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Catching The Big Fish

»Wut, Depression und Trauer sind in einer Geschichte großartige Dinge, aber für den Filmemacher oder Künstler sind sie Gift. Wie ein Schraubstock haben sie die Kreativität im Griff. Wenn dich dieser Schraubstock gepackt hat, kommst du kaum aus dem Bett, geschweige denn, dass du den Fluss der Kreativität oder der Ideen spürst. Schöpferische Tätigkeit verlangt nach Klarheit. Du musst imstande sein, Ideen zu fangen.

Wenn du meditierst, nimmt der Fluss der Ideen zu. Aktion und Reaktion werden schneller. Du bekommst hier eine Idee, gehst erst dahin und dann dorthin. Es ist wie ein Improvisationstanz. Deshalb transzendiere, erlebe das Selbst – das reine Bewusstsein – und beobachte, was geschieht.«

David Lynch

DAVID LYNCH

Catching The Big Fish

MEDITATION · KREATIVITÄT · FILM

Aus dem Amerikanischen
von Jochen Stremmel

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Alexander Verlag Berlin

Deutsche Erstausgabe
Die Originalausgabe Catching The Big Fish. Meditation,
Consciousness, and Creativity
erschien 2007 bei Tarcher/Penguin, New York.
© 2006 by Bobkind, Inc.
This translation published by arrangement with Literary and Creative Artists, Inc.

©für die deutsche Ausgabe: Alexander Verlag Berlin, 2016
Alexander Wewerka, Fredericiastr. 8, D-14050 Berlin
info@alexander-verlag.com | www.alexander-verlag.com
Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat/Redaktion: Katharina Broich, Florian Marker. Dank an Wolfgang Krenz für die Beantwortung von filmischen Fachfragen und an Hans-Henning Mey für die Bearbeitung und Übersetzung der den Kapiteln vorangestellten Zitate.
Layout/Satz/Umschlag: Antje Wewerka unter Verwendung einer Abbildung von Giuseppe Porzani/fotolia.com
ISBN: 978-3-89581-413-6 (eBook)

Seiner Heiligkeit Maharishi Mahesh Yogi gewidmet

INHALT

Einleitung

Der erste Tauchgang

Beklemmender Gummi-Clownsanzug

Anfangen

Das Leben für die Kunst

Ein Garten bei Nacht

Vorhang auf

Kino

Interpretation

Der Kreis

Ideen

Sehnsucht

Bewusstsein

Die Idee übersetzen

Los Angeles

Eraserhead

Das Tempo des Lebens

Yogis

Bob’s Big Boy

The Angriest Dog in the World

Musik

Intuition

Das Einheitliche Feld

Der vierte Zustand

Auf dem Weg dahin

Moderne und alte Wissenschaft

Überall, jederzeit

Identität

Final Cut

Therapie

Träume

Angelo Badalamenti

Ton

Casting

Probe

Angst

Alle gemeinsam

Twin Peaks

Die Fortsetzungsgeschichte

Das Rote Zimmer

Frag die Idee

Testpublikum

Verallgemeinerungen

Dunkelheit

Leiden

Licht des Selbst

Ein Turm aus Gold

Religion

Drogen

Mach das Licht an

Industrial Symphony No.1

Lost Highway

Beschränkungen

Mulholland Drive

Das Kästchen und der Schlüssel

Raumwahrnehmung

Schönheit

Struktur

Mit Holz arbeiten

Eine Einrichtung haben

Feuer

Licht im Film

The Straight Story

Helden des Films

Fellini

Kubrick

Inland Empire

Der Name

Eine neue Art zu arbeiten

Kommentar des Regisseurs

Der Tod des Films

DV für junge Filmemacher

DV-Qualität

Zukunft des Kinos

Gesunder Menschenverstand

Ratschlag

Schlaf

Bleib dran!

Erfolg und Misserfolg

Wieder angeln

Mitgefühl

Bewusstseinsbezogene Bildung

Wahrer Frieden

Zum Schluss

Coda:Wahres Glück liegt im Inneren

Ausgewählte Filmographie

Der Autor

EINLEITUNG

Ideen sind wie Fische.

Wenn du kleine Fische fangen willst, kannst du im seichten Wasser bleiben. Aber wenn du den großen Fisch fangen willst, musst du in die Tiefe gehen.

