Dietmar Bittrich

Alle Orte, die man knicken kann

Inhaltsverzeichnis

Man muss nicht in New York gewesen sein

Europa

Frankreich

England

Schottland

Dänemark

Schweden

Island

Russland

Tschechien

Ungarn

Italien

Spanien

Griechenland

Türkei

Europa – Kurz und knickbar

Afrika

Ägypten

Marokko

Kanarische Inseln

Kenia

Südafrika

Seychellen

Afrika – Kurz und knickbar

Amerika

USA

Der Südwesten

Mexiko

Peru

Brasilien

Amerika – Kurz und knickbar

Asien

Indien

China

Seidenstraße

Malediven

Asien – Kurz und knickbar

Australien und Ozeanien

Australien

Neuseeland

Osterinsel

Australien und Ozeanien – Kurz und knickbar

Alle Orte alphabetisch

Anmerkungen

Man muss nicht in New York gewesen sein

Auch nicht in Rio, auf den Seychellen oder in Prag. Nicht mal auf dem Markusplatz. Gerade Plätze, die von der Tourismusindustrie zu Traumzielen ausgerufen werden, erweisen sich vor Ort als Flops. Von allen Sehenswürdigkeiten bleibt nur das Café in Erinnerung, in dem man sie vergessen durfte. Vielleicht noch der Säulenstumpf, an dem man sich den Fuß verstauchte. Es gibt keinen Ort, den man gesehen haben muss. Im Gegenteil. Erst wenn man bestimmte Städte und Landschaften auslässt, kann man das Leben genießen. In diesem Buch erzähle ich, warum.

Dass Bali und die Karibik nichts taugen, hat sich herumgesprochen. Bei anderen Orten, Sydney oder Rio zum Beispiel, begründe ich, weshalb sie Schrott sind. Für die meistgehypten Ziele, Paris, Venedig, New York, die Seychellen und so weiter, habe ich mir richtig Zeit genommen.

Man kann sie alle knicken. Und falls man doch hinfährt, weil der Partner unbedingt möchte, hilft dieses Buch beim Umschiffen der Sehenswurstigkeiten. Im Zweifelsfall ist es immer besser, im Café zu relaxen statt sich Tempel, Wasserfälle, Pyramiden anzutun. Falls lästige Mitreisende beharrlich stören: Ich gebe ortsspezifische Tipps, wie man sie für immer los wird.

Dieses Buch macht also Spaß. Wir dürfen reisen, klar. Aber wir müssen die Hypes nicht mitmachen. Wir können uns stattdessen amüsieren, in welchem Land sich unsere Freunde diesmal stressen lassen. Wo unsere Nachbarn über den Tisch gezogen werden. Und wo wir selbst nicht hinmüssen. Dieses Buch spart nicht nur Geld. Es entspannt. Es macht glücklich.

Europa

Frankreich

Es ist nicht wahr, dass Paris die Menschen kalt und unfreundlich macht», beteuerte der frühere Bürgermeister Jacques Chirac. «Es ist umgekehrt: Immer mehr kalte und unfreundliche Leute kommen nach Paris.» Wie sonderbar! Gleichwohl verlieren sich auch warmherzige und gutwillige Menschen in die aschgraue Smog-Metropole. Bei der Abreise sind sie meist froh, wenn nur ihre Brieftasche geklaut worden und lediglich ihr Auto in Flammen aufgegangen ist.

Die peinlichsten Sehenswürdigkeiten

Eiffelturm.  Die wenigsten Einheimischen sind auf dem Eiffelturm gewesen. Sie scheuen die endlosen Schlangen. Sechs Millionen Touristen pro Jahr stellen sich an. Weil viele von ihnen aus Verzweiflung über den schlechten Blick in die Tiefe sprangen, ist die Plattform in fast 300 Meter Höhe seit einiger Zeit verglast. Doch die schmutzigen Scheiben tragen keine Schuld, dass nichts zu sehen ist. Spätere Versuche, vom Tour Montparnasse oder von Sacré-Cœur aus einen Überblick zu gewinnen, beweisen: Es liegt an der grauorangen Feinstaubschicht über der Stadt. Paris ist in Europa die Stadt mit der höchsten Zahl an Atemwegserkrankungen. Das immerhin kann der Eiffelturm-Tourist nachvollziehen. Wenn er sich unten noch den Händlern entwinden kann, die ihm Minitürme made in China aufdrängen, hat er Anspruch auf den Tourism Watch Award.

Champs-Élysées.  Frittenbuden, Planet Hollywood, McDonald’s, Löwenbräukeller, grottige Straßencafés und Filialen der abgenudeltsten Modeketten säumen das, was Uneingeweihte für eine Prachtstraße hielten. Es handelt sich um eine für Militärparaden angelegte Meile, die an Nationalfeiertagen von Nuklearbombern überdonnert wird. Gewöhnlich herrscht hier einfach nur Verkehrsstau. Seit Nachkriegsgeneral Charles de Gaulle seine Landsleute aufforderte zu hupen, wenn sie in Europa nicht vorankämen, tun sie das auch zu Hause unaufhörlich. Das permanente Quäken auf den Champs-Élysées zieht magnetisch Greisinnen und taube Rentner an, die hier Reste ihres Gehörs wiederzuerlangen glauben. Alle anderen büßen es ein.

