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Für Poppy, Oscar, Felix
Solongo, Louise und Mogens

I have immortal longings in me.
Shakespeare, Antony and Cleopatra

To fill the present and to be filled by it
to the point where identity fades to nothing.

Ian McEwan, A Child in Time

INHALT

ICH SEHNE MICH NACH UNSTERBLICHKEIT

Vorwort von Elisabeth Plessen

ZURÜCK NACH BERLIN

Molière, Der Menschenfeind, nach Enzensberger, 1979 · Fallada, Jeder stirbt für sich allein, 1981· Die äußere Größe einer Inszenierung· Ghetto, 1984· Überhaupt mal etwas über Stückfassungen· Noch einmal über Musik

DIE ZWEITE FLUCHT AUS BERLIN

Baumeister Solness, 1983 am Münchner Residenztheater· Wieder Musi · Die Hochzeit des Figaro, 1983 in Stuttgart· Noch mal Musik · Zurück nach München· Die wilden Fünfziger · Yerma, 1985 · Autobiographie· Kopfspiel Stuttgart

HAMBURGER INTENDANZ 1985–1988

Ein kleiner Exkurs über Geld · Die Provinzialität der Kritik in Deutschland · Andi · Meine Genesung in Vecoli

ZWISCHEN HAMBURG UND BERLIN 167

Shylock · Ivanov, 1990 in Wien · Rosee Riggs · Offene und geschlossene Form · Der Mauerfall November 1989 · Brecht und das BE · DDR-Erfahrungen · Neugierde · Der blaue Engel, 1992 im Theater des Westens

DAS BERLINER ENSEMBLE 1992–1995

Das Fünfer-Direktorium 1992 bis 1995 · Das Fünfer-Direktorium, das Vierer-Direktorium und Einar Schleef · Das Wunder von Mailand, 1993 · Heiner Müllers Duell Traktor Fatzer · Der Jasager und der Neinsager, 1993 · Antonius und Cleopatra, 1994 · Fragen meines Verlegers Helge Malchow · Die Jasager- und Neinsager-Tournee · Mondlicht von Harold Pinter, 1996 · Nochmals Heiner Müller · Nochmals Einar Schleef · Die Lautstärke, ein zentraler Punkt für die Bewertung von Theaterarbeit · Irrationalismus · Unterschiedliche Arbeitsweisen von Schauspielern in Ost und West · Nochmals ein bißchen zum zeitgenössischen Theater · Das Ende des BE-Direktoriums 1995 · Deborah Kaufmann · Uwe Bohm und Eva Mattes· Gert Voss

DIE WANDERJAHRE

Der Kirschgarten im Akademietheater, 1996 · Wien · Alice in Wonderland Münchner Kammerspiele,1996 · Richard III. Münchner Kammerspiele,1997 · Kleine Unterhaltung mit Helge Malchow über Dekonstruktion/Regietheater · Englische Schauspieler · Die englische und die deutsche Art des Theaters · Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, 1998 · Ein Flash Black zu den Anfängen meiner Liebe für Debussy · Offene Form · Allgemeines zur Arbeit mit Schauspielern/noch ein paar Fragen von Helge Malchow · Major Barbara/Julia Jentsch · Sarah Kane, Gesäubert, 1998 · Zwischenfrage: Warum habe ich nie Büchner inszeniert? · Nochmals Gesäubert, Ulrich Mühe · Neil La Bute, Bash Hamburger Kammerspiele,2001 · Hamlet, Angela Winkler, 1999 · Hamlet oder König Lear · Uli Wildgrubers Tod · Rosmersholm, 2000 · 2001, der 11. September · Der Jude von Malta, 2001 · Irakkrieg, Weltzustand · Nochmals 11. September · Die Nacht des Leguan, 2002 · Mutter Courage und ihre Kinder, 2003 · Ibsen · Peer Gynt · Der Totentanz, Strindberg 2005 · Zum Bühnenbildner Karl Kneidl · Was ihr wollt · Die Krankheit · Der Abbruch der Inszenierung von Was ihr wollt· Die zwei auserwählten Völker: Juden und Aristokraten· Die Entstehung einer Inszenierung· Major Barbara – eine Aufführung entsteht· Schaffensperioden· Luigi Pirandello, Nackt, 2008· Gedanken über das Alter, das Theater und den Tod

