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Marc Aurel

Selbstbetrachtungen

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Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011
 
Der Text wurde behutsam revidiert nach der Ausgabe Marc Aurel’s Meditationen.
Aus dem Griechischen von G.F. Schneider, Breslau 1887
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin
Korrekturen: Ortrun Cramer, Wiesbaden
eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz
Gesetzt in der Palatino Ind Uni – untersteht der GPL v2
 
ISBN: 978-3-8438-0013-6
 
www.marixverlag.de

Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Erstes Buch

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Zweites Buch

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Drittes Buch

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Viertes Buch

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Fünftes Buch

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Sechstes Buch

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Siebentes Buch

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Achtes Buch

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Neuntes Buch

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Zehntes Buch

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Elftes Buch

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Zwölftes Buch

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Kontakt zum Verlag

Erstes Buch

1.

Von meinem Großvater Verus habe ich gelernt, leutselig und sanftmütig zu sein.

2.

Vom ruhmvollen Andenken meines Vaters erhielt ich den Antrieb zu einem bescheidenen und zugleich männlichen Wesen.

3.

Meine Mutter flößte mir den Sinn ein für Frömmigkeit, Freigiebigkeit und Enthaltsamkeit nicht nur von bösen Taten, sondern auch von bösen Gedanken, überdies Liebe zu einer einfachen und mäßigen, von der Üppigkeit der Reichen abweichenden Lebensweise.

4.

Meinem Urgroßvater habe ich es zu verdanken, dass ich keine öffentliche Schule zu besuchen brauchte, vielmehr zu Hause den Unterricht guter Lehrer genießen durfte und daneben einsehen lernte, dass man in solchen Dingen keine Ausgaben sparen soll.

5.

Mein Erzieher ermahnte mich, weder für die Grünen noch für die Blauen im Zirkus Partei zu nehmen und ebensowenig für die Rundschilde, als für die Langschilde unter den Gladiatoren, dagegen an Ausdauer in Anstrengungen, Zufriedenheit mit Wenigem und an Selbsttätigkeit mich zu gewöhnen, mich nicht in fremde Angelegenheiten zu mischen und gegen Verleumdungen mein Ohr zu verschließen.

6.

Diognetus warnte mich vor dem Trachten nach eitlen Dingen und dem Glauben an das Gerede der Gaukler und Schwarzkünstler von Verschwörungen, Geisterbann und dergleichen Dingen, vor der Wachtelpflege und ähnlichen Liebhabereien und lehrte mich, Freimütigkeit zu ertragen und mit der Philosophie mich zu befreunden. Auf seinen Rat hörte ich den Bacchius, hierauf den Tandasis und Marcianus, verfasste als Knabe Dialoge und verlangte für mich bloß ein Feldbett und eine Tierhaut zum Nachtlager und was sonst noch zur Lebensweise griechischer Philosophen gehört.

7.

Von Rusticus stammt bei mir die Überzeugung, ich müsse an meiner Besserung und Charakterbildung arbeiten, dagegen den Ehrgeiz leidenschaftlicher Sophisten vermeiden, dürfe auch nicht leere Theorien abhandeln, noch mit der Miene eines Sittenpredigers Reden vortragen, noch in augenfälliger Weise den Büßer oder Menschenfreund spielen. Desgleichen sollte ich mich von rhetorischem und poetischem Wortgepränge und sonstiger Schönrednerei fernhalten, auch zu Hause nicht im Staatskleid einherschreiten, noch anderes derart treiben. Von ihm lernte ich auch einfache, kunstlose Briefe schreiben, wie er selbst einen von Sinuessa aus an meine Mutter schrieb, meinen Widersachern und Beleidigern bereitwillig und versöhnlich entgegenkommen, sobald sie selbst geneigt wären, wieder einzulenken, Schriften aufmerksam lesen, mich nie mit oberflächlicher Betrachtung zufrieden geben und Schwätzern nicht vorschnell beipflichten. Er hat mich auch mit Epiktets Abhandlungen bekannt gemacht, die er mir aus seiner Hausbibliothek weitergab.

