WOLFGANG J. BITTNER

Heilung

Zeichen der Herrschaft Gottes

Mit einem Beitrag zur neueren Literatur von Michael Utsch

und einer Thesenreihe der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Berlin

NEUFELD VERLAG

Zu diesem Buch

Die brennenden Fragen um Krankheit und Heilung bewegen viele Menschen. In seelsorgerlich einfühlsamer Weise gibt Wolfgang J. Bittner mit diesem Buch biblisch begründete Antwort. Dabei wird deutlich: Heilung gehört wie die Verkündigung des Evangeliums zum Auftrag der Kirche. Sie ist ein für das Leben der Gemeinde wesentliches Zeichen, in dem sich schon jetzt Gottes Reich und Herrschaft manifestieren.

„Wolfgang J. Bittners Versuch, theologische Fragen im Zusammenhang mit Krankenheilung umfassend aufzunehmen und zu klären, ist in seiner nüchternen, soliden und verlässlichen Art immer noch einmalig. Dieses Buch ist nicht für Schriftgelehrte geschrieben, sondern will als kurzgefasstes Handbuch seinen Dienst tun. Ich wünsche eine inspirierende Lektüre!“

Prof. Dr. Ralph Kunz, Zürich, im Geleitwort zur vierten Auflage

Über den Autor

Wolfgang J. Bittner, geboren 1947 in Graz, Dr. theol., ist Studienleiter der Fritz Blanke Gesellschaft, Zürich, und Beauftragter für Spiritualität der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Daneben arbeitet er freiberuflich als Lehrbeauftragter für christliche Spiritualität an der Freien Universität Berlin sowie als Publizist, Referent und Meditationsleiter in der Schweiz und in Deutschland. Er ist Mitglied der evangelischen Geschwisterschaft Koinonia, lebt mit seiner Frau, der Pfarrerin Ulrike Bittner, in Eisenhüttenstadt und ist glücklicher Vater von drei erwachsenen Kindern.

www.wolfgang-bittner.net

Veröffentlichungen (Auswahl)

Bittner, Wolfgang J. (Hrsg.) und Blumhardt, Christoph: … damit Gott kommt. Gedanken aus dem Reich Gottes. 240 Seiten, Ernst Franz, Metzingen 1992/Neufeld, Schwarzenfeld 2006

Bittner, Wolfgang J.: Alles spricht dafür! Mit Gott leben, reifen, vorwärts gehen. Paráklesis, Band 10. 188 Seiten, Ernst Franz, Metzingen 2005/Neufeld, Schwarzenfeld 2006

Bittner, Wolfgang J.: Bist du es, Gott? Liebe, Leid, Ungerechtigkeit. Biblische Steine auf dem Weg durch unsere Zeit. Paráklesis, Band 7. 143 Seiten, Neufeld, Schwarzenfeld 42007

Bittner, Wolfgang J. (Hrsg.) und Blumhardt, Johann Christoph: Ausgewählte Schriften: Band 1: Schriftauslegung, Band 2: Verkündigung, Band 3: Seelsorge – Glaubensfragen, Briefe, Gebete, Lieder. 1.072 Seiten, Ernst Franz, Metzingen 21991/Neufeld, Schwarzenfeld 2006

Bittner, Ulrike und Wolfgang J.: Ich suche mich in deinen Spuren. Meine Lebensplanung und Gottes Geschichte. 143 Seiten, Aussaat, Neukirchen-Vluyn 2007

Bittner, Wolfgang J.: Kirche – das sind wir. Von der Betreuungs- zur Beteiligungskirche. Paráklesis, Band 6. 126 Seiten, Aussaat, Neukirchen-Vluyn 32006

Bittner, Wolfgang J.: Kirche – wo bist du? Plädoyer für das Kirche-Sein unserer Kirche. 166 Seiten, Theologischer Verlag Zürich, Zürich 21995

