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Hans Dominik

Befehl aus dem Dunkel

Kommentierte Originalfassung

Hans Dominik

Befehl aus dem Dunkel

Kommentierte Originalfassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
EV: Verlag Keil, Berlin, 1933
1. Auflage, ISBN 978-3-954187-34-8

null-papier.de/358

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Inhaltsverzeichnis

Der Au­tor

Zum Buch

Hin­weis

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Der Autor

Hans Do­mi­nik war der Pio­ni­er des uto­pi­schen Ro­mans in Deutsch­land und ei­ner der er­folg­reichs­ten deut­schen Po­pu­lär­schrift­stel­ler des 20. Jahr­hun­derts. Er wur­de 1872 in Zwickau ge­bo­ren und starb 1945 wäh­rend des Kriegs­en­des in Ber­lin. Ne­ben Science-Fic­ti­on hat Do­mi­nik auch Sach­bü­cher und Ar­ti­kel mit tech­nisch-wis­sen­schaft­li­chen In­hal­ten ver­fasst.

Bild: 358_Befehl_aus_dem_Dunkel_001.jpg

Sei­ne Ju­gend­jah­re wie auch den größ­ten Teil sei­nes Le­bens ver­brach­te er in Ber­lin. Am Gym­na­si­um in Go­tha be­geg­ne­te er dem Leh­rer Kurd Laß­witz (http://null-pa­pier.de/au­t­hor/kurd-lass­witz/), selbst ein frü­her Ver­fas­ser uto­pi­scher Ro­ma­ne. Man kann da­von aus­ge­hen, dass die­se Be­geg­nung nicht ohne Ein­fluss auf Do­mi­nik und sein spä­te­res Werk blieb.

Ab 1893 stu­dier­te Hans Do­mi­nik an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Ber­lin Ma­schi­nen­bau und Ei­sen­bahn­tech­nik. Spä­ter war er für meh­re­re Un­ter­neh­men im Be­reich der Gro­ß­in­dus­trie und des Berg­baus tä­tig, u.a. auch für Sie­mens.

Nach 1901 mach­te er sich als Fach­au­tor selb­stän­dig. Für Auf­trag­ge­ber aus der In­dus­trie ver­fass­te er Wer­be­bro­schü­ren und Pro­spek­te. Sei­ne Lei­den­schaft galt aber der auf­kom­men­den Science-Fic­ti­on Li­te­ra­tur oder bes­ser den »tech­ni­schen Aben­teu­er­ro­ma­nen«, wie die­se in Deutsch­land noch ge­nannt wur­den. Do­mi­nik war auch ab­seits der Li­te­ra­tur sehr um­trie­big, er grün­de­te ein Un­ter­neh­men und er­hielt meh­re­re Pa­ten­te auf dem Ge­biet der Au­to­mo­bil­tech­no­lo­gie.

Sein ers­ter uto­pi­scher Ro­man »Die Macht der Drei« er­schi­en 1922 als Fort­set­zungs­ge­schich­te und wur­de kurz dar­auf als Buch ver­öf­fent­licht. Ab 1924 wid­me­te sich Do­mi­nik ganz der Schrift­stel­le­rei, in Jah­res­ab­stän­den er­schie­nen wei­te­re Ro­ma­ne.

Ne­ben den rei­nen Aben­teu­er­ge­schich­ten für eine er­wach­se­ne Le­ser­schaft ver­öf­fent­lich­te er auch die (im­mer noch sehr stark vom tech­ni­schen Fort­schritt ein­ge­färb­ten) Ju­gend­ge­schich­ten um den Auf­stieg des John Work­man vom Zei­tungs­jun­gen zum Mil­lio­när: »John Work­mann, der Zei­tungs­boy« (1925).

Die wich­tigs­ten Wer­ke:

Zum Buch

Die Wis­sen­schaft hat eine bahn­bre­chen­de Er­fin­dung ge­macht: die Ge­dan­ken­über­tra­gung mit­tels Äther­wel­len. Ein­ge­weih­te in Ost und West wen­den die Ge­dan­ken­ma­ni­pu­la­ti­on skru­pel­los an. Sie wer­den zu heim­li­chen Herr­schern über die Mensch­heit und be­kämp­fen ein­an­der mit al­len Mit­teln, bis die Es­ka­la­ti­on in ei­nem welt­wei­ten Krieg mün­det.

In die­sem Ro­man spielt Do­mi­nik mit ei­nem ur­al­ten Traum der Mensch­heit: der Ge­dan­ken­kon­trol­le. Eu­ro­pa, Asi­en und Aus­tra­li­en sind die Schau­plät­ze der span­nen­den Hand­lung, die uns der Ur­va­ter der deut­schen Science Fic­ti­on kre­denzt.

»Al­les habe ich ver­sucht! … Habe mich mit al­len mei­nen kör­per­li­chen und geis­ti­gen Kräf­ten ge­gen den Zwang der Ge­dan­ken­wel­len, die von die­ser Wachs­plat­te her­kom­men, ge­wehrt … je­der Wi­der­stand um­sonst! Ich bin un­ter­le­gen«, stieß es rau aus sei­ner Keh­le.

Hinweis

Die Buch-Erst­aus­ga­be ist im April 1933 im Ver­lag E. Keils Nachf., Ber­lin er­schie­nen. Ein Vor­ab­druck als Fort­set­zungs­ro­man in 11 Fol­gen er­schi­en in der Zeit­schrift »Die Wo­che« von No. 7 (18. Fe­bru­ar 1933) bis No. 18 (06. Mai 1933).

Es wur­den vom Ver­le­ger geo­gra­fi­sche Be­zeich­nun­gen kor­ri­giert. Wo dies nicht sinn­voll oder mög­lich war, er­folg­te eine Kom­men­tie­rung in Fuß­no­ten.

1

›Sämt­li­che po­li­ti­schen Ge­fan­ge­nen sind so­fort in Frei­heit zu set­zen. Ge­ne­ral Iwa­now.‹

Wäre der Blitz in das Gou­ver­ne­ments­ge­bäu­de von Ir­kutsk ge­schla­gen, Ver­wir­rung und Auf­re­gung hät­ten nicht grö­ßer sein kön­nen. Wie ein Lauf­feu­er ging die Kun­de von die­sem un­be­greif­li­chen Er­lass des Ober­be­fehls­ha­bers durch den Rie­sen­bau.

Alle po­li­ti­schen Ge­fan­ge­nen frei­ge­las­sen? Ja so­gar die be­reits zum Tode Ver­ur­teil­ten?! Was war ge­sche­hen? War der Ge­ne­ral wahn­sin­nig ge­wor­den? War eine neue Re­vo­lu­ti­on aus­ge­bro­chen?

We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter war das Zim­mer des Ge­ne­rals an­ge­füllt von ei­nem Schwarm hö­he­rer Be­am­ter und Of­fi­zie­re, die ihn mit Fra­gen be­stürm­ten, auf ihn ein­spra­chen. Doch im­mer nur die eine Ant­wort aus Iwa­nows Mun­de: ›Die Ge­fan­ge­nen sind un­schul­dig. Au­ßer­dem liegt ihre Ent­las­sung im Staats­in­ter­es­se.‹

Wa­ren es wirk­lich die Wor­te des Ge­ne­rals oder war es et­was an­de­res – eine Stim­me nach der an­de­ren ver­stumm­te. Die er­reg­ten Ge­sich­ter glät­te­ten sich mehr und mehr … dann alle in nach­denk­li­chem Schwei­gen, und dann … nick­ten die einen zu­stim­mend, die an­de­ren spra­chen laut her­aus, es kön­ne gar kei­nem Zwei­fel un­ter­lie­gen, dass das Staats­in­ter­es­se die Frei­las­sung der Ge­fan­ge­nen er­for­de­re … sie sei­en völ­lig un­schul­dig.

War die­ser plötz­li­che Stim­mungs­wech­sel der Ver­sam­mel­ten schon recht son­der­bar, so war auch ihr wei­te­res Ver­hal­ten über­aus merk­wür­dig. An­statt nun nach Er­le­di­gung der An­ge­le­gen­heit das Zim­mer zu ver­las­sen, ver­blie­ben sie noch eine vol­le Stun­de bei Iwa­now, ohne au­ßer ein paar gleich­gül­ti­gen Re­dens­ar­ten über die Ge­fan­ge­nen wei­te­re Wor­te zu wech­seln.

Als aber ge­gen Mit­tag der Ge­ne­ral und die an­de­ren das Zim­mer ver­las­sen hat­ten, dau­er­te es nur we­ni­ge Mi­nu­ten, da gell­ten nach ei­ner kur­z­en Be­spre­chung Iwa­nows mit den an­de­ren Her­ren bei al­len Be­hör­den die Te­le­fon­klin­geln: ›Be­fehl des Ge­ne­rals, die vor ei­ner Stun­de ent­las­se­nen po­li­ti­schen Ge­fan­ge­nen so­fort wie­der zu ver­haf­ten und in das Ge­fäng­nis ein­zu­lie­fern.‹ Bis auf eine der Ge­fan­ge­nen, ein jun­ges Mäd­chen na­mens Ly­dia All­ger­mis­sen, wur­den die üb­ri­gen als­bald wie­der fest­ge­nom­men.

Am Nach­mit­tag des­sel­ben Ta­ges be­rief Iwa­now sämt­li­che Her­ren, die am Mit­tag bei ihm ge­we­sen wa­ren, zu ei­ner Be­spre­chung zu sich. Noch ehe man dazu kam, sich über das Un­be­greif­li­che, Un­fass­ba­re, das sich vor ein paar Stun­den in die­sem Raum zu­ge­tra­gen hat­te, aus­zu­spre­chen, spran­gen alle wie auf ein ge­ge­be­nes Kom­man­do auf und be­weg­ten sich in leb­haf­ten Tanz­schrit­ten durch den Raum. Gleich­zei­tig er­schi­en vor dem Fens­ter, das nach dem Gar­ten zu ging, ein al­ter, ein­fach ge­klei­de­ter Mann, der sich über das Bild im Zim­mer aufs höchs­te be­lus­tig­te. Wäh­rend sei­ne Hän­de un­auf­hör­lich den Takt zu dem Tanz im Gou­ver­neurs­zim­mer schlu­gen, spru­del­te sein Mund von hef­ti­gen Ver­wün­schun­gen und bos­haf­tem Ge­ki­cher über.

