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Über das Buch

1066: Burggraf Bandolf von Worms soll im Harz die Verwaltung einer im Bau befindlichen Burg übernehmen. Kaum dort angekommen, kehrt sein Schreiber Prosperius von einem Botengang nicht zurück. Der Prior des nahegelegen Klosters Sankt Mauritius behauptet, Prosperius sei ein zweifacher Mörder und auf der Flucht. Bandolf glaubt nicht an Prosperius’ Schuld und beginnt zu er mitteln. Doch nicht nur der Schreiber braucht seine Hilfe. Denn Bandolfs schwangere Frau Matthäa, die in Worms bei der Heilerin Garsende zurückbleiben musste, ist plötzlich verschwunden.

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KAPITEL 2

Sachsen, Sommersonnenwende im Jahre des Herrn 1066

Mit einem dumpfen Ächzen fiel die eingelassene Pforte im Burgtor hinter Prosperius zu.

Für den jungen Schreiber hatte das Geräusch etwas fatal Endgültiges an sich, und trotz der Mittagshitze, die ihm den Schweiß aus den Poren trieb, lief ein Frostschauer über seinen Rücken.

Hastig machte er kehrt, um an das Mannsloch im Tor zu klopfen, damit man ihn wieder einließe.

Aber wie sollte er dem Burggrafen erklären, wieso er so rasch und unverrichteter Dinge zurückkehrte?

Probehalber versuchte Prosperius sich an einem schmerzlichen Lächeln, verzog die kleine aufwärtsstrebende Nase und schlug treuherzig die dunklen Augen auf. Im Nu zeigte sein schmales Gesicht ein Bild puren Jammers.

»Die Hitze macht mich ganz schwindelig, Herr«, ächzte er. »Seht doch nur, wie mir die Glieder schlottern.«

Um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, sackte er ein wenig in die Knie und schlackerte mit den Armen. Seine mageren Schultern zuckten, als litte er an der Fallsucht.

Doch dann schüttelte er betrübt den Kopf und richtete sich mit einem tiefen Seufzen wieder auf. Nein, so würde es nicht gehen. Dieselbe Ausflucht hatte er schon verwendet, als der Burggraf ihn zur königlichen Jagdpfalz Bodfeld mitnehmen wollte.

Angestrengt nachdenkend runzelte er die Stirn. ›Bauchgrimmen?‹, überlegte er. Seine Miene hellte sich auf, nur um sich einen Lidschlag später wieder zu verdüstern.

Bauchgrimmen – das hatte er schon gleich nach ihrer Ankunft in Sachsen vorgeschützt, damit sein Herr ihn nicht zum Kloster Sankt Mauritius mitschleppte, wo Bandolf von Leyen sich die Unterstützung des Abtes für sein neues Amt als Vogt der Buchenburg erhoffte.

›Warum, bei allen Heiligen, hatte es denn auch eine sächsische Burg sein müssen? Wieso nicht eine suebische, oder eine bajuwarische?‹, haderte der junge Schreiber im Stillen. Aber nein! Nach Sachsen hatte der König seinen Herrn schicken müssen. Und von allen möglichen Orten im Harudengau auch noch ausgerechnet hierher!

Entmutigt starrte Prosperius die wehrhafte Burgmauer an und den Bergfried, der sich dahinter erhob.

Auf dem Plateau einer steil aufragenden Anhöhe, die die Sachsen den Buchenfels nannten, hatte man dem dichten Wald Platz für die Burg abgerungen, die Heinrich IV., König von Gottes Gnaden über das fränkische Reich, zum Schutz und Trutz für das Land ringsum erbauen ließ. Das Land, das so reiche Schätze wie Erz und Silber in seinem Leib barg.

Die Mauern der Burg waren gut und gerne so dick, wie Prosperius’ Arme lang waren, und der Bergfried schien wie eine bleiche, steinerne Faust inmitten eines tiefgrünen, sonnengesprenkelten Meers wogender Bäume in den Himmel zu ragen.

Ein Stück vom Turm entfernt konnte der junge Schreiber die obere Hälfte eines Baukrans und ein hölzernes Gerüst ausmachen. Hier sollte der Palas entstehen. Die niedrigen Hütten der Reisigen, des Baumeisters, der Maurer, Steinmetze, Zimmerleute und Schmiede, die sich im Innern an die Burgmauer schmiegten, und die Öfen, Seilwinden und zu Stapeln aufgeschichteten Steinquader und Baumstämme, um die auf dem Burghof Tag um Tag lärmende Betriebsamkeit herrschte, blieben seinem Blick jedoch verborgen.

Heute war es auf dem Buchenfels ungewohnt still.

Zur Sonnwendfeier ruhte jede Arbeit, und das sächsische Landvolk nutzte die Gelegenheit, um in den umliegenden Dörfern zu feiern und ihren Zorn auf den jungen Herrscher und den landesfremden Burggrafen in Met und Bier zu ertränken.

Unglücklich biss sich Prosperius auf die Lippe.

Mochte es hier auf dem Buchenfels auch ruhig sein, in Egininkisrod würde es anders zugehen.

Vor den Häusern im Dorf würde heute gezecht, gesungen und getanzt werden. Jeder junge Bursche, ob Bauernsohn oder Höriger, wäre auf den Beinen, um Holz zu sammeln und es auf die baumlosen Höhen hinaufzuschaffen, wo man es zu großen Stapeln für das Sonnwendfeuer aufschichten würde. Die Frauen und Mädchen würden am Dorfrand und auf den Wiesen Schafgarbe, Johanniskraut, Wegerich, Efeu und Wucherblume pflücken und die Kräuter in der Kirche zu Sankt Mauritius segnen lassen. Kränze wurden aus den geweihten Pflanzen geflochten und Sträuße gesteckt, mit denen man die Häuser, Ställe und Scheunen schmückte. Sie galten als besonders wirksamer Schutz gegen all die Geister, Feen und die Wilden Jäger, die für eine Nacht aus der Hölle emporsteigen würden.

Prosperius seufzte. Es müsste wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn es ihm gelänge, sich ausgerechnet heute ungesehen am Dorf vorbeizustehlen, dachte er und zermarterte sich den Kopf um eine Ausrede, die es ihm erlauben würde, hinter die starken Mauern der Burg zurückzuflüchten.

Doch gerade jetzt, wo er so dringend eines Einfalls bedurfte, ließ ihn seine Erfindungsgabe im Stich. Zumal die Stimme seines Herrn ihm noch deutlich in den Ohren klang.

»Nein! Komme mir ja nicht wieder mit einer deiner hanebüchenen Ausflüchte daher. Ich will nichts von den Befindlichkeiten deiner Säfte wissen. Davon habe ich, weiß Gott, genug von dir gehört, seit wir Worms verlassen haben«, hatte Bandolf von Leyen geknurrt und seinem jungen Schreiber den Wind aus den Segeln genommen, noch bevor Prosperius zu einer Widerrede hatte ansetzen können.

