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Hans Dominik

Die Spur des Dschingis-Khan

Kommentierte und unzensierte Originalfassung

Hans Dominik

Die Spur des Dschingis-Khan

Kommentierte und unzensierte Originalfassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
EV: Verlag Keil, Berlin, 1933
1. Auflage, ISBN 978-3-954187-41-6

null-papier.de/361

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Inhaltsverzeichnis

Der Au­tor

Zum Buch

Hin­weis des Ver­le­gers

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Dan­ke

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Der Autor

Hans Do­mi­nik war der Pio­ni­er des uto­pi­schen Ro­mans in Deutsch­land und ei­ner der er­folg­reichs­ten deut­schen Po­pu­lär­schrift­stel­ler des 20. Jahr­hun­derts. Er wur­de 1872 in Zwickau ge­bo­ren und starb 1945 wäh­rend des Kriegs­en­des in Ber­lin. Ne­ben Science-Fic­ti­on hat Do­mi­nik auch Sach­bü­cher und Ar­ti­kel mit tech­nisch-wis­sen­schaft­li­chen In­hal­ten ver­fasst.

Bild: 361_Die_Spur_des_Dschingis-Khan_001.jpg

Sei­ne Ju­gend­jah­re wie auch den größ­ten Teil sei­nes Le­bens ver­brach­te er in Ber­lin. Am Gym­na­si­um in Go­tha be­geg­ne­te er dem Leh­rer Kurd Laß­witz (http://null-pa­pier.de/au­t­hor/kurd-lass­witz/), selbst ein frü­her Ver­fas­ser uto­pi­scher Ro­ma­ne. Man kann da­von aus­ge­hen, dass die­se Be­geg­nung nicht ohne Ein­fluss auf Do­mi­nik und sein spä­te­res Werk blieb.

Ab 1893 stu­dier­te Hans Do­mi­nik an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Ber­lin Ma­schi­nen­bau und Ei­sen­bahn­tech­nik. Spä­ter war er für meh­re­re Un­ter­neh­men im Be­reich der Gro­ß­in­dus­trie und des Berg­baus tä­tig, u.a. auch für Sie­mens.

Nach 1901 mach­te er sich als Fach­au­tor selb­stän­dig. Für Auf­trag­ge­ber aus der In­dus­trie ver­fass­te er Wer­be­bro­schü­ren und Pro­spek­te. Sei­ne Lei­den­schaft galt aber der auf­kom­men­den Science-Fic­ti­on Li­te­ra­tur oder bes­ser den »tech­ni­schen Aben­teu­er­ro­ma­nen«, wie die­se in Deutsch­land noch ge­nannt wur­den. Do­mi­nik war auch ab­seits der Li­te­ra­tur sehr um­trie­big, er grün­de­te ein Un­ter­neh­men und er­hielt meh­re­re Pa­ten­te auf dem Ge­biet der Au­to­mo­bil­tech­no­lo­gie.

Sein ers­ter uto­pi­scher Ro­man »Die Macht der Drei« er­schi­en 1922 als Fort­set­zungs­ge­schich­te und wur­de kurz dar­auf als Buch ver­öf­fent­licht. Ab 1924 wid­me­te sich Do­mi­nik ganz der Schrift­stel­le­rei, in Jah­res­ab­stän­den er­schie­nen wei­te­re Ro­ma­ne.

Ne­ben den rei­nen Aben­teu­er­ge­schich­ten für eine er­wach­se­ne Le­ser­schaft ver­öf­fent­lich­te er auch die (im­mer noch sehr stark vom tech­ni­schen Fort­schritt ein­ge­färb­ten) Ju­gend­ge­schich­ten um den Auf­stieg des John Work­man vom Zei­tungs­jun­gen zum Mil­lio­när: »John Work­mann, der Zei­tungs­boy« (1925).

Die wich­tigs­ten Wer­ke:

Zum Buch

Krieg zwi­schen Eu­ro­pa und dem Gel­ben Reich.

Neues­te Er­fin­dun­gen und auf­stre­ben­der Pio­nier­geist be­güns­ti­gen die eu­ro­päi­sche Ex­pan­si­on nach Os­ten. Der neue Herr­scher im chi­ne­si­schen Reich, der sich als der wah­re Erbe des mäch­ti­gen Dschin­gis-Khan sieht, fühlt sich und sein Volk be­drängt. Er mo­bi­li­siert sei­ne Rie­sen­hee­re im Kampf ge­gen die ver­hass­ten Eu­ro­pä­er.

Hier zeigt sich Do­mi­nik wie­der in sei­nem Ele­ment: De­tail­lier­te Schlach­ten mit aber­wit­zi­gen Fan­ta­sie­waf­fen, tech­ni­sche Er­fin­dun­gen und aben­teu­er­li­che Span­nungs­sze­nen wech­seln ein­an­der ab.

Kom­men­tier­te und un­zen­sier­te Ori­gi­nal­fas­sung

Hinweis des Verlegers

Ich habe einen großen Teil der geo­gra­phi­schen An­ga­ben kor­ri­giert. Wo dies nicht sinn­voll oder mög­lich war, habe ich eine Fuß­no­te ein­ge­fügt. U.a. habe ich es mir auch er­laubt, das un­säg­li­che »Fri­s­ko« durch »San Fran­cis­co« zu er­set­zen. Au­ßer­dem hat­te der Au­tor die schlech­te An­ge­wohn­heit, je­des Ge­bir­ge ge­le­gent­lich auch „Al­pen“ zu nen­nen, was bei mir nicht sel­ten für Ver­wir­rung sorg­te. Ich habe da­her „Al­pen“ durch „Ge­bir­ge“ oder durch die geo­gra­phisch kor­rek­te Be­zeich­nung er­setzt.

An­sons­ten habe ich den Text auch an sei­nen ras­sis­tischs­ten Stel­len un­an­ge­tas­tet ge­las­sen. Die „gel­be Ge­fahr“ wird nicht (wie bei an­de­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen) zur „asia­ti­schen Ge­fahr“ und Ad­li­ge nicht ver­bür­ger­licht - wie in DDR-Nach­kriegs­aus­ga­ben ge­sche­hen. Die­ner wer­den nicht zu An­ge­stell­ten, das Fräu­lein nicht zur jun­gen Frau. Die Wei­ßen wer­den nicht plötz­lich zu Eu­ro­pä­ern, die Schwar­zen nicht plötz­lich zu Afri­ka­nern, die Gel­ben nicht plötz­lich zu Asia­ten und aus Ras­sen wer­den nicht plötz­lich Kul­tu­ren.

Ich bin kein Be­für­wor­ter von nach­träg­li­cher Sprach­hy­gie­ne. Der Text ist ein Kind sei­ner Zeit, ich über­las­se es dem Le­ser selbst, sich ein Ur­teil zu bil­den.

Ihr seid das Saat­korn ei­ner neu­en Welt,
Das ist der Wei­he­früh­ling, den er (Gott) will.

Uh­land »Die Wei­he des Früh­lings« (Ver sa­crum)

1

Archi­bald Wel­ling­ton Fox, der Be­richt­er­stat­ter der Chi­ca­go Press, und Ge­org Isen­brandt, ein Obe­r­in­ge­nieur der Asia­ti­schen Dyno­therm­kom­pa­gnie, gin­gen zu­sam­men den Bis­mar­ck­damm in Ber­lin ent­lang. Ihr Ziel war ein mäch­ti­ges Sand­stein­ge­bäu­de, das sich in der Nähe der Ha­vel­brücke in mo­nu­men­ta­ler Grö­ße er­hob und einen gan­zen Stra­ßen­block ein­nahm. Weit­hin glänz­te von sei­ner Front ein gol­de­nes Wap­pen. Drei Ähren, von ei­ner Si­chel um­schlun­gen. Dar­un­ter ein Mo­no­gramm aus den drei Buch­sta­ben E.S.C.

Wel­ling­ton Fox sprach: »Das war ein gu­ter Zu­fall, dass ich dich hier in Ber­lin auf der Stra­ße tref­fen muss­te. Sonst hät­te ich dich im fer­nen Tur­kes­tan1 in dei­nem Ab­schnitt am Ys­sykköl2 auf­su­chen müs­sen … wo es, wie mir scheint, für den Jour­na­lis­ten, das heißt in die­sem Fal­le Kriegs­be­richt­er­stat­ter, nächs­tens gute Ar­beit ge­ben kann.«

»Du meinst, Fox?«

»Al­ler­dings, old fel­low, mei­ne ich. Willst du die Mög­lich­keit leug­nen?«

»… will ich nicht. Aber …«

»Kein ›A­ber‹, Ge­org. Du willst mir wohl vor­rech­nen, wie viel Grad der Wahr­schein­lich­keit da­ge­gen spre­chen?«

»Du irrst, mein lie­ber Fox!«

Ru­hig, ganz gleich­gül­tig hat­te Ge­org Isen­brandt die Wor­te hin­ge­wor­fen. Auf den Jour­na­lis­ten wirk­ten sie wie ein Blitz in der Nacht. Ei­nen Au­gen­blick blieb er wie an­ge­wur­zelt ste­hen.

»Was willst du sa­gen, Ge­org?«

Er dräng­te an den Freund her­an und sah ihm for­schend ins Ge­sicht.

»Ich mei­ne, dass er­heb­lich vie­le Gra­de der Wahr­schein­lich­keit da­für spre­chen … müss­ten. Aber mei­ne Mei­nung wird von dem Di­rek­to­ri­um der E.S.C. lei­der nicht ge­teilt.«

»Ge­org, Krieg! … Krieg zwi­schen dem Ve­rei­nig­ten Eu­ro­pa und dem großen Himm­li­schen Reich!«

Der an­de­re nick­te stumm. Sein gleich­mä­ßig küh­les Ge­sicht blieb un­ver­än­dert. Nur ein leuch­ten­des Fun­keln sei­ner starr ins Wei­te ge­rich­te­ten Au­gen zeig­te, dass sein In­ne­res kei­nen Teil an sei­ner äu­ßer­li­chen Ruhe hat­te.