Plötz­lich öff­ne­te sich die Tür zu dem Zim­mer und ein jun­ger Of­fi­zier in Mel­de­uni­form, den Stahl­helm auf dem Kopf, trat her­ein. Wie an­ge­wur­zelt blieb er ste­hen und starr­te wie be­täubt auf die son­der­ba­re Sze­ne. Dann such­ten sei­ne Au­gen die des Ge­ne­rals, und was er dar­in las, er­füll­te ihn mit schreck­haf­tem Ent­set­zen. Angst, Wut, tiefs­te Be­schä­mung spra­chen nur zu deut­lich dar­aus.

Un­fä­hig, den Mund zu ei­ner Fra­ge zu öff­nen, einen Ent­schluss zu fas­sen, stand der Of­fi­zier. Da fiel sein Blick auf das Fens­ter, hin­ter dem der Alte mit krei­schen­den Freu­den­ru­fen die Sze­ne be­glei­te­te. Blitz­ar­tig kam dem Of­fi­zier der Ge­dan­ke, dass der dort drau­ßen viel­leicht durch Hyp­no­se oder sug­ge­s­ti­ven Zwang den Ge­ne­ral und die an­de­ren zu die­sen je­der Ver­nunft und Sit­te hohn­spre­chen­den Tanz­be­we­gun­gen ver­an­las­se. Mit ei­nem Sprung war er am Fens­ter und schoss durch die Schei­be hin­durch den Al­ten in den Kopf, dass der so­fort tot um­sank.

Doch sei­ne schnel­le Ver­mu­tung be­stä­tig­te sich nicht. Die Ver­sam­mel­ten tanz­ten un­ent­wegt wei­ter, ob­wohl ei­ni­ge der äl­te­ren Her­ren sich nur noch mit Mühe auf den Fü­ßen hiel­ten. Kaum noch Herr sei­ner Sin­ne, woll­te der Of­fi­zier aus dem Zim­mer ei­len und Hil­fe ho­len, da war der Tanz plötz­lich zu Ende. Ver­wirrt, atem­los, er­schöpft tau­mel­ten die son­der­ba­ren Tän­zer zu den nächst­bes­ten Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Iwa­now gab …

2

Dies stand ge­druckt in der neu­en Aus­ga­be der »Dai­ly Mail«, die ein schla­fen­der Pas­sa­gier im D-Zug Aa­chen-Pa­ris lose in der Hand hielt. Sein Ge­gen­über hat­te weit vor­ge­beugt den Text bis hier­hin mit größ­tem In­ter­es­se le­sen kön­nen. Wie ging die merk­wür­di­ge Ge­schich­te wei­ter? Wer hat­te das ge­schrie­ben?

Fie­bernd vor Neu­gier­de und Un­ge­duld hät­te Ge­org As­ten­ryk dem Schla­fen­den am liebs­ten die Zei­tung fort­ge­nom­men. Är­ger­lich warf er sich auf sei­nen Sitz zu­rück, da traf sein Blick das et­was be­lus­tig­te Ge­sicht sei­nes Rei­se­ge­fähr­ten zur Rech­ten. Der moch­te über sein Buch hin­weg wohl et­was von die­ser Lek­tü­re mit Hin­der­nis­sen be­ob­ach­tet ha­ben und reich­te ihm jetzt lä­chelnd eine Zei­tung.

»Bit­te, Herr As­ten­ryk. Das ist die­sel­be Num­mer der ›Dai­ly Mail‹, die Sie an­schei­nend so in­ter­es­siert. Sie kön­nen sie gern er­hal­ten. Ich habe sie ge­le­sen.«

Et­was ver­le­gen nahm Ge­org As­ten­ryk das Blatt an sich. »Sehr lie­bens­wür­dig, Herr Ma­jor. Mei­nen ver­bind­lichs­ten Dank.« –

Der Zug hielt in Com­pièg­ne.1 Ma­jor Dale er­hob sich und reich­te Ge­org As­ten­ryk die Hand zum Ab­schied. »Es war mir eine an­ge­neh­me Be­kannt­schaft. Vi­el­leicht fügt es das Schick­sal, dass wir uns spä­ter noch ein­mal wie­der­se­hen.«

»Das wür­de mich sehr freu­en, Herr Ma­jor. Soll­te der Zu­fall Sie in Aus­tra­li­en ge­le­gent­lich wie­der mit mei­nem Bru­der Jan zu­sam­men­brin­gen, grü­ßen Sie ihn bit­te.«

Der Zug rück­te an. Ge­org As­ten­ryk sah dem Rei­se­ge­fähr­ten nach, bis der an ei­nem Au­to­stand sei­nen Bli­cken ent­schwand. Ein her­vor­ra­gen­der Mensch, die­ser Ma­jor Dale aus Syd­ney, dach­te er da­bei. Na­tür­lich, sonst wäre er ja nicht nach Lon­don in den Ge­ne­ral­stab be­ru­fen. Man wird von ihm viel­leicht noch hö­ren, wenn es wirk­lich im Fer­nen Os­ten zu der großen Aus­ein­an­der­set­zung kommt. Was er über die ge­spann­te Lage da­hin­ten er­zähl­te, war in­ter­essant. Da­nach ist ja eher frü­her als spä­ter ein Krieg zu er­war­ten. Dass er da drü­ben auch Jan ken­nen­ge­lernt hat … die Welt ist doch wirk­lich ein Dorf. –

Auch der Aus­tra­lier hat­te von sei­nem deut­schen Rei­se­ge­fähr­ten einen nach­hal­ti­gen Ein­druck emp­fan­gen. Im An­fang der Fahrt, ehe sie mit­ein­an­der ins Ge­spräch ge­kom­men, hat­te er sich im­mer wie­der ge­fragt: Was ist das für ein Mensch da drü­ben? Was kann der sein? Die­ser Zwie­spalt in den star­ken, aber doch kla­ren Ge­sichts­zü­gen. Die hohe Stirn, die klu­gen Au­gen des Ge­lehr­ten über dem kräf­ti­gen Kinn des Tat­men­schen. Er muss­te mit ihm be­kannt wer­den, um über des­sen Per­sön­lich­keit Auf­klä­rung zu be­kom­men. Es über­rasch­te ihn, als er er­fuhr, wie jung sein Ge­gen­über noch war. Er hät­te ihn ohne wei­te­res zehn Jah­re äl­ter ge­schätzt. Der schi­en aus an­de­rem Holz ge­schnitzt als sein Halb­bru­der Jan Val­ver­de in Aus­tra­li­en. Der war wohl ein ganz gu­ter Far­mer, aber auch nicht mehr als das. Die­ser As­ten­ryk über­rag­te ihn je­den­falls turm­hoch an geis­ti­gen Kräf­ten. –

Ge­org As­ten­ryk ent­fal­te­te jetzt die Zei­tung Da­les und nahm sich den Auf­satz vor, der ihn so in­ter­es­siert hat­te. Der Ar­ti­kel trug die Über­schrift »Erin­ne­run­gen ei­nes rus­si­schen Arz­tes von Dr. Ni­ko­lai Ro­stow«. Er las ihn von der Stel­le wei­ter, bis zu der er vor­her ge­kom­men war.

»… Ge­ne­ral Iwa­now gab dem Of­fi­zier den Be­fehl, nie­mand in das Zim­mer hin­ein­zu­las­sen. Nach ei­ner län­ge­ren Be­spre­chung ver­pflich­te­te er alle An­we­sen­den bis zur Klä­rung der An­ge­le­gen­heit zu strengs­tem Schwei­gen.

Die Vor­gän­ge in Ir­kutsk wa­ren auch in Mos­kau be­kannt­ge­wor­den und die Re­gie­rung schick­te so­fort einen Stab her­vor­ra­gen­der Kri­mi­na­lis­ten und Ge­lehr­ter, dar­un­ter auch mei­nen Freund, den Ge­ne­ral­arzt Or­low, von dem ich die­se Mit­tei­lun­gen habe, dort­hin.

Die pein­lichst ge­nau durch­ge­führ­te Un­ter­su­chung er­gab je­doch nichts, das ge­eig­net ge­we­sen wäre, den Schlei­er des Ge­heim­nis­ses zu lüf­ten.

Der von dem Of­fi­zier er­schos­se­ne alte Mann war als ein Pro­fes­sor All­ger­mis­sen fest­ge­stellt wor­den. Die­ser, ein Deutsch­bal­te, als po­li­tisch Ver­däch­ti­ger nach Ir­kutsk ver­bannt, ar­bei­te­te in dem staat­li­chen La­bo­ra­to­ri­um als As­sis­tent un­ter dem Di­rek­tor des In­sti­tuts. Er hat­te schon frü­her als Son­der­ling ge­gol­ten, als Wis­sen­schaft­ler ge­noss er einen vor­züg­li­chen Ruf.