8.

Von Apollonius habe ich die freie Denkart, die ohne Wanken doch bedachtsam ist und nicht im mindesten etwas anderes als die Vernunft sich zum Leitstern wählt, sowie den steten Gleichmut unter den heftigsten Schmerzen, beim Verlust eines Kindes, in langwierigen Krankheiten. Er war mir ein lebendiges Beispiel, wie man zugleich in hohem Grade eifrig und doch nachsichtig sein könne. Ich sah in ihm einen Mann, der bei seinem Unterricht sich nichts verdrießen ließ, und der dabei auf seine Geschicklichkeit und Gewandtheit im Lehrvortrag durchaus nicht eingebildet war. Er zeigte mir endlich auch, wie man sogenannte Gefälligkeiten von Freunden aufzunehmen habe, ohne dadurch in Abhängigkeit von ihnen zu geraten, aber auch ohne gefühllos darüber hinwegzugehen.

9.

Von Sextus lernte ich wohlwollend sein, an seinem Beispiel, meinem Hause als Vater wohl vorstehen; ihm verdanke ich den Vorsatz, der Natur gemäß zu leben, eine ungekünstelte Würde des Benehmens und das Bemühen, die Wünsche der Freunde zu erraten, die Geduld gegen Unwissende und gegen Leute, welche an bloßen Vorurteilen kleben, endlich die Kunst, mich in alle Menschen zu schicken. Daher lag im Umgang mit ihm selbst mehr entgegenkommende Freundlichkeit als in aller Schmeichelei, und doch stand er zu gleicher Zeit bei denselben Menschen in größter Achtung. Er befähigte mich, die zur Lebensweisheit erforderlichen Grundsätze auf eine überzeugende und regelrechte Art aufzufinden und zu ordnen, nie dem Zorn oder einer anderen Leidenschaft Raum zu geben, aber zugleich mit dieser völligen Leidenschaftslosigkeit die Regungen der zärtlichsten Liebe zu verbinden und mich eines guten Rufes, jedoch ohne viel Aufhebens, und eines reichen Wissens, aber ohne Prahlerei, zu befleißigen.

10.

Von Alexander, dem Grammatiker, lernte ich, mich des Tadels und verletzender Vorwürfe gegen Leute, welche einen fremdartigen und sprachwidrigen oder übelklingenden Ausdruck vorbrachten, zu enthalten, vielmehr durch die Wendung der Antwort oder der zustimmenden Bestätigung oder der gemeinschaftlichen Untersuchung über die Sache selbst, nicht über den Ausdruck, oder sonst durch eine derartige passende, beiläufige Erinnerung es ihnen nahe zu legen, wie sie sich hätten ausdrücken sollen.

11.

Phronto verhalf mir zur Einsicht, dass Missgunst, Verschlagenheit und Heuchelei die Folgen der Willkürherrschaft seien und dass im allgemeinen diejenigen, welche bei uns Adlige heißen, weniger Menschenliebe besitzen als andere.

12.

Alexander, der Platoniker, gab mir die Anweisung, nicht oft und nie ohne Not mündlich oder schriftlich jemand zu erklären, dass ich für ihn keine Zeit habe, und nicht auf solche Weise unter dem Vorwand dringender Geschäfte die Erfüllung der Pflichten beständig zurückzuweisen, welche die Verhältnisse zu unseren Mitmenschen uns auferlegen.

13.

Catulus ermahnte mich, Klagen eines Freundes, auch wenn er solche ohne Grund vorbringe, nie geringschätzig aufzunehmen, sondern vielmehr zu versuchen, sein altes Vertrauen zu gewinnen; desgleichen, wie das auch von Domitius und Athenodotus gerühmt wird, von meinen Lehrern mit Wärme Gutes zu reden und meine Kinder wahrhaft zu lieben.

14.