In dem Ge­hirn des Jour­na­lis­ten kreuz­ten sich wirr tau­send Ge­dan­ken. Eine Wei­le schrit­ten sie wort­los ne­ben­ein­an­der her.

»Du weißt, Wel­ling­ton, dass un­se­re Un­ter­hal­tun­gen kei­ne In­ter­views sind. Der Jour­na­list Wel­ling­ton Fox von der Chi­ca­go Press hört von un­se­ren Ge­sprä­chen nichts.«

»Kein Zwei­fel, Ge­org. Doch sag, zu wel­chem Zweck bist du hier in Ber­lin?«

»Um einen letz­ten Ver­such zu ma­chen … die Her­ren der E.S.C. zu mei­ner An­sicht zu be­keh­ren. Ich habe um fünf Uhr eine Kon­fe­renz mit ih­nen.«

»Und wenn …? Was wird dann aus dem großen Werk der E.S.C.? Den Hun­dert­tau­sen­den von eu­ro­päi­schen Sied­lern in Tur­kes­tan … und dei­nen großen Ar­bei­ten? Wer­den sie nicht durch den Krieg schwer lei­den?«

»Du fürch­test für sie? … Ich nicht, wenn man mir folgt … sie zu ver­tei­di­gen … zu si­chern auf Men­schen­al­ter … dar­auf ge­hen mei­ne Plä­ne … und wäre dazu Krieg nö­tig.«

Jede Gleich­gül­tig­keit war jetzt von dem Spre­cher ab­ge­fal­len. Ein ei­ser­ner Wil­le, eine un­beug­sa­me Ener­gie präg­te sich auf dem scharf ge­schnit­te­nen Ge­sicht mit der kan­ti­gen Stirn aus.

Stau­nen, Über­ra­schung … Be­wun­de­rung mal­ten sich in den Zü­gen des Jour­na­lis­ten. Mit ei­nem zwei­feln­den Blick maß er die Ge­stalt des eins­ti­gen Schul­ka­me­ra­den.

»Ge­org, Krieg! Das Wort riecht nach Blut!«

»Hat es stets ge­tan … und wird es im­mer tun, so­lan­ge Krieg die Ul­ti­ma ra­tio mensch­li­cher Zwis­tig­kei­ten ist … das heißt so­lan­ge Men­schen le­ben wer­den.«

Ein Au­gen­blick des Schwei­gens.

»Nur eins möch­te ich dich noch fra­gen.« Ein be­sorg­ter Un­ter­ton klang aus der Stim­me des Spre­chen­den. »Bist du dir auch be­wusst, mit wel­chem furcht­ba­ren Geg­ner Eu­ro­pa … du … zu kämp­fen ha­ben wür­dest? Das große ge­ein­te Gel­be Reich ist eine Macht, wie sie die Ge­schich­te der Völ­ker sel­ten ge­kannt hat. Sein Herr­scher, der Kai­ser Schit­su ist ein Mann vom Blut und Schla­ge des Dschin­gis-Khan.«

»Ich weiß es. Die Ge­fahr ist groß! Aber sie wird mit je­dem Jahr grö­ßer … bis sie ei­nes Ta­ges das Abend­land ver­schlin­gen wird. Des­halb heißt es, ihr zu be­geg­nen … jetzt, ehe es zu spät ist.

Der Kai­ser ist tod­krank. Ob er am Le­ben bleibt? … Wer weiß es? Stirbt er, wird man mir leich­ter fol­gen. Die Angst vor ihm ist grö­ßer als vor sei­nem Land. Doch wir sind am Ziel.«

Er deu­te­te auf den Sand­stein­pa­last, den sie jetzt er­reicht hat­ten.

»Was da drin­nen in den nächs­ten Stun­den be­schlos­sen wird, ist ent­schei­dend für das Wohl und Wehe von Mil­lio­nen Men­schen, für das Schick­sal zwei­er Ras­sen … zwei­er Kul­tu­ren.«

Un­will­kür­lich hat­te sich sei­ne Hand er­ho­ben und stand fra­gend und dro­hend ge­gen die stum­men Qua­der des Rie­sen­bau­es ge­r­eckt, der hier wie eine Trutz­fes­te3 auf dem mär­ki­schen Sand rag­te. Denn senk­te sie sich lang­sam in die des Freun­des.

»Auf Wie­der­se­hen denn heu­te Abend bei dir im Ho­tel.«

Noch ein Hän­de­druck, und Ge­org Isen­brandt trat durch das Haupt­por­tal in das Ge­bäu­de ein. Un­schlüs­sig blieb Wel­ling­ton Fox auf der Stra­ße ste­hen. Dann be­gann er, die In­schrif­ten an dem Ge­bäu­de zu stu­die­ren. In den stei­ner­nen Or­na­men­ten der Por­tal­wöl­bung wie­der­hol­ten sich das Ähren­mo­tiv und die ver­schlun­ge­nen drei Buch­sta­ben E.S.C. Jetzt ruh­te sein Blick auf den In­schrif­ten in der Höhe des ers­ten Stock­wer­kes. Breit und mas­sig leuch­te­ten von dort gol­de­ne Buch­sta­ben … Eu­ro­päi­sche Sied­lungs-Com­pa­gnie … Da­ne­ben in eng­li­scher Spra­che »Eu­ro­pean Sett­le­ments Com­pa­ny« … wie­der et­was wei­ter stand es auf rus­sisch »Je­wro­peis­ko­je Obscht­schest­wo dlja na­se­le­ni­ja Wo­sto­ka«.4

Das Haus hier war das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de der großen, von den eu­ro­päi­schen Staa­ten mit ei­nem Mil­li­ar­den­ka­pi­tal be­grün­de­ten Sied­lungs­ge­sell­schaft, die den Über­schuss der eu­ro­päi­schen Be­völ­ke­rung seit zehn Jah­ren in Asi­en an­sie­del­te. Auf mei­len­wei­ten Län­de­rei­en, die vor­dem un­frucht­ba­re Step­pen, nach der Er­fin­dung des Dyno­therms bes­tes Acker­land ge­wor­den wa­ren. Hier in Ber­lin war der Haupt­sitz die­ser großen in­ter­na­tio­na­len und mit staat­li­chen Ho­heits­rech­ten aus­ge­stat­te­ten Ge­sell­schaft. Ihr Ar­beits­ge­biet lag in Asi­en. Dort reich­te es vom Kas­pi­schen Meer bis zu den Gren­zen des chi­ne­si­schen Rei­ches. Dort dampf­ten die Hochal­pen un­ter der Wir­kung des Dyno­therms. Dort koch­ten die großen Seen, und war­mer, über das gan­ze Jahr ver­teil­ter Re­gen schuf fünf­zig­fäl­ti­ge Ern­ten, wo frü­her wan­dern­de Kir­gi­sen kaum das Not­wen­digs­te fan­den.

Wel­ling­ton Fox war mit der Be­trach­tung des Ge­bäu­des zu Ende und ging wei­ter, dem Gru­ne­wald­park zu. Die letz­ten Wor­te sei­nes Freun­des ga­ben ihm reich­lich An­lass zum Nach­den­ken. Sei­ne Ge­dan­ken weil­ten ab­wech­selnd im Fer­nen Os­ten und im Palast der E.S.C. Und so über­sah er es, wie eine ele­gant ge­klei­de­te Ge­stalt, die ihm ent­ge­gen­kam, bei sei­nem An­blick schon von Wei­tem einen Bo­gen schlug, um auf die an­de­re Sei­te der Stra­ße zu ge­lan­gen und dann im Hau­se der E.S.C. zu ver­schwin­den.

Ein dump­fer Knall riss ihn we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter aus sei­nem Sin­nen. Der Luft­druck ei­ner schwe­ren Ex­plo­si­on brach­te ihn mo­men­tan ins Wan­ken. Mit ei­nem jä­hen Ruck warf er sich her­um und sah aus den zer­split­ter­ten un­te­ren Fens­tern des E.S.C.-Ge­bäu­des dün­ne Rauch­schwa­den zie­hen.

In­stink­tiv lief er auf den Ein­gang des Ge­bäu­des zu. Durch die auf­ge­ris­se­nen Flü­gel­tü­ren drang er in das Haus ein und stürm­te die Trep­pen em­por. Ein Ge­misch von Staub und Rauch be­nahm ihm fast den Atem. Eine schrei­en­de, in ih­rer Auf­re­gung sinn­lo­se Men­ge drang ihm ent­ge­gen. Zwi­schen­durch … dar­über hin­weg bahn­te er sich sei­nen Weg bis in das zwei­te Stock­werk, wo er den Freund wuss­te.

Hier war es ru­hi­ger. Hier ließ auch der Qualm nach. Er lief über einen Kor­ri­dor und sah die Per­son, die ihm auf der Stra­ße ent­gan­gen, in einen Sei­ten­gang ver­schwin­den. Mit ei­nem Ruck blieb er ste­hen. Ein se­kun­den­lan­ges Zö­gern. Dann schlug er den ent­ge­gen­ge­setz­ten Weg zu den Di­rek­ti­ons­zim­mern ein. Noch ehe er sie er­reicht, kam ihm Ge­org Isen­brandt mit ei­ni­gen Her­ren ent­ge­gen.

