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1. Auflage Juni 2011

Titelbild: Magic Zyks & [d]Ligo

©opyright 2011 by Magic Zyks

Lektorat: Franziska Köhler

E-Book-Konvertierung: nimatypografik

ISBN: 978-3-944154-00-8

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Vorwort

Es traf es mich wie ein Blitz, als ich die zunächst noch schwarz-weiß laserkopierten Bilder von Menschen aufschlug, die – pun intended – keine Schmerzen dabei hatten, sich derart nah und freundlich ablichten zu lassen, wie sie es Magic Zyks erlaubten. So etwas habe ich noch nie gesehen – und ich habe schon einiges gesehen ...

Cool finde ich beispielsweise die starke Dramaturgie nebst allerhand poetischer Momente, auch in den oft lakonischen Interview-Antworten:

«Welches Tier würdest du gerne sein, wenn du wiedergeboren würdest?» – «Ein Vogel.»

«Hast du ein Vorbild?» – «Ich will mich selbst finden und dazu brauche ich kein Vorbild.»

«Welche Reaktionen erhältst du aus deinem Umfeld?» – «Ich merke oft, dass ich gar nicht alleine bin.»

Das ist knapp wie bei Hemingway, naiv und trotzig wie ein frisch aufgeräumtes Hello Kitty-Zimmer, aber im Zusammenspiel mit den Fotos zugleich auch ein tonnenschwerer Brocken.

Dennoch klebt das Ganze nirgendwo pechschwarz und triefend vor sich hin. Erstaunlich, denn immerhin zerstört sicher nicht nur eine der Befragten, was ihre Eltern einst erschaffen wollten: die kleine, liebe Tochter. Dass es dabei hin und wieder – oder wohl auch öfters – scharfer Gegenstände bedarf, ist zwar verständlich, weh tut es trotzdem. Aber das soll es ja auch.

Noch einmal zur Dramaturgie des Buches. Dass Zyks auf die atemberaubende Titelfotogeschichte einer mehr als vollbusigen Vernarbten die ganz und gar angekommene, transsexuelle Susanne folgen lässt, darauf muss man erstmal kommen. Auch, dass auf einem ausnehmend geschmackvollen Foto Pina Bausch von oben, von unten aber Miss Platnum auf die schöne Körperhaltung der anmutigen Antonia schauen, ist sicher kein Zufall. Der Autor heißt vielleicht eben deshalb Magic: Weil andere solche Fein- und Freiheiten in einem eigentlich angespannten Umfeld mangels Hirnfrische nicht erkennen und ablichten könnten.

Drei weitere Beispiele: Bei Narben an Borderline zu denken, bei einem Knebel- und Zaumzeug an ein Arschloch von älterem Familienmitglied oder bei einer tätowierten Riesenfledermaus an Spinnweben im Kopf – das ist zu billig. Zyks springt gleich dahin, wo die Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller sich und ihre Körper stattdessen sehen: bei Herzensgefühlen, dem Fliegen und einem Hintern voller Doppelstriemen. Kotau.

Selbst in neueren Dokumentationen zum Thema Bodymodification kommt eine derartig professionelle, aber unbefangene Eindampfung auf den Zweck der Übungen – nämlich die Selbstfindung der durchaus getriebenen Protagonistinnen und Protagonisten – nicht vor. Das ist in self-discovery anders. Dort finden sich humorvolle, exhibitionistische, entspannte Menschen, die mit einer Handfessel, deutlich geformten Oberschenkeln und einem Heißgetränk in der Hand auch mal gemütlich abchillen. Keines der Fotos und keine der Textminiaturen ist, bei aller notwendigen Nacktheit, voyeuristisch oder trivial. Zyks hat nicht triefende Fantasien auf die Seelen anderer gepappt, sondern solide Persönlichkeiten dar­gestellt, die ihre Welt so vorstellen, dass es für keinen Normalo mehr hinnehmbar ist.

Natürlich haben die Dargestellten neben Mumm auch Flöhe im Kopf. Denn wessen Freunde komplett aus einer einzigen Subkultur stammen oder wer sich die Brüste vor dem Ausgehen mit Kochsalzlösung vollpumpt, der ist sicher anders, sich seiner aber auch sicher. Das gilt erst recht, wenn die Aktion in retrorustikalem Eichen-Interieur unter der Mansarde stattfindet.

Dergleichen Irrsinn stört die Special People im Buch nicht im Geringsten. Zurecht, denn erstens verwandeln sie sich ja nicht wie die umoperierten Zombies der Jetztzeit – aktuell die Brüder Bogdanoff, Michaela Romanini oder Jocelyn Wildenstein – zu grauenerregenden Gruselgespenstern, sondern zu freudig entspannten Akteuren, die wollen, was sie tun.

Zweitens wissen sie um ihre Sonderlichkeit und können sie daher ins Leben einbauen. Das ist nicht selbstverständlich. Den meisten Menschen sind ihre eigenen Wünsche so fremd, dass sie sich lieber verbissen durchs Leben bitchen, anstatt mittels eines schwarzen Ganzkörperanzuges zu einem Latexpanther zu mutieren. Oder sich erst die Haut einfärben, um damit ihre ganze Welt in Flammen zu setzen. Der Begriff des Gesamtkunstwerkes erhält dabei einen völlig neuen Überzug nebst schicker Färbung. Sie verstehen, was ich meine.

Noch einmal: Das hier ist ein eindrucksvolles, schlüssiges, modernes Werk, und es kommt ganz ohne Psychogeschwafel aus. Davon haben die Darstellerinnen und Darsteller zwar gewiss schon einiges hinter sich, es gehört aber wie die hin und wieder verweigerte Angabe zum Beruf in der Tat einfach nicht hierher. Zyks zeigt nicht, ob oder was bei den Protagonistinnen und Protagonisten schief gegangen sein könnte, sondern wo sie heute stehen.

Self-discovery wird für sehr lange Zeit Richtschnur und Leitstern sein, wenn es um unaufgeregte, lupenreine Bild- und Selbst-Beschreibungen von Menschen geht, die zwar körperlich oder seelisch ziemlich vernarbt sind, aber gerade deswegen auch mehr als andere ihren Frieden sehr gründlich aushandeln mussten.

Und das ist sehr, sehr schön.

Mark Benecke (http://benecke.com/) arbeitet weltweit als Kriminalbiologe. Während seiner Arbeit im Institut für Rechtsmedizin der Stadt New York (1997–1999) lebte er im East Village und schrieb dort die ersten forensischen Fach­artikel zu Zungenspaltungen, Narbenmustern und Extrempiercings.

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