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Deutsche Erstausgabe (ePub) Oktober 2013

 

©2013 by A.C. Lelis

 

Verlagsrechte © 2013 by Cursed Verlag,

Inh. Julia Schwenk, Fürstenfeldbruck

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Umschlagillustration: Marek Purzycki

Bildrechte Umschlagillustration: Astra Potocki

vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz Layout: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-527-4

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

 


 

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Klappentext:

 

Pleite und ohne Aussicht auf ein festes Engagement schlägt sich Tänzer Boris mit Nebenjobs durch und auch sein Liebesleben läuft alles andere als rund. Als er sich notgedrungen als Fitnesstrainer in einem Kraftstudio bewirbt, ahnt er noch nicht, dass sein Leben bald völlig auf den Kopf gestellt wird. Denn er hat nicht nur Probleme mit dem viel zu dominanten Studiobesitzer Kai, sondern auch eine Vergangenheit, die ihn unverhofft einzuholen droht...

Buch 2 der»[kinky] pleasures«-Reihe


 

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[Kapitel 1]

Nicht Fitnessstudio. Auf dem Schild über der Tür steht tatsächlich Kraftstudio. Irritiert werfe ich einen letzten kritischen Blick auf den Post-it-Zettel, den Julian mir in die Hand gedrückt hat. Seine Sauklaue ist nicht gerade leserlich… Aber nein, ich bin ziemlich sicher, dass er diese Adresse gemeint hat.

Was er sich dabei gedacht hat, mir ausgerechnet hier einen Job vermitteln zu wollen, kann ich mir jedoch nicht erklären. Manchmal misstraue ich seinen Deutschkenntnissen. Dass in einem Kraftstudio Bedarf an Aerobic und Konditionstraining besteht, bezweifle ich stark. Kraft steht hier im Vordergrund. Muskelaufbau. Nicht Fitness. Kraft!

Seufzend gebe ich mir einen Ruck und trete ein. »Hey«, grüße ich die Frau am Empfangstresen. »Ich habe einen Termin mit…« Ich gucke auf meinen Zettel. »Kai…« Kein Nachname. Typisch Julian.

»Neuanmeldung?«, erkundigt sich die große Blondine, deren Schultern ebenso breit sind wie meine. Sie ist in ihren frühen Vierzigern, würde ich sagen. Erst auf den zweiten Blick bemerke ich ihren Adamsapfel.

»Ähm, nein…« Ich versuche es mit einem Lächeln. »Eigentlich habe ich eine Art Vorstellungsgespräch für einen Job.«

»Dann bist du Boris?«, erkundigt sie sich überrascht.

»Ja, genau.« Keine Ahnung, was sie erwartet hat, mich jedenfalls nicht. Vielleicht eher jemanden wie Julian. Ich bin einen Tick zu groß für das Stereotyp eines Tänzers. Eigentlich nur ein bisschen über dem Durchschnitt der Normalbevölkerung, aber alles über eins fünfundachtzig sticht eben heraus.

»Okay, ich sehe mal nach, ob ich ihn auftreiben kann«, sagt sie und tippelt auf High Heels an mir vorbei. »Warte eine Sekunde.«

Als sie aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, sehe ich mich zum ersten Mal um. Hier im Eingangsbereich führen mit Männlein und Weiblein gekennzeichnete Türen zu den jeweiligen Umkleidekabinen.

Daneben befindet sich eine Glastür, die in den Trainingsraum mit den Geräten führt. Blondie ist die Treppe ins Obergeschoss hochgegangen, also gehört das wahrscheinlich auch noch zum Studio. Außerdem gibt es noch eine Treppe, die in den Keller zu führen scheint. Zur Sauna, wie auf einem Schild vermerkt steht. Cool.

Nach einer Weile höre ich wieder Schritte auf der Treppe. Diesmal nicht nur High Heels. Die anderen sind deutlich schwerer und männlich. Keine Ahnung, ob sich Schritte männlich anhören können – diese tun es jedenfalls. Als Erstes sehe ich große Sportschuhe, dann Beine, lange, muskulöse Beine, schlanke Hüften und – heilige Scheiße – breite Schultern. Der Typ ist riesig. Ich schlucke. Gott, ist der Typ riesig. Neben ihm wirkt die Blonde vom Empfang sogar ultrafeminin.

