Der Liebe Leben ist schnell vollbracht,
Es keimet, es reift in einer Nacht;
Frühmorgens erwacht,
Noch eh du's gedacht,
Hüpfts Kindlein frisch
Durch Blütengebüsch,
Und regt die Glieder
Mit Macht, mit Macht.
Kommts Abendroth,
Ists Kindlein todt,
Es legt sich nieder,
Ersteht nicht wieder,
Ist nimmer erwacht,
Gute Nacht, gute Nacht!
Dein Lauf ist vollbracht,
Dein Grab ist gemacht,
Gute Nacht, gute Nacht!
Erwach, o Licht des Gesanges,
O Licht der Erinnerung!
Rings am Himmel ist banges
Gewölk der Trauer genung.
Es soll in meinem Herzen
Nicht auch noch finster seyn.
Dazu in der Nacht hat man Kerzen,
Wenn aus ist Sonnenschein.
Den Schein der Sonn' ersetzen,
O Kerze, kannst du nicht;
Doch kann das Auge sich letzen
An keinem anderen Licht.
Ich zag' ums Herz, wie lang es
Ist ohne Freudenschwung;
Erwach, o Licht des Gesanges,
O Licht der Beseligung!
Wach, holden Überschwanges,
O Licht der Erinnerung,
Bis ich beschwichtigten Dranges
Schlaf ein in Dämmerung!
In meine häuslichen Lieder,
Das Tagebuch meiner Lust,
Schrieb ich mit Freuden bewußt
Nur Freudengewinnste nieder,
Nie schrieb ich einen Verlust
In meine häuslichen Lieder.
In meine häuslichen Lieder
Schreib' ich nun euern Verlust.
So hat sich schließen gemußt
Die Rechnung! und wohl nicht wieder
Schreib' ich sobald eine Lust
In meine häuslichen Lieder.
Meine Klagen sollen lieblich wallen,
Den Kristallen gleich im Frühlingsbache,
Die mit Ache hüpfen auf am Strande,
Wo vom Rande sich zwei Blumen neigen
Und mit Schweigen sich im heiterblauen
Spiegel schauen, aber, eingeladen
Sich zu baden, scheu zurück sich biegen,
Und sich schmiegen, alsob sie sich schämen;
Doch mit Grämen trüben ihren hellen
Blick die Wellen, die vorüber müßen,
Schmerzlich grüßen sie im Weitereilen,
Möchten weilen, müßen doch entjagen.
Meine Klagen sollen lieblich wanken,
Wie die Ranken sich am Boden dehnen,
Auf sich sehnen nach der Lebensflamme,
Nach dem Stamme, der zum Himmel steiget,
Der sich neiget, wenn ihn rühren linde
Frühlingswinde, doch die stolzen Glieder
Hebt er wieder, ohne sich der armen
Zu erbarmen, die umsonst sich mühen
Aufzublühen, jede Luft benützen,
Falsche Stützen, die sie nur erheben,
Um mit Beben fallen sie zu lassen
Auf den nassen Grund, wo sie verzagen.
Meine Klagen sollen lieblich stöhnen
Gleich den Tönen holder Nachtigallen,
Die vor allen, Rose, dich zu lieben
Sind getrieben, und die Blumenschaaren
Nicht gewahren, die zu den Gesängen
Rings sich drängen, doch nur dir zum Preise
Tönt die Weise: Ros' im Brautgemache
Wach', erwache! Tritt vom Duft der Träume
In die Räume, daß die rauhe Erde
Lieblich werde, daß des Todes Bleiche
Schamroth weiche, wenn mit Brautgesange
Dir die Wange röthet unser Schlagen.
Was an dir des Tods Unbilden
Frevelten, hat mit dem milden
Zauberstab gerochen
Poesie, die soviel Leben
Dir bemüht ist zuzugeben,
Als das Schicksal dir hat abgebrochen.
Armer Stab! ihm, der so wichtig
Sich geberdend, ist so nichtig,
Sei der Stab gebrochen!
Frommen dir die Zauberweisen,
Die dich in den Himmel preisen,
Da der Tod dich hat ins Grab gesprochen?