Inhalt

Zu diesem Buch

Über den Autor

Impressum

Geleitwort von Ralph Kunz zu dieser Ausgabe

Vorwort zur vierten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage

1. Einleitung

Teil I: Krankheit und Heilung in der Bibel

2. Krankheit im Alten Testament

2.1. Der Ausdruck »Krankheit« im Alten Testament

2.2. Der Zusammenhang von Sünde und Krankheit

2.3. Krankheit als Vorläufer des Todes

2.4. Der Zusammenhang von Individuum und Gemeinschaft

2.5. Heilung und Sündenvergebung

2.6. Gott als Arzt

2.7. Die Hoffnung Israels auf die messianische Zeit

3. Krankheit und Heilung bei Jesus

3.1. Jesu doppelter Auftrag

3.2. Sehen und Hören

3.3. Sünde und Krankheit in der Sicht Jesu

3.4. Die Vertiefung der alttestamentlichen Sicht

3.5. Der Sieg über den »Starken« (Markus 3,27)

3.6. Sieg, Kampf und Transzendenz

3.7. Krankheit und Dämonie

3.8. Warum heilte Jesus am Sabbat?

3.9. Wie heilte Jesus?

3.10. Wen heilte Jesus?

3.11. Heilung von Krankheit und das Heil Gottes53

4. Krankenheilung durch Jünger und Gemeinde

4.1. Heilen als Auftrag an die Jünger

4.2. Der Auftrag geht weiter

4.2.1. Der Missionsbefehl nach Matthäus (28,18–20)

Exkurs: Zum Zusammenhang von vor- und nachösterlicher Sendung

4.2.2. Der Missionsbefehl nach Markus (16,15–20)57

4.2.3. Die Berichte der Apostelgeschichte

4.2.4. Der Dienst des Paulus nach seinen Briefen

4.2.5. Heilungen in den paulinischen Gemeinden

4.2.6. Die Gemeindeanweisung bei Jakobus (5,14–16)

4.2.7. Die johanneische Tradition

4.2.8. Die Notiz des Hebräerbriefes (2,4)

4.3. Zusammenfassung

Teil II: Krankheit und Heilung in der Geschichte

5. Krankenheilung in der Kirchengeschichte

5.1. Vorbemerkung

5.2. Die Eigenart der Quellen

5.3. Heilungswirklichkeit in der Kirchengeschichte

5.4. Die geänderte Auffassung

5.5. Martin Luthers Erfahrung mit Krankenheilung

5.6. Die Sicht des älteren Pietismus

5.7. Die beiden Blumhardts

5.8. Einzelne Heilungserfahrungen

6. Der Neuaufbruch in unserer Gegenwart

6.1. Einleitung

6.2. Die großen Heilungsevangelisationen

6.3. Ansätze in Deutschland und in der Schweiz

6.4. Ein Neuanfang durch die charismatische Bewegung?

6.5. George Bennett und die »Divine Healing Mission« in England116

6.6. Die Situation in der katholischen und in der orthodoxen Kirche

Teil III: Grundfragen der Krankenheilung

7. Theologische Grundlegung

7.1. Erfahrung und Theologie

7.2. Gottes Herrschaft ist nahe

7.3. Verkündigung und Bezeugung124

7.4. Heilungen und Eschatologie

7.5. Heilung von Krankheit – und die »letzte« Heilung

7.6. Heilung und Heil130

7.7. Der Einzelne und das Reich Gottes

7.8. Gottes Zeit und unsere Zeit

7.9. Das erste Gebot und unsere Wirklichkeit

8. Allgemeine Fragen

8.1. »Krankheit« und »Leiden«

8.2. Keine Technik – sondern er

8.3. Charisma oder Auftrag?

8.4. Auftrag, Begabung und Verheißung

8.5. Krankenheilung und Medizin

8.6. Medizin und Menschenbild

9. Praktische Fragen

9.1. Umkehr zum Auftrag Gottes als Umkehr

9.2. Rückgewinnung biblischer »Transzendenz«

9.3. Rückgewinnung biblischer »Bruderschaft«

9.4. Rückgewinnung der Sicht für unsere Kampfsituation

9.5. Rückgewinnung biblischer »Heiligkeit«

9.6. Zwei notwendige Unterscheidungen

9.6.1. Erfahrung und Deutung von Erfahrung

9.6.2. Die Kraft Gottes, die Kräfte des Menschen und die Kräfte des Bösen

9.7. »Krankheit« und »Dämonie«

Teil IV: Zur Praxis der Krankenheilung

10. Leitgedanken zur Praxis

10.1. Nichts Neues – nichts Besonderes

10.2. Der Auftrag gilt der Gemeinde

10.3. Der Ort des Dienstes: die Gemeinde!

10.4. Krankheitsprobleme und Gemeindeleben

10.5. Krankenheilung – Aufgabe im Gottesdienst?!

10.6. Krankenheilung und Gemeindearbeit

11. Seelsorgerliche Einzelfragen

12. Die Bitte um Heilung und das »Vaterunser«

Anhang

Das Weltbild der Bibel – und wir Menschen von heute

1. Die Bibel und die Frage nach dem Weltbild

2. Was ist das, ein Weltbild?

3. Zum Weltbild unserer Zeit

4. Zum »Weltbild« der Bibel

5. Zum Verhältnis zwischen biblischem und modernem Weltbild

6. Weltbild und Krankheitsbild

Nachwort zur dritten Auflage:

1. Die Situation der letzten Jahre

1.1. Die Aufnahme dieses Buches

1.2. Die »Heilungs-Wellen« der letzten Jahre

1.3. Der biblische Klang der Hoffnung

2. Die Hauptthese

2.1. Heilung – Teil des Grundauftrages der Kirche

2.2. Kritik

2.2.1. Tradition

2.2.2. Eschatologischer Vorbehalt

2.2.3. Verwechslung von Heil und Heilung

2.2.4. »Heiligung« und »Dienst« als Wirken des Geistes Gottes

2.3. Auch ohne Klärung: Heilung gehört zum Dienst der Kirche

3. Klärungen

3.1. Das Ziel: der »ganze« Mensch

3.2. Krankheit und Leiden

3.3. Wenn Krankheit bleibt

3.4. Krankheit als Botschaft?

3.5. Reifung durch Krankheitsleiden?

3.6. Chronische Krankheiten

3.7. Behinderungen

3.8. »Innere Heilung«

4. Alternativmedizin und Esoterik

Christliche Identität, alternative Heilungsansätze und moderne Esoterik

Grundsätze zur Orientierung für Kirche und Gemeinde

1. Ausgangspunkte und Ziele

A. Wiederkehr der Religiosität in der Gesellschaft

2. Eine neue religiöse Suchbewegung

3. Esoterische Religionsfaszination

4. Die Sehnsucht nach Heilung

5. Der Protest gegen eine geheimnisleere Wirklichkeitsauffassung als Anfrage an die christlichen Kirchen

B. Heilverfahren und Heilungsansätze

6. Typologie von Heilverfahren

7 Jedes Heilverfahren hat weltanschauliche Voraussetzungen

8. Heilung im esoterischen Kontext

C. Heilung in der Perspektive des christlichen Glaubens

9. Die Anfänge des Christentums – heilender Dienst und zum Heil rufende Verkündigung

10. Heilung im Horizont von Schöpfung und Vollendung

11. Historische Auseinanderentwicklung zwischen Leib-Sorge (Medizin) und Seel-Sorge (Theologie)

12. Die Öffnung der naturwissenschaftlichen Medizin für spirituell-religiöse Dimensionen als Chance des Dialoges mit der Kirche

13. Die Wiederentdeckung der heilenden Dimension des Glaubens in Handauflegung, Segnung und Salbung

D. Schlüsselthemen im Dialog zwischen christlichem Glauben und alternativen Heilungsansätzen

14. Differenzierte Wahrnehmung und Lernbereitschaft

15. Gott als geisthaftes Prinzip oder ansprechbares Gegenüber?

16. Heilung für den ganzen Menschen

17. Gegen Fitness- und Gesundheitskult – Annahme und Integration von Schwachheit und Leiden

18. Christlicher Glaube und geistig-energetisches Heilen

E. Kriterien zur Beurteilung

19. Dreifacher Grundsatz christlicher Beurteilung

20. Kritische Prüfung von Weltbild und Wirksamkeitsplausibilität

21. Glaube und Vernunft

22. Stellung zum Zentrum christlichen Glaubens

23. Kommerzialisierung, Scharlatanerie und Allmacht des Therapeuten

F. Praktische Hinweise

24. Kriterien zur Raumvergabe

25. Umgang mit Yoga und Reiki

G. Heilung als Thema der internationalen und interkulturellen Ökumene

26. Dialog zwischen Medizin, alternativen Heilungsansätzen und Spiritualität

27. Plädoyer für einen interdisziplinären Dialog über Krankheit und Heilung

28. Die Sehnsucht nach Heilung und die missionarische Verantwortung der Kirche

5. Nochmals: Zur Praxis

Anmerkungen

Anmerkungen zum Nachwort

Literaturverzeichnis (bis 1984)

1. Einführender Literaturbericht

2. Hilfsmittel

3. Darstellungen, Untersuchungen usw.

Kommentiertes Literaturverzeichnis von Dr. Michael Utsch (Stand: Sommer 2007)

