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Über dieses Buch:

Nach einer durchzechten Nacht wird Theo Freitag vom Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen. Ein unbekannter Anrufer warnt ihn eindringlich davor, zur Arbeit zu gehen: »Wenn Sie hingehen, wird man Sie für den Mörder halten ...« In der Werbeagentur entdeckt Theo dann nicht nur einen toten Fotografen, sondern wird auch noch von seinem Chef dazu überredet, die Leiche verschwinden zu lassen – schließlich steht der Ruf der Firma auf dem Spiel! Aber Theo ist klar: Hier soll mehr vertuscht werden als nur ein Todesfall …

Als erste deutsche Autorin von Kriminalromanen hat Irene Rodrian Krimigeschichte geschrieben. Bei dotbooks erscheinen ihre Klassiker nun exklusiv im eBook.

Über die Autorin:

Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, erhielt für ihren Roman Tod in St. Pauli 1967 den begehrten Edgar-Wallace-Preis. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von mehreren Millionen und als Drehbuchautorin (Tatort, Ein Fall für Zwei) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München.

Bei dotbooks erschienen bereits Irene Rodrians Barcelona-Krimis über das Ermittlerinnen-Team Llimona 5 (Meines Bruders Mörderin, Im Bann des Tigers, Eisiges Schweigen und Ein letztes Lächeln) sowie die Reihe Krimi-Klassiker (Tod in St. Pauli, Finderlohn und Wer barfuß über Scherben geht, weitere Titel sind in Vorbereitung).

Die Autorin im Internet: www.irenerodrian.com und www.llimona5.com

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Neuausgabe November 2013

Copyright © der Originalausgabe 1969 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: © Pavel Gundich - Fotolia.com

ISBN 978-3-95520-385-6

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Irene Rodrian

Bis morgen, Mörder!

Kriminalroman

dotbooks.

Die Hauptpersonen

THEO FREITAG
verschläft fast einen Mord

EVA MARTIN
erscheint ihm im Schlaf

FRITZ HALDER
schläft für immer

FRIEDRICH MÄRZ
verdient sein Geld schon im Schlaf

EDUARD KLEIN
schläft gern in fremden Betten

VIKTOR LINHARD
schläft nie den Schlaf des Gerechten

LISA ELLERMANN
stört angeblich den Büroschlaf

RICHARD DONATS
hält nicht viel vom Schlaf als solchem

KARL WALDEN
liebt seinen Schlaftrunk

INSPEKTOR WIEGAND
schläft nie – einer muß ja arbeiten

Dies ist ein Roman; die geschilderten Ereignisse beruhen ebenso auf Erfindung wie die auftretenden Personen, und jede Ähnlichkeit wäre rein zufällig.

1

»... 'türlich liebe ich dich!« Theo Freitag bohrte sich tiefer in das Kopfkissen. »Zieh doch endlich dieses blöde Hemd aus!« Er riß an dem Kissenbezug, bis ein Knopf abplatzte und seine Hand hineinkonnte. Glücklich lächelnd streichelte er den glatten Inlettstoff.

Der riesige Blechwecker nahm keinerlei Rücksichten auf Theos Gefühle; er tickte aufdringlich und mit ordinärer Lautstärke. Theo versuchte, sich an seinem Traum festzuklammern, aber der Wecker war stärker. Widerwillig befreite Theo seine Hand aus dem Kopfkissen, wälzte sich auf die Seite und schielte nach dem Zifferblatt. Seine Augen waren verquollen, die Sonne blendete ihn.

Es war zwanzig vor acht, dann rutschte der Zeiger mit einem boshaften Satz ein Stückchen weiter, und es war schon fast dreiviertel. Theo rülpste und stellte mit einer vorsichtigen Handbewegung das Radio an.

... nehmen wir auch gern ein paar Blättchen Thymian dazu, frohlockte eine muntere Frauenstimme. Vom Kirchturm schlug es dreimal.

Die geht vor. Theo schloß die Augen und rollte sich zusammen. Aus dem Lautsprecher kam Musik, danach die Zeitansage: sieben Uhr fünfzig.

Theo dachte an Linhard und den ganzen Saftladen und schlug wütend mit der flachen Hand gegen den Apparat, der sofort wimmernd verstummte. Aber die ungewohnte Anstrengung hatte Theos spärliche Kraftreserven wieder verbraucht, ermattet sank er zurück.

Ich schaff's nicht. Sein Schädel war eine mit Kies gefüllte Gießkanne, sein Hals ein verschrumpelter Gummischlauch, und die Zunge war aus Sandpapier und schmeckte nach Whiskybierzigaretten ... Scheißspiel. Theo gähnte und starrte nachdenklich auf den schwarzen Telefonapparat, der dicht neben seinem Kopfende auf dem Fußboden stand. Hatte da nicht irgendwas geläutet? Der blöde Wecker vermutlich. Oder Eva? Evchen! Theo grinste und tastete mit neuer Kraft nach dem Hörer.

Im gleichen Moment schrillte die Glocke.

Theos Hand zuckte zurück. Es läutete ein zweites Mal.

Theo nahm den Hörer ab. »Guten Morgen, Evchen«, krächzte er.

»Herr Freitag?« Eine Männerstimme. Knödelig, kaum verständlich und weit weg.

»Wer ist denn da?« Theo schloß die Augen und riß sie wieder auf. Er gähnte, bis ihm die Tränen kamen.