Doch sie sollen dir nicht frommen,
Sondern uns zu Gute kommen,
Übers Grab gesprochen;
Dir nicht sollen sie dein Leben,
Sondern uns zurück es geben,
Denn nur uns, nicht dir wards abgebrochen.
Hab' ich jetzt erst eingesehn,
Was mir Schönstes lebte,
Seit es mir gestorben ist?
Nein, ich wußt' es lange.
Wollt' es nur nicht eingestehn,
Weil vor dir ich bebte,
Schicksal, das du neidisch bist
Allem Überschwange.
Nun das Unglück ist geschehn,
Und die Zierd' entschwebte,
Nicht mehr deine Hinterlist
Fürcht' ich nun, o Schlange.
Und im Liede soll es stehn,
Daß ein Schönstes lebte
Und mir leben jeder Frist
Soll es im Gesange.
So kurz war euer Beider Leben,
Von euch ist wenig zu berichten
In Staats- und Zeit- und Weltgeschichten;
Es muß, euch irgend zu erheben,
Der Leichenstein so wie daneben
Der Leichenprediger verzichten;
Und nur der Liebe könnt ihr geben
Stoff zu unendlichen Gedichten.
Ich fürcht', es war Entweihung
Der stillen Häuslichkeit,
Daß ich sie der Beschreiung
Liebloser Welt geweiht;
In manchem Lied, gedichtet
Aus meiner Kinderwelt,
Die wie ein Traum vernichtet
Jetzt auseinander fällt.
Und recht als wie zum Hohne,
Da sie zusammenbrach,
Kommt an mit Sündenlohne
Der neuste Almanach.
Das Honorar, das reiche,
Das man dem Vater gab,
Reicht, um der liebsten Leiche
Zu kaufen grad ein Grab.
Und hab' ich mich versündigt,
Daß statt des Herzens Schlag
Der Harfe Schlag verkündigt,
Was mir am Herzen lag?
Nicht hab' ich mich gerühmet,
Doch hab' ich mich gefreut,
Und mir den Pfad beblümet,
Der mir nun Dornen beut.
Die allgemeine Sünde
Der Dichtkunst war es nur,
Zu decken auf die Gründe
Der innersten Natur.
Und wie die Lust erklungen
Aus meiner Siedelei,
Sei nun das Leid gesungen,
Und ob es Sünde sei.
Im Verluste zu gewinnen,
Ist ein schwieriges Beginnen,
Und gelinget andern nie
Als der Lieb' und Poesie.
Liebe läßt sich nichts entrinnen,
Hat nicht außen, sondern innen;
Und das Nichts, sie weiß nicht wie,
Macht zum Etwas Poesie.
Nicht dahin ist, was von hinnen,
Bleibt im Sinn, nicht in den Sinnen;
Fest auf ewig haltens die
Beiden, Lieb' und Poesie.
Manches ist mir doch beschieden,
Daß ich wohl zufrieden
Dürfte sein, so viele Gaben,
Die nicht viele haben,
Unerschöpflich reiche Flüsse
Eigenster Genüsse,
Und nicht minder solche Leiden,
Die mir würde neiden
Wer, wie sie herzlieblich brennen,
Könnte recht erkennen,
Und wie sanft, wers könnte fühlen,
Sie sich selber kühlen;
Wie der Speer die Wunde heilet,
Die er hat ertheilet,
Wie die Aerzt' aus Bitterkeiten
Arzeneyn bereiten,
Und zur süßen Kost der Bienen
Gräberblumen dienen.
Musen, meine Freundinnen,
Oft schon in betrübten Lagen
Brachtet ihr mir Trost ins Haus,
Nie doch wie in diesen Tagen,
Als die lieben Kinder mir
An der Seuche niederlagen,
Deren Todesfunken so
Leicht ansteckend weiter schlagen,
Freunde viel und Freundinnen
Zählt' ich sonst mit Wohlbehagen
In der Stadt, die gegen mich
Jeder zarten Sorgfalt pflagen;
Doch für eigne Kinder jetzt
Hatten Sorge sie zu tragen,
Keiner durfte einen Schritt
In mein Haus zu setzen wagen,
Aus gerechter Furcht, das Gift
In sein eignes Haus zu tragen.
