Auserwählte
Published by BEKKERpublishing, 2015.
This is a work of fiction. Similarities to real people, places, or events are entirely coincidental.
AUSERWÄHLTE
First edition. October 18, 2015.
Copyright © 2015 Alfred Bekker.
Written by Alfred Bekker.
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
Title Page
Copyright Page
Alfred Bekker: Auserwählte
Copyright
Anna im Zauberreich
Teil 1: Die Zauberprinzessin
Prolog
Kapitel 1: Das Gesicht im Spiegel
Kapitel 2: Hack und Mack
Kapitel 3: Anderia
Kapitel 4: Die Einhornherde
Kapitel 5: Im Dorf der Riesenkuscheltiere
Kapitel 6: Der Plan
Kapitel 7: Auf zum Zauberschloss!
Kapitel 8: Die Macht des Zauberers
Kapitel 9: Annas Entscheidung
Kapitel 10: Die Rückkehr
Epilog
Teil 2: Das Geheimnis des Zauberfluchs
Kapitel 1: Geburtstagsmagie
Kapitel 2: Anna feiert Geburtstag
Kapitel 3: Ankunft in Anderia
Kapitel 4: Die Entscheidung
Kapitel 5: Elvanys Wunsch
Kapitel 6: Aufbruch nach Silberia
Kapitel 7: Das Konzert
Kapitel 8: Drachenflug
Kapitel 9: Ungelöste Rätsel
Kapitel 10: Der Fluch des bösen Wunsches
Kapitel 11: Auf nach Toralon!
Kapitel 12: Im Bann der Nebelelfe
Kapitel 13: Ein Lied für Anna
Epilog
Stadt der Helden – All Age Fantasy
Die Stadt der Magie
Der magische Zeichner
Die veränderte Zeichnung
Dunkelauges Schreckensherrschaft
Verwirrende Träume
Eine seltsame Begegnung
Zauber City braucht Hilfe
Der Schöpfer trifft auf seine Geschöpfe
Gondolas, der Elf
In der geheimen Wohnung
Finn gegen Dunkelauge
In Sicherheit
In der Tiefenstadt
Das Duell am Weltentor
Die Entscheidung
Meine Stadt
Zwei Fantasy All Age Abenteuer von ELBEN-Autor Alfred Bekker.
Sie sind auserwählt: Das Mädchen Anna, das in eine andere Welt gerät, wo die Magie herrscht und Einhörner auf den Weiden grasen. Die launische Tochter eines Zauberers bringt diese Welt in Gefahr, denn ihr Vater erfüllt ihr jeden Wunsch...
Und da ist der Junge Finn, der so gerne Comics zeichnet, in denen starke Helden gegen furchteinflößende Kreaturen kämpfen – aber eines Tages macht sich seine Geschichte selbstständig. Er hat anscheinend keine Macht mehr über die Welt, die er erschaffen hat und sein stärkster Held wird zu seinem unerbittlichen Gegner. Als ihn dann der Hilferuf des Feenmädchens Aylin erreicht, weiß er, dass nur er dies Welt retten kann.
Zwei All Age Fantasy Abenteuer von ELBEN-Autor Alfred Bekker in einem Buch:
ANNA IM ZAUBERREICH
STADT DER HELDEN
Der Umfang entspricht 340 Taschenbuchseiten.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author ; Cover Firuz Askin
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
von Alfred Bekker
Es gibt unsere Welt – und es gibt andere Welten.
Manche von ihnen sind so weit weg, dass niemals ein Mensch
einen Fuß in sie hineinsetzen wird. Andere jedoch liegen viel näher,
als du denkst. Vielleicht musst du nur die Augen offenhalten,
um einen Zugang zu finden. Vielleicht wirst du aber auch eingeladen –
wenn du die Auserwählte bist ...
In einer fernen Welt, verborgen zwischen unzähligen Hügeln und versteckten Tälern, liegt das Land Anderia. Es ist ein zauberhafter Ort, an dem sich wundersame Wesen tummeln. Sie tollen über üppige Blumenwiesen, ziehen ihre Kreise unter der strahlenden Sonne und tauchen in stille Wasser, die so tief und glänzend sind, dass sich der Himmel endlos darin spiegelt.
Doch nicht alles, was aus der Ferne ruhig aussieht, ist auch von Nahem ein Ort des Friedens. Und die Vögel, die in diesem Moment erschreckt aus der alten Weide am Seeufer aufflattern, wissen das nur zu gut. Denn eine Bewohnerin dieses unglaublichen Landes hat gerade ziemlich schlechte Laune.
„Warum habt ihr mich hierher geführt? Das ist kein See, das ist eine lächerliche Pfütze! Und darin soll es Delfine geben? Niemals!“ Das Mädchen in dem glänzenden rosaroten Kleid stampfte zornig mit dem Fuß auf.
Die beiden zotteligen Wesen neben ihr verbeugten sich. „Nun schau doch genauer hin! Hier ist neulich einer aufgetaucht, da sind wir uns ganz sicher.“
Das Mädchen beugte sich über die glänzend spiegelnde Wasseroberfläche. „Pah, vor lauter Fell könnt ihr doch nicht aus den Augen gucken! Nichts ist darin. Ich kann bis auf den Grund sehen.“ Plötzlich zuckte sie zurück.
„Was ist?“, fragte das struppige Ungetüm und lehnte sich vor.
„Nichts ... Ich dachte nur für einen Moment...“
Ein paar Sekunden lang sah sie ins klare Wasser, dann stand sie ruckartig auf und stemmte die Arme in die Seite.
„Unverschämtheit! Wenn mein Vater wüsste, wie ihr meine Zeit verschwendet, würde er euch bestrafen.“
„Nun, da du aber heimlich hier bist, haben wir wohl nichts zu befürchten“, entgegnete eines der Zottelwesen und grinste.
Das Mädchen schnaubte. „Euer Glück! Beim nächsten Mal kommt ihr mir nicht so davon!“
Damit schwang sie sich auf ihr geflügeltes Pferd und flog davon.
Die beiden sahen ihr sorgenvoll nach. „Hoffen wir, dass es kein nächstes Mal geben wird ...“
Und für einen Moment kehrt wieder Ruhe ein in Anderia. Doch für wie lange?
Dieses liebenswerte Land braucht Hilfe. Der Zauber ist freigesetzt. Möge die Geschichte ihren Lauf nehmen.
Draußen schien die Sonne. Der Himmel war wolkenlos blau. Es wäre ein wunderbarer Sonntagnachmittag zum Spielen und Herumtoben gewesen, aber Anna saß in ihrem Zimmer auf dem Fußboden und ließ lustlos eine große Kaugummiblase nach der anderen zerplatzen.
Keiner von ihren Freunden hatte Zeit, - mal wieder -, und ihre Eltern hatten irgendwelchen langweiligen Besuch. Mal wieder.
Anna seufzte tief und drehte ein paar Strähnen ihres schulterlangen Haars um den rechten Zeigefinger. Wie gern hätte sie eine Schwester oder einen Bruder gehabt, einfach jemanden, der immer da war. Sie seufzte noch einmal, als ihr Blick auf den bodenlangen Spiegel an der Wand fiel. Sie sah sich selbst darin, wie sie trübsinnig mit ihrem Haar spielte, und musste unwillkürlich lachen. Oje, jetzt war es aber genug. Wenn sie noch länger im Haus herumsaß, würde ihre Laune bestimmt nicht besser werden! Dann doch lieber raus in den Garten, mit ihrem Lieblingsbuch über das magische Einhorn ... Das konnte sie gar nicht oft genug lesen.
