Cover

Über dieses Buch:

Ein Schuss, ein letzter Atemzug – und Krimiautorin Kinky ist tot. Es ist wirklich ein Unglück, dass sie ausgerechnet kurz nach der Lesung ihres neuen Romans erschossen wird. Bei ihren Kollegen sorgt der Todesfall für Gesprächsstoff: Wieso musste Kinky sterben – und wie? Der ein oder andere kennt sich jedenfalls verdächtig gut mit Schusswaffen aus …

Hamburg sehen und sterben – „mit ihren Krimis schlägt Regula Venske immer gnadenlos zu“ (Emma)!

Über die Autorin:

„Intelligent, humorvoll und immer mit einem ungewöhnlichen Plot, sind ihre Bücher ein Vergnügen.“ Gabriela Wenke

Regula Venske wurde 1955 in Minden geboren und wuchs in Münster auf. 1987 promovierte sie mit einer Studie über „Mannsbilder – Männerbilder. Konstruktion und Kritik des Männlichen in zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur von Frauen“ zum Doktor der Philosophie.

Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie u. a. mit dem Oldenburger Jugendbuchpreis, dem Deutschen Krimipreis und dem Lessing-Stipendium des Hamburger Senats ausgezeichnet, ihr Kurzgeschichtenband "Herzschlag auf Maiglöckchensauce" wurde für den Frauenkrimipreis der Stadt Wiesbaden nominiert.

Regula Venske lebt als freie Autorin in Hamburg und ist Mitglied im Autorenverband deutschsprachiger Kriminalschriftsteller SYNDIKAT (www.das-syndikat.com) und im PEN (www.pen-deutschland.de), dessen Generalsekretärin sie seit Mai 2013 ist.

Bei dotbooks erscheinen außerdem Regula Venskes Romane Schief gewickelt – Das perfekte Verbrechen, Double für eine Leiche, Die garstigen Greise und Kommt ein Mann die Treppe rauf.

Weitere Titel sind in Vorbereitung.

***

Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2015

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel Rotwein mit Schuss bei Hamburger Abendblatt Axel Springer Verlag AG, Hamburg

Copyright © der Originalausgabe 2003 Hamburger Abendblatt Axel Springer Verlag AG, Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelbildabbildung: Thinkstockphoto/Hemera/istock

ISBN 978-3-95824-275-3

***

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Todesschüsse in St. Georg an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

http://instagram.com/dotbooks

http://blog.dotbooks.de/

Regula Venske

Todesschüsse in St. Georg

Kriminalroman

dotbooks.

»Ich möchte keinen Menschen kränken noch betrüben.
Allein: was ich geschrieben habe, bleibt geschrieben!«

François Villon

Kapitel 1

Dem Reisenden, der die fünf Stufen zum Villon hinabgestiegen war und die Tür mit einem entschlossenen Ruck öffnete, beschlugen die Brillengläser. Einen Augenblick lang erschien ihm die in Zwielicht gehüllte Kneipe wie das Vorloch zur Hölle. Hilflos verharrte er auf der Schwelle, den Türgriff noch in der Hand, und versuchte sich zu orientieren. Eine Lachsalve scholl ihm entgegen, Beifall brandete auf. Doch galt beides nicht ihm, dem Provinzler, wie er im nächsten Moment beruhigt feststellen sollte, sondern dem Vortrag einer rothaarigen jungen Frau in schwarzem Lederkostüm. Sie saß rechts von der Eingangstür auf einem kleinen Podest – »Bühne« wäre zu viel gesagt – und las aus einem schwarzen Büchlein vor. Der Reisende rief sich den gelben Plakatanschlag in Erinnerung, der den Gästen außen an der Tür entgegenleuchtete und den auch er im Vorübergehen flüchtig wahrgenommen hatte.

Dienstag, 1. Oktober – Krimiabend im VillonEppendorfer Kaiser-Schnitt ...

Auch der Name der Vortragenden hatte da gestanden, Kinky Atemnot. Kein guter Name, dachte der Reisende. So hieß doch kein Mensch. Sicher ein Pseudonym.

