THOMAS SPITZER:

„Wir sind glücklich, unsere Mundwinkel zeigen in die Sternennacht
wie bei Angela Merkel, wenn sie einen Handstand macht“ (E-Book)

2. Auflage, 2015, Periplaneta Berlin, Edition MundWerk
© 2014 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin
www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung
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Genehmigung des Verlags.

Lektorat & Projektmanagement: Marion Alexa Müller
Covergestaltung & Icons: Kathrin Frank
Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-943876-78-9
epub ISBN: 978-3-943876-46-8
E-Book-Version: 1.1

THOMAS SPITZER



„Wir sind glücklich, unsere Mundwinkel zeigen in die Sternennacht wie bei Angela Merkel, wenn sie einen Handstand macht“




periplaneta

Von fliegenden Elefanten und Mücken mit Elfenbeinen

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Ich bin mittlerweile total verunsichert. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich sagen soll. Auf dem Weg zur Uni werde ich jeden Morgen von Immigrantenkindern geschlagen. Und zwar lyrisch.

Wenn mich der Bäcker freundlich grüßt, zucke ich zusammen und halte ihm das Nusshörnchen an die Schläfe. Dabei weiß doch jedes Kind, dass man nicht auf Menschen zielt.

Letztens habe ich vor lauter Verunsicherung einen Postboten angebellt. Ich hab mich gar nicht mehr eingekriegt, bin so lange bellend hinter ihm her, bis er über die Straße gerannt ist und vom Auto überfahren wurde. Für ihn hätte es nicht besser laufen können. Danach war er Brad Pitt in Rendezvous mit Joe Black.

Trotzdem hat mir diese Episode zu denken gegeben. Vor allem, weil ich auf seiner Beerdigung die folgenden Worte sprach: „Liebe Angehörige. Tut mir echt sorry. Seid ihr mit mir down, dann bitte gebt mir ein Wuff.“

Als ich nach sechs Monaten Koma im Krankenhaus erwachte, sah ich eine schöne Krankenschwester. Ich wollte spontan sein und ein kluges Statement zur Gesamtsituation abgeben. Also wies ich sie auf ihre Brüste hin.

„Was?“, sagte sie.

„Na, Melonen“, sagte ich vorsichtig. „Sie wissen schon. Belugas. Magumbas. Gazongas. Burritos.“

Keine Ahnung, warum ich das tat. Schließlich finde ich es nicht gut, wenn Frauen mich auf meinen Sexismus reduzieren. (Der ist nämlich nicht besonders groß.)

Wie sich später herausstellte, war sie Mexikanerin. Ich hatte nicht nur einen anzüglichen Kommentar von mir gegeben, sondern auch in einem Satz alle ihre Nationalgerichte beleidigt.

Als ihre Brüder mit mir fertig waren, lag ich weitere zwei Monate im Koma. Dann dachte ich darüber nach, wie schwierig es ist, ein politisch korrektes Statement abzugeben. Etwas anderes kann ich mir aber als Chef einer großen Firma mit Familie und Pool nicht leisten. Vor allem kann ich mir als Chef einer großen Firma mit Familie und Pool das nicht leisten, weil ich gar kein Chef einer großen Firma mit Familie und Pool bin.

Nein, ich sitze den ganzen Tag in meinem Zimmer, und wenn ich nicht schreibe, zocke ich Diabolo. Für alle, die nicht wissen, was das ist: Das ist ein packendes, in den 90er Jahren entwickeltes Geschicklichkeitsspiel. Im Einzelmodus geht es darum, einen kleinen taillierten Plastikzylinder zwischen zwei Stöcken zu balancieren, was praktisch ist, da man so gleich einen ausgefallenen Dancemove hat, falls man dann doch mal in die Disco geht.