Annas Blick wanderte zum Bücherregal, streifte erneut den Spiegel – und kehrte überrascht zurück. Irgendetwas war anders. Ihr Gesicht wirkte plötzlich anders. Fast war es, als ob sie eine Fremde aus dem Spiegel heraus ansehen würde.
Anna zog eine Grimasse.
„Na, du fremdes Mädchen da drinnen? Du könntest mir ja mal deinen Namen sagen, was hältst du davon?“, sagte sie und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge raus. „Wie wäre es mit – Elvany? Könntest du nicht Elvany heißen und meine Freundin sein?“
Das Gesicht schien sich plötzlich noch mehr zu verändern und für einen Moment hatte Anna den Eindruck, dass ihr jemand anders entgegenblickte. Das Mädchen im Spiegel trug kostbaren Schmuck und ein rosafarbenes Gewand. Im Haar steckte eine kleine Krone und alles in allem sah sie aus wie eine Prinzessin aus einem Märchen.
Eine Prinzessin aus einem Märchen??? Anna schüttelte den Kopf und kicherte in sich hinein. Oje, nun war sie vor lauter Langeweile völlig durchgedreht. Wieder schoss ihr dieser seltsame Name durch den Kopf.
„Elvany“, murmelte Anna.
Das Mädchen im Spiegel runzelte plötzlich die Stirn und starrte Anna an, so als könnte auch sie nicht glauben, auf der anderen Seite jemanden zu sehen.
Anna hielt die Luft an. Sie war sich nun ganz sicher, dass das Mädchen im Spiegel nicht sie selbst war. Was war hier nur los?
Da fiel von draußen ein Lichtstrahl durchs Fenster, genau in den Spiegel hinein. Das Licht blendete Anna, verwischte das Bild von dem Mädchen und danach war der Spiegel wieder wie zuvor.
Anna rieb sich die Augen. Hatte sie gerade geträumt?
„Nein, du träumst nicht“, sagte eine Stimme aus dem Nichts.
Sie drehte sich um, aber da war niemand.
„Pst! Du kannst sie doch nicht einfach ansprechen, die kann uns nicht sehen und dann erschrecken wir sie nur“, sagte eine andere Stimme.
„Und wie sollen wir dann bitteschön vorgehen? Immer weißt du alles besser!“
„Ich habe dir gleich gesagt, dass das keine gute Idee ist, du Schussel.“
„Aber anders geht es nicht, du Dussel!“
Anna zögerte kurz, dann räusperte sie sich. „Äh ... Entschuldigung, ist da jemand?“
In ihrem Zimmer war es mit einem Mal völlig still. Von draußen ertönte Vogelgezwitscher. Anna kratzte sich verwirrt am Kopf, dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen.
„Ich möchte ja nicht stören, aber ich habe gerade seltsame Dinge in meinem Spiegel gesehen. Und jetzt höre ich Stimmen von unsichtbaren Wesen. Das heißt entweder, dass ich gerade einen ganz schön verrückten Traum träume oder dass hier etwas anderes ganz schön Verrücktes vor sich geht. Auf jeden Fall wüsste ich nur zu gerne, was hier eigentlich los ist!“ Erwartungsvoll schaute sie sich in ihrem Zimmer um und hielt gespannt die Luft an.
Und plötzlich waren die fremden Stimmen wieder da.
„Kein Problemchen, meine Liebe: Guck doch mal in den Spiegel! Kannst du uns darin sehen?“, fragte einer der beiden Unsichtbaren.
„Nein, du Kartoffelbirne, kann sie nicht!“, sagte der andere. „In einem Spiegel kann man nur sehen, was aussieht wie man selbst. Wir müssen sie gleich draußen treffen. Nusskopf!“
„Nussdummkopf!“
Anna musste unwillkürlich kichern. „Was ist denn das für eine Antwort? Sagt mir doch einfach, wer ihr seid!“
Eine Pause entstand. Anna wurde ein wenig ungeduldig. "Na?"
„Komm in den Garten zu dem großen Stein zwischen den Büschen“, sagte schließlich eine der Stimmen. Sie klang auf einmal ganz ernst.
„Zu was für einem Stein?“, fragte Anna.
„Zu dem mit den Zeichen darauf“, sagte die andere Stimme.
„Ganz hinten, bei den sieben Tannen“, ergänzte wieder die erste Stimme. Beide hörten sich inzwischen sehr leise an und Anna konnte sie mit jedem Wort schlechter verstehen. Es war so, als würde jemand bei einem Radio die Lautstärke immer leiser drehen.
„Du musst dich beeilen, Mädchen ...“
„Sonst wirkt der Zauber nicht mehr ...“
„Und außerdem ...“
Den Rest konnte Anna nicht mehr verstehen. Die beiden Stimmen wurden zu einem winzigen Wispern und Anna vernahm nur noch ein einziges Wort.
„Elvany ...“
Anna starrte weiter in den Spiegel. Doch der zeigte jetzt nur noch ihr ganz normales Spiegelbild – das ihr ziemlich ratlos entgegensah. Einen Augenblick lang überlegte sie.
Dann stand sie auf, ging zum Fenster und sah hinüber zu den Tannen. Ein Stein mit seltsamen Zeichen war ihr dort nie aufgefallen. Sie hatte in den Büschen schon oft mit Kindern aus der Nachbarschaft Verstecken gespielt. Und sie hatte ihrem Vater geholfen, als er den Zaun zum Nachbargrundstück repariert hatte. Da hätte sie so etwas Ungewöhnliches doch bemerken müssen!
Elvany ... Der Name ging Anna nicht mehr aus dem Kopf. Wie war sie überhaupt auf ihn gekommen? Sie hatte nie zuvor einen solchen Namen gehört. Und dann dachte sie wieder an das Gesicht des Mädchens im Spiegel, das einen kurzen Moment lang wie eine Prinzessin ausgesehen hatte.
Anna schnappte sich ihren Glücksbringer – ein alter Herrenhut von ihrem Opa, ohne den sie so gut wie nie aus dem Haus ging. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde der Sache auf den Grund gehen.
Anna lief die Treppe hinunter und durch das Wohnzimmer, wo ihre Eltern Kaffee tranken. Sie waren so in das Gespräch mit ihrem Besuch vertieft, dass sie Anna kaum bemerkten.
Erst als Anna die Terrassentür öffnete, fragte ihre Mutter: „Wo willst du denn hin?“, drehte sich aber noch nicht einmal nach ihr um.
„In den Garten“, antwortete Anna und huschte schnell hinaus.
Draußen eilte sie geradewegs auf die dicht stehenden Tannen zu. Sie drückte sich zwischen den Büschen hindurch, die um die Tannen herumwuchsen. Und dann sah sie den Stein. Obwohl er wirklich ziemlich groß war, war er ihr nie zuvor aufgefallen. Wie seltsam! Und noch seltsamer waren die merkwürdigen Kratzer darauf ...Waren das die Schriftzeichen, von denen die Stimmen geredet hatten?
Anna ging noch einen Schritt näher und beugte sich über den Stein. Auf einmal begannen die eingeritzten Zeichen zu leuchten. Sie leuchteten heller und immer heller, bis Anna schließlich geblendet die Augen schloss.