Unterdes breitete sich im Inneren der Kneipe Unmut aus. »Tür zu!«, rief jemand. »Rein oder raus!«, kreischte eine schrille Stimme.

Die Stimme tat dem Mann an der Tür fast körperlich weh. Einen Moment noch hielt er inne, fast hätte er den Rückzug angetreten, aber dann wagte er sich doch in die Rauchschwaden und den Alkoholdunst hinein und zog die Tür hinter sich zu.

An der Theke fand er sich neben einem halbwüchsigen Jugendlichen wieder, der ihn zwar wütend anstarrte, aber dennoch höflich zur Seite rückte, als er sich neben ihn stellte. Mit gedämpfter Stimme, um kein weiteres Aufsehen zu erregen, bestellte er eine Schorle aus Johannisbeersaft. Nachdem er sich die Brille geputzt hatte, blieb sein Blick an einer Heiligenfigur hängen, die im Regal hinter dem Tresen neben diversen Gläsern stand, freundlich dem zur Tür Hereinkommenden, wer immer es auch sein mochte, zugewandt. In den altrosafarbenen Rosen, die sie gegen ihre Brust presste, verbarg sich ein Kruzifix. Die heilige Elisabeth von Thüringen, um die sich die wohl bekannteste Legende vom Rosenwunder rankte, konnte es der Kleidung nach nicht sein. Er tippte auf Thérèse Martin von Lisieux, die »kleine heilige Therese«. Auch sie wurde ja oft mit Rosen in der Hand dargestellt. Mit Heiligen kannte er sich aus, hätte in dieser Umgebung jedoch keinen von ihnen erwartet. Der Junge neben ihm zum Beispiel war doch sicher noch keine vierzehn Jahre alt. Was hatte das Kind abends in einer Kneipe zu suchen? Die Eltern gehörten bestraft! Kopfschüttelnd wandte er sich der winzigen Bühne zu und konzentrierte sich auf Kinky Atemnots Lesung.

»Es gibt zwei Arten, ungestraft zu morden«, hörte er. »Auf dem Papier und im Wochenbett. Sela hatte sich für die letztere Art und Weise entschieden.«

Hier legte Kinky Atemnot eine kurze, aber kunstvolle Pause ein, um den Zuhörenden Gelegenheit zum Lachen zu geben. Nach einem kessen Blick in die Runde setzte sie ihren Vortrag fort.

»Wird in Frankreich bereits das prämenstruelle Syndrom als strafmildernd anerkannt, so muss man es hierzulande schon bis zum Wochenbett bringen, um nicht mehr als ganz zurechnungsfähig zu gelten. Aber dann! Wenn frau dann einen Porsche kauft, kann der Ehemann das Geschäft rückgängig machen. Und wenn sie ihren Mann erschlägt, so wird man es getrost auf die Hormonumstellungen schieben.«

Begeistertes Gekicher und Schenkelklopfen neben ihm zeigten, dass das überwiegend weibliche Publikum sich köstlich amüsierte. Die Geschichte handelte offenbar von einer verwirrten jungen Frau namens Gisela Kaiser, Sela genannt, die nichts anderes im Kopf hatte, als ihre alte Mutter unter die Erde zu bringen. Um bei Gericht damit durchzukommen, beschloss sie, zunächst selbst ein Kind zu kriegen und den Muttermord im Wochenbett zu begehen. Auf diese Weise würden ihr die Richter ein postnatales Trauma zugute halten. Während andere Schwangere sich im Säuglingspflegekursus im korrekten Wickeln eines Babys übten, legte sich die verrückte Sela eine aufblasbare Gummipuppe zu, die sie im Hobbykeller ihres Ehemannes probeweise strangulierte. Mit einer Mullwindel – dieser Einfall sorgte im Publikum für besondere Heiterkeit. Eppendorfer Kaiser-Schnitt – im siebten Monat stach die gestörte Seele sodann mit einem Käsemesser auf die Gummipuppe ein, bis dieser die Luft entwich und die Heldin für Nachschub sorgen musste. Ihren bizarren Übungen ging diese Sela natürlich nur nach, wenn ihr braver Mann Mattis, ein Realschullehrer, frühmorgens zur Arbeit gegangen war; der Muttermord sollte schließlich nicht als vorsätzlicher Mord erkannt, sondern für eine Tat im Affekt gehalten werden. Außer mit diesen praktischen Übungen waren ihre Tage ganz mit Schwindel- und Speianfällen ausgefüllt, und die Autorin ließ ihre Heldin mehrmals zur Toilette eilen, um sich die Seele aus dem Leibe zu kotzen. Aber diese drastischen Szenen dienten nicht etwa dazu, die Gewissensbisse der jungen Frau zu demonstrieren, wie der Reisende zunächst geglaubt oder vielleicht sogar gehofft hatte. Nein, all dieses Elend schien nach Meinung der Autorin notwendiger Bestandteil einer Schwangerschaft zu sein.