Keiner kam, um meinem Tod
Oder Leben nachzufragen,
Keiner, um aus Freundes Mund
Mir ein Trostwort anzufragen,
Und mit mir zu klagen, als
Lag mein Liebstes auf dem Schragen.
Ihr nur, meine Freundinnen,
Ließet nicht in Furcht euch jagen;
Denn ihr wisset, Himmlische,
In die Flucht die Furcht zu schlagen,
Und Ansteckung droht euch nicht;
Darum dürft ihr mit mir klagen,
Krankenwärterinnen seyn,
Und die Küchenschürze tragen.
Und solang' ihr bei mir seid,
Wird mein Herz nicht ganz verzagen;
Und solang' ihr tragen helft,
Trag' ich muthig alle Plagen.
Drum vor allen Freundinnen,
Ohne eine zu verklagen,
Weil sie sterblich, hab' ich Dank
Euch, Unsterbliche, zu sagen.
Also sei ich selbst, und also mein Gedicht,
Wie die Stechpalm' unten rauh von Blättern sticht,
Wo das Vieh sie wollte nagen;
Aber oben stechen ihre Blätter nicht,
Um mit Schaukeln Himmelslüfte, Frühlingslicht,
Oder Vogelsang zu tragen.
Immer that ich ihren Willen
Meiner Dichtung, und sie meinen;
Herzbedürfnisse zu stillen,
Seh ich immer sie erscheinen.
Und so kommt sie nun, zu weinen
Mit mir um zwei theure Schatten;
Sollten wir's uns nicht gestatten?
Die von mir das Leben hatten,
Haben es zu früh verloren;
Soll die Mutter ihrem Gatten
Haben sie umsonst geboren?
Nein, ich hab' es mir geschworen,
Euer Leben fort zu dichten,
Daß mir nichts es kann vernichten.
Pflegte stets die Poesie
Mir den Zustand zu begleiten,
Doch im Anfang pflegte sie
Zu begleiten ihn vom weiten.
Immer näher ist gerückt
Dann dem Zustand sein Erkennen,
Und nun ist es so geglückt,
Daß nicht beide sind zu trennen.
Freilich bist du selber krank,
Wenn du singst, wo Kinder sterben;
Doch der Krankheit sage Dank,
Die dir bricht des Todes Herben.
1.
In Gesichten und Gedichten
Was mir Schönstes je erschienen,
Habt ihr alles überschönet;
Und ich staunte, daß ich lebend
Sollt' in euch vor Augen sehen,
Was ich nur geglaubt, es lebe
In Gedichten und Gesichten.
Aus Gedichten und Gesichten
Daß wie Bilder aus dem Rahmen
Ihr heraus ins Leben tratet,
Hat mich immer so gewundert,
Daß es nun mich wundert minder,
Wie ich sehn muß, daß den Augen
Schwindend ihr zurück euch wandelt
Zu Gesichten und Gedichten.
2.
In mildem lauem Klima,
Wie eines waltet unter
Italiens Sonne, oder
Auf Raphaels Gemälden,
Gedeihn nur solche Knospen
Von Schönheit, wie ihr waret,
Zu völliger Entwicklung,
Ohn' Abbruch und Verkrüpplung.
Wie werdet ihr gedeihen,
Dacht' ich hier voll Besorgniß,
In wildem rauhem Klima?
In wildem rauhem Klima,
Wie wird der reine Spiegel
Der Anmuth bald sich trüben,
Der Blüthendrang der Knospen
Sich im Aufbrechen stumpfen,
Verschrumpfen und versumpfen!
Darum seid ihr, o Weh mir,
Heil euch, ihr seid gegangen,
Und blühet nun im Himmel,
Und blüht in meinem Liede;
Ihr blühet hier und dorten
In mildem lauem Klima.
Von Freuden floß um mich vorzeiten
Ein Überfluß;
Und wie ich schöpfte, blieb beizeiten
Ein Überschuß.
Wie dacht' ich, daß versiegen könnte
Der Überschwang?
Ergossen war nach allen Weiten
Der Überguß.
Wohin verlaufen hat das Wasser
Sich über Nacht?