„Der Zauber muss noch etwas mächtiger sein. Komm, futter schnell noch ein bisschen von dem Kraut, sonst kann sie uns nicht sehen!“, sagte eine der beiden Stimmen, die sie schon in ihrem Zimmer gehört hatte. Und dann raschelte plötzlich etwas dicht neben ihren Füßen ...
Das Rascheln war ganz deutlich und ganz nah und Anna suchte aufgeregt den Boden ab. Aber dort war nichts sehen.
„Nun zeigt euch endlich!“, rief Anna laut und versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Was, wenn es sich bei den Wesen um irgendwelche kleinen bissigen Monster handelte, um sprechende Riesenspinnen oder schleimige Regenwürmer?
„Guck doch mal genau hin!“, sagte eine heisere, tiefe Stimme dicht neben ihr. Anna zuckte zusammen und sah neben sich ein Wesen aus der Erde herauswachsen – winzig klein zunächst, gerade mal so groß wie ein Daumen, doch innerhalb weniger Sekunden schoss es in die Höhe und war bald größer als ein Erwachsener.
Das Wesen sah aus wie – tja, wie was eigentlich? Anna hatte noch nie zuvor so etwas gesehen. Die riesigen behaarten Füße hätten wohl in keinen Schuh der Welt gepasst. Auch die Hände waren riesig. Sein Gesicht hatte die Form einer großen Kartoffel, an der noch eine kleinere zweite Kartoffel festgewachsen war – eine Knollennase. Der strubbelige Haarschopf war ganz gewiss noch niemals gekämmt worden und hing völlig verfilzt bis über die Augen. Die großen, spitz zulaufenden Ohren konnten offenbar einzeln bewegt werden, denn jetzt wedelten sie etwas verlegen herum.
Anna blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Doch Angst hatte sie merkwürdigerweise überhaupt nicht. Irgendwie wirkte das riesige Wesen liebenswert und freundlich – ja, eigentlich fand es Anna sogar ganz knuffig!
„Du guckst, als hättest du noch nie einen Troll gesehen“, sagte auf einmal eine zweite Stimme von der anderen Seite, wo jetzt noch so ein Dickerchen aus dem Boden wuchs. Die beiden unterschieden sich eigentlich nur dadurch, dass der Erste ein rotes Hemd und der Zweite ein blaues anhatte. Ansonsten sahen sie aus wie Zwillingsbrüder.
Neugierig trat Anna aus dem Schatten und machte einen Schritt auf die beiden zu, um sie besser zu sehen. Und die wirkten auf einmal ebenso fassungslos wie sie selbst.
„Wahnsinn!“, sagte der mit dem blauen Hemd. „Sie sieht wirklich genauso aus wie ...“ Da knuffte ihn der mit dem roten Hemd in die Seite.
„Nun sei nicht so unhöflich! Wir haben uns noch nicht einmal vorgestellt.“ Er wandte sich Anna zu und sagte: „Ich bin Hack, der Troll.“
„Und ich bin Mack, der Troll. Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen“, sagte der andere und machte eine kleine, unbeholfene Verbeugung. Dabei stieß er seinen Kopf an dem großen Stein an.
„Äh ... I-Ich bin Anna", stotterte sie, während sich Mack die Stirn rieb. "Und ihr seid ...", das letzte Wort flüsterte sie, "... Trolle?"
Anna schaute sich vorsichtig zum Haus um und fuhr dann fort: „Kommt am besten erst mal in den Schatten der Tannen, damit man euch nicht sieht.“
„Wir sind hier, weil wir dir etwas Wichtiges sagen müssen, Anna“, begann Hack, nachdem sie in Deckung gegangen waren und sah Anna aus seinen großen braunen Augen an.
Anna hatte vor Aufregung ganz weiche Knie. „Ja?“, hauchte sie.
„Lass mich es sagen, Hack“, forderte Mack.
Hack stemmte die Arme mit den riesigen Wurstfingerpranken in die Hüften. „Wieso das denn? Musst du dich mal wieder in den Vordergrund spielen?“
Mack verdrehte die Augen und fächelte sich dabei mit den großen Ohren Luft zu. „Bei deiner ungeschickten Ausdrucksweise versteht sie uns bestimmt nicht richtig. Und dann ist sie so verschreckt, dass sie gleich wieder weggeht.“
„Was mischst du dich überhaupt ein, du Dumpfschlumpf?“, rief Hack. „Ich führe hier eine Unterhaltung und du quatschst einfach dazwischen!“
„Was heißt hier dazwischenquatschen?“, empörte sich daraufhin Mack. „So etwas nennt man ein sachliches Argument!“
„Wedel du nur mit deinen Gummiohren! Deswegen hast du trotzdem nicht recht!“
„Mit meinen Ohren ist alles in Ordnung - aber vielleicht mit deinen nicht, weil du mir nie zuhörst, Knollennase!“
„Du Augenverdreher-bis-einem-schwindelig-wird, fass dich mal an deine eigene Trief-Knollennase!“
„Du kannst auf deine Trief-Knollennase gerne was drauf kriegen, wenn du mir so kommst!“
Anna hatte gerade noch kichernd von einem zum anderen geschaut. Doch ehe sie sichs versah, packten sich die beiden Trolle mit ihren riesigen Pranken am Kragen. Das war genug. Da half nur eins: einschreiten!
„Schluss jetzt, ihr zwei Streithähne!“, rief Anna laut und stemmte dabei die Arme in die Hüften. „Könnt ihr euch nicht vertragen?“
Zu Annas Erleichterung ließen die beiden tatsächlich los, wenn auch beleidigt vor sich hin grummelnd.
Hack strich sich das Hemd glatt und Mack verdrehte die Augen.
„Grumpfblödel!“
„Flatterohr!“
"Ruhe jetzt!", sagte Anna entschieden. „Ihr seid wirklich unglaublich! Wie soll ich verstehen, was ihr hier wollt, wenn ihr euch nur die ganze Zeit angiftet?“
Hack zuckte mit den breiten Schultern und schien ein paar Sekunden lang nachzudenken. Schließlich nickte er. „Wo sie recht hat, hat sie recht, Mack“, wandte er sich an seinen Zwilling.
„Und nachdem du das eingesehen hast, kannst du ja jetzt einfach mich sprechen lassen“, schlug Mack vor.
„Na gut, der Klügere gibt nach“, antwortete Hack und Anna befürchtete schon, dass jetzt ein Streit darüber ausbrach, wer von beiden wohl der Klügere sei. Deshalb sprach sie schnell weiter.
„Na bitte, geht doch! Und jetzt sagt mal: Was war das vorhin mit meinem Spiegel? Da habe ich ein Mädchen gesehen, das so ähnlich aussah wie ich und Elvany hieß. Es war ganz seltsam ...“
„Der Spiegel, richtig. Ich hoffe, du hast dich nicht zu sehr erschr...“
„Jetzt komm doch endlich auf den Punkt!“, unterbrach ihn Mack. „Pass auf, Anna: Das Mädchen, das du im Spiegel gesehen hast, hat mit der ganzen Sache zu tun. Es ist sogar sehr wichtig dabei.“
„Bitte der Reihe nach, ich verstehe nämlich im Moment überhaupt nichts“, sagte Anna.
Die beiden Trolle machten mit einem Mal ein sehr ernstes Gesicht.