»Ge­org, was ist los?«

»Das wis­sen wir selbst noch nicht. Wir müs­sen die Un­ter­su­chung ab­war­ten.«

»Ein ver­bre­che­ri­scher An­schlag?«

»Nicht so ei­lig! War­te mit dei­nen Te­le­gram­men, bis die Un­ter­su­chung Klar­heit ge­schaf­fen hat.«

Der Don­ner ei­ner zwei­ten, schwä­che­ren Ex­plo­si­on in der Nähe ver­schlang die letz­ten Wor­te Isen­brandts. Ohne sich noch auf­hal­ten zu las­sen, stürm­te der Ame­ri­ka­ner dem Weg nach, den der Frem­de vor­her ein­ge­schla­gen hat­te. Die zwei­te Ex­plo­si­on hat­te neue Rauch­men­gen ent­wi­ckelt. Er konn­te kaum se­hen und at­men, lief durch einen an­de­ren Kor­ri­dor, rüt­tel­te an ver­schlos­se­nen Tü­ren und stieß schließ­lich auf eine Tür, die nach­gab. Sah zu­erst einen mäch­ti­gen Tre­sor, der durch die Ge­walt der Ex­plo­si­on von oben bis un­ten auf­ge­ris­sen war. Die Kraft der Spren­gung hat­te die in ihm ver­wahr­ten Do­ku­men­te durch das Zim­mer zer­streut. Sah dann nur un­deut­lich in dem rauch­ge­füll­ten Raum, wie der Ge­such­te be­müht war, meh­re­re Schrift­stücke in sei­nen Ta­schen ver­schwin­den zu las­sen. Mit ein paar ti­ge­r­ähn­li­chen Sät­zen schoss Wel­ling­ton auf ihn los. Doch noch schnel­ler hat­te der Frem­de die Tür zum Ne­ben­zim­mer auf­ge­ris­sen. Als Wel­ling­ton Fox die Klin­ke be­rühr­te, hör­te er, wie der Schlüs­sel im Schloss von au­ßen um­ge­dreht wur­de. Im sel­ben Au­gen­blick ließ er sie auch schon los, um über den Flur einen an­de­ren Ein­gang zu die­sem Zim­mer zu su­chen. Doch um­sonst! Alle Tü­ren wa­ren ver­schlos­sen.

Wel­ling­ton Fox blieb ste­hen. Das Ver­geb­li­che ei­ner wei­te­ren Ver­fol­gung hier im Ge­bäu­de war ihm klar.

Wo ihn fin­den? … Ah! … Schon lief Fox dem Haupt­por­tal zu.

*

Sei­ne Ex­zel­lenz Herr Wang Tschung Hu, der chi­ne­si­sche Bot­schaf­ter beim Deut­schen Rei­che, saß al­lein in sei­nem Ar­beits­zim­mer. Ner­vös spiel­te sei­ne Rech­te mit ei­nem Blei­stift, wäh­rend sein Auge den lang­sa­men Fort­gang des Uhr­zei­gers auf dem Zif­fer­blatt ver­folg­te. Hier war er al­lein, hier brauch­te er nicht die un­er­schüt­ter­li­che Mie­ne ei­nes gel­ben Di­plo­ma­ten zur Schau zu tra­gen, und sei­ne Un­ge­duld kam in sei­nen Zü­gen und Be­we­gun­gen deut­lich zum Aus­druck. Er un­ter­brach das Spiel mit dem Blei­stift nur, um hin und wie­der das Te­le­fon vom Ha­ken zu neh­men und kur­ze Fra­gen zu stel­len.

Die Uhr hub aus und schlug halb sechs. In ih­ren ver­hal­len­den Schlag misch­te sich der Klang der Te­le­fonglo­cke.

Die Mel­dung des Se­kre­tärs, dass Mr. Col­lin Ca­me­ron so­eben die Bot­schaft be­tre­ten habe.

Wang Tschung Hu leg­te den Ap­pa­rat wie­der auf die Ga­bel, such­te einen Mo­ment zwi­schen ver­schie­de­nen, an dem großen Di­plo­ma­ten­tisch be­fes­tig­ten He­beln und leg­te einen da­von um. Im glei­chen Au­gen­blick war ein Te­le­fon auf sei­nem Tisch mit den Lauschmi­kro­fo­nen ver­bun­den, die sich in der Woh­nung des Haus­meis­ters der Bot­schaft be­fan­den. Je­des Wort, was dort un­ten ge­spro­chen oder auch nur ge­flüs­tert wur­de, muss­te hier oben klar und deut­lich aus dem Ap­pa­rat kom­men.

Die Grün­de, die Sei­ne Ex­zel­lenz Herrn Wang Tschung Hu ver­an­lasst hat­ten, die­se Ver­bin­dung zwi­schen sei­nem Schreib­tisch und der Woh­nung sei­nes Haus­meis­ters her­stel­len zu las­sen, wa­ren von be­son­de­rer Art. Wu­tin Fang, der da un­ten in der be­schei­de­nen Stel­lung ei­nes Haus­meis­ters wirk­te, war in Wirk­lich­keit chi­ne­si­scher Ge­ne­ral­stabs­of­fi­zier und Chef der gel­ben Spio­na­ge in Eu­ro­pa. Der Bot­schaf­ter muss­te je­der­zeit of­fi­zi­ell ver­si­chern kön­nen, dass er Leu­te, wie jetzt die­sen Mr. Col­lin Ca­me­ron, nicht ken­ne, nie­mals ge­se­hen oder ge­spro­chen habe. Aber Sei­ne Ex­zel­lenz hat­ten ein großes und be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an, zu er­fah­ren, was sol­che Leu­te mit Wu­tin Fang ver­han­del­ten. So saß Wang Tschung Hu jetzt mit ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit vor dem Te­le­fon. Stim­men er­klan­gen aus dem Ap­pa­rat.

»Was brin­gen Sie uns, Mr. Ca­me­ron?«

»Schlech­te Neu­ig­kei­ten, Herr Wu­tin Fang. Es hat nicht ge­klappt.«

»Ich ver­ste­he nicht, wie das mög­lich war?«

»Wie das mög­lich war? … Ich hat­te Ih­nen den ge­nau­en Plan be­sorgt … Die Lage der Tre­so­re, in de­nen die Kom­pa­gnie die Pro­ben und Ana­ly­sen des neu­en Dyno­therms auf­be­wahrt. Die Tre­so­re soll­ten ge­sprengt wer­den. Ihre Leu­te ha­ben ein harm­lo­ses Feu­er­werk ver­an­stal­tet, aber kei­ne Spren­gung … Ein paar Fens­ter­schei­ben in Trüm­mern, ein paar Tür­fül­lun­gen her­aus­ge­schla­gen, aber die Tre­so­re kaum be­schä­digt … Ganz un­mög­lich, an die Pro­ben des Dyno­therms her­an­zu­kom­men … ich habe das Men­schen­mög­li­che ver­sucht … Mehr, als für mei­ne Per­son gut war …«

»… Ver­dammt … wir müs­sen die Ana­ly­sen ha­ben. Wenn es heu­te nicht ging, muss es das nächs­te Mal ge­hen.«

»Hal­ten Sie die Di­rek­to­ren der Kom­pa­gnie nicht für Kin­der! Ein zwei­tes Mal wird sich eine Ge­le­gen­heit nicht wie­der bie­ten … ge­wiss nicht … ganz be­stimmt nicht … da­für wird der Er­fin­der des neu­en Stof­fes sor­gen. Isen­brandt war wäh­rend der Spren­gung im Ge­bäu­de. Ich sah ihn, wie er mit den Di­rek­to­ren das Haus ver­ließ. Mei­nen Sie, der wüss­te nicht, um was es sich ge­han­delt hat …«

»Wir wer­den die Ana­ly­sen be­kom­men. Wenn nicht mor­gen, dann über­mor­gen.«

»Ma­chen Sie, was Sie wol­len … ich kann mich mit der An­ge­le­gen­heit nicht mehr ab­ge­ben … Ich habe mich schon zu sehr ex­po­niert. Ich bin ge­se­hen wor­den …«

»Von wem … von Isen­brandt?«

»Nein. Der hat­te an­de­re Din­ge im Kopf und kennt mich auch nicht … ein Freund von ihm, ein ame­ri­ka­ni­scher Jour­na­list … ein ver­damm­ter Schnüff­ler. Ich ken­ne ihn von San Fran­cis­co her … Jetzt kennt er mich auch. Ich ver­mu­te bei­na­he, dass er mich schon von drü­ben her ver­folgt. Ich muss Ber­lin von hier aus so­fort ver­las­sen.«

»Ihr Be­richt ist we­nig be­frie­di­gend, Mr. Ca­me­ron … Sie ha­ben uns zu dem Un­ter­neh­men ver­an­lasst … Jetzt zie­hen Sie sich zu­rück.«

»Weil ich muss. Die Grün­de habe ich Ih­nen ge­sagt. Das Un­ter­neh­men ist fehl­ge­schla­gen, weil Ihre Leu­te schlecht ge­sprengt ha­ben … Im­mer­hin … Ich habe dar­aus zu ma­chen ver­sucht, was sich ma­chen ließ. An die Ana­ly­sen in den Pan­zer­ge­wöl­ben war nicht her­an­zu­kom­men. Für den Tre­sor im ers­ten Stock reich­ten die Spreng­mit­tel, die ich bei mir hat­te …«

»Mir wur­de von zwei Ex­plo­sio­nen be­rich­tet … Ha­ben Sie …«

»Ich habe es ge­tan, weil ich es für die letz­te Ge­le­gen­heit hielt, in das Kom­pa­gnie­ge­bäu­de zu kom­men … Auf die Ge­fahr hin, ver­haf­tet zu wer­den … auf die Ge­fahr hin, nichts zu fin­den … Ich habe ge­fun­den.«

»Was ha­ben Sie …«

»Wol­len Sie, bit­te, selbst se­hen!«

Bis­her hat­ten die Lauschmi­kro­fo­ne jede Sil­be in den Ap­pa­rat des Bot­schaf­ters ge­lei­tet. Aber se­hen konn­te Wang Tschung Hu nichts. Er hör­te deut­lich das Knis­tern, wie wenn Pa­pie­re aus­ge­brei­tet und ge­ra­de ge­stri­chen wer­den.

