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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

 

 

© 2011 Wang Zhimin

(Chinesischer Originaltitel: Xuanwo siji, Eigenverlag 2009)

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

Printed in Germany

 

ISBN 978-3-8448-6595-0

 

Die Abbildung auf der Cover-Titelseite wurde von Herrn Björn Wysfeld gestaltet.

Die Fotos stammen vom Autor.

Inhalt

Vorwort

Blutüberströmtes Nanking

Wie ich persönlich das Massaker von Nanking erlebte

Grundlagen für Zahl von 300 000 Toten

Verteidigung bis zum Tod wurde zu heilloser Flucht

Wir beginnen, das Leben von Sklaven eines untergegangenen Landes zu führen

Der Widerstand der Bevölkerung von Nanking

Die Hinrichtung von Tani Hisao

Die Sicherheitszone ist nicht sicher

Die rot-schwarze Zeitung Dagangbao

Ein Freund für das ganze Leben

Rot und Schwarz

Der taube Wang

Erlebnisse in einer chaotischen Welt

Leben und Tod in der Großen Nördlichen Ödnis

Der Kampf gegen die Rechtsabweichler

Die endgültige Entscheidung

In die Große Nördliche Ödnis

Tage der Freude trotz Mühsal am Wasserreservoir „1. Mai“

Kälte – Hunger – Großer Sprung voran

Tief in den Bergen in dichten Wäldern von den Menschen vergessen

Holzschienen, Eisenräder und mit Menschenkraft gezogene Wagen

Menschen verhungerten

Freuden inmitten der Bitternis

Mit der Mütze Rückkehr nach Peking

Unvollständige Namensliste der auf unnatürliche Weise in der Viehzuchtfarm Nr. 850 gestorbenen „Rechtsabweichler“

Üppig das Grün in der Steppe

In die Innere Mongolei

Ungewöhnliche Erlebnisse während der Kulturrevolution

Der Unrechtsfall der „Neuen Revolutionären Volkspartei der Inneren Mongolei“ und ich

Anhang: Erlebnisse im Ausland

Nachwort

Anmerkungen

Zur Schreibung der chinesischen Namen

In diesem Buch wird für die Schreibung der chinesischen Namen die inzwischen allgemein gebräuchliche Pinyin-Transkription verwendet. Ausnahmen sind wenige Namen, die nach anderen Schreibungen bekannt geworden sind, wie Tschiang Kaischek (Jiang Jieshi), Sun Yatsen (Sun Yixian), Jangtse (Yangzijiang oder Changjiang) und Nanking (Nanjing).

Bei den chinesischen Personennamen steht in traditioneller Weise der Familienname an erster Stelle, gefolgt vom Vornamen. Somit lautet beim Namen des Autors Wang Zhimin der Familienname Wang und sein Vorname Zhimin.

Vorwort

Für einen Menschen sind seine Erlebnisse von schweren Zeiten am schwersten zu vergessen. Wenn du die Augen schließt, sind es oft Erinnerungen an jene Zeiten, die dir als erstes aufblitzen. So geht es einem Menschen und so auch einer Nation. Weil die Erlebnisse in schweren Zeiten die Gedanken der Menschen am meisten aufwühlen, Gelegenheit geben nachzudenken und in sich zu gehen, darf man, sei es ein Mensch oder eine Nation, jene Zeiten nicht vergessen und die Erinnerung an sie verlieren.

Diese Erlebnisse, die ich aufgeschrieben habe, galten in unseren Jahren wahrhaftig als belanglos, als nichts Verwunderliches, als keiner Erwähnung wert.

Doch die Jugendlichen von heute halten sie für Märchen aus Tausendundeiner Nacht, einfach als unvorstellbar. Ich weiß, dass bereits viele Menschen sehr ausführlich über die Erlebnisse geschrieben haben, an die man sich zurückerinnern sollte. Warum zeichne ich meine eigenen Erlebnisse auf? Ich kann es selbst nicht klar sagen. Vielleicht will ich die Geschichte etwas über die Gegenwart und die Zukunft sagen lassen!

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Revolution von 1911, als die Qing-Dynastie gestürzt wurde, China Hoffnung gab. Doch die verworrenen Kriege der Militärmachthaber ließen diese Hoffnungen zerplatzen. Der Sieg im Antijapanischen Krieg verlieh uns wieder ungeahnte Hoffnungen, aber die Korruption der Guomindang*) enttäuschte diese Hoffnungen aufs Neue. Die Befreiung des ganzen Landes öffnete China eine nicht dagewesene Hoffnung, aber eine linkssektiererische Politik machte das Land und das Volk arm, und als es soweit kam, dass mehrere zehn Millionen Menschen verhungerten, war die Hoffnung wieder zunichte. Mit der Periode der Öffnung und der Reformen nährten die Chinesen wieder eine neue Hoffnung, eine große Hoffnung. Seit mehr als zwanzig Jahren entwickelt sich China sprunghaft. Aber voreilige Öffnung und stockende Reformen ließen die Korruption wuchern, und die zahllosen Probleme lassen einen erschrecken, dass die gegenwärtigen Reformen scheitern könnten. Der Dichter Du Mu*) hat in seinem „Poem über den Afang-Palast“ gemahnt:

“Die Menschen der Qin hatten keine Zeit zur Trauer,

erst die Nachfahren betrauerten sie.

Die Nachfahren betrauerten sie, aber zogen keine Lehren,

so dass deren Nachfahren wieder die Nachfahren betrauerten.“

Unsere chinesische Nation hat so viele Fehlschläge erleiden müssen. Warum hat sie noch nicht Lehren aus der Geschichte gezogen, um eine neue Welt zu erkämpfen?

Blutüberströmtes Nanking

Nanking ist eine in der Geschichte Chinas berühmte Stadt. In der Dynastie Östliche Wu der Drei Reiche, während der Östlichen Jin, während der Song, Qi, Liang, Chen der Südlichen und Nördlichen Dynastien, während der Südlichen Tang zur Zeit der Fünf Dynastien, in den Anfangsjahren der Ming-Dynastie sowie während des Taiping-Reiches und während der Republik befand sich hier in insgesamt zehn Perioden die Hauptstadt. Der Stratege Zhuge Liang*) bezeichnete die Stadt als Sitz von Drache und Tiger, als eine uneinnehmbare Festung. Aber diese Stadt ist jetzt in der Welt vor allem durch das große Massaker von Nanking bekannt. Als die japanische Armee Nanking besetzte, schlachtete sie dreihunderttausend Menschen ab und vergewaltigte zwanzigtausend Frauen. Dieses zum Himmel schreiende, unverzeihliche Verbrechen hat Japan, obwohl der Internationale Gerichtshof bereits ein Urteil gefällt hat, bis auf den heutigen Tag nicht eingestehen wollen.

