Prinz Eugen

Hanne Egghardt  Prinz Eugen

Hanne Egghardt

PRINZ EUGEN

Der Philosoph in Kriegsrüstung

∗∗∗

Facetten einer
außergewöhnlichen Persönlichkeit

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Lektorat: Elisabeth Hemelmayr
E-Book-Konvertierung: Druckerei Theiss GmbH, St. Stefan i. Lavanttal

ISBN 978-3-218-00770-2 (Print)
ISBN 978-3-218-00891-4 (Epub)
ISBN 978-3-218-00890-7 (Mobi)

Inhaltsverzeichnis

[ 1 ] Eugen von Savoyen – Prinz ohne Zukunft?

[ 2 ] Militärischer Aufstieg

[ 3 ] Bittere Kriegsjahre

[ 4 ] Der Weg zum Heldentum

[ 5 ] Von Geldsorgen und ­unermesslichem Reichtum

[ 6 ] Der ewige Junggeselle

[ 7 ] Prinz Eugens Besitztümer – Juwelen barocker Baukunst

[ 8 ] Der Philosoph in Kriegsrüstung

[ 9 ] Das Erbe des »Edlen Ritters«

Anmerkungen

[ 1 ]
Eugen von Savoyen –
Prinz ohne Zukunft?

»… ein schmutziger, sehr debauchierter  (verwahrloster) Bub, der gar keine ­Hoffnung zu nichts Rechtes gab …«

LISELOTTE VON DER PFALZ
ÜBER PRINZ EUGEN

P aris, Rue de Viarmes 2: eine Adresse, wie sie eleganter nicht sein könnte – und eine höchst geschichtsträchtige dazu. Wo heute eine 40 Meter breite Kuppel mit ihrem filigranen Netz aus eisernen Rippen die imposante Rotunde der Pariser Handelsbörse luftig leicht und streng zugleich überspannt, stand einst ein hübsches Stadtpalais. Katharina von Medici hatte es um das Jahr 1572 an der Stelle eines alten Nonnenklosters im Stil der Spätrenaissance erbauen lassen. Die Fassade des zweigeschossigen, von hohen, stolzen Dächern überragten Haupttraktes war fein gegliedert, das Palais besaß zwei ausladende Seitenflügel, einen Ehrenhof und weitläufige, mit Skulpturen geschmückte Gartenanlagen, in denen Springbrunnen fröhlich plätscherten. Wie ihre ganze Epoche verliebt in Astrologie und Sterndeuterei, hatte Katharina von Medici überdies einen 30 Meter hohen, säulenartigen Turm errichten lassen, von dem aus ihr Astrologe den nächtlichen Sternenhimmel über Paris beobachten konnte. Dieser nahezu bizarr in den Himmel ragende »Finger« ist heute das einzige, was noch an die alten Zeiten erinnert.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam das Palais in den Besitz von Prinz Karl von Bourbon, Graf von Soissons. Bald stieg es als Hôtel de Soissons zu einer der ersten Pariser Adressen auf. Ein Ort der Harmonie und des Friedens war es aber nie. 1655 kam dort Ludwig Wilhelm von Baden zur Welt, der später als »Türkenlouis« Berühmtheit erlangen sollte. Er entstammte der Ehe von Maria Luisa Christina, der Enkelin des Prinzen, die aus politischen Gründen mit Ferdinand Maximilian, dem Markgraf von Baden, verheiratet worden war. Die Ehe war so unglücklich, dass sich die frisch Vermählte weigerte, ihrem Mann nach Baden zu folgen. Dem Markgrafen aber gelang es später, seinen Sohn dorthin zu entführen. Den Alptraum Hôtel de Soisson erwähnte er Jahre später: »In disem Pariser Hof muß man sich sonderlich befleissen wohl bey den damen daran zu sein, aber fliehen wie die pest eine daraus zu heiraten, dann du sonsten dein lebtag kein ruhe haben und dein haus gäntzlich minieren würdest. Glaub mir dies mein liebes Kindt …«1