»Sie schlafen lang, Herr Freitag.« Der andere gab ein Geräusch von sich, das wie ein Lachen klang. »Wie fühlt man sich nach einem Mord?«

»Nach was?« Theo versuchte, den Mund zu schließen, mußte aber gleich wieder gähnen. »Hängt wohl davon ab, was man vorher gegessen hat, oder?«

»Ich mache keine Witze!« Die Stimme wurde scharf: »Gehen Sie reute nicht ins Büro. Tun Sie's nicht!«

»Das erste vernünftige Wort!« Theo angelte mit der freien Hand unter dem Bett nach seinem Schuh.

»Sie gehen also nicht? Sie sind krank?« Es klang lauernd.

Theo hörte kaum hin. »Eine gute Idee«, stimmte er gähnend zu.

Der andere schien etwas mit dem Telefonhörer anzustellen, dann war seine Stimme wieder da. »Wenn Sie hingehen, wird man Sie für den Mörder halten ...«

Es klickte in der Leitung.

»Witzbold!« Theo hustete, der Hörer rutschte ihm aus den Fingern und krachte auf die Gabel. Denen fällt auch nichts Neues mehr ein Theo rollte sich ächzend aus dem Bett, blieb einen Augenblick lang schwankend neben dem Telefon stehen und schlurfte dann müde ins Badezimmer.

Er hielt seinen Kopf unter die Wasserleitung, trank einen halben Liter kaltes Wasser und glotzte dann mißmutig sein Spiegelbild an. Das Haar stand nach allen Richtungen ab, in seine linke Backe waren die Kissenfalten eingedrückt, und sein Kinn schimmerte dunkel. Er kratzte mit dem Daumennagel über die Bartstoppeln. Ich laß mir jetzt einen wachsen, dachte er. Auf rote Bärte fliegen sie doch alle ... Er schleppte sich ins Zimmer zurück und ließ sich wieder auf das Bett fallen. Alles drehte sich; in der Sonne flimmerten die Staubteilchen. Hätte kein Wasser trinken sollen. Holt das Zeug wieder rauf. Whisky. Wo hab ich denn bloß ... Und wie bin ich überhaupt heimge... Sein Blick fiel auf den Wecker.

Seit 45 Minuten sollte er an seinem Schreibtisch sitzen.

Theo atmete ein paarmal aus und wieder ein, zog das Telefon zu sich heran und wählte.

»Hier Werbeagentur Friedrich März, guten Morgen!« meldete sich eine Stimme, so frisch, daß es weh tat.

»Meine geliebte Lisa!« sagte Theo.

»Weder Ihre, noch geliebte. Wieder mal verschlafen?«

»Nie!« Theo gab seiner Stimme einen gehetzten Klang. »Ich stehe hier am Justizpalast, da ist ein schauderhafter Unfall passiert. Gräßlich! Die ganzen Straßenbahnen stauen sich, ich muß zu Fuß zurück und mit dem Bus außen rum fahren.«

»Nicht möglich!«

»Ja, fürchterlich. Drei Schwerverletzte, und einer ist ... Na ja, ich wollte sogar schon ein Taxi nehmen.« Pause, dann leiser: »Chef schon da?«

»Nein. Aber Linhard kocht vor Wut wegen ...«

»Soll sich beruhigen. Ich bin ja längst unterwegs.« Theo hängte ein und begann, sich anzuziehen. Er holte gerade die Socken aus der Hosentasche, als das Telefon wieder läutete.

Diesmal ist es bestimmt Evchen. Theo lächelte, als er den Hörer abnahm. »Hallo, Schatz, auch schon auf?«

»Genauso hab ich mir diesen Unfall vorgestellt!« bellte Linhards Stimme. »Man sollte nicht so viel saufen, wenn man nichts verträgt. Wenn Sie in zehn Minuten nicht hier sind, dann fliegen Sie raus wie ein Sektkorken. Ist das klar genug?«

Es knackte in der Leitung.

Theo schüttelte sich. Alter Kriecher. Er suchte auf dem Bücherregal nach seiner Brille, setzte sie auf, zog sich fertig an und nahm die Lederjacke von der Stuhllehne.

Die Wohnungstür knarrte etwas, als er sie hinter sich zuzog. Theo wartete einen Moment, aber alles blieb still. Er sprang mit langen Sätzen die Treppe hinunter und wollte gerade durch die Haustür witschen, als er im Parterre Schritte hörte. Er blieb stehen und sah sich nach einem Fluchtweg um. Aber es war schon zu spät.

»Ah, guten Morgen, Herr Freitag! Gut, daß ich Sie treffe!« Klara Weber stand breitbeinig in der Tür, die weißen Haare zu einem straffen Knoten gedreht, die Brust unter dem geblümten Kleid kriegerisch vorgereckt. »Es ist wegen der Miete. Drei Monate sind es jetzt. Ich kann nicht länger ...«

»Halt! Bleiben Sie stehen!« Theo schirmte seine Augen ab und sah verzückt auf die Kittelschürze. »Ja, so! Bleiben Sie eine Sekunde so stehen ... Großartig!«

»Ja, aber ...«

Theo ließ sie nicht weiterkommen: »Das ist ja einmalig! Genauso hab ich mir den neuen Titel der Elektro-Bader-Hausnachrichten vorgestellt. Als Farbfoto. Vielleicht mit einem Bader-Staubsauger. Der Inbegriff der lieben Mutti.«

»Bitte, was soll ...« begann Klara Weber etwas unsicher, ohne die Stellung zu verändern.