Wie ich persönlich das Massaker von Nanking erlebte

Als am 13. August 1937 der Kampf um Shanghai begann, war auch die Lage in Nanking sehr angespannt. Jeden Tag gab es ein, zwei bis zu drei und vier Luftangriffen, so dass das Heulen der Warnsirenen die Menschen mehrmals am Tag aufschreckte. Unsere Familie hatte kein Geld, um sich einen Luftschutzbunker zu graben, doch zufällig befand sich neben uns ein Postamt, in dem es einen Luftschutzbunker aus Beton gab. Sowie die Sirenen aufheulten, suchten die fünf Personen unserer Familie in diesem Bunker Unterschlupf. Manchmal verbarg ich mich neben einem großen Wasserbehälter, um den Luftkampf zu beobachten. Wenn die japanischen Flugzeuge in den Luftraum Nankings eindrangen, wurden Flakgranaten auf sie geschossen, so dass sich die Rauchwolken der Granaten um die Flugzeuge ausbreiteten. Natürlich hofften wir, dass sie getroffen werden würden, aber in meiner Erinnerung wurde durch die Flaks nie ein Flugzeug abgeschossen. Tatsächlich griffen Flugzeuge der chinesischen Luftwaffe sie von oben und unten an. Ich sah, wie die chinesische Luftwaffe japanische Flugzeuge abschoss. Damals waren wir ganz aus dem Häuschen und klatschten und jubelten. Jedes Mal nach einem Luftkampf wurden die sterblichen Überreste der gefallenen chinesischen Piloten in einer „Totenhalle der Menschlichkeit und Pietät“, die sich gegenüber unserem Haus befand, in Holzsärgen aufgebahrt. Damals gab es in Nanking nicht viele Totenhallen. Die „Totenhalle der Menschlichkeit und Pietät“ hatte sieben oder acht kleinere und größere Hallen, die als Ort zur Bestattung der Gefallenen der Luftwaffe dienten. Wir hörten, wie die Angestellten des Bestattungsinstituts erzählten, dass keine einzige Leiche der Gefallenen noch unversehrt war, alle waren sie in Stücke zerrissen. Man hatte die Überreste aufgelesen und zusammen in Särge getan. Bis auf den heutigen Tag hege ich für diese Helden der Luftwaffe ein Gefühl der Hochachtung. Nicht nur im Luftkampf über Nanking schlugen sich unsere Piloten heldenhaft, sondern auch im Widerstandskampf um Shanghai gab es ein chinesisches Flugzeug, das sich auf den Schlot eines vor der Mündung des Wusong-Flusses ankernden japanischen Kriegsschiffes stürzte. Dabei explodierte das japanische Kriegsschiff, und auch der Pilot opferte sich heldenhaft. Derartige Heldentaten bewegten mich damals unglaublich, obwohl ich nur ein dreizehnjähriger Junge war.

Damals gab es in Nanking ständig seltsame Vorfälle, denn immer wieder verschwanden japanische Abenteurer, worauf das japanische Konsulat von den Organen der chinesischen Regierung den Mann zurückverlangte und solche Vorfälle zu Drohungen benutzte. Denn Japan suchte nach Vorwänden, um Truppen zu entsenden. Aber sie kamen damit nie durch. Als sie wieder einmal Lärm um das Verschwinden eines Japaners machten, fand man den Mann in einer Höhle in den Purpurbergen von Nanking. Jeder verstand, dass die Japaner Unruhe stiften wollten. Vor dem Zwischenfall des 7. Juli*) kam es in Beiping*) ständig zu derartigen Vorfällen.

Damals war ich ein Anhänger der These vom raschen Sieg. Die Nankinger Zeitung „Jiuguo Ribao“ (Tageszeitung zur Rettung des Vaterlands) gab einmal ein Heftchen heraus, in dem propagiert wurde, dass Japan in drei Monaten besiegt werden würde. Ich bin eigens zum Sitz der „Jiuguo Ribao“ in der Nähe der Kreuzung Xinjiekou gelaufen, um mir dieses Heftchen zu kaufen und es zu lesen. Damals wurde in Shanghai gerade hartnäckiger Widerstand geleistet. Derweil ging die japanische Armee in der Bucht von Hangzhou an Land, so dass Shanghai’s Verteidigungstruppen von vorn und hinten angegriffen wurden und sie sich Hals über Kopf zurückziehen mussten. Mit dem Fall von Shanghai brach auch meine Hoffnung auf einen schnellen Sieg zusammen. Als Nanking schon zu einer todgeweihten Stadt wurde, diskutierten die Menschen, wie man vor der Katastrophe flüchten könnte.

Unter dem Blickwinkel von heute gab es damals wahrscheinlich drei Arten der Flucht: Die erste war, sich im Gefolge der Regierung abzusetzen. Das betraf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die zweite war, dass die reichen Leute mit ihrer Familie in Flugzeugen und auf Schiffen das Weite suchten. Die dritte Art betraf die mittellosen Leute, die nur zeitweilig bei Verwandten oder Freunden Unterschlupf finden konnten, oder sich an Ort und Stelle bis zum Letzten verteidigen oder die sich in ihr Schicksal fügen wollten. Unter der Bevölkerung von Nanking, die sich darauf vorbereitete zu bleiben, hieß es, dass es eine Flüchtlingszone gäbe, woraufhin ziemlich viele Menschen dorthin umsiedelten. Aber in der Flüchtlingszone gab es nicht so viele Häuser, so dass hier eine Stadt aus Schilfmattenzelten entstand. Daraufhin zogen viele aufs Land, und vom Land zogen viele in die Stadt, so dass die ganze Stadt in einem riesigen Umzug begriffen war. Das vorherrschende Gefühl besagte, dass der Ort, wo man selbst wohnte, nicht sicher sei. Hätten die Menschen gewusst, dass sie ein entsetzliches Massaker erwarten würde, wäre Nanking beizeiten eine menschenleere Stadt geworden.