„Sag du es lieber, Mack.“ Hack stupste seinen Zwilling ungewohnt sanft an.
Und Mack räusperte sich. Dann sagte er mit sorgenvoller Stimme: „Wir brauchen deine Hilfe, Anna.“
Anna starrte die beiden Trolle verblüfft an. „Meine Hilfe?“
Hack nickte eifrig. „Ja, und zwar ganz, ganz dringend.“
„Du wirst es am besten verstehen, wenn du es mit eigenen Augen siehst“, sagte Mack. „Komm gleich mit uns nach Anderia und wir zeigen dir alles direkt vor Ort.“
„Also, das Beste wird sein, du kommst jetzt einfach mit uns und wir erklären dir alles Weitere, wenn wir in unserer Welt sind!“, schlug Hack vor.
„Habe ich nicht gerade dasselbe gesagt?“, fragte Mack stirnrunzelnd.
„Ich hab nichts davon gehört.“
„Dann solltest du dir deine haarigen Ohren waschen!“
„Hört auf!“, rief Anna dazwischen. „Wenn ihr Zeit habt, euch zu streiten, dann kann die ganze Sache ja wohl nicht so dringend sein, oder?“
Die beiden sahen sich an, dann knufften sie sich gegenseitig.
„Da siehst du es, Grumpfblödel!“, rief Mack und knuffte Hack gleich noch einmal, sodass dieser trotz seiner riesigen Füße fast das Gleichgewicht verlor. „Du hast Anna verärgert und dabei hängt es nur von ihr ab, ob es noch Rettung für uns alle gibt!“
„Selber Grumpfblödel!“, grummelte Hack.
Anna ging nicht weiter auf die Kabbeleien der beiden ein. „Habt ihr eben Anderia gesagt?“, fragte sie gespannt. „Was bedeutet das?“
„So heißt das Land, in dem wir leben“, erklärte Mack. „Das Land, in das wir jetzt gehen.“
Anna lachte. „Quatsch! Was glaubt ihr, was meine Eltern sagen, wenn ich plötzlich aus dem Garten verschwinde?“ Sie warf einem sorgenvollen Blick in Richtung Haus.
„Die werden gar nicht merken, dass du weg bist“, versprach Mack. „Keine Sorge! Die Zeit verläuft anders in Anderia.“
„Vertrau uns einfach, Anna!“, fügte Hack hinzu.
„Aber wie kommt ihr auf die Idee, dass ich überhaupt mitkommen will?“, fragte Anna. „Ich meine, ihr spaziert einfach in meinen Garten und ...“ Mitten im Satz hielt Anna inne.
Die Trolle sahen sie flehentlich aus großen Kulleraugen an. „Bitte.“
Anna zögerte. Noch immer erwartete sie, jeden Moment aus einem Traum zu erwachen. Zwei Trolle standen in ihrem Garten und wollten sie in ein fremdes Land führen ... Und doch sagte irgendeine Stimme tief in ihr, dass dies alles kein Traum war. Und dass es sehr wichtig war, dass sie die beiden begleitete.
„Elvany“, flüsterte Anna und nickte fast unmerklich. Mack ließ einen Jubelschrei los und Hack drückte sie übermütig an sich, so dass Anna fast die Luft wegblieb.
„Ich wusste es! Anna in Anderia! Dann kann es ja losgehen!“, rief er und begann genau wie sein Bruder, suchend auf dem Boden umherzuschauen.
Plötzlich rief Mack zufrieden: "Ha!" Er hob einen kleinen Stein vom Boden auf. „Hier! Schnell!“, rief er.
Und Hack nahm Anna einfach bei der Hand und zog sie mit sich. Mack warf den kleinen Stein auf den Brocken mit den Schriftzeichen. Ein Blitz erschien wie aus dem Nichts, fuhr in den Gesteinsbrocken und erfüllte die verschnörkelten Schriftzeichen mit grellem Licht. Wieder war Anna so geblendet, dass sie die Augen zusammenkniff. Sie glaubte gerade noch zu erkennen, dass die leuchtenden schnörkeligen Zeichen das Wort A N D E R I A ergaben. Im nächsten Moment war alles dunkel.
Es blieb auch dunkel, als Anna die Augen öffnete. Sie machte einen vorsichtigen Schritt und stolperte über irgendetwas, aber Hack hielt sie fest. Sie spürte Blätter in ihrem Gesicht. Und ganz allmählich konnte sie dicht vor sich grobe Umrisse erkennen.
Anna blieb stehen und sah sich um. Da waren Bäume, dichtes Unterholz, Gestrüpp und ein Rascheln, das wie das Schlagen von Flügeln klang. Mondlicht drang durch das Blätterdach. Ein Chor von unterschiedlichsten Tierstimmen war zu hören. Äste knackten und in den Büschen um sie herum knisterte es.
„Ein Wald!“, stieß sie hervor. „Und es ist Nacht!“
„Ja, in Anderia ist manchmal Nacht, wenn es bei euch Tag ist und umgekehrt“, sagte Hack. „Das ist beim Reisen schwer abzuschätzen.“
Überall im Dunklen schienen sich Schatten zu bewegen. Einer davon tauchte plötzlich in einer Baumkrone über ihnen auf. Ein krächzender Laut ertönte dazu. Das musste ein riesiger Vogel sein! Einen Herzschlag später war er bereits wieder verschwunden, und so sehr Anna auch ihre Augen anstrengte – in der Finsternis des Waldes war einfach nichts zu erkennen.
„Ihr habt mir nicht gesagt, dass ihr mich an einen so unheimlichen Ort bringen würdet“, sagte Anna und stolperte Hack und Mack hinterher, die sich nun einen Weg durch das Unterholz bahnten.
„Das ist doch nur ein ganz normaler anderianischer Wald“, meinte Hack. „Keine Angst, hier gibt es kaum gefährliche Tiere, auch keine Mücken oder andere stechende Insekten. Nur auf die Dornen musst du etwas aufpassen.“
Und da piekste es auch schon!
„Aua, das tut weh!“, rief Anna.
„Dafür kannst du die Brummelbeeren bedenkenlos essen, die an diesen pieksigen Sträuchern wachsen. Sie schmecken sehr lecker und machen satt. Die Brumbolls essen sie auch ...“
„Die Brumbolls?“, fragte Anna. „Wer ist das denn?“
„Wir sind gerade auf dem Weg zu ihrem Dorf“, sagte Hack. „Dann lernst du sie selbst kennen. In ein paar Stunden sind wir da.“
Anna glaubte, sich verhört zu haben. „In ein paar Stunden?“, fragte sie empört. „Aber so lange kann ich nicht von zu Hause wegbleiben!“
„Das wirst du ja auch nicht“, versicherte Hack. „Ich meine anderianische Stunden. Wie gesagt, die Zeit verläuft hier etwas anders. Das wird schon alles klappen. Ganz bestimmt.“
„Vorausgesetzt, alles verläuft nach Plan!“, fügte Mack murmelnd hinzu. Dafür bekam er von Hack einen kräftigen Stoß mit dem Ellbogen.