Es eilt wohl, um mir zu bereiten
Nicht Überdruß!
Vorüber eilt des Glückes Fülle,
Und rauscht von fern
Mir einen noch, und keinen zweiten
Vorübergruß.
Ihr Augen, wollt Ersatz ihr weinen?
So weinet nur!
Und mich durchs Leben soll begleiten
Ein trüber Fluß.
Wo ich am Strom der Wehmuth lausche
Im Hauch der Nacht,
Weht her von jenseit goldner Saiten
Herübergruß.
Am Ufer pflanz' ich dunkle Lieder,
Ihr Duft weht hin,
Bis ich geflügelt selber schreiten
Hinüber muß.
Ein leichenbalsamirender
Aegypter ist mein Herzensdrang,
Ein nach der Kunst verzierender,
Was er dem Tod von dir entrang;
Das alles, was uns peiniget,
Gereiniget,
Soll werden ein Gesang.
Ein Todtenasche-sammelnder
Hellene sei mein Grabgesang,
Auflesend, was hold stammelnder
Süßmundigkeit von dir entsprang,
Das alles, hier vereiniget,
Bescheiniget
Des Vaterherzens Drang.
Du bist ein Schatten am Tage,
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich mein Zelt aufschlage,
Da wohnst du bei mir dicht;
Du bist mein Schatten am Tage,
Und in der Nacht mein Licht.
Wo ich auch nach dir frage,
Find' ich von dir Bericht,
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.
Du bist ein Schatten am Tage,
Doch in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.
Wenn ihr solltet gehn einmal,
War es gut, ihr gingt zusammen,
Nicht, daß ging' in Eins die Qual,
Sondern daß als Doppelflammen
Ihr im Tod auch ungetrennet
Auf dem Hausaltar uns brennet.
Was verloren, ist dahin,
Und kein Wunsch kann es regieren,
Doch Gefahr läuft schwacher Sinn,
Noch einmal es zu verlieren;
Denn erst ganz, wenn wir's vergessen,
Ist verloren, was besessen.
Darum brennt euch so ins Herz,
Ewige Geschwisterflammen,
Daß nie der lebend'ge Schmerz
Sink' in Aschentod zusammen,
Sondern glühe fort in milder
Farbenglut wie eure Bilder!
Sie haben ganz, o Kind, um das wir trauern,
Mit Blumen dich und Kränzen überdecket;
Die werden tief nun, wo du liegst gestrecket,
Mitmodernd, deinen Leib nicht überdauern.
Und wann des Frühlings Lüfte wieder schauern,
Sind neue Blumen deiner Gruft erwecket;
Die werden blühn, von keinem Aug' entdecket,
Und welken hinter freudelosen Mauern.
Dein Vater aber, der sich nennt ein Dichter,
Er möchte dich, und dauerhafter, krönen;
Sein ganzes Leid für dich in Kränze flicht er.
O bliebe nur ein Ton von diesen Tönen
Durch Göttergunst entzogen dem Vernichter,
Ein ew'ges Denkmal früh verblichnem Schönen!
Du warest klein, und kleine Blumen schling' ich
Zum Kranze dir, und kleine Lieder sing' ich,
So kleine Gaben großer Liebe bring' ich.
An Blumen hast du wol wie sonst Gefallen,
Und Lieder, die hier nicht verstand dein Lallen,
Die lernst du singen nun in jenen Hallen.
Auf meine Blumen blickst du lächelnd nieder,
Und singt auf Erden Niemand meine Lieder,
So tönen sie vom Himmel schöner wieder.
Wie du mir von lustdurchpochter
Brust die Tochter
Reichtest einst, ein süßes Glück;
Hier aus schmerzenslustdurchkochter
Brust die Tochter
Geb' ich dir als Lied zurück.
Armer Vater! Hoffend flocht er
Für die Tochter,
Hoffend einen andern Kranz;
Armer Vater! nichts vermocht' er,
Als die Tochter
Nahm der Tod an seinen Tanz.
Zwar der Tod, den Sieg erfocht er,
Der die Tochter
Nahm, von Klagen ungerührt;
Doch hat mein ununterjochter
Muth die Tochter
Dem Entführer nun entführt.
