines Revolvers über den Kopf zu schlagen.

Cheyenne fing den Arm ab, zog den streitsüchtigen Reiter zu sich heran und warf ihn mit Schwung vom Brettersteg hinab. Mit einem schnellen Fluch flog der Cowboy vor die aufgeplatzten Stiefel des verhutzelten Satteltramps.

»Komm!«, murmelte Cheyenne.

Langsam stieg Tennessee auf den Vorbau und folgte Cheyenne in den Saloon.

»Trinkst du wirklich keinen Whisky?«, fragte Cheyenne, als sie an der Theke standen.

»Doch«, nickte Tennessee und zog unter der Jacke eine flache Flasche hervor. »Nur keinen verwässerten. Dieser hier ist wie Sprengstoff.«

»Dann gib mir einen aus der Flasche«, lächelte Cheyenne.

Grinsend reichte ihm der Tramp die Flasche. Cheyenne nahm sie und trank. Das Wasser stieg ihm in die Augen. Er hustete nicht, aber er schluckte und sagte dann heiser und rau: »Mann, ist das ein Zeug!«

»Hab ich doch gesagt«, meinte Tennessee. »Jetzt darfst du erst mal nicht rauchen. Du könntest in die Luft fliegen.«

*

In einem Raum des Ranchgebäudes brannte ein flackerndes Licht. Es flackerte wie das Leben des Mannes, der auf dem Schlaflager ruhte, von einer Krankheit schwer gezeichnet, ausgemergelt und müde.

Wie aus weiter Ferne hörte dieser Mann den Hufschlag von drei Pferden, die auf den großen Hof getrieben wurden. Dann vernahm er ferne Stimmen, und er spürte noch instinktiv, dass irgendetwas geschehen sein musste. Er starrte vor sich hin und sah den zuckenden Lichtschein über die Wände flackern.

Neben dem Lager des alten Mannes lag ein grauer Bastardhund, hatte den gefleckten Kopf auf die Läufe gelegt und wachte. Die Ohren spielten, als lauschte der Hund den Atemzügen des Ranchers. Seit Tagen aß der Hund nur wenig; kaum bewegte er sich vom Lager weg.

Manchmal sprach Trace Johns leise Worte. Dann jaulte der Hund schwach, als verstände er diese Worte. Und auf der großen Ranch hörten die Cowboys dieses Jaulen.

Fast lautlos trat eine alte Frau ein. Ihr faltiges und tiefbraunes Gesicht mit den hohen Wangenknochen erinnerte an die indianische Abstammung. Sie führte Johns den Haushalt.

Mühsam richtete der Rancher den Oberkörper auf. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen, die nur noch wenig Kraft und Glanz hatten. »Was ist da draußen auf meinem Hof los?«

»Deine drei Cowboys sind aus Eagle Pass City zurückgekommen. Ein Fremder hatte sie vor dem Saloon verprügelt.«

»Sie haben es zugegeben?«

»Ja, weil sie es nicht verheimlichen konnten. Matt hat rohes Fleisch aus der Küche geholt. Für sein blaues Auge.«

»Schick einen zu mir!«, stöhnte er und fiel zurück.

Die Haushälterin nickte und ging. Schon wenig später kam einer der Cowboys herein. Er blieb im Halbdunkel stehen.

»Was ist in der Stadt geschehen?«, keuchte Trace Johns.

Zögernd berichtete der Cowboy. Trace Johns hörte zu; er hatte die Augen geschlossen. Dann schwieg der Cowboy und drehte den Stetson in den Händen.

»Ein Fremder«, murmelte Trace Johns vor sich hin. »Wie sieht er aus, Buck? Wie sieht er aus?«

Buck beschrieb ihn wortkarg. Plötzlich unterbrach Trace Johns ihn mit sichtlicher Erregung. »Holt ihn her auf die Ranch! Sofort! Ich muss ihn sehen!«

»Boss, das ist doch nicht dein Ernst. Dieser …«

Knurrend sprang der Bastardhund auf und zog die Lefzen hoch. Erschrocken wich der Cowboy zurück.

»Holt ihn!«, flüsterte Trace Johns eindringlich. »Ich muss Gewissheit haben.«

»Ja, Boss.« Buck verließ eilig den Raum.

Trace Johns hörte draußen seine Stimme. Mit müdem Lächeln legte er sich zurück. »Wenn er es ist, dann ist alles gut!«, flüsterte er. »Dann werde ich meinen Sohn zurückbekommen.«

Zwei Reiter verließen wenig später im Galopp die Ranch. Der Hufschlag verlor sich in der Nacht.

*

Es war bereits nach Mitternacht, und das bleiche Sternenlicht fiel durchs Fenster in den Raum, wo noch immer das Talglicht brannte.