»Hallo, Boris«, grüßt mich seine tiefe Bassstimme. »Ich bin Kai.«

»Hi«, grüße ich lächelnd zurück und reiche ihm die Hand. »Freut mich.«

»Mich auch.« Er ist nicht ganz so ein Muskelprotz, wie ich befürchtet habe. Ich meine, er hat definitiv viel Muskelmasse, aber es wirkt noch stimmig. Er ist eben groß. Zwei Meter. Mindestens. Fuck. Eindeutig zu groß für meinen Geschmack. Mir wird ein bisschen mulmig.

»Kommst du mit rauf, dann können wir uns kennen lernen«, schlägt er pragmatisch vor. »Ich erzähl dir etwas übers Studio und wie wir hier arbeiten und du kannst mir etwas über dich erzählen.«

»Klar, gern.« Ich folge ihm die Treppe hinauf. Hier oben gibt es eine Bar mit einigen Sitzgelegenheiten. Wirkt ziemlich gemütlich. Doch Kai beachtet die bequemen Sessel nicht. Stattdessen gehen wir in ein Tanzstudio mit einer komplett verspiegelten Wand. Oh, okay, vielleicht doch nicht nur Kraft, sondern auch ein bisschen Fitness. Ich bin erleichtert.

»Hier.« Lässig rollt er einen Gymnastikball in meine Richtung. »Ist ein bisschen unkonventionell, aber hier sind wir wenigstens ungestört.« Er lässt sich ebenfalls auf einem Ball nieder, der aber zu klein für ihn ist. Es wirkt zunächst lustig, doch der Eindruck vergeht rasch, da sich Kai überhaupt nichts daraus zu machen scheint.

»Ist völlig in Ordnung.« Ich setze mich auf meinen Ball und wippe ein bisschen nervös.

»Also, ich war überrascht, dass sich Julian bei mir gemeldet hat«, gibt Kai zu und lächelt verhalten. Eigentlich heben sich nur seine Mundwinkel etwas. Das Lächeln erreicht seine wachsamen, dunklen Augen nicht, aus denen er mich intensiv mustert. »Aber es passt ganz gut, denn ich habe tatsächlich vor, das Programm des Studios in die Richtung auszubauen.«

»Woher kennt ihr euch eigentlich?« Darüber hat Julian mich im Dunkeln gelassen und ich bin nicht auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, da Henrik, sein Freund, in der Nähe gewesen ist. Julian kennt verdammt viele Leute und mit den meisten hat er geschlafen. Doch ich hoffe nicht mit diesem Riesen. Kai entspricht nicht seinem üblichen Typ. Julian steht auf blonde Männer: Kai ist brünett, das Haar auf wenige Millimeter kurz geschoren.

»Aus einem Club«, antwortet Kai knapp. Sein Blick verrät, dass er jetzt nicht darüber reden will. Kein Small Talk. Na gut. »Also, bisher konzentrieren wir uns im Wesentlichen auf Muskelaufbau und Gewichtsabnahme durch entsprechende Ausdauertrainings. Wir bieten auch Ernährungskurse und andere von Krankenkassen unterstützte Programme an. Für alles haben wir ausgebildete Experten.« Sein Blick trifft mich abschätzend. »Wir sind kein billiges Studio. Unsere Kunden können daher erwarten, dass wir uns die Zeit nehmen, individuell auf sie abgestimmte Beratungen durchzuführen. Qualität und Professionalität stehen bei uns an erster Stelle. Wir sind sehr serviceorientiert. Es gibt keine illegalen Substanzen. Steroide sind verboten.«

Ich nicke und lausche interessiert. Klingt so weit ganz gut. Es stört mich nur, dass mich seine dunkelbraunen Augen so kritisch ansehen, als würde er mir nicht zutrauen, ebenfalls professionelle Beratungen zu geben. Außerdem habe ich offensichtlich nichts mit Steroiden zu tun. Da soll er sich lieber an die eigene Nase fassen.

»Okay, hast du noch Fragen?«, erkundigt er sich schließlich.

»Nein, oder doch… Habt ihr momentan gar keine Kurse in Richtung Fitness und Kondition?«

»Doch, das heißt, wir hatten einen Trainer, der das angeboten hat, doch der musste uns leider kürzlich verlassen«, erklärt Kai nüchtern.

