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Rüdiger Edelmann
Rhön so schön
Reise in offene Fernen
Es ist eine gewöhnungsbedürftige Eigencharakterisierung, die die Touristiker mit der Begrifflichkeit vom Land der offenen Fernen vor einigen Jahren geschaffen haben. Sie setzt auf den weiten Blick, der von der Mittelgebirgslandschaft im Zentrum Deutschlands gegeben ist, den teilweise kahlen Kuppen, wo der Wald in früheren Zeiten der Holzwirtschaft zum Opfer gefallen ist.
Das mit dem weiten Blick mag geografisch schon lange so sein, offen waren die Fernen allerdings bis 1989 nicht. Die Rhön als Dreiländer-Gebirge war eine Region der deutschen Trennung und wahlweise DDR-Sperrgebiet oder BRD-Zonenrandgebiet. Beides drängte das heute so zentrale Mittelgebirge an den geografischen wie wirtschaftlichen Rand. Das mit der Randlage gilt letztlich sogar innerhalb der Bundesrepublik. Die Rhön als nördlichster Zipfel von Bayern wurde genauso gerne übersehen wie die Rhön als der östlichste Bereich Hessens. Aber betrachten wir das Positive dieser historischen Randlage. Sie hat dazu geführt, dass die Region heute eine einzigartige Naturlandschaft besitzt. Sie führte zum Erhalt von Tradition und zum Heimatbezug der Menschen. Rhöner sind für die Rhön geboren. So wächst eine Idylle wieder zusammen, die zusammengehört, selbst wenn die Landschaft, schon wegen des rauen Klimas, immer etwas später erblüht.
Die Rhön spielte schon in meinen Kindheitserinnerungen eine Rolle. Da gab es entfernte Verwandtschaft in einem Örtchen mit dem schönen Namen Platz und den Skizug Rhön-Blitz, der uns Frankfurter in schneereichen Wintern bis nach Gersfeld fuhr. Später waren es Winterwochenenden mit Freunden. Die Reise zur Rother Kuppe und zum Rhön Park Hotel war dunkel und kalt, und die Fahrt wollte kein Ende nehmen. Ich denke aber auch an warme Sommertage und Wanderungen durchs Rote Moor und an köstliche Forellen, die auf dem Teller leider kalt wurden, weil ich der Gräten nicht Herr wurde. Die anschließende Übernachtung im Hotel Rhönhäuschen war geprägt von Einschlafschwierigkeiten wegen der fast schon beängstigenden Stille. Da war die Geburtstagsfeier eines Kollegen, die im November 1989 in Bischofsheim-Haselbach stattfand. Der in der Rhön legendäre Saal des Gasthofs Kreuzbergschanze war gefüllt mit freundlichen Menschen, und wir erfuhren ganz nebenbei, dass bei Lokalbesitzerin Hilde schon zwei Küchenhilfen aus Thüringen arbeiteten. So machte die Geburtstagsgesellschaft dann nach und nach Trabbi-Rundfahrten über die Dorfstraße von Haselbach und die Jungs aus der »Noch-DDR« beschlossen den Abend mit mehreren Hundert D-Mark »Benzingeld«. Die Zeit ging ins Land. DDR und BRD wurden eins, und aus den Ritzen vor dem Eingang der Kreuzbergschanze wächst heute Gras. Das Lokal scheint seit Ewigkeiten geschlossen. Viele Wirte geben auf, weil sich der Betrieb nicht mehr lohnt. Andererseits bemühen sich engagierte Gastronomen erfolgreich um die Wiederbelebung der heimischen Küche.
Die Rhön zu entdecken ist historisch interessant, körperlich mitunter anstrengend, geprägt von Schneefall im April, heißen Sommertagen im Juli und lauen Sommerabenden im August. Da sind die Nachmittage mit gesundem Wasser in Bad Kissingen, die Fahrt mit dem Rhön-Zügle in Fladungen oder der Postkutsche nach Bad Bocklet. Es ist das gute Bier vom Kreuzberg, wohlschmeckender Wein aus Hammelburg, Bratwürste und Klöße aus Meiningen, Apfelsherry aus Seiferts und der RWOX aus Hilders. Letzteren erklärt uns Gastronom Björn Leist. Einige Rhöner sind echte Botschafter ihrer Heimat – sei es als historische Figur, als Gastgeber, als Postkutscherin, als Schäfer oder auch nur als Rhönschaf. Määh!
Die Rhön ist schön! Das klingt nach Plattitüde. Kein Wunder, auch dieser Spruch diente lange Zeit der Tourismuswerbung und feiert gerade seine Renaissance.
Es ist gleich, ob das Schäfchen Wolli heißt und vom Schäfer Kolb aus Oberelsbach-Ginolfs in der bayerischen Rhön (s. S. 21) stammt oder ob es bei Schäferin Julia Djabalameli auf dem Spiegelshof im hessischen Ehrenberg-Melpers auf den Weiden steht. Das Rhönschaf war und ist immer etwas Besonderes.
