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DIE SCHWARZE FLEDERMAUS

Band 8

 

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In dieser Reihe bisher erschienen:

 

6001  Der Anschlag von G. W. Jones

6002  Der Sarg von G. W. Jones

6003  Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004  Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005  Tote schweigen nicht von M. Schwekendiek

6006  Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007  Die Spione von G. W. Jones

6008  Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009  Der Flammenpfad von G. W. Jones

G. W. Jones

 

 

Der Kreuzzug

 

 

Die Schwarze Fledermaus

Band 8

 

 

 

 

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© 2016 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Dr. Nicolaus Mathies

Illustrationen: Dorothea Mathies

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Umschlaggestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-008-6

Kapitel 1
Hölle auf Erden

 

Pasquale Morelli befand sich im Freudentaumel. Heute hatte er nach monatelanger Arbeitslosigkeit eine Anstellung beim Bau der neuen Hochstraße quer durch die Stadt gefunden, die ihm über lange Zeit hinweg einen sicheren Lohn bescheren sollte. Die Dreizimmerwohnung, die er nunmehr mietete, war zudem ein Schnäppchen, weil die Mehrheit mittlerweile in solche zog, die man bereits den aktuellen Brandschutzbestimmungen entsprechend renoviert hatte. Auf diese traf das nicht zu. Zwar plante auch Pasquale mit seiner kleinen Familie in eines jener Gebäude zu ziehen, wenn er ein wenig Geld in der Tasche hatte, doch momentan schätzte er sich auch so zufrieden.

Leider bloß handelte es sich bei dem, was er als Glück erachtete, streng genommen um das genaue Gegenteil. Pasquale Morelli – ihm, seiner teuren wie fetten Ehefrau und den sechs bambini – sollte ein grausamer Tod beschieden sein. Die Kinder schliefen jetzt, nachdem sie sich die Bäuche mit guter pasta, Hackbällchen und hartem Weißbrot vollgeschlagen hatten. Rosa, die teure, fette Gattin, lag ebenfalls im Bett. Wer also mochte es Pasquale verübeln, noch zu später Stunde recht lange aufzubleiben, um ein, zwei Gläser vino zu trinken und sich für seinen Dusel selbst auf die Schulter zu klopfen?

Als das Schicksal zuschlug, wusste Pasquale nicht, wie ihm geschah und er hatte kaum Zeit, es herauszufinden. Spielten ihm die Augen einen Streich, oder war er plötzlich betrunken? Er saß mit Blick zur Tür der Küche seiner Wohnung, die im dritten Stock des Hauses lag, als selbige auf einmal vor seinen Augen zerschmolz – wie ein Kerze! Das tat Holz fürderhin nicht, es brannte; selbst Pasquale Morelli wusste dies. Dennoch floss diese Tür einfach dahin, und eine dichte Flammenwand schob sich in den Raum. Pasquale kippte hinterrücks mit dem Stuhl zu Boden, doch sein Instinkt machte ihm Beine, sodass er auf die Zimmer gegenüber der Küche zustürzte, wo friedlich jene sieben Menschen schliefen, die er liebte und nichts von diesem unerklärlichen Schrecknis ahnten. Auf halbem Weg durch den Raum jedoch erfasste ihn das brausende Feuer. Er taumelte noch ein paar Schritte weiter, eine schaurig anzusehende menschliche Fackel, und schmolz dann ebenfalls, ging auf in der Brunst, die der Hölle entstiegen zu sein schien. Die gefräßigen Flammenzungen überrollten ihn wie eine Welle, löschten ihn so schnell und gründlich aus wie eine Ozeanwoge Spuren am Strand. Sogar sein einziger, durchdringender Todesschrei verklang noch in seiner Kehle zu nichts.

 

*

 

Streifenpolizist O’Malley ging gerade um die Ecke. In der 67. Straße lag nichts im Argen, dessen war er sich sicher. Wie er jedoch in die nächste einbog hörte er ein Rauschen, als spanne eine unvermittelte Bö ein gewaltiges Segel auf. Misstrauisch hielt er inne und richtete seine Aufmerksamkeit nach oben. Der Himmel war klar. Dann hörte er das unheilvolle Knistern eines Feuers, und der intensive Geruch von brennendem Holz stieß ihm in die Nase. Als er wieder zurück um die Ecke ging, machte er große Augen: Hausnummer 847 auf der 67. Straße brannte lichterloh! Das fünfgeschossige Gebäude schwankte und bebte wie im Todeskampf. Was noch weniger als eine Minute zuvor ein relativ heiles Gemäuer gewesen war, wie O’Malley mit eigenen Augen gesehen hatte, erwies sich jetzt als loderndes Inferno. Kein Haus, nicht einmal ein altes, in dem viel Holz verbaut war, konnte so rasch abbrennen! O’Malley wusste das, und trotzdem …

