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Georg Schwikart

Jeder Tod hat sein Gelächter

topos taschenbücher, Band 1041

Eine Produktion des Echter Verlags

Georg Schwikart

Jeder Tod hat sein Gelächter

Über das Verhältnis
zweier eigentümlicher Brüder

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Verlagsgemeinschaft topos plus

Butzon & Bercker, Kevelaer

Don Bosco, München

Echter, Würzburg

Lahn-Verlag, Kevelaer

Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern

Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der

Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8367-1041-1

E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5029-5

E-Pub: ISBN 978-3-8367-6029-4

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer

Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim

Echter Verlag, Würzburg

Umschlagabbildung: © gettyone

Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Satz: Hain-Team (hain-team.de)

Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg

Besonderer Dank für unentbehrliche Hilfe
bei der Manuskripterstellung geht an
Ursula Schairer!

Gewidmet meinen Geschwistern
Monika, Hildegard, Hans-Jakob,
Ursula, Thomas und Christoph,
mit denen ich geweint und gelacht habe!

„Wir wünschen dir für die nächsten Jahre …“

Das Komische der Krise

Der erwachsene Sohn des Verstorbenen möchte bei der Trauerfeier auch das Wort ergreifen. Er tritt neben mich, spricht frei, spricht seinen toten Vater an, der hinter uns im Sarg liegt: „Papa, du warst immer eine starke Persönlichkeit !“ Wir alle sind bewegt. Nach einigen Minuten will der Sohn langsam zum Ende kommen, findet aber keinen rechten Ausgang aus seiner Ansprache. „Lieber Vater“, setzt er an, „wir wünschen dir … äh … für die nächsten Jahre … äh … Ruhe.“ – Und alle Ergriffenheit ist verflogen.

Die Idee, sich dem Verhältnis der anscheinend eigentümlichen Brüder „Tod und Humor“ zu widmen, entstand beim Schreiben eines Buches über meine Erfahrungen als Trauerredner. Das waren mitunter bedrückende Geschichten. Wie Sonnenstrahlen im düsteren Tal des Abschieds machten sich da die unfreiwillig komischen Momente aus. Etwa der Gruß der Hunde des Verstorbenen auf der Kranzschleife: „In tiefer Trauer“.

In meiner Herkunftsfamilie war ein lockerer Umgang mit dem Thema Tod erlaubt, obwohl (oder weil ?) uns der frühe Tod des Vaters prägte. Mein Bruder pflegte zu sagen: „Praktisch denken, Särge schenken.“ Und als meine Kinder am Grab des Opas ihren Kopf in den Nacken warfen (weil der Opa ja im Himmel ist), da durfte ich schmunzeln. Ich lächelte ebenso (wenn auch bitter), als ich für meine Mutter in Sofia ein Souvenir gekauft hatte und mir nach dem Bezahlen erst einfiel, die Frau ist ja schon tot.

Nun lade ich ein, sich der Partnerschaft von Tod & Humor zuzuwenden. Ich darf aus eigener Anschauung erzählen, aber auch Dichter und Wissenschaftlerinnen, Verordnungen und Zeitungsmeldungen zitieren. Ein Dank an Freundinnen und Freunde, die Anregungen und Tipps beisteuerten.

Die vorliegende Ausgabe ist die überarbeitete Version der Erstauflage von 2001. Einiges habe ich aktualisiert, manches gestrafft, Neues hinzugefügt. Das meiste zum Thema bleibt zeitlos, denn der Tod ist immer eine Krise, aber in der Krise gibt es auch das Komische. Das muss man nur erkennen und zulassen. Dann kann der Humor der Krisenbewältigung dienen.

