Cover

Peter Knorr

Mallorca

Insel der Inseln

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Peter Knorr

Peter Knorr, geboren 1939 in Salzburg, ist einer der Urväter der deutschen Satirelandschaft. In den frühen sechziger Jahren als Kabarettist tätig, arbeitete Knorr zusammen mit Robert Gernhardt und Chlodwig Poth lange bei der legendären Satirezeitschrift «Pardon» und war einer der Begründer der «Titanic». Zusammen mit Bernd Eilert und Robert Gernhardt erdachte er in den achtziger und neunziger Jahren außerdem die Gags für Otto Waalkes. Peter Knorr lebt seit längerem in Frankfurt am Main und auf Mallorca. Seiner zweiten Heimat widmete er dieses Buch. «Originell und amüsant», urteilte der «Spiegel» über seine so liebevollen wie spöttischen Miniaturen von der Deutschen liebster Insel.

Über dieses Buch

Mallorca – Insel der Deutschen

 

Unter dem Motto «Wir sind ein Volk – aber wir brauchen besseres Wetter!» reist eine Nation Richtung Süden und bevölkert in Mallorca Strände, Kneipen, Discos. Ein Albtraum. Aber kein Grund, gleich die ganze Insel zu meiden, meint Peter Knorr, seit über zwanzig Jahren Kenner und Liebhaber Mallorcas. Ein wunderschönes Buch für Reisende, die ahnen, dass der wahre Urlaub erst hinter ihrem Hotel beginnt.

 

«Mit leisem, spitzem Humor und einem Hang zum Sarkasmus und zur Groteske geschildert, doch nie moralisierend. Peter Knorr hat eine launige Miniaturensammlung geschrieben, in der er Archetypen aus dem Bestiarium der Insel vorstellt.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

 

«Sehr lesenswert. Wer einen amüsanten, stellenweise ironischen Unterton mag, verfällt bei der Lektüre des Buchs schnell ins Lachen … herrlich!» (Hannoversche Allgemeine Zeitung)

Impressum

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2011

Die Erstausgabe erschien 2000 bei Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH, Frankfurt am Main

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Hamburg, nach dem Original vom Schöffling und Co. Verlag

(Abbildung: Hans Traxler)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-499-25624-0 (1. Auflage 2011)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-44401-0

www.rowohlt-digitalbuch.de

ISBN 978-3-644-44401-0

Fußnoten

1

Die erste Stimme klingt berlinerisch

2

Dem freundlichen, anhaltenden und intensiven Drängen des Frankfurter Verlegers Klaus Schöffling ist es zu verdanken, dass ich diese Geschichten und Gedichte geschrieben habe, die dann in seinem, dem Schöffling-Verlag, erschienen. Bei dem hier nun vorliegenden Rowohlt-Taschenbuch handelt es sich um die überarbeitete und um einige neue, bisher unveröffentlichte Texte erweiterte Ausgabe des ursprünglichen, längst vergriffenen Werkes.

Insel im Sommerloch

«Die ganze Küste der Insel bot sich der Versuchung der Abenteurer und Eroberer dar und den Ausdehnungsunternehmungen der Völker. Zufrieden in Bescheidenheit und müde geworden im Laufe der Geschichte, begnügt sie sich heute mit der ländlichen, ruhigen Existenz, die das gütige Schicksal ihr beschieden hat. Eine neue Kultur klopft jetzt an die Pforten: die Kultur des Fremdenverkehrs. Hier will man eine Villenkolonie errichten, eine Stadt am Strande zum Ausruhen und zur Erholung der begüterten Reisenden. So geht das geschichtliche Schicksal unerbittlich seinen Weg: als Schauplatz dauernder Überfälle und immer neuer Kulturen wird Mallorca auch jetzt den unbesiegbaren Einfall der Jazz-Kultur, des Cocktails und der Strandhäuser miterleben. Und dort, wo die römischen Triremen strandeten, wird sich das Girl in seinem seltsamen Badetrikot sonnen neben dem Yankee, der wie ein nordischer Athlet aussieht.»

Es ist vollbracht.

Vor sechzig Jahren prophezeite der spanische Reisende Jose Maria Salaverria die Unbesiegbarkeit des aufkommenden Tourismus in Mallorca. Hätte er eine etwas realistischere Vision von dem gehabt, was tatsächlich kommen sollte, er wäre zu Tode erschrocken auf den einsamen Strand hingesunken.

Wir dagegen wissen Bescheid: Das seltsame Girl geht oben ohne, der nordische Athlet trägt Bierbauch am Strand und beide gibt es in mehreren Millionen Exemplaren. Flugzeuge starten und landen im Minutentakt. Die Insel ist ganzjährig von Touristen überlaufen und läuft im Sommer über.

Die meisten Urlauber sind Deutsche. Der letzte Stand: Über zehn Millionen pro Jahr. Und das, obwohl ich seit langem predige: «Leute, bleibt weg. Es gibt Schöneres auf der Welt!»