Schon mehr­mals hat­te man Ver­dacht, dass All­ger­mis­sen Ar­bei­ten, de­ren Re­sul­ta­te schon greif­bar schie­nen, ab­sicht­lich falsch aus­lau­fen ließ oder zum we­nigs­ten stark ver­zö­ge­re. In der letz­ten Zeit hat­te der Pro­fes­sor sei­nen Hass ge­gen die Re­gie­rung in mehr oder we­ni­ger ver­steck­ten Re­dens­ar­ten zum Aus­druck ge­bracht. Als er sich so­gar in of­fen­kun­di­gen Droh­re­den er­ging, steck­te man ihn und gleich­zei­tig sei­ne Frau und sei­ne Toch­ter Ly­dia ins Ge­fäng­nis. Wäh­rend der Un­ter­su­chung starb Frau All­ger­mis­sen. Pro­fes­sor All­ger­mis­sen, der schon gleich nach sei­ner Ver­haf­tung von den Ärz­ten als et­was geis­tes­ge­stört be­zeich­net wur­de, ver­fiel jetzt in völ­li­gen Wahn­sinn. Er wur­de nach der Kran­ken­ab­tei­lung des Ge­fäng­nis­ses ge­bracht, aus der er dann an je­nem Tage un­ter al­ler­dings sehr auf­fäl­li­gen Um­stän­den ent­floh.

Un­ter den auf je­nen rät­sel­haf­ten Be­fehl des Ge­ne­rals Iwa­now aus dem Ge­fäng­nis Ent­las­se­nen be­fand sich auch Ly­dia All­ger­mis­sen. Sie hat­te sich vom Ge­fäng­nis nach ih­rer frü­he­ren Woh­nung be­ge­ben. Von die­sem Zeit­punkt ab war sie ver­schwun­den.

Nach­dem die Mos­kau­er Kom­mis­si­on sich lan­ge Zeit ver­geb­lich be­müht hat­te, eine trif­ti­ge Auf­klä­rung der ge­heim­nis­vol­len Vor­fäl­le zu ge­ben, be­gnüg­te man sich schließ­lich mit der plau­si­blen An­nah­me, dass Pro­fes­sor All­ger­mis­sen über un­ge­wöhn­lich star­ke hyp­no­ti­sche Kräf­te ver­fügt ha­ben müs­se. –

Dr. Or­low hat sich mit mir und auch mit an­de­ren Fach­leu­ten ver­geb­lich be­müht, eine bes­se­re, ei­ni­ger­ma­ßen wis­sen­schaft­li­che Er­klä­rung zu fin­den. Vi­el­leicht, dass ein Le­ser frü­her oder spä­ter die rich­ti­ge Lö­sung fin­det.«

Da­mit schloss der Ar­ti­kel in der »Dai­ly Mail«. Ge­org As­ten­ryk ließ das Blatt sin­ken und nick­te nach­denk­lich vor sich hin, als wol­le er sa­gen: Ich habe die Er­klä­rung zum Teil schon ge­fun­den, mein lie­ber Herr Dok­tor Ro­stow. Er barg die Zei­tung sorg­fäl­tig in sei­ner Brust­ta­sche, dach­te da­bei: Jetzt, wo ich den Be­richt mei­nes Freun­des Lön­holdt von solch au­then­ti­scher Sei­te be­stä­tigt fin­de, wer­de ich mich et­was ernst­haf­ter mit dem be­schäf­ti­gen, was ich von All­ger­mis­sen weiß.

»An Zeit man­gelt es mir ja nicht«, sag­te er mit ei­nem bit­te­ren Zug um die Lip­pen lei­se vor sich hin, »seit­dem ich die Lei­tung der Fir­ma As­ten­ryk und Kom­pa­nie dem Kon­kurs­ver­wal­ter über­las­sen muss­te …«

Dach­te dann wei­ter … die­ser All­ger­mis­sen … Ge­nie oder Wahn­sinn? … Ge­nie und Wahn­sinn? … Dass der schwer geis­tes­krank ge­we­sen, stand wohl au­ßer Zwei­fel … Wie oft hat­te er des­we­gen die Be­schäf­ti­gung mit dem Pro­blem All­ger­mis­sens bei­sei­te­ge­scho­ben, hat­te sich ge­sagt: Es sind doch nur die Ide­en ei­nes Ver­rück­ten …

Und doch! Jetzt, wo er Lön­holdts Be­richt durch den rus­si­schen Arzt in je­der Be­zie­hung be­stä­tigt fand, jetzt muss­ten sol­che Zwei­fel schwin­den. Jetzt durf­te ihm selbst das Be­neh­men All­ger­mis­sens in der Nacht vor sei­ner Ver­haf­tung nicht mehr als das ei­nes völ­lig Wahn­sin­ni­gen er­schei­nen.

Was stand dar­über in Lön­holdts Ta­ge­buch? Pro­fes­sor All­ger­mis­sen hat­te in je­ner Nacht in wil­dem Tri­umph­ge­heul ge­schri­en: »Tod und Ver­nich­tung al­len Bol­sche­wi­ken! … Ich bin der Herr der Welt! … Die gan­ze Mensch­heit ist mir un­ter­tä­nig!« Jetzt muss­te tat­säch­lich das Un­ge­heu­er­lichs­te mög­lich wer­den kön­nen. Jetzt muss­te man den Wor­ten All­ger­mis­sens einen rea­ler Sinn zu­ge­ste­hen, auch wenn man, wei­ter den­kend, auf un­heim­lich phan­tas­ti­sche Fol­gen und Zie­le stieß …

Ge­orgs Ge­dan­ken wan­der­ten. Sei­ne in­ner­li­che Er­re­gung stei­ger­te sich mehr und mehr. »Mein Gott!«, rief er schließ­lich laut aus, »man könn­te ja auch wahn­sin­nig wer­den, wenn man das al­les bis zum letz­ten Ende durch­denkt. Ja, wahn­sin­nig könn­te man wer­den … wie es auch All­ger­mis­sen wur­de … wur­de, nicht war.«

Er schrak zu­sam­men. Ein Schaff­ner trat in die Tür und re­gu­lier­te die Platz­mar­ken. Ein Blick aus dem Fens­ter zeig­te Ge­org As­ten­ryk schon die ho­hen Hin­ter­wän­de der städ­ti­schen Häu­ser. Ein Blick auf die Uhr: in we­ni­gen Mi­nu­ten wür­de er sei­ne Ver­lob­te Anne Esche­loh in die Arme schlie­ßen.

Der Zug lief in den Nord­bahn­hof ein. »Pa­ris!« An der Sper­re er­blick­te er von wei­tem Anne. Sie hat­te ihn noch nicht ge­se­hen. Sei­ne Au­gen hin­gen an dem schö­nen, rei­nen Pro­fil sei­ner Ver­lob­ten. Er wink­te ihr zu. Sie er­kann­te ihn, wink­te wi­der, Und dann stand er vor ihr … er­schrak.

»Anne! Lie­be Anne!« Ei drück­te sie fest an sich. »Anne!« … Freu­de und Er­schre­cken la­gen in sei­ner Stim­me. Wie hat­te sich ihr Ge­sicht ver­än­dert, dass selbst die Freu­de des Wie­der­se­hens nicht die tie­fen Schat­ten ver­wi­schen konn­te, die auf ih­ren Zü­gen la­gen!

Er kann­te Anne zu gut. Sie hat­te ei­nes je­ner Ge­sich­ter, die zwar ge­lernt ha­ben sich zu be­herr­schen, die aber zu durch­sich­tig sind, um die Re­gun­gen der See­le zu ver­ber­gen. Die­ser frem­de Zug um den Mund, die­se ver­schlei­er­ten Au­gen spra­chen von in­ne­rem Leid.

»Ge­org! Mein lie­ber, gu­ter Ge­org! Wie freue ich mich, dich wie­der zu ha­ben.«

»Und ich auch, mein Lieb­ling. Wenn wir uns auch un­ter trau­ri­gen Um­stän­den …«

»Nicht jetzt! Ach, sprich jetzt nicht wei­ter da­von, Ge­org. Lass uns die Freu­de des Wie­der­se­hens ge­nie­ßen … spä­ter da­von. Wir wol­len gleich zu uns fah­ren. Du wohnst auch, wie mein Schwa­ger For­bin und He­le­ne, in der Pen­si­on Pel­lo­nard in der Rue Fré­mont. Ein Zim­mer ist für dich re­ser­viert.«

»Ach, das ist ja wun­der­voll, dass wir zu­sam­men­woh­nen, Anne. Um so mehr wer­den wir von­ein­an­der ha­ben.«

Sie gin­gen zu dem Ta­xi­stand und fuh­ren zur Rue Fré­mont. Al­fred und He­le­ne For­bin wa­ren nicht zu Hau­se. Ge­org war dar­über nicht böse. Al­lein mit Anne, schloss er sie in zärt­li­chem Mit­leid in die Arme.

»Anne! Du bist so ver­än­dert. Drückt dich et­was? Nach dei­nem Brie­fe schienst du mir … ich will nicht sa­gen, glück­lich … aber doch ganz zu­frie­den mit dei­nem Auf­ent­halt hier. Fühlst du dich nicht wohl bei dei­nem Schwa­ger, oder ist es was an­de­res?«

Anne Esche­loh wand­te sich zur Sei­te.

»Ach … spre­chen wir doch nicht da­von, Ge­org! Wa­rum soll ich nicht zu­frie­den sein, da es mir ja an nichts fehlt? Ich muss nur im­mer an dich den­ken. Was hast du nicht al­les in der letz­ten Zeit durch­ma­chen müs­sen! Der Tod dei­nes Va­ters, die Hy­po­the­ken­ge­schich­te und nun gar der Kon­kurs eu­res al­ten Wer­kes … Was wirst du an­fan­gen, wenn sie dir al­les ge­nom­men ha­ben?«

»Anne! Ist es wirk­lich nur das? Hast du nicht auch an­de­ren Kum­mer? Ich möch­te dir ja so gern glau­ben, aber ich kann es nicht. Um mich brauchst du dich kei­nes­falls zu sor­gen. Ich wer­de schon durch­kom­men. Aber dass du dich hier auch nur ei­ni­ger­ma­ßen wohl fühlst … ich kann’s nicht glau­ben, Anne!

