image

 

imageelix Dahn (1834-1912), war Historiker und Jurist. Nach seiner Habilitation war er Professor in München, Würzburg, Königsberg und Breslau. Er war verheiratet mit Therese von Droste-Hülshoff (1845-1929), einer Nichte von Annette von Droste-Hülshoff.

Zum Buch

Hierin wurzelt Tolkiens Meisterwerk »Herr der Ringe«!

Die germanische Götterwelt und ihr Sagenschatz sind so vielgestaltig und faszinierend wie kaum ein anderer Volksglaube. Die germanischen Mythen erzählen von drei Welten: Midgard, der menschlichen, Utgard, der Welt der Riesen und Dämonen, und Asgard, der Welt der Götter. Mächtige Götter wie Wodan, der Gott der Unterwelt, oder Donar, der Gott des Himmels und des Donners, nehmen Einfluss auf die Geschicke des Menschen...!

Felix und Therese Dahn
Germanische Götter- und Heldensagen

Felix und Therese Dahn

Germanische Götter-
und Heldensagen

Mit einem Vorwort
von Dr. Hans-Jürgen Hube

image

image

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012
Neu gesetzte und überarbeitete Ausgabe für marixverlag GmbH, Wiesbaden nach der Ausgabe Leipzig 1919
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. theol. Michael Tilly, Tübingen
Covergestaltung: Thomas Jarzina, Köln
Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin
eBook- Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0190-4

www.marixverlag.de

Inhaltsverzeichnis

Erste Abteilung: Göttersagen

Von Felix Dahn

Einleitung

Erstes Buch: Allgemeiner Teil

I.

Die Grundanschauungen: Entstehung der Welt, der Götter und der übrigen Wesen

II.

Die Welten und die Himmelshallen

III.

Die goldene Zeit und die Unschuld der Götter. Deren Schuldigwerden: Kämpfe mit den Riesen: Verluste und Einbußen. Tragischer Charakter der germanischen Mythologie. Bedeutung der Götterdämmerung

Zweites Buch: Besonderer Teil: Die einzelnen Götter – Elben, Zwerge, Riesen – Andere Mittelwesen

I.

Odin-Wotan

II.

Thor-Donar

III.

Tyr-Ziu

IV.

Freyr-Frô

V.

Baldur – Forseti

VI.

Loki-Loge

VII.

Hel-Nerthus

VIII.

Freya und Frigg

IX.

Die Nornen

X.

Die Walküren

XI.

Andere Götter und Göttinnen

XII.

Mittelwesen: Elben, Zwerge und Riesen

Drittes Buch: Die Götterdämmerung und die Welterneuerung

I.

Vorzeichen und Vorstufen der Götterdämmerung: Verschuldung, Verluste und Vorkehrungen der Götter

II.

Die Götterdämmerung

III.

Die Erneuerung

 

Anhang: Stammbäume I–IX

Zweite Abteilung: Heldensagen

Von Therese Dahn

Vorbemerkung

Erstes Buch: Die Wölsungen

I.

Sigi – Rerir – Wölsung

II.

Sigmund und Sinfiötli

III.

Helgi Hundingsbani (d. h. Hundings-töter)

IV.

Sinfiötlis und Sigmunds Ende

V.

Sigurd

 

1. Sigurds Geburt und Jugend

 

2. Sigurds Vaterrache

 

3. Sigurd der Drachentöter

 

4. Brunhilds Erweckung

VI.

Sigurd und die Giukungen

 

1. Sigurds Vermählung

 

2. Gunnars Brautfahrt und Vermählung

 

3. Der Königinnen Zank

 

4. Brunhildens Harm

 

5. Sigurds Ermordung

 

6. Brunhilds Tod

VII.

Der Giukungen Ende

 

1. Gudruns Flucht und Wiedervermählung

 

2. Atlis Gastgebot

 

3. Der Könige Fahrt

 

4. Der Kampf

 

5. Der Könige Tod

 

6. Gudruns Rache

VIII.

Swanhild und ihre Brüder

Zweites Buch: Beowulf

I.

Von den Schildingen

 

1. Schild

 

2. Heorot

 

3. Grendel

II.

Beowulf

 

1. Die Ausfahrt

 

2. Der Strandwart

 

3. Begrüßung

 

4. Der Kampf

 

5. Dank und Gabenspende

 

6. Grendels Mutter

 

7. Der Kampf im Meer

 

8. Der Abschied

 

9. Die Heimkehr

III.

Der Feuer-Drache

 

1. Des Drachen Ausfahrt

 

2. Der Kampf

 

3. Beowulfs Tod

Drittes Buch: Kudrun

I.

Hettel und Hagen

 

1. Von den Hegelingen

 

2. Frutes Kramladen

 

3. Wie die Gäste zu Hofe ritten

 

4. Horands Gesang

 

5. Die Entführung

 

6. Kampf und Versöhnung

II.

Kudrun

 

1. Hartmut und Herwig

 

2. Kudrun wird geraubt

 

3. Auf dem Wülpensand

 

4. Kudruns Gefangenschaft

 

5. Königin Hildes Heerfahrt

 

6. Kudrun am Seestrande

 

7. Kudruns List

 

8. Der Hegelinge Ankunft

 

9. Die Erstürmung der Feste

 

10. Heimfahrt und Hochzeit

Viertes Buch: Aus verschiedenen Sagenkreisen

I.

Von den Wilkinen und ihrem Reiche

 

1. König Wilkinus

 

2. Nordian und Hertnit

 

3. König Oserich

 

4. Etzel (Attila) und Helche (Erka)

II.

Wieland der Schmied

 

1. Wielands Jugend

 

2. Wieland in Wolfstal

 

3. Wielands Rache

III.

Walther und Hildgund

 

1. Die Flucht

 

2. Der Kampf

Fünftes Buch: Aus den Sagenkreisen von Dietrich von Bern und von den Nibelungen

I.

Dietrichs Jugend

 

1. Dietrich von Bern

 

2. Von Grim und Hilde

 

3. Von Heime

 

4. Wittigs Ausfahrt

 

5. Von Ecke und Fasold

 

6. Fasold

 

7. Heime von Dietrich fortgewiesen

 

8. Dietleib

 

9. Dietleibs Gastmahl

 

10. Laurin

II.

Dietrich, König von Bern

 

1. Von Wildeber und Isung dem Spielmann

 

2. Wittig erschlägt Rimstein und gewinnt Mimung zurück

 

3. Herburt und Hilde

 

4. Wie Sibich treulos ward

 

5. Von den Harlungen

 

6. Dietrichs Flucht

III.

Etzels Krieg mit den Russen

 

1. Waldemar wird geschlagen

 

2. Die beiden Dietriche

 

3. Fasold und Dietleibs Fall

IV.

Dietrichs Zug gegen Ermenrich

 

1. Rüstung und Auszug

 

2. Die Rabenschlacht

 

3. Helches Tod

V.

Dietrich von Bern und die Nibelungen

 

Vorbemerkung

 

1. Etzels Werbung um Krimhild

 

2. Krimhild im Heunenland

 

3. Die Nibelungen ziehen ins Heunenreich

 

4. Empfang in Etzels Burg

 

5. Das Gastmahl im Palast

 

6. Iring fällt

 

7. Krimhild lässt Feuer an den Saal legen

 

8. Markgraf Rüdiger fällt

 

9. Dietrichs Speerbrüder fallen

 

10. Der Nibelungen Ende

VI.

