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Originalausgabe

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2016

Copyright © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Walter Hellmann

Umschlagabbildung JuanDarien/iStockphoto.com

Satz CPI books GmbH, Leck

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN 978-3-644-05441-7

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-05441-7

1.

Ich saß angezogen im Bett und rauchte keine. Warum ich das tat, war mir selbst nicht ganz klar, genauso gut hätte ich aber auch darüber rätseln können, warum das Hotelzimmer, in dem ich mich befand, mit einer wohl als Raumteiler gedachten hüfthohen Mesquitehecke ausgestattet war. Und es war ausgesprochen warm in meinem Refugium, um nicht zu sagen, kochend heiß. Hitze ist eine Substanz, die bei mir jegliche gedankliche wie körperliche Regung lähmt, die sich wie Blei auf Geist und Glieder legt, ich saß da wie ein Sack Stroh und starrte ins Nichts, wie es mir schien; in Wirklichkeit hing mein Augenpaar ja auf der Hecke, denn die war, soweit ich erkennen konnte, neben dem Bett, das sich mir als Sitzgelegenheit bot, der einzige Gegenstand in diesem Asyl. Ich fühlte mich wie grau geschmortes Schmorfleisch, wie eine Snowboard-Halfpipe, über und über mit Spinnweben überzogen, mitten im Tschad, wie eine taube Pistazie inmitten falben Laubs, aber auch wie eine Motte, deren Flügel Platinbarren waren, gleichermaßen wertvoll wie wertlos. Wiewohl alles an mir bleiern war, wütete es in mir wie der Spanische Erbfolgekrieg, und mein Magen fühlte sich an wie ein läufiger Riesenschnauzer. Was ich an Geräuschen wahrnahm, war zum einen das Schimpfen der Elstern in der Hecke und raue Atemzüge zum anderen. Ich war also nicht alleine. Ich lauschte und registrierte unter größter Anstrengung, dass sich noch zwei Menschen in meiner Nähe befinden mussten. Bald war die Quelle des bronchialen Radaus ausgemacht. Durch eine kleine scheibenlose Öffnung starrten zwei harte Augen in meine Kemenate. Es handelte sich um die Augen eines Fußpflegers, wie ich unschwer feststellen konnte. Das Schließen vom Blick auf den Beruf ist eine Kunst, auf die sich nur wenige verstehen; ich habe sie mir vor Jahren angeeignet, auf einer Fachhochschule in Graz. Eine andere Person schälte sich aus der Hecke und stand wie ein riesengroßer Schatten vor mir. Ich war mir nicht sicher, ob mich das Zwielicht narrte, ob ich nur einer Täuschung, einer Luftspiegelung anheimgefallen war, aber der Schemen wurde von Moment zu Moment realer. Als ich auch noch einen Revolver wahrnahm, dessen Mündung sich genau auf mein eines Auge richtete, war der Bann der Hitze gebrochen. Ich hatte noch nicht den Tagesgruß über den Lippen, da fuhr mir dieser Herr schon großspurig in die Parade: «Du hast wohl Angst vor einem offenen Kampf. Du hältst dich im Verborgenen, weil du den Schneid einer Maus hast.»

Ich bin kein Mann, der die Gefahr scheut und ihr nicht entgegenzutreten versteht, aber in meiner Lage, geschwächt durch die hohen Temperaturen, brachte ich nur ein guttural gekrächztes «Ich bin keine Maus» hervor.

«Well, natürlich bist du keine Maus, du bist ein Schwamm. Zieh dir rasch etwas über, ich muss mit dir reden.» Der Schneid in der Stimme des Fremden erzwang Respekt.

Ich blickte an mir herunter, konnte aber beim besten Willen mit Ausnahme der Greiforgane keinen Körperteil entdecken, der nicht bedeckt war, auch vermutete ich ebensolches für mein Antlitz, mit dem ich ihn wortlos fragend ansah.

«Ihnen hängt ein Ei aus der Hose!»

Und tatsächlich, mir hing ein Ei aus der Hose, ich war bareirig. Obwohl ich Rechtsträger bin, ragte es eigenartigerweise unten aus dem linken Hosenbeinloch und kam auf dem Schuh zum Liegen. Ich sah einen in Greifnähe befindlichen Muff, den konnte ich wohl über die inkriminierte Stelle stülpen. Nun bin ich sehr groß, 2 Meter 45, und demzufolge brauchte ich eine gute Weile, um mich herabzubeugen, denn das Beugen ist eine der zeitraubendsten Fortbewegungsarten des Menschen. Als ich mich, nachdem der Muff über meine Blöße gestülpt war, wieder in meiner alten Position befand, bemerkte ich, dass des Peinigers Aufmerksamkeit von mir abgewandt war und hin zu der Zeitschrift «Monsterbrüste», die ich abonniert habe und auch stets in den Urlaub mitzunehmen pflege, zwecks Fortbildung. Auch war der Revolver nicht mehr auf mich gerichtet, sondern baumelte vielmehr lose an seinem kleinen Finger, ein laues Zephyrlüftchen brachte die Handwaffe zart zum Schwingen. «Fertig», sagte ich so bestimmt, wie es meine Verfassung, die sich in einem heillosen Derangement befand, zuließ, gegen den Eindringling, den ich mir jetzt aus der Nähe betrachtete, weil ich während des Beugens eine Lupe in die Hand bekommen hatte. Das tiefstehende Licht einer 38-Watt Birne badete mit mildem Schein seine ausgeprägte gallische Nase, die von fahlgelben, eingesunkenen Wangen flankiert wurde. Der dünnlippige Mund wirkte wie eine Drahtklammer, die alles zusammenhielt und am Zerfließen hinderte. Durch die halb geöffneten Lider leuchteten seine Augäpfel wie Speichelpfützen. Langsam hob er seinen Kopf von der Lektüre, dicke Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, sein Lächeln wirkte verkrampft, sein Gesicht irgendwie verzerrt, verzagt gar.

«Kümmern Sie sich lieber nicht um mich, kümmern Sie sich um sich», bellte der Revolvermann heiser. Woher plötzlich das förmliche Siesie