Arc de Triomphe.  Die Champs-Élysées beginnen an der trübsinnigen Place de la Concorde mit dem Denkmal für den Erfinder der Stecknadel und enden zwei Kilometer weiter an der trübsinnigen Place de l’Étoile mit dem Triumphklotz. Dort treffen sich Autos aus zwölf Straßen zum gemeinsamen Stop and go. Es geht immer im Kreis. In der Platzmitte der massige Triumphbogen, den Napoleon noch rasch in Auftrag gab, bevor er besiegt wurde. Seit einiger Zeit wird hier täglich eine Schadstoffkonzentration gemessen, die laut Weltklimarat selbst beim Tragen von Atemmasken das Leben gefährdet. Wer keine Maske hat, begibt sich ins Museum unter dem Bogen, das Frankreichs Armee zur siegreichsten aller Zeiten kürt.

Louvre.  Pop-Artist Andy Warhol riet zum Besuch dieses Museumspalastes, weil man hier «die eindrucksvollste Versammlung von Heuchlern» antreffe. Acht Millionen Besucher pro Jahr (zwanzigtausend am Tag) tun so, als würden sie sich für Rembrandt und Rubens interessieren und für die Schlafsäle mit ägyptischen, orientalischen, römischen, griechischen, etruskischen Altertümern, zu schweigen von Möbeln, Textilien, Suppengeschirr. Das laut Henri Matisse «zweitdümmste Gesicht der Porträtmalerei» hängt ebenfalls hier, die Mona Lisa, wegen der kurzsichtigen Studienreisenden unter Panzerglas. Matisse verriet nie, welches er für das dümmste Gesicht hielt. Das von Paris selbst? Der verblichene François Mitterrand nannte die gläserne Eingangspyramide des Louvre einen «Pickel im Gesicht von Paris». Von den zahllosen Hautunreinheiten ist sie noch eine der bestgeputzten. Ein Muss im Louvre: die Toiletten in der Antikenabteilung.

Weitere Mausoleen.  Museen seien die Leichenhallen der Kunst, erklärte der surreale Bastler Max Ernst. Überreste von ihm selbst sind in einem Heizkraftwerk namens Centre Pompidou zu sehen. Das Beste an dem trostlosen Gebäude mit Wechselausstellungen: die langen Rolltreppen. Tote Impressionisten finden sich auf der anderen Seine-Seite im Musée d’Orsay. Wer sich dem Besucherstrom anschließt, gelangt zu den Seerosen von Claude Monet. Vorteil dieses Museums: Es war mal ein Bahnhof und vermittelt das Gefühl, der Aufenthalt dürfe kurz sein. Die zahnstumpfige Kathedrale Notre-Dame ist wegen des Glöckners berühmt. Touristen fotografieren das Portal, die Fensterrosette und die Wasserspeier. Nur die Kühnsten folgen dem Glöckner und stürzen sich aus Verzweiflung über das düstere Bauwerk vom Turm. Allerdings: Der Friedhof Père Lachaise ist bereits ausgebucht. Die vielen greisen Gäste dort suchen nicht Verwandte, sondern den bekritzelten Grabstein eines schwindsüchtigen Sängers der sechziger Jahre.

Montmartre und Sacré-Cœur.  Ahnungslose halten den Hügel für ein romantisches Künstlerviertel, in dem einst Toulouse-Lautrec gewohnt hat. Nur wenn man zu Fuß hinaufsteige, bekäme man die Atmosphäre so richtig mit. In Wahrheit kostet der Anstieg auf löchrigem Pflaster in dicker Luft zwar nicht sofort das Leben, verkürzt es aber entscheidend. Kunstbeflissene jenseits der fünfzig sind erst mal für zwei Tage außer Gefecht gesetzt, zumal sie hier keinen einzigen Künstler antreffen, dafür aber jede Menge Nippesgeschäfte und die schlechtesten Restaurants der Stadt. Vor der zuckrigen Sacré-Cœur finden sich dann doch lauter Künstler. Ihre Aquarelle würden in Deutschland nicht mal in einer Apotheke ausgestellt werden.

Sonst noch was? Eigentlich nicht. Der Pont Neuf ist die älteste Brücke von Paris, doch das macht sie nicht sehenswerter. Alte Menschen, die noch vom Existenzialismus wissen, zieht es hinüber auf das linke Seine-Ufer. Irgendwo da soll der Philosoph Sartre seine Lebensgefährtin Beauvoir angeschielt haben. Flussabwärts steht der Invalidendom, in dem Hitler vor dem Grab Napoleons betete. Auf das Hochhausviertel La Défense reicht der Fernblick.

So wird man lästige Mitreisende los

Freunde von Königshäusern schicken wir zum Diana-Tunnel. Sie sollen genau die Route nachgehen, oder noch besser nachfahren, die Dodi und die Prinzessin von Wales am 31. August 1997 nahmen. Sie führt vom Hotel Ritz zum Alma-Tunnel und endet dort am 13. Pfeiler. «Sieh dir das aufgemalte Herz und das Kreuz genau an, Tante!» Tante muss sich dazu durch eines der Löcher im mannshohen Drahtzaun bemühen, der Pilger von dieser Heiligenstätte abhalten soll. Genauer: der sie vor dem mörderischen Verkehr schützen soll. «Nur Mut! Du schaffst das! Leg ein paar Blumen nieder.»

Kauflustige werden wir für einen Tag los, weil sie unbedingt die Galeries Lafayette besichtigen müssen. In dem angejahrten Kaufhaus treffen sich mehr Schaulustige als tatsächliche Käufer. Die Touristenmassen kommen wegen des klingenden Namens und wegen der Jugendstilkuppel. Einheimische bleiben wegen der Preise fern. Designermarken werden hier grundsätzlich mit fünfzig Prozent Rabatt angeboten, sind aber immer noch doppelt so teuer wie in heimischen Läden oder im Printemps gegenüber. Die Lebensmittelabteilung glänzt mit einer großen Auswahl an Konservendosen. Den Inhalt gibt es kaum merklich erwärmt auf der Dachterrasse.