Dann wie­der die Stim­me Col­lin Ca­me­rons: »Ich mei­ne, der Be­such hat sich im­mer­hin ge­lohnt.«

»Das Ilidrei­eck …«5

Sei­ne Ex­zel­lenz Herr Wang Tschung Hu press­te den Hö­rer mit Ge­walt ge­gen das Ohr, aber er hör­te nichts mehr. Wu­tin Fang schwieg, als habe er mit dem einen Wort schon zu viel ge­sagt. Col­lin Ca­me­ron sprach wei­ter: »Ich las­se Ih­nen die Plä­ne hier. Ich kann es nicht mehr ris­kie­ren, sie selbst nach Chi­na zu brin­gen. Die Mar­che­sa di To­resa­ni ist hier. Die kann das be­sor­gen … ich muss so­fort und auf dem schnells­ten Wege nach Ka­x­gar.«6

Wang Tschung Hu hör­te, wie Pa­pie­re ge­fal­tet wur­den und die Tür ei­nes Tre­sors in ihr Schloss fiel. Dann Blät­tern wie in ei­nem Buch und dann die Stim­me Wu­tin Fangs: »In vier­zig Mi­nu­ten geht das Ost­schiff. Sie kön­nen es noch er­rei­chen.«

Die Hän­de tief in den Ta­schen sei­nes Man­tels ver­bor­gen, ging Wel­ling­ton Fox auf der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te der Stra­ße vor der chi­ne­si­schen Bot­schaft auf und ab. Der fei­ne kal­te Re­gen schi­en sei­ner of­fen­bar recht gu­ten Stim­mung kei­nen Ab­bruch zu tun.

»Hab’ ich dich doch end­lich, mein Freund«, kam es im Selbst­ge­spräch von sei­nen Lip­pen. »Zwar nicht in mei­nen Fäus­ten, in de­nen ich dich gern hät­te. Aber dei­ne Sch­li­che ken­ne ich jetzt … und die sind schlim­mer, als ich dach­te. Ge­org wird Au­gen ma­chen, wenn ich ihm schnel­ler als die lie­be Po­li­zei vol­le Auf­klä­rung über den Tä­ter gebe. Es dürf­te jetzt auch Zeit sein, Isen­brandt et­was von mei­nen Beo­b­ach­tun­gen in den Staa­ten zu er­zäh­len … und von der Rol­le, die der Bur­sche da spielt. Isen­brandt! Isen­brandt! Du spielst ein grö­ße­res Spiel, als du ahnst … Hier ist mei­ne Ar­beit für heu­te zu Ende.«

Er woll­te sich eben dem In­nern der Stadt zu­wen­den, als das plötz­li­che Hal­ten ei­nes Au­tos vor der Bot­schaft ihn noch ein­mal still­ste­hen ließ. Er kniff die Au­gen zu­sam­men, um in der un­si­che­ren Be­leuch­tung bes­ser zu se­hen.

Eine Dame, de­ren ho­her Wuchs die Eu­ro­päe­rin ver­riet, ver­ließ den Wa­gen und schritt, von ei­nem grau­haa­ri­gen Die­ner be­glei­tet, durch den Vor­gar­ten in das Haus. Mit ei­nem Um­we­ge be­gab sich Wel­ling­ton Fox noch ein­mal auf den Bür­ger­steig vor der Bot­schaft. Als er den Wa­gen er­reich­te, kam die Be­su­che­rin mit ih­rem Die­ner be­reits wie­der aus dem Ge­bäu­de. Ein dich­ter Schlei­er ver­barg ihre Züge. Aber Wel­ling­ton Fox starr­te den bei­den nach und starr­te noch, als das Auto längst ver­schwun­den war.

»Hal­lo! Was war das? Wer­den dei­ne Au­gen schwach, Wel­ling­ton? Vor ei­ner Mi­nu­te hät­te ich noch ge­schwo­ren, dass der Die­ner ein al­ter, grau­haa­ri­ger Bur­sche war. Und jetzt hat­te er schwar­zes Haar. So schwarz wie dei­nes, mein Freund Col­lin Ca­me­ron. Lauf, Bur­sche! Wir tref­fen uns wie­der.«

*

Der Prä­si­dent Dr. Rein­hardt sprach in der Di­rek­to­ri­ums­sit­zung der Eu­ro­päi­schen Sied­lungs­ge­sell­schaft: »… über die wirt­schaft­li­chen und tech­ni­schen Er­fol­ge im letz­ten Jah­re gibt der Be­richt des Auf­sichts­ra­tes der Ge­sell­schaft ein an­schau­li­ches und er­freu­li­ches Bild. Sie ken­nen ihn ja alle. Ich möch­te nur die wich­tigs­ten Punk­te her­vor­he­ben. Die Schmelz­ar­bei­ten ha­ben mit 3,6 Mil­li­ar­den Ku­bik­me­ter Was­ser die Zif­fer des Vor­jah­res um 600 Mil­lio­nen über­trof­fen. Die Zahl der eu­ro­päi­schen Sied­ler auf un­se­ren Ge­bie­ten hat sich, die rus­si­schen nicht mit­ein­ge­rech­net, um 200.000 ver­mehrt, die auf etwa 50.000 Qua­drat­ki­lo­me­ter Neu­land an­ge­setzt sind. Auf das Ge­sell­schafts­ka­pi­tal von ei­ner Mil­li­ar­de Pfund Ster­ling wird eine Di­vi­den­de von 6 Pro­zent in Aus­sicht ge­stellt. Die Bör­se be­wer­te­te un­se­re Ak­ti­en schon seit dem Be­kannt­wer­den des neu­en Dyno­therms nach dem Ver­fah­ren un­se­res Herrn Isen­brandt mit 150 Pro­zent des Nenn­wer­tes. Sie kön­nen an Ihre Staa­ten nur Er­freu­li­ches be­rich­ten. Die Aus­sich­ten für die Zu­kunft sind eben­falls güns­tig. Ich sage nicht ›sehr güns­tig‹, denn ein vol­ler Er­folg könn­te un­se­ren Ar­bei­ten nur be­schie­den sein, wenn wir auch im Quell­sys­tem der Flüs­se schmel­zen dürf­ten, die im chi­ne­si­schen Ilidrei­eck ent­sprin­gen und in un­se­rem Ge­biet mün­den. Ich be­rüh­re hier eine hei­kle Fra­ge, über die Herr Isen­brandt ih­nen nä­he­ren Vor­trag hal­ten wird. Herr Isen­brandt hat das Wort.«

Als die­ser sich er­hob, füll­te sich der Raum mit Span­nung. Man wuss­te, dass jetzt et­was kam.

»Mei­ne Her­ren! Ich will nur ganz kurz auf die heu­ti­gen ge­walt­sa­men An­schlä­ge auf un­se­re Tre­so­re zu­rück­kom­men, um ih­nen zu sa­gen: Das war gel­be Ar­beit. Der Raub der Ana­ly­sen und Syn­the­sen des neu­en Dyno­therms ist miss­lun­gen. Der Vor­fall zeigt aber, wie gut es ist, dass wir die Fa­bri­ka­ti­on des neu­en Dyno­therms nicht wie die der al­ten Prä­pa­ra­te im Ural­ge­bir­ge be­werk­stel­li­gen, son­dern nach den mit­tel­eu­ro­päi­schen Ge­bir­gen ver­legt ha­ben. Der län­ge­re Trans­port­weg wird durch die viel ge­rin­ge­ren be­nö­tig­ten Men­gen reich­lich auf­ge­wo­gen. Der zwei­te An­schlag ist lei­der ge­lun­gen. Die Plä­ne für die Be­set­zung und Be­ar­bei­tung des chi­ne­si­schen Ili­ge­bie­tes sind fort … in chi­ne­si­schen Hän­den. Di­plo­ma­ti­sche Ver­wick­lun­gen sind ja nicht zu be­fürch­ten, da die Gel­ben dar­auf­hin kei­ne Vor­stel­lun­gen ma­chen kön­nen. Aber das Bes­te dar­an, die Über­ra­schung, ist ver­lo­ren. Wir wür­den also ge­ge­be­nen­falls einen vor­be­rei­te­ten Geg­ner fin­den. Und doch …!«

Die Ge­stalt des Spre­chers straff­te sich. Sei­ne Mie­nen schie­nen ge­wan­delt. Das wa­ren nicht mehr die Züge ei­nes Ge­lehr­ten und Er­fin­ders. Die Au­gen ei­nes großen Kriegs­man­nes wa­ren es, die einen Kampf um Sein oder Nicht­sein mit ei­nem über­mäch­ti­gen Geg­ner schau­en. Die schma­len Lip­pen fest zu­sam­men­ge­presst, die Rech­te auf der Tisch­plat­te zur Faust ge­ballt, so stand er da in se­kun­den­lan­gem Schwei­gen.

»Und doch …!« Wie eine Fan­fa­re hat­ten die Wor­te durch den Saal ge­klun­gen und je­des Ohr auf­hor­chen ge­macht.

»Wir müs­sen das Ilidrei­eck ha­ben!«

»Right or wrong!«, nick­te der Ver­tre­ter Eng­lands.

