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Nr. 68

 

Kampfschiff der Alten

 

Alarm bei der USO – 5000 alte Raumfahrer terrorisieren das Solare Imperium

 

von Ernst Vlcek

 

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Auf Terra, den Welten des Solaren Imperiums und den Stützpunkten der United Stars Organisation schreibt man Ende August des Jahres 2841. Dieses 29. Jahrhundert ist eine Zeit, in der die solare Menschheit oder die Menschheit von den Welten der ersten Siedlungswelle wieder nach den Sternen greift und sich weiter im All ausbreitet. Es ist eine Zeit der großen Erfolge und großen Leistungen – es ist aber auch eine Zeit voller Gefahren und unerwarteter Entwicklungen.

Eine solche unerwartete Entwicklung für das Solare Imperium setzte auf Poloa Hoa ein.

Poloa Hoa, der zweite Planet des Tavitey-Systems, ist eine paradiesische Welt, die eigens für die Aufnahme von Angehörigen der Solaren Flotte, die ihr Pensionsalter erreicht haben, eingerichtet wurde.

Aber viele Bewohner Poloa Hoas sind unzufrieden, obwohl ihre Lebensumstände nach galaktischem Standard die denkbar besten sind. Und so haben, von einem Demagogen angestachelt, 5000 Pensionäre ein nagelneues Superschlachtschiff der Solaren Flotte gekapert und sind damit ins All gestartet.

Jetzt sucht Lordadmiral Atlan mit Einheiten der USO das KAMPFSCHIFF DER ALTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Lordadmiral wird »getestet«.

Krish Palony – Der Eremit von Phistral.

Firell Kytubashe – Ein seltsamer Ertruser.

Koet Peranat – Kommandant eines geraubten Schiffes.

Hoyn Taihu – Blinder Passagier auf der HYPERION-DELTA.

Pepe – Ein Eingeborener von Phistral.

1.

 

Zuerst lag der Raumhafen von Ngamarin wie verlassen da, plötzlich wurde er von einer unübersehbaren Menschenmenge überschwemmt. Es mochte sich um etwa fünftausend Personen handeln, in der Mehrzahl Männer, aber auch einige Frauen waren darunter. Sie waren bewaffnet. Keiner von ihnen war jünger als 120 Jahre.

Ihr Ziel war leicht ersichtlich: Das 1500 Meter durchmessende Superschlachtschiff der neuentwickelten DELTA-Klasse, auf dessen mattglänzender Metallhülle der Schriftzug HYPERION-DELTA zu lesen war. Die HYPERION-DELTA wurde von den fünftausend Pensionären im Sturm genommen. Gleichzeitig explodierten nacheinander die Abwehrforts der Umgebung, Kommandostellen innerhalb der Verwaltungsgebäude flogen in die Luft. Auf dem Raumhafen von Ngamarin weitete sich das Chaos aus, Tod und Vernichtung beherrschten das Bild.

Und dann liefen die Triebwerke der HYPERION-DELTA donnernd an. Das Superschlachtschiff mit den rebellierenden Pensionären an Bord erhob sich von der Piste und schoss mit unverantwortlich hoher Beschleunigung in den Himmel von Poloa Hoa hinein, Wirbelstürme und glutheiße Plasmaorkane hinter sich lassend ...

 

*

 

Diese Schreckensszenen wurden durch Standfotos und Filmaufnahmen dokumentiert. Obwohl es sich in der Mehrzahl um Amateuraufnahmen handelte, bekamen die Betrachter einen umfassenden Eindruck von den erschütternden Vorgängen.

Als Atlan den Projektor ausschaltete und das Licht im Sitzungssaal anging, herrschte beklommenes Schweigen unter den vierzig Konferenzteilnehmern.

Der Arkonide überließ die vierzig USO-Spezialisten noch eine Weile sich selbst, bevor er das Wort ergriff.

»Meine Herren«, begann er. »Dieses Bildmaterial legt, zusammen mit den anderen Unterlagen, die Ihnen bereits vorher zugegangen sind, ein eindrucksvolles Zeugnis von den Vorkommnissen auf der Rentner-Paradieswelt Poloa Hoa ab. Ich möchte, dass sich jeder von Ihnen der Gefahr bewusst ist, die durch die Kaperung der HYPERION-DELTA entstanden ist. Wir haben gesehen, dass die fünftausend Pensionäre unter der Führung von Oberst a.D. Koet Peranat zu allem entschlossen sind und auch nicht vor dem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln zurückschrecken. Sie haben viele Menschen getötet, um sich in den Besitz des Schiffes zu setzen. Und Peranat hat vor seinem Verschwinden über Funk bekanntgegeben, dass wir von ihm noch hören würden. Ich möchte hier nicht die Schrecken ausmalen, die dieser Psychopath auf uns loslassen könnte, aber wir werden uns auf einiges gefasst machen müssen.