Das klingt, als hätte er die Stelle nicht freiwillig aufgegeben. Ich wüsste gerne, was der Kündigungsgrund gewesen ist, aber die Frage ist zu indiskret. »Okay. Was musst du in Bezug auf mich wissen?«

»Na ja, weil das hier keine offizielle Bewerbung war und du mir empfohlen wurdest…« Er zuckt mit den breiten Schultern. »Fangen wir von vorn an: Ausbildung und bisherige Berufserfahrungen?«

»Ich habe meine Ausbildung als staatlich geprüfter Tänzer an der Ballettschule in Berlin gemacht. Anschließend habe ich neben einzelnen Engagements mein Studium im Bereich Tanz und Tanzpädagogik fortgeführt und in Ersterem meinen Bachelor gemacht.« Da ich nicht gewusst habe, dass das hier so offiziell wird, habe ich meine Bewerbungsunterlagen natürlich nicht mitgebracht. Ich dachte eher, das wird ein bisschen Palaver wie im Sportverein. »Ich kann dir meine Zeugnisse nachreichen, wenn du sie sehen willst. Jedenfalls habe ich das notwendige Wissen, um Tanz zu lehren. Seit dem Studium habe ich auch immer wieder in Sportvereinen und Studios gejobbt und Kurse in Aerobic, Fitness und Kondition, Jazzdance und Modern Dance gegeben. Wobei ich mir auch noch andere Kurse vorstellen könnte, wie Pilates oder so.«

»Hast du eine Erste-Hilfe-Ausbildung?«

»Ich gebe vor meinen Stunden grundsätzlich eine kleine Einführung und warne die Teilnehmer regelmäßig, dass sie sich nicht überlasten«, antworte ich ernst. »Und natürlich wärme ich sie auf und lasse sie am Ende langsam runterkommen. Bisher ist mir noch keiner zusammengeklappt. Aber ja, notfalls… Ich habe mal so einen Kurs gemacht.«

»Wie lange ist das her?«, hakt er nach.

Ich seufze unterdrückt und rechne nach. Das war, als ich meinen Führerschein gemacht habe. »Mit dreiundzwanzig. Also vor knapp fünf Jahren.«

»Das ist zu lang«, meint er. »Du solltest einen Auffrischungskurs machen, falls du hier anfängst.«

Er stellt mir noch weitere Fragen zu meiner Ausbildung und meiner aktuellen beruflichen Situation. Es entwickelt sich zu einem dieser unangenehmen Vorstellungsgespräche, nach denen man sich völlig bloßgestellt und unsicher fühlt. So etwas mag ich überhaupt nicht, dennoch gebe ich mir Mühe, die richtigen Antworten zu finden und mich in ein positives Licht zu rücken.

»Ich finde, das hört sich gut an«, meint Kai schließlich. »Wie wäre es, wenn du mir demnächst deine Zeugnisse vorbeibringst und dann gibst du mir einen Probekurs. Ich will sehen, wie du arbeitest.«

Das ist wirklich nicht so einfach, wie ich gedacht habe. Ich meine, einerseits gut; andererseits, ich bin Tänzer: Ich will tanzen. Das ist viel Aufwand für einen Job, der nicht mal meine erste Wahl ist. Doch ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Klar, können wir so machen. Wann?«

»Kannst du vormittags?«, erkundigt er sich. »Das würde mir am besten passen.«

»Klar, ich bin flexibel.« Solange es nicht zu früh ist.

»Gut. Passt es dir morgen um zehn Uhr?«

»Ja, passt.«

»Okay.« Er erhebt sich. »Dann führe ich dich noch herum und zeige dir alles.«

»Cool.«

Wirklich behaglich fühle ich mich in seiner Nähe nicht. Kai ist zwar nicht unfreundlich, aber so… professionell. Genau. Das ist das Wort. Er ist so sachlich und ernst. Ich traue mich gar nicht, meine üblichen Sprüche zu bringen. Oder zu fragen, ob die Benutzung der Sauna für Mitarbeiter frei ist.

Als ich endlich das Studio verlasse, bin ich beinahe erleichtert. Noch ehe ich mich auf mein Rad schwinge und auf den Weg mache, greife ich nach meinem Handy und drücke die Schnellwahltaste für Julians Anschluss.

»Yeah?«, meldet der sich kurz darauf.

»Gott, was ist denn das für ein Kerl?«, erkundige ich mich ohne Einleitung.

