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Inhaltsverzeichnis
Alle Geheimnisse des modernen Mannes. Ein Vorwort des Verfassers
Gesammelte Kolumnen
1. Senior-Consultant-Key-Account-Irgendwas
2. Facebook ist für Rentner
3. Genderfrage und Gepäckablage
4. King Kong oder Hassprediger?
5. Man ist, was man trinkt
6. In den Fängen der Globalisierung
7. Auf der Suche nach einer schicken Allergie
8. Vom Gründen und Scheitern
9. Wenn sich Sparen nicht mehr lohnt
10. Wie man eine politisch korrekte Weihnachtsfeier plant
11. Jung bleiben ab Ende 30?
12. Wie entschleunigt man richtig?
13. Erstkontakt mit der Generation Y
14. Was schenkt man IHM zum Geburtstag?
15. Ein völlig unbekannter Bekannter
16. Die große Moleskine-Illusion
17. Wenn die Hoodies Trauer tragen
18. Die dunkle Seite der Taxi-Revolution
19. Ein Kollege verabschiedet sich – ad hoc
20. Letzte Refugien echter Kerle
21. Wie man seine Skills richtig leveragt
22. Wie erklärt man die Euro-Krise?
23. Wenn +++ alles +++ nur +++ noch +++ newstickert
24. Wenn die Miles kein More mehr bieten
25. Auf der Jagd nach dem nächsten Zuckerberg
26. Wie wird man zum Grillmaster? (Teil 1)
27. Wie wird man zum Grillmaster? (Teil 2)
28. Wie wird man zum Grillmaster? (Finale)
29. Kennst du … Kreisverkehrswacht Vechta?
30. Die drei Typen von Elternzeit-Vätern
31. Wenn Smartphones sprechen könnten
32. Tamagotchi für Midlife-Crisler
33. Soll man noch in Griechenland Urlaub machen?
34. Nieder mit dem Spitzensteuersatz!
35. Das Achselhöhlengleichnis des Erfolgs
36. Boatpeople unter Besserverdienern
37. Das 55 × 35 × 20-Zentimeter-Komplott
38. Das Sozialprestige von Computerviren
39. Auf die Plätze, fertig, Firmenlauf!
40. Halal-Grillen für Syrien
41. Was anziehen zur »Jahrhunderthitze«?
42. Wenn Manager zu Urlaubern werden
43. Auf der Jagd nach Entschleunigung (Teil 1)
44. Auf der Jagd nach Entschleunigung (Teil 2)
45. Auf der Jagd nach Entschleunigung (Teil 3)
46. Die Finessen des Carsharings
47. Wie grün darf’s denn sein?
Bonus-Kolumnen
48. Männer-Karrieren 1: der Manager
49. Männer-Karrieren 2: der Künstler
50. Männer-Karrieren 3: der Normalo
Anhang
Der Protagonist – Herr K.
Der Autor – Herr T.
Impressum
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Gesammelte Kolumnen

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1. Senior-Consultant-Key-Account-Irgendwas

Der Mann, von dem hier die Rede sein soll, heißt vollständig Stefan Klausen-Meier und ist im mittleren Management eines größeren Unternehmens tätig, dessen Name hier nichts zur Sache tut – anders als sein eigener. Er kam als Klausen zur Welt, ein Name, der ihm nicht sonderlich am Herzen lag. Deshalb und weil er ein moderner Mann ist, der sich zudem nicht mit seiner Frau anlegen wollte, übernahm er auch deren Nachnamen. Aber weil Stefan Klausen-Meier wirklich zu umständlich klingt und er selbst auf Effizienz und Optimierung aus ist, sei er hier künftig schlicht Herr K. genannt.

Herr K. ist Mitte 40, verheiratet, hat zwei Kinder und es längst aufgegeben, seiner Frau erklären zu wollen, was er so macht tagein, tagaus. »Er ist Senior-Consultant-Key-Account-Irgendwas«, hat sie einmal angeschickert bei einer Party einer anderen, wildfremden Ehefrau erklärt. Er fand das durchaus lustig, hat aber seither auch keinen Versuch der Richtigstellung mehr unternommen. Das hat nichts mit mangelnder Liebe zu seiner Frau zu tun, eher im Gegenteil, wenngleich wir über Liebe vielleicht doch erst philosophieren sollten, wenn wir uns hier in dieser Kolumne ein bisschen besser kennen.