Jüngere Quälgeister müssen unbedingt den trendmäßig extrem faszinierenden Hochhaus-Gürtel rund um die Stadt kennenlernen. «Das ist das Paris von heute, wie es wirklich ist. Da wird überall szenige Musik gemacht, und die Schafe werden live auf der Straße geschächtet.» Naive Reisende auch. Faustregel: Alle Neuf-Trois-Vorstädte (deren Postleitzahl mit 9  3 beginnt) offenbaren das Leben von Einwanderern in seiner unverdorbenen Ursprünglichkeit. Einfach mal hinfahren, am besten mit dem eigenen Wagen, und bei Dämmerung den Rauchsäulen folgen. Vierzigtausend abgefackelte Autos pro Jahr ersetzen mühelos die mangelnde Straßenbeleuchtung.

Typisch Paris

Pickpockets.  Wer einen Stadtplan studiert, einen Rucksack trägt oder sich suchend umsieht, ist sein Portemonnaie schon los. Taschendiebe verdienen sich ihr Geld besonders in der Métro (Touri-Linie 1), rund um die Sehenswürdigkeiten und in den Kaufhäusern, sogar in den Frühstücksräumen der Hotels. Sie räumen in Cafés die am Stuhl abgestellten Taschen ab, wollen vor Notre-Dame mit aufs Foto und investieren sogar in Museumstickets, um kunstbeflissene Betrachter vom Inhalt schwerer Handtaschen zu befreien. Die sind dann froh, wenn sie wenigstens noch eine Kopie des Personalausweises im Hotel haben.

Streik.  Französische S- und U-Bahn-Fahrer verdienen rund ein Drittel mehr als ihre Kollegen in Berlin oder München. Vielleicht sind sie geschickter im Knöpfchendrücken. Weil Paris unzufrieden macht, streiken sie häufiger als andere Piloten öffentlicher Verkehrsmittel. RER und Métro stehen oft überraschend still. Durchschnittliche Streikdauer zum Beispiel auf der RER A: viermal im Jahr je zwei Wochen. Die übrigen Wochen sind belegt mit den Streiks der Piloten, Milchbauern, ausländischen Arbeitnehmer, Müllwerker, Strom- und Gasbeschäftigten, Transportarbeiter, Lehrer, Studenten, Beamten und aller weiteren Entrechteten.

Dreck.  Für die Mülltrennung haben die Pariser eine einleuchtende Lösung gefunden. Wer sich von seinem Müll trennen will, wirft ihn auf die Straße oder den Gehsteig. Meist wird einmal im Jahr, am Tag nach dem Nationalfeiertag, gefegt. Dann verschwinden für kurze Zeit auch die Hundehaufen, die die Gehwege nicht säumen, sondern garnieren. Hundebesitzer, auch in schicken Vierteln, führen ihren treuesten Freund zu einem zentralen Platz auf dem Bürgersteig und genießen den Anblick, wie er versonnen drückt und dampfend ablegt.

Unverdauliche Landesspezialitäten

Touristen gelten in Paris als gebührenfreie Möglichkeit zur Entsorgung alter Lebensmittel. Als Vorspeise gibt es deshalb häufig aufgewärmte Pilz-Tartelettes, eingetrocknete Salamischeiben, Quiche der Vorwoche und durchgefurzte Zwiebelsuppe. Der Hauptgang aus ledernem Hähnchen mit Fritten oder schlappem Huhn in Weißweinpampe kostet ungefähr so viel wie mehrgängige Gourmetmenüs im Elsass. Passend: gutgeschleimtes Kartoffelgratin oder halbgare Bohnen mit Knoblauchpulver. Als besonders desaströs erweist sich stets der Entschluss: «Heute gehen wir mal in ein echtes Bistro.»

Das reicht für das Expertengespräch

Um einen Abend zu bestreiten, genügt nach Erfahrung des Experten Ulrich Wickert ein einziger Satz: «Paris ist nicht Frankreich.» Der Rest ergebe sich dann von selbst. Gut macht sich auch ein Hinweis auf den Stadtplaner Haussmann, der vor hundertfünfzig Jahren die breiten Boulevards anlegen ließ und die grauen Wohnblocks mit den schmalen Balkons. Fachkommentar: «Also, Paris bleibt für mich eine Stadt des 19. Jahrhunderts.» Mit einer Erwähnung nordafrikanischer Einwanderer ist der Einstieg in eine problemorientierte Diskussion gesichert.

Das meinen Kenner

«Nachdem Frankreichs Status als Grande Nation verlorengegangen ist, bleibt Paris doch immer noch eine Weltmetropole: die universale Hauptstadt der Hundescheiße.»

– Serge Gainsbourg, Chansonnier

 

«Mag ich nicht, will ich nicht, finde ich zum Kotzen.»

– Karl Valentin, Künstler

 

«Paris – ist das nicht diese bescheuerte Blondine, die im Hilton wohnt?»