Theo ließ sie nicht aussprechen. »Einfach großartig!« Vorsichtig schob er sich näher an die Tür heran. »Die Leser werden begeistert sein! Sie kennen doch die Bader-Hausnachrichten? Eine lustige Kundenzeitschrift. Eine richtige kleine Illustrierte. Und Sie auf dem Titelblatt – na?«

»Herr Freitag, ich ...«

»Natürlich gegen Honorar, das ist selbstverständlich. Die volle Mannequin-Gage.« Damit war er draußen und fegte über die Straße.

Es war ein strahlender Hochglanzpostkartenseptembertag. Die Fassaden der Häuser ockergelb, die ersten Blätter an den Bäumen davor rot und der Föhnhimmel darüber tiefblau mit fotogenen weißen Wattewölkchen. Und die Luft so durchsichtig, daß man fast die Bergsteiger und Gemsen in den Alpen erkennen konnte.

Theo lief bis zum Taxistand und warf sich in den ersten Wagen.

»Die Leopold- und Ludwigstraße runter und dann in die Galeriestraße. Schnell!«

»Immer mit der Ruhe«, sagte der Fahrer und reihte das Auto gemächlich in den Verkehrsstrom ein.

»Ist mir auch recht«, Theo lehnte sich zurück und brachte seinen Rollkragen in Ordnung. Richtiges Kündigungswetter, dachte er und fischte sein restliches Geld aus der Hosentasche: Drei Mark zwanzig.

Als der Taxameter bei zwei achtzig angekommen war, hob Theo die Hand: »Halt, vielen Dank, hier ist es schon richtig.«

Er bezahlte, gab dem Fahrer zwanzig Pfennig Trinkgeld und stieg aus. Er ging um eine Baugrube herum bis zur Herzog-Rudolf-Straße, sprang über den Begrenzungszaun und rannte zu dem kleinen Milchgeschäft.

Die Ladentür bimmelte.

Theo kaufte eine Dreieckstüte mit Milch, zwei Semmeln und eine Schachtel Camembert. Dann fing er an, in den Taschen zu kramen.

»Ich muß mein Geld vergessen haben«, sagte er mit verzweifeltem Gesichtsausdruck.

»Aber das macht doch nichts.« Die Milchfrau winkte ab. »Dann zahlen Sie eben morgen. Schließlich kennen wir uns ja gut, oder? Sie arbeiten sicher in dem fleißigen Haus?«

»Wo?« Theo sah verblüfft auf.

Die Milchfrau lachte. »So nennen wir es, weil auch nachts immer soviel los ist. Erst gestern, als ich noch spät beim Räumen war, habe ich Ihren großen dicken Herrn gesehen, mit diesem anderen, der so einen weißen ausländischen Wagen fährt, und da hab ich noch zu meiner Tochter gesagt, Erna, hab ich gesagt ...«

»Oh!« rief Theo. »Da habe ich ja noch zwanzig Pfennig. Dafür nehme ich so eine große Cognackirsche. Vielen Dank, Sie sind zu freundlich!« Er nahm seine Tüte und die Praline und machte, daß er hinaus kam.

Das Haus, in dem die Friedrich-März-Werbeagentur das oberste Stockwerk gemietet hatte, lag schmalbrüstig und grau zwischen zwei Neubauten mit Glasfassaden und strahlendweißem Verputz. Es sah aus wie der arme Vetter, den die anderen stützen, um nach außen hin den Eindruck einer guten Familie zu machen.

Theo stieg die fünf Stufen bis zum Lift hinauf und drückte auf den Knopf. Über seinem Kopf meldete sich ein dumpfes Rattern, und hinter den Glasfenstern rumpelte der kleine Käfig herunter. Theo zog die Metallgitter auseinander, bückte sich und kletterte hinein. Er drückte auf die vergilbte 5.

Nichts geschah.

Theo drückte heftiger – der Fahrstuhl rührte sich nicht. Theo sprang ein paarmal in der Kabine auf und ab und knallte die Tür fester zu; es nützte nichts. Fluchend stieg er aus und machte sich an das Erklettern der fünf Stockwerke.

Als er oben ankam, drehten sich kleine bunte Dreiecke und Punkte vor seinen Augen. Schnaufend blieb er vor der Glastür stehen und hielt sich an der Griffleiste fest, als er hinter sich das bekannte Gepolter hörte. Er drehte sich um, der Lift hielt gerade, und Karl Walden stieg aus.

»Hallo«, sagte er, »auch schon wach?«

»Wach ist gut. Was war eigentlich los gestern?«

»Wie soll ich das wissen? Zuletzt haben wir dich im Kakerlak gesehen, da warst du schon ziemlich munter. Wo bist du dann hin?«

»Mit dem Kopf in die Heißmangel, oder so was Ähnliches.« Theo stöhnte. »Ich glaub, ich steig auf Hasch um. Und dieser idiotische Liftkasten wollte auch mal wieder nicht. Kannst du mir zehn Mark leihen?«

Walden grinste mitfühlend und überhörte den letzten Satz. »Bei mir spurt er immer. Vielleicht hat er was gegen dich.«

»Ich kann's ihm nicht verdenken.« Theo stieß die Tür auf, und sie gingen zusammen in den Vorraum. Er war groß und achteckig. Außer der Eingangstür gab es noch drei Türen, die zum Vorzimmer und den Büros; zum Wasch- und Abstellraum und zu dem langen Gang führten, an dem die übrigen Räume lagen. Die Wände waren mit meterhohen Großfotos von Münchner Luftaufnahmen bespannt, die nur durch schmale weiße Leisten getrennt wurden. An der Decke brannten Leuchtröhren, und wenn alle Türen geschlossen waren, hatte man fast den Eindruck, auf dem Aussichtsplateau eines Turmes zu stehen. Jedenfalls war das die Absicht des Erfinders.

