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Assaf Alassaf
Abu Jürgen

Mein Leben mit dem deutschen Botschafter

Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl

ein mikrotext

Herausgeber: 10/11, in der Reihe „Neue Texte aus der Dad-Sprache“

Lektorat: Nikola Richter

E-Book-Erstellung/Cover: Andrea Nienhaus

Coverfoto: Tim Reckmann / pixelio.de

Covertypo: PTL Attention, Viktor Nübel

www.mikrotext.de – info@mikrotext.de

ISBN 978-3-944543-27-7

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Dieses E-Book wurde in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung produziert.
Die Stiftung ist nicht für die Inhalte verantwortlich.

Alle Rechte vorbehalten.

© mikrotext 2015, Berlin

Assaf Alassaf

Abu Jürgen
Mein Leben mit dem deutschen Botschafter

Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl

Assaf und basta

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum habe ich mir überlegt, dass es unpassend ist, wenn meine Freunde mich weiterhin bei meinen diversen Spitznamen rufen wie Assouf oder Abu al-Assaf oder Assafo. Ab jetzt bin ich nur noch Assaf, und basta. Sogar das vor meinem Namen stehende „Dr.“ kann ich mir schenken. Auch wenn mein Vater und meine Mutter darüber sehr traurig sein werden, haben sie doch ihr ganzes Leben lang auf dieses „Dr.“ hingearbeitet. Die einzige Ausnahme mache ich bei meiner Frau Nibal, bei der hab ich ja nichts zu melden, aber was soll’s: Gott ist eben mächtiger als ibn Saud [1].


1 Abd al-Aziz ibn Saud (1876-1953) entstammte der Dynastie der Saud und war der erste König und der Gründer Saudi-Arabiens.

Hochbrisante Informationen

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum haben sich zwei meiner Freunde angeboten, schon einmal ein bisschen die Gegend der deutschen Botschaft auszukundschaften und nach Informationen zu schnüffeln. Zurück kamen sie mit äußerst wichtigen und hochbrisanten Informationen. Unter anderem, dass der Botschafter ein großer Liebhaber von Deir ez-Zorischem Käse und Awas-Lammfleisch ist. Und genau in diesem Moment werden in einer Küche in Deir ez-Zor ein halbes Kilo Käse und eine Schafshaxe zubereitet, einschließlich einer Portion eingelegter Joghurtbällchen, da außerdem zu uns vorgedrungen ist, dass die Ehefrau des Botschafters eine Schwäche für diese lokale Delikatesse hat.

#delicious_german_viza

Kontakt zum Schwager des deutschen Botschafters

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum ist es uns gelungen, einen Kontakt zum Schwager des deutschen Botschafters herzustellen: ein herzensguter, hilfsbereiter Mann, der niemandem eine Bitte abschlägt. Und seine Frau erst! Dann stellte sich sogar heraus, dass zwischen dem Schwager des Botschafters und jenem Freund, der ihn für mich aufsuchte, eine entfernte Verwandtschaft besteht. Und schon nach dem ersten Besuch war der Schwager des Botschafters so weit, dass er ihn „Onkel“ nannte.

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Zusammenstellung der Dokumente

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum wurden jetzt sämtliche Dokumente und Zeugnisse, die ich mit meinem Visumsantrag einreichen werde, zusammengestellt. Unter anderem:

– Urkunde „Bester Pionier in Eloquenz und Rhetorik auf Landesebene“

– Urkunde „Aufstrebender Jungdichter“ vom 8. Kasem-und-der-Bauernhof [2]-Poesiefestival im Zentrum der Revolutionären Jugend in Idlib

– eine Kassette mit Aufnahmen des Schlagers Ich ess nix, ich trink nix, ich schaue bloß aus meinen Augen. Oooh! [3], eingesungen von mir in englischer und deutscher Sprache

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2 „Kasem und der Bauernhof“ ist der Name eines syrischen Spielzeugkonzerns, der mit einem gleichnamigen Spiel (eine Art syrische Version von Monopoly) bekannt wurde.

3 Berühmter Schlager von Samira Tawfiq, http://www.youtube.com/watch?v=2t7Iyt07uNs.

Begrenzte Fantasie der nationalen Einheit

Bei keiner der Odysseen des syrischen Exodus hat man bisher je beispielsweise von einem sunnitischen Fliehenden gehört, der Alawiten oder Christen, nachdem ihr Boot gekentert war, vor dem Ertrinken rettete und der, nachdem er das letzte Kind am Strand geborgen hatte, selbst ertrunken war. Oder gar von einem kurdischen Schleuser, dem das Herz wegen einer armen arabischen Familie schmerzte und der sie dann kostenlos, als Almosen, mit seinem Privatwagen bis nach Berlin geschmuggelt hätte.