– Dieter Bohlen, Produzent

 

Nicht alle Touristen, die sich jedes Jahr die Elsässer Weinstraße entlangschieben, können an deutschen Schulen unterrichten. Doch das Elsass liegt laut Umfragen seit den sechziger Jahren unangefochten an der Spitze der Lieblingsreiseländer deutscher Lehrer. Sie besuchen hier ihren persönlichen Winzer, nutzen kostenlose Weinproben, essen Zwiebelkuchen und Sauerkraut und haben anschließend Albträume von der Rückkehr an die Schule. Zuweilen schnüren sie ihre Schuhe, um zu Fuß oder per Rad jene verborgenen Idyllen zu entdecken, die «abseits der ausgetretenen Pfade» liegen – seit jeher der beste Tipp, um allen anderen Touristen in die Arme zu laufen. Bei jährlichen neun Millionen Besuchern in der Region ist das auch schwer zu vermeiden. In den Städten arrangiert man sich mit den Massen – etwa in Straßburg, wo alle mal kurz ins düstere Münster schauen und im musealen Gerberviertel ein Eis essen. Mehr bietet die Stadt nicht.

Im südlichen Hauptort Colmar wird es schon enger. Alle wollen Fachwerk wie im Mittelalter sehen, also eigentlich ohne twitternde Touristen. Alle wollen im Musée d’Unterlinden (das meistbesuchte Museum Frankreichs nach dem Louvre) den Isenheimer Altar betrachten und beim Anblick des gekreuzigten Jesus äußern: «Ja, hier ist das Leiden wirklich unheimlich echt dargestellt.» Oder so ähnlich. Richtig fühlbar wird der Strom konkurrierender Idyllensucher aber in den kleineren Orten entlang der Weinstraße. Gegen die Parkplatznot haben Orte wie Riquewihr (auch Reichenweier genannt), Eguisheim und Hunawihr breite Flächen außerhalb der Mauern planiert und charmante Wächterinnen des Ordnungsamtes zum Kassieren und Zettelverteilen angestellt. Während der deutschen Schulferien und zur Weinlese (Vin Nouveau betäubt am schnellsten) sind Straßen und Restaurants rettungslos überlastet. Die gedopten Angehörigen des Personals lassen zu dieser Zeit jeden Gast spüren, dass er hier weder gebraucht wird noch willkommen ist.

Städtchen wie Turckheim, Erstein, Kaysersberg und Hohkonigsburg lassen die Degustationssaison mittlerweile nahtlos in den Vorweihnachtstourismus übergehen und bieten Lichterpfade, Weihnachtsmärkte, Eisbahnen, Fackelläufe und sogenannten Lichterzauber. Weil die Übernachtungszahlen im Januar, Februar und März noch zu wünschen übriglassen, offerieren bislang vernachlässigte Orte nicht mehr nur Weinseminare und Lehrgänge in Bioanbau, sondern neuerdings auch Gänsestopfen für Anfänger. Die Gänsestopfleber ist die berühmteste Spezialität der Region. Mit Hilfe eines biegsamen Rohres wird der glücklichen Gans oder Ente der leckere Futterbrei direkt in den Magen gestopft oder gepumpt. Die Leber des derartig gutversorgten Tieres wiegt bei der Schlachtung bis zu zwei Kilo. Diese Herstellungsform wird nicht das Lieblingshobby jedes Touristen werden, ist aber ein bis auf die Antike zurückgehendes traditionelles Ritual. Wenn der Urlaub authentisch elsässisch sein soll – beim Stopfen wird er es.

England

Die letzte Klassenreise liegt noch nicht lang zurück. Trotzdem ist London inzwischen noch hektischer, noch schmutziger, noch schäbiger geworden. Billiger auch, denn die Inflation wird hier mächtig angeschoben. «Diese Stadt wird nie mehr sein wie in den fünfziger Jahren», seufzte jüngst Queen Elizabeth. Sie spielte nicht nur auf ihre Krönung an, sondern wohl mehr noch auf den wirtschaftlichen Niedergang, der mit dem Verlust der Kolonien begann und sich unaufhaltsam fortsetzt. Nur an Größe hat London zugelegt: Seit dem Abtritt Margaret Thatchers kam eine halbe Million Immigranten aus Commonwealth-Ländern. Mittlerweile gehört fast die Hälfte der Einwohner zu ethnischen Minderheiten. Weltreisende, die Geld und Zeit sparen wollen, begeben sich deshalb auf Fahrt mit der Londoner U-Bahn: Es ist der schnellste und bunteste Trip um den Globus. Die alten Sehenswürdigkeiten der Stadt wirken dagegen wie verwitternde Dinosaurier.

Die meistgenannten Flops

The Tower.  Die massive Festungsanlage am Ufer der Themse liegt schön zentral. Und das ist auch alles. Hier wurde tausend Jahre lang im Auftrag des Königshauses erpresst, gefoltert und gemordet. Jetzt wird der Ertrag solcher Anstrengungen gezeigt: die Kronjuwelen. Nach langem Warten werden die Touristen auf Laufbändern an den Panzerglasvitrinen vorbeigezogen. «Die langwierigste Fahrt meines Lebens», notierte Autor Frank McCourt.

Westminster.  Westminster Abbey ist eine gotische Kathedrale, in der die englischen Könige gekrönt wurden, bevor ihr Nachfolger sie im Tower enthaupten ließ. Die meisten wurden anschließend hier begraben. In der Kirche sind also vor allem Grabplatten zu sehen. Rund um den Bau siechen die City of Westminster, überdröhnt von Big Ben, und die City of London, das Business- oder vielmehr Crash-Zentrum, seit das Viertel die meisten Pleiten Europas verzeichnet.