»Kei­nen Krieg!« Der Rus­se rief es und sprang er­regt auf. »Wir sind als nächs­te Nach­barn des Gel­ben Rei­ches am bes­ten über die Macht­ver­hält­nis­se in­for­miert. Wol­len Sie die blü­hen­den Flu­ren Tur­kest­ans in Wüs­ten und Rui­nen ver­wan­delt se­hen? Soll die Ar­beit ei­nes De­zen­ni­ums um­sonst ge­we­sen sein?«

Leb­haf­tes Stim­men­ge­wirr er­füll­te den Saal. Die Mei­nun­gen wa­ren ge­teilt. In er­reg­tem Für und Wi­der platz­ten die An­sich­ten auf­ein­an­der. Ge­las­sen schau­te Isen­brandt eine Wei­le auf die er­reg­ten Grup­pen. Dann er­hob er sei­ne Stim­me von Neu­em: »Um die­se Ge­fah­ren zu ver­mei­den, mach­te ich mei­nen Vor­schlag. Ich will jetzt nicht von un­se­ren Ar­bei­ten spre­chen, die ohne das Ilidrei­eck nicht zur vol­len Aus­wir­kung ge­lan­gen kön­nen. Ich will mich auch nicht auf die Tat­sa­che stüt­zen, dass das Land vor 150 Jah­ren schon ein­mal rus­si­scher Be­sitz war. Dass es Russ­land in ei­ner Zwangs­la­ge ent­ris­sen wur­de. Ein Blick auf die Kar­te hier an der Wand müss­te ge­nü­gen, um Sie von der Not­wen­dig­keit zu über­zeu­gen, dass das Ili­ge­biet un­ser wird.«

Er war an die Kar­te her­an­ge­tre­ten.

»Sie se­hen, wie hier vom Pa­mir-Pla­teau7 aus nörd­lich zie­hend das Alai­ge­bir­ge8 und an­schlie­ßend der Tian Shan9 die Gren­ze ge­gen Chi­na bil­den. Da springt auf dem 80. Län­gen­grad die Gren­ze plötz­lich vom Ge­birgs­kamm ab und geht über das of­fe­ne Ili­tal nach Nor­den, statt na­tur­ge­mäß auf dem Ge­birgs­kamm zu blei­ben.

Was ist die Fol­ge da­von? Die Gel­ben ha­ben hier ein Gla­cis,10 das eine stän­di­ge Dro­hung für uns ist. Des­sen ist sich Chi­na wohl be­wusst. Das an sich klei­ne, mä­ßig frucht­ba­re Ge­biet bie­tet wirt­schaft­lich für das große Himm­li­sche Reich kein In­ter­es­se. Aber als Aus­fall­pfor­te ge­gen den Wes­ten ist es von höchs­ter Be­deu­tung.

Die gel­be Ge­fahr ist noch im Wer­den. Sie ver­kör­pert sich nicht nur in der Per­son des großen Kai­sers Schit­su. Stirbt er, wird ein an­de­rer kom­men, frü­her oder spä­ter, un­ter dem sich die Ent­wick­lung fort­set­zen wird. Der Kai­ser ist nur ein Ex­po­nent der Ver­hält­nis­se, die sich in je­dem Fall durch­set­zen. Nicht um Au­gen­blicks­po­li­tik wol­len wir han­deln. Auf Men­schen­al­ter müs­sen wir uns si­chern.«

Ge­org Isen­brandt hat­te ge­en­det. Wie­de­r­um be­gann eine leb­haf­te, von vie­len Stim­men gleich­zei­tig ge­führ­te De­bat­te. Nicht we­ni­ge wa­ren es, die zu Isen­brandt hin­tra­ten und ihm zu­stim­mend die Hand schüt­tel­ten. Bis der Prä­si­dent sich Ge­hör ver­schaff­te.

»Mei­ne Her­ren, wir wer­den mor­gen um die­sel­be Zeit wie­der zu­sam­men­kom­men, um über das heu­te Be­spro­che­ne ab­zu­stim­men. Sie ha­ben vier­und­zwan­zig Stun­den Zeit, um sich von ih­ren Re­gie­run­gen die letz­ten In­for­ma­tio­nen zu ho­len.«

*

Die Strah­len der April­son­ne ver­gol­de­ten die Kup­peln von Oren­burg und lie­ßen sie auf­leuch­ten und schim­mern wie einst vor ei­nem Vier­tel­jahr­tau­send, als der Be­fehl der Kai­se­rin Eli­sa­beth hier die Grenz­burg ge­gen die Stäm­me Asi­ens ent­ste­hen ließ. Die Son­nen­strah­len über­flu­te­ten das Bahn­hofs­ge­bäu­de und spiel­ten und glit­zer­ten in tau­send Re­fle­xen in den ge­wal­ti­gen Ei­sen­kon­struk­tio­nen des großen Post­flug­ha­fens ne­ben dem Bahn­hof.

Zur Höhe von zwei­hun­dert Me­ter reck­ten sich die stäh­ler­nen Bau­ten. Wie fei­ne Fi­li­gran­ar­beit stand ihr Fach­werk in der sich­ti­gen Früh­lings­luft. Nur bei der Be­trach­tung aus der Nähe sah man, dass gi­gan­ti­sche Stahl­trä­ger die ein­zel­nen Ma­schen die­ses Netz­wer­kes bil­de­ten, ei­nes Fach­wer­kes, das stark ge­nug war, um in schwin­deln­der Höhe noch die schwe­ren Platt­for­men zur Auf­nah­me der großen Flug­schif­fe zu tra­gen.

Jetzt war der Flug­platz leer. Ver­las­sen stan­den die rie­si­gen Lan­dungs­an­la­gen. Schein­bar un­be­wohnt lag das Post­ho­tel in­mit­ten der park­ar­ti­gen Gar­ten­an­la­gen. Lang­sam wan­der­te der Zei­ger der großen Uhr am Turm des Ho­tels über das Zif­fer­blatt. Eben er­reich­te er die Zwölf, und mit weit­hin schal­len­den Schlä­gen ver­kün­de­te das Werk die Mit­tags­stun­de.

Auf der Nord­o­ste­cke der Lan­dungs­platt­form er­hob sich ein ei­ser­ner Turm und rag­te noch ein­mal fünf­zig Me­ter in die Höhe. In sei­nem obers­ten Teil, dicht un­ter dem Dach, von dem die rus­si­sche Post­flag­ge weh­te, la­gen die Dien­sträu­me für den Sta­ti­ons­chef und die Te­le­gra­fis­ten. Hier lie­fen Te­le­gra­fen­lei­tun­gen von al­len Tei­len des Flug­plat­zes zu­sam­men, hier stan­den die Wel­len­te­le­fo­ne, durch wel­che die Sta­ti­on je­der­zeit mit den Flug­schif­fen ver­keh­ren konn­te.

Der Sta­ti­ons­chef trat in den Te­le­gra­fis­ten­raum.

»Was Neu­es, Gre­gor Iwa­no­witsch?«

»Al­les in Ord­nung, Fe­dor Fe­do­ro­witsch.«

Der Chef blät­ter­te in dem Sta­ti­ons­buch, das auf­ge­schla­gen auf dem Tisch lag. No­ti­zen über den lau­fen­den Dienst. Te­le­fona­te aus den Schif­fen der ver­schie­de­nen Li­ni­en.

Oren­burg war ein Kno­ten­punkt für den Luft­ver­kehr. Die große eu­ro­päi­sche Li­nie Ber­lin–Mos­kau–Oren­burg spal­te­te sich hier in drei Teil­stre­cken: die si­bi­ri­sche Li­nie nach Omsk und Tomsk, die Süd­ost­li­nie nach Far­g’o­na11 und die per­si­sche Li­nie nach Te­her­an.

Der Chef über­flog die Auf­zeich­nun­gen … Das si­bi­ri­sche Schiff hat­te vor ei­ner hal­b­en Stun­de zwei Zim­mer im Ho­tel be­stellt … Das per­si­sche Schiff hat­te vor zwan­zig Mi­nu­ten ge­spro­chen. Vom Mos­kau­er Schiff war vor ei­ner Stun­de das letz­te Ge­spräch ge­kom­men. Es mel­de­te die Ab­ga­be und Über­nah­me der Post über Sa­ma­ra beim Über­schrei­ten der Wol­ga.

Der Sta­ti­ons­chef ver­glich sei­ne Uhr mit der Nor­mal­uhr über dem Ap­pa­ra­te­tisch.

»Noch fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten bis zur An­kunft des Mos­kau­er Schif­fes … Star­ke Be­set­zung heu­te … Nach den Lis­ten hun­dert­sech­zig Pas­sa­gie­re … Gre­gor Dimi­dow ist ein be­lieb­ter Ka­pi­tän … Die Rei­sen­den be­nut­zen sein Schiff mit Vor­lie­be. Ob­wohl Num­mer acht­zehn längst nicht mehr das neues­te Schiff ist …«

Das plötz­li­che An­spre­chen ei­nes der Te­le­fon­ap­pa­ra­te un­ter­brach die Wor­te des Sta­ti­ons­chefs.

»Acht­zehn … tick tick tick, tä tä tä, tick tick tick, tä tä tä …«

Acht­zehn war die Num­mer des Schif­fes Mos­kau – Oren­burg,12 das hier in fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten er­war­tet wur­de. Die Mor­se­zei­chen, die da­nach im peit­schen­den Rhyth­mus in je drei Kür­zen und drei Län­gen ge­ge­ben wur­den, be­deu­te­ten den in­ter­na­tio­na­len Not­ruf für höchs­te Ge­fahr.

Was war ge­sche­hen?