Er eilte zum Feuermelder auf der anderen Straßenseite. Nachdem er die Glasscheibe mit seinem Gummiknüppel eingeschlagen hatte, zog er kräftig am Auslöser. „Beeilung!“, rief er dazu, als könne jemand seine Stimme durch die Alarmleitung hören. Noch zur Telefonzelle zu laufen, um die Kollegen zu verständigen, erübrigte sich, denn mit der Feuerwehr würden auch zahlreiche Einsatzwagen vorfahren. So rannte O’Malley auf das hellerleuchtete Gebäude zu. Darin lebten Menschen, die eingeschlossen waren. Er musste etwas unternehmen, um sie zu retten, ahnte aber bereits insgeheim, dass niemand diese Katastrophe überleben konnte. Damit lag er falsch. Ein gellender Schrei übertönte das Tosen der Flammen, ehe er entsetzt mitansehen musste, wie ein Körper durch die Luft trudelte. Dieser lebte noch, als er sich aus einem Fenster in der dritten Etage warf, doch dann schlug er mit einem Übelkeit erregend dumpfen Knall auf dem Gehsteig neben dem Polizisten auf. Es war ein Kind!

O’Malley fluchte, wetterte inbrünstig gegen die unbekannte Macht, die zuließ, dass so etwas mit Kindern geschah. Daraufhin hetzte er zum Eingang des Wohnhauses und achtete darauf, sich die Arme schützend vors Gesicht zu halten – vergeblich allerdings. Die Hitzewelle warf ihn zurück wie eine Riesenfaust. Er sackte unsanft zusammen und blieb sitzen, mit tränenden Augen und Schmerzen beim Atmen. Sein Husten war so arg, dass er glaubte, die Adern in seinem Hals müssten platzen.

Jetzt rannten Leute durch die Straßen, und in den Fenstern erschienen fragende Gesichter. In Panik geratene Anlieger fingen an, ihr Hab und Gut aus den Nachbarhäusern zu werfen. Ein Gewirr unzähliger Stimmen erhob sich gar über das Brüllen des Feuers.

Löschfahrzeuge polterten heran und bremsten mit quietschenden Reifen vor den Hydranten. Männer in Schutzanzügen zogen Schläuche von den Rollen und machten sich geradezu routiniert tatkräftig an die Arbeit. Die Hebebühne eines langen Wagens stieg wie eine Königskobra 50 Fuß in die Höhe, und sogleich spritzte zischend ein Wasserstrahl aus der Düse an der Spitze. Binnen weniger Sekunden bündelten sich 20 regelrechte Sturzbäche, ausgerichtet auf ein einziges Ziel, doch unter den Einsatzkräften gab es niemanden, der nicht wusste, dass alle Anstrengungen, das Gebäude zu retten, nichtig waren. Wenigstens eindämmen mussten sie den Brand, die Flammen davon abhalten, auf die angrenzenden Häuser überzugreifen! Glücklicherweise handelte es sich bei diesen um Konstruktionen aus Stein und Beton. Die Feuerwehrleute schleiften ihre Bewohner nach draußen und spritzten das Mauerwerk ab.

 

*

 

Ein Bereitschaftswagen der Polizei eröffnete sich mit heulender Sirene einen Zufahrtsweg. Eine Gruppe blau Uniformierter sperrte den Schauplatz ab und drängte den Menschenauflauf zurück. Zwei Sanitäter schickten sich an, das tote Kind auf eine Trage zu legen. Kommissar Warner sprang bereits aus dem Streifenwagen, bevor sein Fahrer angehalten hatte. Als er Brandmeister Tuthill inmitten des Getümmels fand, erteilte dieser seinen Männern gerade Befehle durch ein Mikrofon und Lautsprecher, die oben auf einem rot funkelnden Einsatzfahrzeug angebracht waren. Warner zupfte ihn am Ärmel. „Sieht übel aus, Fred! Wie ist das passiert?“ Der Feuerwehrchef kehrte dem führenden Beamten sein rotes Gesicht zu. „Weiß nicht. Ihr Diensthabender meint, es sei einfach so – wusch! – in Flammen aufgegangen. Da ist er ja.“