Mein Bruder Severus war mir ein Vorbild in der Liebe zu meinen Angehörigen sowie der Wahrheit und des Rechtes. Durch ihn wurde ich bekannt mit Thraseas, Helvidius, Cato, Dion und Brutus und gewann eine Vorstellung von einem Staat, der nach gleichen Gesetzen und nach dem Grundsatz der Bürger- und Rechtsgleichheit verwaltet, und von einem Reich, wo die Freiheit der Bürger höher denn alles geachtet wird. Von ihm wurde ich ferner angeleitet, in standhafter Achtung der Philosophie zu beharren, wohltätig und freigiebig zu sein, von meinen Freunden das Beste zu hoffen und auf ihre Liebe zu vertrauen, auch etwaige Missbilligung ohne Rückhalt gegen sie auszusprechen und ihnen offenherzig kund zu tun, was ich von ihnen erwarte und was nicht, ohne sie dies erst lange erraten zu lassen.

15.

Maximus überzeugte mich von der Pflicht der Menschen, sich selbst zu beherrschen, sich durch nichts vom rechten Wege abbringen zu lassen, unter allen Umständen und namentlich in Krankheiten guten Mutes zu bleiben, einen aus Milde und Würde gemischten Charakter sich anzueignen und ohne Murren die vorliegenden Geschäfte zu besorgen. Von ihm selbst glaubte jedermann, er rede, wie er denke, und tue nichts von dem, was er tue, in schlimmer Absicht. Nie ließ er sich von Bewunderung oder Staunen hinreißen, nirgends zeigte er Übereilung oder Saumseligkeit, nie war er ratlos, niedergeschlagen, ausgelassen freundlich oder zornig oder argwöhnisch. Wohltätig, versöhnlich, ein Feind der Lüge, gewährte er das Bild eines edlen Mannes, an dem nichts zu bessern ist. Nie glaubte jemand, von ihm verachtet zu sein, und nie wagte es jemand, sich über ihn zu erheben. Auch im Scherze war er auf Anmut bedacht.

16.