1. Medizinisch-psychologische Aspekte

2. Streitfall Alternativmedizin

3. Theologische Beiträge

4. Interdisziplinäre Sammelbände

Paráklesis – Schriften zum geistlichen Leben in der Kirche

Über den Verlag

Reihe: Paráklesis – Schriften zum geistlichen Leben in der Kirche

Band 18

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Communität und Geschwisterschaft Koinonia

von Barbara Schurig und Wolfgang Kubik in Verbindung mit Wolfgang J. Bittner, Gerlinde Breithaupt und Iris Hinneburg

Gewidmet
im gemeinsamen Warten, Hoffen, Beten und Glauben, dass Gottes Reich nahe ist –

Eduard Buess (1913–2004),

dem väterlichen Freund und langjährigen Weggefährten, in Dankbarkeit und bleibender Verpflichtung

Geleitwort von Ralph Kunz zu dieser Ausgabe

Nicht jedem vergriffenen Buch wünscht man eine Neuauflage. Diesem Buch schon! Wolfgang J. Bittners Versuch, theologische Fragen im Zusammenhang mit Krankenheilung umfassend aufzunehmen und zu klären, ist in seiner nüchternen, soliden und verlässlichen Art immer noch einmalig.

Was mir an diesem Buch Eindruck macht und auch Sie beeindrucken wird, ist die Fähigkeit des Autors, das Thema Leiden, Krankheit, Heilung in einer verständlichen und doch differenzierten Sprache theologisch fassbar zu machen. Dazu gehört auch das Wagnis, die Bibel zu Wort kommen zu lassen oder aus der Geschichte – der beiden Blumhardts – zu lernen.

Natürlich gibt es seit dem ersten Erscheinen 1984 auch andere, die über Heilung nachgedacht haben. Selbstverständlich gibt es auch eine Fülle von Titeln, die davon zeugen, dass Heilung ein wichtiges Thema der Bibelforschung ist. Und sicher gäbe es in Wolfgang J. Bittners Buch das eine oder andere im Lichte neuerer Forschungsergebnisse zu differenzieren. Zum Beispiel die Entwicklungslinie im alttestamentlichen Verständnis von Krankheit und Gesundheit, die im Neuen Testament keine Fortsetzung findet. Man könnte in der knappen und kompakten Untersuchung Bittners das Grobkörnige kritisieren. Andererseits ist es eine Wohltat, dass Bittner nicht Mücken siebt.

Dieses Buch ist nicht für Schriftgelehrte geschrieben, sondern will als kurzgefasstes Handbuch seinen Dienst tun. Wir leiden in der Theologie nicht unter einem Mangel an Fachidioten! Darum bin ich dankbar für alle, die sich nicht scheuen, Bücher zu schreiben, die man verstehen kann. Das ist immer noch dringend nötig. Innerhalb und außerhalb der Kirche wird viel Unsinn verbreitet über das, was die Bibel oder das Christentum angeblich zu Heilung und Krankheit sagen. In diesem Sinne leistet Bittner mit seiner Abhandlung auch ein Stück Aufklärungsarbeit. Wenn man den Gesundheitswahn verurteilt, der in unserer Therapiegesellschaft immer mehr herrscht, ist es wohl angemessen, eine grundlegende theologische Hilfe zur Urteilsfindung zu konsultieren. Gute Theologie hilft, Geister zu unterscheiden. Mein Eindruck ist, dass sich die Geister seit dem ersten Erscheinen in den 1980er Jahren prächtig vermehrt haben, aber die Gabe der Geisterunterscheidung eher abgenommen hat. Darum ist dem Verleger zu danken, dass er diese vierte Auflage ermöglicht hat.

Dass Michael Utsch das Literaturverzeichnis aktualisiert hat und auch sonst einiges im Buch ergänzt wurde, macht die Neuauflage tatsächlich neu. Am liebsten sähe ich sie in den Schaufenstern der esoterischen Buchhandlungen, die im Unterschied zu den theologischen prächtig gedeihen. Auf meinem Arbeitsweg gehe ich täglich an der Buchhandlung »Zum Licht« (!) vorbei und schaue mir an, was die esoterische Welle wieder an Land gespült hat. Es ist unsäglich! Aber statt nur zu schimpfen und zu schäumen, ist es konstruktiver, zu sagen, was Sache ist. Und genau das leistet dieses Buch. Gott sei Dank wird es neu aufgelegt und, wer weiß, auch in der Buchhandlung »Zum Licht« ausgelegt!

Warum gerade dieses Buch? Weil es ein theologisches Buch ist! Um es an einem Beispiel zu zeigen: Bittner verurteilt zu Recht die gedankenlose Rede im Zusammenhang einer Krankheit, dass »halt jeder sein Kreuz tragen« muss. Er zeigt auf, was hinter der verkürzten Rede steckt. Es ist der Gedanke der Nachfolge Jesu, die wohl in allerlei Leiden wie Verfolgung, Schmähung und Verleumdung führt. Aber nicht zu Krankheiten! Vielmehr gilt, dass Heilung ein Zeichen der Herrschaft Gottes ist, ein Zeichen, das der leidenden Gemeinde Trost spenden soll.

Der Titel ist also eine These und die These auch ein Titel für das, was mit jeder heilsamen und heilvollen Erfahrung in dieser alten Welt ausgesagt ist. Ob physische oder psychische Heilung, ob Vergebung oder Versöhnung mit sich selbst, es sind Zeichen, die wir schon jetzt erkennen und erfahren, solange Gott noch nicht »alles in allem« ist (1. Korinther 15,28). An dieser elementaren Unterscheidung liegt viel. Weder Schwärmerei noch Resignation zeichnen den Christen aus. Nennen wir es hoffnungsvollen Realismus, was den Autor bewogen hat, dieses Buch zu schreiben, und seine Leser bewegen soll, Gottes heilender Liebe zu vertrauen. Ich wünsche eine inspirierende Lektüre!

Dr. Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie, Zürich

Vorwort zur vierten Auflage

Hauptsache Gesundheit!« Das ist hier im Osten von Deutschland der häufigste Wunsch. Unverständnis breitet sich aus, wenn ich das regelmäßig bestreite. Nein, Gesundheit ist nicht das Wichtigste im Leben. In Anlehnung an die Spruchweisheit kann man formulieren: »Lieber ein in Gott ruhendes Herz in einem kranken Menschen als ein stolzes Herz in einem gesunden.« Aber sofort taucht die Frage auf: Gesundheit, was ist das eigentlich? Sie betrifft ja nicht nur den Körper eines Menschen. Auch seine Seele, seine Lebensmöglichkeiten, seine Umgebung gehören dazu.