Dietrichs Heimkehr

 

1. Dietrich scheidet von Etzel

 

2. Wie Dietrich im Walde haust

 

3. Hildebrand und Hadubrand

 

4. Dietrichs und Hildebrands Empfang zu Bern

 

5. Dietrichs Sieg

 

6. Heimes letzte Taten und Ende

 

7. Dietrichs Entrückung

 

Anmerkungen

Vorwort

Die Neuausgabe dieses umfangreichen Kompendiums von Felix und Therese Dahn über die germanischen Göttersagen und Heldengeschichten passt gut hinein in das Profil des Marix-Verlags, der bereits ein Handbuch zur Germanischen Mythologie veröffentlicht hat und auch sonst ähnliche Themenkreise bearbeitete. Dieses nicht nur von Spezialisten, sondern vornehmlich von breitesten Leserschichten als spannend empfundene Wissensgebiet ist neuerlich aktuell geworden, seit man sich in aufregenden Filmen nach der Romantrilogie Der Herr der Ringe (Band 1: »Die Gefährten« (1954), Band 2: »Die zwei Türme« (1954) und Band 3: »Die Rückkehr des Königs« (1955) mit der faszinierenden Phantasiewelt der »Mittelerde« aus der Feder des ausgezeichneten Mythenkenners John Ronald Reuel Tolkien (1892–1973) bekannt machen konnte. Die uralten Geschichten unseres germanisch-nordischen Sagenkreises verband Oxford-Professor Tolkien auf unvergleichlich geschickte Weise auch mit keltischen Sagentraditionen. Angeregt durch die nach seinen Büchern gedrehten Filme, kann der Leser jetzt im vorliegenden Sagenband von Felix und Therese Dahn in breiter Auslegung in fünf großen Kapiteln (Büchern) unsere schönsten Götter- und Heldensagen neu kennen lernen oder nachlesen und den traditionellen Themen vielleicht mit neuem Verständnis für Sagengeschichtliches und Historisches gegenübertreten.

Felix und Therese Dahns Walhall – Germanische Götter- und Heldensagen. Für Alt und Jung am deutschen Herd erzählt erschien erstmals 1885 im Verlag von R. Voigtländer, Kreuznach. In den letzten Jahrzehnten sind die germanischen Götter- und Heldensagen mitunter in den Hintergrund gedrängt worden. So ist es nicht verwunderlich, dass sich mancher heute in der griechischen Mythologie besser auskennt als in der germanischen. Der Marix-Verlag hat sich dieses Problems angenommen und wiederum die Göttersagen, den altnordische Sagenschatz und die deutschen Heldensagen in diesem umfangreichen Band in einer leicht lesbaren Fassung und übersichtlich vorgestellt.

Felix Dahn (1834–1912) war Historiker, Jurist, Schriftsteller und ein bedeutender Sagenkenner. Er wirkte als Professor für deutsche Rechtsgeschichte in Würzburg, später in Königsberg und Breslau. Sein wissenschaftliches Hauptwerk Die Könige der Germanen erschien in 11 Bänden zwischen 1861 und 1907. Dahns Popularität basiert auf seinem Roman Ein Kampf um Rom (1876), worin er den Untergang des Ostgotenreichs in Italien schilderte, mitunter aber auch die Überlegenheit der Germanen gegenüber anderen Völkerschaften stark betonte. Felix Dahn gilt als Vertreter des Professorenromans, der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders in Mode war. Darin spürt man die Zeit des preußisch-deutschen Kaiserreichs mit ihren deutlichen Bezügen zum zeitgenössischen Patriotismus der deutschen Reichsgründung. Teilweise mit seiner Frau Therese, einer Nichte der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff, verfasste Dahn auch Romane zur deutschen Frühgeschichte. Bekannt wurde seine Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker (4 Bände, 1880–89), an die sich die Kleinen Romane aus der Völkerwanderung (13 Bände bis 1901) anschlossen.

Der stete Kampf zwischen guten und bösen Mächten, die Erschaffung der Welt, das Weltende und das Aufblühen einer neuen Erde, die Sagenkreise unserer Vorfahren – all das bietet den Rahmen für die hier vorgestellten, teils skurrilen, teils tiefsinnigen, immer aber spannenden Götter- und Heldengeschichten. Und die uns mitunter fremd anmutenden Namen der vielen im Text erwähnten Helden sind zweifellos eine unerschöpfliche Fundgrube für den an Mythen und Legenden interessierten Leser.

Felix und Therese Dahn stellten seinerzeit mit Gelehrtenfleiß und Gründlichkeit die relevanten Texte aus der Edda, aus den Berichten u. a. des Saxo Grammaticus sowie aus mancherlei anderen insel- und festlandgermanischen Sagenüberlieferungen zusammen. Daraus ist nun eine der umfangreichsten Übersichten zur germanischen Mythen- und Sagenkunde geworden, sprachlich behutsam modernisiert. Der Aufbau des Bandes ist einfach: Im allgemeinen Teil werden die Grundanschauungen bis hin zur Bedeutung der Götterdämmerung dargestellt. Im besonderen Teil sind systematisch die einzelnen Götter, Elben, Zwerge, Riesen usw. aufgeführt, und es schließen sich die Mythen über das Weltende und Welterneuerung an. Die von Therese Dahn zusammengestellten Heldensagen umfassen die wichtigsten Wölsungen- und nordischen Nibelungen-Geschichten, recht ausführlich die Beowulf-Darstellungen, die Kudrun- und Hegelingen-Sagen, die Mythen von den Wilkinen und von Wieland dem Schmied und schließlich die festlandgermanischen Sagenkreise um Dietrich von Bern.

Interessant könnten einige Hintergrundinformationen sein, die dem heutigen Leser das Verständnis für diesen Band erleichtern sollen. Die germanische Mythen, insbesondere der Wotans/Odinskult, haben eine komplizierte Geschichte. Wahrscheinlich begann erst vom ersten Jahrhundert n. Chr. Wodan den urgermanischen obersten Gott *Tiwaz, d. h. Tiu, Ziu, nordisch Tyr, nach dem unser Dienstag benannt ist, zu verdrängen. Er ist verwandt mit indo-europäischen Hauptgöttern wie Zeus und Jupiter oder dem altindischen Dyauspita. In der Merowingerzeit wurde in den Landschaften östlich des Rheins und in Norddeutschland Wodan/Odin verehrt. Man kann beobachten, dass die Wodan/Odin-Verehrung aus der kriegerisch unruhigen keltisch-römisch-germanischen Grenzregion ihren Anfang nahm, wie es der Odenwald noch heute bezeugt.

