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Anna S. Sommer

Verzweifeln hilft doch nichts

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© 2016 Anna S. Sommer

Covermotiv: © Subbotina Anna/Fotolia.com

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7345-4906-9
E-Book: 978-3-7345-4908-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Meiner Familie und allen Frauen,
die zu schnell in Depressionen
und Selbstmitleid verfallen.

Kapitel 1

Eine Ehe zerbricht

Anna sitzt im kahlen Wohnzimmer auf einer weißen Gartenliege mit grüner Auflage mit Blumenmuster. Hinter ihr stapeln sich Umzugskartons, vor ihr steht der Fernseher am Boden; zumindest das Laminat glänzt und versprüht durch den Holzton Wärme. Wie Anna so in ihrem Gartenstuhl kauert, denkt sie:

Was tue ich hier eigentlich?

Die Gedanken schwirren im Zickzack durch ihren Kopf, und sie kann ihr momentanes Gefühlsleben nicht so recht einordnen.

Was ist denn eigentlich geschehen? Wie ist es nur dazu gekommen, dass ich jetzt allein in einer 67qm-Wohnung sitze?

Immer und immer wieder versucht sie, Ordnung in ihren Kopf zu bekommen. Ihre Gedanken gehen zwei Jahre zurück in den kalten November, als sie einen Zettel gefunden hatte. Irgendwo belanglos zwischen ein paar CDs. Eigentlich wollte sie nur eine leere CD für ihre Tochter suchen. Dabei öffnete sie eine Hülle, wo eigentlich keine leere darin sein konnte. Warum hatte sie diesen Handgriff überhaupt gemacht? Es ergab keinen Sinn. Wollte es das Schicksal so?

Dabei fiel ihr ein Zettel in die Hände, auf dem stand:

Ich möchte immer dein Schutzengel sein. Hannelore.

Wie jetzt? Hannelore? Was bedeutete das? Schutzengel? Hannelore? Welche Hannelore? Heißt nicht die Eule bei Harry Potter Hannelore? Nein, die heißt anders, zwar auch mit H, aber anders.

Anna kannte nur eine mit diesem seltsamen Namen, und die war Bedienung im Gasthaus in dem kleinen Ort, wo Anna die letzten 25 Jahre wohnte – glücklich mit Mann und zwei Kindern, Katzen, großem Garten, Nachbarn und allem, was man zum Glück brauchte. Okay, nicht ganz, ihr Schwiegervater wohnte mit im Haus, und das machte so manches schon etwas schwierig. Aber er gehörte nun mal mit zur Familie, und man akzeptierte und respektierte sich gegenseitig.

Anna konnte den Zettel nicht einordnen und beschloss, ihrem Mann Peter erst mal nichts zu sagen.

Auch am nächsten Tag sagte sie nicht gleich was, erst am Abend, als sie mit ihm zu Bett ging. Da konnte sie es sich nicht länger verkneifen und sprach ihn auf den Zettel an. Peter war wie vor den Kopf gestoßen, er konnte nichts mehr sagen und er wollte auch in dem Moment nichts sagen. Das Einzige was er hervorbrachte, war: »Ich kann jetzt nicht reden.«

Aha, was sollte das heißen? Tut ihm der Hals weh? Hat er keine Stimmbänder mehr? Anna standen nur noch Fragezeichen im Kopf.

In dieser Nacht konnte Anna nicht richtig schlafen. Als der Wecker in der Früh klingelte, war sie wie gerädert. Sie stand auf, wie immer als Erste, denn sie wollte im Bad fertig sein und den Kaminofen anzünden, damit es schön warm war, bevor die anderen aufstanden. Anna war ihr Leben lang versucht, ihren Lieben alles gut zu tun, sie war von der Sorte „Glucke“. Schon immer bereitete sie allen das Frühstück vor, deckte den Tisch und frühstückte zusammen mit ihrer Familie. Die Kinder gingen meist zuerst aus dem Haus. An diesem Tag mussten sie sich beeilen, um den Schulbus zu erreichen.

Ihr Mann saß noch am Frühstückstisch.

Kein Wort. Auch nicht, als er aufstand, um ebenfalls zur Arbeit zu gehen. Anna konnte sich nicht mehr erinnern – hatte er ihr einen Kuss gegeben, so wie immer, bevor er das Haus verließ?

Der Tag verging, ihre Gedanken waren nicht mehr so wirr. Eigentlich war für sie wieder alles im Reinen, schließlich war Peter doch keiner, der fremdging. Außerdem war er in guter, hoher Position, und sie konnte sich in keinster Weise vorstellen, dass so jemand etwas mit einer Bedienung anfangen sollte. Der Zettel musste sich irgendwie anders erklären lassen. Aber trotzdem ließen sie die Gedanken daran nicht mehr los. Abends hielt sie es nicht mehr aus und sprach ihren Mann nochmals an.

Es war ein Moment, den man nicht beschreiben kann und den man für immer aus seinem Kopf löschen möchte – aber so ein Moment brennt sich ein wie ein heißes Eisen, das eine Wunde und Narben hinterlässt.

Peter konnte ihr nicht in die Augen sehen, seine Stimme war leise und ein Kloß saß in seinem Hals, als er ihr eröffnete, dass er ein Verhältnis hatte.

Das saß! Ihr Mann ein Verhältnis? Pah, so was konnte doch nicht sein, so was gibt’s doch nur im Fernsehen!

Jetzt war Anna diejenige, die nichts mehr sagen konnte.

Die kommende Nacht war für sie gelaufen, ihre Gedanken sprangen nur wirr durcheinander. Die Augen wollten einfach nicht zugehen, an Schlaf war gar nicht zu denken. Aber so ging es Peter wohl auch. Schließlich kennt man seinen Partner nach so vielen Jahren. Man hört, wie er atmet, ob er einen leichten Schlaf hat oder im Tiefschlaf ist oder eben, ob er überhaupt nicht schläft.

Am nächsten Morgen stand für sie fest, dass sie nie mehr in ihrem gemeinsamen ehelichen Bett schlafen konnte. Im Haus gab es im Keller ein Gästezimmer. Aber wie sollte sie es anstellen, dass niemand was mitbekommt? Sie wollte nicht, dass die Kinder etwas merkten, auch nicht der Schwiegervater. Das war eine Situation, die nur sie und ihren Mann etwas anging.

Anna wusste überhaupt nicht, was sie denken oder tun sollte. Im Fernsehen war immer alles schnell klar, die Paare blieben beieinander oder sie trennten sich. Aber bei ihr? Was sollte sie tun? Wenn ein Film lief, wo irgendeiner irgendeinen betrogen hatte, stand für Anna immer felsenfest klar, dass wenn es ihr passieren würde, es für sie kein Zusammenbleiben geben könnte. Aber jetzt? Jetzt ist es kein Film und keine Story, jetzt ist es Realität!

Anna war verzweifelt. Sie liebte doch ihren Mann, so wie sie ihn die letzten 25 Jahre geliebt hatte. Beendet man dann einfach so alles? Schließlich sind doch auch die zwei Kinder da. Gut, Kinder im Sinne von Kinder sind sie nicht mehr, sie sind doch schon erwachsen, zumindest fast, und gehen auch schon recht ihre eigenen Wege. Aber trotzdem sind es ihre Kinder. Irgendwie musste sie es schaffen, dies alles zu retten.