Meine Familie wohnte in Nanking am Shuixi-Tor, aber das alte Haus der Familie stand im Vorort Shangxinhe. Ursprünglich wohnten in ihm der älteste Großonkel und ein jüngerer Bruder von ihm. Der Großonkel war relativ gut situiert. Sie alle waren in den Kreis Taixing nördlich von Suzhou geflohen. Daraufhin beschloss unsere Familie, zum alten Haus in Shangxinhe zu fliehen. Nur dort konnte man wohnen. Es gab eine traditionelle Denkweise, die besagte, wenn in der Stadt das Chaos ausbricht, müsste man schleunigst aufs Land fliehen. Dieses Verhalten nannte man früher „vor den Rebellen fliehen“ oder auch „vor den Langhaarigen fliehen“. Mit den Langhaarigen war die Armee der Taiping*) und mit den Rebellen die Rebellion der Bauern gegen den Kaiser gemeint. So floh unsere Familie zum alten Haus in Shangxinhe und wartete, was unser Los sein würde, von dem niemand eine Ahnung hatte.

Wo der Jangtse durch Nanking fließt, ist das Land sanft hüglig, so dass sich der Strom stark verbreitert, und in der Mitte des Stroms befindet sich das „Stromherzwerder“. Shangxinhe liegt am Jangtse, und das gegenüberliegende Ufer ist das Stromherzwerder. Zwischen Shangxinhe und dem Stromherzwerder befindet sich nur ein schmaler Flusslauf, der nicht die Hauptschiffahrtsstraße des Jangtse darstellt. Weil es hier wenig Wind und Wellen gibt, ist der Ort ein vorzügliches Verteilerzentrum für Holzflöße, die von den Provinzen Jiangxi und Hunan stromabwärts nach Nanking getreidelt werden. Deshalb gibt es in dem Städtchen Shangxinhe einen Holzhandel. Meine beiden Onkel waren Holzvermesser, die das Volumen des Holzes gemessen hatten. Mit einem Lineal aus einem Bambusstreifen, das mit einer Längenteilung versehen war, maßen sie an einer bestimmten Stelle des Stammes seinen Umfang, um das Volumen des Holzes zu bestimmen. Dieses Gewerbe erforderte Fairness. Wenn das gemessene Volumen nicht exakt bestimmt wurde, hatte entweder der Holzhändler oder der Käufer den Schaden, und die Menschen hätten sich beim nächsten Mal nicht an diesen Holzvermesser gewendet. Mein Großonkel genoss in diesem Gewerbe einen sehr guten Ruf. Da er auch etwas Geld gemacht hatte, ist dieses alte Haus unserer Familie unter seiner Regie gebaut worden. Dieses mit Mauersteinen und Dachziegeln gebaute einstöckige Haus ragte aus der Ebene empor. Obwohl es nicht besonders schön aussah, barg es aber zwei Geheimnisse. Das eine war, dass der Boden unter zwei Zimmern hohl war. Wenn man den Fußboden öffnete, konnte man darunter Kisten, Körbe und Sachen verstecken. Das zweite war, dass die Mauer in der hinteren Küche als doppelte Mauer ausgeführt war. In einem der östlichen Zimmer gab es eine Schiebetür, so dass sich die Menschen zwischen den doppelten Wänden verstecken konnten. Es war kein Problem, dass sich darin mehr als zehn Personen verbargen. Das wusste ich damals nicht, aber die ältere Generation, die zu viele Kriegswirren durchgemacht hatte, hatte beim Bau des Hauses natürlich eine solche Vorsorge getroffen.

Der hauptsächlichste Grund, dass wir, als die Nankinger zu fliehen begannen, in das alte Haus in Shangxinhe umzogen, war, dass wir dort wohnen konnten. Wir hatten auch erwogen, in die Flüchtlingszone zu ziehen, aber dort gab es keinen Platz zum Wohnen. Der korrekte Name der Flüchtlingszone hieß „Internationale Sicherheitszone“, die von einem internationalen Komitee der Nankinger Sicherheitszone verwaltet wurde. In dem Komitee waren Deutsche, Engländer, Amerikaner und Dänen vertreten. Es schickte an Hitler und den deutschen Ministerpräsidenten ein Telegramm und ersuchte das Internationale Rote Kreuz in Shanghai und das Chinesische Rote Kreuz um Anerkennung. Diese „Sicherheitszone“ lag um die Jinling-Universität, die Jinling-Mädchen-Sprachenschule und die Botschaft der USA und erstreckte sich über etwa vier Quadratkilometer. In der Zone gab es nicht wenige öffentliche Gebäude, in denen man wohnen konnte. Aber das alles war nur eine Illusion, denn nach dem Fall von Nanking drang die japanische Armee in die Sicherheitszone ein, als würde sie ein menschenleeres Gebiet betreten. Sie mordeten, brandschatzten, plünderten und raubten, so dass von Sicherheit überhaupt keine Rede sein konnte. Wenige Tage vor dem Fall von Nanking strömten die Flüchtlinge wie eine Flutwelle in die Flüchtlingszone. Allein die Jinling-Universität nahm etwa 30000 Menschen auf. Als es keinen Platz mehr gab, wurden auf allen Straßen Hütten errichtet. Es herrschte gerade Winter im Dezember, die Luft war kalt und der Boden gefroren, so dass unbeschreibliches Elend herrschte. Als danach die japanische Armee in die Stadt eindrang, ermordete sie in der Flüchtlingszone große Scharen von jungen Männern und vergewaltigte die Frauen. Sie machte keinen Unterschied zu den Bezirken außerhalb der Sicherheitszone. Wenn man jetzt an dieses Problem denkt, so ist es eine pure Illusion, dass, wenn ein Land so schwach ist, dass es seine eigenen Bürger nicht schützen kann, seine Hoffnung auf Rettung durch andere und auf die Gnade des Feindes zu setzen.

Wie erging es uns also, als wir nach Shangxinhe umzogen? Als anfangs die Zeitungen und das Radio verkündeten, dass Tang Shengzhi*) geschworen hatte, Nanking drei Monate lang bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, waren wir begeistert. Die Nachrichten, die wir in den Zeitungen lasen, dass der Regimentskommandeur Xie Jinyuan in Shanghai achthundert Männer anführte, die die Speicher von Sihang bis zum letzten verteidigten, und dass ein Pfadfinder aus dem Konzessionsgebiet von Shanghai ihnen unter Todesgefahr eine Landesfahne überbrachte, ließen das Blut heiß aufwallen. Doch die Realität vor unseren Augen war eine ganz andere. Das Gebiet vor unserem Haus verwandelte sich plötzlich in eine Frontlinie, am Abend flogen Kanonengeschosse über unser Dach. Soldaten der Guomindang lagerten Patronen, Handgranaten und Gewehre auf einem Tisch in unserem Wohnzimmer. Am 12. und 13. Dezember erschollen Maschinengewehre zwei Nächte lang, Kanonen-geschosse flogen über unser Dach. Wir lebten so in Schrecken, dass an Schlaf nicht zu denken war. Am Morgen des zweiten Tages war plötzlich alles still, kein Soldat war mehr zu sehen.