Der Spruch von der Gesundheit als »Hauptsache« hat jedoch einen Wahrheitskern. Kaum etwas betrifft uns so unmittelbar, unterbricht unseren normalen Lebenslauf derart wie eine Krankheit: bei uns selbst, in der Familie, unter Freunden. Hinzu kommt auf anderer Ebene der beinahe ins unermessliche angewachsene Wirtschaftszweig, der sich mit den Fragen der Gesundheit beschäftigt: Medikamente, Krankenhäuser, Behandlungsmethoden, Bü-cher, Kurse, Diät-Vorschläge, Wellness-Angebote usw.

In seltsamem Kontrast dazu steht das weit verbreitete Schweigen der Kirchen zu diesem Thema. Dabei hätten sie dazu durchaus ein eigenes Wort zu sagen. Vor allem: Aus ihrer Geschichte hat die Kirche vielfältige und überaus reiche Erfahrung auf diesem Gebiet.

Die Absicht des Buches lässt sich mit vier Begriffen umreißen:

Klärung: Der Blick in die Bibel und in die Vielfalt der Kirchengeschichte macht deutlich, welche Bedeutung diesem Thema für die Kirche zukommt.

Hoffnung: Der Blick auf Gott, der nach dem Zeugnis der Bibel die Gesundheit des Menschen will, der in Jesus von Nazareth geradezu als Heiler aufgetreten ist, bewegt zur Hoffnung, dass Gott auch unter uns mehr tun kann als das, was wir bisher erleben.

Abwehr: Die notwendige dogmatische und praktische Besinnung dient der Zurückweisung verhängnisvoller Gedanken, die immer wieder geäußert werden. Nein, Gott heilt nicht immer! Nein, eine ausbleibende Heilung ist kein Zeichen der Glaubenslosigkeit! Nein, es gibt keine christliche Heilungstechnik usw.

Praxis: Klärung, Hoffnung und Abwehr haben die verantwortliche Erneuerung der kirchlichen Praxis zum Ziel. Sie wird vielfältig sein, und das ist gut so. Vor allem aber gilt das Wort des großen Bibeltheologen Adolf Schlatter: »Die christliche Gemeinde zieht sich vor der Krankheit nicht kampflos zurück.«

Mit guten Wünschen geht dieses Buch nun in vierter Auflage hinaus. Autor und Verlag danken für mancherlei Mithilfe, vor allem Prof. Dr. Ralph Kunz, Zürich, der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Berlin, sowie Dr. Michael Utsch, Berlin.

Wolfgang J. Bittner

Eisenhüttenstadt, Juli 2007

Vorwort zur ersten Auflage

Die vorliegende Arbeit ist aus persönlicher Konfrontation mit Krankheit in meiner Umgebung erwachsen. Das Hinnehmen von Krankheit als der »normalen« christlichen Haltung wurde anhand des Redens der Bibel zur Frage. Sie forderte zur Antwort heraus. Am Anfang stand eine Beobachtung: Kein Text des Neuen Testamentes, der vom Auftrag Jesu an seine Jünger und an seine Gemeinde handelt, redet allein von der Predigt. In irgendeiner Form schließen alle den Auftrag zur Krankenheilung ein. Hier hat diese Arbeit ihren Ausgang genommen.

Auf dem Büchermarkt existiert bereits eine größere Anzahl von Veröffentlichungen zu unserem Thema. Meistens sind es Erfahrungsberichte, die zum Teil von sehr verschiedenen Voraussetzungen ausgehen. Was bisher fehlt, ist der Versuch, die theologischen Fragen im Zusammenhang mit Krankenheilung umfassend aufzunehmen und zu klären. Die vorliegende Arbeit will einen Schritt in diese Richtung tun. Damit sind zwei Anliegen verbunden: Einmal die Aufarbeitung der theologischen Probleme, die sich von der Bibel, von der Geschichte und von der Theologie her ergeben. Zum anderen wird nach der Möglichkeit einer Erneuerung der Krankenheilung gefragt. Wie kann in unseren Gemeinden der Dienst der Krankenheilung verantwortungsvoll getan werden? Aus dem Ziel des Buches ergibt sich auch seine Grenze. Von konkreten Erfahrungen der Krankenheilung spricht das Buch zwar in seinem biblischen und auch in seinem geschichtlichen Teil. Es will aber nicht in erster Linie dadurch Mut machen, dass es von Erfahrungen erzählt. Es will diese Erfahrungen aufnehmen und sucht sie mit dem zu verbinden, was von der Bibel her Grundlage unseres theologischen Denkens ist. Dahinter steht die Hoffnung, dass aus einer theologischen Klärung auch eine Erneuerung unserer Praxis kommen kann. Auf Veröffentlichungen, in denen Heilungserfahrungen geschildert werden, wird an geeigneter Stelle hingewiesen.

Die These des Buches sieht sich Missverständnissen ausgesetzt, zu denen vorweg kurz Stellung genommen werden soll. Die Beschäftigung mit dem Thema Krankenheilung erscheint einem wie eine Gratwanderung, bei der ein Absturz nach zwei Seiten hin droht. Auf der einen Seite besteht die Gefahr, dass wir Gottes Kraft einschränken und sein heilendes Wirken allein von Jesu Wiederkunft erwarten. Aus dem Neuen Testament und der reichen Erfahrung der Kirche wissen wir jedoch, dass unser Herr seinen Jüngern »schon jetzt« Anteil an den Kräften seiner noch verborgenen, »noch nicht« in Macht durchgesetzten Herrschaft gibt. Doch was bedeutet das? Drohen wir damit nicht der Gefahr zu erliegen, die auf der anderen Seite der Gratwanderung lauert? Man könnte diese Meinung so stark betonen, dass man von Jesu Wiederkunft überhaupt nichts mehr erwartet. Ist seine heilende Kraft nicht jetzt schon voll da? Steht sie nicht schon jetzt gewissermaßen zu unserer selbstverständlichen Verfügung? Das ist die Gefahr der Schwärmerei. Vor beiden Gefahren werden wir uns zu hüten haben.

Wovon gehen wir aus? Mit Jesu Wiederkunft, auf die unser Leben und unser Dienst ausgerichtet sind, ist uns ein »Datum« gegeben, das uns leiten muss. Erst mit seiner Wiederkunft wird der Tod als der letzte Feind überwunden sein. Vorher ist eine Heilung von Krankheit, ebenso wie eine Totenerweckung, Zeichen der kommenden Herrschaft Gottes und nicht der Normalfall. Solange der Tod nicht vernichtet ist, kann unter uns auch die Krankheit »noch nicht« als überwunden gelten. Hier sind uns Grenzen gesetzt, die ohne Gefahr der Schwärmerei nicht überstiegen werden können. Die Abwehr von Unnüchternheit ist eine der Aufgaben, vor die wir uns vom Neuen Testament her gestellt sehen. Sie ist aber nicht die einzige. Dass Krankenheilung oft in geradezu schwärmerischer Weise hervorgehoben wird, fordert uns dazu heraus, erst recht nach den biblischen Grundlagen dieses Dienstes zu fragen und nach einer Form zu suchen, in der er theologisch verantwortbar getan werden kann.

