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Nr. 172

 

Rauhnacht

 

von Hubert Haensel

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Als Mythor in der durch ALLUMEDDON veränderten Welt zu sich kommt, ist er sich seines Auftrags nicht bewusst, denn man hat ihn seiner Erinnerungen beraubt. Erst bei der Begegnung in der Drachengruft wird Mythor dieses klar, und schließlich sorgt das Duell mit Mythors anderem Ich dafür, dass unser Held in seiner Ganzheit wieder entsteht.

Damit beginnt Mythor in bekannter Manier zu handeln. Inseln des Lichts zu gründen und die Welt vor einer erneuten Invasion durch die Horden Xatans zu schützen ist sein Ziel. Und dieses Ziel erreicht er im Drachenland.

Kurz darauf macht sich Mythor auf die Suche nach Coerl O'Marn, dem alten Freund und Mitkämpfer. Er folgt dabei der Spur der Albträume. Amazonen von Vanga, die Gorgan erkunden, retten unseren Helden aus höchster Not und geben ihm Gelegenheit, das Land Ameristan zu erreichen, wo Licht und Finsternis ebenfalls im Wettstreit liegen.

Der Kampf mit dem »Hüter des magischen Schatzes« führt schließlich dazu, dass Mythor den Helm der Gerechten wieder in seinen Besitz bringen kann. Und als Träger dieses Helms erlebt der Gorganer die »Geburt einer Legende« und erreicht die Welt der Minke.

Diese Welt wird Raonacum genannt – oder RAUHNACHT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mythor – Der Gorganer wird für einen Götterboten gehalten.

Jourg – Der Mink findet Mythor wieder.

Azor – Ein seltsamer Mann.

Lerbash – Stadthalter von Syberesh.

Sadagar und Ilfa – Sie arbeiten als Pflichtdiener.

1.

 

»Er hat Mythor getötet!«, schrie Ilfa auf, riss ihr Schwert aus der Scheide und warf sich auf Ruethan von der Roten See, der ihr geringschätzig den Rücken zuwandte. Doch der Albtraumritter wirbelte ebenso blitzschnell herum, ihre Klingen klirrten hart aufeinander und verhakten sich mit den Parierstangen. Ilfa blickte in ein spöttisch verzerrtes Gesicht und wütend funkelnde Augen. Mit beiden Händen musste sie den Knauf ihres Schwertes umfassen, um Ruethans Kräften Widerstand zu bieten. Offenbar wollte er sie ebenfalls vom dahintrampelnden Yarl stoßen. Wenn sie unter eines der 36 Beine geriet, würde von ihr nicht sehr viel übrigbleiben.

Das Bild, wie Mythor vom Rückenpanzer des gut dreißig Schritt messenden Kolosses stürzte, hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Wenn er tot war, verlor das Leben für Ilfa schlagartig jeden Sinn. Mit der ungezähmten Wildheit einer Raubkatze trat sie zu, doch Ruethan wich ihr geschickt aus.

»Niemand soll es wagen, mir die Waffen des Lichtboten abzunehmen«, grollte er und hob mit der Linken den einen Schritt durchmessenden, flach nach innen gewölbten Sonnenschild, der lediglich in der Mitte eine Erhöhung besaß. Ilfa kniff die Augen zusammen. Obwohl der Himmel bewölkt war, schien der Schild das spärliche Licht zu sammeln und um ein Vielfaches verstärkt zu reflektieren.

»Komm schon, Weib«, stieß Ruethan hervor. »In dieser Welt ist nur Platz für ein Geschlecht – für das des Kriegers Gorgan.«

Zwischen ihnen zuckten plötzlich zwei grelle Flammenzungen auf; sowohl Ilfa als auch der Albtraumritter prallten erschrocken zurück. Die Frau fühlte sich von hinten umklammert und zurückgezerrt – vergeblich mühte sie sich, dem Griff zu entrinnen, der ihre Arme eng an den Körper presste.

»Sei vernünftig«, raunte Sadagar ihr zu. »Mythor ist mit dem Mink und dem Helm der Gerechten zumindest vorerst in Sicherheit. Ich sah, dass er nicht in die Reichweite des Yarls geriet.«

Ilfa gab ihren Widerstand auf, woraufhin Sadagars Griff sich lockerte.