Die Nachricht verbreitete sich, dass japanische Soldaten bereits durch das Zhonghua-Tor in die Stadt eingedrungen waren und brandschatzten, mordeten, raubten und plünderten. Darauf beschmierten sich die Frauen das Gesicht mit Ruß, zogen sich Lumpen an und versteckten sich hinter der doppelten Wand. Am Nachmittag drangen japanische Soldaten wie reißende Bestien in unser Haus ein. Alles, was sie sahen, nahmen sie mit. Das Tor unseres Hauses stand sperrangelweit offen, und die japanischen Soldaten kamen und gingen in endlosem Strom. Vom angrenzenden Nachbar hieß es, dass die japanische Armee ihn in ihre Dienste gepresst hatte, denn sie brauchte Leute, die die Beute wegschaffen mussten. Wenn die japanischen Soldaten einen Mann sahen, war die erste Reaktion, ihm die Mütze vom Kopf zu schlagen, dann sahen sie sich die Hände an und befühlten die Schultern. Wenn die japanische Armee einen Jugendlichen oder einen Mann mittleren Alters antraf, der Schwielen auf den Händen hatte und der kahl rasiert war, betrachteten sie ihn als einen, der Soldat gewesen war, worauf sie ihn ohne weitere Erklärungen ermordeten, sie wurden alle exekutiert. Es ist überflüssig, darauf hinzuweisen, dass es internationalen Gesetzen widersprach, chinesische Kriegsgefangene, die die Waffen niedergelegt hatten, in großer Zahl hinzurichten. Außerdem wurden viele einfache chinesische Bürger, besonders arbeitendes Volk einfach aufgrund der Tatsache, dass sie an den Händen wegen ihrer Arbeit Schwielen hatten und weil die Sonne ihr Gesicht schwarz gebrannt hatte, sie einen Hutabdruck hatten, als Widerstand leistende Militärangehörige behandelt und deshalb in der Regel erschossen. Unser unglaubliches Glück bestand darin, dass in dem alten Haus in Nanking nur zwei Männer zurückgeblieben waren. Obwohl mein dritter Onkel damals erst etwa fünfzig Jahre alt war, hatte er sich aber einen langen Bart mit fünf Strähnen wachsen lassen, so dass er wie ein alter Mann aussah. Mein Vater war von dicker Statur, zudem ein Kaufmann, der am Ladentisch stand. Darum wurden sie nicht als Kriegsgefangene angesehen. Aber die Japaner raubten überall Sachen, ob Lebensmittel oder Kleider, alles nahmen sie mit, selbst eine alte Henne fingen sie weg. Wenn sie das Geraubte nicht fortschaffen konnten, hießen sie zwangsrekrutierte Leute, die Sachen wegzutragen. (Auch die Truppen der Guomindang rekrutierten solche Leute, aber sie brachten einen nicht um.) Viele zwangsrekrutierte aus unserer Nachbarschaft verschwanden, ohne dass man je wieder von ihnen gehört hätte, wahrscheinlich wurden sie umgebracht. Nicht lange, dann ereilte auch meinen Vater dieser Schicksalsschlag. Ein japanischer Soldat griff sich meinen Vater, dass er ihm helfen sollte, Sachen auf dem Rücken fortzutragen. Nachdem mein Vater gegangen war, blieb die ganze Familie in großer Sorge zurück. Wir wussten nicht, ob er zurückkehren würde. Es war so, als ob einem Haus der Dachbalken genommen würde. Wir weinten die ganze Zeit. Gegen Abend kehrte mein Vater wie durch ein Wunder wieder zurück. Ursprünglich musste er für den japanischen Soldaten das Raubgut bis zum Jiangdong-Tor tragen, was von Shangxinhe fünf Li (etwa 2,5 km) entfernt war. Als sie im Militärlager ankamen, zog er seine Baumwolljacke aus, weil ihm vom Tragen der Sachen warm geworden war. Unter der Jacke trug er einen dunkelbraunen Wollpullover. Als der japanische Soldat ihn sah, zeigte er auf den Wollpullover und sprach blubbernd ein paar unverständliche japanische Worte. Als mein Vater seine Absicht verstand, zog er eiligst den Wollpullover aus. Darauf schrieb der japanische Soldat meinem Vater auf einen Papierzettel einen Passierschein, der damals „Straßenzettel“ hieß. Mein Vater nahm diesen Zettel und kehrte schleunigst zurück. Aber er wagte nicht, die großen Straßen zu benutzen, sondern lief über die Felder zurück. Nachdem er viele Umwege genommen hatte, erreichte er abends zum Glück, der Gefahr entronnen zu sein, unser Haus. Obwohl mein Vater Glück hatte, veränderte sich seitdem sein Charakter, er wurde ein ängstlicher Mann, ein Mann, der in den Tag hineinlebte, der nichts mehr tun wollte. Das Sprichwort sagt, ein Schrecken kann den Mut zerbrechen.

Die Gegend um das Jiangdong-Tor war ein Schwerpunkt des Massakers. Während der Verteidigung Nankings war sie ein wichtiges Schlachtfeld des mittleren westlichen Abschnitts, später wurde sie zu einer zentralen Stätte des Massakers der japanischen Armee an chinesischen Militärangehörigen. Mein dritter Onkel Wang Wende war ein Holzvermesser. Ein Holzhändler mit Familiennamen Sheng aus der Provinz Hunan betrieb lange Zeit in Shangxinhe einen Holzhandel. Etwa zwei Wochen, nachdem die japanische Armee in die Stadt einmarschiert war, hatte das Massaker im Großen und Ganzen aufgehört. Nach chinesischer Tradition ist es ein gutes Werk, Leichen zu begraben, um die einsamen Geister und bösen Gespenster zu besänftigen. Er unternahm es, eine Schar von Arbeitskräften zu organisieren, die die Leichen, die in dem Abschnitt von Shangxinhe bis zum Shuixi-Tor angetrieben wurden, zu vergraben. Mein dritter Onkel beteiligte sich an dieser Arbeit. Etwa zehn Tage war er unterwegs. Nachdem er zurückgekehrt war, schlief er drei oder vier Tage, ohne zu trinken und zu essen, als wäre er schwerkrank. Das, was er gesehen hatte, hatte ihn furchtbar mitgenommen. Später erzählte er uns:

„Beim Jiangdong-Tor gibt es ein Mustergefängnis, das innen eine sehr große Fläche hat. Ursprünglich waren hier verschiedene Verbrecher eingesperrt. Später wurde es ein Ort, in dem die japanische Armee Kriegsgefangene einsperrte. In Wirklichkeit waren die sogenannten Kriegsgefangenen größtenteils einfache Leute, die vor der Katastrophe geflohen waren, oder aufgegriffene Bürger, die der japanischen Armee helfen mussten, Beute wegzutragen. Die japanische Armee trieb hier mehr als zehntausend „Kriegsgefangene“ die große Straße vom Jiangdong-Tor entlang und mähte sie mit Maschinengewehren nieder. Gleichzeitig übergossen sie die Strohhütten zu beiden Seiten der Straße mit Benzin und zündeten sie an. Der Feuerschein, der zum Himmel loderte, diente ihnen als Beleuchtung. Nach dem Massaker türmten sich die Leichen am Jiangdong-Tor bergehoch. Dann fuhren japanische Trossfahrzeuge durch den Fluss, sie nahmen die Leichen und warfen sie ins Wasser, bis die Strömung stillstand. Auch Menschen, die noch atmeten, warfen sie in den Fluss.“ Mein dritter Onkel sagte:“Wir haben vom Jiangdong-Tor bis zum Pavillon Datucha und in der Gegend des Shuixi-Tors mehr als 28000 Leichen vergraben. Diese Zahl kann in Registern überprüft werden. Für jeden, den wir begraben hatten, bekamen wir vier Jiao, die uns der Chef Sheng und mehrere andere Chefs auszahlten. Man kann sagen, dass die Leichen am Jiangdong-Tor überall kreuz und quer lagen. Das Begraben bestand nur darin, dass wir eine tiefe Grube aushoben und dahinein die Leichen warfen. Manchmal erstreckte sich neben der Grube ein Fließ. Wir brachten die Leichen hinein, bedeckten sie mit Erde und steckten eine Holztafel als Zeichen in die Erde. Die Toten, die gebrochene Arme hatten, oder denen die Beine fehlten, waren größtenteils junge kräftige Männer, aber es waren auch Frauen darunter, die man zu Tode vergewaltigt hatte. Allem Anschein nach waren es in der Mehrzahl Arbeiter und Bauern. Diese Arbeit des Begrabens, die wir verrichteten, hatte uns seelisch derart zugesetzt, dass es nicht auszuhalten war, außerdem war der Gestank entsetzlich. An keinem Tag konnten wir etwas essen. Nachdem ich zehn Tage gearbeitet hatte, konnte ich wirklich nicht mehr weiter machen. Zurückgekehrt, standen mir immer noch die Leichen als ein Berg von Blut und Fleisch vor Augen. Es war schrecklich. Meine Seele will sich nicht mehr erholen, in meinem Kopf habe ich immer nur die Toten, die Leichen. Ich lag im Bett und mochte mich nicht rühren...“

Wenige Tage später hörte ich einen Nachbarn erzählen, dass sich in Shangxinhe am Mianhua-Damm folgendes ereignet hatte. Weil der Mianhua-Damm am Jangtse liegt, hatten sich unsere Truppen hier über den Strom zurückgezogen. Deshalb hatte es hier Kämpfe gegeben. Ein Pferd der Japaner war von einer Kugel tödlich getroffen worden. Sie hatten dann Leute, die noch nicht geflohen waren, mit vorgehaltenem Gewehr gezwungen zu helfen, das Pferd auf eine Wiese zu ziehen und es dort zu begraben. Es waren alles alte Leute, die nicht geflohen waren. Nachdem das Pferd bestattet war, stellten sie eine Tafel zur Erinnerung auf. Dann hatten die Japaner neun Menschen, die das Pferd bestattet hatten, mit einem Säbel enthauptet und die abgetrennten Köpfe rings um das Pferdegrab aufgestellt, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Köpfe der Chinesen ein Opfer für ihr Kriegspferd seien.

Ich habe einen Freund Wang Youlan (er trägt auch den Namen Wang Hengyu), der fünf Jahre älter als ich ist. Nach dem Massaker von Nanking erzählte er mir, was er mit eigenen Augen gesehen hatte:

„Mit meiner alten Mutter war ich in die Flüchtlingszone gezogen, und wir wohnten vorübergehend in einem dreistöckigen Haus in der Shuangshigu-Straße. Vor unserem Fenster ersteckte sich die Hanzhong-Straße, so dass wir die Verbrechen der japanischen Soldaten dort ganz deutlich beobachten konnten. In der Tieguan-Gasse, die gegenüber dem Fenster unserer Wohnung lag, sah ich mit eigenen Augen, wie die Japaner drei Landsleute an einen Strommast fesselten. Dann schlitzten sie ihnen mit einem Säbel den Bauch auf. Damals lag viel Schnee, und das Blut floss auf den weißen Schnee, ein grauenvoller Anblick. In der ganzen Stadt loderten überall Feuer, und in der Gegend von der Kreuzung Xinjiekou bis zur Zhonghua-Straße lag dichter Rauch. Am Dahua-Kino schlugen die Flammen himmelhoch. Ganz Nanking hatte sich plötzlich in eine schreckliche Hölle verwandelt.

Am 13. Dezember begann das Massaker in der Stadt, am 14. stand alles in Flammen. Ich sah einen Trupp Japaner, die drei- oder vierhundert Flüchtlinge zum Hanzhong-Tor abführten. Nicht lange danach knatterte lautes Maschinengewehrfeuer, und wieder nicht lange danach kehrte der Trupp Japaner feixend zurück. An diesem Abend wurde der alte Herr Zhou, der mit uns wohnte, von den Japanern abgeführt, einen geraubten Lederkoffer wegzutragen. Zum Glück konnte er wieder nach Hause flüchten. Er erzählte, dass er den Koffer zur Zentralen Politikschule in der Jianyou-Straße tragen musste, die schon ein japanisches Militärkrankenhaus geworden war. Der alte Herr Zhou berichtete unter Tränen: ‘Unterwegs waren alle Straßen und Gassen mit Leichen übersät, überall lagen Köpfe von Menschen herum.