Ihr habet nicht umsonst gelebt;
Was kann man mehr von Menschen sagen?
Ihr habt am Baum nicht Frucht getragen,
Und seid als Blüten früh entschwebt,
Doch lieblich klagen
Die Lüfte, die zu Grab euch tragen:
Ihr habet nicht umsonst gelebt.
In unser Leben tief verweht,
Hat Wurzeln euer Tod geschlagen
Von süßem Leid und Wohlbehagen
Ins Herz, aus dem ihr euch erhebt
In Frühlingstagen
Als Blütenwald von Liebesklagen;
Ihr habet nicht umsonst gelebt.
O die ihr sanften Schmerz uns gebt
Statt eure an der Brust zu tragen,
Euch werden fremde Herzen schlagen
Von Menschenmitgefühl durchbebt
Bei unsern Klagen;
Was kann man mehr von Menschen sagen?
Ihr habet nicht umsonst gelebt!
Welch plumper Fuß ist mitten hier in meinen Blumenflor getreten?
Welch ein vermummter Schauder ist in meinen Freudenchor getreten?
In meinen stillen Wänden war ein Fest der Lieb' und des Gesanges;
Unangemeldet ist ein Gast, ein schweigender, ins Thor getreten,
Hat finster um sich her geblickt, daß alle Kerzen düster brannten,
Und ist mit Furchteinflüsterungen mir zum entsetzten Ohr getreten.
Auf jedem Weg ins Herz zurück ist das erschrockne Blut geflohen,
Und aus den Thränenschleusen ist die Fluth ins Aug' empor getreten.
Wie ernst hat eine schwere Hand ins leichte Saitenspiel gegriffen!
Wie fremd ist geisterhafter Hauch ins lustgestimmte Rohr getreten!
So ungeahnet plötzlich ist der Tod aus vollen Lebens Mitte,
Wie aus der Blüte Blätterschmuck die nackte Frucht, hervorgetreten.
Es ist der Tod des Lebens Kern, als wie die Frucht der Kern der Blüte;
Er war vom Anfang drin verhüllt und ist nun aus dem Flor getreten.
Nicht wußt' ich was mir fehlte,
Noch fühlt' ich was mich quälte;
Es war mir nur Behagen
Zu klagen und zu klagen.
Nun fühl' ich was mich quälet,
Nun weiß ich was mir fehlet,
Nicht klag' ich aus Behagen
An bloßem Unbehagen.
Und nun, was dort mir fehlte,
Weiß ich, und was mich quälte,
Daß böse Ahnung zagte
Und in die Zukunft klagte.
Trauriger Ahnung Gedanken
Schlage sogleich danieder,
Eh sie in Körperschranken
Treten und werden Lieder.
Lebendig gewordne Gedanken
Sind nicht Schatten, sind Wesen.
Daß nicht sterben die Kranken,
Sprich aus, daß du fühlst, sie genesen.
Greifst du darum in die Schranken,
Die Gott sich vorbehalten?
Nein, wenn er eingibt Gedanken,
So will er sie auch halten.
Ich hatte mir zwei Pforten
Am Hause gemacht,
Und glaubt' an allen Orten
Mich trefflich bedacht.
Verschlossen war die eine,
Die andere nicht,
Und recht verschlossen keine,
Besehen beim Licht.
Zur offnen Pforte flogen
Die Freuden hinaus,
Ein zur verschlossnen zogen
Die Sorgen ins Haus.
Die hatt' ich nicht verschlossen,
Durch die sie entflohn,
Was wußt' ich, daß verdrossen
Sie wollten davon?
Die hatt' ich wol versiegelt,
Was hilfts da sie nahn?
Sie haben sie entriegelt
Und weit aufgethan.
Nun mögen offen bleiben
Zwei Pforten am Haus;
Sie lassen doch sich treiben
Zu keiner hinaus.
Sie halten hier verschlungen
Im Mondschein den Tanz,
Wo aus Erinnerungen
Sie flechten den Kranz.
Man merket kaum im Hause
Die schwebende Schaar,
So still ists, wo vom Brause
So laut einst es war.