Aber hier ging es doch nicht um irgendwelche Gegenstände, die man vor Feuer oder dem Untergehen rettet, hier ging es doch um Gefühle, ums Herz. Auf jeden Fall war ihr klar, dass ihr Verstand nicht mit ihrem Herzen auf gleicher Linie fuhr. Und an sofortiges Verlassen war einfach nicht zu denken. Also, doch erst mal ins Gästezimmer.

Als alle wieder frühmorgens das Haus verließen, ging Anna in das Gästezimmer im Keller.

Es war schon lange niemand mehr hier drin, dachte sie. Als erstes musste gelüftet, ja und auch Staub gesaugt werden. Ein paar Spinnweben hingen an der Decke und vertrocknete Käfer lagen auf dem Teppich. Nachdem Anna alles sauber gemacht hatte, holte sie frische Bettwäsche und überzog das Bett. Irgendwie ging ihr alles flüssig von der Hand. Das Zimmer war jetzt fertig.

Der Vormittag verging wie im Flug. Sie musste ans Kochen denken, die Kinder kamen bald aus der Schule und wollten ihr Mittagessen. Auch ihr Mann kam jeden Tag mittags zum Essen heim. Ja, jetzt schlichen sich wieder die Zweifel in ihren Kopf. Sollte sie ihrem Mann überhaupt noch ein Essen kochen? Sollte sie sich mit ihm an einen Tisch setzen? Sollte sie versuchen, mit ihm zu reden oder doch eher auf stumm schalten oder sich wie ein verletztes Tier zurückziehen? Hilft es, alles totzuschweigen oder sollte sie eher in die Vollen gehen – ihn anschreien, kratzen, beißen, ihm eine runterhauen? Ihre ganzen Überlegungen, wie sie sich beim Zusammentreffen mit Peter verhalten sollte, waren wie weggefegt, als er ins Zimmer kam. Grau und fahl war er im Gesicht, und er hatte tiefe Schatten unter seinen Augen. Sie sah ihm an, dass er keine Spucke mehr im Mund hatte. Alles war ausgetrocknet. Ein tiefes Mitgefühl überkam sie. Sie liebte ihn doch und jemanden so zu sehen, den man liebt, schnürt einem das Herz zusammen.

Sie gingen leise aufeinander zu. Keiner konnte etwas sagen. Es dauerte eine Weile, bis Anna ihre Stimme fand und sie ihn leise fragte, ob diese Affäre überhaupt noch andauerte.

Er schaute sie an und sagte nein.

Sollte sie jetzt aufatmen und alles beiseitefegen? Oder wie verhält man sich in dieser Situation? Anna wollte nun natürlich von ihm alles auf einmal wissen, wie lange die Affäre gedauert hat, wie lange sie schon beendet ist und warum sie beendet wurde und vor allem von wem.

Peter konnte dies alles jetzt nicht beantworten, er sah sich dazu momentan einfach nicht in der Lage, versprach ihr aber, dass sie bald ein Gespräch führen und er ihr alles erzählen würde.

So standen sie also beide in der Küche und keiner wusste, was er sagen sollte. Hunger hatten sie auch nicht.

Die Zeit verging, und da kamen auch schon die Kinder heim. Jetzt hieß es, Kopf hoch, lächeln, und so tun, als ob nichts wäre. Die Kinder sollten auf keinen Fall etwas mitbekommen. Anna setzte sich mit den Kindern an den Tisch und versuchte, eine Kleinigkeit zu essen. Ob ihr Mann sich mit an den Tisch setzte, merkte sie nicht, so tief war sie in ihre Gedanken versunken.

Die Kinder erzählten von der Schule und was sie am Nachmittag noch so alles machen würden. Anna kostete es viel Mühe, sich auf die Gespräche zu konzentrieren. Zum Glück waren die beiden bald mit dem Essen fertig und gingen auf ihre Zimmer.

Es war ein jahrelanges Ritual, dass Peter und sie sich nach dem Mittagessen für eine halbe Stunde auf die Couch gelegt hatten, um ein bisschen die Augen zu schließen und neue Kraft für den restlichen Tag zu sammeln.

Als sie beide so dalagen, konnte keiner Ruhe finden. Anna starrte an die Decke und merkte, wie sich ihre Augen füllten. Die Decke verschwamm vor ihren Augen, und sie spürte, wie die Tränen immer mehr wurden und sich irgendwann nicht mehr aufhalten ließen. Die Tränen flossen nur so aus ihr heraus.

Als ob er die Trauer spüren würde, kam ihr Kater zu ihr, legte sich auf ihren Brustkorb und fing an zu schnurren. Da war es ganz um sie geschehen. Die Gefühle gingen mit ihr durch, und sie fing an zu schluchzen. Jetzt fiel ihr wieder ein, dass die Kinder nebenan in ihren Zimmern waren und sie ja nicht hören sollten, was da draußen im Wohnzimmer vor sich ging.

Anna stand auf und sah dabei, dass es ihrem Mann genauso elend ging.

Warum hatte er das getan? Warum nur? Was hatte sie falsch gemacht? Sie ging die Treppe hinunter, irgendwohin, Hauptsache einfach nur raus aus der Wohnung. Sie entschied sich, in den Garten zu gehen, da war immer was zu tun. Sie hoffte, dort ihren Kopf freizubekommen.

Anna wusste nicht, wie viele Stunden sie im Garten verbracht hatte. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Als sie auf die Uhr sah, waren zwei Stunden vergangen. Sie hatte nicht mitbekommen, ob Peter bereits wieder zur Arbeit gefahren war oder ob er noch im Haus war.

Sie sperrte die Haustür auf und ging langsam die Treppe hoch. Oben angekommen öffnete sie vorsichtig die Wohnungstür, aber der Einzige, der ihr entgegen kam, war der Kater. Er schnurrte ihr um die Beine und wollte gestreichelt werden.

Anna war froh, dass ihr Mann weg war. Die Kinder kamen später aus ihren Zimmern und jedes wollte irgendetwas von ihr. Sie hatte die größte Mühe, ein freundliches Gesicht aufzusetzen und so zu tun, als sei alles wie immer – also in bester Ordnung.

Der Nachmittag verstrich und es wurde schon zeitig dunkel, es war November. Wie sollte sie bloß Weihnachten verbringen? Plötzlich kamen ihr Gedanken an Weihnachten. Aber wieso sollte sie jetzt an Weihnachten denken, wenn sie noch nicht einmal wusste, wie sie die heutige Nacht verbringen sollte. Sollte sie sich nicht vielleicht doch ganz normal ins Bett neben ihren Mann legen oder eher ins Gästezimmer gehen? Deswegen hat sie es ja schließlich hergerichtet.

Sie spürte, wie eine tiefe Leere über sie hereinbrach. Ihr Körper fühlte sich an, als wäre er nur noch eine Hülle ohne jegliches Innenleben. Der Hals schnürte ihr zu und eigentlich sagte ihr Magen Hunger, da sie beim Mittagessen kaum etwas gegessen hatte, aber sie konnte nichts essen und nichts trinken. Schon beim Gedanken ans Essen wurde ihr Hals noch enger und schnürte sie noch mehr zu.