Als da­mals dein Va­ter starb und du dich die­sem zwei­fel­haf­ten For­bin – ver­zeih, dass ich von dem Mann dei­ner Schwes­ter so spre­che – an­schlos­sest, da dach­te ich mir: Lan­ge soll das nicht dau­ern, dann hole ich dich mir wie­der. Die Ha­lun­ken, die mich zum Kon­kurs brach­ten, ha­ben auch durch die­sen Plan einen Strich ge­macht … vor­läu­fig … denn Anne, mei­ne lie­be Anne, wenn du zu mir hältst … ich wer­de nie von dir las­sen. Und ein­mal wird ja doch der Tag kom­men, wo …«

»Ge­org, schwei­ge doch! Was sprichst du da! Ich soll­te nicht im­mer zu dir hal­ten? Was auch kom­men mag, ich las­se dich nicht.

Aber er­zäh­le doch jetzt, wie es mög­lich war, dass du für dein gut­ge­hen­des Werk nicht das Geld auf­trei­ben konn­test, um den Kon­kurs ab­zu­wen­den?«

Es war eine trau­ri­ge Ge­schich­te, die Ge­org zu er­zäh­len hat­te. Die große Hy­po­thek von den Er­ben des frü­he­ren Teil­ha­bers ver­kauft, von dem neu­en Be­sit­zer über­ra­schend ge­kün­digt. Kei­ne Mög­lich­keit, so schnell das Ka­pi­tal für die Rück­zah­lung zu be­schaf­fen. Dazu bös­wil­li­ge Gerüch­te über den Stand der Fir­ma … der schwe­re Gang zum Kon­kurs­rich­ter un­ver­meid­lich.

Und das al­les nur dunkle Ma­chen­schaf­ten ei­ner fran­zö­si­schen In­ter­es­sen­grup­pe, um ihn zu zwin­gen, die her­an­rei­fen­den Früch­te ei­ner jah­re­lan­gen Er­fin­der­tä­tig­keit de­nen aus­zu­lie­fern.

»Hast du schon ir­gend­wel­che Plä­ne für die Zu­kunft, Ge­org?«

»Ge­wiss habe ich al­ler­hand Plä­ne. Aber ich kann zur Zeit lei­der noch nicht sa­gen, was sich da­von ver­wirk­li­chen lässt. Je­den­falls muss ich, so­lan­ge der Kon­kurs dau­ert, in Neu­stadt blei­ben. Das wird sich wohl noch ei­ni­ge Wo­chen hin­zie­hen.«

»Ja, aber wie wird’s denn mit dei­nen Ar­bei­ten? Ich mei­ne dei­ne Er­fin­dung … die elek­tri­sche Koh­len­bat­te­rie?«

»Das ist ja ge­ra­de die Fra­ge, die so schwer zu lö­sen ist. Wäre ich frei von dem Ban­ne, in dem sie mich hält, wäre es an­ders. Ich wer­de ganz wahr­schein­lich das freund­li­che Aner­bie­ten der Tan­te Mila in Mün­chen an­neh­men. Sie will mir zur Fort­füh­rung mei­ner Ar­bei­ten ihr Alm­haus am Wil­den Rain oben in den baye­ri­schen Ber­gen zur Ver­fü­gung stel­len und mich, so­weit es ihre be­schei­de­nen Mit­tel er­lau­ben, un­ter­stüt­zen.«

»Ach, das ist ja sehr lieb von der gu­ten Tan­te«, un­ter­brach ihn Anne.

Über Ge­orgs Ge­sicht ging ein Schat­ten.

»Ge­wiss, Anne! Ich bin na­tür­lich Tan­te Mila sehr dank­bar da­für, aber es fällt mir nicht leicht, ihr Aner­bie­ten an­zu­neh­men. Sie lebt von ih­rer Wit­wen­pen­si­on und muss sich jetzt wahr­schein­lich et­was ein­schrän­ken. Das ist mir im höchs­ten Gra­de un­an­ge­nehm. Ich, ein jun­ger, kräf­ti­ger Mensch, der et­was ge­lernt hat, soll ei­ner al­ten, kränk­li­chen Ver­wand­ten auf der Ta­sche lie­gen!

Aber ich tu’s – fast möch­te ich sa­gen, muss es tun –, um mich mit vol­ler Kon­zen­tra­ti­on und aus­schließ­lich mei­nen Er­fin­der­ar­bei­ten wid­men zu kön­nen. Der Ge­dan­ke, da­durch viel­leicht Jah­re spa­ren zu kön­nen, lässt mich das al­les vor mir selbst ver­ant­wor­ten. Die­se fremd­län­di­sche Er­pres­ser­ge­sell­schaft soll sich je­den­falls in mir ge­täuscht ha­ben. Was auch kom­men mag, ich wer­de nicht zu Kreu­ze krie­chen. Also …«

Schrit­te, die sich auf dem Flur drau­ßen nä­her­ten, lie­ßen ihn ver­stum­men. Gleich dar­auf öff­ne­te sich die Tür und An­nes Schwes­ter He­le­ne trat in das Zim­mer.

Frau He­le­ne For­bin war eine sel­ten schö­ne Er­schei­nung, und wer sie nä­her kann­te, wuss­te nicht, was er mehr be­wun­dern soll­te: ihre äu­ße­re Schön­heit oder ih­ren glän­zen­den Geist? Eine Frau von Welt vom Schei­tel bis zur Soh­le. Wie war es mög­lich, dass eine sol­che Frau ei­nem Mann wie Al­fred For­bin, ei­nem Ha­sar­deur, ei­nem Glücks­rit­ter, die Hand ge­reicht hat­te? Die­se Ge­dan­ken, wie schon so oft, bei Ge­org As­ten­ryk, wäh­rend er auf sie zu­ging.

»Ah! Ge­org! Ich freue mich sehr, Sie hier zu se­hen. Das wa­ren ja trau­ri­ge Nach­rich­ten aus Neu­stadt. Wir alle ha­ben Sie von gan­zem Her­zen be­dau­ert. Wie lan­ge ge­den­ken Sie bei uns in Pa­ris zu blei­ben? Ent­schul­di­gen Sie die Fra­ge! Es wür­de uns na­tür­lich eine be­son­de­re Freu­de sein, wenn Sie recht lan­ge hier­blei­ben könn­ten … oh! Was sa­gen Sie … nur drei Tage? Das ist ja sehr kurz. Anne, bist du da­mit so ohne wei­te­res ein­ver­stan­den?« Sie leg­te die Hand um die Schul­ter der Schwes­ter.

Ge­org merk­te wohl, wie Anne kaum merk­lich zur Sei­te wich, um die Hand He­le­nes ab­zu­strei­fen. Er kam sei­ner Ver­lob­ten zu Hil­fe. »Sie ver­ges­sen ganz, He­le­ne, dass ich zu Hau­se lei­der nicht län­ge­re Zeit ent­behr­lich bin. Der Kon­kurs­ver­wal­ter braucht mich not­wen­dig bei der Ab­wick­lung der Ge­schäf­te. Die­se Rei­se nach Pa­ris er­folgt ja auch nur in sei­nem Auf­trag, um mit ei­ni­gen Schuld­nern des Wer­kes Rück­spra­che zu neh­men.«

»Nun, dann ist es un­se­re Sa­che, Ih­nen die­se kur­ze Zeit recht ver­gnügt und an­ge­nehm zu ma­chen. Den heu­ti­gen Abend wer­den wir aber un­ter uns blei­ben. Al­fred lässt sich ent­schul­di­gen, dass er erst spä­ter kom­men kann. Er hat ge­schäft­li­che Ab­hal­tun­gen. Zur Si­cher­heit will ich ver­su­chen, ihn te­le­fo­nisch zu er­rei­chen.«

In dem­sel­ben Au­gen­blick ras­sel­te das Te­le­fon im Ne­ben­zim­mer.

»Vi­el­leicht ist es Al­fred.« He­le­ne ging hin­aus, nahm den Hö­rer.

»Bist du da, He­le­ne?«, klang For­bins Stim­me an ihr Ohr. »Gut! Ja! So höre … ist As­ten­ryk ge­kom­men? Wie? Er wird nur drei Tage hier­blei­ben? Dann müs­sen wir uns be­ei­len. Wie sagst du? Wann ich kom­me? Das ist noch un­be­stimmt. Ich bin hier in der Fédéra­ti­on In­dus­tri­el­le und war­te auf Ra­co­ni­er. Ich wer­de spä­ter noch mal an­ru­fen.«

For­bin leg­te den Hö­rer auf. Als er aus der Zel­le trat, traf er Ra­co­niers Se­kre­tä­rin.