Die Welt scheint sensibel geworden zu sein, als wäre sie aus Streichkäse. Das verunsichert mich, und ich benehme mich daneben. Ich komme mir vor wie eine Mücke in einem Porzellanladen, aus der man einen Elefanten macht. Aus meiner Sicht ist das nicht weiter schlimm. Mücken und Elefanten sind beide berüsselt, machen unerträgliche Geräusche und haben Elfenbeine. Wo liegt also der Unterschied? In einer perfekten Welt würden uns kleine, lustige, fliegende Elefanten nerven. Stellt euch mal vor, wie cool das wäre! Bzzzz. Klatsch! „Krass, Benjamin Blümchen.“

Wenn die Welt nicht so kleinlich wäre, wären Elefanten das vielleicht. Aber sie ist filigran und buttrig wie die Schenkel eines Nerds. Seit der Debatte um Django Unchained traue ich mich ja kaum noch, das Wort „einigermaßen“ in den Mund zu nehmen.

Dabei bin ich auch sonst kein Typ, der die Dinge so genau nimmt. Bis zu meinem achten Lebensjahr dachte ich, Apokalypse sei das, was die Koalabären essen.

Klar, ich kann verstehen, dass man auf bestimmte Dinge als Maximalpigmentierter sensibel reagiert. Trotzdem habe ich nichts gegen Koalabären. Die wollen auch nur ficken.

Wenn meine Schwester zur Arbeit einen Minirock anzieht, in dem eine dressierte Ratte rumkrabbelt, gilt das als gewagt, aber elegant. Da kriegt dann sogar die Ratte eine Beförderung. Wenn ich das mache, krieg ich eine Fußschelle, die mir Stromschläge verpasst, wenn ich mich einem Kindergarten auf 200 Meter nähere. Und die schon beim Gang zur Toilette „Böser Arier! Böser Arier!“ flüstert.

Und wer könnte es ihnen verübeln? Ich bin mir sicher, dass es immer Menschen im Publikum gibt, die mich für einen schlecht als Tim Benzko verkleideten Thilo Sarrazin halten. Dabei urteile ich gar nicht über Türken, Russen, Juden, Asoziale, Frauen, Behinderte, behinderte Frauen, Homosexuelle oder generell Leute, die nicht Mercedes fahren.

Als ich nach dem Abitur zur Behindertenpflege ging, erzählte mir einer der Behinderten, er hätte bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern angerufen und sich beschwert, weil die Menge der Behindertenwitze massiv zurückgegangen sei.

„Wenn ich schon Rundfunkgebühren zahle“, sagte er, „dann will ich auch nicht ausgegrenzt werden.“

Das hat mich damals ziemlich verwirrt. Vor allem, weil Behinderte gar keine Rundfunkgebühren zahlen. Aber schon nach wenigen Wochen war ich der beliebteste Pfleger. Weil ich mich genauso über die Rollstuhlfahrer lustig machte wie über alle anderen, ihnen aber andererseits auch währenddessen genauso in die Augen sah.

Wenn ich Motsi Mabuse auslache, dann nicht, weil sie eine Schwarze ist oder eine Frau oder ein bisschen speckig, sondern wegen ihres bescheuerten Namens. Über einen blonden, blauäugigen Schweden würde ich genauso lachen, wenn er Motsi Mabuse hieße. (Oder Joe Black.)

Ich tue keiner Fliege was zuleide. Ich klatsch‘ nur hier und da einen Elefanten weg. Wenn ich im Urlaub bin, bedanke ich mich bei jedem Moskito mit einem freundlichen „Shalom“, weil Mückenstiche gut sein sollen gegen Rheuma. Ich ernähre mich flexitarisch und kleide mich vegan. Ich heize nicht mit Erdöl aus Respekt vor Dinosauriern. Aber für mich sind alle Menschen erst dann gleich, wenn ich gleich wenig aufpassen muss, was ich sage, bevor ich mit jemandem rede. Oder wie ich letztens meinem Freund erklärte: „Ich habe nichts gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Solange ich das große Löffelchen sein darf.“