Es war später als sonst, als Peter abends nach Hause kam, vermutlich graute ihm genauso vor dem nächsten Zusammentreffen wie ihr. Beide schwiegen. Jeder machte sich irgendetwas in der Küche zurecht, und dann saßen beide auf der Couch und der Fernseher lief. Sie schauten zwar hinein, aber keiner bekam mit, welche Sendung überhaupt lief. So verging der Abend. Anna beschloss für sich, heute doch ins Gästezimmer zu ziehen.

Als sie so allein im Bett im Gästezimmer lag, durchströmte sie plötzlich ein Gefühl, das sie so schon lange nicht mehr kannte. Das Herz pochte und sprang ihr fast zum Hals heraus, und sie spürte jede Faser ihres Körpers. Sie verspürte Sehnsucht – körperliche Sehnsucht, sexuelle Sehnsucht, und es klopfte nicht nur ihr Herz, es klopfte auch zwischen ihren Beinen. Wieso um alles in der Welt verspürte sie jetzt sexuelles Verlangen? Sollte sie nicht eher ihren Mann jetzt hassen, als ihn zu begehren? Jetzt wusste sie überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte. Sie wusste nur, dass sie mit so einer Lust im Körper nicht ans Schlafen denken konnte. Sollte sie jetzt nach oben zu ihm ins Schlafzimmer gehen? Nein, auf keinen Fall. Sie musste jetzt stark sein, diesen Trumpf würde sie ihm nicht vergönnen. Schließlich war er es, der fremdgegangen war.

Anna legte ihre Hände auf ihren Bauch, die rechte Hand wanderte nach unten, und die Fingerspitzen glitten sanft durch die Schamhaare ihres Lusthügels. Ihre linke Hand streichelte ganz fein über den Bauch nach oben zu ihren Brüsten. Jetzt merkte sie, dass ihre Brüste hart und die Brustwarzen spitz waren. Als sie über ihre linke Brustwarze strich und an ihr spielte, wurde es immer heißer zwischen ihren Beinen, und als sie sich in die rechte Brustwarze kniff und daran spielte, war kein Halten mehr. Ihr durchströmte so intensiv eine Lust, dass sie sich bäumen musste. Sie hob ihr Becken und die Finger glitten zwischen die Schamlippen. Es fühlte sich alles so herrlich nass an. Mit dem Mittelfinger fühlte sie jetzt ihre Klitoris und umspielte diese, erst ganz langsam, dann immer schneller. Das Spielen an der Brustwarze verstärkte alles, es war eine direkte Verbindung zu ihrem Lustzentrum. Anna hielt die Augen geschlossen und sie stellte sich vor, wie Männerhände an ihr spielten. Sie merkte in dem Moment nicht, dass es ihre eigenen waren. Sie war wie in Trance, ihr Finger umkreiste ihr Hügelchen immer schneller und schneller, das Herz schlug ihr fast zum Hals heraus und sie sah die buntesten Sterne, als sie immer näher zum Orgasmus kam. Sie stöhnte und hielt ihre geöffneten Schenkel weit auseinander, und dann durchzuckte sie ein Blitz und noch einer und kurz darauf genoss sie die Erleichterung. Es durchfloss sie ein warmes Gefühl, leicht kribbelnd, vom Kopf bis zu den Zehen. Als sie so befriedigt dalag, die Bettdecke weit von sich weg gestrampelt, überkamen sie Gewissensbisse. War sie es jetzt, die ihren Mann betrogen hatte? Wenn sie es sich selbst machte, dann doch nur für ihren Höhepunkt, während sie mit ihrem Mann schlief. Aber doch nicht allein – als Selbstbefriedigung! Ihr Herz klopfte so fest, dass sie dachte, das müsste jeder außerhalb des Zimmers hören. Anna konnte nicht lange darüber nachdenken, denn schon nach kurzer Zeit versank sie in einen tiefen Schlaf.

Die nächsten Tage vergingen ähnlich wie der erste. Jeder von ihnen war bemüht, es für die anderen so wirken zu lassen, als ob alles in Ordnung wäre. Nur war leider nicht alles in Ordnung. Bei jeder Gelegenheit, wo sie allein waren, suchten sie das Gespräch, das heißt, Anna war überwiegend die, die immer und immer wieder nachbohrte und alles wissen wollte. Sie wollte doch nur wissen, warum es von ihm aus zu dieser Affäre kam. Sie wollte über die ganzen Jahre doch alles so gut machen, sie wollte eine gute Mutter und eine gute Ehefrau, ja, auch eine gute Geliebte für ihn sein und sein Kummerkasten. Sie fühlte sich so sicher in ihrer Ehe, sie liebte ihren Mann und sie wusste, dass er sie auch liebte. Aber scheinbar machte sie sich nur was vor. Wie oft hatte sie sich zu ihm gesessen und ihn aufgefordert, mit ihr zu reden, über berufliche Sorgen genauso wie über seine Gefühle und sein Herz. Aber es kam meist nur Belangloses und sie dachte sich, wenn er wirklich etwas Wichtiges auf dem Herzen hätte, würde er schon was erzählen. Und genau das war dann wohl der Punkt. Ihr Mann suchte sich eine andere, der er alles erzählen konnte, bei der er sein Herz ausschütten konnte. Er fühle sich nicht verstanden, weder von Anna noch von den Kindern. Er fühle sich nur noch als der Verdiener und Versorger. Aber warum nur? Sie konnte sich an nichts erinnern, was ihn zu diesen Gedanken veranlasste. Wer hat sich denn ständig zurückgezogen? Wer wollte denn nicht reden? Wenn die Kinder etwas erzählen wollten, warum hörte er nicht zu und saß lieber am Computer oder schloss die Augen auf der Couch. Und nun sollte sie schuld sein, dass man ihn nicht verstanden hatte? Jetzt war sie es, die nichts mehr verstand.

Und wieder einmal standen sie beide in der Küche, Peters Augen waren gefüllt mit Tränen. Er wollte sie berühren.

»Maus, es tut mir so leid«, sagte er. »Bitte verzeih mir. Es ist doch schon lange aus, und ich weiß, dass ich dich liebe und bei dir bleiben möchte. Das ist mir jetzt ganz klar geworden.«

Dieser Satz öffnete irgendwie ihr Herz, aber sie konnte es nicht ertragen, dass er sie berührte. Sie konnte sich auch in dem Moment nicht denken, ihn jemals wieder zu küssen. Sie küsste doch so gerne! Aber sein Mund hatte eine andere Frau geküsst, zärtlich, leidenschaftlich, wohin auch immer. Ihr ekelte. Und trotzdem überkam sie ein Kribbeln. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Konnte es sein, dass es sie erregte, dass ihr Mann fremdgegangen war? Nein, plötzlich war ihr klar, dass dieses Kribbeln keine sexuelle Erregung war, es war tiefe Liebe, die durch sie durchströmte.

An diesem Abend war sie wieder ins gemeinsame Schlafzimmer gegangen.

Aber auch wenn Anna jetzt wieder im gemeinsamen Schlafzimmer schlief – sie konnte noch keine Zärtlichkeiten geschweige denn Sex mit ihrem Mann ertragen.