Jetzt waren zwei Türen offen. In dem Gang und auch schon im Vorraum standen Stühle, Tische, Sessel, auseinandergenommene Schränke und Kommoden und Pakete aus Kissen und Decken und anderer Kram, der für den Möbelkatalog fotografiert und noch nicht abgeholt worden war. Weiter hinten plärrte ein Radio, jemand fluchte laut, und aus dem Trockenraum kam das Kreischen der alten Presse. Die Tür zur Grafik flog auf, ein Mädchen kicherte, eine Stimme sagte etwas von eingetrockneten Farben, Spritzpistole und unerträglicher Hitze.

Walden klopfte Theo auf die Schulter, ging den Gang entlang und verschwand in der Grafik. Theo wandte sich nach rechts und stieß die Tür zur Anmeldung auf.

Lisa Ellermann war allein. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und hämmerte auf die Maschine ein, als machte sie einen Leistungstest für Materialbeanspruchung. Ihr helles Haar war in einer raffinierten Frisur um den Kopf getürmt, ihr Make-up machte ihr schmales Gesicht noch schmaler und ihre riesigen Augen noch riesiger und war gerade noch dezent genug, um nicht von ihrer Tüchtigkeit abzulenken. Sie trug ein enganliegendes Kleid aus kleingeblümtem Stoff mit langen Ärmeln und einem Ausschnitt, der wenig zu wünschen, aber viel erhoffen ließ. Bei jeder anderen Frau hätte Theo das Kleid schlicht als bayerisches Dirndl bezeichnet, bei Lisa wurde es zu einem Bestandteil ihrer umfangreichen Waffenkammer.

Als Theo hereinkam, sah sie kurz auf, lächelte und hämmerte unverdrossen weiter. Sie wirkte frisch gebügelt und gestärkt, wie aus einem Werbeprospekt für perfekte Sekretärinnen gehüpft.

Theo verbeugte sich tief und legte die Cognackirsche auf einen Stapel leerer Briefbogen. »Mit meiner ganzen Liebe!« hauchte er. »Verschwinden Sie bloß!« Lisa tippte weiter.

»Ich kann auch zärtlich sein ...« Theo bückte sich und küßte sie auf den Hals.

Sie wich aus und tippte weiter. »Ich will nicht dabei sein, wenn der Linhard platzt.«

»Oder mögen Sie's lieber brutal?« Theo biß sie leicht ins Genick und knabberte sich langsam zur Schulter vor. Lisa tippte langsamer, wich aus und vertippte sich. Wütend stieß sie den Radierstift ins Papier.

Theo richtete sich auf. »Haben Sie auch was gegen mich?«

»Sie stinken wie eine ganze Schnapsbrennerei!«

»Oder mögen Sie vielleicht keine rothaarigen Männer?«

»Ich mag keine unrasierten Männer.« Das Glöckchen an ihrer Maschine schlug an, der Wagen surrte zurück, und schon ging es wieder weiter.

Theo kratzte sich am Kinn. »Für Sie würde ich ihn opfern – den Bart, meine ich ... Morgen, abgemacht?«

Lisa riß den beschriebenen Bogen aus der Maschine und zog die Durchschläge auseinander. »Kümmern Sie sich endlich um Ihr Layout! Wenn Linhard Sie hier rumstehen sieht, dann passiert sonst was.«

»So schön und so hart.« Theo blätterte in einer der dicken Mappen, in denen, hinter Cellophan, Dutzende von Fotomodellen und Mannequins verheißungsvoll aus ihren mehr oder weniger großen Badeanzügen herauslächelten.

Lisa brauchte nicht mehr zu antworten. Die Verbindungstür zu Linhards Büro platzte auf, und ein Hauch von For Men Only kam heraus. Dahinter Linhard selber, mittelgroß, schmal, in dunkelblauem Anzug mit gelbem Lederwestchen und schwarzen handgenähten Schuhen.

»Guten Morgen, Freitag«, sagte er unerwartet weich. »Kommen Sie bitte gleich mit. Ich habe eine Aufgabe für Sie.«

»Selbstverständlich«, fügte sich Theo und warf Lisa einen triumphierenden Blick zu, aber sie war vollauf damit beschäftigt, einen neuen Bogen einzuspannen.

Theo ging hinter Linhard her, wieder in den achteckigen Vorraum und dann den langen Gang entlang, zwischen den aufgestapelten Tischen und Stühlen hindurch, bis zur letzten Tür.

Linhard stieß sie auf und blieb stehen. Als Theo bei ihm ankam, deutete er mit einer Hand in das Atelier hinein und sagte:

»Es liegt alles drin, was Sie für die Arbeit brauchen, die Kundenrohskizze, die alten Kataloge, Materialunterlagen, Preislisten, Fotos und Text. Bitte!«

Theo ging an ihm vorbei. Im gleichen Moment schlug hinter ihm die Tür zu, der Schlüssel drehte sich im Schloß.

»He!« brüllte Theo.