Streifenpolizist O’Malley stolperte auf seinen Vorgesetzten zu. Seine Augenlider und Brauen waren abgefackelt. Er fasste sich mit einer Hand an den Schirm seiner versengten Mütze. „Sparen Sie sich das“, sagte der Kommissar, wiewohl er stolz darauf war, dass seine Leute selbst dann nicht vergaßen, vor ihren Befehlshabern zu salutieren, wenn sie etwas so verstörte, wie es nun bei O’Malley den Anschein hatte. Dieser berichtete ihm: „Ich schwöre bei allem, was heilig ist, Commissioner: Das Haus war in Ordnung, als ich dort um die Ecke ging, aber keine Minute später brannte es vom Erdgeschoss bis unters Dach!“

Warner runzelte die Stirn. „Sieht so aus, als habe jemand das Gebäude in Kerosin oder Benzin getränkt“, sprach er zu Tuthill. Der Brandmeister schüttelte den Kopf. „Schätze, in dem Fall wäre uns der Gestank aufgefallen. Haben Sie irgendetwas gerochen, als Sie daran vorbeigegangen sind, O’Malley?“

„Nein, Sir, aber ich hätte es mit ziemlicher Sicherheit getan, falls mir etwas ungewöhnlich vorgekommen wäre.“ Er grinste schief. „Ich fing ja in der Werkstatt des Departments an, als ich zur Polizei kam, und habe den Gestank von Sprit hassen gelernt.“

Tuthill spannte grimmig die Lippen an. „In jedem Fall handelt es sich um Brandstiftung, daran besteht wenig Zweifel! Wer auch immer dafür verantwortlich war, kennt weder Gnade noch Gott. Beten wir darum, dass ihm der Anblick seiner Tat auch ihre Entsetzlichkeit vor Augen führt, auf dass er keine weitere mehr begeht!“

„Amen“, ergänzte Warner. Kaum hatte er das Wort geäußert, baute sich ein Feuerwehrhauptmann vor ihm auf. „Ein weiterer Brand im Westen der Stadt, Commissioner“, keuchte er, „und ein schwerer noch dazu. Riecht verdammt stark nach Zündelei!“ Brandmeister Tuthill suchte den Blick des Kommissars. „Vor uns liegt eine Menge Arbeit, Warner!“ Die beiden weit voneinander entfernt tobenden Feuer unter Kontrolle zu bringen dauerte bis zum Morgengrauen. Dann konnten die Truppen in den noch qualmenden Ruinen nach den kohlschwarzen Überresten der Opfer suchen. Deren Zahl belief sich am Ende auf 17.

Kapitel 2
Einladung zum Wagnis

 

Tony Quinn, einst engagierter Bezirksstaatsanwalt, saß mit der Morgenzeitung am Frühstückstisch, die auf einem Leseständer vor ihm klemmte. Seine scharfen Augen schauten finster drein, während er die traurige Nachricht las, die darin gedruckt stand.

„17!“, murmelte er. „17 Leben bei zwei Bränden dahingerafft! Da juckt es doch jeden Mann in den Fingern, diejenigen am Kragen zu packen, die dafür verantwortlich sind, Silk!“

„Stimmt, Sir.“ Ein erbittertes Lächeln umspielte Silk Kirbys Lippen. Der Tonfall von Quinns Stimme verhieß Abenteuer, und solche mochte sein Hausdiener über alle Maßen. Der ehemalige Trickbetrüger hatte viele erlebt, seit er mit dem Mann übereingekommen war, den man fortan kennen sollte als: die Schwarze Fledermaus. Silk Kirby hatte sich während eines Großteils seiner auf leichtem Fuß verlebten 40 Jahre als Kleinganove verdingt, durfte sich aber damit brüsten, sein Gewerbe nie auf Kosten redlicher Leute ausgeübt zu haben. Seine Opfer beschränkten sich auf diejenigen, die ihrerseits andere drangsaliert hatten.

Auf einer Durststrecke dann war er zu seinem ersten und letzten Einbruch genötigt worden. Das Schicksal hatte ihn zum Haus von Tony Quinn geführt, der damals noch im Amt gewesen war. In jener Nacht erwies sich Silk nicht als einziger Eindringling: Der zweite war ein Gangster, der den Anwalt im Schlaf umbringen sollte. Ohne Silk hätte Quinn den Tod gefunden, und kurz darauf entwickelte sich zwischen den beiden eine jener eigentümlichen, aber innigen Freundschaften, die weit über das normale Verhältnis von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer hinausgingen.