Die Tage vergingen, die Vorweihnachtszeit hatte schon längst begonnen, und für Anna war es immer noch genauso schlimm, mit der Situation umzugehen, wie am ersten Tag, als ihr Mann ihr die Affäre beichtete. Sie redeten viel und Anna erfuhr viele Einzelheiten, ja sogar viel Intimes. Wie die Andere in ihrer Ehe lebte, die eigentlich gar keine Ehe war, eher ein Arrangement, und dass diese Frau noch nie im Leben einen Orgasmus hatte.

Was für eine arme Sau, dachte Anna. Eigentlich müsste sie sie jetzt bemitleiden, aber das tat sie nicht. Nein, diese Frau hat ihr den Mann weggenommen.

Mein Mann kann nicht schuld sein, das war diese Frau!, dachte sie. Dieses Biest, die ihn eingelullt hatte, und er ist darauf reingefallen. Anna konnte sich schon vorstellen, dass es für einen Mann sehr reizvoll war, wenn er erzählt bekommt, wie unbefriedigt eine Frau ist, und dann ihr einen schönen ersten Orgasmus beschaffen möchte. Männer sind „Jäger“, immer noch, und das seit Urzeiten, und das wird sich auch nicht ändern. Und ihr Mann mittendrin!

So sehr sie sich auch bemühte, dieses Kopfkino wollte einfach nicht aufhören. Immer wieder stellte sie sich vor, wie ihr Mann es mit dieser Frau getrieben hatte. Aber zum Aufarbeiten wollte sie auf keinen Fall zu einem Psychologen, so einem Seelenklempner, oder mit einem Mitglied ihrer Familie darüber reden, auch nicht mit ihrer Freundin. Sie wollte es allein schaffen! Wenn sie allein war, gab es kein Halten – sie weinte und weinte! Sie weinte sich jedes Mal die Seele aus dem Leib.

Anna hatte ein Pferd, und das war genau das Richtige, mit dem sie reden konnte. Es hörte ihr still zu. Es gab keine blöden Kommentare ab oder noch schlimmer, wie es bereits geschiedene Frauen gerne machen, Tipps, wie man es am besten seinem Mann heimzahlt oder ihn verlässt und ihn dazu noch schröpft, bis er mit dem Hals im Wasser steht.

Sie ging in dieser schweren Zeit oft zu ihrem Pferd, sattelte es und ritt hinaus in den Wald oder ging einfach nur mit ihm spazieren. In dieser Zeit flossen die Tränen wie es schlimmer nicht mehr ging. Sie sprach entweder leise vor sich hin oder sie schimpfte und wütete, oder sie schluchzte und heulte, oder sie sprach mit sich selbst oder hielt Zwiegespräche, entweder mit ihrem Mann oder mit dieser Frau, der sie die Meinung sagte!

Ihr Pferd war ihre beste Therapie, nein nicht nur Therapie, es war ihr bester Freund. Es war so geduldig und verständnisvoll, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Und trotz Weinen war es für sie einfach nur schön, mit diesem herrlichen Tier allein zu sein. Anna beobachtete es, wie es mit den Ohren spielte, um nicht nur alle Geräusche im Wald aufzufangen, sondern um auch alles mitzubekommen, was seine Reiterin von ihm verlangte. Dieses Tier war einfühlsam, wie es mehr nicht sein konnte. Ja, und es wusste, dass es ihr schlecht ging. Sie liebte dieses Pferd! Außerdem war es für Anna einfach nur schön, es anzusehen und das half ihr hin und wieder, und wenn es nur für ein paar Minuten war, alles Geschehene zu vergessen. Das herrlich glänzende Fell hatte einen wunderbaren Braunton, und dazu hatte es eine lange schwarze Mähne. Der Kopf war schmal und lieblich und die Augen groß und klar. Ja, dieses Geschöpf war ihr Freund!

Bald stand Weihnachten vor der Tür. Das war immer eine der schönsten Zeiten für sie. Früher, als die Kinder noch klein waren, hatte sie mit ihnen gebastelt, gesungen, dekoriert und gebacken. Was war das immer eine Vorfreunde. Später, als die Kinder größer wurden und keine so große Lust mehr dazu hatten, bastelte und backte Anna selbst. Das ganze Haus wurde von ihr dekoriert. Es war ein großes Haus mit 240 qm, und keine Ecke war vor ihr sicher. Die Weihnachtsdeko strahlte Wärme und Behaglichkeit aus, da musste man sich einfach wohlfühlen. Kerzen kamen auf den Tisch, und es roch nach Zimt und anderen Gewürzen.

Doch dieses Jahr war es Anna nicht nach Weihnachten und Dekorieren. Und schon gar nicht nach Backen. Obwohl es doch schon länger her war mit der Beichte, konnte sie immer noch nicht richtig essen. In der Zeit hatte sie bereits fünf Kilo abgenommen. Allerdings, das musste sie es sich selbst eingestehen, es stand ihr gut! Mit ihren 45 Jahren war sie gutaussehend. Sie war an sich schon schlank und hatte ein junges Gesicht und glatte Haut. Sie war nicht allzu groß, eher klein, und fünf Kilo weniger merkte man da sofort. Ihre Haare waren halblang und mit dem neuen fransigen Schnitt fühlte sie sich jung und spritzig. Wobei, wenn sie zur Zeit in den Spiegel schaute, blickte sie kein spritziges Gesicht an.

Die Weihnachtszeit verlangte ihr viel ab, aber nicht nur ihr, auch ihrem Mann. Es kamen die ganzen Weihnachtsessen auf sie zu, wo sie immer beide gemeinsam dabei waren.

Einmal ging Anna mit zu einem Weihnachtsessen, genau in den Gasthof, in dem „die Andere“ arbeitete. Anna hoffte so sehr, dass diese Person an dem Abend keinen Dienst hatte. So war es auch, aber das wusste Anna vorher nicht.

Als sie die Tür zum Gasthof öffnete, ging ihr Blick ringsum, aber sie konnte ihre Nebenbuhlerin nirgends sehen. Sie setzte sich mit Peter zu der Gesellschaft an den Tisch und hoffte innigst, dass die Frau nicht doch noch kommen würde. Eigentlich war es für Anna schon sehr ungewöhnlich, dass sie nicht da war, denn diese Frau bediente doch immer und schon gar bei solchen Gelegenheiten.

Anna konnte an diesem Abend nichts essen. Natürlich bekamen die Leute um sie herum mit, dass sie im Essen herumstocherte. Sie sagte, dass sie sich krank fühle und eigentlich zu Hause bleiben solle.

»Vermutlich kommt eine Erkältung auf mich zu«, log sie. Was Besseres fiel ihr auf Anhieb nicht ein und sie hoffte, dass die Leute es ihr glaubten. Abwegig war diese Notlüge ja nicht, Erkältungen in der Winterzeit waren ja ganz normal.

Anna überlegte die ganze Zeit über, warum eigentlich diese Bedienung nicht da war.

Als sie und Peter an dem Abend wieder zu Hause waren, fragte sie ihn, warum dies sein konnte. Hatte er was damit zu tun?