Der Rancher schlief nicht. In Gedanken war er weit fort, Jahre zurück. Er sah seinen Sohn Mustangs einbrechen. Im wachen Traum hörte er die Stimme seiner Frau, sah ihr Antlitz – dann verwischte das Gesicht und verlor sich im Nebel der Vergangenheit. Und an ihre Stelle trat wieder der Sohn – lachend, kraftvoll und wild. Nie hatte er es zu Hause aushalten können. Immer war er unterwegs. Bis eines Tages das Fernweh ihn gepackt hatte. Von jenem Tag an war er verschwunden. Vor Monaten hatte Trace Johns gehört, dass jenseits der Grenze ein junger blonder Mann leben sollte. Zu jenem Zeitpunkt war Trace Johns schon krank, und so schickte er den Vormann und drei Cowboys über die Grenze. Sie kamen nie zurück.

Ein Geräusch schreckte Trace hoch. Die Haushälterin trat ein. Der Hund hob sofort den Kopf an und fuhr mit der buschigen Rute über den Boden.

»Was ist?«, fragte Trace Johns. »Sind die Jungs schon zurück?«

»Nein, Trace Johns«, sagte sie mit kehliger Stimme. »Noch nicht. Vielleicht suchen sie diesen fremden Mann.«

»Warum kommst du dann?«, flüsterte er.

Seine Hand legte sich auf den Schädel des Hundes.

»Ein Fremder ist da, Trace Johns, ein großer, hagerer Fremder.«

Johns fuhr hoch. »Das sagst du erst jetzt? Bring ihn sofort zu mir! Sofort! Beeile dich.«

Sie ging schweigend hinaus.

Der Rancher verharrte in der anstrengenden Haltung. Er hörte das Rasseln von Radsporen und den harten Klang, als ein Gewehr gegen die Tür stieß.

»Das Schießeisen brauchen Sie nicht in diesem Haus«, sagte die Haushälterin dunkel.

Eine volle und raue Stimme tönte durch das Haus.

»Es gehört zu mir. Führ mich zu ihm.«

Schritte kamen näher, das Sporengerassel wurde lauter. Der Bastardhund erhob sich und schlich zur Tür. Ein Knurren kam aus seinem Brustkorb.

»Ruhig!«, flüsterte der Rancher. »Setz dich wieder.«

Da trat wieder die Frau ein und ging zur Seite. Das Talglicht flackerte heftig. Starr blickte Trace Johns zur Tür.

Dort stand ein fremder Mann, die Winchester im Arm, den Stetson in die Stirn gezogen. Nur schwach schimmerten die blank geriebenen Stellen seiner ledernen Bekleidung.

Der Hund knurrte wieder. Er hatte die Witterung der Wildnis aufgenommen, die dieser Mann ausströmte.

Reglos verharrte die Frau und sah den Fremden an.

Plötzlich sagte der fremde Mann leise: »Du bist krank, Trace? Das wusste ich nicht.«

Johns sank zurück. »Rascal Cheyenne«, murmelte er schwach.

»Ja«, sprach Cheyenne und trat näher. »Ich habe deinen Brief in der Tasche. Ich bekam ihn vor vielen Wochen, als ich wieder einmal durch meine alte Stadt kam.«

Johns lächelte mühsam.

»Ich wusste doch, dass du da einmal vorbeikommen würdest, Rascal! Jeder sucht die alten Plätze einmal auf. Ich habe auch einen Brief nach Amarillo geschickt, um ganz sicher zu gehen.«

»Ist es wirklich so wichtig, Trace? Ist dein Junge noch immer nicht zurück?«

»Nein, Rascal. Und meine Männer auch nicht. Sie werden tot sein … Ich brauche meinen Sohn, Rascal – hörst du? Mit mir geht es bald zu Ende, langsam, aber unaufhörlich.«

»Mach uns keinen Kummer, Trace.« Cheyenne blieb neben dem Bett stehen und drückte die Hand des Ranchers.

Trace Johns schluckte und schloss die Augen. »Es ist wichtig, Rascal. Diese große Ranch wartet auf meinen Sohn. Wer sollte sie sonst erben, Rascal?«

»Deine Tochter.«

»Lola? Nein, Rascal, nein. Lola ist noch ein Kind.«

»Sie ist erwachsen, Trace. Zwanzig Jahre alt. Ich hab’s nachgerechnet. Ich hab mir das Datum gemerkt. Das vergisst man nicht.«

»Du hast an Lola gedacht, Rascal?«

»Ja, hab ich.«

Trace Johns strich sich über die Augen. Dann sah er die Frau an. Sie lächelte seltsam weich. Er nickte ihr zu, und sie ging und schloss die Tür.