»Du wirst diesen jüdischen Händler aufsuchen, wie ich dir angeschafft habe, und ihm ausrichten, dass er auf der Burg vorstellig werden soll. Und falls er das eine oder andere Fuder Wormsgauer Roten unter seinen Waren hat, soll er die Fässer gleich heraufbringen lassen. Das soll sein Schaden nicht sein, sag ihm das. Habe ich mich verständlich gemacht?«

Mehr noch als die Worte hatte ein Blick in das breite, bärtige Gesicht des Burggrafen mit den unnachgiebig zusammengezogenen Brauen Prosperius davon überzeugt, dass dieses Mal jeglicher Widerspruch zwecklos wäre.

Und dann war er auch schon über den Burghof getrabt, hadernd mit seinem Schicksal im Allgemeinen und dem Juden insbesondere, der zu solcher Unzeit von Worms ins Sächsische heraufgekommen war.

Ja, und nun stand er draußen vor dem Tor. Ausgesperrt.

Entmutigt starrte Prosperius die abweisenden Mauern an, und ihm war, als stünde er mit all seinen Sünden beladen vor dem Himmelsportal und bäte um Einlass. Für einen Augenblick hoffte er noch, das Mannsloch möge sich wie durch Zauberhand für ihn öffnen, doch bei dem schweren, eisenbeschlagenen Tor rührte sich nichts, und endlich wandte er sich widerstrebend um.

Mit einem flauen Gefühl im Magen und ängstlich bemüht, nicht in die gähnende Tiefe hinabzuschauen, überquerte Prosperius die Brücke, die für sein Empfinden allzu schmal und luftig über den Graben um das Burgplateau führte.

Am anderen Ende der Brücke schlängelte sich ein Hohlweg steil nach unten. Karren und Lastschlitten, die das schwere Baumaterial auf die Burg beförderten, hatten den Weg wie eine Schneise in das zähe Gestrüpp aus Hartriegel, Weißdorn, Himbeer- und Brombeergesträuch geschlagen und den Boden mit tiefen Narben gezeichnet.

Prosperius sprang neben einem Quellbach, dem der Hohlweg folgte, nach unten. Ein Gewirr aus Gräsern, blühenden Kräutern und Trieben säumte die Quelle zu seiner Rechten. Zu den blaugelben Tupfen von Vergissmeinnicht, dem gelb blühenden Münzkraut und den tiefblauen Blüten von Eisenhut und Glockenblumen gesellten sich die schillernden Farben der Zitronenfalter, Pfauenaugen und Perlmuttschmetterlinge, der Hummeln, Bienen, Mücken und Libellen, die die Dolden und Blüten umschwirrten. Kleine Erdbeeren funkelten rot zwischen dem Gebüsch am Wegrand, und eine Fülle reifer Himbeeren glänzte matt in der Sonne.

Obgleich ihm bei ihrem Anblick das Wasser im Mund zusammenlief, bremste Prosperius seinen Lauf erst, als er am Fuß der Anhöhe angelangt war.

Hier mündete der Hohlweg in einen Waldpfad und der Quellbach in ein breites Bachbett, neben dem der Pfad einherlief. Der Bach, jetzt im Sommer nur noch ein Rinnsal, bildete eine schmale Senke zwischen dem Buchenfels und dem Mittelberg gegenüber.

Angespannt spähte Prosperius den Pfad entlang und lauschte. Als er niemanden sah, und das leise Murmeln der Bäume, die Rufe der Vögel und das Plätschern der Quelle, die den Bach speiste, die einzigen Geräusche waren, die er hörte, schlüpfte er auf den Pfad. Eichen, Buchen, Bergahorn und hohe Tannen schlossen ihre Wipfel über ihm zu einem Dach zusammen, und nur wenige Sonnenstrahlen fielen auf den weich gepolsterten Waldboden.

Prosperius folgte dem Pfad in südlicher Richtung. Vorsichtshalber hielt er sich nah an der zum Bachbett abfallenden Böschung, damit er sich notfalls im dichten Uferbewuchs verstecken könnte. Doch als er geraume Zeit später auf einen breiteren Karrenweg stieß, der den Pfad kreuzte, schien er noch immer die einzige Menschenseele im Wald zu sein, und es war nicht nötig gewesen, dass er sich heldenhaft in die Brennnesseln am Bachufer stürzte.

Wieder blieb Prosperius stehen und spähte unschlüssig um die Ecke. Bis jetzt hatte er Glück gehabt. Doch das Dorf war nicht mehr weit entfernt, und er musste auf den Karrenweg nach Westen einbiegen, der geradewegs nach Egininkisrod führte, um zu seinem Ziel zu gelangen. Rechter Hand stieg das Gelände zum Mittelberg steil an, und das Unterholz zur Linken des Wegs schien undurchdringlich. Eine Möglichkeit, sich rasch zu verstecken, schien es hier nicht zu geben. Einen Spatzenflug vom Dorfrand entfernt, würde der Mittelberg sich jedoch zu den Fischteichen hin abflachen, die die Dörfler außerhalb von Egininkisrod angelegt hatten. Dort würde er den Weg verlassen und sich im Schutz der hohen Gräser am Ufer der Tümpel entlangbewegen können, beschwichtigte er sich, während er in den Karrenweg einbog. Hinter den Teichen auf einer Waldlichtung sollte der Jude mit seinen Leuten lagern, hatte der Burggraf gesagt.

Knapp hundert Schritte vor Prosperius machte der Weg eine Biegung, und kaum hatte er die Hälfte davon überwunden, verließ ihn sein Glück.

Undeutliche Rufe drangen an sein Ohr. Stimmen wurden laut, die rasch auf ihn zukamen.

Für einen Moment spürte der junge Schreiber seinen Herzschlag wild in der Kehle pochen, bevor das unstete Organ in seine Kniekehlen zu rutschen schien und seine Beine butterweich machte. Gehetzt sah er sich um. Doch weder rechts noch links schien das Gelände zu einem Zugeständnis an seine missliche Lage bereit. Da gab’s kein Durchkommen.

Schon wollte Prosperius kehrtmachen, um zu dem Pfad zurückzurennen, den er gekommen war, als ihm am Wegrand zu seiner Rechten ein Einschnitt im aufragenden Mittelberg ins Auge fiel. Die Kerbe im baumbewachsenen Felsgestein war nur ein paar Armeslängen von ihm entfernt.

›Süßer Jesus! Die Höhle der Heiligen Liutbirg‹, fuhr es ihm durch den Kopf, während er schon vorwärtsrannte.

»Bruder Adelbald!«, hörte er deutlich eine der Stimmen rufen, als er sich in die Mulde warf, die neben dem Weg wie eine hohle Hand in den Felsen eingemeißelt schien.

Der Eingang zur Höhle lag nur noch ein paar Schritte vor ihm. Die Öffnung reichte ihm bis zur Brust, und ein grob gezimmerter Bretterverschlag, der als Tür diente, stand einen Spaltbreit offen.

»Bruder Adelbald!«

»Bruuuu-deeeer Aaaaaadel-baaaaald!«

Prosperius warf einen raschen Blick über seine Schulter zurück, doch die Rufer hatten die Mulde noch nicht erreicht. Mit fliegender Hast zerrte er an dem Verschlag. Die Witterung hatte das Holz verzogen, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis es seinen zitternden Fingern gelungen war, das Brettergebilde ein paar Handbreit weiter zu öffnen.