Und tatsächlich antwortete er ihr, dass er ihr Bescheid gegeben hatte, lieber nicht da zu sein.

Er hatte also immer noch Verbindung zu dieser Person?! Anna war außer sich. Wie kann er sie einerseits um Verzeihung bitten und so tun, als ob wieder alles in Ordnung wäre und andererseits hatte er noch Verbindung zu ihr! In Annas Kopf ging es wieder zu wie in einer Achterbahn. Wie sollte sie je wieder Vertrauen aufbauen? Ihr Mann versuchte, sie zu trösten und wollte sie in den Arm nehmen.

Mit verzweifelter Stimme sagte er zu ihr: »Ich hab doch keinen Kontakt mehr zu ihr. Anna, ich hab ihr doch nur Bescheid gegeben, dass sie nicht da sein soll, damit DU dich wohlfühlst.«

Wohlfühlen – was sollte das denn heißen? Seit wann lag ihm daran, dass sie sich wohlfühlte?

Anna hasste diese Frau! Wie konnte sich jemand nur in eine intakte Ehe einschleichen?! Andererseits, war diese Ehe überhaupt intakt, dass sich jemand einschleichen konnte? Ja, sie war intakt. Sie hatten alles, was man sich wünscht und nie Streit. Sie hatten auch regelmäßigen Sex, meistens einmal die Woche. Also, was suchte er dann „außerhalb“?

Als Peter das Wohnzimmer kurz verlassen hatte, nahm Anna sein Handy. Sie hatte noch nie in sein Handy geschaut, das war für sie tabu, genauso wie kein Mann in die Handtasche einer Frau schaut. Aber in diesem Moment konnte sie einfach nicht anders. Sie suchte in den Kontakten, ob diese Frau noch darin war. Und tatsächlich! Anna löschte den Kontakt voller Hass. In dem Moment wünschte sie dieser Frau alles Schlechte auf der Welt.

Anna ging auf keine Weihnachtsfeier mehr mit, weder in den Gasthof noch woanders hin.

Die Zeit kam für den Christbaumkauf. Die letzten Jahre hatten sie diesen immer schon ein bis zwei Wochen vor Weihnachten aufgestellt und geschmückt. Aber dieses Jahr war es Anna nicht nach Christbaum. Sie wollte keinen. Was sollte dieses ganze „Glücklichtun“ und „ach wie schön ist es, eine Familie zu sein“, wenn das Herz ganz anders aussah.

Sie weigerte sich, mit beim Christbaumkauf dabei zu sein und sie weigerte sich, diesen zu schmücken. Sie ließ sich irgendwelche Ausreden einfallen, damit die Kinder nicht Lunte rochen. Oder hatten sie schon bereits etwas bemerkt? Anna konnte sie ja nicht einfach danach fragen, und selbst kam auch keines der Kinder auf sie zu. Also musste das ganze Theater doch gut gespielt sein.

Die Weihnachtszeit ist ja normal schon sehr gefühlsbetont, aber für Anna war sie es noch mehr. Sie liebte ihren Mann nach wie vor, aber gerade in dieser Zeit musste sie ständig über alles nachdenken. Sie versuchte, sich einen Reim daraus zu machen, wie lange eigentlich diese Affäre angedauert haben musste. Peter gab sich hierzu sehr bedeckt und faselte was von ein paar Wochen. Aber nein, es muss wesentlich länger gedauert haben und Anna kam zu dem Ergebnis, dass dies mindestens ein halbes, wenn nicht eher ein dreiviertel Jahr gedauert hatte. Wie konnte er ihr das antun! In dem letzten dreiviertel Jahr war so viel passiert.

Und zu dem ganzen seelischen Übel hatte sie am linken Unterarm eine große Stelle, die nicht aufhören wollte zu jucken. Anna wurde manchmal ganz verrückt vor lauter Kratzen.

Kapitel 2

Was geschah in dem Jahr, als sie betrogen wurde?

Anna kauert immer noch in der Gartenliege, rutscht von der linken Seite auf die andere und umgekehrt. Sie verspürt Unruhe, Traurigkeit, Hass, Hoffnungslosigkeit.

Warum bin ich in diesem Jahr, wo so viel los war, so belogen und betrogen worden?

Ein runder Geburtstag

Peter hatte im ersten Halbjahr dieses besagten Jahres seinen 50. Geburtstag. Anna organisierte damals eigens für ihn ein Megaevent. Sie hatten Motorradfreunde, das war kein Klub oder Verein, sondern einfach nur eine lockere Zusammenkunft, Freunde eben. Und da hatte sie die Idee, den runden Geburtstag als Anlass zu nehmen, um ein großes Motorradfest zu veranstalten. Aber wo? Bei ihr zu Hause im Garten war keine Gelegenheit dazu, denn sie rechnete schon mit mindestens 20 Motorrädern und doppelt so vielen Gästen. Also überlegte sie, wo viele Motorräder parken könnten und wo es auch die Nachbarn nicht stören würde. Denn Motorradfest heißt: »laut«!

Jede Maschine hat ihren eigenen Sound, und jeder Biker ist stolz darauf und möchte natürlich den anderen das hören lassen. Für einen richtigen Chopper-Fan gibt es nichts Schöneres, als die Maschinen anzuschauen und zu hören! Es war jedes Mal auch für Anna ein Erlebnis, die herausgeputzten Maschinen zu bestaunen und den tiefen, geilen Sound zu hören. Für Anna war es ein tolles Gefühl der Macht, was hinter den Maschinen steckte.

Wichtig für das Fest war außerdem, dass es eine Gelegenheit geben musste, wo einige von den Gästen zelten oder irgendwie übernachten konnten.

Anna hatte da so eine Idee. Am Rande des Ortes, eher ein bisschen außerhalb, gab es genau die richtige Location. Allerdings war das Gebäude schon lange nicht mehr in Gebrauch. Sie ging zu dem Verantwortlichen, erzählte ihm den Grund, wofür sie es braucht und ob sie denn das Gebäude und Gelände für ein Wochenende anmieten darf. Dieser war sofort einverstanden und wollte eigentlich auch keine Miete dafür. Das Einzigste, was er sagte war: »Das Gebäude ist aber nicht geputzt, das müssen Sie selbst tun und auf eigene Kosten in Schuss bringen.«

Anna war begeistert und sie erzählte es sofort ihrem Mann, der diese Idee auch klasse fand.

Anna investierte ihre ganze Kraft für dieses Fest. Sie putzte und schrubbte nicht nur den riesigen Saal, sondern auch den Kellerbereich, in dem übernachtet werden konnte und kehrte den Hof, ja sogar das kleine Beet vor dem Eingang befreite sie von Unkraut. Es sollte doch alles so schön werden!

Das ganze Fest organisierte sie so gut wie allein. Schon Wochen vorher war sie ständig damit beschäftigt, Musik zusammenzustellen. Die reichte für mindestens 24 Stunden am Stück, und es waren alle Musikrichtungen dabei, sodass jeder zufrieden sein konnte. Angefangen von ruhiger Musik, wo man einfach nur so zuhören und dabei ratschen konnte, über Disco-Musik, Tanz-Musik bis hin zu Heavy Metal, was auf keinen Fall auf so einer Fete fehlen darf.

