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Deutsche Erstausgabe (ePub) Oktober 2015

 

Für die Originalausgabe:

© 2013 by Lisa Worrall

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»I Can See For Miles«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2015 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-557-1

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

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Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Nachdem er bei einem tragischen Unfall nicht nur sein Augenlicht, sondern auch die Liebe seines Freundes Alec verloren hat, will sich Josh fremden Menschen gegenüber nie wieder öffnen. Als seine Freunde Greg und Mario ihn jedoch in ein Blindencamp schleppen und er auf den Campleiter Charlie trifft, gerät dieser Entschluss gehörig ins Wanken und er versucht, das Herz des anderen Mannes für sich zu gewinnen. Charlie hat selbst mit seiner Vergangenheit zu kämpfen und versucht verzweifelt, sich gegen Joshs Avancen zu wehren. Doch ihre Gefühle sind ein Lichtblick, dem sich auch Charlie nicht lange entziehen kann...


 

Lisa Worrall

 

 

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Aus dem Englischen
von Gabby Jacobs


 

Widmung

 

 

Für Alex und Gracie, die mir gezeigt haben, dass man, bewaffnet mit seiner Fantasie und seiner Kreativität, wirklich meilenweit sehen kann.

 

Für Sharon und Bill – eure Freundschaft und eure Unterstützung bedeuten die Welt für mich und ich hätte keine besseren Eltern für Charlie finden können.


 

Kapitel 1

 

 

»Es wird lustig, Josh, vertrau mir«, sagte Greg, dessen Stimme mit Überzeugung gefüllt war, als er seine Finger um die von Josh schlang, um ihm zu helfen.

»Jaah, eine Woche mit den Turteltauben. Ich kann's nicht erwarten«, antwortete Josh frotzelnd, schob sich vorsichtig an den Rand des Sitzes und stand dann auf, als er den Boden unter sich fühlte. »Vergiss nicht, nur weil ich nicht sehen kann, heißt das nicht, dass ich nicht hören kann, wie ihr euch gegenseitig eure Gesichter abschleckt. Also versucht, das Geknutsche auf ein Minimum zu reduzieren.«

»Sehr witzig«, spottete Mario, als er ihre Koffer von der Ladefläche beförderte. »Weil es ja so viel Spaß gemacht hat, die meiste Zeit im College damit zu verbringen, dir dabei zuzuhören, wie du dich durch das halbe Football-Team gejapst und gestöhnt hast.«

Kichernd streckte er seine Arme über den Kopf, um seine Muskeln nach der langen Fahrt zu lockern, ehe er ächzte, als seine Knie knackten. Fast sechseinhalb Stunden in seinen Socken zu stecken, trug nicht unbedingt zum Komfort einer langen Reise auf dem Rücksitz bei. Angesichts der Tatsache, dass weder Greg noch Mario größer als 1,80 Meter waren, war es für Josh ein Rätsel, warum er nicht der Beifahrer sein durfte – mit Ausnahme von Marios Drang, seine Haare unentwegt im Spiegel zu kontrollieren.

Auf Marios Neckerei hin schüttelte er den Kopf und konterte: »Ja, aber immerhin durftet ihr zugucken. Ich kann jetzt nicht mal einen Blick erhaschen.«

»In der Aussage steckt so viel Falsches, dass ich gar nicht näher drauf eingehen will«, meinte Greg verachtend. Josh grinste breit, als Greg seinen Ellbogen umschloss und ihn vorsichtig den Feldweg entlangführte. Das Geschenk des Sehens war nicht unbedingt notwendig, um den Ausdruck auf Gregs Gesicht zu sehen; er spiegelte sich in seiner Stimme wider.

Josh hoffte nur, dass sein Lächeln überzeugend war, als Greg hinzufügte: »Das hier wird großartig. Eine Woche lang mit meinen zwei Lieblingskerlen in den Wäldern von Virginia campen. Und es wird dir guttun, Josh. Du kommst aus diesem verdammten Apartment raus. Das ist alles, was zählt.«

Sie alle verstummten, als sie über den unebenen Boden liefen, und Josh wusste, dass seine Freunde über den Unfall nachdachten. Nicht, dass er sich groß an die ersten Tage erinnerte – er hatte im Koma gelegen. Aber er erinnerte sich daran, in der Dunkelheit aufgewacht zu sein und Alecs Namen gerufen zu haben. Joshs Unfall vor acht Monaten hatte ihre Leben unwiderruflich verändert. Sein Genesungsprozess war lang und beschwerlich gewesen, doch Greg und Mario waren bei jedem Schritt dieses Weges an seiner Seite gewesen.