Von Heißhungerattacken und Gebärmutterkrämpfen war alsbald die Rede, von gefährlichen Blutstürzen, Schwangerschaftsvergiftung und nächtlichen Wadenkrämpfen. »Mutterkuchen und Muttermund!« Dem Reisenden gellte es in den Ohren. Im Unterschied zu ihm schienen die anderen Zuhörer diesen abstrusen Quark allerdings lustig zu finden. Auch wenn Kinky Atemnots Text von Schweiß und Schleim, Blutpfropfen und Fruchtwasser – all dies in bunter Abfolge – nur so strotzte, außer ihm störte sich anscheinend niemand daran.

Zum Abschluss ihrer Darbietung erläuterte die Autorin die von ihr gewählten Kapitelüberschriften; mit ihnen hatte sie einen symbolischen Bogen von der »Empfängnis« bis zum »Wochenfluss« gespannt.

»Wochenfluss, so ist mein letztes Kapitel überschrieben, das nur noch aus einer Zeile besteht«, ereiferte sie sich kokett. »Ich erlaube mir, darin Heraklit zu zitieren, nur so zum Spaß, verstehen Sie. Alles fließt! Damit endet mein Krimi. Aber wer von allen Genannten im vorangegangenen Kapitel, Kindspech überschrieben, das Zeitliche segnen muss und wie und warum, das werde ich Ihnen heute Abend natürlich noch nicht verraten.«

Der Reisende nutzte die kleine Pause in Kinky Atemnots Geschwafel, warf ein paar Münzen auf den Tresen und stürzte fluchtartig aus dem Villon. An seiner Johannisbeerschorle hatte er nicht einmal genippt. Ihre Farbe erinnerte ihn an dünnes Blut, das mit Fruchtwasser vermischt war. Ihm war speiübel zu Mute.

Kapitel 2

Ein Käseteller! Vier Mineralwasser! Ein grüner Tee! Ein Ginger Ale. Zwei Bier! Und in fünfeinhalb Minuten vielleicht dann der Rotwein ...«

Die hübsche Rebecca rief es dem Wirt zu, während sie gleichzeitig mit flinkem Griff ein paar Gläser aus dem Regal schnappte. Henry zwinkerte seiner Angestellten verständnisvoll zu. Die Runde der Krimiautorinnen und –autoren, die sich im Anschluss an Kinky Atemnots Lesung im hinteren Zimmer zusammengefunden hatte, war für ihre Entscheidungsunfähigkeit längst bekannt. Das heißt, bei den männlichen Autoren war es vergleichsweise einfach, sie tranken ein, zwei Gläser Bier oder Wein, stellten keine großen Ansprüche und machten keine weitere Arbeit. Aber die Damen, und die waren in dieser Runde in der Überzahl, waren kompliziert. Erst tranken sie grünen Tee, »zum Aufputschen!«, wie es hieß – hatte man so etwas schon je gehört? Danach stiegen sie auf Bananensaftschorle um – »Die sättigt so schön« – und stellten überhaupt die sonderbarsten Kombinationen zusammen. Und meistens gingen sie auch noch mit guten Vorsätzen aus.

»Für mich bitte heute Abend nur Pfefferminztee.«

»Ich bin auf Diät! Schon der vierte Tag! Du etwa auch?«