Linhard lachte trocken. »Zu und aus«, sagte er dicht an der Tür. »In drei Stunden komme ich nachsehen, und dann will ich das Layout fix und fertig haben, verstanden? Um ein Uhr kommt Sutor, und eine halbe Stunde später der Klischeemann, um es für die Kalkulation abzuholen. Klar?«

»Sind Sie jetzt ganz übergeschnappt?« schrie Theo.

Linhards Stimme war lauter: »Schreien nützt Ihnen gar nichts! Seit Tagen reden wir von nichts anderem – jetzt hab ich die Nase voll von Ihrem Theater. Heute ist der endgültig letzte Termin. Ich will endlich mal ein Ergebnis sehen!«

»Bläbläbläblä, machen Sie sich nur nicht in die Hosen!« Theo hörte, daß Linhards Schritte sich entfernten und rief noch hinterher: »Ich kündige! Ich kündige!« Keine Reaktion.

Theo holte erschöpft Luft. Die mit ihrem stinkigen Geld. Sollen sie sich ihren Vorschuß doch gerichtlich einklagen. Ich knall ihnen jedenfalls den ganzen Mist hin! Theo knallte seine Frühstückstüte auf den Tisch zwischen die Fotos und die Katalogskizzen und zog seine Jacke aus.

Erst jetzt fiel ihm auf, wie heiß es im Atelier war. Nicht die übliche trockene Luft der überheizten Büroräume, sondern eine dumpfe, stickige Hitze.

Theo riß eins der staubigen Fenster auf und sah sich um. Die Sonne spiegelte sich in einem Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite und warf einen schmalen gelben Streifen über den Wald von Stativen, die Scheinwerfer, die Spots und die beiden schweren Wannen mit je acht Spezialbirnen und die Schienen an der Decke mit den beweglichen Leuchten.

Die große 9 x 12-Plattenkamera war noch aufgebaut, das schwarze Tuch hing, sorgfältig zusammengelegt, über dem Stativ. An der Seite standen die verschiedenen Background-Tafeln und die Requisitenkoffer. Vor der Rückwand hingen noch immer die weißen Hintergrund-Bahnen, davor stand ein superbreites Doppelbett mit hellgrüner Daunendecke. Das letzte Möbelstück für den Fuchsbauer-Winterkatalog.

Auf der linken Seite stapelten sich die Möbel, die schon fotografiert waren – zwei Sesselchen, zwei Frisierkommoden und die aufgeklappten Frontwände eines Schrankes bis hin zu dem dreitürigen grau lackierten Kameraschrank. An der Fensterseite stand nur der massive Arbeitstisch, überladen mit alten Vergrößerungen, leeren Plattenhüllen, Papierpackungen, Bleistiften, Sonnenbrillen, Zetteln, Dosenöffnern, Flaschenkronen, klebrigen Teelöffeln und noch einigem mehr.

Theo stieg über die Kabelschlangen hinweg, die fast den ganzen Fußboden bedeckten, stellte die Nummer des Vorhängeschlosses am Kameraschrank ein und öffnete die Tür. Er kramte unter den belichteten Negativplatten und den ungeöffneten Blechhüllen herum, bis er ein Messer fand, und nahm auch gleich die halbvolle Cognacflasche mit, die zwischen den Objektiven lag.

Dann ging er zu dem Tisch zurück. Er setzte sich auf die Kante, stützte die Füße auf den Stuhl und schnitt die Milchtüte auf. Da sah er die Stecker.

Drei wuchtige schwarze Sicherheitsstecker, die auf einem Brett montiert waren, das auf dem Fußboden lag und die einzelnen Anschlüsse mit dem Stromnetz verband.

Theo stand murmelnd auf und zog die Stecker heraus. Dann untersuchte er die Lampen. Die Schalter standen auf Aus, aber die beiden Wannen waren noch warm. Drei Birnen waren schwarz.

Theo setzte sich kopfschüttelnd wieder auf die Tischkante und nahm einen langen Schluck aus der Milchtüte. Die Lampen haben die ganze Nacht über gebrannt – kein Wunder, daß man hier erstickt ... Aber so blau kann der Fritz doch gar nicht gewesen sein, daß er ... Na ja, wenn man die ganze Nacht durcharbeiten muß ... Saftladen! Theo schnitt sorgfältig ein Brötchen auf, legte einen Streifen Käse hinein und klappte es wieder zusammen.

Er kam nicht mehr dazu, hineinzubeißen.

Mit offenem Mund, die Hand mit dem Brot halb erhoben, starrte er zu dem Bett hinüber. Genau gesagt zu der Hand, die darunter hervorragte.

Theo schluckte, legte das Brötchen hin, stellte die Milchtüte ab und rutschte von der Tischkante.

Es war eine sehnige, braungebrannte Männerhand mit einem silbernen Siegelring am Mittelfinger. Fritz Halders Hand.

Theo lachte. »He, altes Haus!« Er bückte sich. »Wach auf – los, komm schon!« Theo faßte nach der Hand, ließ sie aber sofort wieder los.

Sie war eiskalt.

2

Theo richtete sich auf und versuchte, die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Kater, dachte er. Man soll sich nicht bücken, wenn man einen Kater hat. Besoffen. Ich bin noch besoffen ... Das Wort besoffen blieb kleben, und Theo hielt sich daran fest. Klar, er ist besoffen.

Er lachte, viel zu laut. »He, alter Knabe – aufwachen! Die Überstunden sind rum.« Er stemmte sich gegen das Bettgestell, um es wegzuschieben; es knackte und begann zu schwanken. Immerhin, besser unter einem Fuchsbauerbett als drin ... Er ließ das Bett los, schlug vorsichtig die Steppdecke zurück, nahm die Lagen aus Wellpappe und Seidenpapier darunter heraus und zog das dünne Holzgestell aus dem Rahmen.