Das Leben meines Vaters war für mich eine Schule der Milde und doch zugleich auch der unerschütterlichen Beständigkeit in allem, wofür er sich einmal nach reiflicher Erwägung entschieden hatte. Er war unempfindlich gegen jede Eitelkeit auf anscheinende Ehrenbezeigungen, ein Freund der Tätigkeit und unverdrossen darin, hörte er gern gemeinnützige Vorschläge anderer an, ließ sich durch nichts abhalten, jeden nach Verdienst zu behandeln, wusste recht wohl, wo man die Zügel anziehen und wo nachlassen müsse. Von der Knabenliebe entwöhnt, hatte er nur noch Sinn fürs Gemeinwohl; seinen Freunden erließ er den Zwang, immer mit ihm zu speisen oder auf seinen Reisen ihn stets zu begleiten; diejenigen aber, welche dringender Umstände wegen hatten zurückbleiben müssen, fanden ihn bei seiner Rückkehr gleichgestimmt. In seinen Erwägungen prüfte er zuerst gründlich, bestand aber dann auch auf ihrer Ausführung; auch trat er nie vor der Zeit von der Untersuchung zurück, noch begnügte er sich mit den ersten besten Einfällen. Seine Freunde suchte er sich zu erhalten und wurde ihrer weder überdrüssig, noch war er unvernünftig für sie eingenommen. In jeder Lage zufrieden, war er stets heiter; auf die Zukunft nahm er von ferne schon Bedacht und traf ohne viel Aufhebens für die geringsten Dinge Vorkehrungen. Allen Beifall und jede Schmeichelei wies er zurück. Auf die Staatsbedürfnisse war er jederzeit wachsam und haushälterisch beim Ausgeben öffentlicher Gelder, und ließ den Tadel solcher Grundsätze willig über sich ergehen. Um die Gunst der Götter buhlte er ebensowenig auf abergläubische Weise, als um die Gunst der Menschen durch Künste der Gefallsucht oder durch Begünstigung des Pöbels; vielmehr war er in allem nüchtern und fest, nirgends unanständig, noch neuerungssüchtig. Die Güter, welche das Leben angenehm machen und die ihm das Glück in Fülle darbot, benutzte er ebenso fern von Übermut als von Ausflüchten, und genoss daher das Vorhandene ebenso ungesucht, als er das Fehlende nicht vermisste. Niemand konnte von ihm sagen, er sei ein Sophist oder ein Schwätzer oder ein Pedant; vielmehr musste jeder zugestehen, er sei ein Mann von reifem Verstand und großer Vollkommenheit, erhaben über Schmeichelei und gleich geschickt, eigene wie fremde Angelegenheiten zu besorgen. Zudem wusste er den Wert wahrer Freunde der Weisheit zu schätzen, ohne die anderen herabzusetzen oder sich von ihnen verleiten zu lassen. Dabei war er umgänglich und liebte den Scherz, jedoch ohne Übertreibung. So pflegte er auch seines Leibes mit Maßen, nicht wie ein Mensch von zu großer Lebenslust, um ihn herauszuputzen; aber ebensowenig vernachlässigte er ihn, weshalb er bei der ihm eigentümlichen Aufmerksamkeit der Heilkunst mit ihren inneren und äußeren Mitteln sehr selten bedurfte. Insbesondere aber ist an ihm das zu rühmen, dass er Männern, welche in etwas eine vorzügliche Stärke besaßen, wie in der Beredsamkeit, der Gesetzeskunde, der Sittenlehre oder in anderen Fächern, ohne Neid den Vorrang einräumte und ihnen sogar dazu behilflich war, dass jeder nach dem Maße seiner besonderen Geschicklichkeit Anerkennung fand. Obgleich er alles gemäß den Einrichtungen der Vorfahren behandelte, so vermied er doch den Anschein Althergebrachtem anzuhängen. Überdies hielt er sich fern von Wankelmut und Unbeständigkeit und verweilte gern an denselben Orten und bei denselben Geschäften, kehrte auch nach den heftigsten Anfällen von Kopfschmerzen mit verjüngter Kraft alsbald wieder zu seinen gewohnten Arbeiten zurück. Nie hatte er viele Geheimnisse, im Gegenteil sehr wenige und sehr selten, und diese betrafen nur das Gemeinwohl. Im Anordnen öffentlicher Spiele, Bauten, Spenden an das Volk und Ähnlichem zeigte er sich verständig und gemäßigt und als ein Mann, der bei seinem Tun allein die Pflicht, nicht aber den durch Handlungen zu gewinnenden Ruhm im Auge hatte. Er badete nie zur Unzeit, war auch nicht baulustig und ebensowenig auf Leckerbissen, auf Gewebe und Farbe seiner Kleider, als auch Schönheit seiner Sklaven bedacht. Meist trug er Kleider aus dem unteren Landgut Loriu, oder aus Lanubium und nicht ohne sich zu entschuldigen einen Oberrock in Tusculum; und so war sein ganzes Benehmen. Nichts Unfreundliches, noch auch Schamloses, Ungestümes, noch etwas war an ihm zu entdecken, wovon man hätte sagen können: »Es war vom Übermaß«, sondern alles wohl und gleichsam bei guter Muße überlegt, unerschütterlich geordnet, fest und mit sich im Einklang. Und so konnte man denn auf ihn anwenden, was von Sokrates berichtet wird, dass er Dinge zu entbehren und zu genießen gewusst habe, bei deren Entbehrung sich viele schwach und bei deren Genuss sie sich unmäßig verhalten. Dort aber mutig zu ertragen, hier nüchtern zu bleiben, verrät einen Mann von vollendeter und unbesiegbarer Geistesstärke, und in diesem Lichte zeigte er sich während der Krankheit des Maximus.

17.

