Darleen Alexander

 

 

 

 

 

 

Cherubim Wings

 

 

Buch eins

 

Die Erinnerung

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy


1. Kapitel

 

 

Vor 13 Jahren

 

»Mama! Mama! Schau mal die Puppe!« Die fast sechsjährige Jesica rannte zum Schaufenster und hüpfte aufgeregt auf und nieder, sodass ihre Haare wild hin und her schwangen. Sie stand vor einem exklusiven Spielzeugladen und deutete auf eine Puppe, die von ihrem Macher sicher nicht für das Spielen hergestellt wurde. »Bekomm ich die zum Geburtstag? Bitte, bitte.« Samantha ging zu ihrer Tochter und sah die Puppe im Schaufenster genau an, bevor sie ihre Tochter anlächelte.

»Lass uns auf Papa warten. Dann schauen wir mal, ob das geht.« Selbst in ihrem Alter sah Jesica bereits wie ihre Mutter aus. Lange braune Haare und meergrüne Augen, die in der Sonne wie Edelsteine funkelten. Samantha lächelte. Als Baby war sie mehr nach ihrem Vater gekommen, doch je älter sie wurde, desto mehr ähnelte sie der weiblichen Linie der Familie.

Sie legte den Kopf verträumt zur Seite und sah suchend in die Richtung, aus der John kommen würde. Er hatte bereits Dienstschluss und würde noch kurz die Übergabe erledigen und dann mit ihnen Spazieren gehen. Jesicas Vater war bei der hiesigen Polizei und sorgte im Bezirk für Recht und Ordnung. Allerdings war das kein gefährlicher Job, wie in anderen Teilen des Landes und Samantha musste sich keine großen Sorgen um ihn machen. Das schlimmste Verbrechen, dass hier bis jetzt begangen wurde, war ein Ehestreit, der in Handgreiflichkeiten geendet hatte.

Als John um die Ecke kam, eilte Jesica mit ihren kleinen pummeligen Beinchen auf ihn zu und warf sich ihm in die Arme. Samantha liebte ihn dafür, dass er so ein herzensguter Mensch und Vater war. Er hatte ihr geholfen, als sie in Schwierigkeiten gesteckt hatte und beide hatten sich augenblicklich verliebt. Niemand hatte geahnt, dass sie so schnell heiraten und eine Familie gründen würden, am allerwenigsten sie selbst. Aber immer, wenn sie ihren Mann und ihre Tochter sah, wusste sie, dass er die beste Entscheidung in ihrem Leben gewesen war.

»Du musst ganz schnell mitkommen. Da gibt es eine Puppe, die wie eine Prinzessin aussieht. Bekomme ich die bitte, bitte zum Geburtstag?« John grinste seine Frau belustigt an, die ebenfalls ein Lächeln auf den Lippen hatte. Ja, Jesica war ein Einzelkind. Etwas verwöhnt aber auch unheimlich liebevoll anderen gegenüber. Vielleicht sollte sie John langsam nachgeben und über ein weiteres Kind nachdenken, bevor sie zu alt wurde. Sie beobachtete, wie John seine Geldbörse hervorholte und hineinsah.

»Okay, okay. Wir sehen sie uns mal an, aber erst müssen wir auf die Bank. Ich habe leider kein Geld mehr einstecken.« Jesica lief aufgeregt vor dem Paar her und schwärmte in einer Tour von der Puppe, die ihr bald gehören würde. Von den goldenen Locken, dem bezaubernden Puppengesicht und dem wunderschönen grünen Kleid. Samantha musste erneut schmunzeln und sah zu John, der ihre Hand genommen hatte und diese leicht drückte. Wären sie nicht bereits acht Jahre verheiratet, könnte man meinen, sie wären frisch verliebt. Dieses Gefühl war in ihrer Beziehung nie verloren gegangen und sie war sehr glücklich darüber.

Als die Familie die Bank betrat, erklärte Samantha, dass Jesica die Puppe aber erst zu ihrem Geburtstag bekam, und dabei würde es auch keine Ausnahme geben. Jesica wollte erst schmollen, überlegte es sich dann aber anders. Die wenigen Tage konnte sie auch noch warten. Samantha war stolz auf sie.

Gerade als Jesicas Vater an der Reihe war und dem Bankangestellten seine Karte zeigte, betrat ein vermummter Mann die Bank und stieß den Sicherheitsbeamten mit seiner Waffe gegen den Kopf. Er ging sofort zu Boden und blieb dort bewusstlos liegen. Samantha sah erschrocken zu John, der den Vorfall ebenfalls beobachtet hatte und ein Stück vom Schalter zurückging.