Piccadilly Circus.  Eine Straßenkreuzung, die in der Zeit des britischen Kolonialimperiums für den Mittelpunkt der Welt gehalten wurde. Heute treffen hier Touristengruppen zusammen, die sich gegenseitig verstohlen fragen, warum sie hier sind. Keiner weiß es. Zu sehen ist immerhin eine überlebensgroße Coca-Cola-Reklame (abends beleuchtet).

Buckingham Palace.  Der Palast, in dem die Queen ihre Handtasche ablegt, in dem ihr Ehemann dreimal am Tag gefüttert wird und in dem Queen Mom zur Alkoholikerin wurde. Touristen müssen sich mit dem Ritual der Wachablösung begnügen. Die berittenen Soldaten reiten die sogenannte Mall entlang, schreien etwas und reiten wieder zurück. Dauert etwa 45 Minuten.

St. Paul’s Cathedral.  Die Kuppelkirche gilt als verrufener Ort, seit Charles und Diana hier getraut wurden. Zur Walpurgisnacht ist sie seither Treffpunkt englischer Wicca-Hexen. Touristen schleppen sich gegen einen hohen Eintrittspreis die Treppen zur Whispering Gallery hinauf, in deren Kuppel geflüsterte Worte von einer Seite zur anderen getragen werden. Manche schaffen es noch zur Stone Gallery, von wo aus man sich nach unten stürzen kann. St.-Paul’s-Architekt Christopher Wren wird als Londons letzter Baumeister von Rang verehrt. Er starb 1723.

British Museum.  Amerika, Afrika, Asien, Südeuropa: Wo immer britische Truppen ein Land besetzen konnten, packten sie die Kunstschätze in Kisten und sandten sie nach London. Die gesammelten Reichtümer werden seither im British Museum ausgestellt. Unesco-Beamte haben es als Hehlerhöhle des Kolonialismus verunglimpft. Dabei ist das Diebesgut exzellent konserviert. In den Ursprungsländern hätte es nach Ansicht der Museumsleitung nicht überlebt. Selbst heute würden die Schätze in ihrer Heimat, so Kultusminister Andy Burnham, «binnen kurzem aus religiösen Gründen in die Luft gesprengt werden». Das Imperium gibt nichts zurück.

Jahrmarkt und Shopping.  Zum Jahrtausendwechsel wurde am Themse-Ufer ein Riesenrad aufgebaut, das London Eye. Viele Reisende verzichten auf eine nähere Besichtigung der Stadt, nachdem sie sie von oben gesehen haben. Die neuere London Bridge Experience ist eine kreischige Geisterbahn durch die Geschichte und ungefähr so aufregend wie die einschläfernden Wachsfiguren bei Madame Tussaud. Hausstauballergiker meiden beide Häuser. Reiseführer schicken ihre Gruppen gern in die verstopfte Oxford Street zum Nepp-Shopping oder gar zu Harrods. Wer dort das Erdgeschoss durchqueren kann, ohne von Kopf bis Fuß mit Parfüm eingesprayt zu werden, bekommt die goldene Nadel des Reiseveranstalters.

So wird man lästige Mitreisende los

Notting Hill und Portobello Road. Schnatternde Mitreisende, die eigentlich die Königin sehen wollten, schicken wir nach Notting Hill. «Da wohnt Hugh Grant, und Julia Roberts besitzt ein Haus. Er ist ja leider sehr gealtert, und sie trägt immer eine Sonnenbrille.» Ganz falsch ist das nicht. «Und wenn du sie nicht triffst, ist da immer noch der berühmte Flohmarkt an der Portobello Road.» Nirgends in London ist Ramsch teurer.

U-Bahn«Dahin kommst du am schnellsten mit der U-Bahn! Wir gehen zu Fuß!» Gemeiner Trick, denn in der Innenstadt ist man zu Fuß schneller. Die älteste U-Bahn der Welt, genannt Tube («Röhre»), hat zugleich die umwegigste Streckenführung der Welt. Die geraden Linien auf dem ausgehängten Plan haben nichts mit der unterirdischen Krausheit zu tun. Doch das soll unser lästiger Mitreisender selbst herausfinden. «Steig einfach in King’s Cross um!» Das ist die chaotischste aller Stationen. Viele Reisende, die hier vor Jahren nur umsteigen wollten, leben immer noch in den Gängen, falls sie nicht von einer Bombe dahingerafft wurden.

London Pass.  Der Touristenpass für Dummies schließt Fahrten mit Bus und U-Bahn ein und den ohnehin kostenlosen Besuch der Museen. «Den musst du haben! Wir hatten ihn letztes Jahr! Damit lernst du die Stadt wirklich kennen!» Allerdings nur so verzichtbare Besonderheiten wie den Battersea Park Children’s Zoo oder das London Canal Museum, die ohne diesen schrottigen Pass gänzlich unbesucht blieben.

Typisch London

Regen.  Es ist nicht wahr, dass es in London immer regnet. Es regnet lediglich, wenn man ohne Schirm unterwegs ist. Das Wetter ist wechselhafter als anderswo. Nur den Nebel, der in Edgar-Wallace-Filmen die Kulissen umwabert, gibt es ziemlich sicher nicht. Es handelte sich um Fabrikrauch, der sich mit feuchter Luft in den Straßen hielt.

Dreck.  Seit der Nebel fort ist, sieht man, dass die Stadtreinigung in London dauerhaft streikt. Und dass die Zugezogenen aus anderen Ländern ungern auf ihre Gewohnheit verzichten, Müll auf die Straße zu entsorgen. Die Hotels ziehen längst mit. Schaben im Frühstücksraum, Kolonien von Silberfischchen im Bad, die Chips der letzten zehn Vormieter unterm Bett: Das gehört zum Fünf-Sterne-Standard.

