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Florek • Neue Trading-Dimension

Erich Florek

NEUE
TRADING-DIMENSIONEN

Nutzen Sie das Erfolgspotenzial modernster Börsentechniken

Für Fragen und Anregungen:
florek@finanzbuchverlag.de

Nachdruck 2012

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesamtbearbeitung: Michael Volk, München

ISBN Print 978-3-89879-734-4

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter
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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zum Buch

Danksagungen

Teil 1 Einleitung

1 Grundlegende Betrachtungen

Warum die meisten Analysten falsch liegen?

Weshalb Menschen an der Börse Geld verlieren?

Was Sie dagegen tun können?

2 Kennen Sie die Fallstricke der Technischen Analyse?

Die KISS-Falle

Bremsklötze

Die unbekannten Mängel herkömmlicher Chart-Programme

Popularität von Uralt-Indikatoren

Starre Anwendung vereinfachter Regeln

Teil 2 Jenseits der traditionellen Chart-Analyse

3 Moderne Chart-Formen der Darstellung

Herkömmliche Charts

Three Line Break-, Renko-, Kagi-Chart

Equivolume- und Candlevolume-Charts

Support-Resistance Profile

Market Profile

Activity Bars

4 Trendlinien-Faszination

Trendpsychologie

Die Trendlinien-Differenz-Methode

Floreks Trendlinien-Kreuzungspunkte

Bill Wolfe’s „Wolfe Waves“

5 Auf der Suche nach neuen Chart-Formationen

Lindas „Turtle Soup“-Formation

Pattern

Eröffnungskurs-Formationen

Teil 3 Die Technischen Indikatoren

6 Unterscheidung der Indikatoren

7 Trendfolger

Die „Oldies“:

Gleitende Durchschnitte

MACD

TRIX

Die „Newcomer“:

VIDYA

Commodity Channel Index (CCI)

Point of Balance-Indikator

Die „Next Generation“:

Kaufmanns Adaptive Moving Averages

Relative Momentum Index (RMI)

Polarized Fractal Efficiency

8 Momentum-Oszillatoren

Die „Oldies“:

Momentum

RSI

Stochastik

Die „Newcomer“:

TD-Rei-Oscillator

Chaikin-Oscillator

Chande Momentum Oscillator (CMO)

Die „Next Generation“:

Projection Oscillator

Double Smoothed Stochastic (DSS)

9 Trendbestimmungs-Indikatoren

Die „Oldies“:

Directional Movement Index-Konzept (DMI)

ADX-Indikator und seine Handelsstrategien

Die „Newcomer“:

RAVI-Indikatoren

Random Walk Index

Die „Nächste Generation“:

AROON-Indikator

10 Volatilitäts-Indikatoren

Die „Oldies“:

Standard Deviation-Indikator

6/100er-Historische Volatilität

Die „Newcomer“:

Vertical Horizontal Filter (VHF)

Chaikins Volatility-Indikator

Die „Next Generation“:

Dynamic Momentum Index

11 Indikator-Generationen im Vergleich

Trendfolger-Indikatoren

Momentum-Oszillatoren

Trendbestimmungs-Indikatoren

Volatilitäts-Indikatoren

Teil 4 Tricks und Hilfsmittel

12 Der richtige Einsatz von Indikatoren

Einzelanalyse

Wie finden Sie die besten Indikator-Einstellungen

Wann verwendet man welche Indikatoren?

Formationsanalyse

Indikator-Formationen

Divergenzanalyse

Die Zonenanalyse

Floreks Interaktionsanalyse

Das Zusammenspiel der Indikatoren

Indikator-Korrelationen

Die Spread-Analyse zur Selektion von Einzelwerten

13 Wie lassen sich Indikatoren verbessern?

Die Trendlinienanalyse

Indikatoren mit gleitenden Durchschnitten

Indikatoren mit Bändern

Verweildauer und Reifezeit

Mega-Mix-Party

14 Techniken, mit denen die Profis Kursziele ermitteln

Instrumente zur Kursprognose

Kursmuster (Wellen, Range Targets, Channel Ranges)

Fibonacci-Techniken

Trendlinien-Differenzmethode

Point & Figure Kurszielbestimmung

Ganns Cardinal Squares

Instrumente zur Bestimmung von Handelsspannen

Pivot-Punkte

TD-Range Projection

Symmetrically Projected Resistances & Supports

Teil 5 Aufbruch in das 21. Jahrhundert

15 Neue Börsenlandschaften voraus

Politische und gesellschaftliche Bedenken

Zuküntiger Wirtschaftszyklus

Merkmale des Informationszeitalters

Auswirkungen auf das Arbeitsumfeld der Börsianer

16 Einblicke in die Zukunft der Technischen Analyse

Moderne Kompenenten von Chart- und Analyseprogrammen

Virtual Reality Trading mit Metaphor Mixer

Handelssysteme per „LINUX-Effekt“

Schlusswort

Teil 6 Informationen für Technische Analysten

17 Börsen und Behörden

US-Börsen

US-Behörden

Canada

Süd- und Lateinamerika

Deutschland

Europa

Osteuropa

Asien

Sonstige

18 Internetadressen der Börsen-Profis

Charting-Software

Pattern-Software

Sonstige Börsen-Software

Computerisierte Trading-Modelle und Handelsstrategien

Moderne Indikatoren und Studien

Ausbildung, Seminare, Bücher, Messen und Tipps

Bücher

Messen

Tipps für Investoren und (Day) Trader

Vereinigungen und Clubs

Fachzeitschriften und Medien

Weiterführende Link-Paradiese

Discount-Broker und Tradingplattformen

Informationsdienste, Kursdaten und Charts sowie Sonstiges

Sonstiges

Optionsschein-Info

19 Programmierbeispiele für MetaStock und TradeStation

20 Literaturverzeichnis

Bücher

Zeitschriften

Meinen Eltern

Vorwort

Obwohl sich die Technische Analyse in den letzten Jahren rasant fortentwikkelt hat, findet man insbesondere in der deutschsprachigen Fachliteratur kaum Spuren innovativer Ansätze. Bei den meisten Neuerscheinungen handelt es sich oftmals nur um Übersetzungen. Es gibt nur wenige Autoren, die wirklich neue Impulse in ihre Werke einfließen lassen. Die Gründe für diese Misere sind vielfältiger Natur. Hierzulande wäre sicherlich das fehlende Wissen und die Eigenbrötler-Mentalität zu nennen. Anstatt eines gegenseitigen Erfahrungsaustausches, behält man etwaige Erkenntnisse lieber für sich.

Da uns diese ganze Geheimniskrämerei nicht weiter bringt, wurde bei der Erstellung dieses Buches darauf geachtet, dass Sie als Leser mit vielen neuen und modernen Ansätzen der Technischen Analyse, von denen man sonst vielleicht nur in Fachmagazinen oder auf internationalen Kongressen etwas hört, versorgt werden.