Mir schwant, die Fantasie unserer nationalen Einheit ist ziemlich begrenzt.

Entschuldigung bei den Fans von al-Mannschaft

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum habe ich mich notariell von meinem Fußballfantum gegenüber der argentinischen Fußballmannschaft losgesagt und einen Eid abgelegt, der besagt, dass es sich dabei lediglich um eine jugendliche Torheit gehandelt hat. Ich werde mich offiziell bei den Fans von al-Mannschaft für die Peitschenhiebe und anderen Torturen, die ich ihnen während der Weltmeisterschaft zugefügt habe, entschuldigen.

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Verbreitung der Botschaft der Kampagne

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum werden zwei Kampagnenmitglieder zu Fuß sieben Länder durchqueren, um die Botschaft der Kampagne zu verbreiten. Ziel der Wanderung ist das Grabmal des unbekannten deutschen Soldaten. Man wird einen Blumenkranz auf den Schrein legen und die Fatiha-Sure lesen und was sonst noch an Koranversen zum Gedenken an den guten Mann passt. Außerdem wird man ein Grußwort ins Gästebuch eintragen.

Jubiläum der deutschen Korrekturbewegung

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum wurde vor der deutschen Botschaft in Beirut ein Zelt montiert, anlässlich des Jubiläums der glorreichen deutschen Korrekturbewegung [4]. Der Kampagnenvorstand hat bestätigt, dass die Anwesenheit von Kim Kardashians Hintern bei den Feierlichkeiten fast völlig zugesichert ist.

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4 Die syrische Korrekturbewegung 1970, auch als Korrektive Revolution bezeichnet, war der Staatsstreich der militärisch-pragmatischen Fraktion der Baath Partei, der Hafiz al-Assad, den Vater von Bashar al-Assad an die Macht brachte.

Ich schwöre

Ich schwöre, zu meiner Zeit war ich schicker als Larry King, aber seit meine Frau mir diese knalligen Sweatshirts in Rot und Gelb schenkt, weiß ich auch nicht, was aus mir geworden ist. Gottbewahre, dass mich der deutsche Botschafter so sieht!

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Modekollektion für das Vorstellungsgespräch

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum habe ich mir eine schwarze Hose aus Pfirsichsamt mit achtzehn Bundfalten und zwei Knöpfen maßschneidern lassen und mir passend dazu ein siebenfarbiges geblümtes Hemd mit weiten Ärmeln sowie ein Paar weiße Gummistiefel gekauft, die ich bei meinem Termin mit dem Botschafter tragen werde. Die Kleidungsstücke wurden an einen sicheren Ort gebracht, weitab von all dem Medienrummel. Dem breiten Publikum wird die Kollektion erst nach dem Vorstellungsgespräch präsentiert.

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Onkel Ghazi

Vor ein paar Stunden bin ich ein wenig eingenickt. Da träumte ich einen jener Träume, von denen es heißt, sie verheißen nichts Gutes. Ich träumte, dass uns mein Onkel Ghazi, der vor gut 15 Jahren verstorben ist, zu Hause besucht hat. Dann kam meine Mutter, begrüßte ihn und ging wieder. Onkel Ghazi wollte auch gehen und fragte nach meiner Mutter: „Wo ist Umm Assaf denn hin?“

Wir verrieten es ihm nicht. Dann fragte er ein zweites Mal, schon in der Tür stehend: „Wo ist Umm Assaf hin?“ Keine Antwort von uns. Dann wandte er sich direkt an mich: „Ok. Und wo ist der deutsche Botschafter?“ Ich sagte: „Komm, Onkel, es reicht, jetzt geh schon weg. Fällt dir denn niemand anderes ein als meine Mutter und der deutsche Botschafter, nach denen du fragen kannst? Von all den Leuten besuchst du ausgerechnet mich? Lass mich bitte erstmal die Sache mit dem Visum klären, dann können wir noch mal reden.“

Sponsoring der Kampagne

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum wurden jetzt alle eingereichten Bewerbungen zum Sponsoring der Kampagne ausgiebig studiert. In die letzte Runde haben es zwei eng miteinander konkurrierende Angebote geschafft: Die Kaugummifirma Siham [5] möchte sämtliche Slogans und Bilder der Kampagne auf alle ihre Produkte drucken lassen, dazu gäbe es noch eine Überraschungseinlage. So soll am Tag des Visumsinterviews ein Fallschirmspringer auf die Botschaft sinken, der einen Bauchladen voller Kaugummikugeln, von denen ein Stück eine Viertel-Lira kostet, umgeschnallt hat.