Pablo Neruda sagt in einem Gedicht: „Von Zeit zu Zeit und auf Distanz / sollte man ein Todesbad nehmen.“ – Einverstanden, aber nur, wenn ich mich anschließend mit reichlich Humor abduschen darf. Ich finde, das darf man auch als glaubender Mensch, heißt es doch in Psalm 30,12: „Du hast mein Klagelied in einen Freudentanz verwandelt. Du hast mir die Trauerkleider ausgezogen und mich mit einem Festgewand bekleidet.“

Georg Schwikart

„Jeder Tod hat sein Gelächter“

Ein gar nicht so abseitiges Thema

„Haben Sie schon einmal gemeint, dass Sie sterben, und was ist Ihnen dabei eingefallen :

a) was Sie hinterlassen ?

b) die Weltlage ?

c) eine Landschaft ?

d) dass alles eitel war ?

e) was ohne Sie nicht zustande kommen wird ?

f) die Unordnung in den Schubladen ?“

Diese Fragen stammen aus einem ganzen Fragenkatalog, den der Schweizer Schriftsteller Max Frisch einmal formuliert hat. Der Tod ist ein dankbarer Gegenstand für jeden Autor ; überaus umfangreich ist die Literatur dazu. Dichter und Denker, Philosophen und Theologen, Soziologen und Psychologen haben darüber geschrieben. Das Thema ist unerschöpflich und bietet allen etwas. Und doch können wir nur festhalten, was wir Lebende vom Tod meinen, wie wir ihn uns vorstellen. Denn was der Tod wirklich ist – woher könnten wir das wissen ?

Sprichwörter sind die Weisheit der Völker, sagt man, und Sprichwörter zum Themenkreis Tod gibt es reichlich. Hier ein paar Kostproben :

Arm ist, wer den Tod wünscht, aber ärmer, wer ihn fürchtet.

Der Tod macht mit allem Feierabend.

Der Tod macht alles gleich, er frisst Arm und Reich.

Des einen Tod, des andern Brot.

Der Tod kommt ungeladen.

Der Tod hat keinen Kalender.

Der Tod und die Kirche geben nichts zurück.

Heutzutage nimmt man’s eher humorig und plappert leichtfertig Sinnsprüche wie diesen daher: „Nichts ist umsonst, nur der Tod – und selbst der kostet das Leben.“ Oder, Werbeslogans parodierend: „Wer früher stirbt, ist länger tot …“ Mitunter finden wir etwas so lustig, dass wir sagen: „Ich lach mich tot !“ Aber: Der Tod ist nicht lustig !

Fragt Tom, den Pfleger im Landeskrankenhaus. Er war im Advent allein mit acht geistig behinderten Menschen unterwegs auf dem Weihnachtsmarkt ; für solche Exkursionen steht nicht mehr Personal zur Verfügung. Einer von den Heimbewohnern schlang einen Hefe-Weckmann so gierig in sich hinein, dass er daran erstickte. Fragt Horst, den Arzt. Er hat sich für das Leben einer Patientin eingesetzt, aber er vermochte sie nicht zu retten. Fragt Frau Löffler, deren Mann sich ohne Vorankündigung das Leben nahm. Fragt Herrn Becker, der am Krankenbett seiner geliebten Erika aushielt, bis sie endlich von ihrem Krebsleiden erlöst wurde.

Nein, der Tod ist nicht lustig. Und deswegen machen wir uns über ihn lustig. Deswegen verhöhnen wir seine Macht. Wir relativieren seine Gewalt, indem wir spielerisch mit ihm umgehen. Ein harmloses Beispiel: Unter Publizisten heißt es, in einem angesehenen Frankfurter Verlag zu veröffentlichen sei „eine Beerdigung erster Klasse“. Will sagen: Der Verlagsname auf dem Cover macht sich gut, die Feuilletons jauchzen, die Kritik verstummt – aber wer sein Buch verkauft sehen will, der sollte sich anderswohin wenden. Oder nehmen wir einen Aphorismus über die ehemalige Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland: „Bonn ist halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot.“

Tod und Humor – sind diese beiden nicht Gegensätze ? Ist es taktlos, die beiden Themen in einem Atemzug zu nennen ? Aber was kann man tun, wenn sich die beiden so magisch anzuziehen scheinen ? Vielleicht muss man lachen, um nicht am Weinen zu ersticken. Ist nicht das Lachen ein Überlebenselixier ? Wie schnell kann doch eine an sich traurige Situation „kippen“.