„Red nicht so einen Mumpitz, du Grumpfblödel. Damit machst du Anna doch nur Angst!“
„Selber Mumpitzgrumpfblödel!“
Anna seufzte. In was für einen Schlamassel war sie da nur hineingeraten? Am liebsten wäre sie sofort in ihre Welt zurückgekehrt. Aber zum einen wusste sie nicht, wie das ging – und außerdem wollte sie den beiden Trollen ja auch sehr gerne helfen. Auch wenn sie noch immer keine Ahnung hatte, wobei eigentlich. Was es wohl mit all diesen merkwürdigen Dingen auf sich hatte – mit den Brummbolls, den Brummelbeeren, den magischen Schriftzeichen? Und mit Elvany ...
Anna roch die fremde Luft, die ein bisschen nach Vanille duftete und spürte, wie sehr die zauberhafte Welt sie in ihren Bann zog; sie konnte sich gar nicht dagegen wehren.
Mack schien Annas Unruhe zu spüren. „Hab etwas Geduld. Du hast bestimmt tausend Fragen, aber du wirst bald alles mit eigenen Augen sehen. Jetzt müssen wir einfach in diese Richtung weitergehen, dann kommen wir direkt zum Brumboll-Dorf“, erklärte Mack und fuchtelte mit seinen großen Pranken herum.
Anna nickte nur stumm, für sie sah in der Dunkelheit sowieso alles gleich aus.
„Du wirst die Brumbolls mögen. Sie sind sehr gastfreundlich und nett zu jedermann“, fügte Mack noch hinzu.
Während sie in die Richtung gingen, in die Mack gedeutet hatte, sorgten die beiden Trolle mit ihren Pranken dafür, dass Anna kein Gestrüpp im Weg stand. Und ganz besonders achteten sie darauf, dass sie sich nicht noch einmal an den Dornen der Brummelbeeren-Sträucher stach.
Allmählich begann sich Anna an die vielen seltsamen Stimmen und Geräusche aus dem Wald zu gewöhnen. Sie hörte auf, sich Gedanken darüber zu machen, von welcher Art von Wesen sie wohl stammten. Schließlich war sie ja nicht allein hier – und Hack und Mack kannten sich im Wald offenbar bestens aus.
So viele Fragen wirbelten ihr durch den Kopf, aber die Trolle waren schweigsam und kämpften sich so zügig und angestrengt durch das Unterholz, dass Anna sie lieber nicht stören wollte.
Nach einer Weile erreichten sie einen breiten Weg. Anna taten schon die Füße weh und sie hoffte, dass es nicht mehr weit war.
Inzwischen ging die Sonne auf und es wurde hell. Nebel erhob sich zwischen den Bäumen und Anna hatte das Gefühl, dass sich in diesem Nebel Gesichter bildeten, die ihr zusahen. Für einen kurzen Moment glaubte sie, dass eins dieser Gesichter so aussah wie Elvany. Doch schon löste sich die Nebelschwade wieder auf.
Anna seufzte. Alles war so geheimnisvoll. Und auch die beiden Trolle machten ein so großes Geheimnis daraus, weshalb sie Anna überhaupt nach Anderia geholt hatten ...
Geduld hin oder her, Anna hielt es einfach nicht mehr aus.
„Vielleicht erklärt ihr mir jetzt doch einmal, was hier eigentlich los ist?“, fragte Anna. „Ich weiß immer noch nicht, wobei ich euch helfen soll und was ich hier in Anderia zu suchen habe!“
Die beiden Trolle seufzten genau gleichzeitig laut auf, was ein paar schlafende Vögel so aufschreckte, dass sie von ihren Ruheplätzen in den Bäumen aufstoben. Sich unauffällig zu verhalten, schien wirklich nicht die Stärke der beiden zu sein.
„Es ist so ...“, begann Mack, um dann allerdings Hack weitersprechen zu lassen.
„Du musst eine Gefahr von unserer Welt abwenden!“, sagte Hack.
Anna runzelte die Stirn. „Eine Gefahr abwenden? Ich? Aber ich bin doch nur ein Kind. Ihr beide seid viel größer und stärker als ich! Ihr seid viel besser dazu geeignet, Gefahren abzuwenden!“
„Nein, in diesem Fall sind wir leider ganz und gar nicht dazu geeignet“, meinte Mack. „Du hingegen bist unsere Rettung. Denn du bist die ideale Freundin für die Zauberprinzessin!“
„Für die Zauberprinzessin?“, fragte Anna verblüfft. „Von der höre ich jetzt zum ersten Mal!“
„Ja, aber es wird nicht das letzte Mal sein. Denn die Zauberprinzessin ist die Ursache für all das Unglück, das im Augenblick Anderia widerfährt“, sagte Mack.
„Und auch wenn du bisher noch nicht von ihr gehört hast – gesehen hast du sie schon“, ergänzte Hack.
„Seid ihr sicher, dass ihr mich nicht mit jemandem verwechselt?“, wunderte sich Anna.
„Der Spiegel?“ Hack sah Anna an.
Anna schnappte nach Luft. „Elvany ...“
„Still!“, zischte Mack plötzlich. Er wandte den Kopf und bewegte dabei die großen Ohren einzeln auf und nieder, die unter dem strubbeligen Haarschopf hervorschauten.
Anna sah ihm fasziniert zu. Sie wusste nichts über Trolle, aber es war leicht zu erkennen, dass Mack ein ausgesprochen feines Gehör hatte. Und genau das war im Moment so wichtig wie sonst nichts.
„Da kommt was näher“, murmelte Mack. „Hörst du's auch, Hack?“
„Allerdings“, murmelte dieser.
Die Gesichter der beiden waren ganz blass geworden. Irgendetwas Bedrohliches schien vor sich zu gehen. Anna sah beunruhigt von einem zum anderen.
Da begann der Boden zu zittern ...
"Verflixt!", knurrte Hack.
Anna bekam Angst. Wenn schon die Trolle sich fürchteten, dann musste die Lage wirklich ernst sein ...
Das Zittern wuchs sich zu einem dumpfen Grollen aus, so als würde gleich ein heftiges Gewitter über sie hereinbrechen. Und plötzlich streckte Hack seine dicke Pranke aus und packte Annas Hand. Im nächsten Moment näherte sich auch schon eine Staubwolke.
„Weg hier!“, rief Mack.
Einen Augenblick später stolperten sie alle drei in die Büsche am Wegesrand und blickten mit offenem Mund der Stampede entgegen, die auf sie zukam.
Es mussten wohl Tausende von Hufen sein, die über den weichen Waldboden donnerten. Zuerst glaubte Anna, dass es Pferde wären, doch dann sah sie die Hörner auf ihrer Stirn.
„Einhörner!“, stieß sie hervor. „Wie wunderbar! Hunderte von rosaroten Einhörnern!“
Schon im nächsten Moment konnte Anna ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen, so laut war der Hufschlag der riesigen Einhornherde. Die Mähnen der Tiere wehten, ihre prächtigen Schweife wirkten wie Fahnen und tatsächlich hatten all diese wundersamen Wesen ein und dieselbe Farbe: rosa.
Ausgerechnet rosa – das war Annas Lieblingsfarbe! Ihre Eltern machten sich schon manchmal darüber lustig, dass sie am liebsten rosafarbene Dinge sammelte und rosafarbene Kleider anzog, aber das war Anna egal. Mit strahlenden Augen beobachtete sie nun die wilden Einhörner in der Morgensonne. Wie herrlich musste es sein, auf einem dieser Tiere zu reiten!