Dagegen steht das Angebot der Einrichtung für Militärisches Bauen [6], die die Montage von Fertigbau-Kiosken rund um die Botschaft plant, an denen am Tag des Vorstellungsgesprächs Schwarzmarkt-Zigaretten verkauft und rote al-Khazna-Limoflaschen – natürlich bedruckt mit dem Kampagnenslogan – kostenlos verteilt werden sollen.

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5 Siham ist eine seit 1950 existierende syrische Kaugummimarke.

6 Die Einrichtung für militärisches Bauen, die im Besitz von Verwandten von Hafiz und Bashar al-Assad ist, hatte während der 1980er- und 1990er-Jahre das Monopol über alle Bauverträge im öffentlichen Sektor.

Über die Weisheit

Als im Jahr 2003 der Krieg gegen den Irak begann, sagte der Mann meiner Tante, der seit 1949 im Militärdienst ist, zu meinem Vater: „Abu Assaf, ich möchte ein Zelt kaufen.“ Wozu er das wolle, fragte mein Vater ihn damals, worauf er antwortete: „Du weißt nicht, was noch alles passieren kann. Vielleicht müssen wir irgendwann aus unseren Häusern ausziehen und dann werden wir ein Zelt brauchen. Wenigstens könnte ich es, sollte der Krieg wirklich bis hierher kommen, am Euphrat aufstellen und mit meiner Familie darin wohnen.“

Das erzählte mir damals mein Vater, und ich erinnere mich, dass ich mir das ziemlich zu Herzen nahm. Ich gehöre zu denjenigen, die allgemein an das glauben, was man Weisheit und Lebenserfahrung nennt. Mit der Weisheit ist es so eine Sache: Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass du sie aus Büchern lernst. Am ehesten findest du sie bei denen, die das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen gelebt haben.

In meinem nächsten Leben würde ich allerdings gerne schon dann weise geworden sein, bevor die Tatsachen eingetroffen sind und es zu spät ist.

Verbreitung des Slogans

Im Rahmen meiner Kampagne für das deutsche Visum wurden drei schwarze Spraydosen gekauft, mithilfe derer die Wände der deutschen Botschaft in Beirut mit dem Kampagnenslogan besprüht werden sollen, einschließlich eines hochqualitativen Nagelknipsers, von dem unser Sprayer vor jeder Sprühaktion Gebrauch machen wird.

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Der Dichtung frönen

Langsam wird mir das zu blöd mit meinen täglichen Posts über Zähne, Visa und Frauen. Lasst mich erneut der Dichtung frönen.

Los, Junge, reich mir mal den Frön rüber!

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Der Flugzeug-Ornithologe

Der Flugzeug-Ornithologe ... Ein Gedicht, dessen Dichtung ich heute morgen gefrönt habe:

Jeden Tag fliegt sie an meiner Kaffeetasse vorbei,

wackelt mit ihren vier Brüsten,

stillt die Wolken mit der Milch der Entfernungen

und erweckt in mir die Lust auf Verrat

und Sex mit schlampigen Städten.

Hab Gnade mit mir, oh, Air-France-Maschine,

sind meine Träume doch schwanger mit Embryonen deutscher Visa.

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Telegramm an das französische Außenministerium

Vor einer Weile schrieb ich ein Telegramm an das französische Außenministerium. Ich schrieb ihnen, ich sei bereit, mit ihnen bezüglich jenes Franzosen, der sich ISIS angeschlossen hat, zu kooperieren, vor allem, da er ja auch in Mauretanien gelebt habe, und Mauretanien kenne ich ja bekanntlich wie meine eigene Westentasche. Ich schlug ihnen vor, sie sollten mir doch ein Visum schicken, dann könnten wir der Angelegenheit in Paris gemeinsam auf den Grund gehen.

Heute haben sie mir zurückgeschrieben. Das war in etwa der Wortlaut: „Danke, Missiö Assaf, für Ihr Interesse, wir werden Ihnen ein Visum nach Mauretanien schicken, um die Sache als Heimspiel zu erörtern.“

Nunja. Und jetzt bin ich verzweifelt auf der Suche nach einem deutschen ISIS-Kämpfer, der mal in Mauretanien gelebt hat. Oder in Sahnaya [7], würde auch gehen.

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7 Sahnaya ist ein Vorort von Damaskus und liegt in West-Ghouta. Dort lebte der Autor während der letzten fünf Jahre vor seiner Flucht.

Die Sandwich-Bestellung des Herrn Botschafters