Glanz und Schatten im Hôtel de Soissons

Zu der Zeit, als die heillos vergnügungssüchtige und alles andere als prüde Italienerin Olympia Mancini dort lebte, trat das Hôtel de Soissons sogar in Konkurrenz zum Königspalast des Louvre. Zeitweise erschien Ludwig XIV., der Sonnenkönig, jeden Tag höchstpersönlich, um an einem Diner bei flackerndem Kerzenschein teilzunehmen, sich bei Musik und Tanz zu vergnügen oder irrwitzig hohe Beträge am Spieltisch einzusetzen. In den Salons beschäftigten sich die Damen in ihren knisternden Roben indes damit, Heiratspolitik zu betreiben, galante Abenteuer einzufädeln oder ganze Netze von Intrigen und Ränken zu spinnen.

Abseits der goldschimmernden Repräsentationsräume aber zeigte das Hôtel de Soissons ein ganz anderes Gesicht. In den Privaträumen war vom Glanz der Epoche nichts zu spüren. Niemand bemühte sich um geschliffene Ausdrucksformen, geistreiche Bonmots oder gar anmutige Bewegungen. Hier wurde von früh bis spät gestritten, geschimpft und gekeift. In diesem Schlangennest wuchs unter der unbarmherzigen Fuchtel einer hartherzigen, bigotten Großmutter und beaufsichtigt lediglich von Dienstboten, eine Rasselbande heran: die Kinder des Grafen Eugen Moritz von Soissons und der Olympia Mancini, fünf Söhne und drei Töchter.

Sie alle waren ungeliebt und ungepflegt, der mit Abstand hässlichste unter ihnen aber war der am 18. Oktober 1663 als fünfter Sohn geborene Prinz Eugen von Savoyen. Wer den zu klein geratenen, leicht verwachsenen Jungen mit dem stets ungepflegten schwarzen Haar sah, gab keinen Pfifferling auf seine Zukunft. Und nicht nur das. Zeitgenossen notierten, dass man diesem »hässlichen Gnom«, dieser »Stumpfnase« kaum »das Wasser zu trinken gönnte«. Dass er einmal der größte Feldherr, ja sogar der heimliche Herrscher ­Europas werden würde, konnte damals freilich noch niemand ahnen. Am wenigsten vielleicht seine eigene Mutter.

Olympia Mancini war zwischen 1638 und 1640 – ihr ­genaues Geburtsdatum ist unbekannt – in Rom als Tochter eines römischen Barons zur Welt gekommen. Entscheidend für ihr Schicksal sollte ihr Onkel werden, der Bruder ihrer Mutter. Der 1602 als Giulio Mazarini in Pescina in den Abruzzen geborene Italiener hatte es in Paris als Kardinal Jules Mazarin zum ersten Minister Frankreichs gebracht. Obwohl italienischer Herkunft, liebte er Frankreich abgöttisch, war ein unbeirrbarer Anhänger des Absolutismus und vermutlich sogar der geheime Gemahl der Regentin Anna von Österreich, der Mutter Ludwigs XIV.

Privilegiert durch Verwandtschaft – Kardinal Mazarin

Mazarin war ein gefährlicher und gefürchteter Intrigant. Er verstand es, die Fäden der französischen Politik zu ziehen wie kein anderer, ausgenommen vielleicht sein Vorgänger Richelieu. Als Staatsmann war er ein Genie, wahrscheinlich sogar das größte im damaligen Europa. Nicht zuletzt ihm war es zu verdanken, dass Frankreich zur reichsten und mächtigsten Nation Europas aufgestiegen war. In Frankreich selbst allerdings war seine Position keineswegs unangefochten. Als sich weite Kreise des Hochadels und der hohen Richterschaft im Widerstand gegen den zunehmenden Absolutismus in der »Fronde« formierten und es zu schweren Aufständen in und um Paris kam, die sogar die königliche Familie zur Flucht zwangen, richtete sich der Zorn auch massiv gegen ihn. 1651 musste er Paris verlassen. Zwei Jahre später aber hatte er die Fäden wieder in der Hand, die »Frondeure« waren ausgeschaltet, Kardinal Mazarin konnte in Paris feierlich Einzug halten. Die absolute Herrschaft für Ludwig XIV. war ge­sichert.