Um die jeweiligen Verfahren nicht blindlings übernehmen zu müssen, werden Ihnen zum Teil recht unkonventionelle Instrumente an die Hand gegeben, mit deren Hilfe Sie lernen, die gefährlichen Klippen der Technischen Analyse zu umfahren und selber Strategien für ein eigenständiges Handeln an den Börsen zu entwickeln.

Dieses Buch wird Ihnen dabei nicht nur “goldene Eier” (Fachjargon: “Holy Grails”) und zukunftsweisende Visionen der Technischen Analyse präsentieren, sondern auch auf die vorhandenen Mängel eingehen, die oftmals überhaupt nicht bekannt sind und daher auch zu gewissen Fehleinschätzungen geführt haben, was der Technischen Analyse insgesamt geschadet hat.

Trotz aller Fehlerquellen bietet die Technische Analyse ein einzigartiges Spektrum an Analyse- und Trading-Instrumenten. Nutzen Sie dieses Potenzial, um in eine neue Dimension des Trading vorzudringen.

Danksagungen

„Auch eine Reise von 1000 Tagen fängt mit dem ersten Schritt an.“

Chinesisches Sprichwort

Ich möchte mich bei einer Reihe von Leuten bedanken, die mich zu diesem Buch inspiriert und mir bei der Fertigstellung geholfen haben. Hätte ich vorher gewusst, was da an freizeitraubenden Schritten auf mich zukommt, würde dieses Buch nur in meinem Kopf herumschwirren, nicht aber vorliegen.

Kein Buch kann ohne die Unterstützung seines Verlages gemacht werden. Daher danke ich Christian Jund und Michael Volk vom FinanzBuchVerlag München, die mich bei diesem Projekt hervorragend unterstützt haben. Ihr Drang, Bücher als drucktechnische Kunstwerke zu publizieren, und diese interessierten Lesern mit Hilfe vieler innovativer Ideen näher zu bringen, hat mir imponiert.

Außerdem möchte ich Stefan Böhm und seinen Mitarbeitern vom BÖRSE N.O.W.-Magazin in Würzburg dafür danken, dass ich meine Artikel-Ideen mit ihrer kreativen Hilfe uneingeschränkt verwirklichen und sie dann auch noch in dieses Buch einbringen durfte.

Bestimmte Ideen und Vorstellungen können sich nur durchsetzen, wenn sie von einer Lobby unterstützt und gefördert werden. Der Erfolg einer solchen Lobby hängt wiederum von organisatorischen Strukturen und vor allem von Personen ab, die sich dort engagieren. Insofern danke ich auch allen Aktiven der Vereinigung Technischer Analysten Deutschland e.V. (VTAD), dessen Mitglied ich bin.

Ich bin sehr froh und dankbar, mich mit einem kleinen Kreis von innovativen Vordenkern der Technischen Analyse und hochspezialisierten Software-Experten austauschen zu können. Zu Ihnen gehören in erster Linie Christian Holzner von Financial Systems, Miroslav Kocur von MK_Informationssysteme, Martin Weiß, Horst Wengert, Roman Becker und Henning Kober. Sie alle gehören zu der Sorte von „Technikern“, die die Technische Analyse nicht nur mit ihren eigenen herausragenden Ansätzen voranbringen, sondern sich gegenüber anderen Verfahren auch sehr aufgeschlossen zeigen. Dieser offene Gedankenaustausch hat dazu geführt, dass ich einige meiner Ideen überhaupt verwirklichen konnte. Hierzu haben auch die Verantwortlichen von M.T.H.-Midas Trading House (Ireland) plc beigetragen, die mir die für diese Arbeit notwendigen Freiräume zur Verfügung stellten.

Mein größter Dank gilt allerdings meiner Familie, die mich in den zurückliegenden Jahren auf jede erdenkliche Art und Weise unterstützte, wie auch meiner Lebenspartnerin Renate Simon, die mich auf dieser Reise von 1000 Tagen tatkräftig begleitete, und selbst noch spät abends mein Manuskript korrigierte. Vielen Dank Euch allen.

Erich Florek

Head of Technical Trading,

M.T.H.- Midas Trading House (Ireland) plc

Ziel dieses Buches ist es, . . .

. . . Ihnen die psychologischen Einwirkungen zu verdeutlichen, die Ihr Verhalten an der Börse beeinflussen können.

. . . Sie auf die typischen Fehlerquellen der Technischen Analyse und die sich daraus ergebenden Gefahren des technisch orientierten Trading hinzuweisen.

. . . Ihnen innovative und moderne Methoden der Technischen Analyse vorzustellen, mit deren Hilfe Sie Ihre Ansätze von starren Vorgehensweisen und fehlerhaften (Lehrbuch-) Standardregeln befreien können.

. . . Ihnen aufzuzeigen, wie Sie mit sehr einfachen aber dennoch praxisnahen und anwendungsfreundlichen Verfahren zum Erfolg kommen können.

. . . Ihnen im Detail zu erläutern, welche Indikatoren Sie wann und wie einsetzen können, um sich eigene Handelsregeln zu erstellen.

. . . Sie in die Zukunft der Technischen Analyse eintauchen zu lassen, Ihnen interessante Informationsquellen zu nennen und Ihnen die Formeln der neuen Indikatoren bereitzustellen.

„Markets are never wrong, opinions often are.“

Jesse Livermore

Teil Eins

Einleitung

1. Grundlegende Betrachtungen

2. Kennen Sie die Fallstricke der Technischen Analyse?


Die ersten beiden Kapitel dieses Buches sollen Ihnen ein grundlegendes Verständnis für persönliche und methodische Fehlerquellen geben, die Ihrem Erfolg an der Börse im Wege stehen.

Kapitel 1 beschäftigt sich mit den Fragen, warum die meisten Analysten falsch liegen und wir Menschen an den Börsen Geld verlieren. Obwohl viele Börsianer die Gründe ihres Misserfolges zuallererst in den Instrumenten und Methoden suchen, liegen sie eher im eigenen Ego und den damit verbundenen Verhaltensirrationalitäten begründet. Wer die Defizite menschlichen Verhaltens entdeckt hat und sie professionell zu nutzen weiß, dem wird das Tor zum Börsenerfolg automatisch geöffnet.

Das zweite Kapitel gibt Ihnen detaillierte Informationen über die verschiedenen Fehlerquellen der Technischen Analyse. Es werden u.a. auch Mängel vorgestellt, die bisher völlig vernachlässigt wurden.

„Nur wer die Fehler einer Methode kennt, der kann ihre Vorzüge auch richtig nutzen.“


1

Grundlegende Betrachtungen

Warum die meisten Analysten falsch liegen

. . . weil irren menschlich ist und weil sich an der Börse seltsame Dinge ereignen!