Ob Herr K. nun im Versicherungsgewerbe, Handel oder Maschinenbau arbeitet, ist jedenfalls wurst. Dinge ähneln sich. Bei seinem letzten Familientreffen waren all diese Branchen vertreten, und die Prioritätenliste der Gesprächsthemen sah in jeder Sofaecke gleich aus: 1. Das Handy versklavt uns! 2. Wer lässt sich als Nächstes scheiden? 3. Dem Georg haben sie neulich drei Bypässe gelegt – drei! Mit 47! 4. bis 10. Mein Chef ist ein Irrer! Womit wir beim Thema wären.

Die aktuelle Position von Herrn K. auf der Karriereleiter könnte man am einfachsten umschreiben mit: Er hat weit weniger Kollegen über als unter sich. Wenn beim Sommerurlaub im Robinson-Club jemand am lustigen Zwangs-Gemeinschafts-Achtertisch fragt, was er denn so mache (weil man es ihm in seinen schlabbrigen Marc-O’Polo-Bermudas nun mal nicht ansehen kann), sagt er bisweilen: »So kurz unter Vorstand.« Das gibt seinem Leben Halt und Sinn in einer Welt, die doch sehr komplex geworden ist.

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viele Bonusmeilen gibt’s auf dem Weg dorthin?

Alle Geheimnisse des modernen Mannes
Ein Vorwort des Verfassers

Um es hier gleich vorwegzunehmen: Ich bin nicht Herr K., den Sie hier gleich kennenlernen werden. Das merkt man schon daran, dass Herr K. (bislang zumindest) viel mehr Haare hat als ich, ein paar Jahre später geboren wurde, in einem weit größeren Unternehmen arbeitet und natürlich auch sonst ganz anders ist. Na ja, nicht immer vielleicht. Aber so ist das nun mal mit Kunstfiguren, zu denen Herr K. zweifellos zählt.

»Da haben Sie sich aber ganz schön was vorgenommen, Sie größenwahnsinniger Schreiberling«, mailte ein Leser, als die Kolumne rund um den Modernen Mann im Handelsblatt gestartet wurde. Und natürlich hat dieser Leser völlig recht: An Herrn K. erinnern sich die Älteren unter Ihnen, die ihre Jugend noch ohne Smartphone, Snapchat und Facebook verbringen mussten, vor allem aus dem Deutschunterricht: Einerseits gab es in Franz Kafkas Werk Der Prozess die Hauptfigur »Franz K.«. Andererseits war ein Herr K. (oder eigentlich: Herr Keuner) auch der Mittelpunkt jener kleinen Storys, die Bertolt Brecht viele Jahre seines Lebens quasi nebenher verfasste. Die parabelnden Preziosen waren auch deshalb so beliebt, weil sie so schön kurz waren.

Das sind zugleich die beiden einzigen Zusammenhänge, die ich zwischen Brecht und mir selbst zu sehen wagen würde: 1) Kürze und 2) nebenbei.

Ich schreibe die neuen Geschichten von Herrn K. (warum er so heißt, erfahren Sie im Anhang) auch immer nebenher auf. Der Grund ist schlicht: Sie glauben ja nicht, wie hart man im arg gebeutelten Mediengeschäft heute arbeiten muss, um als »Lügenpresse« noch wahr- oder gar ernstgenommen zu werden. Da bleibt jedenfalls für solche Kapriolen nur nachts oder an den Wochenenden Zeit.

Ihr Mitleid darf sich indes in Grenzen halten, denn Herr K. macht auch Spaß, obwohl ich wie erwähnt seine Abenteuer, Ansichten und Lebensweisheiten nur aufschreibe, nicht alle selbst erlebe. Herr K. ist ein Prototyp. Er ist viele. Er ist immer ein bisschen verunsichert über seinen Platz in der Welt. Welche App macht ihn womöglich bald überflüssig? Welchen Sport soll man treiben? Und welche Rolle soll er künftig spielen im großen Gender-Konzert … als weißer, heterosexueller Mann mittleren Alters?