Aber es bleibt niemand weg. Ich selbst schon gar nicht. Schließlich bin ich schon so lange da und weiß so gut, warum.

Und ach! Vorbei die Zeiten, in denen die gebildeten Stände und die schwerreichen Klassen Mallorca noch mieden oder sich zumindest schämten, als Mallorca-Reisende ertappt zu werden. Heute sagt niemand mehr «Wir waren dieses Jahr in Spanien», wo man doch nur auf Mallorca war. Die «Putzfrauen-Insel», das «Prolli-Ghetto», die «Kegelclub-Abfüllanlage», all diese herablassenden Bezeichnungen treffen nicht mehr. Denn die friedlichen Invasionstruppen auf dem «Schauplatz immer neuer Überfälle und immer neuer Kulturen» setzen sich längst aus ganz unterschiedlichen Kontingenten zusammen.

Unter dem Motto «Wir sind ein Volk – aber wir brauchen besseres Wetter!» reist man inzwischen preiswert gemeinsam an und verteilt sich dann getrennt über die Insel.

Vergessen solch läppische Zeitgeistphänomene wie die sogenannte Toscana-Fraktion! Die große Mallorca-Koalition aus kleinem, mittlerem und großem Geld, aus Urlaubskasse, Ladenkasse und schwarzer Kasse entspricht durchaus den gesellschaftlichen Verhältnissen zu Hause. Nur spürt man unter der wärmenden Sonne des Südens eben auch die soziale Kälte nicht mehr so.

Was des einen Traum: volle Strände, viele Menschen, Kontakte, Bekanntschaften, Discos und Alkohol bis zum Abwinken – ist des anderen Alptraum. Kein Grund, gleich die ganze Insel zu meiden!

Wer kann, kauft. Hier geht das Land weg wie im Supermarkt. «Darf’s eine Hügelkette mehr sein? Oder soll ich Ihnen noch ein Stückchen Küste abschneiden?» Die Überfremdung ist bedrohlich. Die Mallorquiner beginnen Verteidigungslinien aufzubauen; scheitern aber bislang an der historisch ungewohnten Erfahrung, dass man ihr Land diesmal nicht klaut, sondern kauft.

Strategisch klug haben sich die friedlichen Invasoren in konzentrischen Ringen auf der Insel festgesetzt. Tausende von Hotels in Strandnähe beherbergen Millionen Pauschalurlauber.

In zweiter Linie, nur wenig zurückgesetzt, nisten Apartment- oder Bungalowbewohner, von denen viele der heimischen Steuerbehörde nicht unbedingt mitteilen wollen, dass sie längst Besitzer dieser Unterkünfte sind. Und schließlich, drei bis zehn Kilometer von der Küste entfernt, aber immer noch mit schönem Meeresblick, erfreuen sich die wohlhabenden Klassen Europas ihrer prächtig ausgebauten Fincas oder luxuriösen Villen.

Das alles ist nur allzu bekannt. Jahr für Jahr – kaum bricht die neue Reisezeit wieder an – taucht Mallorca, der große Sommerlochfüller, in den deutschen Medien auf wie ein Ersatzatlantis für die Daheimgebliebenen, erfährt man aber auch restlos alles über der Deutschen Lieblingsinsel. Die deutschen Fernsehsender senden deutsche Fernsehsendungen von der Insel; die Schönen und Reichen, Prominenten und Geltungsbedürftigen erhalten ausgiebig Zeit, sich zu zeigen und ihresgleichen anzulocken, was immer noch gelingt.

Und jeder neue Versuch, das sogenannte «unbekannte Mallorca» ins Bild zu setzen, bleibt lediglich eine Variation der vorangegangenen.

Zur Zeit sind etwa einhundert deutschsprachige Bücher auf dem Markt, die sich zum Thema Mallorca in allen nur denkbaren Facetten äußern. Themenhefte der großen Reisezeitschriften erledigen den Rest. Kein Turm, kein Stein, kein wichtiges Gebäude, keine historische Figur, kein Brauchtum, kein Markt, kein Museum, kein Freizeitangebot, kein Landgasthaus, kein Luxusbordell, das nicht längst entdeckt, beschrieben und gepriesen wäre!

Dankenswerterweise legen neunzig Prozent aller Mallorca-Besucher aber gar keinen Wert auf die sensationelle Information, dass hinter ihrem Hotel auch noch was ist. Solange davor das schöne blaue Meer nicht verschwindet und die Bar in der Nähe nicht schließt, ist das Mallorca genug. Selbst der saisonale Stadthaus-, Landsitz- oder Apartmentbewohner bewegt seinen Fuß oder die mitgebrachte Limousine in sommerlicher Urlaubshitze nur selten ins staubige Hinterland. Warum auch?

