Prosa bei Lektora
Bd. 36
Philipp Herold (Hrsg.)
17 ausgewählte Texte der jüngsten
aufstrebenden Slam Poeten
Lektora, Paderborn
Erste Auflage 2012
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 2012 by
Lektora GmbH
Karlstraße 56
33098 Paderborn
Tel.: 05251 6886809
Fax: 05251 6886815
www.lektora.de
Covermotiv: Markus Freise
Covermontage: Markus Freise
Lektorat: Lektora GmbH u. Carina Middel
Layout Inhalt: Lektora GmbH
eISBN: 978-3-95461-068-6
von Sebastian 23 und Philipp Herold
In den letzten Jahren ist die U20-Slam-Szene rasant gewachsen und hat mehr Talente hervorgebracht, als Lars Ruppel Dioptrien auf den Augen hat. Trotzdem höre ich immer wieder Zeitgenossen, die unken, dass die junge Generation keine Ideen habe und viel zu angepasst sei. Ich erlebe das genaue Gegenteil: Man braucht den Leuten oft nur einen Zettel, einen Stift und ein Mikro zu geben und schon sprudelt es nur so aus ihnen heraus. Wie will man sonst auch ihre Stimme hören, wenn man sie nichts sagen lässt?
In diesem Buch sind die besten Texte aus der jungen Slam-Szene vereint, hier kann man auf einem Fleck finden, was auf den Bühnen dieses Landes kundgetan wird. Ein Mosaik, gewiss. Zudem ein Wagnis, Bühnentexte auf Papier zu fesseln.
Doch schwerlich findet man so komprimiert wie hier die Gedanken junger Dichter, die den Elfenbeinturm links liegen lassen und stattdessen auf die Bühne steigen, um gehört zu werden. Und das mit Recht.
Eine der schönsten Sachen daran ist für mich, dass dieses Buch nicht von außen aufgezwängt wurde, sondern aus der Szene selbst entstanden ist!
Sebastian
Als Pate für dieses jugendliche Poesiealbum kam für mich sofort Sebastian in Frage. Er kann einfach super mit Kindern umgehen. Abgesehen davon war er erfreut von der Idee, dirigierte hin und wieder tänzelnd im 3/4-Takt das Vorgehen zum Herausbringen eines scheinbar solch wilden Wagnisses und stand stets mit weisem Rat zur Seite. (Wie immer.)
Frische Tinte braucht das Land. Und da mir irgendwie immer klar war, wie gefühlvoll, gewaltsam und doch gezielt diese inzwischen auf die Blätter junger Slam Poeten tropft, suchte ich sensibel nach den besonders guten Gedichten und Geschichten meiner gleichaltrigen Mitstreiter und Wegbegleiter. Und fand sie. In diesen ausgewählten Texten.
Wir setzen uns auseinander mit uns selbst, dem, was uns umgibt und bewegt. Ob fröhlich, fragil, fragend, frivol, fruchtig oder gar frenetisch. Diese siebzehn Texte handeln von Identität, beschäftigen sich mit den Gefühlen einer Generation und sind dabei voll von Poesie.
Dieses Buch ist ein Sammelsurium junger Autoren, von Zürich bis nach Kiel. Gendergerecht verteilt, wie könnte es anders sein. Eine Kollage impulsiver Freidenker, die heute schon Dichter von morgen sein können. Habt viel Vergnügen beim Eintauchen in die Tintenfrische unser Gedanken und fühlt nach, was die jüngsten deutschsprachigen Slam-Poeten zu sagen haben!
Philipp
Anmerkung:
Da es sich bei den nachfolgenden Texten um Spoken Word handelt und maßgeblich der Auftritt dem Text seine Form verleiht, erfolgte das Lektorat für diese Sammlung mit sanfter Hand.
aus München
Slam-Geburtstag: 26.11.10 (München)
Lieblingstier: Tiger
(Foto: i, slam)
Ich. bin. high.
Mmmmhh, ich fliege!
Ich. fliege, weil ich weiß, wie man Flügel schwingt.
Und ich singe, weil ich weiß, dass jeder Vogel singt.
Ich bin ein Vogel, weil ich weiß,
Dass nur Vögel oben sind.
Und wenn ich wein, dann nur, weil Freudentränen
Gute Drogen sind.
Erst suchte ich am Boden Sinn,
Doch da gibt’s nur Körner zu picken,
Ich will mich am Leben erquicken,
Lass mich vom Leben nicht … unterkriegen!
Ich will schweben nicht untergehn.