»Alles hinlegen! Das ist ein Überfall!« Hektisch gingen alle zu Boden und Samantha konnte überall wimmern und schluchzen hören. Sie packte Jesica und drückte diese an ihre Brust, sodass der Räuber das Kind nicht sehen und somit auch nicht verletzen konnte. Nur ihr Mann blieb stehen. Angst kroch in jede Pore und ließ sie schrecklich zittern, und doch bewunderte sie ihn dafür, dass er keine Angst zeigte und die anderen beschützen wollte. Er war ein Polizist und somit ein Held. Wie Feuerwehrmänner.

»Machen sie keine Dummheiten. Legen sie die Waffe hin und gehen sie wieder. Bis jetzt ist noch nichts passiert. Verbauen sie sich nicht ihr Leben.« Was würde passieren, wenn der Räuber ihrem Mann auch mit der Waffe gegen den Kopf schlug? Oder noch schlimmer: wenn er John erschießen würde? Samantha hatte die beruhigende Stimme ihres Mannes immer geliebt, vor allem während der schmerzhaften Wehen unter der Geburt, aber gerade flehte sie ihn in Gedanken an, dass er sich zu ihnen auf den Boden setzen sollte. Das Kind in ihren Armen zitterte genau so stark wie Samantha und atmete schwer. Jesi war so behütet aufgewachsen und dieses Erlebnis würde sie noch lange verarbeiten müssen. Es tat ihr im Herzen weh, ihre Tochter vor Panik hyperventilieren zu sehen, aber mehr als liebevolle Worte konnte sie ihr im Moment nicht geben. Sie strich Jesica sanft über die Haare und flüsterte ihr beruhigend zu: »Alles wird gut mein Schatz. Atme ganz langsam und ruhig.«

»Ich hab gesagt, auf den Boden! Runter mit Ihnen oder sie fangen sich eine Kugel.« John war gerade dabei, sich auf den Boden zu setzen, als die erste Sirene ertönte. Der Räuber wurde nervös und schien sich nicht entscheiden zu können, was er tun sollte. Er zog sich die schwarze Maske vom Kopf und hielt mit zitternden Händen seinen Kopf fest. Er sah aus, als hätte er schreckliche Kopfschmerzen.

»Seien Sie doch vernünftig. Geld ist es nicht wert, dafür ins Gefängnis zu gehen.« John war Polizist durch und durch. Aufgeben kam für ihn nicht in Frage.

»HALTEN SIE IHRE KLAPPE!« Samantha gefror das Blut vor Angst und sie drückte Jesica noch etwas enger an sich. Der Bankräuber fuchtelte mit seiner Waffe in die Richtung von John und sah immer wieder zur Eingangstür der Bank. Plötzlich war er der sprichwörtlich eingesperrte Hund, der alles tat, um freizukommen. Allerdings mit den falschen Mitteln.

Zu ihrem Entsetzen hob er seine Waffe und schoss wild um sich. Ihr Herz wurde schwer, als er zuerst John traf, dann einen Bankangestellten, der immer noch am Schalter stand, dann Samantha und noch drei weitere Personen. Alle Leute schrien und weinten. Überall war Blut. Der Schmerz, der Samantha im Rücken durchfuhr, war höllisch. Aber ihre kleine Jesica war in Sicherheit. Das war alles, was zählte. Jesica. Samantha sah wieder zu John, der mit weit aufgerissenen Augen am Boden lag und sich nicht mehr rührte. Der Tag hatte so schön begonnen. Und nun? Ihr Mann war tot. Ihre große Liebe, für immer verloren. Tränen benetzten ihr Gesicht, und als sie ein Schluchzer schüttelte, schmeckte sie das Blut in ihrem Mund. Wie schwer war sie verletzt? Noch saß sie aufrecht mit ihrer Tochter im Arm, doch ihre Glieder wurden schwer und taub.

Ihre Aufmerksamkeit wurde vom Bankräuber angezogen, der jetzt plötzlich ganz klar zu sein schien, und die Waffe in seiner Hand verwundert ansah. Sein Blick wanderte über die sterbenden Menschen, blieb an Samanthas Augen hängen, an Jesica in ihren Armen. Wieder senkte sich sein Blick auf die Waffe, bevor er sie sich in den Mund steckte und abdrückte.

»Mama. Wo ist Papa?« Ihre Tochter klang heiser und zittrig. Als sie nach unten sah, bemerkte sie das ganze Blut. Nicht ihres, sondern das von Jesica, die kurz vor einer Panikattacke stand und bereits hyperventilierte. Angst überkam sie, als um sie herum alles schwarz wurde und sie mit Jesica im Arm nach vorne kippte. Sie würden alle sterben. Keiner würde mehr übrig bleiben. John war bereits tot, Jesica tödlich in die Brust getroffen, Samantha in den Rücken. Sie würde alles dafür tun, um die Zeit wieder zurückzudrehen und den Tag noch einmal von neuem beginnen zu dürfen. Für einen Moment verlor sie das Bewusstsein.