»Adelbald!«

»Wo steckt er nur?«

Für einen Augenblick schienen die Stimmen dicht hinter ihm zu sein, dann hatte er sich auch schon geduckt und seinen schmalen Körper durch den halb offenen Verschlag gezwängt.

Feuchte Kälte schlug Prosperius wie eine Faust entgegen, und die unvermittelte Finsternis war überwältigend. Blind stolperte er ein paar Schritte vorwärts, bis die Felsendecke jäh über ihm zurückwich und der Höhlengang sich zu einer kleinen Felsenkammer verbreiterte, in der er aufrecht stehen konnte. Stille umfing ihn, als hätte es die Rufer draußen nie gegeben.

»Allmächtiger!«, ächzte er. Seine Stimme klang hohl und hallte in der Dunkelheit wider. Er schlotterte vor Kälte.

Als sich seine Augen endlich bequemten, mit dem spärlichen Lichteinfall durch den Eingang vorliebzunehmen, sah er sich ängstlich um.

Der schmale Streifen Tageslicht erhellte nur einen kleinen Teil der gewölbten Wände, in deren marmorweißen, schwefelgelben und perlmuttfarbenen Oberflächen ein irre gewordener Steinmetz bizarr geformte Eiszapfen und schmelzenden Schnee eingemeißelt zu haben schien. Eine Öffnung, schwarz wie der Schlund zur Hölle, klaffte in der Wand gegenüber dem Einlass. Dort führte ein Gang tiefer in den Berg hinein zu Liutbirgs Höhlenklause.

Einen Moment lang überlegte Prosperius, ob er es wagen sollte, dem Gang ohne Licht zu folgen, entschied sich jedoch schaudernd dagegen. Nein, er würde einfach eine Zeitlang am Eingang warten. Nach einer Weile könnte er dann nachsehen, ob die Luft wieder rein wäre. Die Mulde lag tiefer als der Weg, und solange er hinter dem Holzverschlag blieb, würde man ihn nicht entdecken, selbst wenn jemand am Wegrand stehen blieb und in die Mulde schaute. Außerdem konnte er sich auch rasch wieder in der Felsenkammer verstecken.

Entschlossen kehrte er zum Eingang zurück, setzte sich mit angezogenen Beinen dicht hinter den Bretterverschlag und spähte durch den Spalt nach draußen.

Geduld zählte nicht zu Prosperius’ Tugenden. Die Zeit tröpfelte so zäh dahin, wie sich hinter ihm an den Höhlenwänden die Feuchtigkeit sammelte, um dann mit einem leisen »Pling« zu Boden zu fallen. Obwohl er so nah am Eingang saß, nur einen Steinwurf von der Sommerhitze entfernt, kroch die Kälte des Gesteins rasch in seine Glieder. Um sein Elend vollkommen zu machen, begann auch sein Magen zu rumpeln. Das Mahl zur Sext aus fadem Wurzelgemüse und trockenem Hirsebrot, das die sauertöpfische Ingild auf der Burg kredenzt hatte, schien schon eine Ewigkeit zurückzuliegen. Sehnsüchtig dachte er an die köstlich gewürzten Eintöpfe, die Filiberta, die Magd der Burggräfin, in Worms auf den Tisch zu bringen pflegte, und an die saftigen Beeren, die ihn unterwegs angelacht hatten.

Als er schließlich das Gefühl hatte, sein Hintern würde jeden Augenblick auf dem steinernen Boden festfrieren, beschloss Prosperius, dass er lange genug gewartet hatte.

Kaum war er jedoch durch den Verschlag geschlüpft und bis zum Rand der Mulde gehuscht, um auf den Karrenweg zu spähen, hörte er erneut Stimmen auf dem Weg. Dieses Mal kamen sie aus der anderen Richtung. Noch klangen sie gedämpft, aber sie näherten sich unmissverständlich seinem Versteck.

Heilige Jungfrau! Hatte er nicht gewusst, dass heute der denkbar schlechteste Tag war, um ungesehen am Dorf vorbeizukommen? Hätte Herwald nicht noch einen Tag länger warten können, bevor er dem Burggrafen von dem jüdischen Händler berichtete? Und wieso, zum Henker, musste der Jude auch nach Egininkisrod kommen? Hätte er sein Lager nicht anderswo aufschlagen können? In Thale oder Quedlinburg oder noch weiter weg? Oder doch wenigstens hätte er die Sonnwendfeier abwarten können!

Umgehend machte der junge Schreiber kehrt, zwängte sich durch den Verschlag und bezog seinen alten Posten beim Höhleneingang.

Die Stimmen kamen näher.

»... kann er nur ...«

»... wird sich ... einfinden, und ...«, hörte er undeutliche Satzfetzen.

Eine kleine Weile war es still, und als wieder gesprochen wurde, klang es schon sehr nah.

»... womöglich ist er ... sonst fällt mir nicht ein, ... und wir noch suchen könnten ...«

»... sollte er denn ausgerechnet dort zu schaffen haben?«

»Was fragst du mich das? Was hat er denn heute überhaupt außerhalb des Klosters zu schaffen?«

Vier Paar sandalenbewehrte Füße und Säume schwarzer Kutten gerieten in Prosperius’ Blickfeld und blieben zu seinem Unbehagen am Rand der Mulde stehen.

»Ich wette, er ist schon wieder zurück und sitzt in aller Bequemlichkeit im Refektorium bei Brot und Suppe, während wir hier in der Sonne braten.«

»Bruder Hartung hat recht. Lasst uns zum Kloster zurückkehren.«

»Dennoch – wir sollten uns vergewissern.«

»Und wie, glaubst du, sollen wir das anstellen? Es ist stockfinster dort, und wir haben keine Lampe bei uns.«

Eine der Stimmen zupfte an Prosperius’ Erinnerung, doch er hatte keine Muße, den Gedanken zu vertiefen.

»Neben dem Eingang hängt eine Öllampe. Vater Abt lässt sie regelmäßig für die Pilger nachfüllen, die in der Klause beten wollen«, hörte er, und ein eisiger Schreck fuhr durch seine Glieder.

Heilige Muttergottes! Sie wollten in die Höhle!

Für einen Moment fühlte sich Prosperius wie gelähmt, aber als der erste Mönch über den Rand der Mulde kletterte, sprang er wie von einer Biene gestochen auf und stürzte in die dunkle Felsenkammer zurück.

Hektisch sah er sich um, und sein Herz begann wild zu pochen, als er nirgendwo ein Versteck entdecken konnte. Er musste es mit dem finsteren Gang zur Klause versuchen und konnte nur hoffen, dass er sich in der Dunkelheit nicht den Hals brechen würde. Zeit, um jene Öllampe zu suchen und anzuzünden, blieb ihm jedenfalls keine. Prosperius hörte, wie sich die Mönche am Verschlag zu schaffen machten, als er den Gang erreicht hatte und schaudernd in die Schwärze eintauchte.