„Seltsam ist des Propheten Lied, doppelt seltsam, was geschieht.“

Goethe

Schwedische Journalisten haben sich nicht erst seit dem „Elch-Test“ einen Namen für ausgefallene Testverfahren gemacht. Die schwedische Zeitung „Expressen” veranstaltete vom 3. August bis 3. September 1993 einen denkwürdigen Test, bei dem gestandene Börsenanalysten gegen einen Schimpansen antraten. Sie sollten aus ihrem Startkapital von je 10.000 Kronen an der Börse möglichst viel Gewinn herausschlagen. Gegen die Profis, die ihre Aktienauswahl mit aufwendigen Research-Methoden untermauerten, trat der Schimpanse „Ola“ mit einer simplen Wurftechnik an. Unaufhörlich warf der dreijährige Schimpanse Dartpfeile gegen eine Wand in der Stockholmer Börse, an der Firmenlogos schwedischer Aktiengesellschaften hingen. Einige der so ausgewählten Werte entwickelten sich besser als die Kurse jener Firmen, die die fünf erfahrenen Wertpapierspezialisten ausgewählt hatten. Am Ende der vierwöchigen Veranstaltung war das Konto des Schimpansen auf 11.542 Kronen angewachsen. Der beste Analyst konnte dagegen nur 11.050 Kronen vorweisen – eine Affenschande für ihn und seine Zunft. Der Schimpanse „Ola“ wurde danach übrigens Stockholms prominentester Aktienguru.

In deutscher Übersetzung: Burton G. Malkiel, Börsenerfolg ist kein Zufall, München 2000

Wenngleich das Ergebnis überrascht – neu ist diese Erkenntnis nicht: Vor 20 Jahren stellte Burton Malkiels in seinem Buch „A Random Walk Down Wall Street“ die These auf, dass Dartspieler an der Börse genauso erfolgreich sein können wie ausgefuchste Analysten, denn Finanzmärkte – so seine Theorie – seien effizient. Da die Börsenkurse bereits alle Informationen widerspiegeln, hätten die Anhänger der fundamentalen Wertpapieranalyse keine Chance auf überdurchschnittliche Gewinne. Auch die Versuche der Charttechniker, die Prognosen über künftige Kursentwicklungen aus vergangenen Kursverläufen ableiten wollen, müssten demnach fehlschlagen.

Um das „affige“ Ergebnis vergessen zu lassen und die Börsenkurse besser vorhersagen zu können, sind weltweit ganze Heerscharen von Analysten bei den führenden Investmenthäusern beschäftigt. Grundlage ihrer Analysen bilden meist die traditionellen Ansätze der fundamentalen und der Technischen Analyse. Trotz großer Anstrengungen, die Trefferquote der Prognosen zu verbessern, scheitert man noch immer an der Aufgabe, Marktentwicklungen korrekt vorherzusagen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich in der nachfolgenden Abbildung die Erwartungsprognosen einiger Finanzhäuser für bestimmte Kursentwicklungen des Jahres 1997 ansieht.

Abbildung 1 Erhebliche Abweichungen der Prognosen

Die Abbildung zeigt auf, welche Abweichungen zwischen den Prognosen für 1997 und den in diesem Jahr tatsächlich erreichten Werten auftraten (siehe rechten Teil der Abbildung). Die Vorhersagen für 1998 und 1999 waren ähnlich enttäuschend. So haben einige Fundamentalanalysten beispielsweise den US-Dollar für 1998 bei 2 DM, das Öl bei 35 $ und den Goldpreis bei 450 $ gesehen, was ebenfalls als eklatante Fehleinschätzung gewertet werden kann. Obwohl der DAX 1998 sogar 6200 Punkte erreichte, konnten sich die Aktienexperten nur 4600 Punkte vorstellen. Es sind also noch immer keine Modelle entwickelt worden, die sichere Vorhersagen ermöglichen. Ähnliche Erkenntnisse sammelte auch Prof. Dr. Reinhart Schmidt von der Uni Halle. In einem n-tv-Interview am 7. Juli 1998 musste er einräumen, dass es nur sehr wenige Häuser gab, die mit ihren Prognosen besser als der Index lagen, was als Qualitätsmaßstab gilt.

Die Hauptursache für dieses Prognosedebakel ist sicherlich im Befragungsmodus zu finden. Wenn Analysten, ob technisch oder fundamental orientiert, den Kurs eines Wertes für einen bestimmten Stichtag in der Zukunft prognostizieren sollen, mag dies vielleicht für Journalisten und Laien interessant sein, ist in meinen Augen aber schlicht unseriös. Hierbei kommt dem Zufall mehr Bedeutung zu als der Qualität des Analysten. Wer eine imaginäre Glaskugel zum Maßstab macht, legt den Grundstein für Fehlprognosen und Manipulationen. Trotz der Vorhersageprobleme beider Verfahren wird in unserer fundamental und rational geprägten Investmentlandschaft noch immer sehr einseitig mit zweierlei Maß gemessen.

Während sich die Fundamentalanalysten tagein tagaus erstaunliche Fehlprognosen leisten dürfen, ohne dabei irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen – schließlich sind unvorhersehbare Ereignisse für die Fehlprognosen verantwortlich, nimmt man der Technischen Analyse jede kleine Abweichung der Marktbewegung, jede verpasste Einstiegschance und jeden sonstigen kleinen Fehler sofort übel.

Die ungleiche Bewertung beider Analyseformen liegt vor allem auch in den unterschiedlichen Zielsetzungen begründet. Während die Technische Analyse ein präzises Timing und detaillierte Handelsstrategien fokussiert, deren Erfolg oder Misserfolg für alle kurzfristig sichtbar wird, beruht die Fundamentalanalyse auf eher allgemein gehaltenen, teils unpräzisen und meist langfristig orientierten Floskeln, die oft nur den aktuellen Stand wirtschaftlicher Aktivitäten interpretieren. Da die Fundamentalanalysten ihre Einschätzungen häufig direkt nach der Veröffentlichung von Wirtschaftsdaten oder nach besonderen Ereignissen vornehmen, wirken sie oftmals beeindruckender als sie es eigentlich sind.

Sobald die Aktualität aber nachlässt, geraten Fehlinterpretationen der „Fundis” schnell in Vergessenheit. Im Juli 1998 beispielsweise berichtete ein fundamental orientierter Analyst bei einem DAX-Stand von 6100 in der Sendung „n-tv Telebörse“, wie rosig doch die Aussichten für deutsche Aktien seien. Im Oktober behauptete dort derselbe Analyst, nachdem der DAX über 2000 Punkte gefallen war, dass sich diese Korrektur bereits im Sommer abgezeichnet hätte, da die Kurse damals völlig überbewertet gewesen wären. Da sich kaum jemand an seine vorherige Aussage vom Juli erinnerte, blieb eine kritische Beurteilung durch die Öffentlichkeit aus.