Als starke Hände sie packten und zur Seite rollten, öffnete sie ihre Augen. Ihre Tochter lag nun neben ihr, bewusstlos. Oder war sie schon tot? Angst umklammerte ihr Herz und trotz des Schmerzes, packte sie den Mann am Handgelenk und sah ihn flehend an.

»Jesica. Bitte helfen sie ihr. Sie darf nicht sterben.« Ein Mann mit schwarzen Haaren sah Samantha tief in die Augen. Anscheinend war er überrascht.

»Du bittest nicht um dein eigenes Leben?« Seine grünen Augen fixierten sie, als sie ihre Hand nach Jesica ausstreckte. Jesica war wichtig. Sie war noch so klein. Hatte noch nichts von den Wundern dieser Welt gesehen. Noch nie die Liebe kennengelernt. Also ja, sie würde nicht selbst um Hilfe bitten, bevor Jesica nicht geholfen wurde.

»Jesica darf nicht sterben. Ich bin nicht wichtig. Bitte helfen sie ihr.« Sein Blick wanderte zu ihrer Tochter und sein Gesichtsausdruck wurde weich. Kannte er Jesica?

»Sie wird nicht sterben. Ihr Leben hält noch große Taten für sie bereit. Und irgendwann wird sie an meiner Seite sein.« Ihr Bewusstsein schwand bereits wieder, als der Mann sich erneut an Samantha wandte. »Du hast dieses Kind mit deinem Leben beschützt, dafür danke ich dir. Hast du einen letzten Wunsch?« Ihr Blick wanderte zu Jesica, deren kleine Brust sich nur mühsam hob und senkte.

»Rette sie.« Mit diesen Worten schloss sie die Augen und spürte, wie sich etwas in ihr löste. Ihre Seele. Der Mann sah ihr dabei zu, wie sie höher und höher schwebte, bis sie schließlich ein helles Licht sah. Es war warm und schien sie locken zu wollen. Sie wandte sich um und sah zu ihrer Tochter, die zusammen mit dem Mann zurückgeblieben war. Konnte er sie wirklich retten? Samantha hoffte es von Herzen. Sie drehte sich wieder zu dem Licht und wurde von Geborgenheit umfangen. Kein Schmerz, keine Angst. Einfach nur Wärme und Zuversicht umgaben sie und ließen Samantha ein Teil des Lichtes werden.

 

Ein lautes Pochen donnert durch meinen Körper und ich bekomme so schlecht Luft. Mama liegt immer noch auf mir. Sie ist schwer und kalt. Ich schließe meine Augen und dann ist Mamas Gewicht weg.

Als ich meine Augen wieder aufmache, sehe ich einen Mann mit schwarzen Haaren über mir. Seine grünen Augen funkeln und glitzern, wie das Kleid der Puppe, die ich im Schaufenster gesehen habe.

»Keine Angst«, er streicht mir über die Haare, »du wirst weiterleben.« Seine Stimme ist nett. Ich spüre einen leichten Druck auf meiner Brust und dann kann ich wieder leichter atmen. Auch das Pochen ist weg. Ist er ein Arzt? Ärzte mag ich nämlich eigentlich nicht. Aber der hier ist nett.

Von weit her höre ich Sirenen und schließe meine Augen wieder. Warum bin ich so müde? Und wo sind Mama und Papa?

»Ich werde dich beschützen. Für immer.« Wovor will mich der Arzt denn beschützen? Kennt er mich oder meine Eltern? Ich würde ihn so gerne fragen, aber ich kann mich nicht bewegen und auch nicht reden.

Mama! Papa! Helft mir!


2. Kapitel

 

 

Gegenwart

 

Mitternacht. Die Zeit, in der Zauberkraft besonders gut wirken konnte. Die Gruselstunde, die Geistern eine erleichterte Reise in die Menschenwelt verhalf. Und die Stunde der Hexen, die ihre schwarze Magie woben. Nichts davon war für Jesica von Bedeutung, außer, dass sie die Wirksamkeit eines Zaubers verstärken sollte.

Von fünf dunkelroten Kerzen umzingelt saß Jesica im Schneidersitz inmitten eines Kreide-Pentagramms und murmelte immer wieder die gleiche Zauberformel - in eher schlechtem Latein. Würde es heute endlich klappen? Sie hatte alles genau vorbereitet, sogar ihre bequemsten Joggingsachen angezogen. Eine dunkelblaue Jogahose und ein weißes T-Shirt, dass ihr zwei Nummern zu groß war. Die braunen Haare hatte sie in einem losen Knoten hochgesteckt. Nichts Störendes war im Raum. Ihre Sehnsucht brannte in ihr wie ein Leuchtfeuer und doch war sie die letzten Male immer wieder enttäuscht worden.