Lexika beschreiben es als hochbeinig, hornlos und am schwarzen Kopf unbewollt bis hinter die Ohren. In Akten des Fuldaer Hochstifts aus dem Jahre 1844 wird es bezeichnet als »gemeines teutsches Schaf in einer eigenthümlichen Art, welches selbst im Ausland unter dem Namen ›Rhönschaf‹ gekannt wird.« Nun war und ist diese Rasse nicht von ungefähr in dieser Umgebung heimisch. Die kargen Böden der Rhön machen den Schafen nichts aus, ganz im Gegenteil, die Tiere dienen der Pflege von Streuobstwiesen und anderer magerer Böden. Im Gegensatz zur teilweise unfruchtbaren Erde, auf der sie stehen, sind die Rhönschafe selbst extrem fruchtbar und gleichzeitig unempfindlich gegenüber der feuchtkühlen Witterung. So waren sie ein Segen für die Rhöner Bauern in Sachen Wolle, Fleisch und Landschaftspflege. Umso unverständlicher ist es, dass die Tiere fast ausgerottet wurden. Gab es im 19. Jahrhundert noch mehrere Hunderttausend, so waren es 1970 nur noch 300. Der BUND Naturschutz startete 1985 das Rhönschaf-Projekt. Glücklicherweise waren die Bemühungen dank der Zusammenarbeit mit aktiven Schäfern erfolgreich. Inzwischen hat sich der Bestand bei etwas über 6.000 Tieren stabilisiert.
Gleichzeitig wurde das Rhönschaf zum Werbeträger und Botschafter seiner Heimat. Der skurrile Streit um Comicschaf Rhönhilde, das wegen seiner schwarzen Beine von humorlosen Fachleuten nicht akzeptiert wurde, ist nur eine Petitesse. Rhönhilde tritt nach wie vor auf und behauptet, es habe schwarze Strümpfe über die weißen Beine gezogen.
Tipp: Der Spiegelshof bietet Rhönschafwanderungen mit Besuch der Schafherde an. Um teilzunehmen, ist eine Anmeldung über die Homepage erforderlich.
Schwarzer Kopf, weiße Beine.
Alles rund ums Rhönschaf erfahren Sie bei Führungen des
Spiegelshof /// Julia Djabalameli /// Waldstraße 25 ///
36115 Ehrenberg-Melpers /// 0 66 83 / 91 78 59 ///
www.spiegelshof.de ///
Als offiziell bereits wieder zusammengehörte, was noch zusammenwachsen musste, setzte die UNESCO ein Zeichen in der Rhön. Es war die Ernennung zum Biosphärenreservat im Jahr 1991. Noch heute streitet man in der Rhön darüber, ob es dafür wirklich drei Verwaltungen braucht. Doch das Biosphärenreservat erstreckt sich über drei Bundesländer, die alle eigene Bestimmungen und Voraussetzungen haben. Wichtig zu erwähnen ist, dass es nicht die ganze Rhön umfasst. Randbereiche wie Bad Königshofen, Meiningen, Bad Salzungen oder Fulda zählen nicht dazu. Trotzdem entspricht die Fläche des Biosphärenreservats ungefähr der Größe des Saarlands.
Durch die ehemalige Randlage ist die Naturlandschaft einigermaßen intakt. Deren heimatverbundene Einwohner halten weitgehend an der Landwirtschaft fest. Damit ist die Kulturlandschaft positiv geprägt, wenngleich auch in unterschiedlichen Organisationsformen. Gibt es in Thüringen Agrar-Großbetriebe, so ist Bayern durch Nebenerwerbslandwirtschaft geprägt. Das Kerngebiet, die Hohe Rhön, weist neben Buchen- und Laubwäldern offene Landschaftsflächen aus, die Pate standen für den Tourismusnamen Land der offenen Fernen. Die Holzwirtschaft hatte schon vor Jahrhunderten zur Entstehung von Weide- und Grasflächen beigetragen. Innerhalb der Kernzone sind auch Moore angesiedelt. Die Artenvielfalt ist reich. Der Duden spricht bei »Biosphäre« von einem Lebensraum. Innerhalb dieses grundsätzlich intakten Bereichs warten viele Herausforderungen. Die Rhön weist zehn unterschiedliche Landschaftsformen aus: vom Ackerland, über Streuobstwiesen, Fels- und Blockhalden bis zu Städten und Ortschaften oder Grünland, Gewässern und Wäldern. Darin gedeiht eine Pflanzenvielfalt, leben viele Tiergattungen und ist der Mensch zu Hause. Das Zusammenleben funktioniert aber nur, wenn sich die Einzelelemente in einem gesunden Gleichgewicht befinden. Das will nicht nur erforscht, sondern muss auch umgesetzt werden.
Die Nichtbewirtschaftung von Streuobstwiesen hat Einfluss auf Pflanzen, Vögel und Insekten, und auch wir Menschen beeinflussen das Gleichgewicht.