In der Flüchtlingszone, in der unsere Familie wohnte, gingen die Japaner ein und aus, sie brachen die Türen auf und drangen ein. Alle Jugendlichen, die an der rechten Hand Schwielen hatten, wurden als Heckenschützen angesehen und durchweg grausam ermordet. Damals flüchteten sich die Frauen in die Mädchen-Sprachenhochschule der Jinling-Universität, aber die zurückgebliebenen alten und schwachen Frauen wurden größtenteils vergewaltigt, manche wurden von ganzen Gruppen vergewaltigt. Zwei ältere mehr als fünfzig Jahre alte Damen, die in unserem Haus unter uns wohnten, konnten dieser Mörderbande auch nicht entkommen. Als nach etwa einem Monat die Menschen wieder begannen, in ihre Häuser zurückzukehren, um nachzusehen, verließ ich die Flüchtlingszone. Von der Luosi-Brücke bog ich in die Hanzhong-Straße ein und lief entlang der Shigu-Straße und der Mochou-Straße zum Himmelspalast. Ich überquerte die Shengzhou-Straße und kam zu Hause an. Auf allen Straßen lagen Leichen kreuz und quer. Bei einem Leichnam einer jungen Frau war der Unterleib entblößt und der Bauch war mit einem Bajonett aufgeschnitten. Daneben lag der Leichnam eines Säuglings in einer Stellung, als hätte er gerade an der Brust getrunken. Am Eingang zur Taicang-Gasse in der Shengzhou-Straße hatten sie zwei Menschen lebendig eingegraben, Kopf und Brust steckten in der Erde, und nur die beiden Beine ragten heraus. Auf dem Flussabschnitt von der Shangfu- bis zur Xiafu-Brücke trieben nicht wenige Leichen umher. Ich war noch nicht zu Hause angelangt, als ich an der Haustür in einem wüsten Durcheinander Leichen liegen sah. Nachdem ich zu Hause war, waren von den Nachbarn zur rechten und zur linken Hand nur zwei alte Frauen übriggeblieben, die die siebzig überschritten hatten.

Nach dem Neujahr entsprechend dem Mondkalender wurde das Wetter allmählich wärmer, und die Blutlachen auf den Straßen färbten sich schwarz, überall stank es unerträglich …“

Außer den Berichten des Onkels, des Vaters und von Freunden hatte ich mit eigenen Augen folgendes gesehen: Eines Tages nachmittags drang ein japanischer Soldat in unser Haus ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte die japanische Armee Nanking bereits vor mehr als einem halben Monat okkupiert, so dass sich die Lage schon ein wenig beruhigt hatte. Am Nachmittag war außer mir niemand im Haus, es war sehr ruhig. Ein Zimmer im Hinterhof unseres Hauses hatten wir vorübergehend an ein Ehepaar aus Hubei vermietet, das wahrscheinlich auch im Holzhandel tätig war. Ich weiß nicht, warum der Mann an diesem Tag nicht zu Hause war. Nachdem der japanische Soldat in unser Haus kam, lief er gleich in den Hinterhof, und als er die Frau sah, vergewaltigte er sie. Weil am Nachmittag niemand zu Hause war, hielt sich auch die Frau versteckt. Aber weil sie dachte, dass der Höhepunkt der Morde und Vergewaltigungen schon vorüber sei, hatte sie in ihrer Wachsamkeit nachgelassen. Nachdem sie vergewaltigt worden war und der Soldat gegangen war, ist die Frau plötzlich allein aus dem Haus gegangen. Sie lief geradewegs auf einen Fischteich zu, der gegenüber unserem Haus lag, sprang ins Wasser und ertränkte sich. Das machte sie, weil die Frauen der älteren Generation Keuschheit als höchstes Lebensgut ansahen. Nachdem der Ehemann zurückgekehrt war, entdeckte er, was passiert war, und barg ihre Leiche aus dem Wasser. Ihr Ehemann ist später weggezogen, und ich weiß nicht, was weiter mit ihm geschah. In dem etwa einen Monat des Massakers von Nanking hatten die japanischen Truppen mehr als zwanzigtausend Frauen geschändet. Von zwölf-, dreizehnjährigen kleinen Mädchen bis zu sechzig, siebzig Jahre alten Frauen entging kaum eine diesem Schicksal. Manche wurden erst vergewaltigt und dann ermordet, manche wurden umgebracht, weil sie Widerstand leisteten, und manche wurden von ganzen Horden bis zum Tode vergewaltigt. Die japanischen Truppen führten sich wie Bestien auf. Der Fall mit der vergewaltigten Frau aus Hubei geschah in unserem Haus, ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Die Folge war, dass eine Familie zugrunde ging. Das geschah etwa fünfzehn Tage, nachdem Nanking okkupiert worden war.

Mit Mörderwettbewerben offenbarten die japanischen Truppen ihre Brutalität. Aber selbst fanden sie nicht, dass es grausam sei, sondern dass es ihnen Spaß machte, ja, sie hielten es für rühmlich, jegliche Menschlichkeit war ihnen abhanden gekommen. Fotos dieser Mörderwettbewerbe wurden in Zeitungen veröffentlicht. Ich hatte damals die Zeitungen gesehen. Später wurden diese Vorfälle vor dem Militärgericht des Verteidigungsministeriums zur Verurteilung der Kriegsverbrecher unnachsichtig verhandelt. Von den beiden japanischen Kriegsverbrechern heißt der eine Mukai Toshiaki und der andere Noda Tsuyoshi. Sie begannen auf ihrem Feldzug in der Stadt Danyang in der Provinz Jiangsu mit dem Mörderwettbewerb, den sie „Wettstreit hundert Menschen mit dem Schwert töten“ nannten. Japanische Reporter begleiteten sie, um über den Fortgang dieses Wettkampfs zu berichten. Als sie in Wuxi ankamen, hatte Mukai Toshiaki 56 Menschen und Noda Tsuyoshi 25 Menschen enthauptet. Als sie den Purpur-Berg in Nanking erreichten, sagte Noda zu Mukai:“He, ich habe 105 enthauptet. Kleiner, wie viel hast du geschafft?“ Worauf Mukai antwortete:“Der Große hat 106 erledigt!“ Zugleich hatten die beiden an Ort und Stelle beschlossen:“Unser Ziel ist, 150 Menschen abzuschlachten!“ Dieser Vorfall wurde damals in einer japanischen Zeitung veröffentlicht. Das Foto der beiden Männer mit einem Schwert in der Hand war in vielen Zeitungen zu sehen. Damals berichtete die Zeitung Millard’s Review (Ausgabe Shanghai) darüber:“Die Mordlust der japanischen Truppen können ausländische Missionare bestätigen. … Ihre Grausamkeiten übersteigen jede menschliche Vorstellungskraft.“ Auch das Militärgericht des Verteidigungsministeriums der Guomindang-Regierung zur Verurteilung der Kriegsverbrecher sagte in seinem Urteil:“Dass sie das Abschlachten von Zivilisten als militärische Taten hinstellten und an Wettbewerben zum Töten von Menschen Spaß empfanden, muss man als Gipfel der Barbarei bezeichnen. Ihre rücksichtslose Brutalität sucht ihres gleichen. In der Tat sind sie ein Abschaum der Menschheit, Feinde der Zivilisation.“

Ganz im Gegensatz zur Lage in Nanking wurde in Japan, besonders in Tokyo enthusiastisch gefeiert. Massen von Japanern sangen und tanzten, sie feierten einen Sieg, an den sie seit der Staatsgründung vor 2600 Jahren nicht zu denken gewagt hatten. Darüber wurde damals in den Zeitungen offen berichtet.