Unauf­hör­lich schrill­ten die Not­ru­fe wei­ter durch den Raum … Kei­ne te­le­fo­ni­sche Mit­tei­lung, die nä­he­re Auf­klä­rung ge­ge­ben hät­te. War die Te­le­fon­an­la­ge an Bord von Num­mer acht­zehn in Un­ord­nung ge­ra­ten? Ar­bei­te­te nur noch die Te­le­gra­fen­an­la­ge und schrie in höchs­ter Not die omi­nösen Mor­se­zei­chen in den Raum? Hat­ten die Te­le­gra­fis­ten an Bord den Kopf ver­lo­ren?

Mit ei­nem Ruck schal­te­te der Te­le­gra­fist die ei­ge­ne Sen­de­an­la­ge ein. Er woll­te rück­fra­gen … Aus­kunft über die Art der Ge­fahr ein­for­dern. Aber er kam nicht dazu.

Gera­de in die­sem Au­gen­blick be­gann es im Te­le­fon­ap­pa­rat in al­len nur denk­ba­ren Ton­ar­ten zu rau­schen und zu pfei­fen. Dem er­fah­re­nen Be­am­ten war es klar, dass es eine an­de­re star­ke Sta­ti­on mit der glei­chen Wel­len­län­ge wie Num­mer acht­zehn gab. Of­fen­sicht­lich, um die Not­ru­fe des Schif­fes zu über­tö­nen und un­wirk­sam zu ma­chen. Über sei­ne Ap­pa­ra­te ge­beugt, ver­such­te er durch schnel­le Um­stim­mung der Wel­len­län­gen die Ver­stän­di­gung wie­der­her­zu­stel­len.

Als es ihm nicht ge­lang, nahm er die Ver­bin­dung mit den Städ­ten im Um­kreis auf. Der Rei­he nach sprach er mit Ka­san und Sa­ra­tow, mit Perm, To­bolsk und Omsk. Er rief Ka­mensk und Gur­jew13 an und hat­te kei­nen Er­folg. Wohl hat­te man auch auf die­sen Sta­tio­nen den Hil­fe­ruf von Num­mer acht­zehn ver­nom­men, aber es wa­ren auch dort kei­ne Po­li­zei­schif­fe zur Ver­fü­gung. Vier­tel­stun­de auf Vier­tel­stun­de ver­strich, ohne dass sich eine Mög­lich­keit bot, dem Post­schiff Hil­fe zu sen­den.

Der Te­le­gra­fist leg­te sei­nen Ap­pa­rat wie­der auf die Wel­len­län­ge von Num­mer acht­zehn um. Jetzt herrsch­te Ruhe im Hö­rer. Das Zwi­schen­spre­chen der Stö­rungs­sta­ti­on hat­te auf­ge­hört. Aber auch das Post­schiff mel­de­te sich nicht. Ver­geb­lich rief der Te­le­gra­fist es an. Der Zei­ger auf der Nor­mal­uhr rück­te in­zwi­schen un­auf­halt­sam wei­ter. Schon war die An­kunfts­zeit, zu der es hier in Oren­burg ein­tref­fen soll­te, um zehn Mi­nu­ten über­schrit­ten.

*

Kurs Ost zu Süd­ost zog das Post­schiff Num­mer acht­zehn der Li­nie Mos­kau – Oren­burg in zehn Ki­lo­me­ter Höhe sei­ne Bahn. Vor ei­ner Stun­de hat­te es über Sa­ma­ra die letz­te Post ab­ge­ge­ben und emp­fan­gen. Noch fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten, und es soll­te in Oren­burg lan­den. Mit zwei­hun­dert Ki­lo­me­ter in der Stun­de strich der mäch­ti­ge, in den rus­si­schen Far­ben blau und weiß ge­stri­che­ne Bau durch den Äther.

Im großen Sa­lon und in den Ge­sell­schafts­räu­men ver­trie­ben sich die Pas­sa­gie­re die Zeit in der bei sol­chen lan­gen Rei­sen üb­li­chen Ma­nier. Hier sa­ßen sie beim Kar­ten­spiel. Dort las ei­ner, dort schlief ein drit­ter im be­que­men Ses­sel. An an­de­rer Stel­le wie­der ver­kürz­te man sich in sorg­lo­sem Ge­spräch die Stun­den.

In der Zen­tra­le des Schif­fes stand der Kom­man­dant Gre­gor Dimi­dow ne­ben dem wacht­ha­ben­den Of­fi­zier … und hier war die Sor­ge zu Haus. Scharf und an­ge­strengt späh­te der Ka­pi­tän nach Sü­den. Jetzt griff er zum schar­fen Glas. Ein ein­zi­ges Wort fiel von sei­nen Lip­pen:

»Wo?«

Der Wacht­ha­ben­de wies mit dem Fin­ger die Rich­tung.

»Dort!«

Mit dem Glas un­ter­such­te der Ka­pi­tän den Him­mel in der an­ge­deu­te­ten Rich­tung. Sah und such­te, wäh­rend die Fal­ten auf sei­ner Stirn sich ver­tief­ten.

»Schnel­ler als wir! … Kei­ne Flag­ge?! … Kein Zei­chen? … Was ist …«

Wäh­rend der Kom­man­dant die bei­den letz­ten Wor­te sprach, war das frem­de Schiff ver­schwun­den. In die­ser Ent­fer­nung über­haupt nur ein win­zi­ger grau­er Sche­men, war es in eine Wol­ke ge­taucht und im glei­chen Mo­ment den Bli­cken der hier so scharf Auss­pä­hen­den ent­rückt.

Der Kom­man­dant ließ das Glas sin­ken.

»Was hal­ten Sie von der Ge­schich­te?«

Der Wacht­ha­ben­de mach­te aus sei­ner Mei­nung kein Hehl.

»Da stimmt et­was nicht, Ka­pi­tän! Seit­dem wir über die Wol­ga gin­gen, treibt sich das Schiff in un­se­rer Nähe her­um. Es ist schnel­ler als wir … Ich glau­be, viel schnel­ler. Wenn es glat­te Wege gin­ge, könn­te es uns längst über­holt ha­ben, schon seit ei­ner Stun­de in Oren­burg sein, wenn’s da­hin woll­te … Ich hal­te es nicht für Zu­fall, dass es sich zeit­wei­se in den Wol­ken ver­kriecht … Ich woll­te, wir wä­ren fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten wei­ter.«

Der Ka­pi­tän ging mit un­ru­hi­gen Schrit­ten in dem klei­nen Kom­man­dan­ten­raum hin und her. Die Verant­wor­tung für das wert­vol­le Schiff mit hun­dert­sech­zig Pas­sa­gie­ren las­te­te schwer auf sei­nen Schul­tern. Soll­te er te­le­fo­ni­schen Alarm ge­ben? … Suk­kurs14 von Oren­burg er­bit­ten? … Oder soll­te er not­lan­den? Tat er es ohne Grund, wür­de die Ver­wal­tung ihm Vor­wür­fe ma­chen … Ner­vö­se Ka­pi­tä­ne wa­ren im Diens­te der rus­si­schen Post­li­ni­en nicht er­wünscht. Aber … die Verant­wor­tung.

»Dort!«

Zum zwei­ten Mal fiel das kur­ze Wort von den Lip­pen des Wacht­ha­ben­den.

Das frem­de Schiff war wie­der aus den Wol­ken her­aus­ge­tre­ten und wur­de jetzt schnell grö­ßer. Der Kom­man­dant fass­te sei­nen Ent­schluss.

»Wenn es jetzt wei­ter auf uns zu­hält, dann will es was von uns … Und dann neh­me ich die te­le­fo­ni­sche Ver­bin­dung auf und rufe um Hil­fe.«

Aber wäh­rend der Kom­man­dant dem Wacht­ha­ben­den die­sen Ent­schluss mit­teil­te, über­leg­te er schon wei­ter, wel­che Wir­kung er sich von die­ser Maß­nah­me ver­spre­chen dür­fe. Oren­burg war noch zu weit. Ganz un­mög­lich wür­de er den Flug­ha­fen vor dem frem­den Schiff er­rei­chen kön­nen … Hil­fe von dort? … Raub­über­fäl­le auf Post­schif­fe wa­ren seit zwan­zig Jah­ren sel­ten ge­wor­den. Seit­dem die »Eu­ro­pean Sett­le­ments Com­pa­ny« und die »Asia­tic Dyno­therm Com­pa­ny« hier ein­ge­grif­fen und mit ih­ren gut be­waff­ne­ten Schif­fen den Ver­kehr ge­schützt hat­ten, war das Ge­schäft für die Luf­träu­ber zu ge­fähr­lich ge­wor­den. Die Ge­gend hier galt als voll­kom­men si­cher. Die Schif­fe der bei­den Ge­sell­schaf­ten ver­sa­hen ih­ren Wacht­dienst jetzt viel wei­ter im Os­ten, im Her­zen Asi­ens. Es war un­wahr­schein­lich, dass ir­gend­ein Po­li­zei­schiff hier schnell zur Stel­le sein konn­te.

Und Schnel­lig­keit tat not. Be­deu­tend nä­her war das frem­de Schiff wäh­rend der letz­ten bei­den Mi­nu­ten her­an­ge­kom­men. Jetzt war kein Zwei­fel mehr, dass es dem Post­schiff den Weg ver­le­gen woll­te.

Auf einen Wink des Kom­man­dan­ten schal­te­te der Wacht­ha­ben­de die Sen­de­sta­ti­on ein. Au­to­ma­tisch be­gann das Ty­pen­rad zu lau­fen und gab die Num­mer des Schif­fes in den Raum … Und dann blitz­te ein Wölk­chen auf dem frem­den Schiff auf, und ein Schrap­nell pfiff dicht über das Post­schiff hin. Zwei­hun­dert Me­ter seit­lich von ihm platz­te das Ge­schoss.