Aggressivität.  Das Bild vom Gentleman, der Tee trinkt und über das Wetter parliert, ist hundert Jahre alt. Damals hoben Sklaven in fernen Kolonien die Bodenschätze und exportierten sie ins Land der Eroberer. Die gaben sich kultiviert. «Von 1850 bis 1950 haben wir es geschafft, höflich zu erscheinen», erklärt Theaterautor Mark Ravenhill. «Davor waren wir roh, jetzt sind wir es wieder. London am Wochenende: Die Leute liegen in der Gosse, schlagen sich und kotzen.» Kenner nennen das Understatement.

Unverdauliche Landesspezialitäten

Nur Strafgefangene werden heute noch gezwungen, Erzeugnisse der englischen Küche zu verzehren. Zumindest in London haben sich die Rezepte der Einwanderer durchgesetzt. Die Fish-and-Chips-Stände sind von Currybuden abgelöst worden. Die dort gereichte Linsenpampe namens Dal oder Chicken Tikka Masala – zerhacktes Huhn in Currysoße – sind von eigener Gruseligkeit. Der Kaffee ist traditionell miserabel; Starbucks gilt als Gourmetrestaurant. Tee besteht seit der Unabhängigkeit Indiens nur noch aus Wasser und Milch. Brot gibt es in Form weißer Krümel oder als Plumpudding: mit Rinderfett und Sirup zu einem Klumpen geformt, der zwölf Monate haltbar ist und auch als Waffe eingesetzt wird. Neben Frühstücksspeck, Minzsoße und dem vollsynthetischen Cheddar-Käse müssen noch die leckeren Salmonellen erwähnt werden, die in keiner englischen Küche fehlen.

Das reicht für das Expertengespräch

Der Fremde wundert sich als Erstes darüber, dass er keine Mülleimer findet, als Zweites, dass es keine Bobbys mehr gibt, und schließlich, dass die Autos tatsächlich von links kommen. Letzteres fällt ihm oft zu spät auf. In keiner europäischen Stadt kommen mehr Touristen im Straßenverkehr um als in London. Über diese Anekdoten hinaus lässt sich ein Gespräch damit füllen, dass unsere Großmutter eine Standuhr mit dem Big-Ben-Klang hatte. Der Sound war zur Gründerzeit in Mode. Immerhin war Wilhelm II. ein Enkel von Queen Victoria. Das Gespräch schraubt sich in wissenschaftliche Höhen, wenn es auf den Nullmeridian kommt. Der verläuft durch den Stadtteil Greenwich. Ein britischer Astronom hat 1851 beschlossen, dass hier in London alles bei null beginnt: die Zeitzonen, die Längengrade, das geordnete Leben überhaupt. Was bedeutet das für den Sonnenaufgang? Und liegt die Datumsgrenze genau gegenüber? Abend gesichert!

Das meinen Kenner

«Seit die Busfahrer Gebetspausen einlegen, bin ich zuversichtlich, dass London bald unter islamisches Recht gestellt wird.»

– Stanley Kubrick, Regisseur

 

«Wenn man hier nicht wohnt und nie herkommt, geht es.»

– Judy Dench, Schauspielerin

 

«Verraten Sie nicht, dass Sie Deutsche sind. Sagen Sie Österreich oder Schweiz. Besonders, wo Bier ausgeschenkt wird. Sonst bekommen Sie erstens keines ab und kommen zweitens nicht lebend raus.»

– Anthony Burgess, Autor

 

Wer von London nach Cornwall unterwegs ist, kann spirituell interessierte Mitreisende in der Nähe von Salisbury aussetzen, und zwar für immer. Zehn Kilometer vor dem Städtchen landen regelmäßig unidentifizierbare Flugobjekte, setzen hochfrequente Wesen aus und nehmen grobe Menschen zwecks Umwandlung an Bord. Das geschieht in Stonehenge. Für alle anderen sind die anderthalb Steinkreise auf Fotos wesentlich eindrucksvoller als in Natur. Das mürbe Denkmal wird als Rätsel angepriesen. Wer es sieht, ahnt allerdings, dass sich die Lösung nicht lohnt. Energie kommt nicht mehr rüber, seit die Kreise vor dreißig Jahren eingezäunt wurden – nach dem letzten hippen Eso-Festival samt Schlägerei und Vergewaltigung. Ob die Steine astronomisch ausgerichtet waren oder zu feierlichem Kreiswandern genutzt wurden, ist nur für die Jecken interessant, die sich hier zur Sommersonnenwende in Bettlaken hüllen und als Druiden johlen. Für alle anderen lohnen sich weder der Umweg noch die sieben Pfund Eintritt, für die man das Gesicht an den inneren Zaun pressen darf.