Im 5. Jahrhundert besetzten bekanntlich Angeln und Sachsen unter »Wodans Führung« Britannien, wo Ortsbezeichnungen, Sagen und Bräuche von seinem Kult erzählen. Dann hielt der Gott Einzug in Skandinavien. Aus dem relativ späten Vorkommen von mit Odin zusammen gesetzten Ortsnamen, etwa Odense, kann man schließen, dass dieser Odinskult nicht ursprünglich im Norden heimisch war. Im Norden, wo Odin als oberster Ase später als fertiger Hochgott auftrat, übertrumpfte er bald das uralte Wanengeschlecht. Im Mythos vom Wanenkrieg, der – nach dem Völuspa-Gedicht der Edda – durch Odin mit einem Speerwurf eröffnet wurde, hat der Isländer Snorri Sturluson (1178–1241) diese historischen Verhältnisse umschrieben. Nach Erreichen seiner vollen Kraft tritt uns Wotan/Odin als ein komplexer Gott entgegen, denn er ist Sieges- und Kriegsgott, Toten- und Fruchtbarkeitsgott und Inbegriff der höchsten Macht. Ursprünglich nur ein Sturmdämon, wurde er zu einer hoheitsvollen, tragischen Gestalt umstilisiert. Wotan – nach indo-europäischer Wurzel *va – heißt der »Wehende, Wütende, Rasende«. Im Sturmwind sahen die Germanen ältester Zeit einen Geisterzug, Seelen, die von Dämonen getrieben wurden. Von den Jagdzügen her ergibt sich das Bild des »Wilden Jägers«, ein Motiv, das beispielsweise noch in den mittelalterlichen Dietrich-Epen aufscheint.

Hier hinein spielt der Komplex der Totengeister-Vorstellungen. Bei den Germanen herrschte der Glaube, dass sich die Seelen der Toten in Bergen aufhalten, wobei es sich eigentlich um eine Lokalisation des »Totenreichs unter der Erde« handelt. Die alte Sitte, beträchtliche Hügel aufzuschütten, gehört hierher. Aus der Auffassung vom Totenseelen-Gott hat sich die Walhallidee entwickelt, die interessante Anschauung vom »Kriegerjenseits«, wo Odin als Walvater mit seinen Helden an der Tafel sitzt. Im Norden wurde der erste Becher Odin dargebracht, um ihn um Sieg und Macht zu bitten. Dort galt er als Schirmherr ganzer Stämme, besonders der am Wikinger- und Beuteunternehmertum beteiligten Küstenbewohner. Er ist Beschützer einzelner Helden und Heldenfamilien.

Schon durch Tacitus wissen wir, dass einige aggressiv vorstoßende ost- und nordgermanische Stämme (Goten, Urschweden) bereits zu seiner Zeit Heerkönige hatten. In der Völkerwanderungszeit (4.–5. Jahrhundert) verwandelte sich die alte germanische Heerführer-Funktion in Königsgewalt. Wir finden diesen Prozess bei Burgundern, Goten, Vandalen, Langobarden, Franken und vielen anderen. Als sich Karl Martell 714 an die Spitze des Staates stellte, war Gallien, wie der Biograph Einhard schrieb, überall in Tyrannenhand. Die triumphierende zupackende Faust, der harte, egoistische Sinn, Heldenfreiheit und -ehre standen im Vordergrund. Trotz Verkirchlichung des Westfrankentums (Chlodwigs Taufe 496) blieb das Denken und Trachten des ältesten Adels vorchristlich-heidnisch.

Das alles spürt man noch, wenn man die in der zweiten Abteilung des vorliegenden Bandes zusammengefassten Heldensagen liest. Die einen vorchristlichen Geist ausstrahlende Adelspoesie, die Preis- und Heldenlieder, später die Heldenepen, behauptete sich noch jahrhundertelang. Man spricht von archaisch-germanischer Adelsheroik und -ethik. Selbst die hochmittelalterlichen Epen hatten meist noch »ungetauften«, d. h. heidnischen Gehalt. Nach relativ kurzer Blüte schwand indessen diese Dichtung bei den Südgermanen, als sich bei den Merowingern das Hofleben auflöste und die christliche Kultur auf deutschem Boden Fortschritte machte. Im Vergleich zur Ritterdichtung des Hochmittelalters erscheint das germanische Heldenlied urwüchsig und archaisch. Im Frankenreich des 6. Jahrhunderts hatte es einen Höhepunkt.

Allerdings sollte man sich hüten, beeindruckt von der Vielzahl und Größe dieser Sagen, und das Durchlesen dieses vorliegenden Dahn’schen Bandes bestätigt es, in der Heldensage den Inbegriff germanischer Dichtungsgeschichte schlechthin zu sehen. Wir wissen doch: Im Preislied verherrlichte der Dichtersänger, nordisch Skalde, einen zeitgenössischen Fürsten, während die Heldensage an einem Modell der Vergangenheit ihre Motive gestaltete. Ein Preislied war stets Gegenwartsdichtung, setzte Kämpfe und Siege des Lebenden voraus. Was ohnehin alle wissen, lässt der Skalde in farbenprächtigen Bildern wieder aufleben, er gestaltet lyrisch, hymnisch oder episch den Stoff und begnügt sich mitunter mit impressionistischen Andeutungen. Anders die Heldensage! Hier werden größere, historische Stoffkomplexe, oft in umfangreichen Erzählungen verarbeitet.

Der Geschichtsschreiber Jordanes (um 550) berichtet, dass die Goten mit Gesängen und Liedern die Taten der Vorfahren feierten. Doch von gotischen Heldenliedern ist wenig Greifbares geblieben, wenngleich gotische Helden in der Sagendichtung auch der West- und Nordgermanen stets eine hervorragende Rolle spielen. Im 6. Jahrhundert war die Heldendichtung schon im Besitz aller Ost- und Westgermanen, auch der Sachsen und Schweden. Norwegen öffnete sich erst mit Beginn der Wikingerzeit (Ende des 8. Jahrhunderts) diesem Stilkreis. Ob Burgunder und Franken ihre für die spätere Dichtungsgeschichte so bedeutungsvollen Schöpfungen, z. B. den Nibelungen-Komplex, aus sich selbst oder angeregt durch die Goten schufen, bleibt ungewiss.

Geburtsstätte des heroischen Liedes und der Heldensage ist die germanische Königshalle gewesen. Man weiß: heroische Poesie übersteigert, mythisiert und scheut nicht die Phantastik. Heldensage ist stets auch Tendenzdichtung, und sie erwuchs nicht, wie die Romantiker meinten, aus nebelhafter, volkstümlicher Erinnerung an Geschichte. Nein, der Tatsachenstoff wurde verdichtet, vereinfacht, an Höfen gezielt zu persönlichen Fabeln umgestaltet. In unseren Heldensagen haben wir also nicht den Urstoff, vielmehr Schöpfungen der Phantasie von meist namenlosen Dichtern. Was herkömmlich Heldensage heißt, ist von jeher nur Heldendichtung gewesen. Die Geschichten von Siegfried, Hagen, Dietrich usw. sind keine zufällige, zu vernachlässigende Hülle. Es sind durch Hofsänger umgedichtete Stoffe.

Wir erkennen: Heldensagen, deutlicher noch Heldenlieder, zeichnen Schicksale einer Zentralgestalt, höchstens weniger Helden nach, es sind »Vorbilddichtungen«. Die Wünsche und Gedanken des Hofgefolges fanden in ihnen ihre Verklärung. Gestalten der Heldensage sind fast nie einfachste Mannen des Heerbanns, vielmehr stets eine kleine Auslese von Kämpen in unmittelbarer Umgebung des Fürsten oder die Könige selbst.