An seinem Glanz und seinem rasch wachsenden Reichtum wollte Mazarin seine Familie teilhaben lassen. Nach und nach holte er sieben seiner hübschen, temperamentvollen Nichten aus Italien nach Paris. Diese »liebestollen Mazarinetten« fegten wie ein Südwind, der die Nerven aufpeitscht und die Sinne verwirrt, durch den Louvre. Lebenslustig und mit der erdverbundenen Natürlichkeit und Phantasie ihrer italienischen Heimat ausgestattet, setzten sie sich über das starre Hofzeremoniell hinweg und flatterten wie bunte Falter von Liebhaber zu Liebhaber. Dafür, dass sie später alle bestens unter die Haube kamen, sorgte der Onkel mit dem Kardinalshut. Tatsächlich heirateten sie alle in die wohlhabendsten und bedeutendsten Familien Frankreichs ein: Conti, Vendôme, d’Este, Colonna, Mazarin, Mercoeur, Soissons.

Olympia – die zukünftige Königin von Frankreich?

Olympia war vermutlich die ausgelassenste der »Mazarinetten«. Sie war gemeinsam mit ihren beiden älteren Geschwistern und einer Cousine im September 1647 nach Paris gekommen. Bald brachte Kardinal Mazarin die Kinder im Palais Royal unter, wo sie zu den Spielgefährten des damals zehnjährigen Louis, des künftigen Königs Ludwig XIV., und seines Bruders Philipp wurden. Zu diesem Zeitpunkt war Olympia rein optisch ihren Verwandten gegenüber noch im Nachteil. Ihr längliches Gesicht und ihr etwas zu spitzes Kinn entsprachen nicht dem Geschmack der Zeit. Ihre lebhaften dunklen Augen und die Grübchen in ihren Wangen, die ihr einen süßen, verschmitzten Ausdruck gaben, lenkten von diesem Makel aber ab. In der Pubertät zeigte sich dann auch noch, dass sie zu groß zu werden drohte, und zu mager. Was aber an ihr faszinierte, waren ihr wendiger Geist, ihre Schlagfertigkeit und ihr natürlicher Witz. Olympia wurde zur Lieblingsgefährtin des zukünftigen jungen Königs.

Um das Jahr 1655, als die »Fronde« ausgeschaltet war und Paris nicht mehr von Tumulten und Krawallen erschüttert wurde, entwickelte sich das Leben am französischen Hof zu einer einzigen Kette von Vergnügungen. Louis und Olympia waren unzertrennlich. Gemeinsam führten sie die »jeunesse dorée« an, die von einem rauschenden Fest zum anderen eilte, in Balletten, Allegorien und Komödien auftrat, ritterliche Spiele organisierte, Ausfahrten und Kahnfahrten bei Mondschein unternahm. Olympia war die anerkannte Favoritin des zukünftigen Königs, ihr Platz war stets an der Seite der alles überstrahlenden Gestalt des späteren Sonnenkönigs. Er überhäufte sie mit Geschenken, eines der symbolträchtigsten war ein Schmuckstück in der Form einer Sonne mit der umlaufenden Inschrift »Ne piu ne pari« – »nicht länger nicht gleich«.2 Sie war seine Vertraute, seine Gesprächspartnerin, die Dame seines Herzens, seine »Königin«.

Dass sie tatsächlich die Königin von Frankreich werden könnte, war für die ehrgeizige und geltungsbedürftige Olympia durchaus denkbar. Und sie griff vehement nach den Sternen. Öl goss im Jahr 1656 noch die schwedische Ex-Königin Christine ins Feuer. Die faszinierende Frau, die bereits mit 18Jahren zur Königin von Schweden geworden war, zehn Jahre später aber auf eigenen Wunsch hin abgedankt hatte, um einer Ehe mit ihrem Vetter zu entgehen, hatte schon bei ihrer Ankunft in Paris für Furore gesorgt. Um ihre weibliche Unabhängigkeit zu demonstrieren, war sie in Hosen und im Herrensitz in Paris eingeritten. Bei einem Festdiner sagte die Schwedin zum Entsetzen der Königin-Mutter und des Kardinals frei weg, Ludwig und Olympia sollten so bald wie möglich heiraten, diese jungen Menschen passten so vorzüglich zueinander.