Mit ei­nem Satz stand der Wacht­ha­ben­de an der Mor­se­tas­te. Mecha­nisch häm­mer­ten sei­ne Fin­ger das S.O.S., S.O.S., den in­ter­na­tio­na­len Not­ruf, und tick tick tick, tä tä tä, tick tick tick schrie die Sta­ti­on des an­ge­grif­fe­nen Schif­fes den Ruf in alle Win­de.

Jetzt galt es, und jetzt war alle Un­schlüs­sig­keit vom Kom­man­dan­ten ge­wi­chen. Er selbst stand am Steu­er und ge­bot durch den Ma­schi­nen­te­le­gra­fen den Tur­bi­nen die Her­ga­be der höchs­ten Leis­tung.

Nach Oren­burg war nicht mehr zu ge­lan­gen. Aber nach Nor­den ab­wei­chen … etwa noch Ufa er­rei­chen, ir­gend­wo im Schut­ze mensch­li­cher An­sied­lun­gen not­lan­den … Bis da­hin aber von den im­mer häu­fi­ger flie­gen­den Schrap­nel­len nicht ge­trof­fen wer­den … das blieb die letz­te Mög­lich­keit ei­ner Ret­tung.

Zick­zack­fah­ren, den Kurs so schnell und so sprung­haft än­dern, dass die da drü­ben mit ih­rem Schie­ßen im­mer zu spät kom­men muss­ten … dass nur Zu­falls­tref­fer dem ei­ge­nen Schiff ge­fähr­lich wer­den konn­ten … Zeit ge­win­nen … Raum ge­win­nen … dem Geg­ner den Wind ab­ge­win­nen!

Fie­ber­haft ar­bei­te­te das Ge­hirn des Kom­man­dan­ten, wäh­rend er sein Schiff in wil­den und im­mer wil­de­ren Zick­zack­li­ni­en durch den Äther führ­te.

Im­mer noch hieb der Wacht­ha­ben­de auf der Mor­se­tas­te das Not­zei­chen S.O.S., S.O.S. in den Raum. Der Kom­man­dant sah es in ei­nem ru­hi­gen Mo­ment, als das schwe­re Schiff, jäh durch eine Kur­ve ge­ris­sen und schief ge­legt, sich all­mäh­lich wie­der auf­rich­te­te.

»Ge­hen Sie zu den Pas­sa­gie­ren! Die Leu­te müs­sen bei dem Wen­den und Sch­lin­gern au­ßer Rand und Band kom­men … Ge­hen Sie schnell in den Sa­lon und be­ru­hi­gen Sie die Pas­sa­gie­re … ir­gend­wie! … Mit ir­gen­det­was! … Er­fin­den Sie Aus­re­den! … Er­zäh­len Sie den Leu­ten, was Sie wol­len … aber hal­ten Sie mir die Pas­sa­gie­re bei Ver­nunft …«

Der Wacht­ha­ben­de ging, den Auf­trag des Kom­man­dan­ten zu er­fül­len. Der Kom­man­dant aber gab sich ganz der im­mer schwie­ri­ger wer­den­den Auf­ga­be hin, sein Schiff dem Feu­er ei­nes Geg­ners zu ent­zie­hen, der, an Schnel­lig­keit zwei­fel­los über­le­gen, von ei­nem un­er­schüt­ter­li­chen Ver­nich­tungs­wil­len be­seelt zu sein schi­en. Er ver­such­te es im Ge­fühl sei­ner Verant­wort­lich­keit, ver­such­te es, weil ihm ein an­de­res Mit­tel als sei­ne Steu­er­kunst nicht zur Ver­fü­gung stand. Aber er sah den Un­ter­gang sei­nes Schif­fes un­ab­wend­bar vor Au­gen, wenn kein Wun­der ge­sch­ah.

*

Wel­ling­ton Fox kam von sei­nem Rund­gang durch die Ma­schi­nen­räu­me des Kom­pa­gnie­schif­fes wie­der in die Zen­tra­le zu­rück.

»Alle Wet­ter, Ge­org! Mei­ne Hochach­tung vor der Char­te­red Com­pa­ny und ih­ren Schif­fen …«

»E.S. Kom­pa­gnie!«, ver­bes­ser­te Isen­brandt. »Nicht Char­te­red Com­pa­ny! Der Name hat einen schlech­ten Klang in der Ge­schich­te. Eu­ro­päi­sche Sied­lungs­ge­sell­schaft, bit­te!«

»Mei­net­we­gen! Aber es kommt doch auf was Ähn­li­ches her­aus. Eure Ge­sell­schaft ist mit staat­li­chen Ho­heits­rech­ten aus­ge­stat­tet, hält auf ei­ge­ne Rech­nung Sol­da­ten und … wird viel­leicht ei­nes Ta­ges Krieg füh­ren … auf ei­ge­ne Rech­nung.«

»Lass, Fox! Dei­ne Ver­glei­che hin­ken zu stark!«

»Na! Je­den­falls gibt die­se Fahrt mir Stoff für einen gu­ten Be­richt nach Chi­ca­go. Etwa so … Beim Streif­kom­man­do der E.S.C. … mit dem schnells­ten Schiff der Kom­pa­gnie von Eu­ro­pa nach Asi­en … Die Streit­kräf­te der Kom­pa­gnie … Eine wirk­sa­me Sa­che wird das … Fehlt nur noch ein re­gel­rech­tes Aben­teu­er.«

Ge­org Isen­brandt saß be­quem in ei­nem Korb­ses­sel und ver­folg­te mit sach­kun­di­gen Bli­cken das Zei­ger­spiel der man­nig­fa­chen Ap­pa­ra­te in der Zen­tra­le, wäh­rend er ab und zu halb­lau­te Wor­te mit dem Kom­man­dan­ten des Schif­fes, dem bal­ti­schen Baron von Lö­wen, wech­sel­te.

Der Kom­man­dant und der wacht­ha­ben­de Of­fi­zier tru­gen schmu­cke Uni­for­men mi­li­tä­ri­schen Schnitts, wie sie in ähn­li­cher Art nur bei den ste­hen­den Hee­ren der Staa­ten zu fin­den wa­ren. An den Müt­zen der bei­den ein ei­gen­ar­ti­ges Wap­pen mit den ver­schlun­ge­nen Buch­sta­ben der E.S.C. Mi­li­tä­risch wa­ren die Uni­for­men der bei­den Of­fi­zie­re, mi­li­tä­risch auch ihre Hal­tung und Sprach­wei­se eben­so wie die­je­ni­ge der Un­ter­of­fi­zie­re und Ma­schi­nis­ten, die ge­le­gent­lich mit ei­ner Mel­dung in den Raum ka­men.

Nach den we­ni­gen Wor­ten, die er mit dem Baron von Lö­wen wech­sel­te, konn­te kein Zwei­fel blei­ben, dass das Kom­pa­gnie­schiff un­ter dem Be­fehl Isen­brandts stand.

Wel­ling­ton Fox sprach wei­ter:

»Mein Kom­pli­ment, Herr von Lö­wen! Ich ken­ne un­se­re ame­ri­ka­ni­schen Kreu­zer … Ich kann be­ur­tei­len, was ich hier ge­se­hen habe … Die Ma­schi­nen … vor­züg­lich … Ihre Aus­rüs­tung … un­über­treff­lich. Sie müs­sen bei for­cier­ter Fahrt sie­ben­hun­dert Ki­lo­me­ter in der Stun­de hin­ter sich brin­gen …«

Ge­org Isen­brandt und Archi­bald Wel­ling­ton Fox wa­ren seit zwan­zig Jah­ren eng be­freun­det. Ihre Freund­schaft da­tier­te schon aus der Zeit, in der bei­de noch in Deutsch­land auf der­sel­ben Schul­bank sa­ßen. Aus ei­ner Zeit, in der Archi­bald Wel­ling­ton Fox noch auf gut deutsch Au­gust Wil­helm Fuchs hieß.

Das Le­ben hat­te die bei­den Schul­freun­de spä­ter ge­trennt. Wal­ter Isen­brandt hat­te in Deutsch­land als As­sis­tent des Pro­fes­sors Fro­wein an der Ver­bes­se­rung des Dyno­therms mit­ge­ar­bei­tet, je­nes künst­lich her­ge­stell­ten ra­dio­ak­ti­ven Stof­fes, der in sei­nen letz­ten Aus­wir­kun­gen zur Grün­dung der großen Eu­ro­päi­schen Sied­lungs­ge­sell­schaft ge­führt hat­te.

Wel­ling­ton Fox war ei­nes Ta­ges in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten ge­lan­det. Leu­te, die ihm viel­leicht nicht wohl­woll­ten, be­haup­te­ten, es habe da­mals hin­ter ihm merk­lich nach ver­brann­ten Schif­fen ge­ro­chen. Je­den­falls war er im He­xen­kes­sel des ame­ri­ka­ni­schen Le­bens nicht un­ter­ge­gan­gen und heu­te der an­ge­se­he­ne und hoch­be­zahl­te Kor­re­spon­dent der Chi­ca­go Press für die Din­ge in Asi­en.

Fox wand­te sich wie­der an den Ka­pi­tän.

»Ein wun­der­ba­res Schiff, Herr von Lö­wen. Es muss Freu­de ma­chen, so et­was zu füh­ren.«

»Ge­wiss, Mr. Fox. Es macht mir Freu­de, einen der schnells­ten Kreu­zer der Com­pa­ny zu füh­ren. Aber der Dienst wird auf die Dau­er ein­tö­nig. Es pas­siert nichts Auf­re­gen­des mehr, seit­dem wir die neue Flot­te ha­ben.