»Who? Kai?«, erkundigt sich Julian und lacht. »Heiß, nicht?«

»Äh… nein! Er ist riesig und hat kurz geschorene Haare. Außerdem war er die ganze Zeit total unpersönlich.«

»Echt? Ich fand ihn sehr nett und superheiß! Wie ist es denn gelaufen? Hast du den Job?«

»Nein, ich muss morgen noch mal hin und ihm meine Zeugnisse bringen! Ich dachte, das wäre nur ein Kennenlernen. Aber es war ein richtiges Vorstellungsgespräch. Total anstrengend und verkrampft.«

»Na ja, es ist sein Studio. Er nimmt die Leute, die er einstellt, wohl etwas genauer unter die Lupe. Ist doch nicht schlimm. Und wie ist das Studio so?«

»Okay. Gut ausgestattet. Es ist definitiv nicht günstig. Das hat er auch gleich gesagt. Die legen viel Wert auf Beratung und so… Er hat verlangt, dass ich einen Erste-Hilfe-Kurs mache, wenn ich da anfangen will.« Das finde ich immer noch übertrieben. Wenn jemand vor mir einen Herzkasper bekommt, kann ich eh nichts machen. Und ansonsten weiß ich, was ich zu tun habe. Glaube ich zumindest.

»Klingt doch gut. Besser als der chaotische Haufen, für den du jetzt arbeitest. Warum klingst du so gereizt, Sweety

»Weil ich… Keine Ahnung.« Seufzend umrunde ich einen Fußgänger, der nicht weiß, wo sein Gehweg ist. »Ich will da nicht arbeiten. Ich will tanzen.«

Julian seufzt ebenfalls. »Das weiß ich doch, Sweety. Aber du musst auch von etwas leben und derzeit ist es nicht gerade leicht, eine Anstellung als Tänzer zu finden. Du musst dich global bewerben und dafür brauchst du wiederum Geld.«

»Ich weiß.«

»Na dann… Weißt du, was er dir bezahlt?«

»Darüber haben wir noch nicht gesprochen.« Was mir jetzt ein wenig dumm vorkommt. »Aber so wenig kann es nicht sein, bei den Anforderungen, die der Kerl stellt.«

»Und wie viele Stunden sollst du geben?«

»Haben wir auch noch nicht drüber geredet. Mir ist es egal und er weiß ja noch nicht mal, ob er mich haben will.« Irgendwie habe ich schlechte Laune. Erneut muss ich einem orientierungslosen Fußgänger ausweichen. »Ich glaube, ich rufe Marco an.«

»Das ist wohl keine schlechte Idee«, stimmt Julian zu. »Du klingst so down. Wenn du magst, kannst du auch bei mir vorbeikommen.«

»Ich glaube, Henrik hätte was dagegen, wenn ich dich ficke.«

»So meinte ich das auch nicht. Ich meinte zum Reden.«

»Nein, danke… Ich will lieber Sex.«

»Nachvollziehbar.« Er lacht amüsiert.

»Julian?«

»Ja?«

»Du bist nicht echt mit diesem Riesen ins Bett gegangen, oder?«

»Oh doch«, bestätigt Julian wieder lachend. »Ich wollte es hard and good und ich fand, dass Kai der Richtige für den Job war. Hatte richtig getippt.«

»Okay. Erspar mir die Details.« Ich krause die Nase. »Du bist echt…« … mutig, denke ich. Ich belasse es jedoch bei einem Schnauben. »Wir sehen uns morgen Abend.«

»Ich experimentiere nun mal gerne«, behauptet er glucksend. »Bis morgen!«

Wir legen auf und ich konzentriere mich darauf, niemanden umzufahren. Werden diese blöden Fußgänger jemals lernen, dass rote Pflastersteine Radfahrweg bedeuten? Ich schätze nicht.

 

***

 

Als ich heimkomme, ist eine Nachricht von Ulrich auf meinem AB. Leider habe ich ein altes Gerät, das mir nicht anzeigt, von wem die Nachricht ist, ehe es sie abspielt. Eventuell hätte ich sie andernfalls gar nicht abgehört. Okay, wahrscheinlich doch. So trifft es mich aber unvermutet, seine Stimme zu hören.