So schnell wie der Spuk gekommen war, war er auch schon wieder vorbei. Die rosaroten Einhörner jagten den breiten Waldweg entlang und bogen dann plötzlich scharf in den Wald ab. Vielleicht folgte die Herde einem Leittier, so wie es Anna von Wildpferden gelesen hatte ... In vollem Galopp stürmten die Einhörner jetzt mitten durch den Wald. Selbst die Dornensträucher schienen ihnen nichts auszumachen. Ihre Hufe trampelten alles nieder, was ihnen den Weg kam.
Eine Weile noch waren knackende Äste zu hören und hier und da wurde wohl auch ein etwas dünnerer Baum umgerissen. Und dann war es plötzlich wieder still.
Hack atmete auf. „Ich glaube, die Luft ist rein.“
„Waren das schöne Tiere!“, juchzte Anna.
„Schöne Tiere?“ Hack schlackerte nur mit seinen Riesenohren. „Diese Einhörner gehören der Zauberprinzessin Elvany und machen uns das Leben zur Hölle!“
Anna konnte es kaum fassen. „Diese herrlichen Geschöpfe?“, wunderte sie sich. „Also ich würde viel darum geben, einmal auf so einem Einhorn reiten zu dürfen ...“
Hack schnaubte verächtlich. „Vielleicht bekommst du eher die Gelegenheit dazu, als du denkst“, meinte er. „Vorausgesetzt, du kannst dich auf ihrem Rücken überhaupt halten ...“
„Warum denn nicht?“, erwiderte Hack. „Der Zauberprinzessin Elvany gehorchen sie ja schließlich auch ...“
„Pah! Du weißt doch, wie eigensinnig Einhörner sein können“, knurrte Mack. „Die sind völlig unberechenbar ...“
„Nun übertreib mal nicht“, grummelte Hack.
„Du besserwisserischer Grummeltroll“, grummelte Mack zurück.
„Du oberbesserwisserischer Obergrummler!“
„Du oberober...“
„Schluss jetzt, ihr Dauernd-um-Nichts-Zanker!“, fuhr Anna dazwischen, denn der Trollstreit schien ihr mal wieder außer Kontrolle zu geraten. „Wenn ich solche Ohren hätte wie ihr, würde ich damit mal eine Ladung Frischluft in eure Richtung fächeln, damit ihr wieder zu Verstand kommt! Und jetzt lasst uns endlich weitergehen!“
Hack und Mack sahen sich etwas verlegen an. Die drei Freunde verließen ihr Versteck und machten sich wieder auf den Weg.
„Nun erzählt mir mehr doch mehr über diese Zauberprinzessin! Das war jetzt schon das zweite Mal, dass ihr sie erwähnt habt“, stellte Anna fest. „Elvany ... Das klingt alles so zauberhaft!“
„Pf, zauberhaft!“, sagte Mack. „Elvany ist der Kern des ganzen Problems.“
„Die Wurzel allen Übels!“, fügte Hack hinzu. „Und eine richtige Prinzessin ist sie auch nicht – sie wird nur von allen so genannt, weil sie so eingebildet ist.“
„Und weil sie immer Krööönchen trägt!“, spöttelte Mack.
Anna wollte gerade nachhaken, als sie aus dem Augenwinkel etwas Seltsames wahrnahm. Überrascht drehte sie ihren Kopf zum Waldrand. „Seht mal!“, flüsterte sie. „Die Sträucher, die Bäume, die Blätter, das Gras ... Das ist ja alles rosa geworden!“
Und nicht nur das - die rosa Farbe schien sich auszubreiten. Langsam, aber unaufhaltsam erfasste sie alles in ihrem Umkreis und rückte auf dem Waldweg näher. Anna fand, dass es wunderschön aussah. Nie zuvor hatte sie in ihrem Leben einen rosafarbenen Wald gesehen. Nicht einmal in ihren Träumen, und in denen war eigentlich alles möglich.
Die Baumstämme waren dunkelrosa geworden, die Blätter hingegen leuchteten fast pfirsichfarben, wenn das Sonnenlicht darauf fiel. Aber auch die Sträucher, jede Blüte und jedes Gewächs, das sich an den Stämmen hochrankte, hatte diese Färbung angenommen. Selbst das Moos und die Pilze auf dem Waldboden waren keine Ausnahme.
„Das ist Elvanys Lieblingsfarbe“, sagte Hack finster.
„Meine auch!“, stellte Anna klar. Dann runzelte sie die Stirn und fragte: „Ist das Zauberkraft? Hat Elvany den Wald rosa gezaubert? Das scheint sich ja immer weiter auszubreiten!“
„Die Antwort lautet: ja und nein“, sagte Mack.
„Ich würde sagen: nein oder ja!“, gab Hack seinen Senf dazu.
Anna hob die Augenbrauen. „Was denn nun? Ja oder nein?“
Mack faltete seine riesigen Hände und versuchte, lässig die Daumen umeinanderzudrehen, aber verhedderte sich immer wieder, weil seine Daumen einfach zu dick waren.
„Ja: Elvany ist schuld daran, dass hier alles rosa wird. Und nein: Sie kann nicht zaubern. Dazu wäre sie auch viel zu faul, denn Zauberei ist etwas, was man mühsam erlernen muss. Hunderte von Zauberbüchern sollte man gelesen haben, wenn man ein richtiger Zauberer werden will. Aber Elvany hat das gar nicht nötig. Kuros, ihr Vater, ist nämlich ein mächtiger Zauberer. Er besitzt hier in der Nähe ein Zauberschloss.“
Jetzt mischte sich Hack in das Gespräch ein. „Du musst wissen, dass Elvany von ihrem Vater jeden Wunsch erfüllt bekommt. Zum Beispiel hat sie sich von ihm unzählige Einhörner gewünscht. Und sie hat dafür gesorgt, dass er die Tiere mit einem Zauber belegt: Überall, wo Einhornherden umherziehen, wird die Landschaft danach rosa. Manchmal reitet Elvany nämlich auf einem der Einhörner aus und dann möchte sie, so weit das Auge reicht, nichts als rosa sehen!“
„In letzter Zeit scheinen ihr die Einhörner allerdings langweilig geworden zu sein“, fuhr nun wieder Mack fort.
Das verstand Anna nicht. „Wie können einem diese wunderbaren Tiere langweilig werden?“, fragte sie fassungslos. „Noch dazu, wenn man auf ihnen reiten kann?“
„Ganz einfach: Dann, wenn man etwas Besseres hat!“, erwiderte Mack. „Weißt du, was ein Cavallino ist?“
Anna machte große Augen. „Nein, was ist das?“
„Ein geflügeltes Pferd. Ein Pferd, das fliegen kann.“
„So etwas habe ich schon einmal in einem alten Buch gesehen!“, rief Anna begeistert aus.
„Tja, Cavallinos sind Elvanys neuestes Hobby. Ihr Vater hat ihr Dutzende davon herbeigezaubert – alle in Rosa, versteht sich! Und seitdem Elvany die Cavallinos hat, sind die Einhörner für sie abgeschrieben. Das ist ganz typisch für sie.“ Mack zuckte mit den breiten Schultern. „ Nun trampeln die Einhörner herrenlos in der Gegend herum und zerstören alles, weil sich niemand mehr mit ihnen beschäftigt.“
„Und genau das ist das Problem“, meinte Hack. „Für die Bewohner von Anderia sind die Einhornherden eine Katastrophe. All die Pflanzen, die rosa geworden sind, sind nämlich nicht mehr essbar. Guck dir zum Beispiel die Brumbolls an. Sie leben von den Brummelbeeren, aber es sind kaum noch welche da. Die Einhörner haben alles verwandelt. Was sollen sie nun tun? Sie werden verhungern!“
„Hat das Elvany denn niemand gesagt?“, fragte Anna.