Wenn die Heldensage ein historisches Völkerschicksal spiegelt, hat sie das Allgemeine meist abgestreift, hat sie die Handlung auf wenige Kraft- und Idealgestalten, Machtträger, übertragen, hat sie Völkerschicksal in Persönliches umgewandelt. So wird aus dem Burgunden-Untergang im Hunnensturm die betrügerische Einladung, die die Nibelungen-Brüder von ihrem hunnischen Schwager Attila/Etzel erhalten (Sigurd und die Giukungen). Wanderzüge stellen sich dar als Exil aus persönlicher Missgunst (Hildebrand, Dietrich) usw. Historischer Völkerstoff wird oft zu einer persönlich-heroischen Fabel filtriert und auf einzelmenschliche Motive reduziert. Doch zwischen den Zeilen geht es fast immer um großes Geschehen: Heerfahrt, Herrschaftserrichtung oder -behauptung, Schatz, Hort, Besitz an Gold, Beutezüge, Großzügigkeit gegenüber Gefolgsmannen.

Prinzipielle Härte macht den »Helden« aus, und es ist verständlich, dass unter diesem Zwang Schicksalsglaube und Fatalismus aufkamen. Das Leben des »Helden« ist stets bedroht. Eine unendliche Kette von Gewalttaten, Überfällen, Zweikämpfen, Schlachten, resultierend aus Ehre, Rache und Vergeltung, erzeugt düstere Schicksalsergebenheit. »Hart ist der Nornen Spruch«, heißt es im Hunnenschlachtlied der Edda. Bejahung des unentrinnbaren Untergangs ist auch eine Grundtendenz des Nibelungenliedes, das uns in diesem Band auch in der nordischen Überlieferung, mit zahlreichen Varianten in Kapiteln wie Der Giukungen Ende, Gudruns Rache und Swanhild und ihre Brüder entgegentritt.

Die Tendenz zur Kompilierung wird sichtbar, wenn – wie dieser Band zeigt – in immer erneuerter Synthese einzelne Sagenelemente von meist unbekannten Dichtern zu ganzen Sagenkreisen zusammengefügt werden. So ist die Sage von Dietrich von Bern in unserem vorliegenden Band so umfangreich, dass sie weit mehr als 150 Seiten in Anspruch nähme, würde man allen Einzelheiten nachgehen. Auch hier liegt eine Bearbeitung speziell für diesen Band vor, denn die alte Thidrekssage in schwedischer Sprache ist noch weit umfassender. Interessant ist, dass der mittelalterliche Schreiber große Teile der Nibelungensage (vgl. den Abschnitt Dietrich von Bern und die Nibelungen) hier ohne Rücksicht auf chronologische Abfolge eingearbeitet hat. Auch das berühmte angelsächsische Beowulf-Epos, einziges vollständig erhaltenes altgermanisches Heldenlied (10. Jahrhundert), nimmt im vorliegenden Band beginnend mit dem Kapitel Von den Schildingen in gelungener Prosafassung einen gebührenden Platz ein. Das gilt auch für den Sagenkomplex Hettel und Hagen, den wir ebenfalls in guter Prosa lesen können. Die sich daran anschließende Sage über Kudrun gehört bekanntlich zum selben Sagenkreis, wie überhaupt zahlreiche Verbindungslinien zu einzelnen Sagenelementen führen. Es kann daher dem interessierten Leser helfen, wenn er die in diesem Band vorliegende Sagenreihenfolge einhält.

Alles in allem, dieser Band, zusammengestellt von Felix und Therese Dahn, ausgewiesenen Kennern des germanischen Altertums, enthält die wichtigsten und bekanntesten Götter- und Heldensagen unseres germanischen Kulturkreises. Sie basieren in vielerlei Hinsicht auf nordeuropäischer Überlieferung, aber auch auf festlandgermanischen Quellen. Hilfreich sind die Kommentare, die Felix Dahn an vielen Stellen in diesen vorliegenden Band eingefügt hat. So wird dem Leser auch klarer, wie unterschiedlich beispielsweise die Handlungsstränge des nordischen und des festlandgermanischen Nibelungen-Stoffes sein können, dass man die Heunen (Hunen) nicht mit den Hunnen gleichsetzen kann usw.

Möge diese umfangreiche Neuausgabe der Sagen – wie in den früheren Jahrzehnten – beim kultur- und sagengeschichtlich interessierten Lesepublikum erneut positive Aufnahme finden.

Berlin, im Mai 2004

Hans-Jürgen Hube

Erste Abteilung

Göttersagen

von Felix Dahn

»Gehör und Schweigen heisch’ ich von allen Menschenkindern im heiligen Frieden, von hohen und niederen Söhnen Heimdalls: Es wollte Walvater, dass ich wohl her zähle die alten Geschicke von Menschen und Göttern, deren ich von Anfang gedenke:«

VÖLUSPÁ, Strophe 1

(Übersetzt von Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde V. 1., Berlin 1883, S. 75)

 

 

Dem Angedenken
Jakob Grimms

Einleitung

Der Götterglaube der Germanen war ein Lichtkult, eine Verehrung der wohltätigen, dem Menschen segensreichen Mächte des Lichts, wie sie im Himmel, in der Sonne, den Gestirnen, dem Frühling oder Sommer gegenüber den schädlichen, unheimlichen Gewalten der Nacht, der Finsternis erschienen: auch Heiliges und Böses, Leben und Tod stellte sich ihnen als dieser Gegensatz von Licht und Finsternis dar.

Diese Religion war nicht ausschließlich den Germanen eigen, sondern ihnen gemein mit den übrigen Völkern der ARISCHEN (oder kaukasischen oder indo-europäischen) Rasse, zu welcher außer den Germanen noch die Inder, Perser, Armenier, die Kelten, Gräko-Italiker und Letto-Slawen zählten: auch Sprache, Sitte, Recht war ursprünglich diesen Ariern gemeinsam gewesen, als sie noch ungeteilt in West-asien als Gruppen EINES Volkes lebten: seitdem sie aber auseinander wanderten, traten auf allen diesen Gebieten unter den nun getrennten Völkern sehr erhebliche Abweichungen ein, auf welche Klima, Landesbeschaffenheit der neuen Wohnsitze, Berührungen mit andern Völkern großen Einfluss übten.

So ward z. B., wie Leben und Sitte, auch Recht und Religion der INDER völlig umgestaltet, nachdem dieses Volk von dem Indus hinweg in den erschlaffenden Himmelsstrich und die phantastische Natur des Ganges gewandert war.

Und so wurden denn ohne Zweifel auch die religiösen Vorstellungen der Germanen sehr erheblich beeinflusst durch die Eindrücke, welche sie bei der Wanderung aus Asien nach dem Nordosten von Europa durch die großartige, aber raue Natur der neuen Heimat empfingen. Ja, man darf annehmen, dass, wie der Volkscharakter, so auch die Religion der Nordgermanen oder Skandinavier (Dänen, Schweden, Norweger, später auch Isländer) durch die so starken Eindrücke der nordischen Natur und die hier notwendige oft einsame und meist kampfreiche Lebensweise ganz wesentlich anders gestaltet und gefärbt wurde als die Anschauungen der Südgermanen, der späteren DEUTSCHEN Völker, welche allmählich bis an und über Rhein und Donau nach Westen und Süden vordrangen und zwar auch das raue Leben eines Waldvolks, aber doch unter ungleich milderem Himmelsstrich führten. Schon deshalb und schon hier muss daher ausgesprochen werden, dass man keineswegs die ganze nordgermanische skandinavische Götterwelt ohne weiteres auch bei den Südgermanen, den Deutschen, unverändert wieder anzutreffen voraussetzen darf. Die Grundanschauungen, ja auch die wichtigsten Götter und Göttinnen finden sich freilich, wie die Sprachvergleichung beweist, bei Nord- und Süd-Germanen übereinstimmend, wie ja vermöge der ursprünglichen arischen Gemeinschaft solche Übereinstimmung nicht nur unter den germanischen Völkern, sondern sogar unter Germanen, Griechen, Römern usw. besteht.