Ihr weiten Räume schienet
So voll, nun so leer,
Seit euch zur Füllung dienet
Von Schatten ein Heer.
Ach daß ohne Wehen
Wie ein Blütenstrauch
Kinder könnten gehen
Aus dem Boden auch!
Daß sie ohne Leiden
Sinken in den Staub
Dürften und verscheiden
Wie ein Rosenlaub!
Mutter unterm Herzen
Trug sie schmerzenvoll,
Die sie unter Schmerzen
Sterben sehen soll.
Ihr fünf Rosendorne,
Ihr fünf Rittersporne,
Ihr fünf Eisenhütchen,
Löwenrachenblütchen!
Ihr fünf Rosendorne,
Was habt ihr im Zorne
Röslein nicht vertheidigt,
Als es ward beleidigt?
Ihr gespornten Ritter,
Ihr, als euch vom Schnitter
Ward die Braut entführet,
Habt euch nicht gerühret.
O ihr Eisenhütchen,
Kühlet euer Mütchen
Doch am Sensenmann,
Der sie hält im Bann!
Ach ihr Löwenmündchen
Klafft wie Löwenhündchen,
Wie ihr sie im Rachen
Seht dem grausen Drachen.
Jüngster wollt' es wagen,
Sich für sie zu schlagen,
Aber mitgefangen
Ist er mitgegangen.
Bleibt, daß ich verliere
Nicht auch euch, ihr viere!
Bleibt mit mir zu trauern
Unter Regenschauern!
Als mein Seelchen schied,
Sollte sich erheben
Sanft ein Engellied,
Das es lehrte schweben,
Fliegen in den Wind.
Doch ein wilder Sturm
War die Nacht unbändig,
Selbst der alte Thurm
Wollte wie lebendig
Fliegen in den Wind.
Das ist wohl ein Hauch
Für des Aaren Schwinge;
Wird es glücken auch
Einem Schmetterlinge,
Fliegen in den Wind?
Rauhe Winterluft,
Schone, schonungslose!
Du verwehst den Duft,
Soll die schöne Rose
Fliegen in den Wind?
Doch als wie der Blitz
Fährt der Sturm hernieder,
Wird zum hohen Sitz
Auch der Funke wieder
Fliegen in den Wind.
Selber flög' ich gern,
Und das ist ein Wetter,
Daß ein Mensch auch lern'
Als wie dürre Blätter
Fliegen in den Wind.
Nicht nur Sand und Staub,
Sondern Kies und Steine,
Nicht nur welkes Laub,
Sondern ganze Haine
Fliegen in den Wind.
Doch nicht obenaus
Kann ich Flügel schlagen,
Wie der Vogel Straus
Nur mir selbst entjagen,
Fliegen in den Wind.
Auch die Sehnsucht nicht
Kann sich dorthin heben,
Wo du schwebst im Licht,
Und so muß das Leben
Fliegen in den Wind.
Die kein Weh gethan auf Erden,
Muß nun leiden diese Wehn;
Daß sie dir erträglich werden,
Denke, daß sie auch vergehn.
Wenn das Leben überwindet,
Und sie blühet frisch und jung;
Dir und ihr wie bald verschwindet
Dieser Kämpf Erinnerung.
Aber wenn sie unterlieget
Dieser Noth und Todespein;
Wo sie dort als Engel flieget,
Wird es auch vergessen sein.
Ärzte wissen nach den Regeln
Aus der Welt kein Kind zu schaffen,
Ohne mit abscheul'chen Egeln
Die Naturkraft hinzuraffen.
Nie mehr werd' ich mich in Quellen
Unbefangen spiegeln;
Immer werd' ich in den Wellen
Schaudern vor Blutigeln,
Die das Leben mit dem Blute
Meines Kinds entsogen;
So mißhandelt ist das gute
Seelchen, ach, entflogen.
Aber nicht aus reinen Quellen,
Sondern styg'schem Sumpfe
Holt man diese Blutgesellen
Zu des Tods Triumphe.
Nicht allein zu Schmerzerbeutung
Unheilvoller Worte Deutung
Sprech' ich, wie ich hörte, nach,
Wie zum Kind die Mutter sprach:
Was zu naschen, was zu spielen
Von so schönen Sachen vielen
Magst du Kind? Das Kind sprach schwer:
Mutter, ich mag gar nichts mehr.