Ein direkter Vergleich beider Verfahren ist sicherlich schwierig, da sie von völlig unterschiedlichen Ansätzen ausgehen. Um eine eigene Beurteilung vornehmen zu können, sollten Sie sich einfach einmal die Aussagen der verschiedenen Experten notieren und sie über einen längeren Zeitraum analysieren.

. . . weil Analysten ihre Meinungen und Analysen anpassen müssen!

Ein wesentlicher Aspekt, warum Analysten häufig falsch liegen, ist in der „Anpassungsfalle” zu suchen: Da jeder Analyst eher „gebauchpinselt” als „gescholten” werden möchte, neigt er dazu, sein Prognoseverhalten gewissen Erwartungen anzupassen. Hierbei spielen sowohl Erfahrungen, die in der Vergangenheit gemacht wurden, als auch Erwartungen von Kunden, Kollegen oder Vorgesetzten eine wichtige Rolle. Je nachdem, wie früher auf die Analysen reagiert wurde, wird ein Analyst in Zukunft bewusst oder unbewusst versuchen, möglichst nur solche Analysen herauszugeben, die ein positives Feedback versprechen. Die folgende Matrix zeigt ein Schema auf, nach dem Analysten, Sales-Leute und auch Händler bewertet werden.

Abbildung 2 Bewertungsmatrix von Analysten

o.k.: Wenn ein Analyst den Markt mit der Mehrheit richtig eingeschätzt hat, erntet er i.d.R. ein positives Feedback und erhält evtl. sogar ein „Schulterklopfen” des Vorgesetzten oder der Kollegen und Kunden. Dies erfolgt insbesondere dann, wenn die ursprüngliche Prognose deren Meinung bestätigte und sie vielleicht sogar veranlasste, eine Position einzugehen. Solche Erlebnisse prägen natürlich jeden Analysten. Um das Gefühl der Wertschätzung häufiger zu erfahren, stellt er die Prognosen in Zukunft sehr eng am Markt, so dass sie möglichst oft erreicht werden. Je mehr er von dem eigentlichen Marktgeschehen abweichen würde, desto größer wäre die Gefahr eines Misserfolges. Da sich dieser quasi in Form eines zu vermeidenden „Liebesentzuges” seitens seiner Gesprächspartner äußern würde, sind markante Abweichungen von der Mehrheitsmeinung in der Branche verpönt („Let’s stay in the main stream“).

Ghetto: Als Ergebnis dieser Konstellation kann man sich auf ein Lied von „Good Old Elvis“ einstimmen („In the Ghetto“), denn anstatt gefeiert und belobigt zu werden, wird man von Vorgesetzten, Kollegen und Kunden, die eventuell eine andere Meinung oder gar Position hatten, verärgert ins Ghetto (Ghetto = Get outta here = verschwinde) geschickt. Man wird als Besserwisser oder als Angeber abgestempelt, der „neunmalklug” auf die Richtigkeit seiner Prognosen hinweisen will. Hat ein junger Analyst erst einmal diese Erfahrung gemacht, weiß er, dass sich eine richtige Prognose nicht immer auszahlt. Für die Karriere eines Bankers ist es bekanntlich sowieso vorteilhafter, sich nicht gegen die Meinung seines Chefs zu stellen, sondern ihm letzten Endes zuzustimmen.

K.I.T.A.: Der Begriff K.I.T.A. stammt ursprünglich aus der betriebswirtschaftlichen Motivationslehre und wurde von Vera Birkenbiehl geprägt. Er steht für „Kick in the aaa ...” (Tritt in den Allerwertesten). Ein solcher Vorfall ist für die Karriere eines Analysten äußerst schädlich. Da das jeder weiß, versucht man durch gleichlautende Prognosen möglichst nicht von der Masse abzuweichen. Diejenigen Analysten, die es dennoch wagen sollten, eine abweichende Analyse einzureichen, werden entweder verspottet oder von ihren Vorgesetzten zurückgepfiffen. Schließlich möchte der Vorgesetzte nicht von Kunden oder den Vorständen seines Hauses eine entsprechende Behandlung erfahren.

So untersagte ein Arbeitgeber beispielsweise seinem Frankfurter Analysten im November 1996 bei einem Stand des Deutschen Aktienindex (DAX) von ca. 2700, öffentlich zu behaupten, dass der DAX binnen 12 Monaten durchaus 3500 Punkte erreichen könnte. Obwohl der DAX in diesem Zeitraum sogar 4400 schaffte, einigte man sich auf einen Wert von 2950, der in die Publikation dieses Hauses einfließen sollte. Schließlich sei das seriöser. In einem anderen Fall wurde einem Münchner Analysten untersagt, den US-Dollar im Frühjahr 1998 schwächer einzustufen, da das Anlagekomitee des Hauses, welches sich vorwiegend aus Vorständen zusammensetzte, die aus dem Kredit- oder Immobilienbereich stammten, eine Dollar-Long-Position hatte, und der Vorgesetzte des Analysten nicht gegen die Meinung des omnipotenten Vorstandsvorsitzenden agieren wollte. Obwohl der Analyst den Dollar unter 1,70 DM sah, was nachher auch eintraf, musste er seine Analyse bei einem Stand von 1,83 DM auf neutral umschreiben. Dies ist übrigens in einigen der renommiertesten Finanzinstituten gängige Praxis. Während das Zurückpfeifen der beiden Analysten dem K.I.T.A. zuzuordnen ist, passen die Resultate auch zu der Beschreibung des „Ghettos“.

Der Markt ist schuld: Diese Redewendung ist wiederum einer dieser Schutzröcke, hinter denen sich insbesondere Fundamentalanalysten verstecken, wenn sich der Markt nicht in die vorhergesagte Richtung begeben hat. Sollten andere Häuser ähnliche Einschätzungen gehabt haben, müssen eben unvorhersehbare Ereignisse des Marktes schuld gewesen sein. Schließlich können so viele Analysten und Methoden unter rationellen Gesichtspunkten gar nicht falsch liegen. Insofern begründet man die Fehlprognose gerne mit der Aussage, dass der Markt verrückt gespielt hat, nicht aber die Analysemethoden ineffektiv seien.