Sehen wir recht, so weist das Neue Testament auf einen Auftrag, der in Erwartung der Wiederkunft Jesu und der mit ihr kommenden letzten Überwindung des Todes geschieht. Es leitet aber dazu an, von dieser im Kreuz Jesu schon vollendeten, in ihrer letzten Durchsetzung aber noch ausstehenden Überwindung jetzt schon zu leben, gewissermaßen ganz in Hoffnung auf sie hin ausgerichtet zu sein und Gott um Zeichen darum zu bitten, dass seine Herrschaft – verborgen und doch wirklich – jetzt schon unter uns ist. Der Titel des Buches bringt zum Ausdruck, dass Heilungen als Zeichen zu verstehen sind, die für eine kommende Wirklichkeit stehen. Das ist sehr ernst gemeint! Heilung von Krankheit ist, ebenso wie die Auferweckung vom Tode, »noch nicht« der Normalfall. Es sind Zeichen, die auf das hinweisen, was in der Vollendung einmal »normal« sein wird. Als solche Zeichen aber erbitten und erhoffen wir sie aufgrund dessen, was unser Herr uns geboten und verheißen hat.

Damit ist auch deutlich gemacht, dass Krankenheilung nie ein menschliches Unternehmen werden kann. Wir sind damit an Gott und seine Freiheit gewiesen, in der er uns seine überwindende Macht zeigen, sie aber auch vor uns verbergen kann. Keinerlei »Machbarkeit« steht uns im Sinn. Da aber Gottes Freiheit nach dem Zeugnis der Bibel in Einheit mit seiner Treue steht, gehört die Bitte um Erweis seiner Kraft mit zu den Aufgaben, die uns für unseren Dienst gegeben sind. Zur Verkündigung der Herrschaft Gottes gehört auch die Bitte, dass er die Gegenwart seiner Herrschaft bezeugen möge. Das tritt nicht zusätzlich zum Auftrag der Kirche hinzu, sondern ist wesentlicher Bestandteil ihres Dienstes. Ein Thema wie das der Krankenheilung lässt sich nicht isoliert abhandeln. Es führt in weite Zusammenhänge, die mit berücksichtigt werden müssen. Vor allem geschieht das da, wo nach einer Erneuerung dieses Dienstes für unsere Gegenwart ernsthaft gefragt wird. Erneuerung, soll sie wirklich verheißungsvoll sein, muss eine umfassende Angelegenheit werden. Darum stieß die Arbeit zu Überlegungen vor, die man auf den ersten Blick unter diesem Thema nicht vermuten wird.

Die vorliegenden Ausführungen sind bewusst nur ein »Zwischenergebnis«. Sie wollen nicht mehr sein. Darum wird um Hinweise, Anfragen und Kritik gebeten, aber auch um Bestätigung und Ergänzung, wo dies möglich und sinnvoll erscheint. Auf ein Problem soll noch besonders hingewiesen werden. Es gibt Themen, bei denen man »gefahrloser« gewagte Thesen äußern darf. Ein Buch, das von Krankheit und ihrer Heilung handelt, wird von Menschen gelesen, die selbst direkt davon betroffen sind. Wer von uns hat in seiner Nähe nicht Menschen, die uns die damit gestellten Probleme anschaulich genug vor Augen führen? Die Nähe von Krankheit zwingt zu konkreten Fragen, auf die konkrete Antworten gefordert sind. Ein Buch kann dafür nur sehr bedingt eine Hilfe sein. Jede Situation ist unauswechselbar. Eine Antwort, die für einen Fall zutreffen mag, kann für einen anderen Menschen falsch sein. Die vorliegende Arbeit will zunächst der Klärung der theologischen Fragen und der Suche nach Möglichkeiten einer erneuerten Praxis dienen. Dennoch sind in Kapitel 11 eine Reihe recht konkreter Fragen aus der Seelsorge zusammengestellt, die immer wieder in Gesprächen auftauchen. Die Antworten versuchen in die Richtung zu weisen, in die man für seine Situation zu sehen hat. Man bedenke jedoch: Solch ein Fragenkatalog kann nie komplett sein und kann auch nie auf die konkreten Probleme eingehen, in denen man selbst steht. Darum seien drei Bitten formuliert:

Bitte helfen Sie mit, den Fragenkatalog in Kapitel 11 zu ergänzen. Er soll möglichst alle Fragen enthalten, die allgemein bedeutsam sind. Bitte helfen Sie mit, indem Sie auf Lücken, Undeutlichkeiten und Missverständlichkeiten hinweisen.

Wer selbst unmittelbar betroffen ist, sei es in eigener Krankheit oder als Mensch, der einen Kranken begleitet, ist gebeten, sich einen Seelsorger zu suchen. In den bedrängenden Fragen der Krankheit sollte man nicht allein bleiben.

Für Mithilfe beim Lesen, kritische Durchsicht und Ermutigung habe ich manchen Menschen zu danken, vor allem meiner lieben Frau und Herrn Prof. Dr. Eduard Buess, dann Frau Dr. med. Verena Schlumpf, Pfr. Dr. Edgar Kellenberger sowie meinen Freunden Christoph Hilty, Pfr. Helmut Burkhardt, Pfr. Dr. Rainer Riesner, Dr. med. Stefan und Irmelin Kradolfer.

Möge das Buch dazu helfen, das Vertrauen in unseren Herrn zu stärken und von ihm zu leben. Jesus Christus ist heute derselbe, der er gestern war. Er wird auch in Ewigkeit derselbe sein.

Wolfgang J. Bittner, Liestal/Schweiz, August 1984

1. Einleitung

»Wenn ihr aber hingeht, so prediget: Das Reich der Himmel ist genaht. Heilet Kranke, wecket Tote auf, machet Aussätzige rein, treibet Dämonen aus!«

Matthäus 10,7f

»Und wo ihr in eine Stadt kommt und sie euch aufnehmen, da … heilet die Kranken, die darin sind, und saget ihnen: Das Reich Gottes ist zu euch genaht.«

Lukas 10,8f

Beide Aussagen der Bibel machen von Anfang an deutlich, dass es sich bei der Frage nach der Krankheit und ihrer Heilung keineswegs um ein Nebenthema handelt. Wir stellen damit die Frage nach dem Auftrag der Jünger und damit zugleich nach dem Auftrag der Kirche. Was hat Jesus seiner Gemeinde zu tun befohlen? Was soll sie im Namen ihres Herrn in dieser Welt ausrichten? Der Auftrag lautet: »Prediget und heilt!« Das Reich Gottes soll den Menschen im Wort der Verkündigung und in der Tat der Heilung nahe kommen. Es ist ein Auftrag, der sich in zwei Grundfunktionen teilt. Von diesen beiden Seiten des einen Auftrags ist die Gemeinde nie entbunden worden.