Natürlich will ich, dass alle Menschen gleich bezahlt werden. Auch wenn ich niemandem wünsche, dass er so wenig Geld hat wie ich. Im Ernst. Ihr glaubt nicht, was man als Autor so für Anfragen bekommt! Du schreibst doch auch nicht einen Chirurgen an mit den Worten: „Willst du nicht bei uns zum Operieren vorbeikommen? Du kriegst zwei Getränkemarken und ein Hanuta. Aber hey, die Atmosphäre ist total toll.“

Nur weil etwas unterhaltsam ist, ist es deshalb nicht gleich Propaganda. Nur weil Gesetze dazu da sind, um interpretiert zu werden, gibt es trotzdem Grenzen des guten Geschmacks.

Und auch, wenn du mich jetzt ratlos anschaust, heißt das noch lange nicht, dass ich aufhöre zu reden, bis alle deine Fragen offen sind. Also komm, meine kleine Motsi, lass uns rausgehen und aus Elefanten Moskitos machen.

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich persönlich habe Angst vor Rheuma. Und vor dem Alter.

Und auch sonst vor Dingen, die man nicht ändern kann.

Bumswurscht

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„Schreib doch mal einen Text, der so geht: Bumswurscht.“

„Was?“

„Einfach Bumswurscht. Das fände ich mal gut. Nicht immer dieses intellektuelle Blabla.“

„Und dann?“

„Nichts. Einfach nur Bumswurscht. Das reicht.“

„Okay, mach ich.“

„Wirklich?“

„Klar. Wird bestimmt ein Hit.“

„Glaubst du?“

Irgendwas mit Berufen

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Wieso sind Berufe so unterschiedlich konnotiert? Wenn ich den Leuten sage, dass ich mal als Pfleger gearbeitet habe, denken sie gleich, ich sei ein netter Mensch. Dabei kommt es doch immer auf den Kontext an. Der Satz „Ich weiß nicht, was es ist, aber Sie haben es!“ hat zum Beispiel eine ganz andere Bedeutung, wenn er von einem Proktologen kommt.

Wenn ich sage, dass ich Autor bin, höre ich oft ein „Nein, wie interessant!“ und werde danach in ein total uninteressantes Gespräch verwickelt, das meistens damit endet, dass ich mir irgendetwas durchlesen muss.

Eine Freundin von mir ruft mich jedes Mal an, wenn sie vor einer Werbung für Poetry Slams steht, um zu wissen, ob ich „da dann auch“ bin.

Ich hab sie letztens zurückgerufen: „Hallo Aylin. Ich stehe grad vor einer Zahnarztpraxis und höre jemanden bohren. Bist du’s?“

Wenn ich erzähle, dass ich VWL studiert habe, halten mich die Leute für arrogant. Wenn ich wiederum erzähle, dass ich auch Philosophie studiert habe, fragen mich die Leute nach Gras.

Ich hingegen stelle mir dann immer die Frage, wieso Leute so erpicht darauf sind, mich in eine Schublade zu stecken, während ich ihnen zwei Gramm feinstes Ganja in ein kleines Plastiktütchen abfülle. Schließlich ist es doch eine ziemlich banale Erkenntnis, dass jede Tätigkeit spannende und weniger spannende Seiten hat, dass einen jeder Beruf irgendwann mal nervt und irgendwann mal Spaß bereitet, und jeder müsste eigentlich aus seinem eigenen Leben wissen, dass Fachbereiche selten etwas mit dem öffentlichen Bild eines Berufs zu tun haben.

Ein Satz wie „Ah, Anwalt, Paragrafen und so“ zeugt eher von Desinteresse und Respektlosigkeit als von besonderer Expertise und Anteilnahme. Oder nicht?

Wenn man mich in meiner Kindheit fragte, was ich werden wollte, sagte ich: „Cini-Mini-Bäcker.“ Ich konnte mir damals nichts Schöneres vorstellen, als Dinge mit Zimt zu bewerfen – mit den Worten: „Ah, fertig!“ Und es stimmte mich sehr traurig, als ich bemerkte, wie auswechselbar und unbeliebt dieser Job machen würde.