Sind nicht das Schattenplätzchen am Pool und der eisgekühlte Drink in Gesellschaft lieber Freunde das einzig Verlässliche in einer unbekannten und womöglich äußerst gefahrvollen Welt? Der Strand vor allem ist für jeden sicher! Er ist der geeignete Platz zur Aufbewahrung und Bräunung von Kindern, sowie für kurze, ebene und gefahrlose Wege. Auf Wanderungen und Exkursionen dagegen kann man auf fremdsprachige Menschen oder unbekannte Tiere stoßen, deren Ungefährlichkeit in keinem Falle erwiesen ist. Man kann von Felsen stürzen, sich verirren oder verhungern, respektive aus Sorge um diese Gefahren schwermütig werden.

Am Strand passiert das alles nicht. Am Strand ist es schön.

Und so könnte es geschehen, dass die bekannteste aller Inseln sich für viele Millionen Besucher den Reiz des Unbekannten bis in alle Ewigkeit bewahren wird, weil sie sowieso nur baden gehen wollen. Ich kann das verstehen.

Wäre mir damals, vor langer Zeit, bei meinem ersten Mallorca-Besuch nicht am Strand dieses Girl in dem seltsamen Badetrikot begegnet, das unbedingt die ganze Insel kennenlernen wollte – wer weiß, ob ich so oft wiedergekommen wäre und mich schließlich ganz für sie entschieden hätte. Für ihre Schönheit, ihr sonniges Wesen, ihr bedächtiges Temperament und ihre freundliche Art, mit mir umzugehen. Für die Insel also.

Stimmen in südlicher Nacht[1]

«Ich traue meinen Augen kaum –

ist das ein Jacaranda-Baum?»

 

«Nein, das ist die Feige,

auf die ich grade zeige.»

 

«Aber das sind Mandeln?»

«Ich lasse mit mir handeln.»

 

«Ach, und dort der Lorbeerstrauch!»

«Quittenbusch nennt man ihn auch.»

 

«Dies muss die Zitrone sein.»

«Leider ist die Antwort nein.»

 

«Na, dann ist es Ginster.»

«Nein, du Depp, nur finster.»

Vom Klatschen der Menschen beim Landen

Warum kommt der Pilot nicht aus seiner Kabine und verbeugt sich? Jahrzehntelang war und noch immer ist es ein wenn auch seltener werdender Brauch: wenn das Urlauber-Flugzeug auf der Landebahn des Flughafens von Palma de Mallorca aufgesetzt hat, klatschen die Passagiere in die Hände. Niemand hat sie dazu aufgefordert, niemand gibt den Einsatz und niemand bedankt sich für den oft heftigen kollektiven Applaus.

Während der Hochsaison landen die Maschinen in Abständen von drei Minuten. Versucht man, sich den Applaus der beklatschten Landungen in den letzten dreißig Jahren in seiner Summe vorzustellen, so ergibt sich eine die akustische Phantasie sprengende Großovation für die Idee des Massentourismus. Auch wenn der Einzelklatscher in der konkreten Klatschsituation das nicht so gemeint haben mag.

Aber was wird da im Einzelnen in jedem Urlauber-Flugzeug wirklich beklatscht, sobald die Maschine gelandet ist? Was macht uns applaudieren? Fassungslos dankbares Staunen darüber, dass der uralte Menschheitstraum vom Fliegen unbegreiflicherweise genau zu Ferienbeginn in Nordrhein-Westfalen in Erfüllung gegangen ist, kann es ja wohl nicht sein.

Wahrscheinlich ist es Erleichterung.

Erleichterung darüber, nun doch nicht, wie vage zu befürchten war, abgestürzt oder abgeschossen worden zu sein, oder entführt, gefoltert und verkauft, versklavt, schlecht behandelt und häufig belogen. Applaus also für die glückliche Rettung.

Aber in Linienmaschinen wird nie geklatscht. Auch bei der Ankunft von Eisenbahnzügen, Reisebussen oder Schiffen an ihrem jeweiligen Zielort gibt es keinen Applaus, obwohl auch diese Transportmittel zu den allerschönsten Orten führen können und nicht selten in katastrophale Zusammenhänge geraten.

Nein, Applaus bedeutet immer Anerkennung und Lob. Naheliegenderweise gilt im Flugzeug beides dem Piloten, dem es gelang, die Urlauber sicher an ihr Ziel zu bringen. Die Leute sind freundlich und würdigen das. Buhrufe und Pfiffe kommen selbst nach unangenehm turbulenten Flügen, stundenlangen Verspätungen und miserablem Service nicht vor.

Natürlich gibt es immer einzelne, weltläufige Reisende von gehobener Lebensart, denen solche Pauschal-Reise-Rituale wie dieser Gruppenapplaus zuwider sind. Den Blick fest in die Zeitung gekrallt oder scheinbar teilnahmslos durchs Fenster über das hochinteressante Flughafenvorfeld gerichtet, rühren sie keine Hand.