Begehen wir nur nicht den Fehler, dieses Verbrechen als ein Kavaliersdelikt anzusehen. Die HYPERION-DELTA wurde nicht von Pensionären gekapert, die das abwechslungsarme Leben auf ihrer Paradieswelt satt haben und die, vom Fernweh ergriffen, noch einmal einen Ausflug in ihre Jugend unternehmen wollen. Dieser Fall liegt gänzlich anders. Träumerisch veranlagte Pensionäre wären nicht so skrupellos vorangegangen, sie hätten die Abwehrforts nicht gesprengt, hätten Rücksicht auf das Leben anderer genommen und nicht die Besatzung der HYPERION-DELTA niedergemacht. Ich betone es noch einmal, hier haben wir es mit kaltblütigen Verbrechern zu tun!«

Atlan hatte bewusst diese unverblümte Ausdrucksweise benutzt. Ihm war nicht entgangen, dass man in Quinto-Center über das »Husarenstück der Tattergreise von Poloa Hoa« schmunzelte; es amüsierte die jungen Spezialisten, dass sich die Stammbesatzung des Raumhafens von Ngamarin und die Mannschaft der HYPERION-DELTA von den Veteranen hatten überlisten lassen. Um diese krasse Fehleinschätzung der Lage rechtzeitig zu unterbinden, schilderte er die Vorkommnisse in drastischen Worten.

Seine Augen wanderten über die vierzigköpfige Zuhörerschaft und blieben dann auf Oberst Theophyl Rinker haften. Unter den relativ jungen Spezialisten, deren Alter zwischen vierzig und siebzig Jahren lag, war er mit seinen 118 Jahren ein Methusalem. In zwei Jahren würde er denselben Weg gehen, den alle Flottenangehörigen und USO-Mitglieder nehmen mussten: in die Pensionierung.

Oberst Rinker wurde unter Atlans Blick unruhig und blätterte nervös in seinen Unterlagen. Atlan ließ von ihm ab.

Er wandte sich wieder an die Versammelten.

»Die Solare Abwehr hat diesen Fall an uns weitergegeben, weil der Großadministrator es angeordnet hat«, fuhr er fort. »Wir sind auch tatsächlich kompetenter, denn wir besitzen außer der Dienstbeschreibung noch eine Fülle von Daten über Oberst Koet Peranat, die weder der Flotte noch der SolAb bekannt sind. Als Peranat vor mehr als siebzehn Jahren Kommandant der KATROMPI war, befand sich einer meiner Spezialisten an Bord, der den Oberst besser kennen gelernt hat als sonst ein Mensch. Von diesem Spezialisten haben wir wertvolle Informationen erhalten, die uns heute von Nutzen sein könnten. Aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Ich möchte vorerst um Wortmeldungen bitten und Meinungen zu dem Fall hören.«

Atlan hatte kaum ausgesprochen, als auf seinem Pult eine Reihe von Lämpchen aufleuchteten, die die Wortmeldungen der Spezialisten anzeigten. Wie nicht anders erwartet, war auch Oberst Rinker darunter, doch Atlan überging ihn.

Er erteilte einem vierzigjährigen Spezialisten das Wort, der sich durch einen scharfen, analytischen Verstand auszeichnete.

Der Spezialist begann ohne lange Einleitung mit seinen Ausführungen.

»Aus meinen Unterlagen geht hervor, dass Oberst Koet Peranat schon seit einigen Jahren der starke Mann innerhalb der Reaktivierungs-Organisation von Poloa Hoa war. Wie wir wissen, ist das Ziel der ReO die Hinaufsetzung des Pensionärsalters auf 140 Jahre. Dafür kämpfte auch Oberst Peranat. Und er tat das sehr geschickt und augenscheinlich mit durchaus legalen Mitteln. Wie wir inzwischen erkannt haben, scherte er sich in Wirklichkeit allerdings überhaupt nicht um Moral und Gesetz. Worauf ich hinaus will? Nun ich möchte aufzeigen, wie gefährlich dieser Oberst Peranat ist. Er wartete siebzehn Jahre lang geduldig auf seine Chance. Er hätte schon viele Male Gelegenheit gehabt, ein kleineres Schiff zu kapern. Aber das war ihm nicht genug. Er wollte einen großen Fisch. Als die HYPERION-DELTA, ein Superschlachtschiff, auf Poloa Hoa landete, griff er blitzschnell zu. Damit hat er eine ungeheure Waffe in die Hand bekommen, die er zweifellos auch zu nutzen gedenkt.