Während Silk nun frischen Kaffee in Quinns Tasse goss, läutete es ungeduldig an der Tür, woraufhin er Zeitung und Ständer umgehend vom Tisch verschwinden ließ. Gleichzeitig schien sich ein Schleier über Quinns Augen zu senken und darauf liegenzubleiben, um ihren aufgeweckten Ausdruck zu einem hohlen Starren abzustumpfen. Wie sich der Butler zur Haustür bewegte, stand Quinn auf und nahm einen mit Gummi ummantelten Gehstock zur Hand, der stets griffbereit stand, wenn er sich zu Hause aufhielt. Als sich die Tür vor Kommissar Warner und Lieutenant McGrath öffnete, ging der Blick des Hausherrn müde über die Schultern der beiden hinweg. „Commissioner Warner und Lieutenant McGrath“, kündigte Silk ohne das geringste Mienenspiel an, obwohl ihn diese aberwitzige Situation stets in Verlegenheit brachte.

Quinns Züge klarten zu einem herzlichen Lächeln auf, und die tief vernarbte Haut rings um seine Augen spannte sich. „Sehr erfreut, Warner, guten Tag, Lieutenant. Treten Sie doch ein, bitte.“

Er drehte sich um und wäre fast über einen Stuhl gefallen, hätte Warner ihn nicht festgehalten. „Danke sehr, Commissioner. Wie ungeschickt von mir!“ McGrath betrachtete Quinn skeptisch. Manchmal wäre er zu schwören bereit gewesen, der Ex-Jurist sehe genauso deutlich wie jedermann, falls nicht sogar besser, aber dann leistete er sich einen solchen Beinahe-Schnitzer wie gerade eben.

Warner war aufgewühlt. „Tony“, hob er an, „haben Sie die Morgennachrichten gelesen?“ Sofort besann er sich. „Oh, tut mir leid, Sportsfreund. Ich vergaß …“

Quinn unterbrach ihn. „Dass ich blind bin? Kein Grund, sich zu entschuldigen, Commissioner. Wer schon so lange ohne Augenlicht lebt wie ich, reagiert nicht mehr allzu empfindlich darauf, aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich habe die Nachrichten gelesen – durch Silks Augen. Furchtbare Sache!“ Er ballte seine herabhängenden Hände zu Fäusten, derweil die Sehnen an seinem Hals hervortraten. „Zu Anlässen wie diesem bedauere ich meine Behinderung ganz besonders schmerzlich.“

Der Kommissar legte beherzt eine Hand auf Quinns Schulter. „Das kann ich nachvollziehen, Tony.“

McGrath schaute den Anwalt im Ruhestand immer noch verwirrt an. „Ich dachte mir“, bemerkte er, „dieser Fall sei genau von der Sorte, für die sich die Schwarze Fledermaus interessiert.“ Falls er darauf spekulierte, Quinns Gesichtsausdruck gebe etwas preis, musste er sich enttäuscht sehen: Im steinernen Antlitz des Mannes regte sich nichts.

„Ich bin es langsam leid, McGrath!“, brauste der Kommissar auf. „Wann bekommen Sie es in Ihren Dickschädel, dass zwischen Tony Quinn und der Schwarzen Fledermaus keinerlei Verbindung besteht?“

„Verzeihung“, entgegnete der Lieutenant kleinlaut.

„Alles nur halb so wild“, beschwichtigte Quinn. „Genaugenommen fühle ich mich durch den Verdacht des Lieutenant durchaus geehrt. Die Vorstellung, ich könne selbst die Schwarze Fledermaus sein, finde ich ausgesprochen romantisch. Wäre sie doch bloß wahr! Wie dem auch sei, ich gehe davon aus, dass Sie, meine werten Herren, nicht hergekommen sind, um sich über die Schwarze Fledermaus zu unterhalten.“

Warner bestätigte: „Nein, obschon es mir nichts ausmachen würde, ihn im Einsatz gegen die Subjekte zu sehen, auf deren Konto die gestrigen Missetaten gingen. Als Polizeikommissar steht es mir eigentlich nicht zu, das zu sagen, weil sich die Schwarze Fledermaus, so erfolgreich sie gegen die Feinde der Gesellschaft vorgehen mag, unlauterer Methoden behilft. Ich müsste den Kerl festnehmen, böte sich mir die Gelegenheit dazu.“

Quinn lächelte erneut. „Und da Sie gemeinsam mit Lieutenant McGrath ermitteln, sollte sich die Schwarze Fledermaus eher vor Ihnen als vor ihren Gegnern in Acht nehmen.“