Seit über zwei Jahren erscheint im Handelsblatt jede Woche eine kleine Geschichte über ihn. Seine Fanbase wächst beständig und ist natürlich außerordentlich humorbegabt, polyglott, gebildet und solvent. Betrachten Sie sich daher selbst als angesprochen … und sehen Sie das zugleich als Empfehlung, dieses Buch auch all Ihren Freunden, Verwandten, Kollegen sowie deren Frauen zu schenken. Es gibt so viele Anlässe: Geburtstage, Jubiläen, Betriebsfeste, Grillabende und und und …

Viele haben sich schon vor Ihnen auf Herrn K. eingelassen. Das merkt man unter anderem daran, dass immer mehr Leser auch die Kunstfigur anmailen – mit Ideen ebenso wie mit Fragen, Sorgen oder eigenen Erlebnissen aus dem Kosmos des »modernen Mannes«. Probieren Sie es aus, wenn Sie’s nicht glauben – es funktioniert eigentlich immer: herr.k@handelsblatt.com.

Dabei bleibt eine durchaus beabsichtigte Restunsicherheit über die Frage bestehen, wer da eigentlich antwortet: irgendein echter Herr K., ich, meine Frau oder vielleicht ein 34-köpfiges Team schlecht bezahlter Germanistikstudenten in Bangalore? Wer weiß das schon in unübersichtlichen Zeiten wie diesen?! Und ist es letztlich nicht völlig egal? Hauptsache, man hat ein bisschen Unterhaltung. Insofern kann ich Ihnen jetzt nur viel Spaß bei der Lektüre wünschen.

Ihr Thomas Tuma, Hamburg 2016

2. Facebook ist für Rentner

Herr K. twittert neuerdings, wenn auch eher fremdbestimmt. Eine »Case Study Evaluation« seiner Firma war zu dem Ergebnis gekommen, dass er den niedrigsten Social-Media-Koeffizienten seiner gesamten Abteilung hat. Im Klartext: Er gilt als kommunikativer Vollwaise. Selbst sein Kollege Treuenfels kam auf einen höheren Wert. Der diktiert zwar jede SMS seiner Sekretärin, ist aber auch für die Organisation der Weihnachtsfeiern und Konzern-Incentives verantwortlich.

Social Media scheint für Unternehmen generell das ganz große Ding zu sein. Interaktion mit dem Kunden gilt als wichtig, selbst wenn dieser Kunde eigentlich nur an Entgasungsanlagen oder dem Export von Spundmuffen-Schraubgewinden in die nordöstliche Walachei interessiert ist. Der Vorstand empfahl aufgrund der Studie allen Mitarbeitern, ihre Online-Präsenz zu stärken. Leider ist die Beziehung zwischen Herrn K. und Social Media bis dahin eine eher einseitige Liaison gewesen.

Als er sich vor zwei Jahren bei Facebook anmeldete, hat ihm seine Tochter (sie war damals 14) sofort erklärt, dass sie sich eher entleiben werde, als seine Freundschaftsanfrage zu akzeptieren. Sein Online-Bekanntenkreis ist danach überschaubar geblieben, bis er vergangene Woche abends seine Familie dazu überredete, mit ihm gemeinsam einen Twitter-Account zu eröffnen. Sein Tweet Nummer eins war schnell getippt: Hallo, hier bin ich ;-) Tweet 2: Ja, ihr, ich bin es wirklich, @HerrnK – man duzt sich in diesen sozialen Netzwerken, was Herrn K. nicht unbedingt entgegenkommt, aber sei’s drum. Tweet Nummer drei war ein Link zu seiner Firmen-Homepage. Was soll man sagen: Das Echo der Weltöffentlichkeit hielt sich danach auch trotz dieses leidenschaftlichen Engagements in engen Grenzen.

Eine Woche später hatte er drei Follower: seine Sekretärin, die Sekretärin von Treuenfels und einen gewissen @Headhunter47, den seine Frau heimlich für ihn erfunden hatte, um @HerrnK für die digitale Community irgendwie interessanter zu machen. Auch bei Facebook waren keine Fortschritte zu erkennen. »Facebook ist was für Seniorenwohnheime«, mischte sich irgendwann seine Tochter ein und erklärte eher aus Versehen, wohin die Reise geht: Sie tumblrt, skyped, snapchattet, whatsappt und instagramt. Ihr nüchternes Resümee über das immerhin größte soziale Netzwerk der Erde hat zwar nicht dem Social-Media-Koeffzienten ihres Vaters geholfen, aber ihm selbst: »Facebook ist was für Seniorenwohnheime«, ließ er am Rande eines Town Hall Meetings mit dem Vorstand fallen. Das beeindruckte.

