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B. Bruder

Cross Worlds

Die Gefahr des gelben Auges

Mit Illustrationen von Zapf

Impressum

Titel der Originalausgabe: Cross Worlds. Die Gefahr des gelben Auges

© KERLE in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

 

Alle Rechte vorbehalten

www.kerle.de

 

Umschlagillustration: Zapf

E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

 

ISBN (E-Book): 978-3-451-80337-6

ISBN (Buch): 978-3-451-71260-9

Inhalt

1. Das Lagunenland

2. Ein verrückter Morgen

3. Im Strudel

4. Ankunft in Laguna

5. Die Welle

6. Drechse

7. Sinmars Turm

8. Lasslos Plan

9. Gefangen im Schlamm

10. Der Kampf

11. Die Flut

12. Die Prophezeiung

13. Die Rückkehr

Informationen zum Autor und zum Illustrator

1. Das Lagunenland

Es war früh am Morgen.

Der Himmel war trüb und es war still. Unheimlich still. Kein Vogel kreiste über den Inseln mit ihren vielen Brücken und Steinhäusern. Kein Boot schipperte auf einem der schmalen Kanäle, die sich zwischen ihnen schlängelten. Kein Fisch sprang aus den Fluten und hinterließ Kreise auf der Wasseroberfläche.

Die Felsen, die wie graue Steinriesen in den Himmel ragten, hatten tiefe schwarze Furchen in ihren uralten Gesichtern.

Das Rauschen der riesigen Wasserfälle und das Sprudeln der unzähligen Quellen waren das einzig Lebendige. Ansonsten lag die große Lagune so reglos da, als hätte sie Angst aufzuwachen.

Endlich aber rührte sich doch etwas.

Ein Junge von etwa neun Jahren trat barfuß aus einem würfelförmigen Steinhaus.

Sein halblanges braunes Haar war noch zerzaust. Er war nicht wie sonst von dem fröhlichen Plätschern der Wellen aufgewacht.

Heute hatte ihn ein schrecklicher Albtraum aus dem Schlaf gerissen: Eine dunkle Macht war in das Land eingedrungen, um es für sich zu erobern. Und obwohl der Junge kein Gesicht vor sich gesehen hatte, wusste er, um wen es sich gehandelt haben musste.

„Es gibt nur einen, der so grausam ist“, dachte er schaudernd.

Er lief zu einer Quelle, die aus einem Felsen sprudelte, und wusch sich das Gesicht. Anschließend trank er ein paar Schlucke von dem kalten Wasser.

Am liebsten hätte er diesen blöden Albtraum einfach von sich gespült. Aber das mulmige Gefühl in seinem Bauch ließ sich nicht vertreiben. Im Gegenteil – er fühlte sich unwohl, fast wie benebelt. Dabei hatte er doch lange genug geschlafen.

Plötzlich zuckte der Junge zusammen. Er hatte etwas aus den Augenwinkeln erhascht.

„Blaue Blitze!“, flüsterte er erschrocken. „Unter der Wasseroberfläche hat es geblitzt!“

Er hielt den Atem an – und fuhr herum. Da war ein Geräusch! Ein leises Gurgeln und Zischen. So, als würde Wasser in einem Kessel anfangen zu kochen.

Und plötzlich bemerkte der Junge noch etwas: eine Art Zittern, das irgendwo aus der Tiefe zu kommen schien.

„Oh nein, ein Erdbeben!“, durchfuhr es ihn, und er starrte wie gebannt auf den Kiesboden. Unsichtbar kroch das Vibrieren durch seine nackten Fußsohlen und Beine, bahnte sich durch seinen Magen bis hinauf in seinen Kopf. Dort blieb es und schwoll zu einem schrillen, lauten Geräusch an.

Der Junge presste die Hände gegen seine Schläfen, doch es hörte nicht auf. Das Vibrieren wurde immer schlimmer!

„Aaaarg!“ Der Junge konnte es nicht mehr ertragen und krümmte sich vor Schmerz. Er glaubte, sein Kopf würde jeden Moment zerspringen. Doch dann, ganz plötzlich, verebbte alles wieder.

Der Junge blinzelte verstört. Er fühlte sich kraftlos und wie betäubt.

„Das war kein normales Erdbeben“, dachte er benommen. Er lauschte angestrengt. Um ihn herum war es so still wie zuvor. Nur sein Herz klopfte laut.

„Vielleicht war das Geräusch irgendein düsteres Zeichen“, dachte er schaudernd. „Vielleicht kündigt es etwas Schreckliches an.“

Er sah sich um. Aber keiner der anderen Inselbewohner war zu entdecken.

Am liebsten hätte er sich zurück ins Bett gelegt, denn seine Gliedmaßen fühlten sich schwer an wie Blei. Doch er riss sich zusammen und rannte zu einer der Steinbrücken.

„He, aufwachen!“, rief er, so laut er konnte. Mit aller Macht versuchte er, die schreckliche Müdigkeit von sich zu schütteln. „Hört mich denn keiner?“

Er hechtete von Brücke zu Brücke und von Insel zu Insel. Wie wild klopfte und rüttelte er an den Türen.

Aber niemand antwortete ihm. Alle Felsenhäuser blieben fest verschlossen.

„Was soll ich bloß tun?“, dachte der Junge verzweifelt.

Völlig außer Atem lehnte er sich gegen die Wand eines hohen Steinturmes, der ganz in Ufernähe stand.

„Was ist hier los? Wie soll ich mein Volk warnen, wenn mir niemand zuhört? Ach, Vater, wärst du doch bloß hier. Du wüsstest bestimmt einen Rat.“

Erschöpft vergrub der Junge sein Gesicht in beiden Händen.

So konnte er nicht sehen, dass sich plötzlich doch etwas regte. Nicht auf der Insel oder in dem Felsenturm. Sondern direkt vor ihm im Wasser.

Zunächst begann sich die Oberfläche an einer Stelle zu kräuseln. Dann breitete sich ein eigenartiger bläulicher Schimmer aus.

Das Wasser begann zu brodeln und Blasen zu werfen. Immer mehr und mehr, bis plötzlich etwas daraus auftauchte: ein großes, giftblau glänzendes Knäuel.

Es zuckte, hob und senkte sich – und begann sich schließlich zu entwirren.

Ein langer Schlangenkörper wand sich empor, der in einem breiten schuppigen Schädel mit einem einzigen gelben Auge endete.

Lauernd ließ das Biest seinen Blick übers Wasser gleiten, bis es den Jungen entdeckte, der immer noch gegen die Turmwand gelehnt am Ufer der kleinen Insel saß.

Hungrig riss die Schlange ihr Maul auf. Ein giftblauer Reißzahn blitzte auf, und eine gespaltene Zunge schnellte hervor. Dann warf das Scheusal seinen Körper nach hinten wie um Anlauf zu nehmen und 

 

„He, pass auf!“, schrie Jonas.

Die Klasse lachte laut auf.

„Wie? Was?“ Jonas taumelte und blickte sich verwirrt um. Die vielen Gesichter, die ihn anstarrten, verschwammen vor seinen Augen. Erst nach ein paar Sekunden merkte er, wo er eigentlich war.