Ich will überhaupt nicht gehen! Ich will fliegen.
Und ich bin, wer ich will,
Ich werd die Realität besiegen
Und mein Redefluss wird nie versiegen
Und die Sterne werden sich
In mein Geschwafel verlieben
Und die Wolken auch
Und wenn die Schmetterlinge im Bauch
Des Himmelskörpers meine Wörter,
Meine Silben umschwärmen …
Dann ist Sommer!
Und gibt es Donner,
Schlag ich den Takt zu seinem Beat
Und das Drecks-Unwetter wird
(Beatboxelemente [Donner]) zu einem Lied
(Beatboxelemente [Donner, scratchen])
Zu meinem Lied
Und ich zwitscher zwischen Zeit und Raum
Du siehst mich auf den Baum runterscheißen
Und Weichen bauen
Benutz die Sonne, weil ich einfach
Gute Zeiten brauch
Und bevor ich mir ’ne Zeitung kauf,
Bin ich lieber drauf
Von Worten, Sätzen, Gedichten,
Die ich mir einspritz’, bis ich dicht bin.
Und sie nehmen ihren Lauf
In meinen Venen
Wollen nicht mehr aufhör’n zu erzählen.
Oh, du staunst
Als ich dir den dicksten Joint
Mit Silben zusammenbau
Saugst meine Worte auf, schluckst
Rauchst meine Message – wow
Du siehst Farben, nie mehr grau –
Mein Konstrukt
Schreibt mich in Lexikons druckt
Meinen Namen überall
Auf Plakaten auch im All.
And the sky is not the limit
Sieh meine Fußstapfen auf dem Mond
Und ich bin es, die in Träumen wohnt
Und ich will alles, auch den Thron
Schreibt mich ins Guinnessbuch der Rekorde
Weil ich fliegen kann
Flieg mit mir an die schönsten
Fjorde, Buchten, jeden Strand,
Dahin, wo jeder Mensch mit Flügeln fliehen kann.
Ich fliege.
Und ich atme Luft, die noch kein Mensch
Im Mund gehabt hat
Und ich träume mit offenen Augen, ich schaff das
Denn manchmal sind Träume so wahr
Ich kann träumen, sodass ich nicht mehr
Zu Fuß gehen muss
Ich werd’ scheue Illusionen wecken
Und die Treue brechen
Zu dem Boden auf dem ich geh.
Ich bin da oben, sag „Ade!“
Zu dem Weg, den die Raupe geht:
Kriechen, ausweichen, nein, nein, nichts für mich,
Ich mach den Mund auf und stell mir selbst
Die Weichen.
Und ich red übers Reden,
Ich werd die Realität überreden,
Meinen Träumen was abzugeben – Bääm!
Und Poesie ist mein Sprachrohr
Und ich kotze hinein
Das mag zwar widerlich sein,
Aber mir ist kein anderer Weg bewusst, laut zu
sein.
Ich hab versucht zu schreien,
Ich hab versucht zu weinen
Ich dacht, das Leben ist ein Boxring,
Also boxte ich hinein!
Doch meine Punchlines sind effektiver
Iss meine Worte, es ist Lunchtime, kleiner
Piepmatz
Sing meine Lieder!
Denn alle Taten sind verschwendet
Der Sinn wurde entwendet
Doch längst noch nicht alle meine Worte
verwendet.
So setze ich Taten in Worte um,
Bin nicht mehr tatkräftig,
Sondern nur meiner Worte mächtig
Ich belaber die Welt, das Resultat ist prächtig
Meine Worte sind schwanger, wirkungsträchtig:
Sie gebären ein Lächeln, wirklich, echt, ich
Ich klotze nicht klein, ich bin ein Großklotz,
Ich mein Großkotz
Wenn ich rhyme
Kann ich sein was ich will.
Ich kann sein was ich will!
Alles – nur nicht still.
Mal bin ich ’ne Blume und trink nur noch aus Vasen
Dann bin ich ein Baum,
Stell mich mit grünen Haaren auf den Rasen
Während du du bist
Und nur träumen kannst beim Schlafen,
Ruf ich dir zu, du musst warten auf dem Bahnhof,
Bis du siehst, der Traumzug fährt ein.
Und ich will Zugpferd sein, wenn der Ernst
entgleist
Doch du drehst deine Karten – „Ass oder Muster?
Ass oder Muster?“
Ich sag: „Nimm den Zug,
Ansonsten ist nur der Raupenbus da.“
Und jede Raupe wird als Wurm sterben.