Ruethan von der Roten See hatte seine Klinge inzwischen auf Gerrek gerichtet. Aus den Nüstern des Beuteldrachen stiegen kleine Rauchwolken auf. Seine Glubschaugen traten weiter aus ihren Höhlen hervor, während die struppigen Haare des Kinnbarts vor Erregung zu zittern begannen. »Willst du dich wirklich an einer Frau vergreifen?«, brachte er abgehackt hervor.

»Was geht's dich an?« Ruethan machte einen hastigen Schritt auf das Zerrbild eines Drachen zu, seine Klinge schnitt singend durch die Luft, doch Gerrek war auf der Hut. Wieder spie er Feuer; die Flammen umzüngelten Ruethans Waffenhand.

Der Albtraumritter schrie wütend auf. Mit einer Serie blitzschneller Kreuzhiebe trieb er den Beuteldrachen auf den Rand des Yarls zu. Gerrek erhielt keine Gelegenheit, zur Seite hin auszuweichen. Abermals spuckte er Feuer, während die Amazone Ronda, Ilfa und Sadagar erste Anstalten zeigten, einzugreifen.

Ein unverhoffter Ausfall des Albtraumritters war schuld daran, dass die Flammen den Sonnenschild trafen. Bevor Ruethan ihn auf Gerrek richten konnte, wurden sie als grelle, blendende Lichtflut reflektiert, der dreieckige, nach vorne spitz zulaufende Schädel des Yarls war schlagartig in gleißenden Widerschein gehüllt. Das folgende Gebrüll des Tieres war ohrenbetäubend.

Ruckartig warf der Yarl sich herum. Seine achtzehn Beinpaare stampften den Boden und rissen kopfgroße Felsbrocken daraus hervor. Mit einem Mal glich die Oberfläche des Panzers dem schwankenden Deck eines Schiffes in stürmischer See. Verzweifelt versuchte Gerrek, sicheren Halt zu bewahren, doch schon nach wenigen Augenblicken schlug er der Länge nach hin. Langsam, aber unaufhaltsam rutschte er dem Abgrund entgegen. Er nahm nicht wahr, was mit den Gefährten geschah, hatte genug mit sich selbst zu tun. Hornige Zacken ragten aus dem Rückenpanzer des Yarls auf, Gerrek krachte mit Wucht dagegen. Instinktiv grapschte er nach dem festen Halt, während sein Schwanz jäh ins Leere baumelte. Ein flüchtiger Blick nach unten machte ihm nicht gerade Mut, denn da bewegten sich die säulenförmigen Beine des Kolosses wie schwere Rammböcke und zermalmten alles, worüber sie hinwegstampften.

Der Yarl rannte blindlings durch eine unwegsame Felswüste. Mehrfach mannshohe Felszacken zersplitterten wie dünnes Glas unter dem Aufprall seines wuchtigen Körpers, und die Bruchstücke schwirrten Geschossen gleich umher. Es musste ein solcher Splitter sein, der Gerreks linke Schulter streifte und den Arm vorübergehend taub werden ließ.

Rasend schnell näherte sich der Yarl einer geradlinig bis an den Horizont verlaufenden Schlucht, deren jenseitiger Hang steil abfiel. Wie es auf dieser Seite aussah, konnte Gerrek nicht erkennen. Flüchtig spielte er mit dem Gedanken abzuspringen, aber das schroffe Geröll ließ ihn zögern. Wenn er unglücklich aufkam, würde er sich sämtliche Knochen brechen.

Und dann war es zu spät. Unter dem Yarl brach der Boden ein, spaltete sich eine riesige Scholle ab und glitt mit donnerndem Getöse in die Tiefe. Das große Tier geriet ins Schwanken, stürzte langsam auf die Seite, wobei der Rand seines Panzers das Erdreich aufwühlte. Gerrek schaffte es nicht, sich in die Höhe zu ziehen, für die Dauer einiger hastiger Atemzüge baumelte er hilflos zwischen Himmel und Erde und verlor endgültig den Halt, als der Yarl sich brüllend überschlug.