Olympia war hingerissen. Schon einen Tag später erschien sie im männlichen Outfit à la Christine zum Jagdausflug. Olympia aber triumphierte zu früh. Die Königin-Mutter Anna von Österreich machte all ihre hochfliegenden Pläne zunichte. Für sie war das, was sich zwischen den jungen Leuten abspielte, nicht mehr als ein Flirt, »Tändelei«, wie man damals sagte. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden, gegen eine Mésalliance hingegen schon. Für den künftigen König kam nur eine politische Verbindung in Frage. Das muss auch Kardinal Mazarin eingesehen haben. Noch dazu, wo auch seine Astrologen dieser Meinung ­waren.

Stammbäume & Heiratspolitik

Mazarins Spione aber hatten das junge, strahlende Paar im Visier. Bald stand eindeutig fest, dass der zukünftige König in die temperamentvolle Olympia verliebt war. Eine Jungfrau als Mätresse – das schickte sich in der damaligen Zeit aber nicht. Und als »angestochene Frucht« in eine Ehe zu gehen schon gar nicht. Also sah sich der Kardinal in aller Eile nach einem geeigneten Ehemann für seine Nichte um. Er nahm Verhandlungen mit der Prinzessin von Carignan auf. Für die Zusage, den erloschenen ­Titel eines Comte de Soissons neu ausrufen zu lassen, erklärte sich deren Sohn Eugen Moritz zur Heirat bereit. Dieser Prinz von Savoyen konnte mit einem höchst repräsentablen Stammbaum ­punkten. Zu seinen Vorfahren zählten die Bourbonen ebenso wie die spanischen Habsburger. König Philipp II., der Sohn von Kaiser Karl V., war sein Urgroßvater. Sein Großvater mütterlicherseits, Karl von Bourbon, Graf von Soissons, stammte aus einer Nebenlinie des französischen Königshauses, und sein Großvater väterlicherseits war der regierende Herzog von Savoyen, Karl Emanuel I.

In einer Epoche, in der die Macht Europas praktisch in einer einzigen großen Familie lag und die Herrscherhäuser alle irgendwie miteinander verwandt und verschwägert waren, galt die Herkunft als wichtiger Trumpf. Olympia beugte sich: Wenn sie schon nicht Königin werden konnte, so wollte sie in höchste Kreise einheiraten, die Gunst des Königs nicht verlieren und sich auch weiterhin im Glanz seiner Nähe sonnen dürfen. Die Hochzeit fand am 21. Februar 1657 statt. Der Klatsch blühte, die zügellose Lebenslust der Braut war Stadtgespräch.

Der frisch gebackene Ehemann zeigte sich bald überaus taktvoll. Er verschwand in regelmäßigen Abständen zu seinem Regiment oder zu langen Jagdausflügen. Der Titel des Grafen von Soissons hatte ihn in Frankreich in den Rang eines Prinzen von Geblüt erhoben und ihm damit den Aufstieg in der königlichen Armee ermöglicht. Das erleichterte es dem aufrechten, in ­erster Linie auf Kampf und Ruhm bedachten Soldaten, darüber hinwegzusehen, dass seine schöne, junge Frau unzählige ­Liebhaber hatte. Und dass sie auch der König weiterhin regelmäßig besuchte, in nach wie vor kaum abgekühlter Leidenschaft. Der Herzog von Saint-Simon beschrieb die Situation in seinen berühmten Memoiren: »Nichts glich dem Glanz der Gräfin de Soissons, von der der König weder vor, noch nach ihrer Heirat abließ und die am Hofe die Anführerin der Feste und der Anmut war … Mittelpunkt der erlesenen Gesellschaft war das Haus der Gräfin von Soissons … Dieses Haus wurde bald zum Brennpunkt aller höfischen Intrigen …«

Die Mätresse des Königs – Affären und Intrigen

Während die Königin-Mutter zunehmend bezweifelte, ob die frivole, zügellose Olympia, die sich zum Ärger des Hochadels wie eine Gleichgestellte als »Madame la Comtesse« titulieren ließ, der richtige Umgang für ihren Sohn war, zählte für Olympia nur eines: dass der König möglichst oft bei ihr erschien und dass er nicht aus ihrem Einflussbereich verschwand. Sie arrangierte rauschende Feste, Tanz und Spiel, empfing den König an den Bassette-Spieltischen ihrer Salons, umgeben von einer Schar kleiner Hündchen und exotischer Vögel in prachtvollen Käfigen. Der König kam regelmäßig, und er blieb oft bis weit nach Mitternacht.