Den Göttern verdanke ich es, dass ich rechtschaffene Großväter, rechtschaffene Eltern, eine rechtschaffene Schwester, rechtschaffene Lehrer, rechtschaffene Hausgenossen, Verwandte, Freunde, ja fast durchaus rechtschaffene Menschen um mich gehabt habe, aber auch das, dass ich gegen keinen derselben zu einem Fehltritt durch Übereilung mich verleiten ließ, obgleich ich hierzu die Anlage in mir trug, vermöge deren ich bei gegebenem Anlass etwas dergleichen hätte tun können. Doch die Huld der Götter verhütete das Zusammentreffen von Umständen, wodurch ich überwältigt worden wäre. Ihnen verdanke ich es, dass ich nicht noch länger bei der Geliebten meines Großvaters erzogen ward; dass ich meine Jugendreinheit bewahrte; dass ich nicht vor der Zeit meine Manneskraft verschwendete, sondern sie sogar über die Zeit hinaus aufsparte; dass ich einem Herrn und Vater untergeordnet war, der jeden Keim des Übermutes in mir vertilgen und mich zu der Überzeugung erheben konnte, dass man, ohne Leibwächter, Feiergewänder, Fackeln, Statuen und ähnlichen Aufwand zu bedürfen, am Hofe leben und sich beinahe wie ein Privatmann einschränken könne, ohne deshalb der Würde und dem Ernste in Erfüllung seiner Herrscherpflichten gegen das Gemeinwesen etwas zu vergeben. Den Göttern verdanke ich es auch, dass mir ein Bruder beschieden ward, der durch sein sittliches Benehmen mich zur Sorgfalt für mein Inneres aufmunterte und zugleich durch seine Achtung und Zuneigung mich erfreute; dass mir Kinder geboren wurden, welche geistig nicht unbegabt, körperlich nicht verkrüppelt waren; dass ich in der Rede- und Dichtkunst und in den anderen Wissenschaften keine größeren Fortschritte machte, die mich bei der Wahrnehmung eines glücklichen Fortschreitens vielleicht zu sehr gefesselt haben würden; dass ich unverweilt meine Erzieher zu den Ehrenstellen, welche sie gerade mir zu wünschen schienen, erhoben habe, ohne sie mit der Hoffnung hinzuhalten, ich werde das, weil sie für solche noch zu jung seien, erst in der Folgezeit tun. Auch dafür sei ihnen Dank, dass ich den Apollonius, Rusticus, Maximus kennenlernte; dass ich mich über die Art und Weise eines naturgemäßen Lebens lebhaft und oft in Gedanken beschäftigte; dass von seiten der Götter und der von dorther stammenden Gaben, Hilfeleistungen, Eingebungen nichts mich hinderte, alsbald der Natur gemäß zu leben, wenn ich nicht durch eigene Schuld und durch Nichtbefolgung der göttlichen Mahnungen, fast möchte ich sagen: Offenbarungen, darin zurückbleiben wollte; dass mein Körper bei einer solchen Lebensweise so lange ausdauerte; dass ich weder die Benedicta, noch den Theodotus berührt habe und auch von meinen späteren Liebesfiebern genesen bin; dass ich, obgleich oft ungehalten auf Rusticus, mir doch nichts weiter erlaubt habe, was ich jetzt bereuen müsste; dass meine Mutter, die so jung sterben sollte, doch noch in ihren letzten Jahren mit mir zusammen wohnen durfte; dass, so oft ich einen Armen oder sonst einen Hilfebedürftigen unterstützen wollte, ich nie hören musste, meine Geldmittel gestatteten eine solche Unterstützung nicht, und dass ich selbst nie in die drückende Lage geriet, um von einem anderen etwas annehmen zu müssen. Den Göttern verdanke ich den Besitz einer Gemahlin, die so lenksam, so zärtlich liebend, so einfach ist, ihnen den Reichtum an geeigneten Erziehern für meine Kinder, ihnen endlich, dass ich bei meiner Neigung zur Philosophie keinem Sophisten in die Hände fiel, auch nicht mit Lesen solcher Schriften, aber der Zerstörung ihrer Trugschlüsse, Untersuchungen über die Gestirne ein müßiges Leben führte. Ja, zu diesem allem bedurfte es des Beistands der Götter und des Glücks.

18.