Josh, schon immer ein begeisterter Sportler, war von seinem Freund, Alec, dazu überredet worden, Wildwasser-Rafting auszuprobieren. Begierig darauf, jede Herausforderung anzunehmen, die ihm entgegengebracht wurde, hatte sich Josh auch in diese hineingestürzt, genauso wie auch bei allem anderen, was er tat; mit Begeisterung und vollkommener Hingabe. Seine ersten beiden Fahrten die Stromschnellen hinab waren ein Erfolg gewesen. Josh hatte sich in seinem gesamten Leben nie lebendiger gefühlt. Das Adrenalin, das durch seinen Körper gejagt war, hatte ihn wie nichts anderes, das er bisher erfahren hatte, in einen Rausch versetzt.

Alec allerdings hatte es nach ein paar Bier geschafft, Josh zu einem weiteren Versuch zu überreden – im Dunkeln. Die zwei Männer hatten die Kajaks mit nach draußen genommen und Josh hatte einen Felsen gerammt, bevor sie die Stromschnellen überhaupt erreicht hatten. Sein Kajak war umgekippt und er war im wirbelnden Wasser gelandet. Er hatte sich den Kopf angeschlagen und Alec war zurück zur Rafting-Station geeilt und hatte um Hilfe geschrien, mit einem bewusstlosen Josh, der über die Spitze von Alecs Kajak drapiert war. Als Josh achtundvierzig Stunden später aufgewacht war, hatte sich herausgestellt, dass der Schaden permanent war. Er war blind und Alec war gegangen.

Der Verlust von Alec war das Schlimmste. In vollkommener Finsternis aufzuwachen und herauszufinden, dass die eine Person, die dich bedingungslos lieben sollte… es nicht tat und nicht bereit war, sein Leben mit beschädigter Ware zu verbringen.

Er war für Marios Arme dankbar gewesen, die ihn in diesen dunklen Nächten festgehalten hatten, wenn er sich in den Schlaf geweint hatte, aber es war nicht das Gleiche gewesen. Er hatte Alec gewollt. Er hatte sich sogar selbst getäuscht, indem er geglaubt hatte, dass, wenn er nur hart genug arbeitete und Alec zeigte, wie gut er sich an die Dunkelheit angepasst hatte, Alec sich ebenfalls würde anpassen können. Er hätte ihm zeigen können, dass er kein Behinderter war, dass man ihn nicht 24/7 umsorgen musste, dass es wieder so werden konnte… wie vorher. Aber nicht einmal er selbst konnte die unbeantworteten Anrufe verteidigen oder den Schlüssel zu seinem Apartment, der in seinen Briefkasten geschoben worden war.

Natürlich machten sich Mario und Greg Sorgen um ihn. Er war nicht dumm. Es stimmte, dass sich Josh in seinem Bestreben, Alec zu zeigen, dass er die Lage meistern konnte, um einiges schneller an seine Behinderung angepasst hatte, als alle erwartet hatten – Josh selbst eingeschlossen. Als er aber realisiert hatte, dass Alec nicht zurückkommen würde, hatte Josh sich emotional verschlossen, Mauern errichtet und niemand anderes außer die Leute, die er bereits kannte, hineingelassen. Josh wusste, worum es bei diesem Wochenende ging. Mario und Greg hofften, dass er endlich ein paar neue Leute kennenlernen würde und ein bisschen abschalten konnte.

Greg hatte das Camp im Internet gefunden. Es war ein Rückzugsort für Wochenenden in Virginia, wo sich eingeschränkt Sehfähige und Blinde mit der Natur verständigen konnten. Es gab speziell konstruierte Pfade durch die Wälder, mit Seilen und Zäunen, um den Besuchern die Möglichkeit zu bieten, sich so zu fühlen, als könnten sie genauso viel bewältigen wie jeder andere. Es gab sogar Pfade für Pferde, was Josh hellhörig gemacht hatte. Er hatte seit Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen und wurde bei der Aussicht darauf ziemlich aufgeregt.