»Eine Fra­ge bit­te, mein Fräu­lein. Ist Herr Che­f­in­ge­nieur Ra­co­ni­er schon da?«

»Nein, er ist noch im Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um, wird aber si­cher bald kom­men.«


  1. nord­fran­zö­si­sche Stadt  <<<

3

»Bit­te, Herr Ra­co­ni­er, nichts wei­ter da­von!« Mi­nis­ter Du­roy hielt mit gut­ge­spiel­tem Ent­set­zen die Hän­de an die Ohren. »Mit wel­chen Mit­teln Sie Ihr Ziel er­rei­chen, ist ganz Ihre Sa­che. So weit er­streckt sich das Ih­nen zu­ge­si­cher­te Wohl­wol­len nicht. Mich kann und darf nur in­ter­es­sie­ren, was Sie mir da über das Pro­blem der hun­dert­pro­zen­ti­gen Koh­len­aus­nut­zung er­zähl­ten und von die­sem Deut­schen As­ten­ryk, der der Lö­sung so nahe ge­kom­men ist. Das ist ja eine wun­der­ba­re Sa­che, als Nicht­tech­ni­ker habe ich Ihre Aus­füh­run­gen un­ge­fähr so ver­stan­den: Man hat da ein Ge­fäß, etwa so wie ein Ak­ku­mu­la­tor am Auto … mei­net­we­gen zehn- oder zwan­zig­mal so groß. In die­sem Ge­fäß ist die eine Elek­tro­de als ein Koh­len­be­häl­ter aus­ge­bil­det. Jetzt gießt man an­statt der Schwe­fel­säu­re ir­gend­ei­ne an­de­re che­mi­sche Flüs­sig­keit hin­ein. Dann schal­tet man das Ding an die Licht­lei­tung und schon bren­nen die Lam­pen. Nach ei­ni­ger Zeit wird die Koh­le im Ak­ku­mu­la­tor ver­schwun­den sein. Eine neue Por­ti­on Koh­le hin­ein und schon ist wie­der al­les in Ord­nung.«

»Ganz recht, Herr Mi­nis­ter! So ist es! Der Herr Mi­nis­ter hat auch ganz rich­tig das Wort be­tont, ›ver­schwun­den‹. Denn das ist ge­ra­de das Wort, wor­auf es an­kommt. Ver­schwun­den, das heißt in die­sem Fal­le rest­los aus­ge­nutzt. An­ders aus­ge­drückt, das Pro­blem der hun­dert­pro­zen­ti­gen Um­wand­lung der Koh­len­ener­gie in Elek­tri­zi­tät ist da­mit ge­löst.«

»Da kann ich mir den­ken, Herr Che­f­in­ge­nieur, dass al­ler­dings, wie Sie sag­ten, in al­len Tei­len der Welt eif­rig an die­sem Pro­blem ge­ar­bei­tet wird.« Mi­nis­ter Du­roy griff nach Blei­stift und Pa­pier. »Sie nann­ten mir da vor­her eine Rei­he von Zah­len. Wol­len Sie die bit­te wie­der­ho­len.«

Ra­co­ni­er ver­neig­te sich.

»Die bes­te Aus­nut­zung der Koh­le in der heu­te üb­li­chen Wei­se er­reicht güns­tigs­ten­falls zwan­zig Pro­zent, die Aus­nut­zung nach der neu­en Er­fin­dung hun­dert Pro­zent, also das Fünf­fa­che. Das wür­de für die Wirt­schaft Frank­reichs eine jähr­li­che Er­spar­nis von vie­len Mil­li­ar­den Frank be­deu­ten, ab­ge­se­hen von den kaum ge­rin­ge­ren Sum­men, die für die Li­zen­zen in un­ser Land flie­ßen müss­ten. Es wäre also in je­der Hin­sicht er­wünscht, wenn die­se Er­fin­dung von Frank­reich aus­gin­ge. Eine vor­sich­ti­ge sta­tis­ti­sche Auf­stel­lung über das ge­sam­te Zah­len­ma­te­ri­al darf ich Ih­nen, Herr Mi­nis­ter, hier­mit über­ge­ben.«

»Die­ser in­ter­essan­te Deut­sche … wo wohnt er? Wie ha­ben Sie von dem er­fah­ren?« … frag­te Du­roy.

»Er wohnt in Neu­stadt am Nie­der­rhein«, er­wi­der­te Ra­co­ni­er, setz­te dann mit ko­misch-erns­ter Mie­ne hin­zu, »wir er­fuh­ren von ihm durch Zu­fall.«

Der Mi­nis­ter er­hob sich lä­chelnd. »Ich wün­sche Ih­nen bes­ten Er­folg, Herr Ra­co­ni­er. Möge der Zu­fall Ih­nen wei­ter güns­tig sein.« –

Der Che­f­in­ge­nieur ver­ließ das Mi­nis­te­ri­um.

»Rue Me­vel­le!«, rief er sei­nem Chauf­feur vor dem Mi­nis­te­ri­um zu. Mit ei­nem Blick auf die Uhr dann: »Aber so schnell wie mög­lich!«

Nach zehn Mi­nu­ten hielt der Wa­gen vor dem Ver­wal­tungs­ge­bäu­de der Fédéra­ti­on In­dus­tri­el­le. Ra­co­ni­er nick­te dem Chauf­feur zu: »Gut ge­fah­ren, wenn’s auch ei­ni­ge Straf­man­da­te kos­ten wird.«

Mit ein paar Sprün­gen nahm er die Stu­fen zum ers­ten Stock und trat in ein Zim­mer, in dem zwei Her­ren ihn schon un­ge­dul­dig er­war­te­ten »Ver­zei­hung, Herr Ge­ne­ral­di­rek­tor, Ver­zei­hung, Herr Ba­guet­te. Ich habe Sie war­ten las­sen, aber die Schuld liegt nicht an mir. Herr Mi­nis­ter Du­roy zeig­te sol­ches In­ter­es­se für un­se­re Sa­che, dass ich nicht frü­her hier sein konn­te.«

»Nichts zu sa­gen, Herr Ra­co­ni­er. Was ist das Er­geb­nis Ihres Be­su­ches?«

»Der Mi­nis­ter wünscht uns bes­ten Er­folg, wird al­les tun, um un­se­re An­ge­le­gen­heit zu be­güns­ti­gen. Al­ler­dings …«

»… ohne auch nur eine Spur von Verant­wor­tung zu über­neh­men«, vollen­de­te Bank­di­rek­tor Ba­guet­te den Satz. »Das wuss­te ich im vor­aus.«

»Im­mer­hin, Herr Ba­guet­te, ha­ben wir die Ge­wiss­heit, dass uns die Re­gie­rung sehr sym­pa­thisch ge­gen­über­steht«, warf Ra­co­ni­er ein. »Nach dem per­sön­li­chen Ein­druck, den ich von dem Mi­nis­ter Du­roy hat­te, glau­be ich so­gar die An­wen­dung noch schär­fe­rer Mit­tel als bis­her emp­feh­len zu dür­fen.«

»Nein«, mein­te Ba­guet­te mit of­fen­ba­rem Wi­der­stre­ben, »war­ten wir doch erst mal ab, wie die ge­ra­de jetzt von uns an­ge­wand­ten Mit­tel sich aus­wir­ken. Ich den­ke im­mer noch, dass Herr As­ten­ryk nach­gie­bi­ger wird, wenn er aus dem Kon­kurs­ver­fah­ren als Bett­ler her­aus­geht.«

»Ich bin nicht ge­neigt, Ihre An­sicht zu tei­len, Herr Bank­di­rek­tor«, ent­geg­ne­te Ra­co­ni­er. »Ein vom Er­fin­der­geist Be­ses­se­ner – und das ist Ge­org As­ten­ryk nach un­se­ren In­for­ma­tio­nen – wird sich nie­mals um klin­gen­des Geld ver­kau­fen.«

»War­ten wir ab!«, mein­te Ba­guet­te ach­sel­zu­ckend. »Der Schlag, den wir ihm ver­setz­ten, als wir ihn durch die Kün­di­gung der auf­ge­kauf­ten Hy­po­the­ken bank­rott mach­ten, wird ihn all­mäh­lich zahm ma­chen. Hun­ger tut weh.«

»Mö­gen Sie recht ha­ben!«, er­wi­der­te Ra­co­ni­er. »Ich wer­de je­den­falls un­se­re Agen­ten in der von mir ge­dach­ten Wei­se in­stru­ie­ren las­sen. Seit­dem es uns ge­lun­gen ist, uns die­ses Herrn For­bin zu ver­si­chern, den­ke ich zu­ver­sicht­li­cher.«

»Ge­nug, mei­ne Her­ren!«, fiel jetzt der Ge­ne­ral­di­rek­tor Per­rain ein. »Es wird sich zei­gen, wel­cher der von Ih­nen vor­ge­schla­ge­nen Wege am bes­ten zum Zie­le führt. Ver­ges­sen Sie nicht, dass ich es in mei­ner Stel­lung eben­so wie Herr Mi­nis­ter Du­roy ab­leh­nen muss, ir­gend­wel­che Verant­wor­tung für Din­ge zu über­neh­men, die ge­setz­lich un­zu­läs­sig sind.« –

Als Ra­co­ni­er zu sei­nem Zim­mer zu­rück­kehr­te, wur­de ihm For­bin ge­mel­det.

»Sehr gut! Las­sen Sie ihn gleich kom­men.« –

»Nun, was brin­gen Sie Neu­es, Herr For­bin?«

»Ge­org As­ten­ryk ist vor un­ge­fähr zwei Stun­den in Pa­ris an­ge­kom­men. Er wohnt in der­sel­ben Pen­si­on wie ich.«

Ra­co­ni­er zuck­te die Ach­sel. »Gut, dass Herr Ba­guet­te das nicht weiß. Er wür­de wahr­schein­lich in sei­nem un­er­schüt­ter­li­chen Glau­ben an die Macht des Gel­des wie­der ir­gend­wel­che tö­rich­ten Vor­schlä­ge ma­chen. Selbst­ver­ständ­lich bit­te ich Sie, Herr For­bin, alle Schleu­sen Ih­rer Be­red­sam­keit zu öff­nen. Ver­su­chen Sie, ein ver­nünf­ti­ges Ab­kom­men mit dem Man­ne zu tref­fen. Aber große Hoff­nun­gen habe ich da nicht. Vi­el­leicht ru­fen Sie mich im Lau­fe des Abends noch ein­mal an. Sie er­rei­chen mich in mei­ner Woh­nung.« –

Um zehn Uhr klin­gel­te der Fern­spre­cher bei Ra­co­ni­er.

»Ja­wohl … gu­ten Abend, Herr For­bin … wie mei­nen Sie? Er will ab­so­lut nicht … nun ja, wie ich’s mir ge­dacht habe. Be­su­chen Sie bit­te mor­gen Herrn Col­let­te. Er wird mit Ih­nen ei­ni­ges in die­ser An­ge­le­gen­heit zu be­spre­chen ha­ben.« – – –

Wie­der stan­den Ge­org und Anne auf dem Bahn­steig des Nord­bahn­hofs.