»Fritz«, flüsterte er.

Fritz Halder lag verkrümmt auf der Seite, das Gesicht halb unter der Armbeuge verborgen. Er schien Theo mit einem Auge zuzublinzeln. Er war tot.

Theo wankte zu dem Tisch zurück und setzte die Cognacflasche an den Mund. Es half nicht viel. Er stellte die Flasche zurück und ging an die Tür. Erst als er an der Klinke rüttelte, fiel ihm wieder ein, daß Linhard abgeschlossen hatte.

Theo hämmerte gegen die Türfüllung; er fluchte, bat und tobte – niemand kam. Langsam ging er zum Tisch zurück, bemüht, nicht zu dem Bett hinüberzuschauen und zu der Hand.

Plötzlich hörte er draußen schnelle Schritte.

Mit einem langen Satz war er neben der Tür. »He, mach mal auf!«, schrie er.

»Geht nicht, Meister.« Es war Lisa. »Tut mir leid, aber der Kleine Boss hat den Schlüssel abgezogen.«

Theo trommelte mit den Fäusten gegen die Tür.

»Doch! Sie müssen! Hier drin ist ...« Aber Lisa war schon weitergetrippelt.

Theo holte sich einen Stuhl, setzte sich rittlings direkt an die Tür und wartete auf den Nächsten. Aber keiner kam.

Theo versuchte zu denken. Nicht zu denken. Fritz Halder aus allem auszuklammern; an Linhard zu denken, der offensichtlich allen ein Verbot für den hintersten Teil der Firma auferlegt hatte; wütend zu werden, einen Ausweg auszuknobeln ...

Einfach aufzuwachen und daheim im Bett zu liegen.

Brüllen? Witzlos; die im Labor hören sowieso nichts. Einen Kurzschluß verursachen? Dazu müßte man aufstehen. Zu dem Bett hinübergehen. Zu der Hand mit dem Siegelring.

Theo tat nichts. Er brüllte nicht. Er bewegte sich nicht. Er schwitzte und fror gleichzeitig; seine Hände zitterten, und in seinem Magen kämpfte der Cognac mit der Milch.

»Nun?« fragte mit einmal dicht neben der Tür eine sanfte Stimme.

Linhard.

Theo setzte sich gerade auf, er hatte ihn nicht kommen hören. Linhard schien durch das Schlüsselloch zu spähen.

»Was macht mein Layout? Es ist schon nach zehn.«

»Machen Sie auf!« Theo sprang hoch und warf dabei den Stuhl um. »Der Halder ist tot!«

»Na klar. Sicher hat ihn da drin eine Straßenbahn überfahren. Wieviel Seiten haben Sie zusammen?«

»Keine. Machen Sie auf, verdammt noch mal!« Theos Stimme kippte über.

Linhard blieb jovial: »Aber sicher mache ich auf, keine Angst. In anderthalb Stunden.«

»Verflucht!« Theo ballte die Fäuste. »Ich muß mal! Machen Sie auf, oder ich geh ans Fenster!«

»Na und? Wär doch ein neuer Gag ... Apropos Gag: Lassen Sie sich für die Seite mit den Neuigkeiten was einfallen.«

Theo holte Luft. »Es fehlen vier Fotos!«

Linhard reagierte sofort. »Was?«

»Ja. Gerade die wichtigsten. Die vom Bett.«

Linhard schwieg einen Moment lang. »Aber ich habe doch alles kontrolliert«, meinte er endlich.

Theo gab sich Mühe, ruhig und normal zu sprechen. »Tut mir leid, aber ohne die Fotos mach ich nicht weiter.«

»Aber nur eine Minute!« Der Schlüssel drehte sich in der Tür, Linhard schob seinen Kopf herein. Die Stirn unter den glatt zurückgekämmten Haaren lag in dünnen Falten. Kleine hellblaue Porzellanaugen sahen an Theo vorbei zu dem Tisch mit der Milch und dem Brot. Linhard entdeckte die Cognacflasche, seine Nase hob sich, die Mundwinkel senkten sich. Er machte eine Bewegung, als wollte er die Tür wieder schließen.

Theo zeigte wortlos auf die Hand, die unter dem Bett hervorsah. Linhard kam ins Atelier, blieb vor dem Bett stehen und räusperte sich. Über dem weißen Kragen hüpfte sein Adamsapfel auf und ab.

»Betrunken!« Angeekelt machte er noch einen Schritt auf die Hand zu.

Theo erwartete fast, daß er sie mit den blanken Schuhspitzen anstoßen würde, aber Linhard sah nicht mehr hin. Er holte ein flaches, überaus elegantes Zigarettenetui aus Krokodilleder aus der Jackentasche.

»Hm«, sagte er, und es klang, als würde er ausspucken.

Theo wies mit dem Kopf zu dem oberen Teil des Bettes hin, und Linhard beugte sich zögernd über das Gestell. Hastig wich er zurück.

»Scheint tot zu sein, oder?« Er klappte das Etui auf, nahm eine Zigarette heraus und schob sie in den Mund. »Ausgerechnet jetzt, Teufel noch mal.« Er ließ die Flamme seines Gasfeuerzeugs aufzischen und sog den Rauch ein.