Bei einem Motorradfest gab es auch immer schon ein kleines Patch zur Erinnerung, das man sich an die Weste nähen konnte, und das sollte natürlich auch auf diesem Fest nicht fehlen. Dieses Patch gestaltete sie zusammen mit ihrem Mann. Sie überlegten sich einen passenden Namen für das Fest und was alles auf dem Patch stehen und abgebildet sein sollte, und in welchen Farben sie es haben möchten. Auch wenn sich das ein paar Tage hingezogen hatte, das Kreieren machte beiden so viel Spaß. Schließlich und endlich waren sie mit ihren Entscheidungen fertig, nun musste es nur noch ganz schnell in Auftrag gegeben werden, die Zeit drängte.

Sitzgelegenheiten, also Bierbänke und Tische, und Getränke musste sie auch noch bestellen, und weil sie beim besten Willen nicht für so viele Gäste Essen kochen wollte, war sie sich mit ihrem Mann einig, dass es ein Spanferkel geben sollte. Sie durfte nicht vergessen, ihre Gäste zu fragen, wer einen Salat mitbringt möchte.

Dekorieren wollte sie auch ein wenig, aber nicht mit zu viel Schnickschnack. Das kann man zu Hause machen, aber für ein Motorradfest ist das nicht passend, dachte sie. In einem Prospekt entdeckte sie Windlichter aus Metall. Ja, das macht sich gut und passt zum Motorrad, nickte sie sich selbst zu.

Als der Tag der Feier endlich kam, war sie total aufgeregt. Hatte sie an alles gedacht? Ja, hab ich, beruhigte sie sich immer wieder – die ganze Organisation stand perfekt. Es war ein herrliches Wetter an dem Tag, und es wurde ein super Fest, an das sich alle noch lange erinnerten. Gut an die 30 Motorräder waren da, was schon allein eine Schau war, und circa 50 Gäste. Die Stimmung war ausgelassen und lustig, und sie feierten bis spät in die Nacht. Das Spanferkel wurde schon Stunden vorher an den Grill gehängt. Und als es fertiggegrillt war, war das Fleisch herrlich zart und die Haut knusprig. Genau so muss ein Spanferkel sein!

Es blieb nicht viel übrig, so lecker wie es schmeckte und bei so vielen Männern. Dafür blieb aber einiges an Salaten übrig. Männerfest halt!, lächelte Anna in sich hinein.

Die Leute fragten sie immer wieder, wo sie denn die gute Musik herhatte. Jeder war begeistert und für jeden war was dabei.

Da es sehr spät in dieser Nacht wurde, rentierte es sich gar nicht, dass manche ihren Schlafsack und ihre Luftmatratze ausbreiteten. Auch sie und ihr Mann kamen kaum zum Schlafen.

Die Nacht war etwas kalt, aber die Sonne am Morgen wärmte jeden. Es war herrlich, zu sehen, wie die Sonne aufging und wie es sich anfühlte, die ersten Strahlen auf sich zu spüren.

Anna war so glücklich, was sie für Peter organisiert hatte. Manche Frauen kaufen ihren Männern zum Geburtstag eine Krawatte oder ein Hemd oder Socken. DAS aber war IHR Geburtstagsgeschenk für ihn! Sie waren jetzt fast 25 Jahre verheiratet und sie wollte ihm zeigen, wie sehr sie in liebte und wie stolz sie auf ihn war. Er machte den Eindruck, dass auch er sehr glücklich war. Doch wenn sie jetzt so darüber nachdachte, erinnerte sie sich an so manchen Gesichtsausdruck von ihm, der ihr im Nachhinein sagte, dass er mit seinen Gedanken irgendwo anders war – bei IHR natürlich!

* * *

Anna steht von ihrer Gartenliege auf. Ich kann jetzt schon nicht mehr darin sitzen, denkt sie und geht in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.

»Aber wo soll ich denn sonst sitzen? Ich kann mich ja gleich auch auf den Boden setzen«, sagt sie fast verbittert laut vor sich hin. »Irgendwo muss ich doch noch eine Decke haben ...«

Sie ist schlecht gelaunt und durchkramt einige Kartons. Zudem wollte das Jucken an ihrem Arm nicht aufhören. Sie kratzt und kratzt, aber es wurde nicht besser. In einem Karton findet sie eine Wolldecke. Sie setzt sich wieder in ihre Liege, kuschelt sich fest in die Decke ein und denkt weiter über alles nach.

Ja, nicht nur auf dem Motorradfest war ihr der Blick ihres Mannes immer wieder aufgefallen, auch bei anderen Gegebenheiten waren seine Gedanken bei IHR. Das wird ihr jetzt erst so richtig klar.

So war es auch im Sommer, als ein schreckliches Unglück passierte, und von diesem Ereignis her musste wohl auch die Stelle an ihrem Unterarm kommen, die einfach nicht mehr verheilen wollte.

Der Unfall

Es war an einem Wochenende im Frühsommer, und es war das herrlichste Wetter. Sie verabredeten sich mit Motorradfreunden in den Bergen. Mit Motorradfreunden treffen heißt natürlich auch, dass man mit dem Motorrad dorthinfährt.

Schon die Anfahrt war herrlich. Das Wetter war schön, es war wenig los auf den Straßen, und sie genoss es, hinten mit auf dem Motorrad zu sitzen und die Landschaft anzuschauen. Sie liebte die Berge. Es war einfach nur wunderschön.

Als Motorradfahrer ist man viel näher an der Natur als im Auto, dachte sie. Die Gerüche fand sie so faszinierend. Die nimmt man im Auto so gar nicht wahr. Die Wiesen dufteten ganz anders als die Getreidefelder, an denen sie vorbeifuhren. Das frisch geschnittene Gras hatte einen anderen Geruch als das bereits trockene Heu. Es verströmte einen wunderbaren Geruch.

Immer wieder tippte sie Peter auf die Schulter und deutete mit ihrem Finger auf irgendetwas was sie sah und was sie ihm mitteilen wollte. Sie hatte den Eindruck, dass auch ihr Mann die Fahrt genoss. Rundum war es ein wunderschöner Tag. Sie hatte so viele Eindrücke, so viel gesehen und gerochen, und sie hatten ganz viel Spaß mit ihren Freunden.

Der Wetterbericht sagte gegen Abend allerdings Regen an, und deshalb verabschiedeten sie sich am späten Nachmittag, um wieder nach Hause zu fahren. Immerhin waren es an die zwei Stunden Fahrt.

Nach der Hälfte der Fahrzeit tippte Anna wieder einmal ihrem Mann auf die Schulter und deutete auf die Regenwand in der Ferne, die auch noch genau in ihrer Richtung war. Sie hatten in den Satteltaschen am Motorrad immer Regenkleidung mit dabei, und Anna wollte diese anziehen, um die Lederkleidung zu schützen. Sie hasste Regen beim Motorradfahren, nicht nur, dass man klitschnass werden konnte bis auf die Unterhose, sondern auch, weil es gefährlich wurde. Wenn sie schon mal in einen Regen kamen, wie beneidete sie da jeden Autofahrer!