Der Gang stieg an. Obwohl von Menschenhand verbreitert, war der Boden uneben, und schon nach wenigen Schritten stolperte er. Im vergeblichen Versuch, sich abzufangen, schürfte er sich die Hände an der scharfkantigen Felswand auf und schlug hart auf die Knie. Sein schmerzerfülltes Keuchen dröhnte in seinen Ohren und klang so laut wie hinter ihm die Stimmen der Mönche. Offenbar hatten sie die Lampe gefunden und taten sich nun schwer damit, sie anzuzünden. Ihr ungeduldiges Schimpfen schien an den Wänden der Felskammer abzuprallen und drang als Echo in den Gang.

Mit einem mühsam unterdrückten Stöhnen versuchte Prosperius sich aufzurichten, doch seine Hände brannten wie die Hölle, und seine zerschundenen Knie versagten ihm den Dienst. Leise ächzend sackte er zusammen.

Ach, warum hatte er nur zugelassen, dass der Burggraf ihn aus Worms wegzerrte? Er hätte sich lieber selbst ein Bein brechen sollen, dann hätte sein Herr ihn zurücklassen müssen, und er wäre jetzt sicher in der Stadt.

In seiner Verzweiflung schickte er ein inbrünstiges Gebet an die heilige Liutbirg, auf dass die Mönche es nicht zuwege brächten, die Lampe anzuzünden, oder sie sie zur Umkehr bewegen möge. Doch die Heilige schien just anderweitig beschäftigt und erhörte ihn nicht. Ein freudiges »Heureka« klang hinter ihm auf. Offenbar war es den Mönchen gelungen, der Lampe ein Flämmchen zu entlocken. Tränen des Jammers rollten Prosperius über die Wangen, als er sich aufrappelte. Der Boden schien ihm zu uneben, um sich aufrecht vorwärtszutasten, und so kroch er, der Pein in Händen und Knien zum Trotz, auf allen Vieren weiter. Dass der Gang alsbald in Liutbirgs Klause einmünden müsste, wo es Nischen und Pfeiler, Spalten und Ecken gab, hinter denen man sich verbergen konnte, tröstete ihn nur wenig, doch war der Gedanke daran zumindest ein Hoffnungsschimmer.

Einst hatte die heilige Liutbirg hier in der Einsamkeit der Höhle Gott gedient, hieß es im Volksmund. Später war die Klause dem Reichsstift in Quedlinburg übergeben worden, das sie dem Erzengel Michael geweiht hatte. Im Gedächtnis der Haruden war die Höhle jedoch unauslöschlich mit Liutbirg verbunden, und wenn ein Pilger sich hierher verirrte, richtete er seine Gebete an jene Heilige, die unvergessen geblieben war.

»Bruder Adelbald!«

Der Ruf hallte gedämpft und eigentümlich verzerrt zwischen den hohen Wänden des Gangs und veranlasste Prosperius, schneller voranzukriechen. Fetzen eines ärgerlichen Gedankenaustauschs klangen hinter ihm auf.

»... ist nicht hier, wie ich vermutet ...«

»... könnten wir jetzt bereits im Kloster ...«

»... aber vielleicht verletzt und wir ...«

Plötzlich glitt die Ahnung eines Lichtschimmers über Prosperius hinweg. Erschrocken hielt er den Atem an. Der schwache Schein verschwand so rasch, wie er gekommen war, doch er hatte ausgereicht, um ihm zu zeigen, dass der Gang sich nur ein paar Schritte vor ihm verbreiterte. Erleichtert holte Prosperius Luft und richtete sich schwankend auf. Der Schmerz, der in seinen aufgeschürften Händen und den lädierten Knien pochte, trieb ihm erneut die Tränen in die Augen, doch dieses Mal biss er die Zähne zusammen und blieb aufrecht. Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang.

»Bruder Adelbald!«

»Hörst du uns?«

Stimmen und Schritte schienen dicht hinter ihm zu sein, und die Wand bekam sichtbare Konturen.

›Adelbald ist nicht hier, sonst hätte er doch schon längst geantwortet. Was ist das überhaupt für ein absurder Gedanke, den Bruder ausgerechnet in einer finsteren Höhle zu suchen?‹, haderte Prosperius im Stillen mit seinen Verfolgern, während er rasch einen Blick zurückwarf.

Außer dem Lichtschimmer ihrer Lampe war von den Mönchen noch nichts zu sehen.

Unvermittelt wich die Wand unter seinen tastenden Händen zurück, und er griff ins Leere. Mit einem erleichterten Aufatmen stolperte Prosperius um die Ecke in die Felsenhalle hinein, just in dem Moment, als das Licht hinter ihm hell aufflammte.

Noch ehe er sich fragen konnte, ob die Mönche ihn womöglich noch gesehen hatten, stieß sein Fuß gegen ein Hindernis. Hastig bückte er sich und tastete danach, um festzustellen, wie er daran vorbeikommen könnte.

Seine Hände trafen auf kaltes Metall. Dann auf nachgiebigen Stoff. Schließlich auf eine klebrige Feuchtigkeit, die an seinen Fingern haften blieb.

Kostbare Augenblicke verstrichen, während sein Gehirn sich weigerte, das Bild zu formen, das sich ihm aufdrängte. Und erst als der Schein der Lampe auf sein Gesicht fiel und unmittelbar darauf die vier Mönche den Eingang zu Liutbirgs Klause ausfüllten, kroch ein erstickter Schrei aus Prosperius’ Kehle.

KAPITEL 1

Worms, 20. Siwan im Jahr 4826
nach Erschaffung der Welt
(16. Juni im fahre des Herrn 1066)

Grelles Licht schlug Rifka entgegen, als sie mit einem Korb auf dem Arm aus dem Haus trat. Die Luft flimmerte vor Hitze. Für einen Moment blieb sie stehen und schloss geblendet die Augen. Eine schwache Brise streifte ihr Gesicht, brachte den Geruch nach Gewürzen und Früchten, Unrat und Schweiß und fauligem Flusswasser vom nahe gelegenen Rhein mit sich – doch keine Kühlung.

In diesem Jahr war der Sommer früh gekommen. Seit Schawuot, dem Erntedankfest, hatte sich kein einziges Wölkchen mehr am Himmel gezeigt, und der Staub, den Mensch und Tier vom trockenen Boden aufwirbelten, war ebenso allgegenwärtig wie der Lärm, der stets auf den Gassen herrschte.

»Vergiss nicht, Schabbatkerzen vom Wachszieher mitzubringen, Herrin. Und lass dich nicht übervorteilen, hörst du? Abraham kann dir die Fibel vom Leib schwatzen, ehe du es merkst, wenn du ihn lässt. Du musst dich sputen, es ist bald Mittag. Und hab Acht auf dich!«, hörte Rifka die Stimme ihrer alten Magd aus dem Halbdunkel der Diele.

»Ja, ja«, rief sie zurück, halb belustigt, halb ärgerlich, bevor sie rasch die Tür hinter sich schloss.

Obwohl es schon über ein Jahr her war, dass Rifka das väterliche Heim verlassen hatte, um mit Joschua ben Jehuda das Ehegelöbnis unter der Chuppah zu sprechen, hätschelte Hannah sie immer noch wie ein Kind.

›Ich werde alt und grau sein, bevor sie das aufgibt‹, dachte sie mit einem Anflug von Ungeduld.

Bereits erhitzt, strich Rifka den Schleier zurück, der ihr tiefschwarzes Haar bedeckte, und hob sich den Korb auf die Schulter.