Tief unten sind die Fische stärker und reiner. Sie sind riesig und abstrakt. Und sie sind wunderschön.

Ich suche eine bestimmte Art Fisch, die für mich wichtig ist, eine Art, die sich aufs Kino übertragen lässt. Da unten schwimmen alle möglichen Arten Fisch herum. Es gibt Fische fürs Business, Fische für den Sport. Es gibt Fische für alles.

Alles, alles, was ist, kommt von der tiefsten Ebene. Die moderne Physik bezeichnet diese Ebene als Einheitliches Feld. Je mehr sich das Bewusstsein – die Wahrnehmung – erweitert, desto tiefer dringst du zu dieser Quelle vor und desto größer sind die Fische, die du fangen kannst.

Die vielen Jahre, in denen ich Transzendentale Meditation praktiziere, sind für meine Arbeit in Film und Malerei und für alle anderen Bereiche meines Lebens von zentraler Bedeutung gewesen. Für mich war das die Methode, um auf der Suche nach dem großen Fisch tiefer tauchen zu können. In diesem Buch möchte ich einige dieser Erfahrungen weitergeben.

DER ERSTE TAUCHGANG

Wessen Seligkeit im Inneren ist, wessen Freude innerlich ist,
wessen Licht ganz im Inneren ist, ein solcherYogi ist,
eins mit dem Brahma und erreicht ewige Freiheit in
göttlicher Bewusstheit.

BHAGAVAD-GITA 5, 24

Als ich zum ersten Mal von Meditation hörte, hatte ich null Interesse daran. Ich war nicht einmal neugierig. Es klang wie Zeitverschwendung.

Was allerdings mein Interesse weckte, war der Ausspruch »Wahres Glück liegt im Inneren«. Zuerst dachte ich, er klinge etwas gemein, weil er einem nicht verrät, wo das »Innere« ist oder wie man dorthin kommt.Aber trotzdem schien etwas Wahres dran zu sein. Und ich begann zu überlegen, ob Meditation vielleicht ein Weg sei, um ins Innere zu kommen.

Ich beschäftigte mich mit Meditation, stellte einige Fragen und fing an, über verschiedene Formen nachzudenken. In dem Moment rief meine Schwester an und sagte, sie mache seit sechs Monaten Transzendentale Meditation. Es war etwas in ihrer Stimme. Eine Veränderung. Eine Art Glück. Und ich dachte: Das ist es, was ich will.

Also ging ich im Juli 1973 zum TM-Zentrum in Los Angeles und lernte eine Lehrerin kennen, und ich mochte sie. Sie sah aus wie Doris Day. Und sie brachte mir diese Technik bei. Sie gab mir ein Mantra, was ein Ton-Schwingungs-Gedanke ist. Du meditierst nicht über seine Bedeutung, aber es ist ein sehr konkreter Ton-Schwingungs-Gedanke.

Für meine erste Meditation nahm sie mich mit in einen kleinen Raum. Ich setzte mich hin, schloss die Augen, begann mit diesem Mantra, und es war so, als wäre ich in einem Aufzug und jemand hätte das Kabel gekappt. Wumm! Ich tauchte ein in Glückseligkeit – reine Glückseligkeit. Und ich war ganz einfach dort drin. Dann sagte die Lehrerin: »Es ist Zeit, zurückzukommen; das waren zwanzig Minuten.« Und ich sagte: »DAS WAREN SCHON ZWANZIG MINUTEN?!« Und sie sagte: »Pssst!«, denn da meditierten noch andere Leute. Es schien so vertraut, aber auch so neu und kraftvoll. Danach sagte ich, das Wort »einzigartig« sollte für diese Erfahrung reserviert werden.

Sie führt dich an einen Ozean reinen Bewusstseins, reiner Erkenntnis. Aber es ist vertraut; das bist du. Und sofort überkommt dich ein Glücksgefühl – kein Glücksgefühl wie auf Droge, sondern eine tiefe Schönheit.

Seit damals habe ich keine Meditation versäumt. Ich meditiere einmal morgens und einmal nachmittags, jedes Mal für ungefähr zwanzig Minuten. Dann kümmere ich mich um meine tägliche Arbeit. Und ich merke, dass die Freude daran zunimmt. Die Intuition wird besser. Die Lebensfreude wächst. Und die Negativität schwindet.