Manches ist skurril, darüber mag man grinsen. Manches ist heiter. Und manchmal hilft nur noch Zynismus, Sarkasmus gar. Aber es gibt auch Grenzen ; die meisten davon sind selbst gezogen. Die Grenze des guten Geschmacks verläuft dort, wo die Würde anderer verletzt wird. Ein Spaß auf Kosten eines Menschen, der sich in misslicher Lage befindet, mag gerade noch angehen, nach dem Motto: „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“ Aber ein Freibrief für Häme kann trotzdem nicht ausgestellt werden.

Tod und Humor – eigentlich bedürfen beide Begriffe einer genauen Definition. Aber wie definiert man „Tod“ ? Als Versagen aller Körperfunktionen ? Ist der Tod nicht mehr als das ? Doch was können wir mehr von ihm wissen ? Schon Epikur meinte: „Der Tod geht uns Lebende nichts an. Wenn wir leben, sind wir nicht tot, und wenn wir tot sind, leben wir nicht.“

Und Humor ? Mit „Humor“ meinen wir eine Haltung heiterer Gelassenheit, eine fröhliche Wesensart, die die Dinge leichtnimmt – selbst den Tod. Ja, gerade der Tod hat mit dem Humor zu tun, er ist sein Ernstfall. Denn wie die Traurigkeit zu Tränen rührt, kann uns auch das Lachen weinen machen. Weinen und Lachen, diese Gefühle aus der Tiefe unserer Seele sind Geschwister.

Unser Wort Humor leitet sich ab von dem lateinischen Begriff für „Feuchtigkeit, Flüssigkeit“. Die antike Lehre von den Körpersäften vertrat die Ansicht, dass das Verhältnis von Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle für das Temperament eines Menschen bestimmend sei. Daraus leitet sich auch die bis heute gebräuchliche Unterscheidung der vier Temperaments-Typen „sanguinisch“, „phlegmatisch“, „cholerisch“ und „melancholisch“ ab. Humor wäre dann diejenige ausgewogene Körpersaftmischung, welche gute Laune gewährleistet.

Letztlich gilt, was der Schriftsteller und Kabarettist Egon Friedell anmerkte: „Was Humor ist, das hat wohl noch niemand zu erklären vermocht: und ich glaube, schon der bloße Versuch, diesen Begriff näher bestimmen zu wollen, ist ein Beweis von Humorlosigkeit, weshalb ja auch hauptsächlich Universitätsprofessoren sich mit dieser Aufgabe beschäftigt haben.“ Und an anderer Stelle schrieb er: „Heiterkeit setzt immer einen gewissen Grad von Intimität voraus: Nur was uns vertraut ist, was wir genau kennen, kann uns humoristisch stimmen, im Grunde lachen wir eigentlich immer nur über uns selber, über unsere eigenen komischen Möglichkeiten.“

Was uns, wie Sterblichkeit und Tod, so ängstigt, dass wir es tabuisieren, fasziniert zugleich auch, wie alles Tabuisierte. Und wenn wir dem Tod mit Humor begegnen, dann vielleicht deshalb, um ihm durch das Lachen scheinbar etwas von seiner Macht zu nehmen. Lachen ist menschlich, und der Witz hat eine Ventilfunktion. Schon die spanische Nonne Teresa von Avila meinte, das bisschen Witz und Humor, das in uns stecke, müssten wir herauslassen. Und der französische Pantomime Marcel Marceau verdeutlichte, wie verbindend das Lachen sei: Es gebe kein deutsches, französisches, italienisches oder russisches Lachen, sondern nur das Lachen des Menschen. – Nur des Menschen ? Vielleicht verbindet das Lachen sogar Himmel und Erde. Der englische Schriftsteller Chesterton schrieb: „Gott hat Humor. Sonst hätte er nicht den Menschen erschaffen !“

Wer über Humor verfügt, ist den Anforderungen des Lebens in der Regel besser gewachsen. Der Friedhofsgärtner beispielsweise, der mir grinsend erzählte: „Ich musste fünf Kränze für eine Beerdigung machen, mit Schleifen. Auf der Grußschleife wollten alle den Text ‚Ruhe sanft‘ haben. Das fand ich gut, erspart mir ’ne Menge Arbeit, weil die ja alle einzeln mit Goldfolie geprägt werden. Und – wie ich die fünfte fertig hab’, lese ich, was ich gedruckt habe: ‚Ruhe saft‘ !“