Theo holte seine Pfeife aus der Tasche, klopfte den Kopf gegen die Handfläche und suchte in den Taschen vergeblich nach Tabak. Er steckte die Pfeife wieder weg und sah Linhard an.

Linhard spielte mit dem Lederetui in seiner Hand. »Schon lange hier drin?« erkundigte er sich.

»Meinen Sie mich?« Theo lachte nervös. »Das wissen Sie ja wohl selber am besten.«

Linhard fuhr sich mit dem Daumennagel über die Unterlippe. »Tut mir leid.«

»Was? Daß Sie jetzt Schwierigkeiten mit Ihrem Fuchsbauer-Termin bekommen? Das glaub ich Ihnen.«

Linhard kniff die Lippen zusammen.

Theo streckte eine Hand aus. »Geben Sie mir auch eine!«

Linhard hielt ihm das geöffnete Etui hin. Theo erwischte zwei Zigaretten.

»Hatten Sie das Etui nicht verloren?« fragte er.

Linhard zog die Hand mit einem Ruck zurück und sah auf die beiden Zigaretten in Theos Hand.

»Nehmen Sie beide«, sagte er abwesend. »Eh ... Ich habe es wiedergefunden«, fügte er hinzu. »Es war in einem anderen Anzug.« Er gab Theo Feuer.

Sie rauchten beide schweigend ein paar Züge und sahen aus dem Fenster oder auf ihre Zigaretten, aber nicht zu dem Bett und der Hand. Im Gang näherten sich schlurfende Schritte.

»Das ist Klein.« Theo streifte die Asche von seiner Zigarette.

»Dieses fette Walroß!« stieß Linhard zwischen den Zähnen hervor.

Theo zog die Augenbrauen hoch. »Aber, aber, wie reden Sie denn über den zweiten Chef?«

Linhard warf Theo einen abwägenden Blick zu und wollte gerade antworten, als die Tür aufflog, und Eduard Klein seine 190 Pfund Lebendgewicht hereinschob.

»Einen schönen guten Morgen!« dröhnte er leutselig. »Nun, was gibt's Neues? Ich suche eigentlich Donats, ist er noch nicht da?« Er zog seine Hose hoch, die wie immer auf Halbmast hing und sofort wieder zurückrutschte, als er losließ.

»Nein, Donats ist nicht hier«, sagte Linhard.

»So? Ja, ich sehe ihn auch nicht. Ha, ha, ha ... Na, dann will ich mal nicht länger stören. Wichtige Besprechung, was? Ha, ha.« Klein lachte meckernd, blieb unverwandt stehen und kramte in seinen Jackentaschen, die sich übervoll nach beiden Seiten wölbten wie windgeblähte Spinnaker-Segel. Endlich fand er, was er suchte; einen Bonbon. Hellrot. Er wickelte ihn liebevoll aus und steckte ihn in den Mund.

»Seid ihr denn alle wahnsinnig?« brüllte Theo plötzlich los. »Hier liegt der Halder tot rum, und keiner tut was!«

»Wer?« erkundigte sich Klein mit vollem Mund und drückte die Tür hinter sich zu.

Theo schluckte; ihm war schlecht. »Fritz Halder ist gestorben«, sagte er leise und zeigte auf die Hand unter dem Bett.

Klein stapfte schwerfällig durch den Raum. Seine grau gesprenkelten Haare standen wirr nach allen Richtungen ab; nur an der Stelle, auf der er geschlafen hatte, klebten sie wie hingebügelt. »Gestorben? Tot?« wiederholte er gedehnt, bückte sich, nahm die Hand auf, zupfte etwas daran und ließ sie wieder los. »Der gute alte Halder. Langsam richtete er sich wieder auf. »Ach, das ist aber auch zu dumm. Und ausgerechnet hier – tz, tz, tz.«

»Hat sich totgesoffen.« Linhard warf die Zigarette auf den Boden und trat sie aus. »Wir sind mit dem Fuchsbauer-Termin in Druck, und Halder sollte die restlichen Aufnahmen gestern abend noch fertigmachen. Aber wie Halders Überstunden gewöhnlich aussehen, das wissen wir ja.«

»Vielleicht war er doch krank«, warf Theo ein.

Klein wälzte den Bonbon in seinem Mund herum. »Halder nicht. Diese Fotografen, die haben doch Bärennaturen.«

»Ich hol einen Arzt.« Theo sah zu der Cognacflasche auf dem Tisch hinüber, ging aber doch direkt zur Tür.

»Wohin?« blaffte Linhard.

»Zum Telefon natürlich.«

»Schließen Sie erst mal ab!« Linhard wischte ein unsichtbares Fädchen von seinem Revers.

»Ja ... aber ...« Theo sah Klein an.

Klein starrte auf den Boden und knetete ausgiebig seine Nase. »Äh ... Vielleicht, äh ... vielleicht etwas warten. Überlegen ...«

Theo wandte sich ab und drückte die Türklinke hinunter. Aber noch bevor er sie öffnen konnte, fühlte er von der anderen Seite her leichten Druck und stemmte sich automatisch dagegen. Der Druck verstärkte sich, Theo hörte eine brummelnde Stimme. Er sah zu Linhard und Klein, die schweigend zurückstarrten.

»Sofort aufmachen, verfluchte Bande!« explodierte die Stimme auf der anderen Seite. Die Türfüllung vibrierte.

Theo fuhr zurück, die Tür sprang auf und schlug krachend gegen ein Lampenstativ.

»Der Boss ist da«, verkündete Theo überflüssigerweise.