Warner nahm eine Zigarre aus seiner Westentasche und biss deren Kopf unwirsch ab. „Als Sie noch Bezirksstaatsanwalt gewesen sind“, versetzte er, „verschafften Sie sich Einblicke in die Konten mehrerer mächtiger Bürger dieser Stadt.“

Quinn nickte. „Ja und, Commissioner?“

„Die Nachforschungen“, so Warner weiter, „förderten hinreichende Beweise zutage, um einige sogenannte Säulen unserer Gesellschaft an den Pranger zu stellen, die auf der Grundlage von Kommunalverträgen und ähnlichem Stadtgelder veruntreuten. Wenn ich mich recht entsinne, zählte Amos Willard zu denjenigen, die sie durchleuchteten, jedoch ohne fündig zu werden.“

„Richtig“, bekräftigte Quinn. „Amos Willard gehörte zu den engsten Freunden meines Vaters, doch sein Einkommen rechtfertigte mein Nachhaken in jedem Fall. Umso zufriedener war ich, als ich herausfand, dass er absolut ehrlich und über jeglichen Zweifel erhaben war.“

„Sind Sie sich dessen so sicher?“ Da richtete sich Quinn auf, zu voller Körpergröße von mehr als sechs Fuß. „Ich denke, Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass ich unmöglich Partei hätte ergreifen können …“

„Natürlich, Tony“, beruhigte Warner ihn. „Entschuldigung, aber das Ärgerliche ist jetzt gerade, dass Amos Willard allem Anschein nach bis über beide Ohren in diesem Fall von Brandstiftung steckt!“

„Sie machen Witze!“

„Leider nicht. Ihm gehörten die beiden Wohnhäuser, die letzte Nacht abgebrannt sind, und da sie rundum versichert waren, darf Willard nun einen Betrag einstreichen, der den tatsächlichen Wert der Immobilien wegen der schwachen Marktlage momentan deutlich übersteigt.“

Quinn streckte einen Arm nach hinten aus, um nach einem Sessel zu tasten. Schließlich nahm er Platz. „Ich würde beide Hände für Willards Unschuld ins Feuer legen! Das ist unfassbar!“

„Warten Sie auf die nächste Ausgabe der Zeitung“, warf McGrath ein. „Die erste erschien zu früh, um die Hintergründe gänzlich offenzulegen, doch wenn man darauf stößt, dass es sich bei beiden Häusern um ein und denselben Eigner handelt, gibt es kein Halten mehr.“

„Lynchjustiz durch die Presse“, schnaubte Quinn verächtlich. „So läuft es heute allzu oft. Commissioner, Sie sind hier, weil Sie erfahren möchten, was ich von Amos Willard halte; meiner Einschätzung nach zu urteilen kann er sich einer solchen Tat einfach nicht schuldig gemacht haben. Er ist nicht mehr der Jüngste und zudem gesundheitlich angeschlagen. Hoffentlich lassen Sie sich nicht von der Klatschpresse dazu verleiten, ihn festzunehmen, solange Sie keine Indizien dafür haben, dass er definitiv dahintersteckt.“

Kommissar Warner schlug einen besorgten Ton an. „Das sagt sich so leicht, Tony, aber für die Polizeistelle ist es ein ständiges Kreuz, die Anmaßungen der Presse zu hören und auf die davon beeinflusste öffentliche Meinung einzugehen. Dennoch gebe ich Ihnen mein Wort darauf, dass wir Willard nicht eher kassieren, bis wir es müssen.“ Lieutenant McGrath hatte sich vors Fenster gestellt. Die Jalousien waren wegen der gleißenden Sonne heruntergezogen worden, und er nestelte an einer, nur scheinbar gedankenlos, bis sie plötzlich an ihrer Rolle nach oben schnellte. Ein blendend heller Lichtstrahl fiel genau in Tony Quinns Gesicht, doch einmal mehr sah sich McGrath enttäuscht, denn die Augen des früheren Anwalts zeugten keinerlei Reaktion. Er starrte ohne zu blinzeln dagegen an.

„Teufel auch!“, fluchte der Lieutenant leise.