»Das wäre ja wirk­lich sehr schön, Anne, wenn dein Schwa­ger sei­ne Ab­sicht aus­führ­te und dem­nächst nach Deutsch­land käme. Ganz be­son­ders wür­de ich mich na­tür­lich freu­en, wenn er, wie dei­ne Schwes­ter ein­mal an­deu­te­te, vor­über­ge­hend nach Neu­stadt käme. Ob­gleich ich nicht recht weiß, was er jetzt, nach­dem dein Va­ter tot ist, in Neu­stadt will. Frü­her war es was an­de­res. Da war Neu­stadt der Not­ha­fen, wo­hin man sich, wenn raue Stür­me weh­ten, gern auf ei­ni­ge Zeit zu­rück­zog, bis die Luft wie­der klar war.«

»Ach, ich wür­de mich ja so freu­en, Ge­org, wenn wir wirk­lich für ei­ni­ge Zeit nach Neu­stadt kämen. Aber rech­ne bit­te nicht si­cher da­mit. Ich habe dir ja einen klei­nen Ein­blick in die Le­bens­wei­se Al­freds ge­ge­ben. Da kann mor­gen oder jetzt schon ein an­de­res Ge­schäft auf­ge­taucht sein, und wir fah­ren viel­leicht über­mor­gen nach Ma­drid oder Kon­stan­ti­no­pel.«

Ge­org woll­te et­was sa­gen. Anne strich ihm be­schwich­ti­gend über das Ge­sicht. »Nein, nein! Sprich nichts, Lie­ber! Hät­te ich nur nichts ge­sagt! Dir noch in letz­ter Stun­de das Herz schwer ma­chen … so schlimm ist es ja gar nicht. Sieh mal, ich ler­ne doch auf die­se Wei­se die Welt ken­nen und sehe vie­les Schö­ne.«

»Schweig, Anne! Wenn du wüss­test, wie ich über all das den­ke! Ich ver­zweifle bei dem Ge­dan­ken, dich noch wer weiß wie lan­ge Zeit bei die­sen For­bins las­sen zu müs­sen.«

»Ge­org, bit­te! Er­schwer’ uns nicht noch mehr den Ab­schied. Ich will ja auch gern glau­ben, dass wir bald nach Deutsch­land fah­ren. Und wenn wir dann gar nach Neu­stadt kämen … ach, wie wür­de das herr­lich sein! Ein paar Wo­chen in der al­ten Hei­mat mit dir zu­sam­men … lan­ge Zeit wür­de ich da­von zeh­ren.«

Ge­org muss­te die Zäh­ne zu­sam­men­bei­ßen, um nicht bei dem herz­zer­rei­ßen­den Lä­cheln, mit dem sie es sag­te, los­zu­bre­chen. –

Die Schaff­ner rie­fen zum Ein­stei­gen. Die Tü­ren schlu­gen zu. Lan­ge noch blick­te Ge­org As­ten­ryk nach ei­nem wei­ßen Tuch, das ihm vom Bahn­steig wink­te. –

4

Der Zug hat­te die Gren­ze pas­siert. Ge­org kauf­te sich einen Stoß neu­er Zei­tun­gen. Fast in je­der als Schlag­zei­le: »Ja­pan ist von der Ant­wort Eng­lands auf sei­ne De­mar­che nicht be­frie­digt. Pro­test­ver­samm­lun­gen in To­kio. Lär­men­de Kund­ge­bun­gen vor dem eng­li­schen Bot­schafts­ge­bäu­de.«

Wäh­rend er kurz die Über­schrif­ten über­flog, gin­gen ihm die Mit­tei­lun­gen des Ma­jors Dale durch den Kopf. Es scheint ganz so zu kom­men, wie der es pro­phe­zeit hat, dach­te er. Der Zer­fall des an­gel­säch­si­schen Blocks be­gann sich aus­zu­wir­ken. Ja­pan nütz­te die Ge­le­gen­heit, um im trü­ben zu fi­schen. Die alte Ge­schich­te! Wenn zwei sich strei­ten, lacht der Drit­te. Die schlech­te wirt­schaft­li­che Lage und die schwan­ken­de Po­li­tik der la­tein­ame­ri­ka­ni­schen Staa­ten hat­ten zu­nächst nur wirt­schaft­li­che und fi­nan­zi­el­le Dif­fe­ren­zen zwi­schen Eng­land und den Ve­rei­nig­ten Staa­ten be­wirkt. Je mehr sich die­se Dif­fe­ren­zen aber ver­schärf­ten, stör­ten sie auch die bis­her freund­schaft­li­chen po­li­ti­schen Be­zie­hun­gen der bei­den großen an­gel­säch­si­schen Mäch­te in im­mer stär­ke­rem Maße. Ja­pan und Frank­reich schick­ten sich an, aus die­ser güns­ti­gen Si­tua­ti­on Nut­zen zu zie­hen. –

Der Zug roll­te über die Rhein­brücke. Ge­org As­ten­ryk leg­te die Zei­tun­gen kopf­schüt­telnd bei­sei­te … wann wür­de die­ser Erd­ball ein­mal zur Ruhe kom­men? Soll­te es wirk­lich wahr wer­den, das Wort vom Un­ter­gang des Abend­lan­des, was wäre an­de­res dar­an schuld als der ewi­ge in­ne­re Zwist der wei­ßen Ras­se. –

Das alte, ver­trau­te Land­schafts­bild lenk­te die Ge­dan­ken Ge­orgs auf die nahe Hei­mat. Ar­beit über Ar­beit war­te­te da auf ihn. Sei­ne Ge­dan­ken gin­gen zu sei­nem La­bo­ra­to­ri­um, zu den Ex­pe­ri­men­ten mit der hun­dert­pro­zen­ti­gen Koh­len­aus­nut­zung. Ob Ma­ri­an wohl al­les, was er ihm auf­ge­tra­gen, plan­mä­ßig durch­ge­führt hat­te? Ob er die Er­geb­nis­se der Ver­suchs­rei­hen auch rich­tig auf­ge­zeich­net hat­te?

Wie moch­te es wohl mit sei­nen an­de­ren Ar­bei­ten aus­se­hen? Der Kon­kurs, die Not­wen­dig­keit, sich neue Le­bens­mög­lich­kei­ten zu ver­schaf­fen, hat­ten ihn ge­zwun­gen, ein an­de­res, ver­wand­tes Pro­blem in An­griff zu neh­men. Schon frü­her, beim Be­ginn sei­ner Ar­bei­ten an der großen Auf­ga­be der rest­lo­sen Um­wand­lung der Koh­len­ener­gie in Elek­tri­zi­tät, war die Fra­ge ihm auf­ge­sto­ßen, ob er nicht gleich­zei­tig dem da­mit zu­sam­men­hän­gen­den Pro­blem der Dia­man­ten­syn­the­se nach­ge­hen sol­le.

So lo­ckend die Auf­ga­be schi­en, er hat­te sie doch im­mer bei­sei­te­ge­scho­ben. Er woll­te alle sei­ne Kräf­te an das eine, wirt­schaft­lich für die Mensch­heit be­deu­tungs­volls­te Ziel der hun­dert­pro­zen­ti­gen Koh­len­aus­nut­zung set­zen. Doch jetzt, nach sei­nem ei­ge­nen fi­nan­zi­el­len Nie­der­bruch, setz­te er sei­ne Zu­kunfts­hoff­nun­gen in ers­ter Li­nie auf das Ge­lin­gen der Dia­man­ten­syn­the­se.

Zu nie­mand, selbst zu Ma­ri­an nicht, hat­te er von die­sen Ide­en, Hoff­nun­gen, neu­en Ar­bei­ten ge­spro­chen … und doch war Ma­ri­an der ein­zi­ge, der au­ßer Anne sei­nem Her­zen be­son­ders na­he­stand.

Ma­ri­an Hei­dens, sein ge­treu­er Freund, Ge­hil­fe, Die­ner, wie man’s nen­nen woll­te.

Ge­org dach­te zu­rück. Ma­ri­an – wie war er zu dem ge­kom­men? Im Grun­de eine ganz ein­fa­che Ge­schich­te, und doch von selt­sa­men Um­stän­den be­glei­tet.

War da ei­nes Ta­ges vor der Stadt eine wan­dern­de Zi­geu­ne­rin von ei­nem Kraft­wa­gen an­ge­fah­ren und ins Kran­ken­haus ge­bracht wor­den. Trotz bes­ter Pfle­ge ver­schied sie ei­ni­ge Wo­chen spä­ter. Fast in ih­rer To­des­stun­de gab sie ei­nem Kna­ben das Le­ben.

Ein Zu­fall brach­te es mit sich, dass am sel­ben Tage zur sel­ben Stun­de Ge­org As­ten­ryk in der glei­chen An­stalt ge­bo­ren wur­de. Als ei­ni­ge Zeit spä­ter Va­ter As­ten­ryk Frau und Kind strah­lend über die Ge­burt des Er­ben aus dem Kran­ken­haus ab­hol­te, nahm er in dank­ba­rer Freu­de auch den klei­nen ver­wais­ten Zi­geu­ner­jun­gen mit sich. Eine Lau­ne des Stan­des­be­am­ten hat­te dem nach dem Ka­len­der­tag sei­ner Ge­burt den Vor­na­men Ma­ri­an, nach der am Nie­der­rhein für die Zi­geu­ner ge­bräuch­li­chen Be­zeich­nung »Hei­dens« den Nach­na­men ge­ge­ben. As­ten­ryk gab ihn sei­nen al­ten, kin­der­lo­sen Gärt­ner­leu­ten in Pfle­ge.