Sie öffnete ihre Sinne. Der süße Duft von Zimt und Nelken erfüllte den Raum und bis auf die Kerzen war keine Lichtquelle vorhanden. Unheimliche Schatten wurden an die Wand geworfen, die durch das Flackern der Kerzen lebendig erschienen. Jesica rührte sich nicht, auch mit dem Murmeln hatte sie mittlerweile aufgehört und wartete nun gespannt darauf, dass etwas geschah.

»So eine Scheiße!« Nichts war geschehen. Sie stand ungelenk auf und stieß dabei versehentlich eine der Kerzen um. »Mist, mist, mist.« Ihr linker Fuß war eingeschlafen und deswegen durchquerte sie den Raum humpelnd, um das Licht einzuschalten. Die Helligkeit tat ihren Augen weh, die durch die Dunkelheit entspannt gewesen waren. Genervt rieb sie sich mit ihren Händen übers Gesicht.

Wieder ein Zauber, der nicht funktioniert hatte. Ein Seufzen entwich ihren Lippen. Seit einem Monat war sie auf dem Hexen-Trip, nur wegen dieses unseligen Buches. Es reichte. Sie hatte gelesen, im Internet gesurft und war sogar in der Bücherei gewesen. Soviel lernte sie noch nicht einmal vor wichtigen Prüfungen. Nein. Sie hatte sich entschieden. Sie würde nicht mehr bis Mitternacht aufbleiben, um die »Unheilige« Zeit für etwas zu benutzen, dass es sowieso nicht gab.

Sie blies die Kerzen aus und stellte sie auf den Küchentresen. Das mittlerweile harte Wachs der umgestürzten Kerze kratzte sie vom Laminat und entsorgte es im Mülleimer. Als alles wieder an seinem Platz stand und die Kreide vom Fußboden gewischt war, ging sie ins Bad und machte sich bettfertig.

Nachdem sie wieder zurück ins Wohnzimmer kam, bemerkte sie, dass das Display ihres Handys aufleuchtete. Sie schmunzelte.

 

Hallo Jesica. Und hat es funktioniert? Ich will morgen alles wissen.

 

Sie fuhr mit der linken Hand durch ihre braunen Haare, die sie zuvor gelöst hatte und ging ins Schlafzimmer, während sie den Wecker des Handys stellte. Viel würde sie morgen ihrer besten Freundin nicht zu berichten haben. Erneut entwich ihr ein Seufzen, als sie sich ins Bett legte und die Decke über sich zog.

Schon als Kind hatte sie immer geträumt, dass sie Zauberkräfte besäße und damit ihre Eltern zurückbringen könnte. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie vermisste die beiden so sehr. Als sie damals im Krankenhaus aufgewacht war und ihre Tante versuchte, sie so sanft wie möglich darauf vorzubereiten, dass ihre Eltern tot waren, war für Jesica eine Welt zusammengebrochen. Und dieses blöde Zauberbuch hatte ihr Hoffnungen geschenkt, die jetzt zerschmettert vor ihren Füßen lagen.

In dieser Nacht weinte sie sich wieder in den Schlaf. Das erste Mal seit Jahren.

 

Anthony sah die beiden Lakaien an, die vor ihm standen und verschüchtert zu Boden sahen. Brian trug einen großen Gegenstand, von dem Anthony wirklich hoffte, dass es eines der Schwerter war.

»Und? Habt ihr sie?« Seine tiefe Stimme donnerte durch den Raum und die beiden Männer zuckten sichtlich zusammen. Anthony genoss diese Machtposition und die Angst der anderen.

»Es tut uns leid, Anthony, aber wir konnten nur eines finden.« Wut übermannte ihn und er schlug mit der Faust gegen die Wand des alten Hauses. Es war ziemlich heruntergekommen und bot doch noch einen guten Unterschlupf und in gewisser Weise sogar Luxus.

»Es war nicht gerade leicht zu beschaffen. Die Museumswärter hätten uns beinahe erwischt.« Als ob ihn das auch nur im geringsten interessierte. Brian kam zu ihm und überreichte ihm das Schwert. Sofort legte sich seine Wut etwas und er betrachtete den Gegenstand. Der Griff war silbern und die Klinge war blitzeblank poliert. Das Museum hatte sich gut um dieses Artefakt gekümmert.