So kehrt die Dreiheit der obersten Götter bei Griechen, Italikern, Germanen wieder:

image

Gleichwohl fehlt es auch hierbei nicht an Abweichungen; so führt bei Griechen und Italikern der oberste Gott den Blitzstrahl, den Donnerkeil, während bei Germanen und andern Ariern neben dem Götterkönig ein besonderer Gott des Gewitters steht, der dann wieder manche Züge mit Herakles-Herkules gemein hat, während der Feuergott Loki (Loge) sich mit Hephaistos-Vulkan berührt.

Was nun die QUELLEN unsrer Kenntnis von dem Götterglauben unsrer Ahnen betrifft, so sind sie leider sehr dürftig, dazu sehr ungleichartig, großenteils späten Alters der AUFZEICHNUNG (wenn auch nicht der ENTSTEHUNG) und getrübt durch fremde Zusätze.

SCHRIFTLICHE MITTEILUNGEN über den Glauben, von den HEIDEN SELBST verfasst, hat es nie gegeben: denn die Germanen haben das Schreiben in unserm Sinn erst spät von Römern und Griechen gelernt: die heiligen »RUNEN«, welche übrigens die Wissenschaft unsrer Tage als aus dem lateinischen Alphabet entlehnt oder ihm nachgebildet dargewiesen hat, dienten nicht zum Schreiben nach unsrer Weise, sondern für heilige Handlungen, für Losung, Befragung des Götterwillens, Zauber. – Unsre Kenntnis der GRIECHISCHEN und RÖMISCHEN Götterwelt wird in höchst anschaulicher, lebendiger Wirkung ergänzt und bereichert durch die zahlreichen DENKMÄLER DER BILDENDEN KUNST UND DES KUNSTHANDWERKS, welche in Marmor, Erz, in Wandgemälden, auf Vasen, auf allerlei Gerät Bilder aus den Mythen oder Kulthandlungen darstellen: gar mancher dunkle zweiflige Satz der Schriftsteller ist durch solche Darstellungen erklärt oder auch berichtigt worden. Solcher Denkmäler entraten wir, mit verschwindend geringfügigen Ausnahmen, für die germanische Religion völlig.

Der Kulturgrad war viel rauer, einfacher als der der Hellenen und Italiker zu der Zeit, aus welcher auch die ältesten der antiken Bildwerke stammen: Sinn und Talent unsres Volks für bildende Kunst und Kunsthandwerk sind – und WAREN noch mehr bei der Armut der Lebensverhältnisse und unter dem rauen Himmelsstrich des Nord-Lands – erheblich geringer, als bei Griechen und Italikern. So gab es nur sehr wenige Tempel: nur bei Nordgermanen sind sie für späte Zeit häufiger bezeugt: – an ihrer stelle galten heilige Haine, mit Schauern der Ehrfurcht erfüllende Wälder als Wohnstätten der Himmlischen: – zwar fehlte es nicht ganz an heiligen Baumsäulen (Irmin-Sul s. unten), an Altären, an Opfergerät (wie großen ehernen Kesseln): auch Götterbilder werden manchmal erwähnt: aber, von jeher selten, wurden sie von den christlichen Priestern bei ihrer ersten Bekehrungsarbeit oder später, nach durchgeführter Christianisierung, gemäß Beschlüssen der Konzilien und Verordnungen der Bischöfe, planmäßig zerstört.

Nun sind uns allerdings SCHRIFTLICHE AUFZEICHNUNGEN von Götter- und Heldensagen erhalten, welche, in Ermangelung besserer Quellen, unschätzbaren Wert für uns tragen: die ÄLTERE und die JÜNGERE EDDA und andre SAGENSAMMLUNGEN in Skandinavien.1

Allein diese stellen lediglich die NORDgermanische Überlieferung dar: und wir sahen bereits, dass man diese durchaus nicht ohne weiteres auf die »SÜDgermanen«, die späteren Deutschen, übertragen darf.

Dazu kommt nun aber, dass die AUFZEICHNUNG der alten Sagen erst in sehr später Zeit geschah, von Männern, welche Christen waren, nachdem das Christentum samt seiner Vorstufe, dem Alten Testament, nachdem auch die klassische Kultur, die GRIECHISCH-RÖMISCHE, so weit sie erhalten war, durch Vermittlung der bekehrenden Kirche in den Norden eingedrungen war.

Es kann daher in sehr vielen Fällen zweifelhaft werden, ob der an sich freilich uralte INHALT, der STOFF der Sage, bei der späten AUFZEICHNUNG durch christliche Geistliche2 nicht in der FORM, in der FÄRBUNG christliche Einwirkung erfahren habe, wie z. B. Saxo Grammatikus (gestorben 1204) aus den Göttern menschliche Helden, aus Asgard Byzanz gemacht hat.

Wir würden daher ratlos der trümmerhaften Überlieferung einzelner, in Ermangelung des Zusammenhangs unverständlicher Bruchstücke der germanischen Götterwelt gegenüberstehen, böten nicht die SAGE, dann der ABERGLAUBE und allerlei SITTEN und GEBRÄUCHE, welche sehr oft als ein Niederschlag alter Göttergestalten und gottesdienstlicher Handlungen seit grauester Vorzeit bis heute in unserm Volke fortleben, hochwillkommene Erklärung und Ergänzung in geradezu staunenerregender Fülle.

Und es ist das unsterbliche Verdienst eines großen deutschen Gelehrten, der aber zugleich die poetische Anschauung und die mitfühlende Ahnung einer echten Dichter-Natur in sich trug, es ist die Tat JAKOB GRIMMS3, die reichen Schätze uralter Überlieferung, welche in jenen Sagen und Sitten ruhten, mit der Hand des Meisters empor ans Licht gehoben und von den Spinnweben des Mittelalters gesäubert zu haben.

Denn die christlichen Priester hatten, teils unbewusst, teils in guter Absicht, an den im Volke noch fortlebenden Überlieferungen viele durchgreifende Veränderungen vorgenommen.

Diese Priester bestritten ja durchaus nicht das Dasein der heidnischen Götter und Göttinnen: nur sollten diese nicht, wie die Germanen sie aufgefasst, schöne, gute, wohltätige, den Menschen freundliche Schutzmächte sein, sondern hässliche Teufel, Dämonen, verderbliche Unholde, welche den Menschen auf Erden zu schaden oder sie in ihren Dienst zu locken suchen und sie dann im Jenseits, in der Hölle peinigen.

Anderseits hat aber die Kirche auch in kluger Anpassung altheidnische Feste und Gebräuche mit christlichen zusammengelegt, z. B. das Julfest, die Wintersonnenwend-Feier mit Weihnachten, das Fest des Einzugs der Frühlingsgöttin, Ostara, mit Ostern, die Sommersonnenwende mit dem Fest Johannes des Täufers: und endlich sind vom Volkes viele Geschichten und Züge der Götter auf christliche Heilige übertragen worden.