Doch in einem hatte Hannah Recht: Sie sollte sich beeilen. Das Haus musste blitzblank und alle Mahlzeiten mussten vorbereitet sein, bis sie am Abend zu Ehren des Schabbats die Kerzen anzünden und den Segen darüber sprechen würde, wie es ihr Vorrecht war.

Ein Lächeln freudiger Erwartung glitt über Rifkas Gesicht, während sie sich geschickt an einer Gruppe junger Männer vorbeischob, die, in eine heftige Debatte vertieft, vor ihrem Haus stehen geblieben waren.

»Der Todesengel sprach mit Rabbi Josua ben Levi, als er darum bat, er möge ihm seinen Platz im Paradies zeigen ...«, hörte sie einen der Männer argumentieren.

»Rabbi Gershom sagte jedoch, der Todesengel sei ...«

»Schabbat Schalom«, grüßte Rifka.

Die Debatte verstummte. Für einen Augenblick sahen die jungen Männer sie irritiert an, ehe sie den Schabbatgruß erwiderten und ihr Gespräch sogleich mit unverminderter Leidenschaft Wiederaufnahmen.

Rifka war nicht überrascht, und ihr Lächeln verscheuchte den ernsten Ausdruck, der trotz ihrer Jugend die großen, dunklen Augen immer ein wenig zu überschatten schien.

Als Tochter eines Gelehrten war sie daran gewöhnt, dass den Männern der Blick auf ihre Umwelt verloren ging, sobald es um Tora und Talmud ging. Eine Eigenschaft, die auch ihr junger Gatte teilte. Hatte Joschua erst seine Nase in den Schriften vergraben, schien daneben kein Platz mehr für die praktischen Dinge des Lebens zu sein. Mochte er aber auch in alltäglichen Belangen ein wenig unbeholfen sein, so war er ihr doch ein liebevoller Ehemann, und sie war stolz darauf, ihn an der Talmudschule zu Worms studieren zu sehen. Die Jeschiwa hatte weit über die Grenzen des fränkischen Reiches hinaus Berühmtheit erlangt. Hier lehrten die Schüler des großen Rabbi Gershom, und hier hatte auch noch bis vor einem Jahr Rabbi Schlomo ben Yitzchak gelernt und gelehrt, dem man trotz seiner Jugend bereits den Ehrennamen Raschi verliehen hatte.

»Schabbat Schalom, Rifka!« Der Ruf übertönte das vielfältige Stimmengewirr auf der Gasse: Das Jiddisch der Bewohner des Viertels, die fränkischen Dialekte der Christen sowie fremde Laute wie Gälisch, Französisch und die Sprache der Briten.

Rifka blieb stehen und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nach dem Rufer Ausschau zu halten. Endlich entdeckte sie auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse Sarah, die Frau des Goldschmieds, inmitten einer kleinen Schar schwatzender Frauen. Sie winkte ihr zu und gestikulierte, sie möge sich dazugesellen. Kaum hatte Rifka bedauernd den Kopf geschüttelt, als Sarah und die Frauen hinter einer Staubwolke verschwanden, die ein Ochsenkarren hinter sich aufwirbelte. Schwerfällig und bis über die Latten hinaus mit prallgefüllten Säcken beladen, rumpelte das Gefährt an ihr vorbei. Eines der Räder holperte über einen Stein, der Karren begann bedenklich zu wanken.

Rifka sprang hastig zurück. Unwillkürlich schrie sie auf, als ihr Rücken gegen einen Körper prallte und ihr Korb zu Boden fiel.

»Mince alors!«, zischte eine Stimme.

Kräftige Hände packten sie und schoben sie grob von sich. Erschrocken fuhr Rifka herum. Für einen Augenblick sah sie gelbe Zähne zwischen einem ungepflegten, dunklen Bart aufblitzen und ein Holzkreuz, das um einen schweißglänzenden Hals baumelte, dann hatte der Mann ihr auch schon den Rücken zugekehrt.

»Verzeiht«, murmelte sie. Da er aber nicht geneigt schien, sich noch einmal umzudrehen und ihr die Höflichkeit einer Antwort zu erweisen, klaubte sie ihren Korb vom Boden auf und schickte sich an, ihren Weg fortzusetzen.

Plötzlich hielt sie inne und drehte sich beunruhigt um.

Christen waren im jüdischen Viertel kein ungewöhnlicher Anblick. Mochte ein Jude auch noch immer kein gern gesehener Gast in den meisten Häusern der Christen sein, und mochte auch hie und da der Ruf nach Rache an einem Volk aufflackern, das den gekreuzigten Sohn ihres Herrn leugnete, so blühte doch der Handel. Christen schätzten die Kleinodien aus den Werkstätten jüdischer Goldschmiede, das Töpfer- und Stickwerk jüdischer Frauen, die Dienste jüdischer Zimmerleute, ebenso wie Seide, Brokat, Gewürze, Früchte und Kräuter, Sklaven und Waffen, die jüdische Händler über uralte Wege aus Palästina, Persien und Indien herbeischafften. Zwischen Dom und Synagoge herrschte ein reger Austausch um die Auslegung der fünf Bücher Mosches. Nicht selten sah man auf der Gasse sogar die Robe eines Stiftsherrn unter den Tallitot, den schwarzweiß gestreiften Gebetsmänteln jüdischer Männer, und hörte ihre Stimmen laut und eifrig um einen Psalter debattieren.

Warum, in aller Welt, beunruhigte sie nun gerade der Anblick dieses Mannes, dieses Christen?

Nachdenklich musterte Rifka seinen breiten Rücken. Er war nicht weitergegangen. Mit lässig überkreuzten Beinen lehnte er mit einer Schulter an der Wand des Hauses ihres Nachbarn, und es hatte den Anschein, als würde er die Gasse im Auge behalten.

Er trug einen leichten Umhang, die braune Farbe bereits verblasst. Tunika und Beinlinge, die darunter hervorschauten, waren mehrmals und von nachlässiger Hand geflickt worden und hatten, wie der Umhang, zweifellos schon bessere Tage gesehen. Dennoch schien er weder Bauer noch Tagelöhner zu sein. Die Tunika besaß zu beiden Seiten lange Schlitze, wie Reiter sie bevorzugten, um besser im Sattel zu sitzen. Die Schuhe waren aus Leder, und seine Haltung drückte trotz des Anscheins von Lässigkeit angespannte Aufmerksamkeit aus.

›Womöglich ein Krieger?‹, grübelte Rifka. Ein Söldner vielleicht, da er doch der Sprache nach ein Welscher zu sein schien.

Etwas an ihm kam ihr vertraut vor. So, als hätte sie ihn schon einmal gesehen.

Vor Anstrengung, sich genauer zu erinnern, runzelte sie die Stirn.

Dann fiel es ihr wieder ein.