Jetzt aber weg von der Theorie, denn das Biosphärenreservat hat viel bewegt, und manches ist noch in Arbeit. Der Schutz von Rotmilan und Birkhuhn ist eines der Leuchtturmprojekte. Außerdem will man den ursprünglichen Baumbestand aus Buchen und anderen Laubbäumen wiederherstellen. Das bedeutet, dass im Verlauf der nächsten Jahre punktuell Nadelwald abgeholzt und durch den ursprünglichen Baumbestand ersetzt werden soll. Erst dann kann die Waldfläche geschützt werden. Alte Haus- und Nutztierrassen sollen wieder verstärkt heimisch werden. Dazu gehören unser Botschafter das Rhönschaf und sein Aufpasser der Altdeutsche Hütehund. Aber auch Rinderrassen wie das Gelbe Frankenvieh und das Rote Höhenvieh, die Thüringer Waldziege und die Bayerische Landgans sollen verstärkt gezüchtet werden. Landwirte müssen von der Notwendigkeit dieser Vorhaben überzeugt werden. Man muss dafür sorgen, dass sich die Zucht lohnt. Den Bauern will man zum Beispiel mit der Rhöner Apfelinitiative zum Erhalt von Streuobstwiesen und einem mobilen Käsereiprojekt zusätzliche Einnahmequellen eröffnen und damit den natürlichen Kreislauf fördern. Wer Schafskäse in der Direktvermarktung erfolgreich verkauft, ist auch bereit, den Schafbestand zu erhalten. So simpel ist das.
Die Herausforderungen eines Biosphärenreservats sind groß. Es soll ja kein Naturschutzgebiet eingerichtet, sondern ein natürlicher Kreislauf gefördert oder wiederhergestellt werden. Damit soll das, was die Rhön als Natur- und Kulturlandschaft ausmacht, für die Zukunft erhalten bleiben oder neu aufleben. Auch wir, als Rhönbesucher, werden damit Nutznießer einer besonderen und einzigartigen Kulturlandschaft.
Tipp: Es werden viele Veranstaltungen und Führungen durch das Biosphärenreservats angeboten. Das Programm ist in allen Tourist-Informationen der Region erhältlich.
Biosphärenreservat Rhön /// Groenhoff Haus Wasserkuppe ///
36129 Gersfeld /// 0 66 54 / 9 61 20 ///
www.biosphaerenreservat-rhoen.de ///
Das Rhönschaf steht zwar als tierischer Botschafter ganz vorn, aber es könnte auch in anderen Lebensräumen prima überleben. Dies gilt jedoch nicht für alle Tiere in dieser sehr ursprünglichen Natur. Das Birkhuhn, das sonst nur noch in den Alpen vorkommt, lebt hier, außerdem der Schwarzstorch und der Rotmilan. Letzterer ist der größte in der Rhön beheimatete Greifvogel mit einer Flügelspannweite von bis zu 1,70 Metern. Er wird von Naturschützern in einem besonderen Projekt betreut. Nachgewiesen für die Region ist inzwischen auch wieder die Wildkatze. Eine etwas kleinere Tierart und sicher nur für Kenner auszumachen ist die Alpenspitzmaus, die außerhalb der Alpen nur noch in der Rhön existiert. Stark gefährdete Tiere in Deutschland sind Reptilien. Nicht so in der Rhön. Blindschleiche und Ringelnatter sind in diesem Landstrich heimisch, und in den Mooren wurde sogar, als einzige deutsche Giftschlange, die Kreuzotter nachgewiesen. Einzigartig in der Rhön ist die Rhön-Quellschnecke. Trotz ihrer geringen Größe von nur zwei Millimetern ist sie sehr anspruchsvoll und reagiert empfindlich auf die Zerstörung von Quellbiotopen, wie das bei der Fassung von Quellen geschieht. Ihr Vorkommen ist deshalb inzwischen fast ausschließlich auf die Hohe Rhön beschränkt.
Die Silberdistel steht, ähnlich wie das Schaf, für die Rhön. Sie steht auf der Roten Liste der 106 gefährdeten Pflanzenarten, die hier heimisch sind. Regional auf die Moore beschränkt ist zum Beispiel die Karpatenbirke. Aber auch der Ackerrittersporn, die Echte Betonie oder der Deutsche Enzian zählen zu den bedrohten Pflanzenarten, die in der Rhön noch zu finden sind. Es ist eine der Aufgaben des Biosphärenreservats Rhön, diese Vielfalt zu erhalten. Bliebe noch zu erwähnen, dass die Rhön eines der orchideenreichsten Mittelgebirge Deutschlands ist.
Tipp: Eine ausführliche Beschreibung von bedrohten Tieren und Pflanzen findet sich auf der linksstehenden Homepage des Biosphärenreservats Rhön.
Gefährdet, aber typisch für die Rhön: Silberdistel ///
Verein Natur und Lebensraum Rhön ///
Groenhoff Haus Wasserkuppe /// 36129 Gersfeld ///
0 66 54 / 9 61 20 /// www.biosphaerenreservat-rhoen.de ///
ipp: Urlaubsgäste können Betrieb und Schafherde ansehen. Dabei erfährt man alles rund ums Rhönschaf. Kinder können selbstverständlich mit zur Herde.