Gleich in der ersten Morgenstunde sage zu dir: Heute werde ich mit einem vorwitzigen, undankbaren, übermütigen, verschlagenen, verleumderischen, ungeselligen Menschen zusammentreffen. Alle diese Fehler haften an ihnen nur wegen ihrer Unkenntnis des Guten und des Bösen. Ich hingegen sehe es ein, dass das Gute seinem Wesen nach schön, das Böse hässlich ist, und weiß von der Natur selbst des Fehlenden, dass sie mit der meinigen verwandt ist, nicht sowohl desselben Blutes und Samens, als vielmehr derselben Vernunft, des gleichen göttlichen Funkens teilhaftig. Auch weiß ich, dass weder er, noch sonst ein Mensch mich beschädigen kann; denn niemand vermag es, mich in etwas Schändliches zu verwickeln; aber ebensowenig kann ich dem, der mir verwandt ist, zürnen oder ihm gram sein; sind wir ja vielmehr zu gemeinschaftlicher Wirksamkeit da, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, die oberen und unteren Reihen der Zähne. Einander entgegenwirken, wäre mithin gegen die Natur; auf jemand aber ungehalten sein und von ihm sich abwenden, hieße ihm entgegenwirken.

19.

Was ich auch sein mag, es ist ein wenig Fleisch und Lebenshauch und die herrschende Vernunft. Weg mit den vielen Büchern! Lass dich nicht mehr hin- und herzerren: es ist dir nicht gestattet. Erhebe dich vielmehr über dieses bisschen Fleisch wie einer, der bald sterben muss. Es ist ja doch nur Blut und Knochen, ein Gewebe aus Nerven, Sehnen und Adern geflochten. Betrachte aber auch deinen Lebensgeist, und was er ist: Ein Hauch, und nicht einmal immer derselbe, sondern in jeder Stunde ausgestoßen und wieder eingeatmet. Das dritte ist die herrschende Vernunft. Hier nun denke so: Du bist alt; lass sie nicht länger dienstbar sein, nicht länger von ungeselligen Trieben, einer Puppe gleich, hin- und hergezogen werden, sei nicht länger über dein gegenwärtiges Geschick erbost, noch suche dem zukünftigen feige zu entrinnen.

20.

Die Werke der Götter sind voll von Spuren ihrer Vorsehung. Auch die scheinbar zufälligen Ereignisse sind nicht unnatürlich, treten nicht ein ohne das Zusammenwirken und die Verkettung der von der Vorsehung gelenkten Ursachen. Alles geht von ihr aus. Hierzu kommt aber auch das Notwendige und dasjenige, was dem Weltganzen, wovon du ein Teil bist, zum Vorteil gereicht. Was aber die Natur des Ganzen mit sich bringt und was zu ihrer Erhaltung beiträgt, das muss auch für jeden einzelnen Teil der Natur gut sein. Die Verwandlungen der einfachen Grundstoffe sowie der zusammengesetzten Körper erhalten die Welt. Hierbei beruhige dich; das soll dir stets zur Lehre dienen. Strebe nicht nach Weisheit, wie sie in Büchern zu finden ist, sondern halte sie dir fern, damit du ohne Verdruss, mit wahrer Seelenruhe und im Herzen den Göttern dankend, sterben kannst.

Drittes Buch

1.

Wir müssen nicht allein das bedenken, dass jeden Tag etwas an unserem Leben aufgezehrt wird und ein immer kleinerer Teil davon übrig bleibt, sondern auch das ist zu beherzigen, dass, wenn gleich jemand länger leben sollte, es doch ungewiss ist, ob auch seine Denkkraft zum Verständnis der Dinge und zu der Betrachtung, welche auf Einsicht in göttliche und menschliche Dinge abzweckt, für die Zukunft ungeschwächt ausreichen werde. Denn wenn der Mensch einmal anfängt, geistig abgestumpft zu werden, so mag zwar das Vermögen, zu atmen, zu verdauen, Einbildungen und Triebe zu haben und alles andere derart bei ihm noch nicht aufhören; die Fähigkeit dagegen, seine Kräfte selbsttätig zu gebrauchen, die Pflicht, jedesmal erschöpfend zu berechnen, die Erscheinungen genau zu zergliedern, über die Frage, ob er jetzt schon freiwillig aus dem Leben scheiden solle, und über andere dergleichen Dinge, welche einer wohl geübten Denkkraft gar sehr bedürfen, sich klar zu werden: diese Fähigkeit erlischt bei ihm vorher. Wir müssen uns also beeilen, nicht nur, weil wir dem Tode mit jedem Augenblicke näher kommen, sondern auch deswegen, weil das Vermögen, die Dinge zu verstehen und zu verfolgen, oft schon früher aufhört.