Olympia hatte in dieser Zeit die Fäden fest in der Hand. Max Braubach, der große Prinz-Eugen-Biograf: »Das Parkett war schlüpfrig, aber gewann das Leben nicht dadurch erst seinen Reiz? Welch ein Genuß für eine Frau von der Unbekümmertheit und Leidenschaftlichkeit der Gräfin, auf dem Schachbrett dieses zum Zentrum Europas gewordenen Hofes die Figuren zu schieben, sich dabei aber auch selbst einzusetzen, zu lieben, zu kämpfen und zu siegen! Sie kannte nicht viel Hemmungen, sie war in ihren Mitteln nicht sehr wählerisch, sie war die echte Repräsentantin einer Zeit und einer Gesellschaft, der man sehr vieles, aber gewiß nicht Prüderie und moralische Ängstlichkeit vorwerfen konnte.«2

Gefahr kam für Olympia bald aus der eigenen Familie: Der König verliebte sich in ihre jüngere Schwester Marie und erwog ernsthaft, sie zu heiraten. Olympia schäumte vor Wut. Zwischen den beiden Mazarinetten brach ein unerbittlicher Kampf aus, in dessen Verlauf Olympia alle Register ihrer Intrigierkunst zog. Letzten Endes siegte Olympia. Und die Staatsräson. Der König ­heiratete 1660 nicht Marie, sondern die wenig attraktive spanische Infantin Maria Theresia. Olympia aber erhielt ein Trostpflaster. Kardinal Mazarin hievte sie in das Amt der »Oberintendantin« der neuen Königin. Das bedeutete hohe Einkünfte, ein prachtvolles Appartement in den Tuilerien – und die Nähe des Königs.

In den folgenden Jahren wurde Olympia zum Mittelpunkt des höfischen Lebens. So wie es ihr Onkel Kardinal Mazarin im Ziehen der politischen Fäden zu ungeahnter Meisterschaft gebracht hatte, perfektionierte sie die hohe Schule der Intrige und des Klatsches. Dass der König seine Gunst in Liebesdingen auch anderen Damen schenkte, zählte jetzt nicht mehr allzu viel. Es galt aber, die Kontrolle darüber zu bewahren und die Entwicklungen geschickt zu lenken. Wissen war Macht – für gute Informationen wusste man sich an Kavalieren zu revanchieren.

Als der König den Reizen der Mademoiselle de la Vallière erlag, schoss Olympia allerdings weit übers Ziel hinaus. Eine Kette von Intrigen um Briefe an die Königin, die dann beim König landeten, falsche Verdächtigungen und Beschuldigungen führten dazu, dass sie der König als Drahtzieherin erkannte, ihren aktuellen Geliebten als Mitverdächtigen ins Gefängnis werfen ließ und der gesamten Familie Soissons im April 1665 unmissverständlich nahelegte, Paris zu verlassen.

Die Fürsprache einflussreicher Freunde bewirkte, dass die Soissons im Herbst 1666 nach Paris zurückkehren durften. Bei einer der ersten Hoffestlichkeiten führte der König persönlich Olympia zum Tanz. Das Leben ging dort weiter, wo es im vorangegangen Frühjahr aufgehört hatte. Alles drehte sich um rauschende Feste, aufwändige Garderoben, galante Beziehungen, das Glücksspiel mit hohem Einsatz und Intrigen, Intrigen, Intrigen.