Wer die Achtung vor den Engländern für immer verlieren will, muss nur ein Seebad besuchen», äußerte der britische Autor Douglas Adams. «Am besten Brighton.» Das ist immer noch Britanniens liebste Stadt am Meer. Das Hügelland läuft hier Richtung Ärmelkanal aus. Rentner ziehen wegen des weichen Klimas hierher, Schwule ebenfalls. Alte Damen suchen die Nähe des Royal Pavillon – ein vor zweihundert Jahren erbautes Lustschloss im indisch-chinesischen Mischstil. Queen Victoria schloss es, weil sie Brighton wegen der Säufer nicht mochte. Sie ist tot, die Säufer sind immer noch da. Die besten Kampftrinker sind allerdings nicht ortsansässig, sondern kommen aus London. Einige arbeiten im Sommer in den rostenden Jahrmarktsgeschäften, auf Karussells, im Gruselkabinett oder verschrauben die wackelige Achterbahn. Für alle Besucher gibt es eine Menge garantierte Gewinnmöglichkeiten in Automatenhallen, Kasinos und Wettbüros. Als unbedingt besuchenswert gelten die wöchentlichen Vorträge «Problem Gambling – Signs, Symptoms, and Treatment» sowie die drei lokalen Gambling Addiction Treatment Center. Deutschen Spielsüchtigen wird wegen der Sprachbarrieren jedoch zu einer Therapie in der Heimat geraten.

Im Sommer mild und feucht, im Winter mild und feucht. Cornwall wird ausschließlich besucht von älteren Herrschaften, die gern Anorak tragen. Die Halbinsel ist Englands verschnarchter Ausläufer in den Atlantik. Es gibt eine Menge Gras und Heidekraut, flächig oder hügelig, dazu Schafe, Kühe, Disteln, Brombeeren, Hinkelsteine und Schnittlauchfrischkäse. Im Touristenstädtchen Penzance lassen gutgekleidete Pensionäre Kugeln über den Rasen rollen (Lawn Bowls), im ehemals hübscheren St. Ives verdämmern die dementen Veteranen der Marihuana-Ära, die hier vor vierzig Jahren blühte. Von der westlichen Spitze namens Land’s End aus fotografieren alle Besucher den Sonnenuntergang. Das Ganze ist wie Schleswig-Holstein, nur mit Linksverkehr. In die beliebten Roundabouts (durchschnittlich alle fünfhundert Meter) fährt man nach links ein. Sonst reagieren die Entgegenkommenden überrascht. Wer einen Leihwagen nimmt, bucht Vollkasko, denn der Fahrersitz rechts lässt das Auto nach links sonderbar breit wirken. Abstände sind schwer einzuschätzen. Deshalb sind die Straßen Cornwalls nicht nur eng und bisweilen steil, sondern gesäumt mit abrasierten Seitenspiegeln und verbeulten Blechteilen. «Die Urlauber vom Kontinent waren hier.»

Schottland

Alte Klischees besagen, die Schotten seien geizig, ihre Landschaft eintönig, das Wetter regnerisch. Wer einmal dort oben war, weiß es besser. Die Schotten sind nicht geizig, sie geben nur einfach kein Geld aus. Ihre Landschaft ist nicht eintönig, sie ist vielmehr auf mannigfaltige Weise monoton. Und das Wetter ist keineswegs regnerisch, sondern bietet faszinierende Varianten von Niederschlag: Nebel, Hochnebel, Kriechnebel, Nieseln, Sprühregen, Platzregen, Landregen, Dauerregen, Starkregen, gefrierenden Regen, Graupelschauer, Hagelschauer, Wolkenbrüche, Schneeregen, Schneeschauer, Schneestürme und zuweilen Gewitter. Und das alles nicht mit großen, langweiligen Abständen, sondern ineinander übergehend.

In Schottland gebe es four seasons in one day, besagt der landesübliche Wetterspruch. Mit den four seasons sind die vier schottischen Jahreszeiten gemeint: Frühherbst, Spätherbst, Winter und überraschender Kälteeinbruch. Diese Seasons werden nicht nur von heftigen Niederschlägen begleitet, sondern vor allem von starkem Wind. Regenschirme sind unüblich in Schottland; sie würden umknicken, sobald man vor die Tür tritt.

Unerschrockene Reisende benötigen mehrere Schichten wasserabweisender Kleidung mit Doppelkapuzen, denn besonders bei kleinen Streifzügen über Land gibt es keine Möglichkeit, sich unterzustellen. Das liegt daran, dass Schottland zwar Gebüsch hat, aber nur wenige oder gar keine Bäume. Das Land ist so kahl wie das Haupt seines berühmtesten Fürsprechers, Sean Connery. Der siedelte übrigens so früh wie möglich auf die Bahamas um und bekundete seine Solidarität von dort aus.

Fontane, der das Land vor hundertfünfzig Jahren bereiste, notierte: «Öde Landschaft, wenig los, ab und zu kommt mal die Artillerie vorbei.» Inzwischen bleibt sogar die Artillerie lieber zu Hause. Aber manchmal kreuzt ein Hirte mit seinen Schafen und Hunden den Weg. Das ist fast so spannend wie Artilleriebeschuss, denn die Hunde müssen sich wegen der Sparsamkeit der Halter ihre Nahrung selbst erjagen. Unbewaffnete Touristen gelten als lecker.

Weitere in Schottland geschützte Raubtiere sind die Stechmücken, midges genannt, die aber nur an wenigen Tagen zum Vorschein kommen: an den schnee- und sturmfreien Tagen. Wenn es im Sommer mal einen bleiern bedeckten Tag gibt, dann kommen die midges aus den Büschen, in dunklen Schwärmen, vorzugsweise bei Dämmerung. Wer eine Wandergruppe rennen sehen will, muss nur ausrufen: «Midges!», und die Panik beginnt. Wer dann selbst vom Schwarm überfallen wird, weiß, warum. Die schottischen Highland-Dances sollen entstanden sein, als Männer in Röcken von midges heimgesucht wurden. Das Jucken der Stiche kann durch das Auftragen von selbstgebranntem Whisky gelindert werden, die innerliche Anwendung des Getränks wirkt jedoch schneller.