Diese Argumentation konnte man übrigens auch im Spätsommer 1998 vorzüglich beobachten. Da mussten plötzlich die schon lange vorher aufgetretenen Asien- und Russland-Krisen, der Absturz des US-Dollars und rezessive Entwicklungen (Verfall der Rohstoffpreise) herhalten, um die fallenden Aktienpreise zu erläutern. Ein Teil dieser Informationen ist wenige Wochen zuvor, als man das ganze Umfeld noch sehr bullish einschätzte, völlig ignoriert worden. Gehen Sie doch mal in ein Nachrichtenarchiv, um die Wirtschaftsnachrichten des Frühsommers 1998 nachzulesen. Trotz solcher Fehleinschätzungen zeigen Kunden und Vorgesetzte vollstes Verständnis für den Analysten, da sie selbst von den irrationalen Marktereignissen überrascht wurden, so dass eine Schelte ausbleibt. Leider muss dieses Argument immer häufiger herhalten. Als Krönung dieser Variante melden sich dann einige Wochen später immer wieder ein paar Experten zu Wort, die behaupten, dass sich diese neue Entwicklung der Märkte schon vor Wochen abgezeichnet hätte. Leider hat man solche Marktmeinungen vorher nicht hören können.

... weil Analysten Informationen selektiv wahrnehmen und unbewusst filtern !

Es gilt als gesichert, dass Menschen nur eine begrenzte Menge an Informationen aufnehmen und verarbeiten können. Um die enorme Informationsflut zu bewältigen, die uns heutzutage sogar orbital erreicht, selektiert jeder Börsianer neu eingehende Informationen nach sehr individuellen Kriterien. Die Auswahl von Informationen wird in erster Linie von

gelenkt (siehe Abbildung 3). Hierbei kommt den meisten Akteuren nicht gerade zugute, dass sie schon von frühester Kindheit daran gewöhnt wurden, eingehende Informationen oder neue Situationen so umzuformen, dass sie in ihre Denkkategorien („Schubläden“) passen. Wenn man mit Neuem konfrontiert wird, reagiert man sinngemäß mit Aussagen wie: „Das erinnert mich an ...“ oder „Das ist wie ...“ . Trader sagen dagegen häufig: „Das sieht so aus, wie das letzte ...“.

Abbildung 3 Der Informationsfilter

Die individuelle, zielgerichtete und häufig auch zweckorientierte Verarbeitung von Informationen führt dazu, dass bestimmte Daten übergewichtet oder nur diejenigen wahrgenommen werden, die die eigene Anlagestrategie unterstützen. Schließlich muss man seine bisherige Meinung irgendwie rechtfertigen. Informationen, die sich in kein bekanntes Schema pressen lassen, werden herausgefiltert, vereinfacht, meinungskonform ergänzt oder nach dem Prinzip der Ähnlichkeit subjektiv eingestuft. Da sich kaum ein Marktteilnehmer diesen Prozessen entziehen kann, sind eklatante Fehlprognosen vorprogrammiert.

Besonders problematisch ist die Tatsache, dass sich die Finanzjournalisten, Analysten und Investoren gegenseitig beeinflussen und somit Rükkkoppelungseffekte entstehen, die die ganze Misere noch verstärken. Während zum Beispiel Nachrichtenagenturen elektronische Handelsplattformen anbieten, die von Finanzinstituten genutzt werden (z. B. Reuters Dealing), gibt es umgekehrt Bestrebungen der Finanzwelt, stärkeren Einfluss auf die Medien auszuüben und eigene, kundenwirksame Nachrichten einzubringen. Dadurch ist oftmals eine gegenseitige Abhängigkeit der handelnden Akteure zu beobachten, die sich wie folgt schildern lässt:

Finanzjournalisten werden von Analysten und sonstigen Marktteilnehmern mit Informationen, Einschätzungen und Nachrichten versorgt, die sie dann mediengerecht aufgearbeitet (noch ein Filter!) über ihre Distributionskanäle an die Börsenakteure weiterreichen. Diese versuchen wiederum, wie Alchemisten bei ihrem Bemühen, Blei in Gold umzuwandeln, die Informationen in Handelsstrategien umzumünzen, was entsprechende Marktbewegungen zur Folge haben kann.

Weil sich insbesondere diese drei Parteien gegenseitig als Informationsquellen nutzen, entstehen immer wieder bestimmte Informationskreisläufe, die sogar eine massenpsychologisch bedingte Lawine der Emotionen ins Rollen bringen können. Viele Analysten tendieren nämlich schnell dazu, Markteinschätzungen erfolgreicher Kollegen oder renommierter Häuser als eigene Meinung weiterzureichen, wenn ihre Auswertungen in letzter Zeit nicht so gefruchtet haben. Dadurch werden natürlich bestimmte Marktmeinungen noch verstärkt, andere wiederum völlig außer Acht gelassen.

Da Marktteilnehmer und Journalisten Zeit für die Umsetzung der Informationen bzw. für ihre Entscheidungsfindung benötigen, erfolgt die Rückkoppelung der Informationen zum Teil mit einer zeitlichen Verzögerung. Dies erklärt, warum viele Informationen und Analysen häufig hoffnungslos hinter dem tatsächlichen Marktgeschehen herhinken. Warum deuten die so genannten Sentiment-Indikatoren wohl sonst gerade an markanten Wendepunkten im Markt auf Massenmeinungen hin, die ihre Gültigkeit längst verloren haben. „Was die Masse macht, muss nicht immer stimmen“, lautet daher auch eine der vielen Börsenweisheiten.

Die Börse ist den Nachrichten aber nicht nur deshalb immer voraus. Vielmehr spielt hier eine Fähigkeit des Menschen eine Rolle, die ihm in der Evolutionsgeschichte das Überleben gesichert hat. Der Mensch versucht nämlich, bestimmte Ereignisse vorweg zu ahnen, indem er die aktuelle Situation analysiert und das Ergebnis mit Hilfe bestimmter Erfahrungswerte sowie Ergänzungsprozesse in die Zukunft transformiert. Treffen seine Erwartungen ein, fällt die Reaktion bescheiden aus, obwohl beispielsweise eine bestimmte Kennzahl als enorm wichtig angekündigt wurde. Den größten Einfluss haben daher Ereignisse, die von niemanden erwartet wurden. Es bleibt also die Frage, ob man sich auf fundamentale Daten, Analysen und fremde Marktmeinungen verlassen kann. Die Antwort dürfte lauten: Nur sehr bedingt.

... weil Analysten ihre subjektiven Erwartungen nicht ablegen können !