Anthonys Augen weiteten sich vor Ehrfurcht. Das Erste von Dreien. Nach so langer Zeit. Er nahm es dem eingeschüchterten Mann ab und wog es kurz in seinen Händen. Herrlich. Sofort schien ihn eine unglaubliche Kraft zu durchströmen und doch konnte er fühlen, dass diese Macht böse war. Sein Blick wanderte wieder zu den beiden Männern, die den Blick eingeschüchtert auf den Boden gerichtet hatten.

»Gut. Nun macht euch auf die Suche nach den anderen zwei Schwertern.« Seine Stimme donnerte durch den Raum und die Männer zuckten erschrocken zusammen. Als sie immer noch wie angewurzelt da standen, erhob er seine Stimme und brüllte: »Worauf wartet ihr noch? Die Zeit drängt.« Die Männer liefen hastig zur Tür und verließen den Raum.

Anthony hingegen sah sich zufrieden das Schwert an. Er begutachtete es von allen Seiten und ging schließlich in einen kleinen Nebenraum, der durch einen zerfledderten Vorhang vom größeren Raum abgetrennt war. Dort stand ein runder Holztisch, auf dem mit weißer Kreide ein Dreieck gezeichnet war.

Er legte das Schwert in eine der Ecken des Dreieckes, so das die Spitze zum Mittelpunkt des Tisches zeigte.

»Nur noch zwei Schwerter. Dann haben wir es geschafft.« Die zierliche Hand einer Frau legte sich auf seinen Oberarm und Anthony schloss für einen Moment genüsslich die Augen. Wie sehr er sie begehrte. Seine dunkelste Fantasie. Seine schwarze Göttin.

»Geliebter! Wie ich sehe, warst du erfolgreich.« Dass es eigentlich seine Männer waren, die das Schwert ausgemacht hatten, erwähnten weder er noch sie.

»Cathryn!« Er verbeugte sich formvollendet vor ihr und sah ihr dann enthusiastisch in die Augen. Schon seit er sie vor fünf Jahren kennengelernt hatte, war er ihr verfallen. Sie war eine Anhängerin Pavels und war fest entschlossen, ihn von seinem Fluch zu befreien. Anthony interessierte das nicht unbedingt, er war mehr von ihr als Frau angetan.

Er musste ein Stöhnen unterdrücken, als er unauffällig ihren Körper musterte. Lange schwarze Haare, ein kurvenreicher Körper und Brüste, die keine Wünsche mehr offen ließen. Und dann dieses Gesicht. Sie glich einem Engel, hatte aber die Seele eines Dämons. Dämonen. Ja, es gab sie wirklich.

Vor fünf Jahren war Cathy einfach zu ihm gekommen und hatte gesagt, dass sie seine Hilfe brauchen würde. Sie war gerade erst aus Europa in die Staaten gekommen und er hatte am Flughafen als Taxifahrer sein Geld verdient. Man lernte in diesem Beruf interessante Menschen kennen, doch sie war von Anfang an anders gewesen.

Er war ihr hinterhergelaufen wie ein liebeskranker Teenager, bis er gesehen hatte, zu welchen Taten sie in der Lage war. Sie hatte einen Bankmanager »überredet« ihr ein Konto einzurichten, auf dem fast eine halbe Million Dollar war. Sie hatte dieses Haus geschenkt bekommen, weil der Immobilienbesitzer plötzlich davon überzeugt war, dass dieses Haus Unglück bringen würde. Und sie hatte einfach so zum Spaß ein Mädchen getötet und sich an ihrem Blut ergötzt. Nicht wie ein Vampir, sondern wie eine Verrückte. Doch das war sie nicht. Sie war ein Dämon und er war ihr hoffnungslos verfallen.

»Wann bekomme ich die anderen beiden Schwerter?« Sie hatte die Worte nah an seinen Lippen gehaucht, so dass er ihren süßen Atem riechen konnte. Er war tatsächlich süchtig nach ihr.

»Ich werde sie dir so schnell wie möglich bringen, das verspreche ich dir.« Seine Lippen bebten, als er sich ihr weiter näherte. Doch sie wich vor ihm zurück, entzog sich dem Kuss, der nie stattgefunden hatte, dem er allerdings, wie ein Wahnsinniger hinterher jagte.

Stattdessen fuhr sie zärtlich mit ihrem Zeigefinger über seine Unterlippe und starrte enttäuscht darauf, als wäre SIE diejenige, die zurückgewiesen worden war. Am liebsten hätte er sie in seine Arme gerissen und sich geholt, was er wollte. Aber die Wirklichkeit sah so aus, dass er Angst hatte. Angst vor ihr und zu was sie in der Lage war. Er würde warten. Spätestens, wenn er ihr die anderen beiden Schwerter überreichte, war sie sein. Darauf würde er jede Wette eingehen.

Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf seine Lippen zog sie sich in ihre Räume im ersten Obergeschoss zurück und ließ ihn resigniert stehen. Seine Zeit würde kommen.

 

Jesicas Körper war so leicht wie ein Blatt im Wind, als sie durch das Schwarz der Nacht flog. Diese Träume mochte sie. Keine schlimmen Erinnerungen an ihre Eltern, nur die unendliche Freiheit.

Ein Blitz erhellte das Dunkel, und als sie die Augen wieder öffnete, flog sie über ein Schlachtfeld. Komisch. Sie hatte doch in letzter Zeit gar keine Filme über Krieg angesehen. Um das Geschehen besser überblicken zu können, flog sie tiefer. Ein klein wenig fühlte sie sich wie Peter Pan, der einfach durch die Nacht fliegen konnte, wie es ihm beliebte.

Huch! Das war kein normaler Krieg! Dort unten kämpften Engel gegen Dämonen. Wobei man die Engel kaum noch erkennen konnte. An deren Flügel hafteten Ruß und Blut, genau wie an den langen Waffenröcken, die wohl vor langer Zeit einmal weiß gewesen waren.

Die zahlenmäßig überlegenen Dämonen sahen den Engeln sehr ähnlich, zumindest von Körpergröße und Statur. Nur ihre Haut war farbig. Das Schlachtfeld sah aus, wie ein zerbrochener Regenbogen.

Irgendetwas zog sie zum Rand des Geschehens, wo drei Engel von Dämonen umringt waren. Sie standen Rücken an Rücken, kämpften wie wilde Tiere und waren trotzdem deutlich unterlegen.

Plötzlich ertönte eine laute, männliche Stimme und die Dämonen hielten inne. Eine Schneise öffnete sich und ein Dämon kam heran geschlendert. Er hatte schulterlanges schwarzes Haar und sah relativ menschlich aus. Nur seine komplett schwarzen Augen verrieten seine Abstammung.

»So, so. Wen haben wir denn da?« Er näherte sich dem ersten Engel. Sie hatte lange braune Haare, die zu einem Zopf geflochten waren und ihr bis zur Hüfte reichten. »Haben wir uns nicht zuletzt vor ein paar Tagen gesehen?« Er strich mit der Hand über sein stoppeliges Kinn. »Ja, ich erinnere mich. Ich habe diesen Jungen getötet und dann durfte ich dein junges Fleisch kosten.« Der Engel schrie vor Wut und erhob das Schwert, doch der Dämon parierte den Schlag mit seinem eigenen.

»Du Hurensohn! Du wirst noch den Tag bereuen, an dem du mich angefasst hast!« Durch das Schauspiel abgelenkt, wurden die beiden anderen Engel, die eine blond und die andere rothaarig, von den Dämonen überwältigt und entwaffnet. Wehrlos, wie sie nun waren, wurden sie auf die Knie gezwungen.

»Angel, du kleines überhebliches Mädchen. Glaubst du wirklich, du hättest eine Chance gegen mich?« Sie drückte ihren Rücken durch und breitete ihre Flügel aus. Sie war eine imposante Erscheinung. Leider konnte Jesica ihr Gesicht nicht sehen, da Angel mit dem Rücken zu ihr stand.

»Finde es doch heraus, Pavel. Stell dich mir im Kampf, oder bist du zu feige?« Sein Mundwinkel zuckte leicht und er entblößte weiße, spitze Zähne. Nein, keine Zähne. Das waren Fänge. Jesica schüttelte sich.

»Du hast ein sehr loses Mundwerk. Und ich werde meinen Triumph genießen. Ich werde dir die Haut abziehen und deine Flügel heraus reißen. Du wirst mich anflehen, dich endlich zu töten.« Der Kreis, den die Dämonen um Angel und Pavel gebildet hatten, wurde nun größer. Immer mehr Schaulustige kamen dazu.

Ein neuer Blitz erhellte den Himmel und Angel griff Pavel an. Sie lieferten sich einen guten Kampf, doch Angel wurde immer kraftloser. Ehrlich gesagt sah Pavel nicht so aus, als hätte er bis jetzt an diesem Krieg teilgenommen. Seine Kleidung, ein blauer Waffenrock, war weder dreckig noch zerschlissen. Auch sein Schwert wies noch keine Kampfspuren auf. Angel hingegen war schmutzig und mit blauen Flecken sowie einigen Schnitten übersät.