Mario und Greg waren mit ihm gekommen, weil er einen sehenden Partner brauchte, und sie glaubten, sie konnten einen Miniurlaub daraus machen. Josh wusste, dass Mario einfach nur froh war, dass er aus dem Apartment herauskam und die Möglichkeit hatte Leute kennenzulernen, die mit den gleichen Problemen umgehen mussten. Wenn er währenddessen ein paar Freundschaften schließen würde – umso besser.

»Guten Morgen, Gentlemen«, sagte eine Frauenstimme strahlend, als die Tür hinter ihnen zuschwang. »Ich bin Maggie, willkommen im Camp Crystal Lake

»Maggie!«

Josh neigte seinen Kopf in die Richtung, aus der die andere Stimme kam. Er spürte, wie sich etwas Warmes in seinem Bauch ausbreitete, als er sich vom Klang und der Klangfarbe berieseln ließ. Josh hatte immer gedacht, es wäre ein Ammenmärchen, etwas, das die Alten sagten; dass sich, wenn man einen seiner Sinne verlor, die anderen Sinne stärker ausprägten, um den Verlust zu kompensieren – aber es stimmte. Gerüche, die Art und Weise, wie sich etwas unter seinen Fingerspitzen anfühlte, oder wie Dinge schmeckten, all das hatte sich für ihn verändert – und Geräusche? Sie schienen von selbst eine bildhafte Energie zu entwickeln. Und die Stimme, die er gerade gehört hatte? Die Stimme klang wie das langsame Brennen von Whiskey, der über seine Zunge rollte und seine Kehle hinunterglitt, bevor sich die Wärme in seinem Bauch festsetzte und sich bis in seine Brust ausdehnte.

»Sorry, Jungs. Sie denkt, sie sei lustig«, sagte die Stimme und das leise Rumpeln eines Glucksens war auch für diejenigen ohne geschärfte Sinne hörbar. »Willkommen im Camp Aisling. Ihr müsst Greg, Mario und Josh sein. Ich bin Charlie Cooper, Besitzer und Gründer des Camps.«

»Freut mich, dich kennenzulernen, Charlie.« Josh lauschte, während Mario sie vorstellte. Vor seinen inneren Augen konnte er Mario die Hand des Mannes schütteln sehen. »Ich bin Mario Tavella, das ist mein Partner, Greg Watts, und diese riesengroße Platzverschwendung ist Josh Donald.«

»Du musst Mario entschuldigen, Charlie«, sagte Greg und Josh konnte das Lachen in seiner Stimme hören. »Wir bekommen ihn normalerweise nicht für länger als einen Tag nach draußen.«

Charlies Lachen war schwer und tief und schickte eine Welle aus Wärme durch Joshs Bauch. »Dann sollte er wirklich gut mit Maggie auskommen. Also… Josh? Willkommen. Ich hoffe, du genießt deinen Aufenthalt.«

»Ich bin sicher, es wird unglaublich toll«, meinte Josh ironisch, während er sich mit einer Hand durch die Haare fuhr. »Ich weiß nicht, auf was ich mich mehr freue; den beiden die ganze Woche beim Knutschen zuzuhören oder zu sehen, wie lange ich brauche, um eine Schlucht hinunterzufallen und mir das Genick zu brechen.«

»Josh!«, schalt ihn Mario.

»Das ist okay«, antwortete Charlie und war offensichtlich von dem Sarkasmus in Joshs Stimme völlig unbeeindruckt. »Ich kann dir versichern, Josh, dass wir in den fünf Jahren, seit wir eröffnet haben, keinen Camper verloren haben. Genau genommen sind ein paar Fälle von Giftefeu und einige Bienenstiche das Schlimmste, mit dem wir uns befassen mussten. Wenn du also einen Schwalbensprung eine Schlucht hinunter machst, bist du entweder zu dumm, um den Anweisungen des Guides zu folgen oder… du wirst geschubst.«

»Oh, ich mag dich«, sagte Mario und stupste Joshs Schulter mit seiner eigenen an.