Hack und Mack schüttelten im selben Moment die Köpfe.
„Sie hört auf niemanden“, berichtete Hack und half Anna über eine dicke Wurzel hinweg.
Anna löste sich aus seinem Griff und stemmte die Arme in die Seite. „Na, aber die Lösung ist doch ganz einfach!“, rief sie aufgebracht. „Der Zauberer soll seiner Tochter keine Wünsche mehr erfüllen, und dann ist alles in Ordnung!“
„Von wegen! Der will Elvany nicht verärgern. Wenn die Zauberprinzessin nämlich schlechte Laune hat, kann sie so durchdringend schreien, dass davon sogar Glas zerspringt!“, erklärte Hack. „Manchmal kann man sie bis weit in den Wald hinein hören, wenn sie nicht schnell genug ihren Willen bekommt!“
„Was für eine verrückte Geschichte!“ Anna schüttelte den Kopf. Sie musste sich beeilen, um mit den Trollen Schritt zu halten, die nun immer schneller liefen. Sie schienen es wirklich eilig zu haben, und Anna kam ganz aus der Puste. Dabei hatte sie so viele Fragen, und war gleichzeitig auch so abgelenkt durch all die Dinge, die es auf dem Weg zum Dorf der Brumbolls zu sehen gab. Pflanzen mit riesigen Blütenkelchen neigten sich sanft im Wind, und drollige Käfer mit seltsam gemusterten Flügeln krabbelten über ihren Weg.
Als Anna eine Bewegung am Himmel wahrnahm und den Kopf hob, blieb ihr Mund offen stehen. Über dem Wald schwebten majestätisch ein paar rosafarbene, geflügelte Pferde. Anna konnte den Blick nicht abwenden. Das waren also die Cavallinos. Herrlich!, dachte sie.
Irgendwie konnte sie Elvany verstehen. Auf diesen fantastischen Geschöpfen dahinzuschweben, musste noch schöner sein, als auf einem Einhorn zu galoppieren. Und ein bisschen beneidete sie Elvany sogar darum, dass ihr offenbar jeder ihrer Wünsche erfüllt wurde. Es schien fast so, als könnte sie die ganze Welt einfach so gestalten, wie es ihr am liebsten war. Elvany hatte eigentlich alles, wovon man träumen konnte ...
Die geflügelten Pferde am Himmel wieherten. Eines von ihnen blickte zu Anna herab. Dabei nahm es Haltung an und hob Kopf und Schweif, so als wollte es noch besser zur Geltung kommen. Ein bisschen eitel schienen diese Wesen ja zu sein, und Anna musste lachen. „Wie schön!“, stieß sie hervor. „Wie wunderschön!“
„Komm jetzt!“, drängelte Hack und zog sie weiter. „Wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Als Anna den Blick senkte, kam es ihr vor, als ob die beiden Trolle plötzlich nicht mehr ganz so groß und kräftig wirkten wie bisher. Es sah fast so aus, als wären sie etwas geschrumpft. Oder war sie selbst gewachsen?
"Nicht so trödeln!", rief Mack in diesem Moment über die Schulter und Anna beeilte sich aufzuholen.
„Die rosa Zone hat sich ausgeweitet“, stellte Mack fest. Er schlenkerte mit den langen Armen unruhig herum und wirkte erschöpft. Er rang nach Atem und es schien auch nicht viel zu nützen, dass er sich mit seinen Ohren dauernd Luft zufächelte.
„Sollen wir eine Pause machen?“, fragte Anna besorgt.
„Nein, nein, nicht nötig“, murmelte Mack, während sein Blick die Bäume und Sträucher entlangglitt. Alles war rosa geworden! Jedes Blatt, jeder Halm, jede Blüte, jedes Steinchen. „Das Rosa ist weit vorgedrungen, während wir in deiner Welt waren, Anna“, fuhr Mack fort und seine Stimme klang sehr ernst.
Anna hatte wieder den Eindruck, dass die Trolle kleiner geworden waren. Sie tippte Mack auf die Schulter. „Wisst ihr, was komisch ist? Als wir heute in meinem Garten waren, kamt ihr mir viel größer vor ... Ihr wart größer als mein Vater!“
Mack wandte den Kopf. Er sah traurig aus.
„Und jetzt?“, fragte er.
„Jetzt scheint ihr mir mindestens einen Kopf kleiner zu sein“, meinte Anna. „Mindestens ...“ Anna sah von einem zum anderen. „Ich meine – ihr schrumpft doch nicht etwa, oder? Das bilde ich mir doch nur ein?“
Hack und Mack wechselten einen kurzen Blick. Dann sagte Hack sehr ernst: „Du weißt ja, dass wir Trolle aus der Erde wachsen ...“
„Richtig“, sagte Anna erleichtert. „Das heißt, ihr könnt einfach größer und kleiner werden, oder?“
Doch Hack blieb finster. „Um wachsen zu können, brauchen wir Feenkraut. Wenn wir das nicht bekommen, schrumpfen wir und verschwinden irgendwann ganz in der Erde.“
„Heißt das, im Moment fehlt euch dieses Feenkraut?“, fragte Anna.
Hack und Mack nickten. „Genau!“
Anna zuckte mit den Schultern. „Aber wieso?“
„Das Feenkraut wächst auf den Wiesen rund um das Zauberschloss“, berichtete Hack. „Aber die Wiesen sind alle längst rosa geworden – und damit wurde auch das Feenkraut ungenießbar.“
Mack seufzte. „Unsere Vorräte sind aufgebraucht. Wenn nicht bald etwas geschieht, dann werden wir immer kleiner und schwächer und verschwinden schließlich endgültig in der Erde.“
„Das ist ja furchtbar!“, stieß Anna erschrocken hervor.
„Verstehst du jetzt, weshalb wir es so eilig haben?“, fragte Hack.
„Ja, natürlich!“, sagte Anna und nickte heftig. „Nur eins ist mir noch immer nicht klar: Wie kann ich euch helfen?“
„Nun“, sagte Hack, „das ist eigentlich ganz leicht. Es ist nämlich so, dass ...“ Doch er sprach nicht weiter. In den rosafarbenen Büschen hatte etwas geraschelt, und die beiden Trolle fuhren erschrocken herum.
„Wer ist da?“, rief Mack.
„Los, zeig dich, wenn du kein trampelndes Einhorn bist!“, forderte Hack.
Anna sah, wie sich die Blätter und Zweige teilten. Das Wesen, das daraus hervortrat, hatte Ähnlichkeit mit einem riesigen Teddybären – so groß wie Anna selbst. Sein Fell war dunkelbraun und fiel in all dem Rosa natürlich sofort auf. Die Augen wirkten wie schwarze Knöpfe und schauten Anna verwundert an. „Ein Einhorn bin ich nun wirklich nicht!“, rief das haarige Wesen. „Hack und Mack! Erkennt ihr mich etwa nicht?“
„Der gute alte Brumin! Natürlich erkennen wir dich!“, sagte Hack. „Schließlich haben wir kein Feenkraut auf den Augen.“
„Bist du ein ... Brumboll?“, fragte Anna.