Wir pa­trouil­lie­ren vom Bal­kasch bis zum Al­tai. Ta­gein, tag­aus der glei­che Dienst. Es pas­siert nichts mehr. Die Zei­ten der gu­ten al­ten Luf­träu­ber­ro­man­tik sind da­hin. Vor zehn Jah­ren kam es noch öf­ters vor, dass die Post­schif­fe zwi­schen dem Aral- und Bal­kasch­see15 über der Hun­ger­step­pe über­fal­len wur­den. Da­mals muss­ten Post­schif­fe mit grö­ße­ren Wert­trans­por­ten noch im Kon­voi fah­ren. Heu­te ist das längst vor­bei … und ich möch­te auch kei­nem dazu ra­ten. Un­se­re Kreu­zer wür­den den Spaß schnell ver­der­ben … Es ist jetzt viel si­che­rer, aber, un­ter uns ge­sagt, auch viel lang­wei­li­ger.«

Ein leich­tes Lä­cheln zog über die Züge Ge­org Isen­brandts, wäh­rend er die grau­en Au­gen einen Mo­ment auf dem Kom­man­dan­ten ru­hen ließ.

»Es wäre nicht ganz aus­ge­schlos­sen, Herr von Lö­wen, dass der heu­ti­ge Tag eine klei­ne Ab­wechs­lung in Ihren Dienst bringt.«

Der Kom­man­dant sah ihn einen Au­gen­blick er­staunt, fra­gend an.

Mit ei­nem leicht hin­ge­wor­fe­nen, gleich­gül­tig klin­gen­den »Oh …« tat Isen­brandt die un­aus­ge­spro­che­ne Fra­ge ab.

Herr von Lö­wen sprach wei­ter: »Hm … Es war mir schon eine an­ge­neh­me Ab­wechs­lung, Herr Isen­brandt, als ich den Be­fehl be­kam, in for­cier­ter Fahrt nach Mos­kau zu ge­hen und Sie an Bord zu neh­men.«

Isen­brandt zog sei­ne Uhr.

»Das Post­schiff Num­mer acht­zehn muss in fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten in Oren­burg lan­den. Wie ste­hen wir?«

Der Kom­man­dant beug­te sich über die Kar­te, auf der das Be­steck der Fahrt vom Log fort­lau­fend und selbst­tä­tig auf­ge­tra­gen wur­de.

»Wir ste­hen zwan­zig Ki­lo­me­ter hin­ter Num­mer acht­zehn.«

»Hal­ten Sie den Ab­stand bis Oren­burg, wenn nicht …«

Das Wel­len­te­le­fon schlug an. Scharf und ab­ge­hackt ka­men die Mor­se­zei­chen.

»Num­mer acht­zehn, tick tick tick, tä tä tä, tick tick tick, tä tä tä …«

Herr von Lö­wen starr­te ab­wech­selnd auf den Ap­pa­rat und auf den Obe­r­in­ge­nieur. Ge­org Isen­brandt blieb un­be­wegt sit­zen. Nur sei­ne Au­gen blitz­ten.

»Also doch … äu­ßers­te Fahrt vor­aus! Dem Post­schiff nach … Ihre Ka­no­nie­re be­kom­men Ar­beit, Herr von Lö­wen!«

Ein jä­her Ruck ging durch das Wacht­schiff und warf Wel­ling­ton Fox ge­gen den Tür­pfos­ten. Jetzt ris­sen die mäch­ti­gen Ma­schi­nen den schnit­ti­gen Bau plötz­lich mit sie­ben­hun­dert Ki­lo­me­ter durch den Raum. Und jetzt sa­hen sie, was ge­sch­ah. Es war ein Raub­über­fall in bes­ter Form. Ein schnel­les, gut be­waff­ne­tes Schiff ohne Flag­ge feu­er­te un­abläs­sig hin­ter dem schwer­fäl­li­gen Post­schiff her, das sich durch schar­fe Wen­dun­gen und eine Flucht nach Nor­den dem An­griff zu ent­zie­hen ver­such­te.

Wel­ling­ton Fox war an das Fens­ter ge­sprun­gen und ver­schlang das Raub­schiff mit den Au­gen. Herr von Lö­wen sprach durch den Ap­pa­rat mit den Bat­te­ri­en. Unabläs­sig ar­bei­te­ten die au­to­ma­ti­schen Ent­fer­nungs­mes­ser und ga­ben von Se­kun­de zu Se­kun­de die er­rech­ne­ten Ent­fer­nun­gen zu den Ge­schüt­zen wei­ter.

»Hal­te dich fest, Fox!«

Die War­nung Isen­brandts kam zu spät. Der schwe­re Don­ner ei­nes Schus­ses, und gleich­zei­tig führ­te das Schiff un­ter der Ge­walt des Rück­sto­ßes eine Sch­lin­ger­be­we­gung aus, die den Be­richt­er­stat­ter der Chi­ca­go Press der Län­ge nach auf den Fuß­bo­den schleu­der­te. Mit der Ge­wandt­heit ei­ner Kat­ze sprang er wie­der auf und klam­mer­te sich an der Fens­ter­brüs­tung fest.

»Dicht Back­bord vor­bei, Ge­org!«

Schon roll­te ein zwei­ter Don­ner, und der Rück­stoß des zwei­ten Schus­ses leg­te das Kom­pa­gnie­schiff schwer über.

Wel­ling­ton Fox ver­gaß alle Vor­sicht und mach­te einen Freu­den­sprung.

»Hur­ra, der hat ge­ses­sen! Ein Back­bord­pro­pel­ler ist beim Teu­fel … ko­los­sa­le Frech­heit! Die Hun­de las­sen nicht lo­cker … Schie­ßen wie ver­rückt auf das Post­schiff …«

Beim letz­ten Wor­te mach­te Wel­ling­ton Fox wie­der Be­kannt­schaft mit dem Fuß­bo­den. Ein drit­ter Schuss war aus den Roh­ren des Kom­pa­gnie­schif­fes ge­fah­ren.

»Ich rate dir wirk­lich, dich fest­zu­hal­ten, Fox.«

Ge­org Isen­brandt sag­te es mit un­er­schüt­ter­li­cher Ruhe, wäh­rend er durch ein gu­tes Glas die Schuss­wir­kun­gen auf dem Raub­schiff be­ob­ach­te­te.

»Auch ein Steu­er­bord­pro­pel­ler … gut! … Das hat in die Bat­te­rie ge­schla­gen …«

Ru­hig und lei­den­schafts­los stell­te er die ein­zel­nen Tref­fer fest. Ohne Pau­se krach­ten jetzt die acht Schnell­feu­er­ge­schüt­ze des Kom­pa­gnie­schif­fes und schleu­der­ten einen Strom von Stahl und Dy­na­mit auf das Raub­schiff hin. Aber ob­schon schwer ge­trof­fen, setz­te dies den An­griff auf das Post­schiff fort.

Nur noch aus ei­nem Rohr ver­moch­te es jetzt zu feu­ern, aber es feu­er­te, bis ein Tref­fer des Kom­pa­gnie­schif­fes auch dies letz­te Rohr in Trüm­mern schlug.

Ge­org Isen­brandt kniff die Lip­pen zu­sam­men.

»Halt! … Das darf nicht sein … Herr von Lö­wen!«

Der Kom­man­dant folg­te mit den Bli­cken dem Fin­ger des Obe­r­in­ge­nieurs. Ein gel­bes Pünkt­chen lös­te sich von dem Raub­schiff und sank in die Tie­fe. Der Kom­man­dant sprach durch das Te­le­fon. In dich­ten Sal­ven feu­er­te das Kom­pa­gnie­schiff. Wei­ße Schrap­nell­wölk­chen um­hüll­ten das nie­der­sin­ken­de gel­be Fleck­chen und dann … ganz plötz­lich war das ver­schwun­den, wie weg­ge­wischt aus dem blau­en Him­mel.

Aber schon tropf­te es wei­ter aus dem tod­wun­den Raub­schiff. Ein zwei­ter, drit­ter, vier­ter und fünf­ter Fall­schirm lös­ten sich fast gleich­zei­tig von ihm und san­ken nach un­ten.

Wel­ling­ton Fox hielt sich mit der Rech­ten am Fens­ter­griff und schlug sich mit der Lin­ken auf die Schen­kel.

»Num­mer zwei ist futsch … Num­mer drei ist ge­trof­fen … den Fünf­ten hat’s ge­fasst … der Vier­te … aber der Vier­te … Ge­org … der Vier­te kommt durch.«

Die Ge­schüt­ze des Kom­pa­gnie­schif­fes ar­bei­te­ten wie Schnell­feu­er­pis­to­len. Die Wol­ken der plat­zen­den Schrap­nel­le um­hüll­ten den vier­ten Fall­schirm so dicht, dass man das Gelb sei­ner Form nicht mehr zu er­ken­nen ver­moch­te.

»Jetzt hat’s ihn! … Nein, da ist er noch … jetzt hat’s ihn doch … nein … na … ich weiß nicht …«

Wel­ling­ton Fox stieß die Wor­te mit der Lei­den­schaft­lich­keit ei­nes Jä­gers her­vor, wäh­rend er das Schick­sal des vier­ten Fall­schirms ver­folg­te.

In den letz­ten Mi­nu­ten war das Kom­pa­gnie­schiff dem be­we­gungs­lo­sen Raub­schiff im­mer nä­her ge­kom­men. Noch ein­mal drei Schüs­se aus den schwers­ten Roh­ren. Trüm­mer flo­gen auf. Dann brach das füh­rer­lo­se Schiff in drei Tei­len aus­ein­an­der. Schwer wie Stei­ne stürz­ten sie in die Tie­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­