Josh fühlte die Hitze in seinen Wangen, doch es war keine Verlegenheit. Er war beeindruckt. Nicht jeder wusste seinen Sinn für Humor zu nehmen und viel zu viele Menschen fassten den armen, blinden Jungen mit Samthandschuhen an. Jemanden zu finden, der ihm ziemlich deutlich Paroli bot, war erfrischend.

»Wenn es den Gentlemen nichts ausmacht, die Anmeldeformulare auszufüllen«, sagte Maggie und ihre Stimme brach die leicht bedeutungsschwere Stille, »dann können wir euch noch vor der Willkommensveranstaltung in eurer Hütte unterbringen.«

»Ich kann das machen«, antwortete Mario und Josh lauschte seinen Schritten auf den Holzbrettern, als er zu ihr ging.

»Greg?« Josh hob seine Hand und Greg ergriff seine Finger. »Was siehst du?«

Greg legte Joshs Hand auf seinen Ellbogen und führte ihn durch den Raum »Na ja, es ist so, wie du dir den Bereich einer Camprezeption vorstellst. Es ist eine Holzhütte. Ich weiß nicht, aus welchem Holz, aber es hat eine rotorange Farbe und man kann die Astlöcher sehen, hier…« Greg platzierte Joshs Hand an der Wand, sodass er die Kontur und Struktur der Holzfasern fühlen konnte.

»Was noch?«, spornte er ihn an, als er das kühle Holz betastete, dessen Textur sich über die Jahre aufgeraut hatte.

»Es gibt überall an den Wänden Bilder. Wunderschöne Fotografien von den Wäldern und den Seen aus der Umgebung. Es gibt auch ein paar Fotos von dieser Hütte, mit Maggie und Charlie und jemand anderem. Sie stehen draußen und haben ein breites Grinsen im Gesicht. Und es gibt etwa ein Dutzend Fotos mit Menschen, die wohl Camper sind und die ganzen Naturlehrpfade nehmen oder Ponys reiten oder im See schwimmen – Kinder und Erwachsene, sogar Senioren, Josh. Der Ort hier ist wirklich cool. Du wirst es lieben, Mann.« Greg zog Joshs Kopf zu sich und küsste sanft seine Wange. »Es ist perfekt… genau das, was du brauchst.«

Joshs Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und er tätschelte leicht Gregs Wange. »Du bist so ein Trottel, Mann, das ist peinlich.«

»Okay, Jungs, das war's«, sagte Maggie und Josh hörte das Rascheln von Papier. »Ihr seid in Hütte sieben. Sie ist etwa fünfhundert Meter in den Wald hinein, aber es ist alles ausgeschildert, sowohl für die Sehenden als auch für die Nichtsehenden.« Sie öffnete und schloss eine Schublade. »Hier ist das Willkommensgepäck. Für die nächste Woche ist das euer Rettungspaket. Es gibt natürlich auch Einweisungen in Blindenschrift, und darin sind drei Pager. Wir bitten euch, sie die ganze Zeit über zu tragen. Sie sind für eure Sicherheit, falls ihr zu irgendeiner Zeit eure Gruppe verlieren solltet. Alles, was ihr tun müsst, ist, den Notrufknopf zu drücken und dort zu bleiben, wo ihr seid, und jemand wird euch finden. Willst du irgendwas ergänzen, Boss?«

»Ich denke, du hast so ziemlich alles zusammengefasst«, entgegnete Charlie und seine Stimme schickte einen weiteren Schauder Joshs Wirbelsäule hinab. »Das erste Einführungstreffen ist um drei. Wir haben diese Woche zehn Camper plus ihre Partner und wir kommen alle zusammen und gehen die Regeln und die Veranstaltungen der Woche durch. Dann gibt's eine Grillparty und wir werden uns traditionell um ein Lagerfeuer setzen, damit sich jeder kennenlernt. Ihr werdet auch die anderen Guides treffen. Hier sind eure Schlüssel, wenn ihr euch also einrichten wollt, sehen wir uns um drei im Haupthaus.«