„Das bin ich!“ Das puschelige Wesen nickte. „Mein Name ist Brumin! Und du bist das Mädchen aus der Menschenwelt?“
„Ich bin Anna“, bestätigte sie.
„Zum großen Brumboll! Dann hat der Plan also tatsächlich geklappt!“ Brumin war sichtlich beeindruckt. „Ihr habt das Spiegelbild der Prinzessin gefunden. Verblüffend, wirklich verblüffend, diese Ähnlichkeit ...“ Er wirkte sehr erleichtert, als er sich nun an Hack und Mack wandte. „Großartig, ihr habt sie also überzeugen können, uns zu helfen.“
„Tja ... Wir mussten unsere ganze Überzeugungskraft einsetzen“, behauptete Hack ziemlich großspurig. „Aber nun ist ja die Rettung nahe.“
„Sie ist unsere letzte Hoffnung“, erklärte Brumin sehr ernst. Der große Teddybär rubbelte sich über seine Nase. „Ihr Trolle wart verflixt lange weg.“
„In Annas Welt vergeht die Zeit anders“, verteidigte sich Hack.
Und Mack ergänzte: „Wir haben gemacht, so schnell wir konnten!“
Brumin brummte: „Das hoffe ich. In der Menschenwelt darf man keine Sekunde vertrödeln. Ein Augenblick dort entspricht einer viel längeren Zeit bei uns.“ Der Brumboll machte eine ausholende Bewegung mit seinen Armen. „Seht nur! All das ist jetzt auch rosa geworden! Als ihr fortgegangen seid, war hier noch alles in Ordnung!“
„Wirklich schlimm, was hier geschieht“, sagte Anna und schüttelte fassungslos den Kopf.
Brumin nickte. „Oh ja! Alles muss nach dem Willen der Zauberprinzessin gehen. Nur ihretwegen breitet sich das Rosa immer weiter aus. Und wir müssen immer weitere Wege zurücklegen, um Brummelbeeren zu finden, die noch nicht rosa geworden sind und die wir essen können." Er seufzte. "Jetzt lasst uns aber weitergehen, das Dorf ist ganz nah!“
Brumin führte die Gruppe nun an. Sie erreichten eine große Lichtung, sprangen über einen kleinen Bach und liefen über eine Wiese auf die Siedlung der Brumbolls zu. Dort traten sie durch einen hölzernen Torbogen. Und Anna schnappte entzückt nach Luft: Zwischen Hütten mit einem einfachen Blätterdach liefen Dutzende von teddyartigen Wesen herum. Die Größten der Brumbolls überragten sogar die Trolle, die allerdings mittlerweile schon wieder deutlich geschrumpft waren.
Kleine kuschelige Brumboll-Kinder tollten durchs Dorf und spielten zwischen den Blätterdachhütten Verstecken und Fangen. Anna fand sie furchtbar niedlich. Manche sahen aus, als wären sie direkt ihrer Kuscheltier-Sammlung entsprungen.
Doch dann entdeckte eines dieser Brumboll-Kinder Anna und stieß einen merkwürdig schrillen, piepsigen Schrei aus. Alle Brumboll-Kinder schauten daraufhin in Annas Richtung und hörten sofort zu spielen auf. Aber auch die erwachsenen Dorfbewohner ließen ihre Arbeit ruhen und starrten Anna reglos an.
Anna wurde es mulmig zumute. „Die sehen mich ja an, als ob ich ein Außerirdischer wäre!“, murmelte sie so leise, dass nur Hack sie verstehen konnte, der dicht neben ihr lief.
„Ein Außerirdischer? Ein Außer-Anderianer, meinst du wohl. Das bist du ja auch“, raunte Hack zurück. „Aber es gibt einen anderen Grund für ihr Erstaunen: Du siehst nämlich einem anderen kleinen Mädchen verflixt ähnlich! Und wenn das hierher kommt, herrscht meistens Chaos und Verwirrung.“
„Du sprichst von Elvany“, stellte Anna fest.
Hack nickte und Brumin schaltete sich ein. „Wenn Elvany ausreitet, wird sie meistens von der ganzen Einhornherde begleitet. Einmal konnten wir uns nur in letzter Sekunde in Sicherheit bringen und mussten tatenlos zusehen, wie die Einhörner unsere Hütten niedertrampelten. Doch darauf nimmt Elvany keine Rücksicht. Außerdem ...“ Brumin stockte und sprach nicht weiter.
„Außerdem was?“, hakte Anna nach.
Einige der Brumbolls kamen jetzt näher.
Anna hörte, was sie sagten.
„Nicht zu fassen!“
„Diese Ähnlichkeit!“
„Sie trägt nur nicht so prächtige Kleider!“
„Ich habe wirklich geglaubt, dass sie es ist ...“
Dann verstummten die Stimmen plötzlich und die Brumbolls, die inzwischen einen Halbkreis um Anna gebildet hatten, machten Platz für einen besonders großen, zotteligen Bären. Sein Fell war schon grau, weshalb Anna annahm, dass dieser Brumboll bereits älter war. Und auf seinem Kopf trug er eine Krone aus Holz. In der linken Tatze hielt er einen Stab, auf den er sich stützte. Ein sehr tiefes Brummen kam aus seiner Schnauze.
„Das ist der Dorfkönig!“, raunte Hack Anna ins Ohr. „Sein Name ist Bubo Graufell und er hat hier das Sagen.“
Der grauhaarige Dorfkönig näherte sich ihnen mit langsamen Bewegungen, die der Würde seines Alters und seines Amtes entsprachen. Seine dunklen Bärenaugen musterten Anna eingehend. Dann folgte ein erneutes, noch tieferes Brummen. „Hmmm“, machte er.
„Sei gegrüßt, König Bubo Graufell!“, sagte Anna und hoffte, sich höflich genug für einen König auszudrücken.
Bubo Graufell kratzte sich zunächst einmal ausgiebig in seinen puscheligen Ohren. Anna war sich nicht vollkommen sicher, ob er ihre Worte überhaupt mitbekommen hatte. Dann hob der Brumboll-König die Schnauze, die an der Spitze genauso rund und glatt wie eine Teddyschnauze war, und schnüffelte.
„Bist du Anna?“, fragte der Graue schließlich.
„Ja, die bin ich.“
„Wir haben schon gedacht, du kommst nicht mehr.“
„Nun bin ich ja da – und ich habe schon von eurem Leid erfahren. Das ist wirklich furchtbar.“
Der Dorfkönig mit dem grauen Fell deutete zu den Hütten. „Wir sind gerade dabei, unsere Hütten abzubauen, um weiterzuziehen. Aber inzwischen ist das rosa Gebiet schon so groß geworden, dass man kaum noch unverwandelte Dornbüsche findet. Und wenn, sind die Beeren oft schon abgeerntet. Wir sind schließlich nicht die Einzigen, die von Brummelbeeren leben ...“
„Müssen wir jetzt alle verhungern?“, fragte ein kleines Brumboll-Kind mit so langem, strubbeligem Fell, dass man die Augen kaum sehen konnte.
Bubo Graufell drehte sich in seine Richtung und schüttelte den Kopf. „Nein, mein Kleiner, jetzt wendet sich alles zum Guten. Nun ist ja Anna da. Sie wird uns helfen.“