Lieber noch aus liebem Munde
Gutes Wort zur bösen Stunde
Preis' ich, froh zu dem gewandt,
Der das Wort herabgesandt.
Als das Schwesterlein gegangen,
Kam ums Brüderlein das Bangen;
Als es unser Bangen sah,
Sprach es: Nein! ich bleibe da.
Ja! wir nehmen dich beim Worte;
Zugeschlossen sei die Pforte
Hinter deiner Schwester Tritt,
Daß sie dich nicht nehme mit.
Zwar ihr beiden ungetrennet,
Oft von uns im Scherz genennet
Messerchen und Gäbelchen;
Weg mit diesem Fäbelchen!
Wird uns auch kein Bissen schmecken,
Wenn wir unsern Tisch nun decken,
Und das Gäbelchen gebricht,
Messerchen, nur fehle nicht!
Zierlich wart ihr im Vereine,
Zierlich ist auch jedes eine;
Jene ziert den Himmel dort,
Ziere du das Leben fort!
In meinen Blumengarten ist
Ein Mehlthau gefallen,
Davon gewelkt du Rose bist,
Die schönste von allen.
Und von den Blumen welken nach,
Ich weiß nicht, wie viele;
Sie hängen, seit der Tod dich brach,
An welkendem Stiele.
Es bringt die Magd die Todeskunde
Vom Schwesterchen der Knabenschaar;
Da rufen sie mit Einem Munde:
Sie ist nicht todt, es ist nicht wahr.
Sie sehen sie mit blassem Munde
Mit weißer Wang' im dunklen Haar,
Und flüstern leiser in die Runde:
Sie ist nicht todt, es ist nicht wahr.
Der Vater weint aus Herzenswunde,
Die Mutter weint, sie nehmens wahr,
Und bleiben doch bei ihrem Grunde:
Sie ist nicht todt, es ist nicht wahr.
Und als gekommen war die Stunde,
Man legt sie auf die Todtenbahr,
Man senkt sie ein im kühlen Grunde:
Sie ist nicht todt, es ist nicht wahr.
So bleibe sie mit euch im Bunde
Und werde schöner jedes Jahr
Und werd' euch lieber jede Stunde!
Sie ist nicht todt, es ist nicht wahr.
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiß entfliegen!
Gefällt dirs nicht bei uns? o sprich!
So ungeduldig seh' ich dich
Auf deinen Schwingen wiegen.
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiß entschweben!
Du wirst ja schöner jeden Tag,
Es zittert meines Herzens Schlag,
Du wirst zu schön fürs Leben.
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiß entfallen
Wirst jede Stunde lieber mir,
Ich fühls mit Furcht, ich hab' an dir
Zu großes Wohlgefallen.
Sie haben nun ihre Possen
Getrieben, mir wars kein Scherz,
Das Neujahr angeschossen,
Jeder Schuß traf mein Herz;
Gesichtchen todtenbleiche
Im Bettchen mir aufgeschreckt,
Im Nebenzimmer die Leiche
Haben sie nicht erweckt.
Ich kann es nicht begreifen,
Wie ichs einst mitgemacht,
Durch die Straßen zu schweifen
Jubelnd um Mitternacht.
Hier und dort sieht man brennen
Aus einem Fenster ein Licht;
Was drinnen für Bande sich trennen,
Das weiß man draußen nicht.
Da sind die Neujahrsgratulanten,
Die Thürmer und Stadtmusikanten,
Zum neuen Jahr sie wünschen Glück
Und fordern ihr Sechsbatzenstück.
Ihr Thürmer und Stadtmusikanten,
Ihr wünscht als Neujahrsgratulanten
Zu spät mir Glück ins neue Jahr,
Es starb mir noch im alten gar.
Ihr Thürmer, Kirchner und Verwandten,
Kommt recht als Neujahrsgratulanten;
Stimmt an den hellen Glockenlaut
Zum Himmelskirchgang meiner Braut!
Und ihr, o ihr Stadtmusikanten,
Geht, fiedelt allen sonst Bekannten!