2.

Ebenso verdient der Umstand unsere Beachtung, dass auch Erscheinungen, welche sich Naturereignissen zufällig beigesellen, für uns etwas Reizendes und Anziehendes haben. So fallen uns die Risse und Spalten, welche sich hin und wieder am gebackenen Brot zeigen, obgleich sie der Absicht des Bäckers einigermaßen zuwider sind, doch in einem gewissen Grade angenehm auf und erregen in eigentümlicher Weise die Esslust. Ebenso ist’s bei den Feigen, die zur Zeit ihrer vollkommenen Reife aufbrechen, und bei den überzeitigen Oliven, wo gerade die Annäherung der Fäulnis der Frucht einen besonders lieblichen Beigeschmack verleiht. Die niederhängenden Ähren, die in Falten gelegte Stirnhaut des Löwen, der aus des Ebers Rachen triefende Schaum und viele andere Erscheinungen sind, an und für sich betrachtet, ohne allen Liebreiz, und doch, weil sie im Anschluss an Werke der Natur sich zeigen, tragen sie mit zu deren Schmuck bei und üben dadurch eine gewisse Anziehungskraft aus. Hat daher jemand Empfänglichkeit und ein tieferes Verständnis für alles, was im Weltganzen geschieht, so wird ihm auch unter solchen Nebenumständen kaum etwas begegnen, das sich ihm nicht auf gewisse Weise empfehlen sollte. Und so wird er auch den natürlichen Rachen wilder Tiere mit nicht geringerem Vergnügen betrachten, als wenn ihn Maler und Bildhauer in künstlerischer Nachbildung vorführen, und mit keuschem Auge die reife Schönheit bejahrterer Frauen und Männer nicht minder wohlgefällig als den Jugendreiz von Knaben ansehen können. Solcher Dinge nun gibt es viele, die nicht jedermann, sondern nur denjenigen ansprechen, der sich mit der Natur und mit ihren Werken in ein echtes Einverständnis gesetzt hat.

3.

Hippokrates, der doch so viele Krankheiten geheilt hatte, erkrankte auch und starb. Die Chaldäer hatten vielen ihren Tod vorhergesagt, doch auch sie raffte hernach dasselbe Schicksal dahin. Nachdem Alexander, Pompejus und Cäsar so oft ganze Städte von Grund aus zerstört und viele Tausende in Schlachten gefällt hatten, mussten sie am Ende selbst aus diesem Leben scheiden. Heraklit hatte über den Weltuntergang durch Feuer so viele naturphilosphische Betrachtungen angestellt und starb zuletzt, in Rindsdünger gehüllt, an der Wassersucht. Den Demokrit brachten die Läuse ums Leben, den Sokrates Ungeziefer in Menschengestalt. Wozu diese Bemerkungen? – Auch du bist aufs Schiff gestiegen, bist abgefahren, bist in den Hafen eingelaufen. So steig nun aus! Geht’s in ein anderes Leben – so ist ja nichts ohne Götter, auch dort nicht! Geht’s aber in einen Zustand der Fühllosigkeit – nun so brauchst du doch nicht mehr Schmerzen und Freuden erdulden, noch dich von einem Behälter knechtisch einengen lassen, der umso unedler ist, je größere Vorzüge der darin Dienende besitzt. Denn dieser ist der vernünftige Geist, der Genius in dir, jener hingegen nur Erde und Verwesliches.

4.

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