Groß ist die Zahl der Anekdoten zum Thema, der „Dönekes“, wie man im Rheinland sagt: Erlebnisse, die man – nicht ohne rankende Ausschmückungen – in fröhlicher Runde zum Besten gibt. Bestatter und Pfarrer haben schon von Berufs wegen reichhaltige Erfahrung mit dem Tod und meistens auch ein entsprechendes Repertoire an Geschichten: „Da ist mir mal was passiert … !“ Und dann entwickeln sich die Storys weiter – was einem anderen passierte, deklariert man als selbst erfahren, nach oftmaligem Berichten können Dichtung und Wahrheit nicht mehr auseinandergehalten werden. Was soll’s, wenn die Stückchen munden ?

Die Anekdote erzählt Erlebtes oder Erfahrenes, auch Erfundenes, das sich ereignet haben könnte. Der Witz als knappe Beschreibung eines Geschehens oder einer Situation, als Spiel mit der Bedeutung von Wörtern und Sätzen oder auch als bildhafte Darstellung erheitert uns durch „Sinn im Unsinn“, durch Verbindung von nicht Zusammenpassendem, durch eine überraschende Wendung, durch die ironische Distanz zum menschlichen Schicksal.

Die Kulturhistorikerin Salcia Landmann erklärt die psychologischen Hintergründe, die den Witz zum Witz machen, und beruft sich dabei vor allem auf Sigmund Freud. In dessen Methode der Traumanalyse erkennt auch Landmann den Schlüssel zum Verständnis des Witzes: „Witze, die sich mit der geistigen Entlastung durch kindliche Unlogik begnügen, nennt Freud ‚harmlose Witze‘. Witze jedoch, die mit dieser eigentümlichen Technik verbotene und verdrängte Tendenzen ans Tageslicht reißen, nennt Freud ‚tendenziöse Witze‘. Und er unterscheidet bei ihnen vier Varianten: 1. Die obszönen Witze. Sie ersetzen die nackte Zote, die in guter Gesellschaft nicht zugelassen ist. 2. Aggressive Witze. Hierher gehören natürlich auch alle politischen Witze. 3. Zynische Witze. Sie attackieren sonst unangefochtene Grundsätze. In ihrer schärfsten Herausforderung sind sie blasphemisch. 4. Skeptische Witze. Sie zweifeln überhaupt jede Möglichkeit der Erkenntnis an, negieren Wahrheitseinsicht also schon an der Wurzel. Um aber wirklich anzukommen, muss ein Witz auf Motiven beruhen, die sowohl dem Erzähler wie dem Zuhörer bekannt, geläufig und, womöglich, auch wichtig sind. Daher die Eignung der aktuellen Ereignisse für den Witz. Wo man erst lange erklären muss, wird ohnehin eine wesentliche Voraussetzung für die Wirkung des Witzes zerstört: mühelose Rezeption“ (Aufnahme).

Zu welcher Kategorie von Witz gehört wohl der folgende: Warum ist es sinnvoll, bei einem abstürzenden Flugzeug vorne zu sitzen ? – Dann kommt der Getränkewagen noch einmal vorbei. – Ist solch ein Witz noch akzeptabel oder überschreitet er die Grenze der Geschmacklosigkeit ? Die erste Auflage dieses Buches erschien im September 2001 … Nach den Terroranschlägen in New York wirkte dieser Witz ungewollt bösartig makaber. Warum erzählt man denn überhaupt so etwas ? Mit den Opfern von irgendwelchen Flugzeugabstürzen will gewiss niemand tauschen. Aber jeder, der sich auf eine Flugreise begibt, setzt sich einem Risiko aus. Und wenn man es schon nicht verdrängen kann, so macht man sich wenigstens darüber lustig, um gleichsam durch eine magische Beschwörung des Negativen das Positive zu erreichen. Schließlich wünscht man einander auch „Hals- und Beinbruch“ und meint das Gegenteil.