Ich schlage deshalb vor, dass die HYPERION-DELTA mit allen zur Verfügung stehenden Schiffen gejagt wird. Wir müssen Oberst Peranat stellen, bevor er größeren Schaden anrichtet.«

Atlan nickte beipflichtend, als der Sprecher geendet hatte.

»Sie haben in jeder Beziehung recht. Was die Verfolgung der HYPERION-DELTA betrifft, so kann ich Sie beruhigen. Selbstverständlich wurden sofort alle verfügbaren Schiffe ausgeschickt, um Oberst Peranat zu jagen. Ob diese Aktion jedoch Erfolg haben wird, ist fraglich. Die HYPERION-DELTA kann sich überall in der Galaxis und selbst im Leerraum zwischen den Galaxien aufhalten. Unser Problem ist, wo wir nach ihr suchen sollen.«

Atlan hoffte, dass die Spezialisten seine letzte Äußerung als Anstoß für diesbezügliche Vorschläge nehmen würden. Doch auch der nächste Sprecher ging nicht darauf ein.

Es war ein im Außendienst ergrauter Major von siebzig Jahren, der bekannt dafür war, Probleme mit der Waffe zu lösen.

»Mein Vorgänger hat darauf hingewiesen, welches Machtmittel die HYPERION-DELTA in den Händen dieses Verbrechers darstellt«, begann er. »Ich möchte nun näher darauf eingehen. Warum hat Peranat die Hundert-Meter-Kreuzer verschmäht und auf ein Superschlachtschiff gewartet? Doch nur, weil er die Möglichkeiten nutzen will, die ihm dieses 1500-Meter-Schlachtschiff bietet. Er wollte nicht nur das triste Dasein auf der Rentner-Welt beenden, sondern er lechzt auch nach Macht.

Jetzt kann er sie ausüben. Mit der HYPERION-DELTA kann er die Galaxis in Atem halten. Er hat nun die Macht, Planeten, ja, ganze Sonnensysteme zu vernichten. Und ein Psychopath wie Peranat wird das auch tun, wenn man seine Forderungen nicht erfüllt. Deshalb muss er zur Strecke gebracht werden. Meiner Meinung nach gibt es nur ein Mittel, ihn daran zu hindern, weiterhin Massenmord zu begehen: Die Verfolgerschiffe müssen die Order erhalten, bei Sichtung der HYPERION-DELTA sofort das Feuer zu eröffnen!«

Atlan schüttelte den Kopf.

»So kommen wir nicht weiter«, meinte er und warf dem letzten Sprecher einen spöttischen Blick zu. »Glücklicherweise hat Ihr Vorschlag keine Chance, verwirklicht zu werden. Wir müssen bedenken, dass sich Oberst Peranat nicht allein an Bord der HYPERION-DELTA befindet. Er hat fünftausend Pensionäre bei sich, von denen viele ursprünglich gar keine Ahnung hatten, auf welches Verbrechen sie sich einließen. Inzwischen haben sie sicher erkannt, was sie getan haben, und bereuen es längst.«

»Machen Sie es sich nicht zu leicht, wenn Sie Koet Peranat als einzigen Schuldigen hinstellen, Sir?«, warf ein Spezialist ein.

»Das ist nicht meine Absicht«, erwiderte Atlan. »Die Pensionäre waren alle körperlich und geistig auf der Höhe, so dass sie voll zur Verantwortung gezogen werden müssen. Es kann sein, dass die meisten von ihnen mit Peranats Vorgehensweise einverstanden waren und wie er von einem Machtrausch befallen sind. Aber sie haben, wie alle anderen Verbrecher auch, das Recht, sich vor einem ordentlichen Gericht für ihre Taten zu verantworten. Und Oberst Peranat, der offensichtlich geistesgestört ist, hat, wie jeder Kranke, das Recht auf ärztliche Betreuung.«

Bei Atlan trafen wieder eine Reihe von Wortmeldungen ein. Diesmal entschloss er sich, Oberst Rinker zu Wort kommen zu lassen.