Olympias Stern begann zu sinken, als der König sein Herz an eine neue Mätresse verlor, an die Marquise de Montespan. Der König versuchte, Olympia dazu zu bewegen, zu deren Gunsten auf das Amt der Oberintendantin zu verzichten, als Entschädigung bot er ihr sogar 200 000 Taler an. Sie lehnte rundweg ab und zog sich damit nicht nur den Missmut des Königs zu, sondern auch den unerbittlichen Hass einer gefährlichen Gegnerin. Und dass sie ausgerechnet in dem Winter, in dem Ludwig XIV. in den Krieg mit Holland getreten war, den Karneval mit politisch fragwürdigen Männern durchtanzte, sprach auch nicht gerade für sie. Aber solange ihr Mann, der Graf von Soissons, dem sie mittlerweile acht Kinder geschenkt hatte, hinter ihr stand, konnte ihr nichts passieren.

Der Tod des Vaters

Die Integrität des Grafen von Soissons war unbestritten. Er hielt sich aus den Intrigen seiner Frau heraus, so weit er konnte, war ein begeisterter Soldat und hatte nur einen Wunsch: sich in einem Krieg in entscheidender Position bewähren zu dürfen. Im Jahr 1672 kam er diesem Ziel sehr nahe. Er erwies sich im Krieg gegen Holland als erstklassiger Stratege. Von allen Generälen kontaktierte ihn der König am öftesten. Nach 20 Jahren Militärdienst zeichnete sich endlich eine glänzende Zukunft in der Armee ab. Da geschah etwas völlig Unerwartetes: Im Frühsommer 1673 erlitt er in Flandern plötzlich heftige Fieberanfälle, begleitet von Erbrechen und Durchfall. Die Krankheit dauerte nur wenige Tage, er verstarb am 7. Juni. Da er kurz vor seinem Tod den Verdacht geäußert hatte, er sei vergiftet worden, wurde eine Leichenöffnung durchgeführt. Anhaltspunkte für ein Verbrechen konnten nicht festgestellt werden.

Die Familie Soissons traf mit diesem Tod ein schwerer Schlag. Olympia hatte sich auf die Nachricht von der schweren Erkrankung ihres Mannes hin sofort auf den Weg zu ihm gemacht, war aber zu spät gekommen. Im Lager des Königs bei Lüttich traf sie auf ihre ebenfalls eilends angereiste Schwiegermutter, die in ­Begleitung der Markgräfin von Baden, Olympias verhasster Schwägerin, und der beiden ältesten Söhne erschienen war. Es kam zu wilden Vorwürfen wegen des geäußerten Vergiftungsverdachtes und zu Hass- und Wutausbrüchen. Bei einer Audienz warf sich Olympia dem König zu Füßen und bat um Vergebung ihrer Fehler. Der König reagierte wohlwollend. Für die Zukunft von Olympias ältesten Söhnen aber rührte er keinen Finger. Der Montespan war es gelungen, die Verteilung der frei gewordenen Ämter des Grafen von Soissons in ihrem Sinne durchzusetzen: Das Gouvernement der Champagne erhielt ihr Bruder, das Amt des Generalobersten der Schweizer ihr 1670 geborener, von Ludwig legitimierter Sohn.

Für den zu diesem Zeitpunkt zehnjährigen Prinz Eugen bedeutete der Tod seines Vaters einen tiefen Einschnitt. Er hatte sich im Zuge seines Militärdienstes zwar nur selten in Paris aufgehalten, allein seine Existenz aber muss den von ihrer Mutter grob vernachlässigten Kindern zumindest einen gewissen Rückhalt gegeben haben. Nach seinem Tod brachen im Hôtel de Soissons alle Dämme. Jetzt gab es unter den weiblichen Mitgliedern der Familie nur noch Streit und Zank. Bis Olympia einwilligte, dass die Kinder bei ihrer Großmutter und ihrer Tante blieben, der Markgräfin von Baden. Sie selbst zog ihre Appartements in den königlichen Schlössern und ihr kleines Haus in Chaillot vor, hielt weiterhin »Hof«, veranstaltete Feste und lud zu Spiel­abenden.