Analysten und Anleger neigen dazu, Erfahrungen der Vergangenheit nahezu unverändert in die Zukunft zu projizieren. Aus den Erfahrungswerten ergibt sich in der Regel eine bestimmte Erwartungshaltung, die wiederum die Auswahl von Informationen beeinflusst. Oftmals kommt es nämlich weniger auf die Qualität der Informationen an, als darauf, ob und inwieweit sie mit der eigenen Erwartungshaltung oder mit der des Marktes übereinstimmen. Dabei gilt:

Da die Erwartungen nicht immer auf der Basis wirtschaftlicher Fakten geformt werden, sondern den Versuch darstellen, die Meinung der anderen Marktteilnehmer vorherzusagen, beziehen sich immer mehr Nachrichtenkonzepte auf die Darstellung der möglichen Erwartungen, was Tür und Tor für Informationsverfälschungen öffnet. Wenn sich jedoch alle an Erwartungen klammern, die in der Vergangenheit bestätigt wurden, dann können kurioserweise auch massenpsychologisch bedingte Phänomene wie der Herdentrieb oder die „Self-Fulfilling-Prophecy“-Effekte entstehen. Diese mehr oder weniger unbewusste Ausrichtung der Prognosen an Erwartungswerten ist sicherlich ein Grund dafür, dass die Märkte manchmal auch ganz ähnliche oder sogar deckungsgleiche Verlaufsmuster aufzeigen.

. . . weil Analysten nur eine begrenzte Vorstellungskraft haben!

Es ist schon erstaunlich. Da bewegen sich Märkte entweder lange (z. B. die Aktienmärkte) oder schnell und massiv in eine Richtung, und schon kommen uns Zweifel, ob es denn so weiter gehen könnte. In steigenden Märkten gibt es ständig Warnungen vor drohenden Korrekturen und in fallenden unentwegt Hinweise auf baldige Trendwenden nach oben. Da die Plausibilität bisheriger Argumente mit dem Erreichen bestimmter Kursniveaus abnimmt bzw. die Gründe für diese Bewegung als erfüllt gelten, können wir uns keine Fortführung des Trends vorstellen.Wir suchen förmlich nach Argumenten oder Techniken, die uns ein Ende dieser Entwicklung prognostizieren (... da wird plötzlich die Luft dünn oder es gibt negative Divergenzen usw.). Während Fundamentalanalysten in solchen Marktphasen von unteroder überbewertet sprechen, interpretieren sie Technische Analysten als überverkauft oder überkauft. Obwohl beide Vorgehensweisen unterschiedlich sind, unterliegen sie demselben Fehler.

Abbildung 4 Analysten wollen die Kurse häufig in ihre Richtung zwingen

Welche Auswirkungen dieses Phänomen auf unser Handeln hat, werden Sie etwas später noch genauer nachlesen können. Vorerst bleibt festzuhalten, dass der Hauptgrund für dieses Fehlverhalten in der begrenzten Dimension unserer Vorstellungskraft liegt. Man kann in diesem Zusammenhang auch von einer Standardabweichung des Denkens sprechen. Abbildung 5 soll Ihnen grafisch verdeutlichen, wie sich dieses Phänomen an der Börse äußert und auswirkt. Ausgehend von den aktuellen Kursniveaus macht sich jeder Börsenteilnehmer eine Vorstellung davon, wohin ein Markt noch laufen kann. Die äußeren Kurven der Standardabweichung im Chart stellen unüberwindliche Grenzen unserer Vorstellungskraft bzw. unseres Prognosehorizontes dar.

Abbildung 5 Standardabweichung unseres Denkens und unserer Vorstellungskraft

Weshalb Menschen an der Börse Geld verlieren

. . . weil sich viele im Börsengeschäft nicht auskennen!

„Um im Leben erfolgreich zu sein, braucht es zwei Dinge: Unwissenheit und Selbstvertrauen.“

Mark Twain

Unter der von Mark Twain beschriebenen Voraussetzung beginnen die meisten Menschen ihr erstes Börsenengagement. Der Einstieg in die sagenumwobene Börsenwelt erfolgt in der Regel nach dem Tipp eines Freundes, Kollegen oder Nachbarn sowie durch besondere Ereignisse, wie z. B. den Aktien-Boom der letzten Jahre. In den USA investieren mittlerweile über 35% der Bevölkerung ihr Geld in Aktien. Das ist wesentlich mehr als in der Boom-Zeit der 20er-Jahre. Erstaunlicherweise laufen die ersten Engagements oftmals recht positiv ab. Der Erfolg veranlasst viele Neubörsianer dann dazu, sich genauer mit der Materie und auch mit spekulativeren Instrumenten zu beschäftigen. Leider eignet sich die Masse des Börsenpublikums nur ein relativ oberflächliches Wissen an. Ein Wertpapierberater aus einer kleinen Bankfiliale erzählte mir folgendes Beispiel eines Kundentelefonates:

Kunde:

„Guten Tag, ich möchte sofort Dollar-Optionsscheine kaufen.“

Berater:

„Guten Tag, möchten Sie Calls oder Puts kaufen.“

Kunde:

„Das ist mir doch egal. Mein Kollege meinte, dass man mit Dollar-Optionsscheinen oder so, viel Geld machen kann. Also kaufen Sie die Dinger.“

Wenn die ersten Fehltreffer das Selbstvertrauen schwinden lassen, bleibt nur noch die Unwissenheit, um verlorene Gewinne zurückzuholen. Wenn man nicht weiß, wie die Märkte wirklich funktionieren, dann wird ein solches Unterfangen scheitern. Warum fällt beispielsweise der Aktienmarkt, wenn die Zahl der offenen Stellen stark gesunken ist? Warum fallen die Anleihekurse, wenn die Zinsen steigen? Warum fällt ein Aktienkurs, obwohl ein Indikator noch im „Übergekauft“-Bereich ist? Warum machen die Märkte manchmal genau das Gegenteil von dem, was die Nachrichten vermitteln? Schlagen die ersten Versuche fehl, schwindet zwar das Selbstbewusstsein, nicht aber die Hoffnung, dass man es doch noch schaffen könnte. Bevor die Börsenpläne komplett aufgegeben werden, sucht man nach Alternativen. Um sich jedoch ein erfolgreiches Anlagekonzept erarbeiten zu können, das den Bedürfnissen und Fähigkeiten eines Investors entspricht, bedarf es eines enormen Aufwandes an Zeit und Mitteln, wie in jedem anderen Wirtschaftszweig auch. Dieser Schritt fällt den meisten jedoch schwer, da er zeitintensiv und teuer sein kann. Wer aber am Handwerkszeug spart und gleichzeitig keine Geduld für die Erstellung einer Investitionsstrategie aufbringt, der gibt sich oftmals mit unprofessionellen Zwischenlösungen ab, was dazu führt, dass viele Anleger ihren letzten Pfennig verlieren.

Als letzter Hoffnungsschimmer kommen dann noch die „Rattenfänger von Hameln“ (auch Börsengurus genannt). Ihre anfängliche Trefferquote lässt zwar noch einmal den Hoffnungspegel ansteigen, oftmals laufen die zu willenlosen Ratten degenerierten Börsianer ihrem Rattenfänger, der aufgrund seines Ruhmes an Überheblichkeit und Unachtsamkeit gewonnen hat, aber blindlings ins Verderben hinterher. Und dies alles, obwohl schon der Volksmund sagt: „Wer sich auf andere verlässt, der wird (auch an der Börse) verlassen.“ Ist das Geld erst einmal „verspielt“, sucht man die Schuld bei anderen, anstatt die eigenen Fehler zu erforschen.