Von Kind­heit an Spiel­ge­fähr­ten, wuch­sen Ge­org As­ten­ryk und Ma­ri­an Hei­dens auf. Als Ma­ri­an die Schu­le ver­ließ, blieb er als Gärt­ner­ge­hil­fe bei sei­nen Pfle­ge­el­tern. Gym­na­si­al- und Uni­ver­si­täts­stu­di­en Ge­orgs ver­moch­ten nicht das enge Band zwi­schen den gleich­alt­ri­gen Ge­fähr­ten zu zer­rei­ßen. Es wur­de so­gar noch fes­ter, als der Va­ter Ge­orgs die­sem ein La­bo­ra­to­ri­um im Dach­ge­schoss des Hau­ses ein­rich­te­te.

Aus den spie­le­ri­schen Ex­pe­ri­men­tier­ver­su­chen der bei­den er­wuchs all­mäh­lich erns­te Ar­beit, und hier­bei wur­de Ma­ri­an Hei­dens durch sei­ne Ge­schick­lich­keit und An­stel­lig­keit ein gu­ter, nütz­li­cher Ge­hil­fe. In jene Zeit fie­len schon die ers­ten Ver­su­che Ge­orgs, dem Pro­blem der elek­tri­schen Koh­len­bat­te­ri­en nä­her zu kom­men. –

Die Tür­me von Neu­stadt tauch­ten auf. – – Und dann war er wie­der in der Hei­mat, nahm den Weg zum vä­ter­li­chen Haus. Ein lei­ses Frös­teln über­kam ihn, als sein Blick über die aus­ge­dehn­ten Werk­an­la­gen ging. Die lang­ge­streck­ten Hal­len, die frü­her Tag und Nacht wi­der­hall­ten vom Ge­dröhn der Ma­schi­nen, von den klin­gen­den Ham­mer­schlä­gen … ver­ödet, tot. Die Stil­le des Kirch­ho­fes, wo noch vor kur­z­em Hun­der­te von Men­schen in rast­lo­ser Tä­tig­keit hin und her eil­ten.

Bei­na­he hun­dert Jah­re hat­te die Fir­ma As­ten­ryk & Co. be­stan­den. Hät­te sich wohl je­ner Lo­renz As­ten­ryk träu­men las­sen, dass sein stol­zes Werk un­ter dem Uren­kel zu­sam­men­bre­chen wür­de? … Wie­der die­ser lei­se Zwie­spalt in sei­nem In­nern. War es recht von ihm ge­we­sen, je­nen tra­di­tio­nel­len Grund­satz des deut­schen Kauf­manns bei­sei­te­zu­schie­ben, der ge­bot: Al­les … je­den Bluts­trop­fen, je­den Ge­dan­ken dem Werk! … Ja! … Und im­mer wie­der ja! Er hat­te es tun müs­sen. Er hat­te es wa­gen müs­sen, auch wenn die lei­se Hoff­nung, die er an die Dia­man­ten­syn­the­se knüpf­te, nicht in Er­fül­lung ging. Sein Sin­nen und Stre­ben ging hö­he­ren Zie­len zu. Sei­ne Ar­beit, wenn der Wurf ge­lang, muss­te ihm das Ver­lo­re­ne hun­dert­fach wie­der­brin­gen. Muss­te den Na­men As­ten­ryk in neu­em, stär­ke­rem Glanz er­strah­len las­sen. Un­mög­lich für ihn der Ge­dan­ke, sei­ne Er­fin­dung und sich je­ner fran­zö­si­schen Grup­pe aus­zu­lie­fern, um das vä­ter­li­che Werk zu ret­ten.

Er schüt­tel­te sich, wie um letz­te Zwei­fel zu ver­scheu­chen, und ging zum Wohn­haus. Als er auf­ge­schlos­sen hat­te und die Tür öff­ne­te, schrak er leicht zu­sam­men. Die elek­tri­schen Alarm­glo­cken ras­sel­ten grell durch das gan­ze Ge­bäu­de. Beun­ru­higt sah er sich um. Da wur­de es plötz­lich still. Vom Ober­stock her ka­men Schrit­te.

»Hal­lo! Ich bin’s! Ge­org! Was machst du denn für Scher­ze, Ma­ri­an? Emp­fängst mich mit Glo­cken­ge­läut.«

»Nur eine klei­ne Vor­sichts­maß­nah­me, lie­ber Ge­org. Aber zu­nächst mal gu­ten Tag. Wie geht es dir? Komm nach oben. Du wirst Hun­ger und Durst ha­ben.«

Sie stie­gen zum Ober­stock em­por und tra­ten in Ge­orgs Ar­beits­zim­mer.

»Nun schieß mal los, Ma­ri­an. Er­zäh­le! Ist ir­gend­was pas­siert, wäh­rend ich fort war? Wie steht’s oben im La­bor?«

»Al­les in Ord­nung, Ge­org. Aber willst du nicht et­was es­sen?«

»Ist nicht so ei­lig, Ma­ri­an.« Er warf einen Blick auf den ge­deck­ten Tisch. »Ich sehe, du hast schon al­les vor­be­rei­tet. Ge­hen wir erst mal ins La­bor. Mich plagt die Neu­gier, wie sich die letz­ten Se­ri­en in mei­ner Ab­we­sen­heit ent­wi­ckelt ha­ben.«

Sie wand­ten sich zur Tür, da blieb Ge­org ste­hen und fass­te Ma­ri­an am Arm.

»Aber sage mal ernst­lich, wozu der Scherz mit den Alarm­glo­cken? Du hast mir auf mei­ne Fra­ge noch gar nicht geant­wor­tet.«

Ma­ri­an zuck­te die Ach­sel. »Ja, mein Lie­ber, was soll ich dir da sa­gen? In der ers­ten Nacht, wo du fort warst, wur­de ich plötz­lich aus dem Schlaf ge­schreckt. Die Alarm­glo­cke schrill­te. Ich sprang auf, eil­te in den Flur, warf den Haupt­licht­schal­ter an. Nichts zu se­hen und zu hö­ren. Ich re­vi­dier­te alle Tü­ren. Es war nichts ge­öff­net, al­les in Ord­nung. Nur die Haus­tür stand of­fen, ob­gleich ich be­stimmt weiß, dass ich sie ver­schlos­sen hat­te. Ich schlug die Tür wie­der zu und woll­te sie ver­schlie­ßen, da ging es nicht. Das Schloss war ver­dor­ben.

Nun, ich ließ am nächs­ten Mor­gen das Schloss in Ord­nung brin­gen. Aber da ich dach­te, die Füch­se könn­ten auch am Tage kom­men, hal­te ich die Alarm­an­la­ge auch am Tage ein­ge­schal­tet.«

»Füch­se? Was meinst du, was das für Füch­se ge­we­sen sein könn­ten?«

»Vi­el­leicht wa­ren es Leu­te, die nicht wuss­ten, dass dein Ta­fel­sil­ber vom Kon­kurs­ver­wal­ter in Ver­wah­rung ge­nom­men ist.«

»Du meinst also ge­wöhn­li­che Die­be, Ma­ri­an?«

»Ge­wöhn­li­che Die­be nicht. Zum min­des­ten in­ter­na­tio­na­le Die­be. Ich fand da am nächs­ten Mor­gen im Haus­flur einen klei­nen Fet­zen von ei­ner fran­zö­si­schen Zei­tung.«

Bei­de sa­hen sich einen Au­gen­blick an und lach­ten dann.

»Aha!«, mein­te Ge­org. »Füch­se aus der Ge­gend … das will ei­ni­ges be­sa­gen. Nun, ich habe da al­ler­lei Ide­en. Mein ers­tes wird sein, für eine Si­che­rungs­an­la­ge zu sor­gen, die bes­ser schützt als alle Alarm­glo­cken. Mach mir doch eine Tas­se Tee. Ich gehe ’rauf zum La­bor. In­zwi­schen kannst du auch mal die­sen Ar­ti­kel in der eng­li­schen Zei­tung le­sen. Dazu wer­den dei­ne eng­li­schen Kennt­nis­se wohl lan­gen.« –

Dann stand er in dem Raum, in dem er so vie­le Tage und Näch­te in rast­lo­ser Ar­beit ver­bracht hat­te. Mit ra­schen Schrit­ten eil­te er zu ein paar Glä­sern, die in ei­nem Tro­cken­schrank stan­den. Er öff­ne­te ihn und nahm die Glä­ser her­aus. Vor­sich­tig goss er die tief­schwar­ze Koh­len­stoff­lö­sung in an­de­re Ge­sä­ße über und un­ter­such­te den Bo­den­satz mit ei­ner star­ken Lupe.

Hier … sein Herz be­gann stär­ker zu klop­fen … hier glit­zer­te et­was ver­hei­ßungs­voll. Woll­te der wi­der­spens­ti­ge Stoff dort Dia­mant­kris­tal­le bil­den? Schnell griff er nach ei­ner noch stär­ke­ren Lin­se, schau­te lan­ge hin­durch. Stieß dann das Glas ent­täuscht von sich. »Wie­der ein­mal ver­geb­lich!«, mur­mel­te er vor sich hin. »Gra­phit­kris­tal­le … nichts an­de­res ist es.« Miss­mu­tig warf er die Schrank­tür wie­der zu.

Sein Blick ging in die Run­de. Da wa­ren sie, die Ba­tail­lo­ne von Ver­suchs­bat­te­ri­en, die al­ten Schrän­ke mit Tau­sen­den von Che­mi­ka­li­en. Sein Auge glitt prü­fend über die Mess­in­stru­men­te, über die Be­las­tungs­lam­pen. Mor­gen wür­de er die Pro­to­koll­bü­cher ab­schlie­ßen und neue Bat­te­ri­en mit neu­en, wie­der ver­bes­ser­ten Elek­tro­ly­ten auf­bau­en. War das ge­tan, dann hat­te er Muße, sich dem an­de­ren Pro­blem zu wid­men.