Nach dem Tod ihres Vaters wurde auch die finanzielle Situation der acht Kinder zum Problem. Dass der König bei der Vergabe der Ämter seines Vaters andere seinen Brüdern vorgezogen hatte, hinterließ in Prinz Eugen tiefe Narben. Die Kinder waren jetzt auf die Unterstützung des Herzogs von Savoyen angewiesen. Und dieser beauftragte den Marquis de Saint-Maurice damit, ein Auge auf die heranwachsende Prinzenschar zu werfen. Was dieser um das Jahr 1673 nach Turin an den Hof des Hauses Savoyen meldete, klang ganz und gar nicht erfreulich. In seinen Briefen berichtet er, dass die Kinder verwahrlost wirkten, so gut wie nie mit gebildeten Menschen zusammenkamen, sich mit allerlei Gelichter herumtrieben, zu Hause nur mit Lakaien und Kammermädchen Umgang hatten und diesen alle erdenklichen Possen spielten. Ihren Hofmeister durften sie quälen und malträtieren, ohne von irgendjemandem gerügt oder gestraft zu werden.

Am besten erging es noch Prinz Eugens ältestem Bruder Ludwig Thomas, er erhielt 1676 ein französisches Infanterieregiment und trat in die Fußstapfen seines Vaters. Die anderen Söhne aber waren auf die Hilfe des Hauses Savoyen angewiesen. Besonders nachdem Philipp, der zweite Sohn, der für den mit Pfründen verbundenen geistlichen Stand bestimmt worden war, sich dafür als ungeeignet erwiesen hatte. Ludwig Julius, der dritte, war schon im Todesjahr seines Vaters an den Turiner Hof geholt worden, später begab sich der »Chevalier de Savoye« in Habsburgs Dienste. Emanuel, der vierte, war ihm nach Turin nachgeschickt worden und verstarb dort bereits im Alter von 14 Jahren.

Gut aufgehoben im Schoß der Kirche?

Prinz Eugen hatte unter seinen körperlichen Mängeln schwer zu leiden. Man begegnete ihm mit Spott und Hänseleien. Das gab Jahre später sogar Liselotte von der Pfalz, die Schwägerin von ­König Ludwig XIV., zu. Verheiratet mit Philippe von Orléans, der seine Zeit lieber mit hübschen Knaben verbrachte als mit seiner wenig attraktiven Gattin, war sie in Paris todunglücklich, fühlte sich bei Hof wie im Exil und fand den einzigen Trost im Schreiben tausender Briefe. Als Prinz Eugen schon der berühmte Feldherr war, erinnerte sie sich in einem Brief an das »kleine, mutwillige, schmutzige Bübchen«: »Wenn Prinz Eugène nicht geändert ist, werden Euer Liebden ein kurz aufgeschnupftes Näschen, ziemlich langes Kinn und so kurze Oberleffzen (sehen), daß er den Mund allezeit ein wenig offen hat und zwei breite, doch weiße Zähne sehen läßt … Ich kenne ihn gar wohl, habe ihn oft geplagt, wie er noch ein Kind.«3

Gerade dieser von der Natur benachteiligte, schwächliche Junge hätte dringend einer liebevollen, starken Persönlichkeit bedurft, die ihm Vertrauen und Selbstbewusstsein gegeben hätte. Diese aber fand sich in seiner ganzen Umgebung nicht. Und so reagierte der Heranwachsende auf die Zurückweisungen und Verletzungen auf ebenso traurige wie natürliche Art: Er zog sich mehr und mehr in sich selbst zurück, wurde immer schweigsamer und mürrischer, baute einen Schutzschild um seine verletzte Seele.

Liselotte von der Pfalz erwähnte bei all den negativen Details seines Äußeren als einzig Positives seine lebhaften Augen, aus denen man ablesen könne, dass er Verstand hatte. Tatsächlich besaß er einen wachen, interessierten Geist. Und so wenig es seinen geplagten Hofmeistern auch gelang, ihm fundiertes Wissen einzutrichtern, für eine standesgemäße Grundbildung reichte es. Er erlernte Französisch und Italienisch in Wort und Schrift, dazu ein wenig Latein und Spanisch. Mathematik fand er, ganz dem Zeitgeist entsprechend, interessant. Zufall oder Weichenstellung für die Zukunft: In die Geometrie wurde er von einem dem Festungsbauer Vauban nahestehenden Lehrer eingeführt, und im Fach Geschichte faszinierten ihn vor allem Helden wie Alexander der Große oder Julius Cäsar.