Der Angriff auf Nanking erfolgte aufgrund eines Edikts des Tenno. Später entzog er sich einem Gericht. Der von Japan nach Shanghai entsandte Armeekommandeur Asaka Yasuhiko gab einen geheimen, „nach dem Lesen zu vernichtenden“ Befehl heraus:“Sämtliche Gefangenen sind zu töten.“ Asaka Yasuhiko war ein Onkel des Tenno und ein Prinz der Kaiserfamilie, der auch Asaka Miya genannt wurde. Weil man die japanische Kaiserfamilie später von Verhören ausnahm, wurde dieser Kriegsverbrecher nicht einmal vor ein Gericht geladen, er erschien nicht vor Gericht, über ihn wurde nicht gerichtet, ganz zu schweigen, dass über ihn ein Urteil verhängt worden wäre.

Grundlagen für die Zahl von 300 000 Toten

Die japanischen Rechtsradikalen gestehen heute nach nunmehr 60 Jahren, als das Massaker von Nanking geschah, nach wie vor das Verbrechen des Massakers von Nanking nicht ein, vielmehr versuchen sie vergeblich, die Urteile im Kriegsverbrecherprozess des Verteidigungsministeriums der chinesischen Regierung anzufechten. Über die Zahl der Toten wird unablässig gestritten, und die japanischen Rechtsradikalen behaupten gar, es wären nur fünf-, sechstausend Menschen umgekommen.

Bezüglich der Zahl von 300000 Toten war es unter den damaligen Bedingungen in der Tat schwierig, für jeden einzelnen den Namen und eine Bestätigung zu erhalten. Wegen der Fluktuation der Nankinger Bevölkerung, zu der die Stationierung von mehreren hunderttausend Soldaten kam, und der Tatsache, dass während der siebenjährigen Herrschaft der Marionettenregierung diese Arbeit nicht geleistet werden konnte, lässt sich nur von ungefähr 300000 Toten sprechen, aber dies ist keine Zahl, für die es keine Grundlage gäbe. Mit Blut geschriebene Tatsachen lassen sich nicht wegwischen.

Wir können die Zahlen der von den Wohltätigkeitsverbänden bestatteten Leichen zum Beweis heranziehen:

Die Zweigstelle Nanking des Internationalen Roten Kreuzes begann ab dem 22. 12. 1937, die Leichen zu bestatten. Anfangs waren damit 20 Personen beschäftigt, später waren es bis zu 160 Personen. Sie hatten die Leichen in Massengräbern bestattet. In je eine Grube kamen mehr als 1000 Leichen. Beginnend vom 22. 12. 1937 bis zum 31. 5. 1938 hatten sie insgesamt 43123 Leichen bestattet.

Der Wohltätigkeitsverband Chongshantang blickt auf eine Geschichte von 140 Jahren zurück. Unter Leitung seines Vorsitzenden Zhou Yiyu wurden zunächst vom 26. 12. 1937 bis zum 1. 5. 1938 in der Stadt herumliegende Leichen aufgesammelt und bestattet. Ab dem 7. 4. 1938 begann man, Leichen in den Außenbezirken aufzusammeln und zu bestatten. Insgesamt bestatteten sie 112267 Leichen. Der Verband Chongshantang, der insgesamt vier Monate tätig war, bestattete die meisten Leichen. Diese Einrichtung war der aktivste und wichtigste Wohltätigkeitsverband. Auch das Nankinger Selbstverwaltungs-komitee der Marionettenregierung erkannte dessen Arbeit an und bestätigte die Register der bestatteten Leichen.

Die Nankinger Zweigstelle des Internationalen Roten Kreuzes ist im Jahre 1904 gegründet worden, das damals als 30. Jahr der Regierungsära Guangxu gezählt wurde. Seine Bestattungsbrigaden hatten hauptsächlich entlang dem Strom im Gebiet von Xiaguan insgesamt mehr als 22000 Leichen beerdigt, aber nur 910 Leichen kamen in Särge, die übrigen Leichen in Massengräber. Auch das IRK hatte die statistischen Tabellen über die bestatteten Leichen an das Nankinger Bürgermeisteramt der Marionettenregierung geschickt.

Der Wohltätigkeitsverband Tongshantang wurde mittels Spenden von Nankinger Seidenfabrikanten im 2. Jahr der Regierungsära Guangxu (1876) gegründet. Er hatte im Gebiet vor dem Zhonghua-Tor bei der Yuhua-Terrasse insgesamt mehr als 7000 Leichen von Soldaten und Zivilisten bestattet. Der Chef der Bestattungsbrigade von Tongshantang, Liu Decai, hatte bei der Verurteilung des Kriegsverbrechers Tani Hisao vor Gericht ausgesagt und legte diese Beweise von den Bestattungen vor.

Eine nationale Bestattungsbrigade, die von Lao Ahong und Wang Shouren ins Leben gerufen wurde, war hauptsächlich damit befasst, Landsleute der Hui-Nationalität zu bestatten, und bemühte sich, sie nach den Gebräuchen der Hui zu beerdigen. Allein im Umkreis des Wutai-Berges hatte sie 400 Leichen beerdigt.

Die Bürger Nankings hatten spontan private Bestattungsbrigaden organisiert, weil der Anblick der überall herumliegenden Leichen nicht auszuhalten war. Beispielsweise gaben die Holzhändler Sheng Shizheng und Chang Kaiyun gemeinsam mehr als 11000 chinesische Dollar aus, um 28730 Leichen zu bestatten (das war die Bestattungsbrigade, in der mein Onkel mitgemacht hatte). Rui Fangyuan, ursprünglich ein Blumenzüchter, brachte mehr als dreißig hilfsbereite Personen zusammen, die aus freien Stücken 7000 Leichen von Flüchtlingen bestatteten.