Das ist die Natur. Gibt es sonst noch Sehenswürdigkeiten? Nein. Allerdings gibt es Städte. Edinburgh zum Beispiel. Ein Besuch lohnt sich. Wer sich einmal durch diese düsteren Häuserreihen geschleppt hat, weiß endlich sein Zuhause zu würdigen. Und Glasgow? Wer durch Glasgow gewandert ist, sagt man, weiß endlich Edinburgh zu würdigen. Zwischen diesen Hochburgen des Trübsinns stehen Dudelsackspieler in den Kurven der Highlandstraßen. Gegen viel Geld lassen sie sich dazu bewegen, wenigstens vorübergehend mit dem Spielen aufzuhören.

Und natürlich gibt es die Lochs, jene tiefen Seen, die in der Eiszeit entstanden sind. Aus einem von ihnen, aus dem Loch Ness, hat vor Jahrzehnten mal ein Urzeitungeheuer versehentlich den Kopf gehoben. Das war 1934. Es drehte den drachenhaften Schädel ungläubig nach allen Seiten, entsetzte sich, tauchte rasch wieder unter und durchschwamm eilig den Caledonian Canal, um in den Atlantik zu fliehen. Nach langer mühsamer Irrfahrt gelangte es schließlich bis vor die Küste von Costa Rica. Auf der Isla Sorna, ermittelten Zoologen, fand es ein neues Zuhause. Gelegentlich tritt Nessie in Filmen von Stephen Spielberg auf, um den Aufenthalt in der Karibik zu finanzieren und nie mehr nach Schottland zurückzumüssen.

Dänemark

Für Dänemark werden Juli und August als mögliche Reisezeiten empfohlen, weil die Temperatur an einigen Tagen die Zwanzig-Grad-Marke erreicht. In Kopenhagen legen die Ureinwohner aber bereits bei den durchschnittlichen fünfzehn Grad im Juni alle Jacken und Pullover ab. Das ist möglich, weil sie sich von innen mit hochprozentigen Getränken wärmen. Kopenhagen macht am schnellsten verständlich, warum die Skandinavier jenseits der fünfundzwanzig Alkoholiker sind. Trübe Gassen, eine kettenrauchende Königin, ein schales Museum für moderne Kunst (Louisiana), ein dumpfes Schloss als Gerümpelmuseum (Rosenborg) und ein Vergnügungspark (Tivoli), in dem Karussellfahrer zu jeder Jahreszeit mit Decken versorgt werden. Wie in jeder anderen abgetakelten Hafenstadt sind alte Speicher zu Restaurants und Hotels und Shopping Malls umgewandelt worden, aber essen und wohnen und shoppen möchte hier niemand. Nur trinken, sehr viel trinken, jedenfalls bis zur Abreise.

Schweden

Die Schweden bezeichnen sich selbst als tråkig, was so viel heißt wie träge oder langatmig. Ihr Land finden sie nach letzten Umfragen långtråkig und das Königshaus genomtråkig, was alles Steigerungen von tråkig sind. Reisende stimmen zu. Bis heute ist unklar, ob der nach Schweden ausgewanderte Dichter Kurt Tucholsky nach zwei Jahren absichtlich Schlaftabletten nahm oder nur versehentlich, ob es zu viele waren oder vielleicht eine einzige Tablette genügte, um ihn in diesem Land für immer in Schlaf zu versenken. Sommerlichen Besuchern werden gewöhnlich Aufputschmittel empfohlen.

Durchschnittlich halten sich Gäste siebzehn Stunden in Stockholm auf, von denen sie nach Möglichkeit acht verschlafen, fünf bei Essen und Trinken zubringen (schwierig bei der Kochkunst) und vier für Besichtigungen aufwenden, was mehr als ausreichend ist. Die Altstadtinsel Gamla Stan mit Schloss und Schlosskirche ist rasch abgeschritten. Wer sich den von Reiseleitern als Höhepunkt angepriesenen Wachwechsel antut, sucht im Wörterbuch sofort nach weiteren Steigerungsmöglichkeiten des Wortes tråkig. Reisegruppen werden gewöhnlich in den Bus geschoben und in zwei Museen abgeladen. Das erste ist das Vasa-Museum, wo ein vierhundert Jahre altes königliches Segelschiff liegt, das auf der Jungfernfahrt sank – bis heute ein Symbol nationaler Identität. Das zweite ist das Freiluftmuseum Skansen, ein Museumsdorf, in dem trachtengekleidete Laien und Handwerker einen Webstuhl, eine Windmühle, eine Apotheke und einen Eisenwarenladen betreiben. In einem Freiluftgehege reiben sich zwei räudige Wölfe am Zaun, im Nachbargehege dösen Elche und hoffen, dass es bald vorüber ist.

Wer noch einen Tag mehr Zeit hat, wird diesen auf dem Wasser verbringen, in einem Ausflugsboot durch den sogenannten Schärengarten. So heißt die endlose Zahl von spärlich bewachsenen Felsenhöckern und sommerlich bewohnten Inselchen, die mehr als eine Stunde zu betrachten das gewöhnliche Konzentrationsvermögen übersteigt. Als Alternative bleibt nur ein Ausflug nach Uppsala, wo man durch einen Schlossgarten spazieren und in einen gotischen Dom gehen kann. Als dessen Höhepunkt gilt die Schatzkammer mit alten Schilden, alten Kelchen und alten Messegewändern. Oder, wie man in Schweden zu sagen pflegt: Tråkig, långtråkig, genomtråkig.