»Danke, Charlie, Maggie«, sagte Greg, während er seine Finger an Joshs Ellbogen bewegte. »Wir sehen uns später.«

 

Maggie sah den drei Männern beim Gehen hinterher, schloss die Tür hinter ihnen und räusperte sich dann laut. Sie grinste breit, als Charlie mit den Augen rollte und vor sich hinbrummte. Nicht, dass sie etwas anderes erwartet hätte. »Aber hallo, der ist aber lecker«, säuselte sie. Ihre Augen wurden schmal, als sie in Charlies Gesicht sorgsam nach irgendeiner Veränderung seines Ausdrucks suchte. Natürlich gab es keine. Charlie war viel zu geübt darin, seine Gesichtszüge im Griff zu haben, ungeachtet dessen, was hinter diesen wunderschönen grünen Augen vor sich ging.

Charlie zuckte mit den Schultern. »Ist mir nicht aufgefallen. Das Licht hier drin ist heute nicht so gut.« Er ignorierte vollkommen Maggies aufrichtiges Schürzen der Lippen und schob seine Sonnenbrille weiter den Nasenrücken nach oben. »Tu's nicht.« In seiner Stimme schwang die Note einer Warnung mit.

»Was soll ich nicht tun?«, fragte sie unschuldig.

»Du weißt was«, antwortete Charlie. »Tu's einfach nicht, okay? Der Junge ist für eine Woche hergekommen, um sich zu entspannen und neue Leute zu treffen, und nicht damit du die Maße für seinen Hochzeitsanzug nehmen kannst. Du hast das Gleiche bei mir gemacht, als wir uns das erste Mal begegnet sind.«

Maggie verspottete ihn, indem sie ihre Hand hob und Charlies Wange tätschelte. »Stimmt, aber nur in den ersten fünf Minuten, bis ich begriffen hab, dass ich viel zu viel Oberweite für dich habe. Außerdem wären meine Brüste auch für ihn ein Problem. Deine Ausstattung würde ihm weit mehr gefallen.«

»Oh Gott. Ich werde mit dir nicht über meine Ausstattung diskutieren und ich wiederhole mich noch mal… tu's nicht, du verkuppelnder Zwerg. Ich bin glücklich damit, allein zu leben«, sagte Charlie nachdrücklich und Maggie seufzte schwer. »Es ist besser so.«

»Charlie«, besänftigte sie ihn, schob sich an seine Seite und umarmte ihn. »Nicht jeder Mann ist wie Brian.« Sie bereute ihre Worte auf der Stelle, als sie spürte, wie ihr Freund in ihren Armen erstarrte. »Charlie, du musst irgendwann wieder jemandem vertrauen.« Maggies Magen verknotete sich aufgrund des unbestreitbaren Bedürfnisses, dem Mann, der Charlie gebrochen und allein zurückgelassen hatte, die Scheiße aus dem Leib zu prügeln.

»Okay, so erbaulich deine aufmunternden Worte zu meiner erbärmlichen Existenz auch sind – ich habe vor dem Treffen noch Arbeit am Haus zu erledigen«, sagte Charlie und beendete so das Gespräch erfolgreich. Maggie wusste, wann sie es dabei belassen sollte… vorerst. Er gab ihr einen leichten Kuss auf den Haarschopf, was seine Art war, ihr zu sagen, dass er nicht sauer war… nicht wirklich… zumindest nicht auf sie.

Maggie studierte ihn unter gesenkten Wimpern, als er mit den Armen in seine Jacke schlüpfte. »Es ist gut, dass ich dich so verdammt sehr liebe, andernfalls wär ich versucht, dir ein bisschen Verstand in deinen sturen Kopf zu prügeln. Dieser umwerfende Junge, der gerade hier war, war einfach perfekt für dich, aber du erlaubst dir selbst nicht einmal, es zu sehen.«

Charlie schnappte sich seine Schlüssel vom Empfangstresen, klappte dann den weißen Stock auseinander, den er aus seiner Jackentasche gezogen hatte, und sagte mit matter Stimme, als er zur Tür ging: »Na ja, ich neige heutzutage dazu, immer und immer weniger zu sehen.«