»Setz dich doch, Rascal.«

Cheyenne nahm Platz. Der Hund ließ ihn nicht aus den Augen. Cheyenne nahm den Stetson ab und warf ihn zu Boden. Der Hund roch daran.

»Der Hund ist treuer als mein Sohn«, murmelte Johns ein wenig verbittert.

»Was denkt sich der Junge eigentlich? Glaubt er etwa, ich würde ewig leben?«

»Er weiß nichts davon, Trace. Du hast mir geschrieben, dass du mich brauchst. Ich soll deinen Jungen zurückholen, nicht wahr?«

»Ja. Nur du wirst es schaffen. Ich werde dir dafür sehr viel Geld geben. Unterbrich mich nicht. Ich will dich nicht beleidigen.«

Cheyenne sah ihn seltsam an. Im Lichtschein hatte er grünliche Augen. »Ich will das Geld nicht.«

Ächzend drehte Trace Johns sich auf die Seite. Verwundert sah er Cheyenne an.

»Du bist noch immer der Alte, Rascal. Schon damals im Krieg hast du dir höllische Jobs geben lassen.«

»Wo ist Lola jetzt?«, fragte Cheyenne sanft.

»Was? Sie ist unterwegs zur Ranch«, murmelte Johns. »Vielleicht trifft sie morgen schon ein. Sie kommt mit der Postkutsche von Del Rio herunter. Sie hat einige Monate in San Antonio verbracht. Sie will doch später Lehrerin werden.«

»So ist das also«, meinte Cheyenne ruhig. »Dann werde ich morgen aufbrechen.«

»Du bist …«

»Noch immer der alte Cheyenne, stimmt«, sagte Rascal mit ernstem Lächeln. »Und nun sag mir, wo sich dein Junge aufhalten könnte.«

Langsam begann Trace Johns zu sprechen. Schon das strengte ihn an, und darum machte er es kurz. Als er geendet hatte, war draußen auf dem Hof plötzlich Lärm. Reiter kamen zurück. Doch dann war wildes Fluchen zu hören, und eine schrille Stimme zeterte.

»Wer ist das?«, fragte Johns.

»Mein Begleiter«, lächelte Cheyenne. »Er heißt Tennessee und ist der heruntergekommenste Satteltramp, den ich je gesehen habe. Bestimmt hat er Flöhe.«

»Du willst ihn doch nicht mitnehmen?«

»Doch – wenn er will. Und er wird wollen, verlass dich darauf. Er ist übrigens der Kerl, den deine drei Burschen zusammendreschen wollten. Ich hatte etwas dagegen und habe sie ein bisschen auf die richtige Größe gebracht.« Cheyenne erhob sich, nahm den Stetson auf und wandte sich zur Tür. »Ich werde ihm sagen, dass es morgen über die Grenze geht.«

*

Lola Johns kam in einem geliehenen Wagen von Eagle Pass City herüber. Neben ihr saß ein schwarzhaariger Stallbursche. Sie sprang vom Wagen und sah die Haushälterin fragend an. Dann eilte sie ins Haus.

»Edle Rasse!«, bemerkte Tennessee, der neben Cheyenne im Schatten des Pferdestalles stand.

»Halt den Mund, Tennessee!«, brummte Cheyenne. »Das Mädel könnte mal meine Frau werden.«

»Alle Achtung, großer Freund. Deine Augen sind ungetrübt. Weiß sie es schon?«

»Sie wird es gleich wissen. Ihr Vater wird es ihr vielleicht sagen.«

»Hm. Auch eine Art von Heiratsangebot«, meinte der Alte.

Sie warteten. Ihre Pferde waren bereits gesattelt, Proviant und Wasserflaschen auf den Pferden verstaut. Die Sonne brannte heiß. Staub lag in der flirrenden Luft. Ein paar Cowboys, die die Nachtwache bei der Herde übernehmen sollten, standen abwartend auf dem Hof.

Plötzlich flog die Tür des Ranchhauses auf. Heraus kam Lola Johns. Sie war schlank, etwas über mittelgroß, blond und sehr hübsch.

Mit schnellen Schritten kam sie zum Pferdestall. Ihr fein geschnittenes Gesicht war gerötet. Das Blondhaar wehte bei jedem Schritt. Ihre blauen Augen blitzten. Dicht vor Cheyenne blieb sie stehen, hob die Hand und gab ihm eine klatschende Ohrfeige.

»Zum Teufel!«, sagte sie voller Zorn, drehte sich um, ging zurück und schlug die Tür des Hauses hinter sich zu.

»Ich wette, das war der Auftakt zur Hochzeit«, bemerkte Tennessee. Er war im Gegensatz zu seinen munteren Worten ganz gerührt. »Sitzen die Zähne noch?«