JAKOB GRIMM hat nun mit ebenso tiefer Gelehrsamkeit wie poetischer Ahnung aus den kirchlichen Legenden die Götter und Göttinnen Walhalls wieder herausgewickelt: er hat in den Heiligenlegenden Übertragungen von Göttergestalten aufgefunden (so waren z. B. Wotan zu Sankt Martin, Freyr zu Sank Leonhard, Baldur zu Sankt Georg, Frigg und Freya zur Madonna geworden): er hat endlich in zahllosen Spielen, Aufzügen, Festen, Gebräuchen und abergläubischen Vorstellungen des Volks, in Sage, Märchen, Schwank die Spuren der bald gewaltig schreitenden, bald leise schwebenden Germanengötter dargewiesen.

Und so hat er denn unsre ehrwürdigen Götter, welche anderthalb Jahrtausende vergessen und versunken unter dem Schutte gelegen, wieder herausgegraben und aufgestellt in leuchtender Herrlichkeit.

Denn das Gewaltigste und das Zarteste, das Heldenhafteste und das Sinnigste, ihren tragischen Ernst und ihren kindlich heitern Scherz, die Tiefe ihrer Auffassung von Welt und Schicksal, von Treue und Ehre, von freudigem Opfermut für Volk und Vaterland, ihr ganzes so feines und inniges Naturgefühl haben unsre Ahnen in ihre Götter und Göttinnen, Elben, Zwerge, Riesen hineingelegt: weil ja auch die Germanen ihre Götter und Göttinnen nach dem eignen Bilde geschaffen haben: wie Zeus, Hera, Apollo, Athena hellenische Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, nur ins Große gemalt, idealisiert, eben vergöttlicht sind, so erblicken wir in Odin und Frigg, in Baldur und Freya nur die Ideale unsrer Ahnen von Weisheit, Heldentum, Treue, Reinheit, Schönheit und Liebe.

Und dies ist die hohe, ehrfurchtwürdige Bedeutung, welche dieser Götterwelt auch für uns verblieben ist: diese Götterlehre ist das Spiegelbild der Herrlichkeit unsres eignen Volks, wie dies Volk sich darstellte in seiner einfachen, rauen, aber kraftvollen, reinen Eigenart: in diesem Sinn ist die germanische Götter- und Heldensage ein unschätzbarer Hort, ein unversiegender »Jungbrunnen« unsres Volkstums: das heißt, wer in rechter Gesinnung darein niedertaucht, der wird die Seele verjüngt und gekräftigt daraus emporheben; denn es bleibt dabei: das höchste Gut des Deutschen auf Erden ist: – SEIN DEUTSCHES VOLK SELBST.

image

Erstes Buch

Allgemeiner Teil

image

 

I.
Die Grundanschauungen: Entstehung der Welt, der Götter und der übrigen Wesen

Die Germanen dachten sich die Welt NICHT als von den Göttern oder von einem obersten Gott GESCHAFFEN, sondern als GEWORDEN: und in ihr, mit ihr auch die Götter als geworden.

Als wenig stellten sie sich nur vor den unendlichen Raum, den »gähnenden Abgrund«. »Nicht Sand noch See, noch kühle Wogen, nicht Erde fand sich noch Himmel oben, (nur) ein Schlund der Klüfte, aber Gras nirgends.«

Allmählich bildete sich am Nordende dieses ungeheuren leeren Raumes ein dunkles, kaltes Gebiet: NIFLHEIM (Nebelheim) genannt, am Südende ein heißes und helles Gebiet: MUSPELHEIM, die Flammenwelt. Mitten in Niflheim lag ein Brunnen, HWERGELMIR, der rauschende Kessel. Aus diesem ergossen sich zwölf Ströme, die »ELIWAGAR«, und füllten den leeren Raum: sie erstarrten im Norden zu Eis; aber der Süden ward mild durch die Funken, die von Muspelheim herüberflogen: nach der Mischung von geschmolzenem Reif und von Glut entstand aus den Dunst-Tropfen eine Gestalt menschenähnlicher Bildung: das war YMIR (Brauser) oder ÖRGELMIR, »der brausende Lehm«, der gärende Urstoff, der noch unausgeschieden, ineinander vermischt liegenden und durcheinander wogenden Elemente. Aus Frost und Hitze entstand also der erste Organismus: er war ein »REIF-RIESE« (HRIMTHURS) und aller späteren Reifriesen Vater.

Im Schlafe wuchsen dem Riesen unter dem Arme Sohn und Tochter hervor – eine Vorstellung, welche sich in den Sagen vieler Völker findet –, von denen dann alle andern Reifriesen abstammen.

Neben dem Riesen Ymir war auch eine Kuh entstanden, AUDUMBLA (d. h. die Schatz-feuchte, Reich-saftige?): aus ihrem Euter flossen vier Milchströme: aus salzigen Eisblöcken leckte diese einen Mann hervor, BURI (der Zeugende), schön, groß und stark: sein Sohn – die Mutter wird nicht genannt – hieß BÖR (der Geborene): dieser nahm BESTLA, die Tochter eines Riesen BÖLTHORN (Unheilsdorn), zur Frau. Dieses Paares drei Söhne hießen ODIN, WILI und WÊ, die drei obersten Götter. So stammen also die Götter selbst aus der Mutterseite von den Riesen ab: eine Erinnerung daran, dass die Riesen ursprünglich nicht als böse galten, sondern selbst Götter waren, nur eben Götter einer roheren, einfacheren Zeit, einer früheren Kulturstufe, bloß Naturgewalten, welchen die Vergeistigung der SPÄTEREN Götter, der ASEN, fehlt: ähnlich wie bei den Griechen die Titanen der olympischen Götterwelt vorhergehen. Aber auch die Asen entbehren einer Naturgrundlage nicht (Odin hat zur Naturgrundlage die Luft, Thôr das Donnergewitter): das drückt ihre Abstammung von einer riesischen Mutter aus. Wili und Wê (Wille? und Weihe?) verschwinden bald wieder: sie sind nur als gewisse Seiten von Odin selbst zu denken.

Börs Söhne erschlugen Ymir: vergeistigte höhere Götter können die bloße Naturgewalt nicht in Herrschaft und Leben lassen. In dem unermesslichen Blut, das aus seinen Wunden strömte, ertranken alle Reifriesen bis auf ein Paar, das sich in einem Boote rettete: von diesem Paar, BERGELMIR und seinem Weibe, stammt dann das jüngere Geschlecht der Reifriesen ab.

Dies ist also die germanische Fassung der bei sehr vielen Völkern (z. B. den Griechen) begegnenden Sage von einer »ungeheuren Flut«, welche alles Leben auf Erden bis auf ein Paar oder eine Familie verschlang: diese Flut heißt die SINTFLUT, d. h. die allgemeine, große Flut; erst aus Missverständnis hat man später daraus eine »Sündflut«, d. h. eine zur Strafe der Sünden verhängte Flut, gemacht.