»Mir ist es unliebsam aufgefallen, dass Sie im Zusammenhang mit den geflohenen Pensionären immer wieder die Bezeichnung Verbrecher gebrauchen, Sir«, sagte er anklagend. »Bevor Sie sich zu dieser Äußerung hinreißen lassen, sollten Sie die Situation der Pensionäre einmal psychologisch zu durchleuchten versuchen.«

»Dazu sind wir nicht hier«, entgegnete Atlan kurz angebunden.

»Sie sollten sich aber dennoch um etwas Verständnis bemühen«, beharrte der Oberst. »Ich kann mich in die Lage der Alten versetzen. Ich werde in zwei Jahren verabschiedet. Mir bleibt keine andere Wahl, als nach Poloa Hoa zu gehen und dort auf den Tod zu warten. Vielleicht lebe ich noch dreißig oder gar fünfzig Jahre. Wissen Sie, was es bedeutet, ein halbes Jahrhundert zur Untätigkeit verdammt zu sein, die Gewissheit zu besitzen, als nutzlos betrachtet zu werden, obwohl man geistig und körperlich voll aktiv ist? Ich habe neunzig Jahre meines Lebens im Einsatz gestanden, habe die Galaxis kennen gelernt und immer eine schwere Verantwortung zu tragen gehabt. Jetzt plötzlich, obwohl ich noch mitten im Leben stehe, soll das schlagartig aufhören. Ich soll den Raumanzug mit dem Morgenmantel vertauschen, die Stiefel mit Pantoffeln, das bunte Universum gegen eine eintönige Welt. Es ist ein Albtraum. Wenn Sie einen Mann der Tat auf einer Paradieswelt zur Untätigkeit verdammen, dann kann er nicht mehr leben, sondern nur noch dahinsiechen.«

»Ich muss Sie zur Ordnung rufen!«, sagte Atlan ungehalten. »Wir haben andere Aufgaben, als die psychologische Situation der Pensionäre von Poloa Hoa zu untersuchen.«

Oberst Rinker reagierte ungewohnt heftig.

»Aber Sie müssten sich erst über ihre Beweggründe klarwerden, bevor Sie sie als Verbrecher abstempeln«, rief er erregt. »Diese Männer und Frauen haben die HYPERION-DELTA aus Verzweiflung gekapert, weil sie das ruhige Leben auf Poloa Hoa nicht mehr ertrugen, sie wollten aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen. Sie können diese Pensionäre nicht rundweg verurteilen, nur weil sie sich gegen das Siechtum auflehnten. Packen Sie das Übel bei der Wurzel an! Wenn man sich entschlossen hätte, das Pensionsalter von 120 auf 140 Jahre zu erhöhen, dann gäbe es heute keinen Fall Koet Peranat.«

»Uns allen ist klar, dass die Ruhestandsbestimmungen veraltet sind«, sagte Atlan mit erzwungener Ruhe. »Und wir wissen, dass Poloa Hoa keine Ideallösung darstellt. Ich bin auch gerne bereit, zum gegebenen Zeitpunkt die Probleme der Pensionäre mit Ihnen zu diskutieren. Aber jetzt, Oberst Rinker, beschäftigen wir uns damit, wie wir weitere Wahnsinnstaten von fünftausend Pensionären verhindern können! Wenn Sie nicht gewillt sind, dies anzuerkennen, muss ich Sie aus dem Saal weisen lassen. Die Pensionäre von Poloa Hoa haben in der Galaxis einen Brand gelegt, und die USO, die man auch die galaktische Feuerwehr nennt, ist beauftragt, dieses Feuer zu löschen. Wollen Sie das zur Kenntnis nehmen?«

Oberst Rinker nickte und räusperte sich.

»Ich habe vor einiger Zeit mit Oberst Peranat korrespondiert, Sir«, sagte er.

»Steht das in einem Zusammenhang mit diesem Fall?«, erkundigte sich Atlan misstrauisch.

Oberst Rinker lächelte schwach.

»Ich denke schon. Ich schrieb Oberst Peranat vor zwei Jahren an, weil ich mich für eine Erhöhung des Pensionsalters einsetzen wollte. Daraus entspann sich ein ziemlich intensiver Briefwechsel. Unter anderem erfuhr ich auch die Namen von drei Männern, die Oberst Peranats engste Vertraute waren. Jetzt habe ich diese drei Namen auf der Liste jener Personen gefunden, die mit der HYPERION-DELTA geflohen sind.«

»Messen Sie dem besondere Bedeutung zu?«, wollte Atlan wissen.