Es war einen Tag nach Schawuot gewesen, als sich die ganze Familie vor dem Haus versammelt hatte, um Joschuas Vater zu verabschieden. An jenem Tag war Jehuda mit seiner Karawane nach Sachsen aufgebrochen. Esther, Rifkas Schwägerin, hatte wie immer genörgelt und mit ihrer durchdringenden Stimme die halbe Gasse wissen lassen, wie unzufrieden sie damit war, dass der Kaufmann selbst die Karawane begleiten würde. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, dass Esra, Esthers Ehemann und Joschuas Bruder, dem Unternehmen vorstehen sollte. Doch dann hatte der alte Kaufmann ganz plötzlich verkündet, dass er selbst die Karawane zu begleiten wünsche. Esther war es nicht gelungen, ihren Ärger darüber zu verbergen, denn nun würde auch nichts vom Gewinn des Handels auf Esra abfallen.

Und während Esther noch auf Jehuda einschwatzte, er möge seine Entscheidung doch noch einmal überdenken, und sogar sein fortgeschrittenes Alter ins Feld führte, hatte Rifka den Mann bemerkt, der an der Ecke des Nachbarhauses stand und Esthers Auftritt aufmerksam zu verfolgen schien.

Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht, doch nun ...

Stand er womöglich hier, um ihr Heim zu beobachten?

Unwillkürlich sah Rifka sich um.

Die Judengasse war die längste Gasse im Viertel und folgte dem Bogen der nördlichen Stadtmauer von der Lauergasse im Osten bis zur Zwerchgasse im Westen. Auf der einen Seite waren die Reihen der Häuser von schmalen Gässchen durchbrochen, und ein großer Platz beherbergte Synagoge und Jeschiwa. Auf der gegenüberliegenden Seite schmiegten sich die Häuser an die Stadtmauer.

Jehuda ben Eliesar war einer der wohlhabendsten und angesehensten unter den Händlern von Worms. Sein Anwesen stand am Ende der Judengasse. Mochte das Haus auch nicht das größte im Viertel sein, so doch gewiss eines der schönsten mit seinem glänzend neuen Fachwerk. An der Rückfront, von hier nicht einsehbar, schloss sich ein weiträumiger Schuppen an, der teils als Stall und Scheune und teils als Warenlager diente. Hinter dem Haupthaus bog ein schmales Gässchen nach rechts und führte an der Stadtmauer entlang weiter zur Lauergasse. Gegenüber dem Anwesen des Kaufmanns prunkte das Haus des Goldschmieds mit beeindruckender Größe, die Sarah, sein Weib, nicht müde wurde hervorzuheben.

Rifkas Blick kehrte zu ihrem Heim zurück, und sie betrachtete die weiß gekalkte Fassade, in dem das dunkle Holz der Trägerbalken in der Sonne wie frisch gehobelt glänzte.

Ein flüchtiger Gedanke streifte sie, die Erinnerung an einen beunruhigenden Augenblick, der ebenfalls in Zusammenhang mit Jehudas Abreise stand. Was war es nur gewesen?

Noch einmal rief sie sich jenen Tag ins Gedächtnis.

Jehuda hatte Esthers Lamentieren mit beneidenswerter Gelassenheit hingenommen, hatte ihr mit einem angestrengten Lächeln übers Haar gestrichen und gemeint, sie würde sich nicht wirklich wünschen, ihren Ehemann statt seiner nach Sachsen zu schicken. Dann hatte er sie umarmt und sie sanft, aber bestimmt zur Seite geschoben, um sich auch von Rifka und seinen Söhnen zu verabschieden. Und dann war er gegangen.

Tief in Gedanken schüttelte Rifka den Kopf.

Vor ihrem inneren Auge sah sie den betagten Kaufmann vor sich, wie er sich noch einmal umdrehte.

›Er wird den Reisesegen sprechen‹, hatte sie gedacht und gelächelt, weil sie das Gebet sehr mochte:

... Möge es wohlgefällig von dir sein, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, uns in Frieden zu geleiten, uns in Frieden dahinschreiten zu lassen, uns zu stützen und zum Ziele unseres Wunsches zu führen, zum Leben, zur Freude und zum Frieden, und lass uns in Frieden in unser Haus zurückkehren ...‹

Doch Jehuda sprach kein Gebet.

»Er hat mich vermauert, dass ich nicht herauskann, und mich in harte Fesseln gelegt«, zitierte er aus dem Klagelied.

Überrascht hob Rifka die Brauen und schaute fragend zu ihrem Gatten hinüber. Aber Joschua sah seinen Vater an.

»Die Liebe des Ewigen, dass sie noch nicht aufgehört, dass noch nicht zu Ende ist sein Erbarmen«, antwortete er ebenfalls mit einem Vers aus dem Klagelied, und die verwegenen braunen Locken in seiner Stirn wollten nicht recht zum Ernst in seiner Stimme passen.

Jehuda hatte langsam genickt, doch die tiefe Sorge war nicht gewichen, die Rifka in den dunklen, von ungezählten Fältchen umgebenen Augen zu sehen geglaubt hatte.

Und dann ...?

Dann war plötzlich Beni, der Stallknecht, hinter dem Haus hervorgestolpert, vergebens nach der Mistgabel grapschend, die ihm aus der Hand zu fallen drohte. Es hatte unheimlich komisch ausgesehen, wie der lange Kerl wild mit den Armen ruderte, um den Stiel doch noch zu erwischen, dabei über seine eigenen Füße gestolpert und dann platt auf die Nase gefallen war. Beni war mit dem Schrecken davongekommen, und sein unfreiwilliges Missgeschick hatte für Heiterkeit gesorgt. Die angespannte Stimmung war mit einem Mal verflogen gewesen.

Bis heute hatte Rifka nicht mehr daran gedacht. Weder an Jehudas düsteren Abschiedsgruß noch an den Mann, der an der Ecke gestanden und zugesehen hatte. Doch jetzt erinnerte sie sich an den Blick, den Jehuda seinen Söhnen zugeworfen hatte, als er den Vers aus dem Klagelied sprach.

Trotz der Hitze lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.

Sie hatte Furchtsamkeit gesehen, die sie an Jehuda ben Eliesar nicht kannte.

Wovor hatte sich Joschuas Vater gefürchtet?

Als wäre sie festgefroren, starrte Rifka den Franzosen an, der noch immer an derselben Stelle stand und ihr den Rücken zukehrte. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Redete sie sich hier etwas zusammen, das gar nicht zusammengehörte? Zwei Eigentümlichkeiten, die überhaupt nichts miteinander zu tun hatten?

Als hätte er Rifkas Blick gespürt, drehte sich der Welsche plötzlich um. Einen Lidschlag lang kreuzten sich ihre Blicke. Ohne eine Regung zu zeigen, glitt sein Blick weiter, und Rifka atmete erleichtert auf.

Was spann sie nur für unsinnige Gedanken?

›Törichte Gans!‹, rief sie sich streng zur Ordnung. Der Welsche mochte ein Dutzend Gründe haben, hier zu stehen. Vielleicht suchte er Arbeit und wartete auf den rechten Mann, um ihn anzusprechen, vielleicht wollte er sich hier mit jemandem treffen, und womöglich ruhte er sich auch nur für eine Weile aus und würde seinen Weg bald wieder fortsetzen.

Und die unbestimmte Angst, die sie in Jehudas Blick zu sehen geglaubt hatte, mochte ihrer eigenen Sorge entspringen, die sie bei seiner Abreise empfunden hatte. Handelsfahrten auf des Königs Straßen waren stets auch mit Gefahren verbunden.