Sie fuhren schon längere Zeit auf einer Landstraße, wo man nicht einfach mal so schnell stehen bleiben konnte. Aber dann kamen sie endlich an einem Ort vorbei und eine Bushaltestelle war in Sicht. Ja, da konnten sie kurz anhalten und sich anziehen. Die Straße war immer noch trocken, aber die Begrenzung der Haltestelle war wohl irgendwie schon feucht.

Und da passierte es.

Peter bremste das Motorrad ab, um in die Bucht zu fahren. Sie fuhren höchstens noch 20 km/h, eher weniger. Als die Räder des Motorrads über die Begrenzungslinie fuhren, glitten sie einfach weg. Im Zeitlupentempo fiel das Motorrad samt ihnen auf die rechte Seite, und sie rutschten die letzten Meter am Boden entlang. Anna versuchte, ihren Kopf zu schützen und hochzuhalten, aber sie krachte mit dem Helm auf den Boden.

Das war ein Geräusch, ein Ton, den man nicht vergisst. Auch versuchte sie, ihr Bein rechtzeitig wegzuziehen, bevor das Motorrad darauflandete.

Als sie so auf dem Rücken lag und irgendwie versuchte, sich zu ordnen, sah sie, wie Peter neben ihr lag und wie sein Bein unter dem Motorrad eingeklemmt war. Mit aller Kraft stemmte sie mit ihren Beinen die Maschine so weit hoch, dass ihr Mann sein Bein herausziehen konnte.

Verwirrt und geschockt hoben sie beide das Motorrad hoch, und er stellte es auf den Seitenständer.

Sie setzten sich auf den Randstein und versuchten erst einmal, wieder klar im Kopf zu werden. Sie sah auf ihre Motorradstiefel. Gott sei Dank hatte sie welche an, sonst hätte sie jetzt keine Zehen mehr. Die Schuhspitze des rechten Stiefels und der linke Stiefel an der Ferse waren komplett abgewetzt. Auch der rechte Ärmel ihrer Lederjacke war vom Ellbogen über den ganzen Unterarm abgewetzt, aber zum Glück hatte die Jacke Protektoren. In dem Moment wurde ihr richtig bewusst, wie wichtig eine gute Motorradbekleidung ist und war froh darüber, dass sie da nicht gespart hatte.

Als sie so dasaßen, kam ein Lkw vorbei, der Fahrer hielt an und fragte, ob er irgendwie helfen konnte. Aber beide deuteten ihm, dass alles in Ordnung sei und der Lkw fuhr weiter. An dem Motorrad war auf den ersten Blick nicht viel kaputt, der Tank war zum Glück nicht beschädigt, nur der rechte Griff und der Blinker waren leicht lädiert. Also saßen sie wieder auf und fuhren los.

Es war noch eine gute Stunde zu fahren.

Das Aberwitzige, oder soll man sagen Schicksalhafte, an der ganzen Sache war:

Das Wetter hielt, und sie blieben trocken!

Je weiter sie fuhren, desto mehr bekam Peter Schmerzen im rechten Bein. Und nicht nur das, er bekam auch kaum noch Luft. Wie er es noch heim schaffte, grenzte an einem Wunder. Zu Hause angekommen half Anna ihrem Mann aus der Motorradkleidung und vor allem aus den Stiefeln. Das war das Schwierigste. Erst jetzt bemerkten beide, wie geschwollen das untere Bein war. Auf Anna gestützt humpelte er mit ihr zu ihrem Auto und sie brachte ihn in ein Krankenhaus.

Die Notaufnahme des Krankenhauses war recht voll, und so warteten sie fast eine Stunde. Peter glaubte, dass er ersticken müsste. Er konnte nicht tief Luft holen, der Brustkorb tat ihm unendlich weh.

Endlich wurde er aufgerufen und kam ins Untersuchungszimmer. Das Bein und der Brustkorb wurden geröntgt. Das Bein wies einen glatten Bruch auf, und ein paar Rippen waren angeknackst. Bei den Rippen konnten die Ärzte nichts machen, die mussten ganz von allein wieder heilen, auch das Bein musste nicht operiert werden. Aber es wurde eingegipst und es hieß, dass es mindestens fünf Wochen dauern würde, bis der Bruch wieder geheilt war.

Fünf Wochen im Gips und an den Krücken, nichts allein machen können, nicht Auto fahren! Wie schrecklich, dachte sich wahrscheinlich nicht nur Anna. Er war vollkommen auf fremde Hilfe angewiesen.

In dieser Zeit bemerkte sie immer wieder mal einen Gesichtsausdruck bei ihm, irgendwie traurig, irgendwie gedankenverloren. Natürlich dachte Anna bei diesem Blick, dass er sich wohl ums Büro Sorgen machte, weil seine Arbeit liegenblieb. Was sollte ihn auch anderes beschäftigen? Es ging ihm ja gut, außer dass er halt zu allem Hilfe brauchte. Und dafür war sie ja für ihn da. Sie würde den Gesichtsausdruck nie vergessen, den er immer und immer wieder hatte – es waren nicht die Sorgen ums Büro, seine Gedanken waren bei IHR.

Klar, wie sollte er Kontakt zu ihr aufnehmen? Anna war ja fast immer zu Hause, und da konnte er nicht einfach mal telefonieren. Aber scheinbar sollte es so sein, dass das Schicksal einen Weg bereitete, dass Anna eben nicht immerzu zu Hause war.

Renovierungsarbeiten

Sie besaßen ein kleines Häuschen so circa 30 Kilometer von zu Hause entfernt, das sie vermietet hatten. Die Mieter kündigten damals von heute auf morgen. Anna fuhr mit ihrem Mann zu dem Häuschen, und sie glaubten, sie können ihren Augen nicht trauen. Wie war das Haus heruntergekommen! Sie ließen allen Mietern immer freie Hand, glaubten an das Gute, dass jeder doch für Sauberkeit und Ordnung sorgt, so wie man doch auch selbst leben möchte.

Und dann dieser Schock! Nicht nur, dass der Garten völlig verwahrlost und mit lauter Hundedreck übersät war, auch das Haus innen war dreckig, und fast alle Fenster waren mit Schimmel umrandet. So eine Schweinerei! Wie sollten sie dies wieder in Ordnung bringen? Von den Mietern konnten sie ja nichts mehr erwarten.

Solange Peter noch das Gipsbein hatte, fuhr Anna lediglich mal zu dem Häuschen, um zumindest den Garten wieder in Schuss zu bringen. Zuerst entfernte sie den Hundedreck. Ein Apfelbaum stand im Garten und die heruntergefallenen Äpfel mussten aufgehoben werden, bevor sie faulig wurden und vor sich hin schimmelten. Dann mähte sie den Rasen. Ein kleiner Teich, umrandet mit einem Blumenbeet, war im Vorgarten. Sie zupfte das Unkraut und schnitt die verwelkten Blumen ab.

Das alles war für sie kein Problem. Zu Hause hatte sie einen dreifach so großen Garten, und der hier waren eigentlich nur peanuts für sie. Es dauerte trotzdem gut über einen halben Tag bis sie mit allem fertig war. Aber als sie dann so dastand, bei einer Tasse Kaffee, den sie in einer Thermoskanne mitgebracht hatte, war sie mit ihrer Arbeit und sich selbst zufrieden. Es sah alles wieder so schön aus und wirkte friedlich.