»In gewisser Weise ja. Denn diese drei Männer stehen Oberst Peranat kaum nach. Jeder von ihnen kann sich auch heute noch mit den besten Flottenkommandanten messen, und sie sind jedem Jüngeren in punkto Erfahrung überlegen. Mit ihrer Unterstützung ist Oberst Peranat um vieles gefährlicher.«

»Wie heißen diese Männer?«

»Menchol Kanikruz, Fremon Toohl und Ceriman Haydky.«

2.

 

»Herein!«

Der Mann, der das mit befehlsgewohnter Stimme sagte, war etwa 1,80 Meter groß, schlank und sehnig. Er besaß ein schmales, von der Sonne gebräuntes Gesicht. Wenn man allerdings genau hinsah, merkte man, dass die rechte Gesichtshälfte blasser war als die andere. Das war auf eine bioplastische Gesichtsreparatur zurückzuführen.

Als er noch im aktiven Dienst stand, hatte er eine Schussverletzung abbekommen, so dass die rechte Hälfte seines Gesichts mit Biomolplast ersetzt werden musste. Man merkte es nur daran, dass sie schlechter durchblutet wurde als die andere Hälfte, wenn er sich aufregte, dann wurde der Unterschied allerdings eklatant. Je nach dem Grad der Erregung wurde der Gesichtsersatz von Zuckungen heimgesucht, die bis zu grimassenhaften Verzerrungen ausarten konnten.

Der Mann blickte von seinem Arbeitstisch auf und starrte unwillig auf die Tür.

»Herein, habe ich gesagt!«, rief er lauter, und unter seinem rechten Auge zuckte es.

Endlich öffnete sich die Tür, und ein kleiner, zur Dickleibigkeit neigender Mann trat herein. Seine schmalen Äuglein über den faltigen Tränensäcken blickten zuerst unsicher zu dem Mann hinter dem Schreibtisch und wanderten dann schuldbewusst zu Boden.

»Setzen Sie sich, Leutnant Beoryn«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. Er musterte sein Gegenüber mit einer Mischung aus Zorn und Spott. Wer hätte vermutet, dass sie gleichaltrig waren? Hier der verweichlichte und vom Alter leicht gebeugte Leutnant – und dort der vor Vitalität und Tatendrang strotzende Major.

Beide waren sie 144 Jahre alt. Beide hatten sie bis vor drei Tagen auf Poloa Hoa ihr Gnadenbrot erhalten.

»Mir sind da einige unschöne Dinge über Sie zu Ohren gekommen, Leutnant Beoryn«, sagte der gutaussehende Mann hinter dem Schreibtisch und strich sich über die Wellen seines grau durchsetzten Haares. »Was haben Sie dazu zu sagen?«

Leutnant a.D. Beoryn fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe.

»Du musst dich einmal in meine Lage versetzen, Ceri...«

Der andere schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.

»Für Sie bin ich ab sofort Major Ceriman Haydky, Dritter Kosmonautischer Offizier der HYPERION-DELTA!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Wollen Sie das endlich zur Kenntnis nehmen?«

Beoryn nickte.

»Jawohl, Major Haydky«, sagte er unbehaglich.

Der Major gab einen zustimmenden Laut von sich, dann verschränkte er die Finger auf der Tischplatte und sah seinen Besucher eindringlich an.

»Was ist nur in Sie gefahren, Leutnant?«, fragte er streng. »Was dachten Sie sich dabei, als Sie in den Gemeinschaftsräumen vor versammelter Mannschaft Hetzreden hielten? Ich könnte das als Aufwiegelung zur Meuterei auffassen. Aber in Anbetracht Ihrer Verdienste, die Sie sich um die ReO gemacht haben, und der Tatsache, dass wir vor einem Vierteljahrhundert auf dem gleichen Schiff gedient haben, will ich Ihnen noch eine Chance geben. Wie stellen Sie sich also zu den Anschuldigungen?«

Beoryn zuckte die Schultern.

»Ich bin mir keiner Schuld bewusst«, sagte er. Als er den stechenden Blick des Majors bemerkte, fuhr er schnell fort: »Ich habe Ansprachen an die Mannschaft gehalten, zugegeben, und ich habe darin auch meiner Enttäuschung Ausdruck gegeben, dass Peranat ... Oberst Peranat so brutal bei der Kaperung der HYPERION-DELTA vorgegangen ist. Ich habe Kritik an seiner Vorgehensweise geübt, das ist mein gutes Recht.«

Als der Major schwieg, wurde sein Besucher zum Weitersprechen ermuntert.

»Für mich – und noch einige andere –