Alles ging so schnell, dass der Beuteldrache sich später kaum mehr an Einzelheiten zu erinnern vermochte. Irgendwie gelang es ihm, sich im Fallen herumzudrehen. Auf allen vieren kam er auf und duckte sich instinktiv, während ein mächtiger Schatten über ihn hinwegzog.

Das Poltern einer abgehenden Gerölllawine und das durch Mark und Bein gehende Brüllen des Yarls verloren sich in der Tiefe. Gerrek stellte fest, dass er auf einem langgestreckten Felsvorsprung lag. Keine fünf Schritt über ihm war die Abbruchkante. Noch bevor er sich aufrichten konnte, durchlief ein jäher Ruck den Fels, der fast eine halbe Mannslänge absackte.

Vorsichtig schob er sich weiter, ergriff einen der armdicken Wurzelstränge, die an vielen Stellen aus der Wand herauswuchsen. Jeden Moment wartete Gerrek darauf, dass der Vorsprung endgültig nachgab und er mit in die Tiefe gerissen wurde. Aber nichts geschah.

Wenig später hatte er wieder sicheren Boden unter den Füßen. Keine fünf Schritt entfernt, zwischen zwei schroffen Felsblöcken, gewahrte er Sternenbogen und Mondköcher. Ruethan von der Roten See musste sie beim Sturz vom Yarl verloren haben. Gerrek erinnerte sich daran, dass Mythor schon vor ALLUMEDDON gelegentlich von den Waffen des Lichtboten gesprochen hatte. Der Bogen bestand aus einem hornartigen Material, die leicht abnehmbare Sehne galt als unzerreißbar. Der aus weichem Leder geformte Griff mit seinen muldenförmigen Vertiefungen mochte wunderbar in der Hand liegen; ein funkelnder Rubin war am oberen Ende als Zielstein eingelassen.

Der Köcher, eine Hand durchmessend und knapp zwei Ellen lang, war aus schwarzem, nahtlosem Leder gefertigt. Eine Vielzahl gefiederter, verschieden farbiger Pfeile ragte daraus hervor. Sobald man versuchte, sie zu zählen, verschwammen sie vor den Augen des Betrachters, und niemand wusste je, wie viele es waren.

Gerrek hatte Sternenbogen und Mondköcher fast erreicht und wähnte sie schon sein eigen, da erschien Ruethan von der anderen Seite her zwischen den Felsen und nahm beide wieder an sich. Er starrte den Beuteldrachen durchdringend an. »Du solltest für Gorgan kämpfen!«, sagte er, bevor er sich umwandte und gemessenen Schrittes davonging.

Aber er kam nicht weit.

Unvermittelt und wie aus dem Nichts heraus, erschien ein Hüne neben ihm. Der Mann hatte schulterlanges, angegrautes Haar, in seinem hart wirkenden Gesicht funkelten kalte, graue Augen. Sein Alter war schwer zu schätzen – er mochte ungefähr fünfzig sein, wirkte jedoch auf unbestimmte Weise zeitlos.

Über seinem Haupt strahlte ein seltsames, unwirkliches Licht; das DRAGOMAE, das Zauberbuch der Weißen Magie.

»Coerl O'Marn«, murmelte Gerrek überrascht. »Der Heerführer der Lichtwelt.«

Ruethan streckte dem Hünen die Waffen des Lichtboten entgegen. »Das ist alles«, sagte er bitter. »Mythor hat dem Krieger Gorgan den Helm der Gerechten gestohlen. Wir müssen ihn finden.«

Was Coerl O'Marn antwortete, konnte Gerrek schon nicht mehr verstehen, denn durch die Kraft des DRAGOMAE verschwanden beide von einem Augenblick zum anderen.

 

*

 

»Gorgan«, murmelte der Beuteldrache. Und dann noch einmal: »Gorgan.« Benommen taumelte er vorwärts, zwängte sich durch den engen Einschnitt zwischen den Felsblöcken. Jäh zuckte er zusammen, als Sadagar vor ihm aus dem Nichts auftauchte.