›Hier stehe ich herum, gaffe den Rücken eines Wildfremden an, während sich mein Tagwerk nicht von selbst erledigt!‹, dachte sie, ärgerlich auf sich selbst. Entschlossen drehte sie sich um und setzte endlich ihren Weg fort.

Doch die Besorgnis wich nur zäh. Als Rifka mit vollem Korb nach Hause zurückkehrte, war sie selbst überrascht, welche Last ihr von der Seele fiel, als sie den Franzosen nirgendwo mehr entdecken konnte.

KAPITEL 3

Amen«, beendete Bruder Fridegist das Tischgebet und fuhr im selben Atemzug fort: »Ich will Euch keineswegs drängen, Burggraf, doch Vater Hademar wird das Feuer auf dem Mittelberg bei Sonnenuntergang segnen. Wir sollten uns mit der Mahlzeit beeilen.«

Bandolf von Leyen, der während des Gebets auf den graubraunen Inhalt seiner Schüssel gespäht und sich gefragt hatte, was für eine Art Eintopf das darstellen sollte, hob den Kopf.

Da der Palas noch nicht fertiggestellt war, hatte sich der Burggraf von Worms, seit jüngster Zeit auch Vogt des Königs auf der Buchenburg, bei seiner Ankunft in Sachsen in die bedrückende Enge des Bergfrieds einquartiert gefunden. Zwar maß der stattliche Turm von außen gut und gerne fünfunddreißig Fuß von Kante zu Kante, im Innern konnten es jedoch kaum mehr als fünfundzwanzig sein. Einen Gutteil des Raumes nahm die Wendeltreppe ein, die zur Waffenkammer und weiter hinauf zum Ausguck führte. Der klägliche Rest der düsteren Kammer diente ihm als Halle.

Nur wenig Sonnenschein gelangte durch die Schießscharten von draußen ins Innere des Turms, und das Herdfeuer spendete mehr Qualm als Licht. Zwar hatte man versucht, der Dunkelheit mit Fackeln beizukommen, doch der Erfolg war allenfalls mäßig.

Der Burggraf warf einen Blick über den Tisch, an dem sich das Burggesinde zur abendlichen Mahlzeit versammelt hatte.

Zu seiner Rechten saß Bruder Fridegist, wie es ihm als Burgkaplan zukam, und neben ihm Meister Sigbrecht, der vierschrötige Baumeister. Gegenüber dem Kaplan, zu Bandolfs Linken, hatte sein Marschalk Herwald Platz genommen. Der große, hagere Mann löffelte den Eintopf bedächtig und ebenso schweigsam wie Ingild, die oberste der sächsischen Mägde. Eine weitere Magd und zwei Knechte taten sich am unteren Ende der Tafel am Eintopf gütlich. Zwischen Ingild und Herwald klaffte eine Lücke. Hier pflegte Prosperius, sein junger Schreiber, die Mahlzeiten in sich hineinzuschaufeln.

Der Burggraf runzelte die Stirn. Er hatte Prosperius nach dem Mittagsmahl nach Egininkisrod geschickt. Das Dorf lag höchstens eine Wegstunde von der Burg entfernt, und jetzt war es bereits nach der Vesper. Was hielt den Burschen nur so lange auf?

»Wir sollten uns nicht allzu spät auf den Weg machen«, brachte sich Bruder Fridegist in Erinnerung.

»Wozu die Eile?«, erkundigte sich Bandolf. Bislang hatte er nicht den Eindruck gehabt, als pflegte sich sein Burgkaplan durch übermäßigen Eifer hervorzutun.

Bruder Fridegists wulstige Lippen zerflossen zu einem Lächeln.

»Das Landvolk erwartet, dass Ihr dem Fest beiwohnt, und Vater Hademar wäre es gewiss schmerzlich, würdet Ihr erst nach dem Segen auf dem Fest erscheinen«, gab er zur Antwort.

»Tatsächlich? Man möchte kaum glauben, dass dem Abt von Sankt Mauritius so sehr an meiner Anwesenheit gelegen wäre«, bemerkte der Burggraf trocken.

»Nun, womöglich habt Ihr Vater Hademars zurückhaltende Natur ein wenig missdeutet?« Bruder Fridegist nickte, und sein erstaunlich großer Kopf schwankte bedenklich, als wolle er jeden Augenblick von seinem dürren Hals herunterfallen. Er war von schmächtigem Wuchs, mit dünnen Armen und Beinen. Im Gegensatz dazu wölbte sich sein Leib jedoch recht üppig über die Kordel seiner Kutte.

»Das denke ich nicht.«

»Es mag Vater Hademar womöglich auch ein wenig verstimmt haben, dass Ihr dem Kloster das Wegerecht und Jagdprivileg zwischen Mittelberg und Buchenfels abgesprochen habt?«, meinte Bruder Fridegist mit einem Hüsteln.

»Weder Jagdprivileg noch Wegerecht waren je das Eigen des Klosters, und nicht ich forderte die Privilegien zurück, sondern der König«, erklärte Bandolf scharf.

»Gewiss, gewiss.«

Gereizt verdrehte der Burggraf die Augen. Allmählich war er es leid, die Aufträge seines jungen Herrschers ständig zu rechtfertigen, und während er sich einen Löffel des unansehnlichen Breis in den Mund schob, dachte er an den vor Zorn erstarrten Abt von Sankt Mauritius, nachdem einer seiner Mönche den Brief des Königs an ihn vorgelesen hatte.

Bandolfs Miene verfinsterte sich noch mehr, als der saure Geschmack essiggetränkter Linsen seine Eingeweide zusammenzog. Er warf Ingild einen verärgerten Blick zu, den die Magd jedoch nicht zu bemerken schien. Am Morgen hatte er ihr gesagt, eine Spur mehr Würze würde ihren Mahlzeiten gewiss nicht schaden, und nun hatte sie seine Missachtung ihrer Kochkünste offenbar mit einem tiefen Griff ins Essigfass gerächt.

Während Bandolf mit Abscheu in seine Schüssel starrte und wehmütig an die schmackhaften Eintöpfe dachte, die seine Gattin und ihre Magd zu zaubern verstanden, überfiel ihn unversehens tiefe Sehnsucht nach seinem Weib und seinem Heim.

Er seufzte schwer.

Trotz ihrer heftigen Einwände hatte Bandolf seine Gemahlin in Worms zurückgelassen.

»Aber ich bin nur schwanger, nicht siech«, hatte Matthäa empört widersprochen, als er ihr erklärte, dass er ohne sie nach Sachsen aufbrechen würde.

»Eine solche Reise ist unsicher, mein Herz. Wegelagerer und alles mögliche Gesindel treiben auf den Straßen des Königs ihr Unwesen. Die Burg im Harudengau ist zudem noch im Bau befindlich, da stünden Euch weder Palas noch Kemenate zur Verfügung. Und ringsherum gibt es nichts weiter als düstere Wälder. Ganz abgesehen davon wollt Ihr unseren Sohn doch auch gewiss nicht ohne den Beistand der Heilerin zur Welt bringen?«

Matthäa hatte ihm ein nachsichtiges Lächeln geschenkt und mit einem Blick aus ihren schönen, rehbraunen Augen bedacht, der seinen Entschluss gefährlich ins Wanken brachte.