„Was war das?“, fragte Quinn im geruhsamen Ton. „Es klang, als hätten Sie eines der Rollos schießen lassen.“

Der Kommissar war wütend. „McGrath ist schuld, er musste sich mal wieder zum Narren machen! Eines Tages, Lieutenant, werde ich sie wieder in eine Uniform stecken und ihnen einen Schlagstock in die Hand drücken!“

Indem sich Quinn den Stock vorhielt und an dessen Spitze orientierte, begleitete er die beiden Beamten zur Tür. Dort streckte er die Rechte aus, um sie McGrath zu reichen. „Schönen Tag noch, Commissioner“, verabschiedete er sich freundlich. Der Lieutenant ließ die Finger los, als seien sie glühend heiß. „Ich bin nicht der Commissioner!“, blaffte er.

„Oh, tut mir leid“, entschuldigte Quinn. „Eines der schlimmsten Ärgernisse des Blindseins besteht darin, dass man ständig peinlichen Irrtümern aufsitzt.“

Nachdem die Polizisten aufgebrochen waren, verfolgte Quinn seinen Weg zurück ins Wohnzimmer. Kirby zog die Jalousien schon wieder herunter. „Haben Sie es mitbekommen?“, fragte Quinn.

„Ja, Sir“, antwortete Silk grinsend.

Sein Freund legte den Stock über ein Sesselpolster und rieb sich die Augen. „Diesmal hätte McGrath mich beinahe bloßgestellt, dieser ewige Stutzer! Das Licht tat verflixt weh, aber sei es drum; wie schätzen Sie die Situation ein, Silk?“

Der Diener zuckte mit den Schultern. „Ich bin natürlich nicht mit Amos Willard vertraut, doch zuweilen kommt es vor, dass selbst besonders rechtschaffene Männer auf die schiefe Bahn geraten.“

„Und umgekehrt genauso, nicht wahr?“

Silk zwinkerte und grinste reuig. „Jawohl, Sir, doch um auf weniger persönliche Angelegenheiten zurückzukommen: Mir ist aufgefallen, dass Kommissar Warner Sie indirekt dazu ermutigte, sich auf diese Sache einzulassen. Sicher, auch er hegt wie McGrath von jeher den Verdacht, sie seien die Schwarze Fledermaus.“

Quinn trank seine Kaffeetasse leer. „Tja, Silk, die Fledermaus schlägt Einladungen ungern aus, egal wie wenig sie der Förmlichkeit entsprechen.“

Damit schritt er zum Kamin und schob eine Hand unter die Ziegelverkleidung, um einen versenkten Federmechanismus zu betätigen. Wie von selbst klappte der gesamte Sockel an gut geölten Scharnieren zur Seite und öffnete den Zugang in einen kleinen Raum mit vollständig ausgestattetem Kriminallabor. Darin hingen auch die Kleider der Schwarzen Fledermaus und in einem Schrank eine Sammlung tödlicher Waffen.

Quinn zog seinen hellgrauen Anzug aus und schlüpfte in die einheitlich schwarzen Teile. Ein Hut mit breiter Krempe, die er sich ins Gesicht zog, verhehlte die bestürzenden Narben um seine Augenpartie weitgehend. Zuletzt steckte er zwei Automatikpistolen vom Kaliber .38 in Halfter links und rechts unter seinen Armen. „Nur sicherheitshalber“, erklärte er. „Ich rechne nicht damit, schießen zu müssen.“

„Sie suchen Amos Willard auf, nehme ich an?“

Quinn nickte. „Schauen Sie nicht so verdrießlich, Silk. Wir alle werden noch gebührend zum Zug kommen, bis dieses Ding vom Tisch ist; ansonsten müsste ich mich gewaltig verschätzen. Kein dahergelaufener Pyromane zündet gleichzeitig zwei Gebäude an, die meilenweit voneinander entfernt sind.“ Er bückte sich, und kaum dass er den Fußboden berührte, ging eine gekonnt versteckte Falltür auf. Darunter führte eine Leiter mit Eisenstufen in einen halbdunklen Tunnel. Quinn machte sich auf den Weg.

Silk klopfte seinem Arbeitgeber noch Staub von den Schultern. „Sie hatten das Kostüm schon länger nicht mehr an, Sir.“

Nachdem Quinn im Finsteren verschwunden war, schloss sich die Falltür lautlos. Die Schwarze Fledermaus ging wieder um!

Kapitel 3
Im Ringen mit dem Gesetz

 

Der lange Gang führte die Schwarze Fledermaus an einen anderen Einstieg, der in einer kleinen Laube an der hinteren Grenze seines Grundstücks lag. Sie stand an einer ruhigen Straße, auf die sich Quinn wagte, nachdem er sich behutsam vergewissert hatte, nicht von Passanten beobachtet zu werden.