»Sie sind weg«, sprach Gerrek aus, was ihm gerade in den Sinn kam. Er musste einfach etwas sagen, irgendetwas, um das Gefühl der inneren Anspannung, das ihn erfüllte, zu übergehen. Er konnte sich selbst nicht erklären, wodurch es ausgelöst wurde. Vielleicht, weil er den Waffen des Lichtboten so nahe gewesen war und doch nicht zugegriffen hatte? Dabei benötigte Mythor für seinen Kampf gegen die Mächte der Finsternis Bogen und Köcher dringender als der Krieger Gorgan.

»Ich habe Coerl O'Marn auch gesehen«, nickte Sadagar. Ein einziger Schritt zur Seite ließ ihn erneut unsichtbar werden.

»He«, rief Gerrek entgeistert aus. »Wo steckst du?«

»Was soll der Unsinn?«, erklang die nicht minder überraschte Gegenfrage.

Die Stimme kam von unmittelbar vor ihm – doch da war nichts als die nackte Felswand.

»Fang jetzt bloß nicht an, Feuer zu spucken!«, warnte Sadagar.

Blitzschnell umklammerte Gerrek mit beiden Händen seine Nüstern, aus denen dunkle Rauchwolken aufstiegen. »Nein, nein«, murmelte er dumpf zwischen den geschlossenen Lippen hindurch. »Aber wie mascht du dasch?«

»Was?«

»Dasch! Du bischt unschischtbar.«

»Mit wem sprichst du?« Das war Ilfas Stimme. Sie klang belustigt.

»Weshalb fragst du ihn nicht, ob er auf den Kopf gefallen ist?«, fügte Ronda hinzu.

Gerrek zögerte, sich nach den Frauen umzudrehen. Immerhin verspürte er Erleichterung, dass sie ebenfalls unverletzt davongekommen waren. Das Geräusch ihrer Schritte verriet, dass sie dicht hinter ihm stehenblieben.

»Scheht ihr Schadagar?«, wollte er wissen.

»Was sagt er?«, machte Ronda irritiert.

»Ich glaube, er meint Sadagar«, erklärte Ilfa.

»Rischtisch«, nickte Gerrek.

»Kannst du nicht vernünftig reden?«, brauste Ronda auf. »Nimm die Finger aus der Nase, wenn du mit einer Amazone sprichst.«

»Hm.« Rund um Gerreks Maul erschienen unzählige Falten – ein sichtbares Zeichen, dass er zerknirscht war.

»Nicht schlecht«, ließ Sadagar vernehmen. Lediglich der Klang seiner Stimme verriet seinen Standort. »Wenn ich nur wüsste, wodurch ich für euch unsichtbar geworden bin.«

»Sei vorsichtig«, warnte Ilfa. »Womöglich ist Schwarze Magie im Spiel.«

»Ich habe nicht den Eindruck«, erwiderte Sadagar. »Eher ...« Er schwieg abrupt. Für Gerrek und die Frauen blieb er nach wie vor unsichtbar. Im nächsten Moment war da jedoch eine flüchtige Bewegung; der Beuteldrache musste zweimal hinsehen, um sicher zu sein, dass er sich nicht getäuscht hatte. Eine unscheinbare weiße Blume, knapp eine Handspanne lang und bis eben noch halb in einer Felsspalte verborgen, wurde umgeknickt und schwebte wie von Geisterhand bewegt durch die Luft. Gerrek fixierte die sternförmige Blüte aus weit aufgerissenen Augen, aber als er blitzschnell zugriff, glitt sie, von spöttischem Lachen begleitet, zur Seite.

Es war Sadagars Lachen.

»Fang!«, rief er.

Ehe der Beuteldrache wusste, wie ihm geschah, flog die Blume auf ihn zu. Instinktiv fing er sie auf – und konnte im selben Moment den Nykerier wieder sehen. Sadagar grinste über das ganze Gesicht.