»Hey, Boris. Ich bin es, Ulrich. Bist du vielleicht doch da? … Anscheinend nicht. Wir haben schon so lange nichts mehr voneinander gehört, daher wollte ich einfach mal anrufen und wissen, wie es dir jetzt geht. Ruf mich doch zurück, wenn du Zeit hast… Mach's gut und bis dann.«

Lange. Ich rechne nach und komme auf siebzehn Tage. Man könnte denken, das wäre lang. Doch ich weiß, dass es nicht lang genug ist. Nicht annähernd. Ich brauche mehr – viel mehr – Abstand. Solange sich mein Kopf anfühlt, als wäre er mit Watte gefüllt, wenn ich seine Stimme höre, ist das ein klares Zeichen, dass es noch nicht gereicht hat. Ich bin immer noch nicht über ihn hinweg.

Es liegt mir nicht, um meine Liebe zu kämpfen. Ich bin eher der Typ, der geduldig wartet, bis der andere realisiert, was er an mir hat. Problem: Ulrich weiß ein wenig zu genau, was er an mir hat, weil er mich so gut kennt. Besser noch als Julian. Ich weiß, Ulrich mag mich sehr, aber es gibt ein paar Aspekte, die ihn abschrecken, es mit mir zu versuchen. Und ich kann ihm noch so oft versichern, dass ich es überwunden habe. Er glaubt mir nicht.

Ich habe Ulrichs Nummer gewählt, ehe ich mich bewusst dazu – beziehungsweise dagegen – entschieden habe. Es klingelt. Und klingelt. Unruhig zähle ich die Freizeichen in der Leitung. Noch fünfmal, dann lege ich auf. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Okay, noch eine letzte Chance… Ich beiße mir auf die Unterlippe, schüttle den Kopf und drücke schließlich mit einem tiefen Seufzen die Abbruchtaste. Kein Glück. Natürlich nicht.

Mit einer Schale Müsli setze ich mich vor den Fernseher, dabei fällt mir wieder ein, dass ich Marco anrufen wollte. Er könnte mich wunderbar von Ulrich ablenken. Momentan will ich jedoch nicht abgelenkt werden. Ich will Ulrichs Stimme hören. Außerdem will ich wissen, warum er sich plötzlich meldet. Er ruft mich doch nicht nur an, um sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen. Nein, so ist er nicht. Meistens steckt mehr dahinter.

Ulrich meldet sich in der Regel, wenn er etwas Bestimmtes von mir will. Aktbilder zum Beispiel. Damit hat die ganze Misere schließlich angefangen. Hätte er nicht diese beschissenen Bilder von mir gemacht… Hätte er mich dabei nicht so angesehen… Ich hätte mich garantiert nicht in ihn verliebt.

Nach meiner unzureichenden Zwischenmahlzeit versuche ich es noch einmal bei ihm. Diesmal ist besetzt. Also ist er da und eben nicht ans Telefon gegangen, oder? Vielleicht hat er es sich anders überlegt und will jetzt doch nicht mehr mit mir sprechen. Frustriert suche ich nach Marcos Nummer und rufe ihn an. Er meldet sich nach dem dritten Freizeichen. »Pronto

»Ciao Bella«, necke ich ihn.

»Bello«, verbessert er mich leiser. Er ist Italiener und arbeitet als Kellner in einem Eiscafé. Eigentlich ist er in Deutschland aufgewachsen und spricht unsere Sprache akzentfrei. Aber nach einem ganzen Tag unter Landsleuten…

»Klingt wie ein Hund«, entgegne ich grinsend. »Ich hoffe, du meinst nicht mich damit.«

Er lacht. »Du hast angefangen. Was gibt's?«

»Arbeitest du gerade?«

»Ja… Noch bis acht.«

»Und was machst du anschließend?«, hake ich lauernd nach.

»Mich von dir verwöhnen lassen?« Sein Grinsen ist bei diesem Vorschlag deutlich herauszuhören. Er hat ein strahlendes, breites Grinsen. Damit hat er mich herumgekriegt.

»Das klingt ausgezeichnet«, stimme ich mit einem Lächeln zu.

»Finde ich auch.« Er schnurrt nahezu ins Telefon. »Also komme ich nach der Arbeit zu dir. Bekomme ich etwas zu essen oder muss ich mich selbst darum kümmern?«

»Was magst du denn?«

»Ich bin nicht wählerisch, aber ich werde sehr hungrig sein.«

»Vielleicht sollte ich das ausnutzen… Ich lasse mir was einfallen«, verspreche ich.

»Marco!« Eine männliche Stimme erhebt sich im Hintergrund. Ich verstehe nur seinen Namen, der Rest ist ein Schwall Italienisch. Es hört sich nicht gerade freundlich an.