Ein Stück weiter unten in der Gasse stand ein schwarzer Kleinwagen am Bordstein, ein gebräuchliches wie unauffälliges Fabrikat. So glanzlos das Coupé auch wirkte, ruhte unter seiner schnöden Haube ein frisierter Motor, der das Fahrzeug auf über 110 Meilen pro Stunde beschleunigen konnte Die Fledermaus stieg ein und betätigte die Zündung. Gemächlich und achtsam, die Krempe seines Hutes tief ins Gesicht gezogen, fuhr er durch die Stadt. Bei der Polizei arbeitete kaum jemand, der Tony Quinn nicht vom Sehen kannte, und jeder hielt ihn für blind. Man ging davon aus, nachdem ihm ein verzweifelter Kriminelle während einer denkwürdigen Auseinandersetzung in einem Gerichtssaal Säure in die Augen gespritzt hatte, gebe es keine Hoffnung mehr für ihn, je wieder etwas zu sehen. Monatelange, qualvolle Finsternis, das glaubten die Leute ebenfalls zu wissen, hatte die Kampfbereitschaft des außer Gefecht gesetzten Anwalts auf die Probe gestellt, während er zu den entlegensten Orten der Welt gereist war, um einen Spezialisten zu finden, der ihm etwas Zuversicht spenden konnte, sein Augenlicht zurückzuerhalten. Diese Suche sei angeblich erfolglos geblieben.

In Wirklichkeit jedoch hatte ein zwielichtiger Arzt im Mittleren Westen Quinns Sehvermögen wiederherstellen können, nicht ohne das Zutun einer jungen Frau namens Carol Baldwin. Es war ihr Vater, der seinen Verletzungen nach einem Attentat durch die Unterwelt erlag und Tony Quinn seine Augen zur Verfügung stellte, dies unter der Bedingung, dass der Geheilte seine wiedergewonnenen Sinne in den Dienst des endlosen Kampfes gegen das Verbrechen stellen würde. Quinn hatte dieses Versprechen mit Freude abgegeben und seitdem gehalten – als Schwarze Fledermaus, Fluch der Gesetzlosen und selbst am Rande des Legalen! Die Maske vorgeblicher Blindheit erwies sich der Fledermaus bislang als wertvolle Hilfe. Niemand hätte geahnt, Tony Quinn könne, seines Sehsinns beraubt, mehr sein als ein bedauernswerter Mensch, und dies passte Quinn nur zu gut ins Konzept. Es ermöglichte ihm, die Rolle der Schwarzen Fledermaus anzunehmen und gab ihm die Freiheit, seine erbarmungslose Offensive gegen die Horden des Bösen zu lancieren.

Zehn Minuten später hatte er die vornehme Siedlung erreicht, in der Amos Willard ein Apartment bewohnte. Vor dem Haus war eine Menge zusammengekommen, die sich zusehends vergrößerte. Quinn sah Leute mit hochgehaltenen Fäusten drohen und hörte aufgebrachte Rufe. „Mörder!“, skandierte man. „Wir zeigen ihm, was Gerechtigkeit bedeutet!“ Eine Kette von Polizisten hielt den Mob vom Eingang des Gebäudes fern. Die Absichten dieser Menschen waren offensichtlich: Aufgestachelt nach der Tragödie in der vorangegangenen Nacht zeigten sie sich bereit, den erstbesten Verdächtigen zu richten.

Nachdem die Schwarze Fledermaus mit dem Coupé in eine Seitengasse gebogen war, hielt er an. Er machte zwei Wachleute am Nebeneingang aus. Sie zu überlisten sollte mit etwas Glück möglich sein. Zunächst öffnete er ein kleines Fach auf der Sitzbank des Wagens und entnahm eine handliche, fast runde Kugel. Diese steckte er in eine Tasche seines Oberteils, bevor er ausstieg und zurück vors Gebäude ging. Die Meute und die Beamten waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf den großen Mann in Schwarz zu achten, der seine Züge unter einem breiten Schlapphut verbarg. Quinn zog das kleine Objekt heraus und legte einen kurzen Hebel daran um, der bündig in der Oberfläche versank. Schließlich beugte er sich vornüber, um es sachte auf die Menge zurollen zu lassen.