Die Götter warfen nun den ungeheuren Leib des toten Riesen mitten in den leeren Raum und bildeten aus den Bestandteilen desselben die Welt: aus dem Blut alles Gewässer, aus dem Fleisch die Erde, aus den Knochen die Berge, aus den Zähnen Fels und Stein, aus dem Gehirn, das sie in die Luft schleuderten, die Wolken: aus seinem Schädel aber wölbten sie das allumfassende Dach des Himmels. An dessen vier Ecken setzten sie die vier Winde: AUSTRI, WESTRI, NORDRI, SUDRI: es waren dies ZWERGE (über deren Entstehung s. unten).

Die Feuerfunken aus Muspelheim aber setzten sie als Gestirne an den Himmel, dort oben und auf Erden zu leuchten, und stellten für jeden Stern seinen Ort und seine Bahn fest, danach die Zeit zu berechnen. Das Meer legten sie kreisrund um die Erde (wie den Griechen der Okeanos die Erde gleich einem Gürtel umzog); die Riesen nahmen Wohnung an den Küsten: für die Menschen aber erhöhten die Asen die Erde, stützten sie auf die Augenbrauenbogen Ymirs, sie gegen Meer und Riesen zu schützen: MIDGARD, althochdeutsch Mittila-gart, die »Mittelburg« hieß sie daher. Auch diese Sage, dass die Welt aus den Bestandteilen eines Riesenleibes gebildet wird, wie dass umgekehrt bei Erschaffung des Menschen alle Bestandteile der Erde verwendet werden, begegnet bei vielen Völkern, teils urgemeinsam, teils entlehnt, teils ohne jeden Zusammenhang gleichmäßig entstanden.

Unter den Gestirnen leuchten Sonne und Mond hervor: sie entstanden folgendermaßen. Ein Mann hatte zwei strahlend schöne Kinder, einen Sohn MANI und eine Tochter SOL, dieses Mädchen vermählte er mit GLANR (Glanz); aber die Götter straften den Übermut der allzu stolz Gewordenen und versetzten die Geschwister an den Himmel: Sol muss fortab den Sonnenwagen führen, der aus Muspels Funken geschaffen ward: zwei Hengste, ARWAKR und ALSWIDR (Frühwach und Allgeschwind), ziehen ihn: ein Schild SWALIN (der Kühle) ist vorn angebracht, auf dass die Glut nicht das Meer austrockne und die Berge verbrenne.

Die Vertiefungen und Schatten, welche man im Monde wahrnimmt, haben die Einbildungskraft der Völker oft beschäftigt: man mühte sich, Gestalten darin zu erblicken: die Nordleute fanden darin die Gestalten von zwei Kindern, welche samt dem Eimer, den sie an der Eimerstange vom Brunnen hinwegtrugen, in den Mond versetzt wurden; in der späteren deutschen Sage erblickte man darin die Gestalt eines Waldfrevlers, der zur Strafe samt seinem Reisholzbündel (mit seinem Hund) in den Mond versetzt ward (der so genannte »Mann im Mond«), oder ein Mädchen, das im heiligen Mondlicht oder am Feiertag gesponnen. Da Sonne und Mond, dem gemein-arischen Lichtkult gemäß, den Menschen und allen guten Wesen wohltätige Mächte sind, werden sie von den Riesen, den Feinden der Götter und der Menschen, verfolgt. Zwei Wölfe riesischer Abstammung, SKÖLL und HATI, Stößer und Hasser, jagen unablässig die vor ihnen fliehenden beiden Gestirne: manchmal holen die Verfolger dieselben ein und fassen sie an einer Seite, sie zu verschlingen: das sind die Sonnen- und Mondfinsternisse; viele Völker teilen diese Vorstellung und erheben daher, wenn die unheimliche Verdüsterung eintritt, Lärm, die Unholde zu erschrecken, dass sie die Ergriffenen wieder fahren lassen. Das gelingt denn auch: aber dereinst, bei dem Untergang der Welt, bei der Götterdämmerung, wird es nicht mehr gelingen: alsdann werden die beiden Wölfe Sonne und Mond verschlingen (s. unten).

Jedoch nicht nur jene beiden Gestirne, auch Tag und Nacht wurden personifiziert: die Nacht, Tochter NÖRWIS, eines Riesen und Sohnes von Loki (s. unten), ist als Riesentochter und als Nichte der Göttin der Unterwelt, HEL, einer Tochter Lokis, schwarz wie Hel selbst: aber vermählt mit dem von

image

den Göttern stammenden DELLINGR ward sie die Mutter des TAGES (DAG), der hell ist wie seine asischen Ahnen. Aus einer früheren Ehe mit ANAR (= Odin?) hatte die Nacht eine Tochter JÖRD, die Erde. Odin gab der Nacht und dem Tag je einen Wagen, je mit einem Rosse bespannt, HRIMFAXI (Reifmähnig) der Nacht, SKINFAXI (Glanzmähnig) dem Tag, auf welchen sie die Erde umfahren: morgens fällt aus dem Gebiss von Hrimfaxi Schaum: das ist der Reif; aus Skinfaxis Mähne aber strahlt Licht, Luft und Erde erleuchtend.

Der SOMMER (ein asisches oder licht-elbisches Wesen?, sein Vater, SVÂSUDR [lieblich], hat ALLEM Lieblichen den Namen gegeben) hat zum Feind den WINTERRIESEN, den Sohn des »WINDBRINGERS« oder »WINDKALTEN«. Der Wind, d. h. der schädliche Nordwind, der zerstörende Sturmwind, ist selbstverständlich ebenfalls ein Riese: HRÄSWELGR, »Leichenschlinger«; er sitzt am Nordende des Himmels in Adlergestalt: hebt er die Schwingen zum Flug, so entsteht der (Nord-)Wind; vielleicht ist er selbst als der Vater des Winters zu denken.

Das lebhafte Naturgefühl des Waldvolks, welches ja bei den noch wenig behaglichen Wohnräumen, bei der noch sehr einfachen Kultur überhaupt unter dem im Norden so lange währenden und so strengen Winter viel stärker als wir heute Lebenden zu leiden hatte, sehnte mit einer Ungeduld die Wiederkehr des Sommers, d. h. des Frühlings, der warmen, milden Jahreszeit herbei, feierte mit so allgemeiner, tiefer, allerfüllender Freude den Sieg des Sommers über seinen dunkeln und kalten Feind, dass dieses Gefühl noch spät im Mittelalter den Grundton sehr vieler Volkslieder, Dichtungen, Spiele abgibt. In Ermangelung eines Kalenders bestimmte der Volksglaube gewisse Zeichen, die erste Schwalbe, den ersten Storch, das erste Veilchen, das Schmelzen des Baches als Frühlingsanfang, als Botschaft und Beweis, dass die lichten Götter, welche während der Herrschaft der Nacht auf Erden von dieser gewichen waren, dass zumal der Frühlings- oder Sonnengott wieder zurückgekehrt sei.

Nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen eilten dann in feierlichem Aufzug in das Freie, den rückkehrenden Sonnengott, der wohl auch mit dem Lichtgott BALDUR (s. unten), oder mit der Frühlingsgöttin OSTARA (s. unten) verwechselt wurde, einzuholen, zu empfangen, und heute noch wird in vielen Gauen Deutschlands in dramatischen Kämpfen zwischen dem lichten Sommer und dem Winter in Drachengestalt der Sieg des Gottes über den Riesen gefeiert (s. unten Freyr: Drachenstich zu Furth im Bayerischen Walde).