Stell dir vor, du sitzt in einem Großraumbüro und arbeitest seit 48 Stunden an einer PowerPoint-Präsentation. Du rufst bei der Abteilungsleitung an, sie mögen dir doch bitte einen Spezialisten vorbeischicken. Und dann kommt irgend so ein kleiner, speckiger Koch rein, bewirft dich mit Zimt und ruft: „Ah, fertig!“

Das erinnert mich an ein Interview mit einer Pornodarstellerin, die einst sagte, das Schlimmste, was ein ihr ins Gesicht ejakulierender Mann je gerufen hätte, wäre gewesen: „Et voilà!“ (Im Ernst: Alle reden davon, wie zauberhaft Französisch klingt, aber die einzige mir im Gedächtnis gebliebene Vokabel ist das Wort für Butterblume: Le beurre fleur.)

Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, Klischees.

Es dauerte lange, bis ich begriff, dass die meisten Männer nach der Schule nicht Lokomotivführer werden, Astronaut, Cowboy oder Kuschelkönig. Oder eine Kombination – mittags Pirat, abends Konditor. Was damals nicht abwegig klang. Ein Kumpel von mir nahm den Satz „Du kannst alles werden, was du willst“ bis zum Gymnasium so wörtlich, dass er dachte, man könnte wirklich alles werden. Also ein Tisch, ein singender Kerzenständer oder ein sprechender Hydrant. Das war die erste große Enttäuschung meiner Kindheit, dass ich nicht alles werden konnte, was ich wollte. Und dass der Satz „Mach einfach das, was dir Spaß macht“ nicht weiter hilft. Ich meine, es macht mir auch Spaß Ploppfolie zu ploppen, und trotzdem ist das nicht mein Beruf.

Die zweite Enttäuschung erfuhr ich, als ich merkte, dass selbst die normalen Berufe nicht so spannend sind, wie man immer denkt. Ein Architekt spielt nicht den ganzen Tag Lego, sondern ist eher damit beschäftigt, Geld einzuklagen. Ein Professor steht nicht den ganzen Tag im Labor und macht „Muahahahahahaha“ während er einer fleischfressenden Pflanze Skateboardfahren beibringt. Und ein Bauarbeiter baut nicht den ganzen Tag Sandburgen. Nein! Er sitzt auf einer Mauer, trinkt Bier und ruft: „Ey, Chica.“

Und bei der dritten Enttäuschung merkte ich, dass man Berufe nicht erlernen kann, ohne ein ganzes Leben lang mit dem öffentlichen Bild des Berufs zu leben.

Obwohl doch die wenigsten bei der Ausbildung wissen, was sie später mal damit machen. Ich meine: Die Leute von Unheilig wollten bestimmt auch irgendwann mal Musiker werden ...

Die Arroganz, die Akademiker anderen Berufen gegenüber an den Tag legen, widert mich an. Meine Bachelorarbeit haben sich zwei Leute reingezogen, diesen Text hier allein an manchem Abend schon fünfhundert. Für mich ist er also mindestens zweihundertundfünfzig Mal so aufregend, und wenn Leute das anders sehen, ist mir das egal. Aber vielleicht komm ich ja mal bei denen im Labor vorbei. Dann sag ich: „Aha. Physik. Warum kenn ich denn nichts von dir? … Du operierst. Und davon kann man leben?“

Oder: „Was bist du? Achterbahnfahrkartenkontrolleur? Ja, da schauen die Leute sicher blöd, wenn du dich ganz oben im Looping abschnallst, aufstehst und sagst: Fahrkarten bitte.“ Oder: „Schau mal, da vorne, die Putzfrau, die macht das bestimmt nur wegen der Kohle.“

Aber hey, ich dreh mir mal ne Tüte, meine Fans haben nicht ewig Zeit. Wenn du ein lautes „Et voilà“ hörst, lass dich nicht stören, ich bin schneller wieder weg, als du „Butterblume“ auf Französisch sagen kannst.