Die Er­fin­dung All­ger­mis­sens … im­mer wie­der dräng­te sich ihm der Ge­dan­ke an sie auf. Die phan­tas­ti­schen Mög­lich­kei­ten reiz­ten ihn aufs äu­ßers­te, wenn er sich auch vie­ler Be­den­ken … Be­sorg­nis­se nicht ent­schla­gen konn­te.

Er ging wie­der nach un­ten. Da saß Ma­ri­an, die zier­li­che, schmäch­ti­ge Ge­stalt in ei­nem Ses­sel zu­rück­ge­lehnt, und las die Erin­ne­run­gen des Dr. Ro­stow. Un­ter dem dunklen, fast blauschwar­zen Haar ein blei­ches, bei­na­he gelb­li­ches Ge­sicht. Ab und zu rich­te­te er den Kopf in die Höhe und starr­te re­gungs­los ins Lee­re. Die gan­ze See­le des jun­gen Man­nes lag in sei­nen Au­gen, und doch blieb ihr Blick rät­sel­haft un­er­gründ­lich. Sei­ne Er­schei­nung bot äu­ßer­lich ein Bild völ­li­ger Lei­den­schafts­lo­sig­keit. Nur wer ihn kann­te wie Ge­org As­ten­ryk, konn­te wis­sen, dass hier ein lei­den­schaft­li­ches Herz schlug, stark im Has­sen, stark im Lie­ben.

Ge­org nahm aus dem Schreib­tisch ein Bänd­chen mit der Auf­schrift »Franz Lön­holdt«. Franz Lön­holdt war auch ein Neu­städ­ter Kind ge­we­sen, ein äl­te­rer Be­kann­ter Ge­org As­ten­ryks. Lan­ge Jah­re leb­te er als Ra­dio­in­ge­nieur in Russ­land. Als er in Ir­kutsk sehr plötz­lich an Mala­ria verstarb, schick­te der deut­sche Kon­sul sei­ne Hin­ter­las­sen­schaft der Mut­ter in Deutsch­land. Frau Lön­holdt hat­te die tech­ni­schen Auf­zeich­nun­gen und Ta­ge­bü­cher ge­le­gent­lich Ge­org As­ten­ryk als An­den­ken ge­schenkt.

Der schlug jetzt das Ta­ge­buch auf und blät­ter­te dar­in. Da war die Stel­le. Wie oft hat­te er sie ge­le­sen! Sei­ne Au­gen glit­ten dar­über hin und folg­ten dem Text.

Franz Lön­holdts Ta­ge­buch gab über je­nes merk­wür­di­ge Er­eig­nis in Ir­kutsk fol­gen­den Be­richt:

»Ich hat­te mei­ne Kon­trol­l­ar­beit im Ir­kuts­ker Sen­der be­en­det und rüs­te­te mich zur Wei­ter­fahrt, da er­hielt ich von Ge­ne­ral Iwa­now die Auf­for­de­rung, ihn zu be­su­chen. Er er­zähl­te mir fol­gen­de merk­wür­di­ge Be­ge­ben­heit, die sich vor vie­len Mo­na­ten in dem­sel­ben Ge­bäu­de, in dem wir uns be­fan­den, ab­ge­spielt hat­te.«

Hier folg­te eine Schil­de­rung, die sich in der Haupt­sa­che mit den »Erin­ne­run­gen ei­nes rus­si­schen Arz­tes« in der eng­li­schen Zei­tung deck­te.

»Ich ant­wor­te­te zu­nächst dem Ge­ne­ral vor­sich­tig, dass mir jede wis­sen­schaft­li­che Er­klä­rung des Vor­falls feh­le. Ein ge­wis­ser Ver­dacht, der in mir bei Iwa­nows Er­zäh­lung auf­ge­stie­gen war, ver­an­lass­te mich, we­nigs­tens einen Ver­such zu ma­chen, der Sa­che nach­zu­for­schen.

Nach mehr­tä­gi­gem Her­um­stö­bern in al­len Tei­len des großen Ge­bäu­des ge­riet ich auf eine Spur, die mir ver­däch­tig war. Auf dem Dach­bo­den sah ich ei­nes Mit­tags im Schein ei­nes Son­nen­strahls das blan­ke Ende ei­nes Drah­tes schim­mern. Ich ging dem sehr ver­steckt ge­führ­ten Draht nach und fand in ei­nem Schrank, der hin­ter al­ten Ak­ten ver­bor­gen stand, ein Gram­mo­phon und einen Ap­pa­rat, den ich für einen Ver­stär­ker an­sah. Als ich den Ap­pa­rat her­an­zie­hen woll­te, er­folg­te eine schwa­che Ex­plo­si­on, de­ren Knall au­ßer­halb des Rau­mes kaum ge­hört wer­den konn­te. Durch die Ex­plo­si­on wur­de der Gram­mo­pho­n­ap­pa­rat zer­trüm­mert, die auf dem Tel­ler lie­gen­de Wachs­plat­te bei­sei­te ge­schleu­dert, wo­bei der Rand der Plat­te zwar stark zer­stört wur­de, der in­ne­re Teil da­ge­gen er­hal­ten blieb.

Durch die Ex­plo­si­on war auch eine Sei­te des von mir als Ver­stär­ker an­ge­se­he­nen Ap­pa­ra­tes auf­ge­ris­sen wor­den. Das In­ne­re war, wie ich jetzt sah, ganz an­ders als bei al­len an­de­ren Ver­stär­kern, die ich ken­ne. So wa­ren statt der Spu­len und Kon­den­sa­to­ren viel­fach ver­sil­ber­te Kris­tal­le ein­ge­baut. Je län­ger ich ihn un­ter­such­te, de­sto kla­rer wur­de es mir, dass es sich hier um ape­ri­odi­sche Ver­stär­kung hin­ab bis zu den kleins­ten Wel­len­län­gen han­deln müs­se.

Ich habe mir die Schal­tung skiz­ziert und will in den nächs­ten Ta­gen ein ge­nau­es Schalt­bild die­ses Ver­stär­kers an­fer­ti­gen. Ge­ne­ral Iwa­now will ich vor­läu­fig von mei­ner Ent­de­ckung nichts sa­gen, viel­mehr erst die­ser eben­so mys­te­ri­ösen wie in­ter­essan­ten Sa­che auf den Grund kom­men. Die mir et­was ver­däch­ti­ge Wachs­plat­te habe ich mit­ge­nom­men. Eben­so die Kris­tal­le aus dem Ver­stär­ker …

Die ver­wünsch­te Mala­ria zwingt mich, mei­ne Nach­for­schun­gen zu un­ter­bre­chen und mich ins Bett zu le­gen …«

Da­mit hör­ten die Ta­ge­buchauf­zeich­nun­gen Lön­holdts auf. Drei Tage spä­ter war er tot. –

Ge­org leg­te das Ta­ge­buch bei­sei­te. »Nun, Ma­ri­an, hast du den Ar­ti­kel von Dok­tor Ro­stow ge­le­sen? Al­les ver­stan­den?«

»Ja! Ge­le­sen habe ich’s. Ver­stan­den habe ich’s auch. Es ist ja fast das glei­che, was Lön­holdt über den Fall schreibt. Ich muss zu­ge­ben, dass ich jetzt Lön­holdts Auf­zeich­nun­gen an­ders be­ur­tei­le. Ich hat­te bis­her an der Rich­tig­keit sei­ner Er­zäh­lung so star­ke Zwei­fel, dass ich kei­ne an­de­re Er­klä­rung fin­den konn­te als … Phan­tasi­en ei­nes Fie­ber­kran­ken. Aber wirk­lich al­les zu­ge­ge­ben … das eine kann ich nicht ver­ste­hen, wie es All­ger­mis­sen ge­lin­gen konn­te, den Geist so vie­ler ver­schie­de­ner Köp­fe auf ein­mal in sei­nen Bann zu zwin­gen.«

»Al­ler­dings, das ist eine schwer er­klär­li­che Sa­che, Ma­ri­an. Aber viel­leicht kom­men wir da­hin­ter, wenn wir erst ein­mal die Ap­pa­ra­tur All­ger­mis­sens rich­tig auf­ge­baut ha­ben. Lei­der feh­len in der Ver­stär­kerskiz­ze Lön­holdts die ge­nau­en An­ga­ben der elek­tri­schen Wer­te. Das wird mei­ner Mei­nung nach das Schwie­rigs­te an der Auf­ga­be. Ein Glück da­bei, dass Lön­holdt die gute Idee hat­te, die ver­sil­ber­ten Kris­tal­le aus dem Ver­stär­ker All­ger­mis­sens her­aus­zu­neh­men. Ein wei­te­res Glück, dass sie mit sei­nem Nach­lass in mei­ne Hän­de ge­kom­men sind. Ganz of­fen­bar spie­len sie als kleins­te Kon­den­sa­to­ren in der Ver­stär­ker­ein­rich­tung für kür­zes­te Wel­len eine be­deu­ten­de Rol­le.

Ha­ben wir erst mal den Ver­stär­ker, wie All­ger­mis­sen ihn hat­te, muss sich al­les an­de­re fin­den. Du siehst je­den­falls, dass das Pro­blem hoch­in­ter­essant ist. Wenn man da sei­ne Phan­ta­sie schwei­fen lässt, kommt man ja zu Mög­lich­kei­ten, die mehr als phan­tas­tisch sind.«

Ma­rians Ge­sicht wur­de ernst und ab­wei­send. »Das glau­be ich auf kei­nen Fall. Die Ge­set­ze der Na­tur wer­den sol­che Aus­schrei­tun­gen nicht zu­las­sen. Ich glau­be es nicht und hof­fe es nicht.«

Ge­org stand be­trof­fen. Er such­te Ma­rians Au­gen und stutz­te – die­ser Aus­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­