Die Schöpfung der MENSCHEN wird, wie in den meisten Religionen, auf die Götter zurückgeführt. Die drei Söhne Börs (nach andrer Fassung Odin, Hönir, Loki: die Götter von Luft, Meer, Feuer) fanden, an der Meeresküste hinschreitend, zwei Bäume4, ASKR und EMBLA, Esche und Ulme (oder Erle?), aus welchen sie Mann und Weib bildeten. Von diesen stammen die Menschen, welchen »Midgard« von den Göttern zur Wohnung gegeben ward. Dass die ersten Menschen auf oder aus Bäumen gewachsen, ist eine auch bei andern Völkern weit verbreitete Sage. Schon vorher hatten die Asen die ZWERGE geschaffen oder ihnen doch, nachdem sie in Ymirs Fleisch wie Maden entstanden waren, menschenähnliches Aussehen und Denken gegeben.

II.
Die Welten und die Himmelshallen

Es ist ein vergebliches Bemühen, vereinbaren zu wollen die widerstreitenden Überlieferungen von dem Aufbau der verschiedenen Welten, von dem »Systeme« der wie Stockwerke eines Hauses übereinander erhöhten »Reiche«: diese Anschauungen bildeten eben ein »System« nicht: sie wechselten nach Zeiten und Stämmen und nach Darstellungen einzelner Sagenüberlieferer: nur das Wesentliche steht fest, und nur das Feststehende teilen wir hier mit.

Eine Grundanschauung nicht nur der Nordgermanen, auch der späteren »deutschen« Stämme war es, sich das ganze Universum als einen großen Baum, als eine ungeheure ESCHE vorzustellen: »YGGDRASIL« heißt sie nordisch: d. h. doch wohl: »Träger (drasil) des Schreckens, des Furchtbaren (Yggr): dies ist einer der vielen Namen des obersten Gottes Odin, der sich nicht nur selbst eine »Frucht des Weltbaums« nennt, der auch als hoch auf dem Wipfel dieses kosmischen Baums thronend gedacht werden mag.

Die Zweige der Esche breiten sich über das All, sie reichen in die Himmel empor: ja, seine über Walhall emporragenden Wipfel werden auch ein BESONDERER Baum mit eignem Namen LÄRAD (Stille spendend) bezeichnet.

Die drei Wurzeln reichen zu dem URDAR-Brunnen bei den NORNEN, zu den REIFRIESEN und MIMIRS-Brunnen und nach NIFLHEIM zu HEL und dem Brunnen HWERGELMIR herab.

Die tiefernste, ja tragische (aber durchaus nicht »pessimistische«: denn dies ist keineswegs gleichbedeutend) Grundanschauung der Germanen, welche wir alsbald als bezeichnend für ihre Mythologie kennen lernen werden und welche in der Ahnung von der Götterdämmerung nur ihren großartigen und abschließenden, keineswegs aber ihren einzigen Ausdruck findet, spricht sich nun auch aus in den vielen Gefahren und Nachstellungen, welche den »Weltbaum«, d. h. alles Leben, unablässig bedrohen.

Zwar besprengen die NORNEN (die Schicksalsgöttinnen, s. unten) täglich die Esche mit dem heiligen Wasser aus dem Brunnen URDS, der Norne der Vergangenheit, um sie vor Welken und Fäulnis zu bewahren. Aber diese treue Mühung der Pflege kann das unvermeidliche, von fern her drohende Verderben nur hinauszögern, nicht es abwenden: ganz ähnlich, wie die Kämpfe der Götter gegen die Riesen, obzwar siegreich, den endlichen Untergang der Asen und aller Wesen nur hinausschieben, nicht verhindern mögen.

Alles Lebende ist vergänglich, ist unrettbar dem Tode verfallen: deshalb wird gesagt, eine Seite des Weltbaums ist bereits angefault. Und überall sind feindliche Wesen tätig, an ihm zu zehren: an seiner einen Wurzel in Hel nagen der Drachenwurm NID-HÖGGR (der mit Ingrimm Hauende), der sich von Leichen nährt, und viele Schlangen; vier Hirsche, deren Namen auf die Vergänglichkeit sich beziehen, beißen die Knospen der Zweige ab; ein Adler horstet im Wipfel, ein Eichhorn, RATA-TWISKR (»Huscher an den Zweigen«), huscht geschäftig hin und her, des Adlers Worte zu dem Drachen niedertragend. Dagegen soll es wohl nicht Bedrohung des Weltbaums bedeuten, sondern nur dessen allernährende Fruchtbarkeit, dass an den Zweigen ein andrer Hirsch äset, aus dessen Geweih Tropfen fließen, welche die Ströme der Unterwelt bilden: zumal aber, dass die Ziege HEID-RUN sich davon nährt, deren Milch die Walhallgenossen, die EINHERIAR Odins, ernährt: diese Ziege erhält den Walhallhelden ihre Eigenart, ihre »Heid« (ein altes Hauptwort, das in Schön-heit, Rein-heit, Krank-heit usw. noch forttönt)5.

Die Vorstellung des Weltbaums, der großen, allgemeinen, alles tragenden Säule war auch bei Südgermanen tief eingewurzelt: die IRMIN-SUL der Sachsen hängt damit zusammen.

Wie nun auf den Stamm des Weltbaums die Mehrzahl von Welten sich verteilt, welche als Gebiete verschiedener Wesen angeführt werden, das ist ohne Widerspruch nicht zu entscheiden: vielleicht sah diese Reihe von Vorstellungen von dem Bilde des Baums völlig ab. Zutiefst unter der Erde liegen NIFLHEL (auch HEL), ganz der Sonne fern, wo die Ruchlosen ihre Strafe leiden, eine Steigerung von NIFLHEIM; in der Mitte über diesem SVART-ALFAHEIM: erstere beiden sind die germanischen, nicht heißen und nicht hellen, sondern kalten und finsteren »Höllen«, d. h. Straforte für Seelen von Verbrechern oder doch freudloser Aufenthalt für Seelen von Weibern und von Männern, welche nicht den freudigen und ruhmvollen Schlachtentod gestorben und so nicht als Einheriar zu Odin nach Walhall aufgefahren, sondern an Krankheit auf dem Siechbett den »Strohtod« gestorben und zu Hel, der hehlenden, bergenden Todesgöttin der Unterwelt (s. unten), hinabgesunken waren. »Svart-alfaheim« ist die Heimat der DUNKEL-ELBEN, zu welchen die ZWERGE zählen, die in Bergen und Höhlen, im Schoße der Erde wohnen. An den äußersten Rändern der Erde, welche gegen das kreisartig erd-umgürtende Meer abfallen – man mag sich dies vorstellen wie einen umgestürzten Teller –, hausen die Riesen in JÖTUNHEIM: oberhalb desselben in »MIDGARD«, in »MANHEIM«, auf der erhöhten Mitte der Erde, wohnen die Menschen. Oberhalb der Erde im lichten Äther schweben die LICHT-ELBEN in LJOS-ALFAHEIM, endlich oberhalb dieser thronen die Götter, die ASEN, in AS-GARD; zweifelhaft bleibt die Lage von MUSPELHEIM, der heißen Welt der Feuerriesen (nur dass sie im SÜDEN der Welt zu suchen, steht fest: doch wohl als der Südteil von Jötunheim), und von WANA-HEIM (s. unten).

In Asgard selbst werden nun ZWÖLF BURGEN oder HALLENKALDEN