Die Marionettenregierung und das ihr unterstellte Selbstverwal-tungsomitee der Stadt Nanking organisierte mehr als zehntausend Arbeiter, die im Gebiet von Xiaguan bis Sanchahe 3240 Leichen bestatteten. Der Gouverneur der Marionetten-regierung von Nanking, Gao Kuanwu, ließ im Gebiet vom Linggu-Tempel vor dem Zhongshan-Tor bis zu Maqun die Überreste von 3000 Leichen bestatten, außerdem errichtete er eine Gedenktafel für die „herrenlosen einsamen Seelen“.

Die japanische Armee gab vor Gericht zu, dass sie etwa 15000 Leichen in den Jangtse geworfen oder verbrannt hätten (der Major Adachi hatte befohlen, etwa 51000 Leichen in den Jangtse zu werfen. Zehntausend Leichen wurden nach Jiangbei befördert und dort verbrannt oder bestattet. Der Major Oda Hisao ließ 19000 Leichen in den Jangtse werfen. Die Truppen für den Angriff auf Nanking hatten Maßnahmen für die Beseitigung mehrerer zehntausend Leichen getroffen.)

(Die oben genannten Zahlen beruhen sämtlich auf Materialien der Chinesischen Forschungsgesellschaft für die Geschichte des Antijapanischen Krieges und des Gedenkmuseums über den Antijapanischen Krieg des chinesischen Volkes.)

Aufgrund zahlreicher Materialien des Militärgerichts des Verteidigungsministeriums der chinesischen Regierung zur Verurteilung der Kriegsverbrecher wurde, insbesondere im Urteil gegen Tani Hisao, die Gesamtzahl der bestatteten Leichen und der von den japanischen Truppen mit Maschinengewehren niedergemähten und verbrannten Opfer mit mehr als 300000 beziffert.

Wir können das auch an der Veränderung der Zahl der Bevölkerung Nankings sehen. Im Jahre 1937 näherte sich die Bevölkerung der Stadt Nanking einer Million. Vor dem Fall von Nanking zogen sich mit der Regierung mehr als 200000 Beamte und deren Familienangehörige aus der Stadt zurück. Mehr als 200000 reiche Leute flüchteten in andere Gegenden. Zu dem Zeitpunkt zählte Nanking mehr als 400000 Bürger. Dazu kamen von außerhalb hereingeströmte Flüchtlinge und die 15 Divisionen Verteidigungstruppen der Nationalregierung mit einer Gesamtzahl von über 160000 Menschen. Damals zählten die Armeeangehörigen und die Zivilisten in Nanking etwa 550000 Menschen. Nach dem Massaker von Nanking blieb nur noch eine Bevölkerung von etwas über 200000 übrig. Das belegt auch von dieser Seite die Wahrscheinlichkeit der Zahl von 300000 Massakeropfern. Das Massaker von 300000 Menschen, dieses zum Himmel schreiende Verbrechen, ist unwiderlegbar bewiesen.

Bis heute treffe ich häufig chinesische Jugendliche, die mich fragen, ob beim Massaker von Nanking wirklich so viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Ich antworte ihnen, dass es so gewesen ist. Aber damals war ich ein Junge von 13 Jahren, heute bin ich schon 84 Jahre alt. Die meisten Augenzeugen leben nicht mehr. Jetzt ist es nicht mehr möglich, die Zahl der massakrierten exakt festzustellen. Leider wurde diese Arbeit in der Vergangenheit versäumt.

Verteidigung bis zum Tod wurde zu heilloser Flucht

Im Verteidigungskampf um die Hauptstadt Nanking, den die Guomindang-Regierung führte, leistete eine militärische Macht von 15 Divisionen Widerstand gegen die japanischen Truppen. Aber die Verteidigungsarmee von Nanking hatte auf dem Schlachtfeld nur zehntausend Verletzte und Tote verloren – wie ist dieser Krieg geführt worden?!

Damals war Tang Shengzhi Garnisonskommandant von Nanking. Die Losung dieses Garnisonskommandanten lautete „Mit Nanking leben und sterben“ und „Nanking drei Monate lang bis zum Tod verteidigen“. In den Zeitungen und auf großen Transparenten auf den Straßen sahen wir eben diese Losungen. Die Bürger von Nanking gingen oftmals, dem Regen trotzend, zu Kundgebungen, um Tang Shengzhi in der Verteidigung bis zum Tod zu unterstützen. Als Schüler der sechsten Klasse nahm ich auch an diesen Versammlungen teil und reihte mich bei denen ein, die Nanking bis zum Tod verteidigen wollten.

Erst nach dem Sieg im Krieg, als ich Reporter wurde, erfuhr ich, was wirklich geschah. In Wahrheit klaffte zwischen der Erscheinung an der Oberfläche und den Vorgängen hinter den Kulissen ein himmelweiter Unterschied. Damals hatte die Regierung von Tschiang Kaischek*) Wang Jingwei*) und den deutschen Botschafter Trautmann*) entsandt, um Bedingungen für einen Waffenstillstand auszuhandeln. Gleichzeitig schickte er jemanden nach Deutschland zu Göring, um ihn um Vermittlung zu bitten (der Gesandte konnte Hitler nicht sehen). Zeitgleich berief Tschiang Kaischek in Nanking eine Reihe von Konferenzen ein, um die Frage der Verteidigung von Nanking zu erörtern. Das Mitglied des Ständigen Ausschusses der Militärkommission Bai Chongxi*), der den Spitznamen „Kleiner Zhuge Liang“ trug, analysierte mit dem Chef des Kriegsführungsstabes im Hauptquartier, Liu Fei, und anderen die Vor- und Nachteile einer Verteidigung von Nanking. Er kam zu dem Schluss:“Es ist unmöglich, in Nanking als der Hauptstadt des Landes die Stellung aufzugeben, ohne irgendeinen Widerstand zu leisten.“ Aber man sollte nicht mit übermäßigem Kräfteeinsatz um diese eine Stadt kämpfen, sondern sie nur symbolisch verteidigen. Nach einem angemessenen Widerstand sollten wir uns aktiv zurückziehen. Was die militärischen Kräfte anging, seien zwölf Divisionen, höchstens jedoch 18 Divisionen ausreichend. Zu viele Truppen seien für die Mobilität nicht vorteilhaft (siehe Liu Fei: Nanjing baoweizhan – Der Verteidigungskrieg um Nanking). Bai Chongxi meinte geradezu, man sollte Nanking zur offenen Stadt erklären.