Friedrich März war kaum zu übersehen. Er war fast so groß wie Theo, dabei aber so klapperdürr, daß man sich kaum vorstellen konnte, wo er diese Stimme hernahm.

»Drecksbande«, dröhnte er und stelzte ins Atelier. Sein von Leberflecken dunkel gefärbtes Gesicht lief rot an und kontrastierte zu seinen schneeweißen Haaren und den eisengrauen Augen und dem ebenso eisengrauen Anzug.

Auf dem Gang trippelten Schritte näher.

»Lisa«, konstatierte Theo.

Linhard war mit drei Schritten an der Tür, riß den Schlüssel heraus, warf sie zu und drehte den Schlüssel innen herum.

»Was ist hier los, verflucht noch mal?« schrie März.

Klein verschluckte seinen Bonbon, und Linhard senkte unwillkürlich die Hand mit einer neuen Zigarette hinter den Rücken:

»Halder sollte gestern hier arbeiten. Wir haben den Fuchsbauer-Termin schon zwei Wochen überzogen, und Halder ...«

»Zur Sache, Linhard«, drängte März.

Linhard fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und straffte sich. »Halder hatte also die Schlüssel und blieb allein hier, um die beiden Schlafzimmer fertigzumachen, und ...« Er zuckte hilflos die Achseln. »Dabei muß er dann gestorben sein.«

»So?« März stieg über eine Kabelrolle, ging vor dem Bett federnd in die Knie, richtete sich wieder auf und staubte seine Hosen ab. »Rücken Sie das Bett weg!«

Klein warf sich sofort mit seinem ganzen Gewicht dagegen; das Holzgestell begann zu knacken und wäre eingestürzt, wenn Linhard und Theo es nicht im letzten Moment abgefangen hätten.

»Wir müssen es stützen.« Theo hielt das Gestell auf einer Seite fest, während Linhard und Klein den Toten an Schultern und Beinen nahmen und hochhoben. Theo ließ das Bett los und griff nach der Daunendecke.

»Sind Sie verrückt?« fuhr Linhard ihn an. »Wir müssen alles einwandfrei zurückgeben!«

Theo schmiß die Decke über das Bettgestell und warf hastig Wellpappe auf den Boden. Linhard und Klein legten Halder darauf.

Linhard wischte sich die Hände ab und zündete sich eine Zigarette an. Klein trat zurück, zog ein schmuddeliges Taschentuch heraus und fuhr sich damit über die Stirn. Ein leuchtend blauer Farbfleck blieb zurück, als hätte er vorher einen Pinsel oder einen Füller in dem Tuch abgewischt. Theo sah gebannt auf den blauen Streifen, der sich wie eine Narbe über die linke Augenbraue gelegt hatte.

Zwischen ihnen lag Fritz Halder, schlaff und leblos.

Draußen näherten sich wieder die klappernden Absätze von Lisa Ellermann. »Herr März, bitte Telefon. Ruttenhofer AG.«

»Ich komme gleich.« März zog eine flache Packung mit ägyptischen Zigaretten heraus.

Linhard sprang vor und gab ihm Feuer.

März stieß eine hellgraue Rauchwolke aus und wandte sich halb zum Fenster. Unter den buschigen Brauen blinkten die Augen matt. Das kräftigste an seinem Gesicht war die Nase – unverhältnismäßig lang, mit einem Habichtshöcker. »Wie hoch ist der Fuchsbauer-Etat?« fragte er ruhig.

»Zwo Komma drei Millionen«, sagte Linhard wie aus der Pistole geschossen.

»Stimmt.« Langsam drehte sich März wieder um. »Im nächsten Jahr vermutlich mehr. Vielleicht erheblich mehr. Fuchsbauer ist unser größter Kunde ... Wir verstehen uns.« Er schnippte die Asche von der Zigarette. »Soviel ich weiß, wohnt Halder hier im Haus. Ich wünsche kein Theater, verstanden? Linhard, nachher will ich Sie sprechen.«

Er ging hinaus.

3

Kleins Schnaufen war das einzige Geräusch, bis Linhard sprach.

»Natürlich – wir schaffen ihn rauf!«

»Rauf?« wiederholte Theo verständnislos.

»Hier muß er weg, das ist klar.« Linhard sah zu Klein, der unbestimmt nickte und seine ganze Aufmerksamkeit darauf richtete, seine Krawatte, die über dem Jackett hing, wieder hineinzustopfen.

»Klar«, fuhr Linhard fort; »Halder hat ja eine Bude hier unterm Dach. Dann sind wir ihn los.« Er ging zur Tür und horchte auf den Gang hinaus.

»Aber wieso?« Theo hatte das Gefühl, auf einem schwankenden Boot zu stehen. Zögernd drehte er die zweite Zigarette von Linhard zwischen den Fingern, steckte sie aber wieder fort. »Man kann doch mal sterben, oder?«

Linhard kam zurück. »Haben Sie nicht gehört, was der Boss gesagt hat?«

Theo begann zu schwitzen. Ich will raus hier – raus ... »Er hat nichts davon gesagt, daß wir ihn raufschaffen sollen.«

»Aber das hat er gemeint.«

»Dann hat er das aber reichlich unklar ausgedrückt. Ist doch sonst nicht seine Art.«

Linhard blieb vor Theo stehen und sprach wie zu einem Kind: »Freitag, benützen Sie doch mal Ihr Hirn! Sie haben doch eins, oder? Fuchsbauer ist unser größter Kunde. Auf deutsch gesagt, er ist der