»Das schreckt mich nicht, glaubt mir. Ihr macht Euch viel zu viele Gedanken. Nicht einmal die Kaiserin Agnes hat gezögert, ihren Gatten über die Alpen zu begleiten, als sie schwanger war. Wie sollte ich mir da über ein paar Unbequemlichkeiten den Kopf zerbrechen? Und was den Beistand betrifft: nun, ich habe Garsende gefragt. Sie wäre bereit, uns nach Sachsen zu begleiten.«

›So ein verflixtes Weibsbild‹, hatte Bandolf im Stillen geflucht, war er doch davon überzeugt gewesen, dass Garsende die Erste wäre, seiner Gattin eine solche Reise in ihrem Zustand auszureden.

»Macht doch kein so bärbeißiges Gesicht«, hatte Matthäa gelacht. »Ich versichere Euch, Eurem Sohn und mir wird nichts geschehen.« Und mit einem Kuss, den sie auf seine bärtige Wange hauchte, hatte sie ihn stehen lassen.

Solange sie die Heilerin an ihrer Seite wüsste, würde er Matthäa die Reise nur schwer ausreden können, zumal er auch nicht die geringste Lust verspürte, sein Weib mit einem strengen Befehl zu kränken. Widerstrebend beschloss er, Garsende aufzusuchen.

Bandolf traf die Heilerin beim Anrühren einer ihrer streng riechenden Pasten an.

»Wie konntest du mir nur derart in den Rücken fallen«, fuhr er sie an, kaum, dass er ihre Hütte betreten hatte.

Garsende begrüßte ihn mit einem Seufzen. »Womit habe ich mir denn dieses Mal Euren Unmut zugezogen?«

»Matthäa besteht darauf, mich ins Sächsische zu begleiten«, fauchte er. »Und anstatt ihr die Flausen auszureden, bestärkst du sie auch noch darin.«

Erstaunt hob Garsende die Brauen. »Ihr messt mir zu viel Ehre bei, wenn Ihr glaubt, ich könne Eurer Gattin irgendetwas ein- oder ausreden.«

Bandolf warf ihr einen raschen Blick zu. Die hochgewachsene Gestalt der Heilerin steckte in einem schlichten Gewand, und der dicke, braune Zopf, der ihr über den Rücken bis zur Hüfte fiel, schien ihre Größe noch zu unterstreichen. Ein lebhaftes Lächeln pflegte Garsendes herbe Züge ansprechender zu machen, doch seit den Ereignissen im Frühjahr schien dieses Lächeln selten geworden zu sein.

Nachdenklich betrachtete Bandolf ihr schmales Gesicht. Er hatte nur mehr eine vage Erinnerung daran, was in jener Hütte geschehen war, aber bisher hatte sich nie die rechte Gelegenheit geboten, sie danach zu fragen. Für einen Moment überlegte er, ob er sich jetzt danach erkundigen sollte, doch sie fuhr bereits fort:

»Ich habe der Burggräfin wohl die Beschwerlichkeiten einer solchen Reise vor Augen geführt. Aber wie es scheint, ist sie gewillt, die Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen.«

»Matthäa hat bereits ein Kind verloren«, brummte Bandolf. »Soll es ihr wieder so ergehen?«

»Ein heftiger Sturz von der Treppe ist etwas ganz anderes als eine Reise. Noch dazu im Frühsommer.« Garsende runzelte die Stirn, und mit einem Mal sah er sich mit einem scharfen Blick bedacht. »Frauen haben ihre Männer zu allen Zeiten auf Reisen begleitet. Warum seid Ihr so beunruhigt? Da ist doch noch mehr, das Ihr befürchtet?«

Unschlüssig, was er ihr antworten sollte, ließ Bandolf seinen Blick über Töpfe, Tiegel, Krüge und die unzähligen Kräuterbündel wandern, die jeden freien Winkel in der Hütte zierten.

Er seufzte. Garsende würde ja doch keine Ruhe geben, ehe er ihr eine befriedigende Erklärung gegeben hatte. Mit einiger Mühe schob er seinen großen, stämmigen Körper auf die Bank hinter dem mit allerlei Grünzeug überladenen Tisch.

»Die Lage in Sachsen ist angespannt, um nicht zu sagen, feindselig«, sagte er endlich.

Schweigend nahm Garsende ihm gegenüber Platz.

»König Heinrich ist in Schwierigkeiten«, fuhr er fort. »Seit seine Mutter, Kaiserin Agnes, und später dann die Erzbischöfe Anno von Köln und Adalbert von Bremen in der Zeit ihrer Vormundschaft über den König seine Krongüter mit vollen Händen an die Fürsten verteilt haben, mangelt es dem König an Einkünften. Noch bevor er gestürzt wurde, verfiel Erzbischof Adalbert von Bremen auf den Gedanken, Heinrich könne seine Krongüter in Sachsen zurückfordern, um diesen Mangel zu beheben.«

»Das verstehe ich nicht«, unterbrach ihn Garsende. »Warum muss der König sie zurückfordern? Gehören sie ihm denn nicht?«

Der Burggraf verzog das Gesicht.

»Die Ländereien haben einst den Liudolfingern gehört, dem sächsischen Herrschergeschlecht der Ottonen«, erklärte er. »Als der letzte Kaiser aus dieser Sippe ohne direkten männlichen Nachkommen starb, wurde ein Salier zum König gewählt: Konrad II. aus fränkischem Geschlecht. Nach seiner Wahl forderte Konrad auch die Ländereien des letzten ottonischen Kaisers in Sachsen als sein Krongut ein. Er war der Ansicht, dass er als Erbe der Krone auch rechtmäßiger Erbe jener Ländereien sei. Die sächsischen Edlen, namentlich Verwandte der Ottonen, waren jedoch anderer Meinung und beanspruchten die Ländereien für sich.«

Für einen Augenblick hielt er inne und strich sich nachdenklich über den Bart. »Konrads Lage dazumal war verzwickt«, sagte er schließlich. »Die Sachsen taten sich ohnehin schwer damit, einen fränkischen Salier als König anzuerkennen. Hinzu kam, dass in jener Zeit auch Rudolf III., der König von Burgund, starb. Auch ohne direkten Nachkommen. Und König Rudolf von Burgund übergab seine Krone dem fränkischen Reich, in Gestalt Kaiser Konrads II. Auch Rudolfs Sippschaft war mit diesem Schritt keineswegs einverstanden und machte Konrad die Krone von Burgund mit Waffengewalt streitig. Konrad war damit beschäftigt, seinen Anspruch in Burgund durchzusetzen, und konnte es sich nicht leisten, sich auch noch durch eine Auseinandersetzung mit dem sächsischen Adel zu verzetteln. Also vernachlässigte er das sächsische Krongut, und sein Nachfolger, König Heinrichs Vater, tat es ihm gleich.«

Fragend sah er Garsende an. »Hast Du das verstanden?«

»Die Sachsen mochten das Krongut nicht hergeben, das der fränkische Konrad von seinem sächsischen Vorgänger geerbt hatte«, wiederholte sie gehorsam.