In einem unachtsamen Moment stieß Pavel sein Schwert tief in ihren Bauch und Angel ging geschockt auf die Knie. Die beiden anderen Engel keuchten erschrocken auf und begannen sich gegen die Dämonen zu wehren, die sie festhielten. Und doch konnten sie sich nicht befreien.

»So schnell gibst du auf, kleines Mädchen? Ich dachte ...«, er drehte das Schwert in ihrem Fleisch um neunzig Grad herum, »... du würdest länger durchhalten.« Angel schrie vor Schmerz auf und umklammerte mit ihrer Hand das Schwert um die Drehung aufzuhalten. Ihr Blut rann an der Klinge herab und sammelte sich in einer kleinen Pfütze auf dem Boden.

Pavel nickte seinen Männern zu, die die beiden anderen Engel köpften, und stieß ein teuflisches Lachen aus. Er war sich seines Sieges so gewiss, dass er es nicht kommen sah, als Angel mit dem Schwert ausholte und es in seine Brust rammte. Ehrlich geschockt sah er auf sie herab und ließ sein Schwert los, dass scheppernd zu Boden viel.

»Du dämliche Gans. Ich bin unsterblich. So eine kleine Fleischwunde bringt mich nicht um.« Angel hob ihren Kopf und begann einen leisen Singsang: »Du wirst in die drei Schwerter verbannt, die das Blut von uns drei Engeln an ihren Klingen kleben haben.« Eine mächtige Aura erhob sich und Angel schien beinahe zu glühen, während Pavel versuchte, von ihr wegzukommen.

Mit einem lauten Schrei zerriss es ihn in drei Teile, die sich auf die Schwerter verteilten. Ein Dämon trat hinter Angel, die sich heftig nach Luft schnappend auf den Knien hielt, und holte mit seinem Schwert weit aus um sie zu köpfen. Bevor es herab fahren konnte, blieb die Zeit stehen und eine Lichtgestalt erschien vor Angel.

»Geliebte Tochter. Komm zu mir. Lass mich dir helfen.« Doch Angel schüttelte den Kopf. Das Atmen schien ihr leichter zu fallen und auch Jesica fühlte etwas ... Warmes. Sie fühlte sich geborgen.

»Meine Göttin. Nimm die Schwerter und verstecke sie gut. Mein Ende ist nun da. Ich hatte meine Rache. Mein Leben. Lebe wohl.« Nach einem Moment des Zögerns verschwanden die Lichtgestalt und mit ihr die Schwerter. Die Zeit begann wieder zu laufen und Jesica sah, wie Angels Kopf nach dem Hieb des Dämons zu Boden fiel.

Jetzt endlich konnte sie ihr ins Antlitz sehen und schrie erschrocken auf. Das war ihr eigenes Gesicht.


3. Kapitel

 

 

Völlig verschwitzt und mit trockenem Hals, saß Jesica aufrecht in ihrem Bett und klammerte sich zitternd an der Decke fest, als könne diese sie vor dem Ertrinken retten. Verwirrt sah sie sich um und das Zittern ließ etwas nach. Ein Traum. Das war alles nur ein Traum gewesen. Als sie auf ihr Handy sah, bekam sie den nächsten Schreck. Es war schon Viertel nach neun. Die Vorlesung lief schon seit über einer Viertelstunde.

»Scheiße!« Sie sprang regelrecht aus dem Bett und suchte in ihrem Kleiderschrank etwas zum Anziehen heraus. Damit verschwand sie hektisch im Bad. Als sie fertig war, schlüpfte sie in ihre Schuhe und die Jacke, schnappte sich ihre Tasche und verließ ohne ein Frühstück die Wohnung.

Zum Glück hatte sie es nicht weit bis zum Campus, ein Vorteil, wenn man genug Geld hatte, um sich eine kleine Wohnung in Campusnähe leisten zu können. Sie öffnete die Tür zum Hörsaal ein kleines Stück und spähte hinein.

Professor Leam stand mit dem Rücken zu ihr, während er etwas an die Tafel schrieb und so schlüpfte sie ungesehen herein. Diana wartete schon auf sie und rutschte einen Platz nach rechts, damit sich Jesica neben sie setzen konnte.

»Du bist ganz schön spät dran.« Diana war seit dem Kindergarten Jesicas beste Freundin. Sie konnten über alles reden und unternahmen viel zusammen. Eigentlich waren sie fast ausschließlich nur zusammen anzutreffen.

Diana war etwas kleiner und zierlicher als Jesica, hatte rotbraunen Locken und eine ungesunde Vorliebe für Rosa. Ihr Minirock, ihre Umhängetasche, ihr Schreibblock, ihr Kugelschreiber, sogar ihr Radiergummi war rosa. Und sie ließ sich auch nicht davon abbringen.