. . . weil sie die psychologischen Aspekte des Börsenhandels unterschätzen !

„Um die Zukunft der Aktie einzuschätzen, müssen wir die Nerven, Hysterien, ja sogar die Verdauung und die Wetterfühligkeit jener Personen beachten, von deren Handlungen diese Geldanlage abhängig ist.“

Lord John Maynard Keynes

Obwohl die psychologischen Komponenten für einen großen Teil des Erfolges an der Börse entscheidend sind, werden sie von der Mehrheit der Marktteilnehmer unterschätzt oder gar völlig verdrängt. Dies resultiert in erster Linie aus der Missachtung psychologischer Aspekte von seiten der Ökonomen, die von einer rein rationalen Betrachtung des Börsengeschehens ausgehen und von einer volkswirtschaftlichen Denkweise geprägt sind. Da hier Nachholbedarf herrscht, soll der Börsen- oder auch Investmentpsychologie nachfolgend Raum gewidmet werden: An den Finanzmärkten geht es nämlich nicht darum, das zu tun, was nach fundamentaler Betrachtungsweise als das Beste erscheint, oder was die Mehrheit für plausibel hält, entscheidend ist nur, wie die Marktteilnehmer reagieren. Die Reaktionsmuster der Börsianer lassen sich nur selten mit Alltagslogik erklären, wie Abbildung 6 verdeutlicht. Im Sinne der Logik müsste sich die Börse immer parallel zum aktuellen Wirtschaftsgeschehen entwickeln. Wie wir alle wissen, ist dem nicht so, denn das, was die Mehrheit denkt und macht, braucht keineswegs logisch zu sein. An der Börse sind vielmehr individualpsychologische Prozesse vorzufinden, deren massenpsychologischen Phänomene als Schlüsselpunkte anzusehen sind. Da sich die einzelnen Marktteilnehmer in ihren Reiz-Reaktions-Schemata so stark gleichen, dass sich ihre Einzelverhaltensweisen in der Gesamtheit zu einer massenpsychologischen Gesamtverhaltensweise bündeln, lassen sich für die Verlaufsmuster massenpsychologische Effekte klassifizieren und prognostizieren. Insofern lohnt sich eine nähere Betrachtung psychologischer Komponenten.

Abbildung 6 Die Psychologie der Börsianer spielt oftmals verrückt. (Welt am Sonntag vom 2. 11. 1997)

Trotz der Erkenntnis, dass die Kursbewegungen weniger die tatsächliche ökonomische Situation, sondern vielmehr menschliche Gefühlswelten widerspiegeln, spielte die Wirtschaftspsychologie bei der Einschätzung der Märkte jahrelang keine Rolle. Dieses Defizit ist insofern erstaunlich, als sowohl gestandene Börsenprofis als auch Wissenschaftler wie Lord John Maynard Keynes schon vor Jahrzehnten auf die entscheidende Rolle psychologischer Aspekte bei der Einschätzung von Börsenentwicklungen hinwiesen. Mittlerweile hat sich in den USA mit der „Behavioral Finance“ jedoch ein Wissenschaftsgebiet etabliert, das auf die Erforschung systematischer und damit im Prinzip vorhersagbarer Reaktionsmuster spezialisiert ist. Erst kürzlich wurde auf diesem Sektor ein Phänomen definiert, das „Overconfidence Bias“ (verzerrte, sich selbst überschätzende Wahrnehmung) genannt wurde. Fragt man zum Beispiel Autofahrer, ob sie besser als der Durchschnitt fahren, dann antworten 90% der Befragten mit „ja“. Da es unmöglich ist, dass fast jeder besser fährt als der Durchschnitt, irrt ein großer Teil.

Das maßgebliche Buch zum Thema: Joachim Goldberg, Rüdiger von Nitzsch, Behavioral Finance, München 1999

An den Börsen können solche Selbstüberschätzungen heftige Kursschwankungen zur Folge haben, was insbesondere bei der Veröffentlichung neuer Informationen eines Unternehmens zu beobachten ist. Unterstützen die neuen Nachrichten die Meinung des Investors, wird er sich bestätigt fühlen und der Information viel mehr Bedeutung beimessen. Dies führt in der Regel dazu, dass der Investor plötzlich mehr kauft als ursprünglich beabsichtigt. Informationen, die der eigenen Einschätzung widersprechen, werden kaum beachtet. Wenn die Masse der Investoren positiv gestimmt ist, dann löst eine negative Nachricht in einer solchen Situation keine Kurskorrektur aus, was aber logisch wäre. Die Reaktionen der Börsianer auf Nachrichten können also sehr unterschiedlich sein. Eine Meldung im „Handelsblatt“ vom 25.01.99 macht dies deutlich (nachfolgend Auszüge):

„Siemens hat wieder Pech mit den Börsianern. Das hat man nun davon. Siemens war mit konzerninternen Berechnungen früher fertig und wollte die Märkte über die jüngsten Quartalszahlen umgehend informieren. Stolz berichtete das Unternehmen eine Woche früher als geplant vom zweistelligen Plus bei Umsatz und Gewinn – eigentlich ein guter Start ins neue Geschäftsjahr. Und was ist der Dank der Börsianer? Sie lassen den Kurs um 5% purzeln. Die Anleger seien enttäuscht gewesen, heißt es. Wegen der vorgezogenen Veröffentlichung habe man mit etwas Spektakulärem wie einer Akquisition gerechnet.“

In diesem Beispiel haben die Börsianer scheinbar einen völlig falschen Erwartungshorizont aufgebaut, der dann trotz der positiven Nachricht wie ein Kartenhaus eingestürzt ist. Leider lassen sich die psychologischen Erfolgsparameter, die in den meisten Lebensbereichen zutreffen, nicht so einfach (wenn überhaupt) auf das Börsengeschehen übertragen. Erfolgreiches Trading weicht oftmals erheblich von den psychologischen und natürlichen Verhaltensweisen ab, die sonstwo Garant des Erfolges sind. Bevor Sie sich also an die Börse wagen, sollten Sie erst einmal die Auswüchse und Erscheinungsformen psychologischer Komponenten analysieren, die Ihr Verhalten prägen und beeinflussen. Erst dann können Sie entsprechende Maßnahmen ergreifen, um Ihre Erfolgsparameter auf das Börsengeschehen zu trimmen. Im Literaturverzeichnis finden Sie zu diesem wichtigen Thema entsprechende Titel.