»Ich muss weiterarbeiten«, erklärt Marco dann etwas kleinlaut. »Bis später.«

»Ja, bis dann… Sorry für die Störung. Ich wollte nicht, dass du…« Aber da höre ich schon das Klicken in der Leitung.

Armer Kleiner. Ich runzle besorgt die Stirn, schüttle den negativen Gedanken jedoch ab und beschließe, es mit einem schönen Abendessen wiedergutzumachen. Ich mag es, jemanden verwöhnen zu können. Wobei Marco so leicht zufriedenzustellen ist, dass es keine große Herausforderung ist.

 

***

 

Es klingelt an meiner Tür, als ich gerade das Gratin in den Ofen schiebe. Schmunzelnd eile ich zur Tür und öffne ihm. Wie erwartet, ist es Marco, der mir prompt strahlend um den Hals fällt. Zufrieden erwidere ich seinen Kuss, den er mir zur Begrüßung aufhaucht.

Als er sich von mir löst, mustert er mich fröhlich. »Hey, cool, dass du heute Zeit hast. Ich wollte dich ohnehin anrufen.«

»Ist ja auch schon so lange her«, necke ich ihn schmunzelnd, ehe ich ihn in meine Wohnung ziehe, um die Tür hinter ihm zu schließen. Meine Nachbarin ist eine alte Hexe. Ich will nicht unnötig Stress mit ihr haben. »Das Essen habe ich aber noch nicht fertig. Braucht noch so dreißig Minuten.«

»Kann ich dir was helfen, Bello?«, erkundigt er sich mit leisem Schalk in der Stimme.

»Es würde mir helfen, wenn du mir keine Hundenamen geben würdest«, entgegne ich lachend und zwicke ihn in die Seite. »Ansonsten bin ich soweit fertig. Das Essen ist schon im Ofen und muss nur gar werden.«

»Bello heißt so viel wie Hübscher«, klärt mich Marco auf und schüttelt den Kopf angesichts meiner mangelnden Italienischkenntnisse.

»Tatsächlich?«, feixe ich. »Möchtest du mir noch ein bisschen mehr Italienisch beibringen oder womit wollen wir die Zeit verbringen, bis das Essen fertig ist? Bleibst du über Nacht?«

»Hm, nein, aber den Abend habe ich Zeit. Muss nur morgen früh raus und schlafe dann lieber bei mir.« Er lässt sich in meinem Wohnzimmer auf das Sofa nieder. »Was kannst du für Fremdsprachen?«

»Ich kann Deutsch ganz gut«, meine ich.

»Fremdsprache.« Seine Augenbraue zuckt spöttisch. »Etwa keine?«

»Deutsch ist eine Fremdsprache für mich. Ich komme aus Russland«, erkläre ich und setze mich zu ihm. Mit einer Hand streiche ich durch sein dichtes, schwarzes Haar.

»Tatsächlich? Du hast gar keinen Akzent.«

»Du doch auch nicht.«

»Die Russen, die ich kenne, bleiben ziemlich unter sich und sprechen ungern Deutsch.«

»Die Italiener, die ich kenne, auch.« Ich schmunzle und nähere mich seinem Mund, um die Unterhaltung zu beenden. Mir ist nicht nach Small Talk. Erst recht nicht über meine und seine Herkunft. Ist ohnehin völlig irrelevant. Das mit Marco und mir ist nur Sex.

Nach dem Kuss sehe ich ihm verschmitzt in die dunklen Augen. »Aber weißt du was? Ich mag Griechisch ziemlich gern. Und in Französisch bin ich auch nicht schlecht.«

»Echt?«, fragt er erstaunt und sieht mir ebenfalls in die Augen. Manchmal ist er ein bisschen naiv und hat eine herrlich lange Leitung.

Ich muss lachen. »Ja, ehrlich. Soll ich's dir zeigen?«

»Ja, klar.« Er hat immer noch nicht kapiert, worauf ich anspiele.

Lächelnd greife ich nach dem Verschluss seiner Hose und löse geschickt den Knopf. »Ich starte mit Französisch, okay? Das Griechisch heben wir uns für nach dem Essen auf.«

»Oh!«, haucht er begreifend und lacht. »Von Französisch verstehe ich sogar auch was.«

Schmunzelnd rutsche ich von der Couch auf den Boden zwischen seine Beine.