Teil I: Krankheit und Heilung in der Bibel

2. Krankheit im Alten Testament

2.1. Der Ausdruck »Krankheit« im Alten Testament

Der hebräische Ausdruck, der in unseren Bibelübersetzungen mit »Krankheit« wiedergegeben wird, ist in seiner Bedeutung weitreichend. Er meint ganz allgemein einen Zustand körperlicher Schwäche, die Abwesenheit der vollen Lebenskraft, die einem Menschen gewöhnlich zukommt. Damit sind also auch Zustände eingeschlossen, die wir kaum Krankheiten nennen würden, z. B. Müdigkeit und Erschöpfung. Ja, der Ausdruck umfasst jede körperliche und auch seelische Schwäche, organische Krankheiten und Verwundungen. Der alte Orient kannte bereits genaue Einteilungen von Krankheiten im Blick auf ihr Erscheinungsbild, z. B. »innere Leiden« und »chirurgische Leiden«1. Diese Einteilungen sind aber für das Alte Testament bedeutungslos geblieben.

Bereits dieser erste Einblick ist für uns wichtig. Nach heutigen Begriffen kann ein Mensch gesund sein, doch fehlt ihm – vielleicht bedingt durch Entmutigung, seelische Verletzung oder Beschämung – das, was die Bibel die volle Lebenskraft nennen würde. Auch das ist in der Sprache des Alten Testamentes Schwächung, also Krankheit, im Blick auf die das Fragen nach Heilung aufbricht.

2.2. Der Zusammenhang von Sünde und Krankheit

Entscheidend ist für das Alte Testament, ja für die ganze Bibel, dass Krankheit und Sünde in einem unauflösbaren Zusammenhang zueinander stehen. Krankheit gehört nicht in die natürlichen Zusammenhänge der Schöpfung, sie ist Folge der Schuld und damit ein ständiges, mahnendes Merkmal unserer gestörten Schöpfungsordnung.2 Das wird uns, neben anderen Stellen, im Bericht vom Sündenfall in der der Bibel eigenen Sprache gesagt (Genesis 2,17f; 3,1ff). »Alle Störungen unseres natürlichen Lebensstandes haben ihre Wurzeln im gestörten Gottesverhältnis« (Gerhard von Rad).3

2.3. Krankheit als Vorläufer des Todes

Damit steht uns noch ein weiterer Zusammenhang klar vor Augen. Krankheit ist nicht nur Folge der Sünde, sondern auch ein Vorläufer des Todes. Der Bruch im Verhältnis zu Gott, so sagt uns der Bericht vom Sündenfall, hat dem Tod mitten im Bereich menschlichen Lebens Raum geschaffen. Nun greift er in seinen verschiedenen Ausformungen tief in den Bereich des Lebens hinein, zeichnet und schlägt uns. Trifft uns Schwäche in irgendeiner Form, so bedeutet das für den biblischen Menschen, dass der Tod uns in einen »Zustand relativen Totseins«4 versetzt. »Das physische Sterben ist … Abschluss dieses Einwirkens der Macht des Todes. Das eigentliche Kennenlernen des Todes vollzieht sich im Verlauf des Lebens, nicht erst im Augenblick des physischen Ablebens.«5

2.4. Der Zusammenhang von Individuum und Gemeinschaft

Erkennt man diese Zusammenhänge zwischen Krankheit und Sünde auf der einen und Krankheit und Tod auf der anderen Seite, muss man sofort auf ein mögliches, vielleicht sogar häufiges Missverständnis hinweisen. Schon im Alten Testament, im antiken Judentum, im Neuen Testament und bis in unsere Zeit hinein erhebt sich im Zusammenhang mit einer Krankheit die Frage nach der persönlichen Schuld. Wer ist denn daran »schuld«, wenn ein Mensch krank wird? Kann man nicht aus dem biblisch bezeugten Zusammenhang zwischen Sünde, Krankheit und Tod folgern, die Krankheit eines einzelnen Menschen sei Folge der Sünde eben dieses Menschen? Ist der Zusammenhang also individuell, der Kranke also »selbst schuld«, gestraft für irgendwelche eigene Taten, Unterlassungen oder gar Gedanken? Tatsächlich gibt es in der Bibel Stimmen, die diese Meinung vertreten. Andere dagegen wehren sich leidenschaftlich gegen diese vereinfachende Verknüpfung.6

Man kann sich das Problem an der Argumentation der Freunde Hiobs deutlich machen. Sie bringen in differenzierter Weise die Theologie ihrer Zeit zum Ausdruck, die uns in einfacherer Form als Volksmeinung bis heute begegnet. Man könnte geradezu von einer »Volks-Theologie« sprechen. Sobald man einen individuellen Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit annimmt, kann man gar nicht anders argumentieren. Hiobs Leiden müssen doch Folge einer schrecklichen Sünde sein, die auf ihm oder wenigstens auf seiner Familie liegt. Die »Lösung« wird im kräftigen Hinweis auf die nun erforderliche Buße des Menschen vor Gott liegen. Denn, wäre Hiob unschuldig, wer trüge dann die Schuld? Kann Gott einen schuldlosen Menschen, als der sich Hiob ja weiß, so schwer mit Leiden belasten? Die Weigerung Hiobs, eine Schuld einzugestehen, die es seinem Wissen nach gar nicht gibt, führt zum weitergehenden Argument, es gäbe eben auch verborgene, unbewusste Schuld. Vielleicht könne sie erforscht werden, auf jeden Fall aber habe man für sie Buße zu tun.

Das Anliegen der Freunde Hiobs wird verständlich, sobald man folgendes bedenkt. Im Zusammenhang ihrer Theologie steht hinter jeder Krankheit, hinter jedem Schicksalsschlag die Frage, wessen Schuld hier vorliegt. Wäre bei Hiob wirklich keine Schuld aufweisbar, dann müsste Gott schuldig sein. Und das kann, so lautet unausgesprochen die Überlegung der Freunde, »theologisch« nicht möglich sein. Wenn sie Hiob also zu einer Form des Schuldbekenntnisses nötigen wollen, so tun sie es, um Gott von der Verantwortung für das Leiden zu entlasten.