Nicht lange, und etwas Rauch entströmte. Dieser wuchs sich zu einer beachtlichen Wolke aus und waberte in dicken Schwaden weiter. Lautstarke Unruhe kam auf, ehe geschah, was die Schwarze Fledermaus erwartete: Ein Polizist ließ seine Pfeife schrillen, wohl weil er meinte, dies sein ein Trick von Seiten der Zivilisten, um sich Zugang in das belagerte Haus zu verschaffen, und genau dies rief die beiden Wachen auf den Plan, die nun ihren Posten am Seiteneingang verließen. Als sie zum Vorschein kamen, lief einer so dicht an Quinn vorbei, dass er ihn streifte. Er selbst schlich nun seinerseits flugs und geräuschlos wie ein Schatten um die Ecke. Im Nu hatte er das Schloss der Tür überwunden und stand im pechschwarzen Interieur des Gebäudes, wo er kurz innehielt. Er langte unter seinen Mantel, nahm eine Haube hervor und zog sie sich über den Kopf. Sie machte die Narben und seine Züge unkenntlich. An seinen Schultern befestigte er noch einen leichten, markant zugeschnittenen Umhang. Wie er nun weiterging, ähnelte er optisch dem nachtaktiven Tier, das ihm den Namen Schwarze Fledermaus verlieh.

Der Fußboden war übersät mit Müll und umgestoßenen Kehrichteimern, doch er wich allen Hindernissen ohne Mühe aus, als sei er dazu in der Lage, im Dunkeln so deutlich zu sehen, wie es jeder normale Mensch bei Tageslicht vermochte, und tatsächlich konnte er genau dies! Die nahezu magischen Fähigkeiten jenes Augenchirurgen hatten Wunder gewirkt. Dank feinster Änderungen an den Netzhäuten und Linsen der transplantierten Organe ward ihm die Gabe verliehen, den Nebel der Finsternis zu zerstieben.

Den Lastenaufzug, ein automatisches Modell, fand er prompt. Er betrat die enge Kabine und drückte den Knopf zur Etage unterm Dach, wo sich Willards Penthouse befand. Als Tony Quinn hatte er ihn früher häufiger besucht.

Der Fahrstuhl stieg gleichmäßig und leise auf, doch die Fledermaus war angespannt. Sobald er oben ankam, würde sich die Tür von selbst öffnen, Er hielt den Finger über den Knopf, der den Aufzug wieder nach unten befördern sollte, und diese Vorsichtsmaßnahme stellte sich als notwendig heraus: Die Kabine hielt an, und als die Tür aufging, sah die Fledermaus den breiten Rücken eines weiteren Polizisten, der über den Flur schlenderte. Somit ging es nun wieder abwärts, aber nur ein Stockwerk tiefer. Dort trat Quinn zögerlich auf den Gang und stakste vorwärts, leise dank der Gummisohlen seiner Schuhe, bis zu einem Fenster. Streng genommen war dies die obere Etage des Hauses, denn das Penthouse befand sich ja auf dem Dach.

Indem er heimlich durch die Scheibe spähte, entdeckte die Fledermaus ein Sims an der Fassade sowie, etwas weiter die Mauer entlang, hervorstehende Steine, die ihm beim Klettern dienlich sein mochten. Der Versuch war mit einem hohen Risiko verbunden. Eine große Gefahr bestand nicht allein darin, abzurutschen und einen dramatischen Tod auf dem Straßenpflaster zu finden, sondern auch in der Möglichkeit, gesehen zu werden. Letzteres zwang Quinn dazu, sich noch länger zurückzuhalten. Allerdings gelangte er zu dem Schluss, jede neugierige Person aus der Nachbarschaft habe sich vor dem Gebäude eingefunden, wo die Mehrheit versammelt war und man etwas erleben konnte. Folglich trat er hinaus auf den Vorsprung, wo sich ihm das acht Stockwerke tiefe Gefälle auftat.

Beim Klettern packte er die hervorragenden Ziegel fest, doch auf halbem Weg nach oben rutschten seine Finger von der Mauer, und einen schrecklichen Moment lang schien es, als müsse er seinem Ende entgegenstürzen. Seine Stirn triefte vor Schweiß, und die Muskeln taten ihm weh, während er sich verbissen an die glatte Front klammerte. Letztlich gelang es ihm, sich zum flachen Dach hochzuziehen. Ein kurzer Blick genügte, um sicherzugehen, dass sich dort sonst niemand herumtrieb. Die Terrassenwohnung wirkte eher plump. Wie er eines ihrer Fenster erreichte, fand er es verschlossen vor, und die Vorhängen hatte man zugezogen.

„Dem alten Mann haben sie die Pferde wohl ordentlich scheu gemacht“, flüsterte Quinn bei sich. Die Rufe der Meute drangen von der Straße herauf. „Durchaus verständlich“