Es bleibt festzuhalten, dass der Mensch mit all seinen „Marotten“ nur bedingt für ein auf Dauer erfolgreiches Agieren an den Börsen geeignet ist. Die einzige Hilfestellung, die uns geboten wird, um im Börsengeschäft zu bestehen, ist der Computer. Er liefert uns in Sekundenschnelle nicht nur alle Informationen dieser Welt, sondern kann uns auch Entscheidungen abnehmen, zu denen wir zumindest temporär nicht in der Lage sind. Da die Börse keine langwierigen Grübeleien über mögliche Kursbewegungen erlaubt, ist es besser, wenn der Computer uns zwingt, im richtigen Moment das Richtige zu tun.

. . . weil wir von Natur aus gegen eine „goldene Regel“ der Börse verstoßen !

„Let the profit (exquisites Menü) run (in den Magen), cut your losses (schlechtes Mahl) short.“

Weisheiten eines Börsen-Gourmets

Würde ein Gourmet ein exquisites Menü schon nach der Vorspeise abbrechen, bzw. ein schlechtes Mahl „blitzeblank” aufessen? Wohl nicht! Was für Gourmets gilt, hat auch seine Richtigkeit im Börsengeschäft. Leider scheint es dort kaum Gourmets zu geben. Obwohl eine der goldenen Börsenregeln vorschreibt, dass man Gewinne laufen lassen und Verluste frühzeitig eindecken soll, was der obigen Gourmet-Theorie gleichkäme, verhalten wir uns eher wie die Steinzeitmenschen, die zwar herumliegende Früchte (Gewinne) eilig einsammelten, sich aber nicht um den Bestand des Saatgutes kümmerten (Verluste).

Neben den verschiedenen psychologischen Komponenten, die für dieses Fehlverhalten verantwortlich sind, spielt auch hier die begrenzte Dimension unserer Vorstellungskraft bzw. die Standardabweichung unseres Denkens eine entscheidende Rolle. Wir kaufen Verlustpositionen am scheinbaren maximalen Tiefpunkt nach, weil wir nicht glauben wollen, dass die Kurse noch weiter fallen können. Gewinne realisieren wir dagegen zu früh, weil wir annehmen, dass die Kurse nicht weiter steigen können. Bevor wir die Gewinne verlieren, wollen wir sie lieber sichern.

Was uns am „Let the profit run“- Gedanken hindert !

Erreichen die Kurse die obere Begrenzung unserer Vorstellungskraft, erscheint es uns unwahrscheinlich, dass sie noch weiter ansteigen. Die Position wird komplett oder zumindest größtenteils glattgestellt. Dies erfolgt insbesondere dann, wenn die Kurse nach Erreichen der Zielmarke wieder nach unten abbrechen. Meist entwickelt sich aus dem Ärger heraus, dass man nicht am Top verkauft hat, die pure Angst, die einmal gemachten Gewinne wieder zu verlieren. Es kommt zu einer verfrühten Glattstellung der Position, die oftmals am Korrekturtief stattfindet (s. Fall 1 in Abbildung 7). Je länger man auf das Erreichen der Kursmarke warten und hoffen musste (siehe Fall 2), desto unwahrscheinlicher erscheint uns eine Fortführung des Trends. Wurde unsere Vorstellungskraft durch einen längeren Seitwärtstrend zu sehr auf die Probe gestellt, können oder wollen wir eine markante Breakout-Bewegung kaum erkennen. Dadurch sind die meisten Händler zu Beginn eines stärkeren Trends selten investiert. Rennen sie den Märkten hinterher, erhöhen sie noch die Trendstärke.

Abbildung 7 Die drei „Let the profit run“-Fehler

Werden die Zielzonen hingegen schnell und problemlos erreicht (s. Fall 3), treten zwei Verhaltensweisen auf. In der Regel realisieren wir einen großen Teil unserer Gewinne, weil man sein Glück ja nicht herausfordern möchte. Dies führt dazu, dass man Gewinne (wenn überhaupt) nur mit einem kleinen Teil der Position laufen lässt. Manchmal keimt in uns aber auch die Hoffnung auf, dass die Kurse noch weiter steigen könnten. Die ursprünglichen Zielzonen werden plötzlich erhöht, was sich sehr schnell in blinde Gier äußern kann. Hat sich die Kurve unserer Vorstellungskraft erst einmal auf extrem „bullish” konditioniert, riskieren wir in der Hoffnung auf ein Erreichen der neuen Zielzone oftmals den ganzen Profit der bisherigen Kursbewegung. Schließlich kann man sich als „Gierhals“ nicht vorstellen, dass die Kurse, die so schnell an eine bestimmte Marke gelaufen sind, genauso schnell wieder fallen können. Wie man es auch macht, die Psyche scheint gegen uns zu arbeiten.

Was uns am „cut your losses short“-Gedanken hindert !

Erreichen die Kurse hingegen die untere Grenze unserer Vorstellungskraft, erscheint es uns unmöglich, dass sie noch weiter fallen. Weil die Kurse von diesem Niveau aus scheinbar nur noch steigen können, stellt man seine Position bei einem leichten Unterschreiten der Kursmarke nicht glatt. Schließlich möchte man nicht am Tiefpunkt ausgestoppt werden. Für einen Börsianer gibt es nämlich nichts Schlimmeres, als die richtige Meinung gehabt zu haben und dann doch nicht dabei gewesen zu sein. Größere Verluste oder zu frühe Gewinnmitnahmen verkraftet jeder. Wenn man aber bei einer Marktentwicklung, die man richtig eingeschätzt hatte, nicht dabei war, das hält keiner aus. Insofern fällt es jedem Investor schwer, hier Verlustbegrenzungen („Stop-Loss“-Marken) zu setzen. Das Fehlen der Stop-Loss-Marken kann sehr negative Auswirkungen haben.

Viel gravierender ist jedoch die Tatsache, dass diese Kursniveaus sogar als Chance betrachtet werden, um am Tiefpunkt noch einmal billig nachzukaufen. Aufgrund der Suche nach Sicherheit und Bestätigung erfolgen diese Nachkäufe häufig erst dann, wenn die Kurse nach Erreichen der Unterstützungszonen wieder leicht angestiegen sind (siehe Fall 4, Abb. 8), so dass die Leute quasi am Höchstkurs vor dem Absturz kaufen. Die Philosophie des Nachkaufens soll bewirken, dass die Gewinnschwelle einer Verlustposition ein günstigeres Niveau erreicht, wodurch man auch schneller aus dem Zustand der Hoffnungslosigkeit befreit wird. Das Nachkaufen erhöht also unsere Hoffnungen.

„Hoffnung ist jedoch nichts weiter als der Ausdruck dessen, dass man entweder einen Fehler gemacht hat oder sich im Begriff befindet, einen Fehler zu machen.“