»He«, rief Ronda. »Wohin ist der unnütze Drache verschwunden?«

Für die Dauer einiger hastiger Atemzüge hielt Gerrek die Blume unschlüssig in Händen, bevor er sie Sadagar zurückwarf. »Das ist Dämonenspuk«, stieß er wütend hervor. »Damit will ich nichts zu tun haben.« Hastig wandte er sich um, sein mannslanger Rattenschwanz stieß gegen den Fels – und drang darin ein, als sei das von dunklen Adern durchzogene Gestein nur ein Trugbild. »O nein«, jammerte er, bemüht, seinen kostbaren Körperteil rasch in Sicherheit zu bringen. »Was tust du mir an, Sadagar?«

»Dein Schwanz ist noch dran«, spottete der Nykerier. »Was willst du mehr? Ich vermute, dass die Wirkung der Blume bald nachlässt.«

»Und wenn nicht? Wenn ich dazu verdammt bin, unsichtbar herumzulaufen ...?«

»... sieht wenigstens niemand, mit wem er es zu tun hat«, vollendete Ronda.

Gerrek setzte zu einer bissigen Erwiderung an, als ihm einfiel, dass er ja unsichtbar war. Einige schnelle Schritte brachten ihn an die Seite der Amazone. Bemüht, nicht das leiseste Geräusch zu verursachen, streckte er beide Hände nach ihren Schwertern aus. Der Zufall wollte es allerdings, dass er sichtbar wurde, gerade als er Rondas Klingen berührte. Und leider war er selbst der letzte, dem dies auffiel. Erst als die Amazone seine Handgelenke umfasste und ihn in die Knie zwang, wurde er sich dessen bewusst.

»Nur gut, dass du dein Leben nicht als Dieb fristen musst«, stellte sie spöttisch fest.

»Wir sollten uns darüber klar werden, was wir nun unternehmen«, warf Sadagar ein.

»Ich denke, dass wir nach Mythor suchen«, sagte Ilfa. »Er wird vermutlich dasselbe tun.«

»Falls er dazu in der Lage ist«, schränkte Gerrek ein.

»Wie meinst du das?«, erschrak Ilfa.

»Hast du schon vergessen, dass Ruethan und Coerl O'Marn hinter dem Helm der Gerechten her sind, den Mythor an sich gebracht hat? Das Fatale daran ist, dass jeder glaubt, der rechtmäßige Besitzer der Waffen des Lichtboten zu sein.«

»Mythor wird unterliegen«, bemerkte Ronda.

»Nicht, wenn wir ihm beistehen«, erklärte Sadagar. »O'Marn mag über die Kräfte des DRAGOMAE gebieten, aber wir haben die Möglichkeit, uns unsichtbar zu machen. Das macht seinen Vorteil zumindest wett.«

»Worauf warten wir dann?«, rief Ilfa spontan aus. »Wir sollten uns beeilen.«

»Heute schaffen wir den Weg zurück ohnehin nicht mehr«, stellte Ronda nach einem abschätzenden Blick zum Firmament fest. »Allerdings haben auch Ruethan und O'Marn kaum eine Chance, Mythor während der Nacht aufzuspüren.«

Die Sonne – zur blutroten, riesigen Scheibe geworden, vor der sich die Silhouetten düsterer Wolken abzeichneten – stand im Westen höchstens noch zwei Fingerbreit über dem Horizont.

 

*

 

Der schwindende Tag warf rasch länger werdende Schatten, die vor den Gefährten her wanderten. Der Yarl hatte eine nicht zu übersehende Fährte hinterlassen, der sie gen Osten folgten.

Sie waren nicht sofort aufgebrochen, sondern hatten die Felsen nach weiteren Unsichtbarkeit verleihenden Blumen abgesucht. Die Blüte, die Sadagar besaß, schien jedoch die einzige gewesen zu sein.

Eine eintönige Ebene erstreckte sich nach allen Seiten bis an den im Dunst versinkenden Horizont. Die Sicht reichte nicht mehr so weit, dass Cherstong mit den Yarl-Höhlen oder die magischen Steinkreise der Mink-Pferche zu erkennen gewesen wären. Düster rot leuchtete das Land im Westen, als habe die inzwischen halb versunkene Sonne einen lodernden Steppenbrand entfacht. Im Osten allerdings zeigten sich bereits die ersten blinkenden Sterne vor dem Hintergrund samtener Schwärze.

Ronda deutete auf eine Gruppe dicht stehender Bäume, die offenbar ein schmales Rinnsal säumten. »Es hat wenig Sinn, aufs Geratewohl weiterzumarschieren«, sagte sie. »Einige Stunden Schlaf werden uns guttun.«