Um so bedeutungsvoller ist es, dass Gott selbst gegen Ende des Buches Hiob gegen diese Theologie der Freunde leidenschaftlich Stellung nimmt. Er sagt zu einem von ihnen: »Mein Zorn ist entbrannt wider dich und deine zwei Freunde; denn ihr habt nicht recht geredet von mir wie mein Knecht Hiob« (Hiob 42,7). Gott selbst ist es, der sich solche theologischen Entlastungsversuche und damit die Erklärung menschlichen Leidens als einfache Folge von Schuld nicht gefallen lässt.

Zu diesem Problem ist noch eine ganze Reihe weiterer Aussagen der Bibel zu bedenken. Aufgrund konkreter Beobachtung der Vorgänge des täglichen Lebens sieht der Mensch der Bibel, dass konkrete Sünde Schwächung des Lebens zur Folge haben kann. Es wird aber auch genügend deutlich, dass das nicht immer der Fall ist. Schuld und Auflehnung gegen Gott können mit äußerem Wohlergehen verbunden sein, während Gott auf die Reinheit des Herzens mit täglicher Züchtigung antwortet (vgl. dazu Psalm 73)! Weiterhelfen kann uns der Hinweis, dass viele Stellen, die wir in der Bibel als Worte an Einzelpersonen betrachten und darum gerne individuell lesen, eigentlich dem Volk als Gemeinschaft gelten. So wird dem Volk Israel als ganzem gesagt: »Wenn du dem Herrn, deinem Gott, treulich gehorchst und tust, was vor ihm recht ist, … so will ich keine von den Krankheiten über dich bringen, die ich über Ägypten gebracht habe …« (Exodus 15,26). Gott hat das Verhalten der ganzen Volksgemeinschaft im Auge. Der einzelne Mensch hat Teil sowohl am Segen als auch an der Strafe, die von Gott her auf der Gemeinschaft, in der er lebt, liegen. Diese Einsicht ist für unseren Umgang mit der Bibel, aber letztlich auch für das Verständnis der Gegenwart, wichtig und weitreichend. Für unsere Fragestellung bedeutet es, dass nach dem Zusammenhang zwischen persönlicher Schuld und persönlicher Krankheit zwar gefragt werden kann. Doch das allein reicht noch nicht aus, um diesem Problem gerecht zu werden.

Will man vorsichtig eine Antwort formulieren, so muss man zwei Dinge hervorheben. Einerseits stehen wir als Menschen inmitten einer Welt, in der die Sünde weiten Herrschaftsraum hat. Weil in unserer Welt die Sünde herrscht, hat auch die Krankheit Raum. Weil wir als einzelne Menschen in diese Welt hineingeboren sind, darum werden auch wir krank, sind jedenfalls dafür anfällig. So gesehen ist der Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde zunächst nicht individuell, sondern, wenn man so will, universal. Andererseits ist aber auch der individuelle Zusammenhang nicht einfach aufgehoben. Sünde, auch unsere persönliche, ist auf jeden Fall Leben zerstörend. Diese das Leben zerstörende Macht zeichnet einen Menschen, der ihr in seinem Leben immer mehr Raum gibt. Das kann auf vielfältige Weise geschehen, sei es in seelischer Verhärtung bei sonst »blühender Gesundheit«, sei es in seelischer Dunkelheit, in Abnormität oder in körperlicher Krankheit. Es kann aber auch sein, dass im Leben eines Menschen »sichtbare« Folgen völlig ausbleiben.

Knapp zusammenfassend kann man sagen: An der Tatsache, dass Krankheit in der Welt da ist, wird zunächst deutlich, dass Sünde und Tod in unserer Welt noch Raum haben. Man wird nicht ohne weiteres von der konkreten Krankheit eines Menschen auf die Schuld eben dieses Menschen schließen. Der Zusammenhang des Einzelnen mit der Geschichte und der Gemeinschaft, in der er steht, ist der Bibel wichtig und muss auch in der Frage nach der Krankheit wichtig bleiben.7

2.5. Heilung und Sündenvergebung

Wie stark der Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit für die Bibel ist, zeigt sich daran, dass auch Sündenvergebung und Heilung von Krankheit eine unauflösbare Einheit bilden. So lesen wir in Psalm 103,3: »Lobe den Herrn meine Seele … und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat …, der dir alle deine Sünden vergibt und alle deine Gebrechen heilt.« Dieser für die Bibel, für die Botschaft und den Dienst Jesu und seiner Gemeinde zentrale Text bezeugt die zwei Seiten des einen Handelns Gottes: Er vergibt – und zwar alle unsere Sünden! Diese Vergebung schließt aber das andere in sich: Er heilt – und zwar alle unsere Krankheiten! Derselbe Zusammenhang steht hinter dem oft zitierten Wort Gottes an sein Volk Israel: »Ich bin der Herr, dein Arzt« (Exodus 15,26). Auch hier scheint im Zusammenhang des Textes dieselbe Einheit durch. Freiheit von Schuld bedeutet für Israel Freiheit von Krankheit.

Wir trennen in der Praxis unseres Denkens und unseres Dienstes gerne diese beiden Seiten, die in der Bibel eine unlösbare Einheit bilden. Wir suchen Heilung beim Arzt, in einem Kuraufenthalt. Aber das Problem unserer Schuld, die tiefgreifend unser Leben prägt und zerstört, gerät hier kaum ins Blickfeld. Unter Christen wird die Erinnerung an Schuld oft als »Anfechtung« auf die Seite geschoben. Andererseits suchen wir vor Gott Vergebung unserer Schuld und nehmen sie im Glauben für uns an. Aber auch dabei isolieren wir und beziehen nicht das ganze Umfeld unserer Krankheiten in unser Fragen ein.

Für die Bibel sind das nicht zwei getrennte Problemkreise, sondern ein einziger, so wahr auch der Mensch nur einer ist und sein Leben nur eines ist. Gott heilt als Arzt nicht allein die Krankheit des Menschen, sondern er will ihn in seiner Ganzheit heil machen. Gottes heilendes Handeln fasst beide Teile, die wir trennen, zur Einheit zusammen. Vor Gottes Angesicht kommt der Mensch in seiner ganzen Lebenstiefe ins Blickfeld. In der wahren, von Gott geschenkten Heilung wird der Mensch zu einem Leben geführt, in dem alle dieses Leben zerstörenden Kräfte überwunden sind. Für die Bibel sind Sündenvergebung und Heilung von Krankheit zu unterscheiden, aber nicht zu trennen.8

2.6. Gott als Arzt

Wenn Gott zu Israel sagt: »Ich bin der Herr, dein Arzt« (Exodus 15,26), so ist dieses Wort auf dem Hintergrund des ersten Gebotes zu hören: »Ich, der Herr, bin dein Gott … Du sollst keine anderen Götter neben mir haben« (Exodus 20,2–3; Deuteronomium 5,6–7). Nicht nur für die Sündenvergebung ist Gott allein zuständig. Nein, auch in der Suche nach Heilung körperlicher oder seelischer Krankheit bekommen wir es unweigerlich mit dem Ausschließlichkeitsanspruch Gottes zu tun.