Zumindest nach außen hin, dachte sie. An das Haus innen durfte sie gar nicht denken. Das wird noch ein anderes Kaliber. Vor allem wusste sie bereits jetzt schon, an wem das hängenblieb – an ihr natürlich!

Die letzten zwei Wochen mit dem Gipsbein vergingen, und endlich wurde der Gips entfernt. Jetzt war ihr Mann wieder so einigermaßen mobil, und er brauchte sie nicht mehr ständig. Auch fuhr er wieder zur Arbeit, besser gesagt, sie fuhr ihn in der ersten Woche hin und holte ihn abends wieder ab. Der Alltag pendelte sich wieder ein und Anna nutzte jetzt die Gelegenheit, das kleine Häuschen auch innen wieder zu einem Schmuckstückchen zu machen.

Sie fuhr über einige Wochen lang fast jeden Tag dorthin. Meistens war sie von der Früh bis Nachmittag dort. Sie war aufgepackt mit sämtlichen Werkzeugen und allem, was man zum Renovieren braucht.

Wo sollte sie bloß zuerst anfangen? Also, eigentlich einfach von vorn, dachte sie und fing bei der Eingangstür mit Windfang an. Das muss wohl der Lieblingsplatz von diesem Hund gewesen sein, der nicht nur den Garten verdreckt hatte. Die Wand am Eingang war mit Holz verkleidet, und in jeder Holzritze hingen Hundehaare. Die Fugen zwischen den Bodenfliesen waren schwarz. Anna kniete sich auf ein Kissen und fing an, mit Seifenwasser und einer alten Zahnbürste jede Fuge einzeln zu schrubben. Auch die Holzvertäfelung bürstete sie mit Seifenwasser ab. Es dauerte einige Stunden, bis nur dieser kleine Bereich wieder sauber war.

Der Gang nach dem Windfang war auch gefliest und die Fugen ebenso dreckig. Also das gleich Prozedere: Seifenwasser und Zahnbürste. Es verlangte Anna viel Kraft ab. Manchmal glaubte sie, dass sie das alles nicht schaffen würde. Sie schwitzte und die Knie taten ihr weh. Sie bekam einen richtigen Hass auf die Mieter. Dieser Hass machte sie aber wieder nur stärker.

Damals, vor Jahren, als sie das Haus gesehen hatten, waren sie beide sofort in dieses verliebt und wollten es unbedingt kaufen, auch wenn es alt war – oder eben wohl, weil es alt war! Es versprühte so einen Charme aus wie kaum ein anderes. Und diesen Charme wollte Anna dem Haus wieder geben. Sie setzte ihre ganze Kraft und Energie ein.

Das Haus hat es verdient, dachte sie, es kann ja nichts dafür.

Diese Putzerei war nur der Anfang. Jetzt musste der Schimmel an den Fenstern weg. Das war schon recht widerlich. Anna setzte sich eine Atemmaske und ein Kopftuch auf, ebenso zog sie Gummihandschuhe an. Sie ekelte sich bei dem Gedanken, dass die Schimmelsporen an ihr hafteten. Es waren einige Fenster und sie hatte ziemlich viel Mühe damit. Zuerst musste die Tapete rund um die Fenster herum entfernt werden, dann kratzte sie mit einer Spachtel zuerst den Schimmel ab und sprühte die befallenen Stellen mit Schimmelspray ein. Danach kratzte sie den Putz ab und versprühte wieder dieses Spray. Und nicht nur die Tapete und der Putz waren befallen, ja auch die Fenster selbst. Also, auch diese einsprayen und schrubben. Nach dieser ganzen Aktion musste alles wieder neu verputzt, tapeziert und auch wieder gestrichen werden.

Anna war zum Glück handwerklich sehr begabt und geschickt, und es gab kaum etwas, was sie nicht anpacken konnte. Höchstens wenn es ihre körperliche Kraft nicht zuließ.

Einerseits hasste sie diese Renovierungsarbeiten, weil es mit viel Ekel verbunden war, andererseits war sie selbst auf sich so stolz, weil sie es allein schaffte. Ihr Mann musste ja die ganze liegengebliebene Arbeit im Büro wieder aufholen, da konnte er ihr nicht helfen, und außerdem sollte er ja seinen Fuß noch schonen. So dachte sie zumindest. Dass sie ihm aber, zumindest tagsüber, den Weg frei machte für seine Liebelei, das wusste und ahnte sie nicht!

* * *

Die Jahre vergingen eh schnell, aber dieses Jahr war so voller Ereignisse, das flog nur noch so dahin. Der Herbst war schon längst da und im Oktober stand für sie das größte Ereignis in diesem Jahr an – ihre Silberhochzeit.

»Es kann doch gar nicht sein, dass wir jetzt schon 25 Jahre verheiratet sind«, sagte Anna einmal zu ihrem Mann.

Diese 25 Jahre waren so schnell vergangen. Aber wo sind sie geblieben? Was auch immer diese Jahre mit sich gebracht haben, sie waren stets das Traumpaar schlechthin – immer händchenhaltend, immer verliebt und nie einen Streit. In ihrem Umfeld, egal ob Freundeskreis, Familie, Nachbarn oder einfach Leute aus dem Ort, waren schon so viele geschieden und teils aber auch wieder neu verheiratet. Anna konnte sich nie in ihrem Leben vorstellen, dass sie das einmal selbst treffen könnte.

Und so sagte sie sich: »Diese tollen Jahre sollen irgendwie besonders gefeiert werden«.

So dachte sie sich das zumindest. Beide waren sich auf alle Fälle einig, dass sie ihre Silberhochzeit nicht mit Verwandten und Freunden irgendwo beim Essen feiern wollten. Sie stöberten im Internet sämtliche Reiseziele durch und kamen zu einer Reise in die USA. Aber eine Reise in die USA hieß für Anna wirklich was „Besonderes“, denn nicht nur das Land selbst war etwas Besonderes, sondern dahin musste sie ja fliegen, da kann man nicht mit dem Auto hinfahren. Anna weigerte sich die letzten 15 Jahre, in ein Flugzeug zu steigen. Sie hatte furchtbare Flugangst seit einem Rundflug in einer kleinen viersitzigen Maschine. Wie hatte sie sich damals diesen Flug gewünscht und zu einem Geburtstag ihn auch endlich bekommen! Und wie hatte dieser Flug dann ihr nächstes Leben bestimmt! Sie liebte es, in den Urlaub zu fahren, aber seit diesem Flug ging es nur noch dorthin, wo man mit dem Auto fahren konnte. »Nie wieder fliegen«, schwor sie sich damals.

Anna ging die nächsten Tage tief in sich und überlegte hin und her, ob sie das wirklich möchte, dieses Fliegen. Und ja – sie mochte! Sie war in so vielen anderen Ländern bereits, die man mit dem Auto erreichen kann, aber sie war in ihrem Leben erst ein Mal mit dem Flugzeug in einem weiter entfernten Land. Das war Tunesien und das war ihre Hochzeitsreise vor 25 Jahren. Und jetzt stand wieder eine „Hochzeitsreise“ an.