Nächste Woche soll K. bei einem Vorstands-Get-together einen Impulsvortrag halten über die Kurzatmigkeit im Social-Media-Gewerbe. Seine Tochter wittert bereits ein Geschäft als Ghostwriterin. Ihre Honorarvorstellungen sind bislang absurd. Aber sie wird gewinnen. Herr K. weiß es.

3. Genderfrage und Gepäckablage

Die Zahl der weiblichen Flugreisenden im innerdeutschen Flugverkehr hat deutlich zugenommen. Herrn K. freut das. Er ist für Diversi… Divider… also für mehr Frauen in Führungspositionen. Ihr langer Marsch durch die Institutionen hat begonnen. Herr K. findet, dass sie dabei sehr tatkräftig wirken, effizient und gut aussehend. Viel tatkräftiger, effizienter und besser aussehend, als er selbst jemals war. Deshalb ist es für ihn völlig in Ordnung, dass Frau Doktor Schwielow im Vorstand vor Kurzem die Bereiche Personal und IT übernommen hat. Sie ist neu in seiner Firma und war vorher bei einer amerikanischen Unternehmensberatung, einem asiatischen Elektronikriesen und sogar mal Trainee bei der Weltbank. Unter anderem. Herr K. fühlt sich bisweilen wie ein Müllsack, wenn er ihr in der Firma begegnet. Sie sitzt jetzt drei Reihen vor Herrn K., allerdings anders als er in der Business Class.

Das heißt, noch steht sie im Gang und kriegt den Deckel des Gepäckablagefachs nicht zu. Die Stauräume sind ja vorne auch nicht anders. Eigentlich eine sehr basisdemokratische Sache, auch wenn Herr K. nicht das Geringste gegen die Klassen-Trennung hat. Der Vorstand fliegt eben Business. Klack, klack, klack. An der großen Kelly Bag von Frau Doktor Schwielow kann es eigentlich nicht liegen. Da schauen zwar zwei Ordner und ihr Laptop raus. Aber das kann man meist irgendwie quetschen.

Warum hilft der Frau denn niemand? Herr K. würde sofort aufspringen, um sie zu unterstützen. Sie versucht gerade, Gepäckstücke anderer Mitreisender umzuschichten. Klack, klack, klack. Klappt immer noch nicht. Herr K. kann nicht raus, er ist auf seinem Fensterplatz in der Economy eingekeilt. Klack. Klack. Frau Schwielows Elan erlahmt langsam. Sie sieht sich hilfesuchend um. Eine blondierte Stewardess kommt angestöckelt und schließt die Ablage mit einem einzigen Handgriff.

Herr K. schätzt die beiden Frauen gleich alt. Ende 30. Die Stewardess hat türkismetallicfarben lackierte Fingernägel mit Strass-Applikationen, Frau Doktor Schwielow hat in Kiel, Bologna und Berkeley studiert. Sie unterstützt an den Wochenenden ein Projekt für sozial benachteiligte Jugendliche, sitzt in zwei Aufsichtsräten, spielt in ihrer knapp bemessenen Freizeit Bratsche in einem Streich-Quintett – und scheitert an dieser fucking Gepäckablage.

Für einen Moment schauen sich Herr K. und Frau Doktor Schwielow direkt in die Augen. Zufällig. Sie kennen einander. Flüchtig. Herr K. lächelt. Das Lächeln soll Verständnis heucheln. In Wahrheit ist er einfach furchtbar erleichtert, dass er nicht der einzige Idiot ist, der mit diesen Dingern immer Probleme hat. Bei Frau Doktor Schwielow kommt das Lächeln als Grinsen an.

Herr K. weiß in diesem Moment noch nicht, dass er sich in den nächsten Monaten des Öfteren wird wehren müssen gegen Vorwürfe, er sei ein genderpolitischer Dinosaurier. Es wird anstrengend werden für ihn. Sehr anstrengend.