Jesica bevorzugte Bluejeans, T-Shirts und Turnschuhe. Wenn möglich nicht rosa. Beide studierten an der Universität BWL und waren nebenbei sportlich für die Uni aktiv. Diana war Cheerleaderin für die Footballmannschaft und Jesica hatte sich schon in der Highschool für das Turnen begeistert, wobei sie nebenbei auch einmal die Woche zur rhythmischen Sportgymnastik ging. Das Training war immer nachmittags, nach der letzten Vorlesung und zwei Mal die Woche trainierten sie zusammen in der Halle.

Nach den Vorlesungen gingen beide in die Cafeteria und kauften ihr Mittagessen. Als Diana sich mit dem Tablett neben Jesica gesetzt hatte, fragte sie sofort: »Und, hat es gestern Abend funktioniert?« Jesica schüttelte ihren Kopf und kramte in ihrer Tasche das kleine Buch heraus um es Diana wieder zu geben.

»Nein. Ich habe jetzt alles genau so gemacht, wie es beschrieben war, aber es klappt einfach nicht.« Diana nahm es entgegen und steckte es in ihre Tasche.

»Schade. Ich bin mir ganz sicher, meine Grandma gesehen zu haben.« Sie stutzte kurz. »Aber wenn ich ehrlich bin, hab ich zuvor eins von Tommys Spezial-Plätzchen gegessen.« Jesica lachte los und verschüttete etwas von ihrem Kaffee.

»Hast du etwa immer noch welche? Die Party war vor drei Wochen. Ich habe meine Plätzchen schon ein paar Tage danach weggeschmissen. Kein Wunder, das du Halluzinationen hattest.« Nun lachte auch Diana.

»Die Mädchen treffen sich heut schon etwas eher zum Training. Kommst du auch?« Jesica seufzte resigniert und stocherte in ihren Nudeln herum.

»Nein. Jason gibt mir wieder Nachhilfe. Wenn ich bei der nächsten Prüfung durchrausche, hab ich zwei Monate Hallenverbot.« So gut Jesica auch im Sport war, so schlecht war sie in den Naturwissenschaften.

»Schade. Heute spielt der Neue das erste Mal mit Football. Ich hab keine Ahnung, wie er aussieht oder ob er nett ist, aber die Mädchen schließen schon Wetten ab, wie lange es dauert, bis er auf dem Rasen liegt.« Diana kicherte. »Tom macht Kleinholz aus ihm.« Jesica schaute sich in der Cafeteria um. Vielleicht sah sie ein unbekanntes Gesicht. Aber es waren nur die üblichen Verdächtigen anwesend. Viele ihrer Kommilitonen verbrachten die Mittagspause bei den extrem milden Januartemperaturen im Freien auf der Wiese. Womöglich war er auch draußen. Uninteressant.

»Wie hieß noch gleich der Neue?« Sie konzentrierte sich wieder auf Diana, die an einem Apfel knabberte. Sie war immer gut informiert, weil sie mit jedem gut auskam und nie ein schlechtes Wort über jemanden verlor. Anders als Jesica, die immer sagte, was sie dachte.

»Michael. Aber alle nennen ihn nur Mike.«

»Ist bestimmt nicht leicht, mitten im Studium die Uni zu wechseln. Neben all dem Stoff, den er noch aufholen muss, fängt er auch noch mit Football an.« Sie verzog die Miene. »Der ist bestimmt so ein dürrer Streber, den sein Vater unbedingt in die Männersportschublade stecken will.« Die beiden kicherten wieder, doch die gute alte Diana wechselte das Thema, bevor sich Jesi in Rage reden konnte.

»Kommst du heut Abend vorbei?« Jesica nickte und sah auf die Uhr.

»Wird aber nur ein kurzer Besuch. Chris ruft mich heut Abend an.« Diana seufzte träumerisch. Ja, ihr Cousin war toll. Charakterlich und körperlich.

»Wann kommt er dich mal wieder besuchen?« Jesica grinste.

»Genau das Thema wollen wir heut Abend bereden.« Als die beiden das Mittagessen beendet hatten, gingen sie zur nächsten Vorlesung.

 

Da waren sie. Die beiden Lakaien, die die verfluchten Schwerter suchten. Sein ganzer Körper spannte sich an, als er an die gestrige Blamage dachte. Er war so kurz davor gewesen, ihnen das erste Schwert abzunehmen, doch dann war der Wachmann des Museums aufgetaucht und er hatte nicht mehr eingreifen können, ohne selbst erwischt zu werden. Und zu allem Überfluss hatte er ihre Spur auch noch verloren.

Er runzelte verwirrt die Stirn, als er sie in das teuerste Hotel der Stadt gehen sah. Was zum Teufel?