Deutlich wird das in dem Bericht, den uns die Bibel über König Asa gibt. Er wurde schwer krank, doch »auch in seiner Krankheit wandte er sich nicht an den Herrn, sondern an die Ärzte« (2. Chronik 16,12). Ärzte gehörten damals zum Kult-personal ausländischer Tempel. Asa suchte Heilung bei Ärzten, die ihren Dienst unter An-rufung fremder Götter betrieben. Der Protest gegen den Arzt ergeht hier vom ersten Gebot aus. Die Frage nach der Heilung trieb Asa von Gott weg in den Bereich fremder Götter. Sie waren doch für Heilung zuständig? Diesen Mächten darf sich aber der Mensch nicht unterstellen. Für Heilung von Krankheit ist der Gott Israels, der in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist, allein zuständig. Er allein ist der Gott, der »tötet und lebendig macht« (Deuteronomium 32,39; 1. Samuel 2,6).

Als Frage, wofür Gott denn eigentlich zuständig sei, behält der Hinweis auf das erste Gebot für unser Thema seine Bedeutung bis heute.9

2.7. Die Hoffnung Israels auf die messianische Zeit

Die Vorstellungen vom Messias und der Endzeit sind weder im Alten Testament noch im antiken Judentum einheitlich gewesen. Es gibt verschiedene Vorstellungsreihen, die mehr oder weniger parallel, zum Teil auch unausgeglichen nebeneinander bestehen und so auch ihr Recht haben. Ihnen gemeinsam ist die eine Hoffnung, dass in einer kommenden, heilvollen Endzeit Gott selbst die Herrschaft über Israel antreten wird. »Der Herr wird dann König sein über die ganze Erde …«, sagt Sacharja (14,6). Dass Gott König sein wird, bedeutet, dass er als König alle feindlichen, das Leben bedrohenden Mächte überwinden und beseitigen wird. Das betrifft einerseits die Mächte der Bosheit, die in der Sünde, in der Krankheit und Schwachheit des Menschen zutage treten, andererseits aber auch die Mächte, die sichtbar in der Form politischer Unterdrückung und Ausbeutung in unserer Welt auftreten. Gottes Herrschaft, Gottes König-Sein beseitigt alles, was Gott im Wege steht und sich jetzt noch als unüberwunden zeigt.

Dieser Vorstellungshintergrund ist für das Verständnis Jesu außerordentlich wichtig. Der jüdische Mensch zur Zeit Jesu lebte in der Hoffnung, dass Gott sein Königtum bald antreten werde. Worauf gründete sich diese Hoffnung?

Beim Prophet Jesaja kann man lesen: »Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten (griechisch: des Evangelisten), der Frieden verkündet, gute Botschaft (griechisch: Evangelium) bringt, der Heil verkündet, zu Zion spricht: Dein Gott ist König!« (Jesaja 52,7). In Israel wartete man zur neutestamentlichen Zeit auf diesen Freudenboten. Wenn er auftritt, dann wird es soweit sein.

Seine Botschaft wird lauten: Jetzt tritt Gott endlich seine Königsherrschaft an.

Nun erhebt sich ein nicht unwichtiges Problem. Woran soll Israel erkennen, ob dieser Bote der rechte Bote, ob sein Evangelium das rechte Evangelium sein wird? Diese Frage ist von Jesaja her und mit Hilfe der Regeln damaliger Bibelauslegung durchaus zu beantworten. Für den Umgang mit der Schrift gab es verschiedene Regeln. Eine davon lautete, dass zwei Bibelstellen, in denen derselbe Begriff vorkommt, zur gegenseitigen Erklärung benützt werden sollen. So kann man danach fragen, wo der Ausdruck »Evangelium« sonst noch zu finden ist. So wird man zu Jesaja 61,1ff finden. Auch dort wird von einem Mann gesprochen. Jetzt erfährt man auch, wer damit gemeint ist: der Messias, der Gesalbte Gottes, der Christus. Er wird die frohe Botschaft, das Evangelium bringen. Damit ist die Identität des Mannes, von dem Jesaja 52,7 sprach, geklärt. Doch was tut er sonst noch? Wozu hat ihn denn Gott gesandt? »Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen [griechisch lautet der Ausdruck hier wieder »Evangelium«], zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, den Gefangenen Befreiung zu verkünden und den Gebundenen Lösung der Bande, auszurufen ein Gnadenjahr des Herrn.« Eng damit verbunden ist die andere Stelle bei Jesaja (35,4ff), die ebenfalls als Wort auf die Endzeit verstanden wurde: »Saget zu denen, die verzagten Herzens sind: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Siehe da, euer Gott! Alsdann werden die Augen der Blinden aufgeschlossen und die Ohren der Tauben werden aufgetan. Alsdann wird der Lahme springen wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen wird jauchzen …« (vgl. auch Jesaja 42,6–7). Diese und weitere Stellen fügen sich zu einem Gesamtbild der Hoffnung auf den Anbruch der heilvollen Endzeit, die Gott einmal heraufführen wird. Alle unheilvollen, Gott und dem Menschen widerstehenden Mächte werden dann gebunden und beseitigt sein; Gott selbst wird seine segensvolle Herrschaft antreten. Auf dieses »Evangelium« wartet man in Israel, darauf, dass der Messias als Freudenbote kommt und sagt: Jetzt ist es soweit. Diese Botschaft ergeht an die Armen, die gebrochenen Herzens sind. Es verkündet eine Befreiung von all den Mächten, die unser Leben in Fesseln hineingezwungen haben. Diese Botschaft wird aber sichtbar – und gerade das soll das Kennzeichen ihrer Echtheit sein – von den Taten der Befreiung begleitet werden: der Heilung von Blinden, von Lahmen, von Tauben, von Stummen (vgl. dazu Matthäus 11,2ff).10

Zusammenfassend kann man sagen: Israel wartete auf den Anbruch der Heilszeit. Gott wird dann seine Herrschaft als König antreten. Das ist mit dem Begriff gemeint, den unsere Bibelübersetzungen mit »Reich«, »Reich Gottes« oder mit »Himmelreich« wiedergeben. Nach dem Zeugnis der Schrift soll dieser Herrschaftsantritt Gottes von einem Freudenboten als frohe Botschaft, als Evangelium verkündet und durch Taten umfassender Befreiung begleitet werden. Vor allem Heilungen hatte man zu erwarten, aber auch die Befreiung von »Fesseln«.11