Wo sie nun tanzt den Hochzeitsreih'n,
Bedarfs nicht eurer Fiedeley'n.
Der grelle Schrei der rohen Lust,
Der sonst zerriß mein Ohr,
Zerreißt mir nun das Herz in der Brust,
Seit ich mein Liebstes verlor.
Und soll ich nicht der Sitte fluchen
Ein Fest zu feiern beim Begraben?
Man bäckt im Hause Mandelkuchen,
Weil wir der Tochter Leiche haben,
Und ofenwarm läßt ihn versuchen
Die Leichenfrau den kranken Knaben;
Er soll wol auch den Ort besuchen,
Den sie der armen Schwester gaben!
Und soll ich nicht der Sitte fluchen
Ein Fest zu feiern beim Begraben?
Gestorben seyn, muß eine Wonne seyn,
Zu sterben auch ist keine große Pein;
Als sterben schwerer ist es sterben sehn
Das, was man liebt, doch wirds vorübergehn;
Wenn sie uns dann nur Ruhe ließen haben,
Wenn nicht das Ärgste wäre, das Begraben;
Wo von Zudrängern rückt, von Müßiggängern
Ein Heer einher, die Qual dir zu verlängern,
Die zur Hinrichtung macht den Leichenzug,
Bis endlich die Erlösungsglock' anschlug,
Daß man dein Liebstes nur trag' aus dem Haus,
Das du nun selber wünschen mußt hinaus,
Daß aus nur sei, nur aus
Das Gräßliche, der Leichenschmaus,
Was schauderhaft dein Innerstes empört,
Dir die Besinnung, dir die Andacht stört,
Die dieser Stunde wohl gehört;
Als hätten wir für Thoren
Gezeugt nur und geboren,
Erzogen und verloren
Ein Kind, damit sie möchten fein versuchen
Die Kindtaufs- erst und nun die Leichenkuchen!
Still, bete, Herz, damit du nicht mußt fluchen!
Ich habe so mit Rosen
Dich zugesteckt,
Es blieb, daß du gestorben,
Mir unentdeckt.
Bald dacht' ich, daß du lebend
Noch seyest mein,
Bald, daß du mir gewesen
Nur stets ein Schein.
Doch wenn der Wind die Decke
Der Rosen hebt,
Entdeck' ich, und erschrecke,
Daß du gelebt.
Was hilft der Sonnschein dann,
Wo man nicht sehn ihn kann,
Weil Nacht das Aug' umspann?
Der Sonnschein aber flieht,
Das Auge Nacht umzieht,
Wo man nichts Liebes sieht.
Ich sehe nicht mein Kind,
Und frage nicht, ob blind
Sonn' oder Augen sind.
Wenn du an das Knie dich setztest
Deiner Mutter, sie ersetztest
Mit unschuld'gen Plaudereien,
Waren es mit lautem Schreien
Brüder die dazwischen stürzten,
Die dich überall verkürzten.
Deiner Mutter schnell entrissne!
Da um dich die grambeflissne
Wollt' in Kummerangedenken
Sich vertiefen, sich versenken,
Ward sie von den Brüdern wieder
Aufgestöret, die danieder
Sterbkrank, als du starbest, lagen.
So in Tod- wie Lebenstagen
Hast du, Sanfte, Noth gelitten,
Wie die Taub' in Geier Mitten.
Gott sei Dank, daß sie genesen!
Und nun trittst du, liebes Wesen,
In des Hauses Trauerstille
Unsichtbar, wie einst mein Wille
War du solltest sichtbar walten,
Lauten Braus im Einklang halten,
Bild der Anmuth und der Sitte
In der jungen Wilden Mitte.
Werden sie dich früh vergessen,
Den Verlust nie ganz ermessen,
Wie ich ihn ermessen habe;
Doch ein Hauch von deinem Grabe
Soll mir siegreich helfen kämpfen,
Jugendliche Stürme dämpfen.
Brüder, denkt, euch ist das Leben
Für der Schwester Tod gegeben.
Wenn ihr aus den Bettlein steiget
Neulebendig; schweiget, schweiget,
Junge Geyer, muntre Schreier,
Unsrer Taube Todtenfeyer!