BEKLEMMENDER GUMMI-CLOWNSANZUG

Es wäre leichter, den gesamten Himmel in ein kleines Tuch zu wickeln, als wahre Glückseligkeit zu erlangen ohne Erkenntnis des Selbst.

UPANISHADEN

Als ich mit dem Meditieren anfing, war ich voller Angst und Sorge. Ich war deprimiert und wütend.

Oft ließ ich diese Wut an meiner ersten Frau aus.Als ich etwa zwei Wochen meditiert hatte, kam sie zu mir und sagte: »Was ist los?« Ich schwieg einen Moment lang.Aber schließlich fragte ich: »Was meinst du?« Und sie sagte: »Diese Wut, wo ist sie geblieben?« Und ich hatte nicht mal gemerkt, dass sie sich verzogen hatte.

Ich nenne diese Depression und diese Wut den Beklemmenden Gummi-Clownsanzug der Negativität. Er ist beklemmend, und dieser Gummi stinkt. Aber sobald du anfängst zu meditieren und einzutauchen, beginnt der Clownsanzug sich aufzulösen. Du merkst erst, wie faulig der Gestank war, wenn er zu verschwinden beginnt. Dann, wenn er sich aufgelöst hat, erlebst du Freiheit.

Wut und Depression und Trauer sind in einer Geschichte großartige Dinge, aber für den Filmemacher oder Künstler sind sie Gift. Wie ein Schraubstock haben sie die Kreativität im Griff.Wenn dich dieser Schraubstock gepackt hat, kommst du kaum aus dem Bett, geschweige denn, dass du den Fluss der Kreativität oder der Ideen spürst. Schöpferische Tätigkeit verlangt nach Klarheit. Du musst imstande sein, Ideen zu fangen.

ANFANGEN

Ich wuchs als ganz normaler Mensch im Nordwesten der USA auf. Mein Vater erforschte im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums Baumarten und deren Eigenschaften. Deshalb war ich oft im Wald. Und für ein Kind ist der Wald etwas Magisches. Ich lebte in einer sogenannten Kleinstadt. Meine Welt bestand aus ein, vielleicht zwei Häuserblocks.Alles spielte sich in diesem Bereich ab. Alle meine Träume, alle meine Freunde existierten in dieser kleinen Welt. Aber für mich war sie riesig und magisch. Es gab reichlich Zeit, um zu träumen und Freunde zu treffen.

Ich malte und zeichnete gern. Und ich dachte oft irrtümlicherweise, dass man als Erwachsener aufhört zu malen und zu zeichnen, und etwas Ernsthafteres macht. Als ich in der neunten Klasse war, zog meine Familie nach Alexandria in Virginia um. Auf dem Rasen vor dem Haus meiner Freundin lernte ich eines Abends einen Typ namens Toby Keeler kennen. Als wir uns unterhielten, sagte er, sein Vater sei Maler. Ich dachte, vielleicht wäre er Anstreicher, aber als wir weiterredeten, wurde mir klar, dass er bildender Künstler war.

Dieses Gespräch veränderte mein Leben. Ich hatte bereits ein gewisses Interesse für Naturwissenschaften, aber auf einmal wusste ich, dass ich Maler werden wollte. Und ich wollte mein Leben der Kunst widmen.

DAS LEBEN FÜR DIE KUNST

Auf der High-School las ich Robert Henris Buch The Art Spirit – Der Weg zur Kunst, das die Idee vom Leben für die Kunst verstärkte. Ein Leben für die Kunst bedeutete für mich Hingabe an die Malerei – eine vollkommene Hingabe, wodurch alles andere zweitrangig wird.

Das, dachte ich, ist der einzige Weg, um in die Tiefe zu gehen und Dinge zu entdecken. Alles, was von dieser Entdeckungsreise ablenkt, ist nach dieser Denkweise nicht Teil des Lebens für die Kunst. Im Grunde bedeutet das Leben für die Kunst eine Freiheit. Und es scheint, finde ich, ein bisschen egoistisch. Aber es muss nicht egoistisch sein; es bedeutet lediglich, dass du Zeit brauchst.

Bushnell Keeler, der Vater meines Freundes Toby, pflegte zu sagen: »Wenn du eine Stunde gut malen willst, musst du vier Stunden ungestört sein können.«