ANHANG/MATERIALIEN

WERKVERZEICHNIS

REGISTER

BILDNACHWEIS

Ich sehne mich nach Unsterblichkeit

Vorwort von Elisabeth Plessen

Peter und ich haben uns oft darüber unterhalten, welchen Titel wir dem dritten Band seiner Autobiographie geben könnten. Dieser Band sollte ja niemals der letzte sein, denn seine Autobiographie war auf das Engste mit seiner Arbeit verknüpft, neben unserem Leben. Er wollte immer weiter inszenieren, genauso wie er zu leben nicht aufhören wollte, und sollte die Kraft für die Bühne nicht mehr reichen, hätte er mit seinen Schauspielern eben Hörspiele hergestellt oder junge Leute, die Regisseure werden wollten, und junge Schauspieler unterrichtet. Er wollte noch einen vierten und fünften und sechsten Band, Helge Malchow sollte ihn interviewen und ich die Bücher schreiben. Helge Malchow hörte diesen Plänen schmunzelnd zu und machte sich seine stillen Gedanken. So wie Peter das Theater ständig neu erfand, wollte er auch sein Leben fortlaufend erfinden. Es passte nicht in ein einziges Buch, das dann ›Autobiographie‹ hieße.

Die Wanderjahre, der Titel war mir eingefallen, Our Way sagte Peter, denn die Jahre, die der Band von 1980 bis 2009 umfaßt, sind ja unsere Jahre, Jahre einer intensiven, symbiotischen Lebens- und Arbeitspartnerschaft, und da wir kaum getrennt waren, auch nicht bei seinen oder meinen Krankenhaus-Aufenthalten, wo der eine mit dem anderen einzog, riß der ständige Dialog nicht ab. Doch liegt der Tenor von Peters Erzählung eindeutig auf seiner Arbeit, er hat unser Privatleben stets abgeschirmt und behütet und, auch aus Angst, es könnte beschädigt oder benutzt werden, niemals an die Öffentlichkeit zerren wollen. Also habe ich mich fürs Wandern entschieden, Nomade, Zigeuner, der er war, und zusätzlich, weil eine unserer Lieblingsmusiken Schuberts Wanderer-Fantasie ist. Ein Witz-Titel zwischen uns war Koffer auf Rädern, der an seinen Vater erinnerte, denn der Vater befürchtete jederzeit während des Zweiten Weltkriegs wieder interniert zu werden, wie es ihm in England bereits im ersten Krieg geschehen war. Die Mutter hatte Rollschuhe unter diesen Koffer geschraubt, damit er nicht so schwer wäre – die heutigen Rollkoffer gab es ja damals nicht. Wie sein Vater hatte Peter stets einen gepackten Rollkoffer bereit, nur war seiner als Fluchtkoffer wohin-auch-immer gedacht, ein marineblaues schönes englisches Exemplar aus Paris.

Wie bei den beiden Bänden, die den Wanderjahren vorausgehen, My Way und Die heißen Jahre, beruht auch dieser Band in seinem Ursprung auf Gesprächen, die Peter mit Helge Malchow führte. Ich habe ihn dann jeweils weiter befragt, weil ich noch mehr wissen wollte, und die Erzählung zu einer Erzählung gemacht.

Zu einer dritten Gesprächsrunde mit Helge Malchow, für Anfang Juli 2009 in unserem Haus in Vecoli geplant, kam es nicht mehr. So sind Die Wanderjahre im doppelten Sinn ein Vermächtnis, eines an uns und eines von mir an Peter, denn er hat den vollständigen Text, mit dem Inszenieren von Major Barbara in Zürich beschäftigt und der Erholung danach, nicht mehr zu Ende gelesen. Und Inszenieren war ihm immer wichtiger als jedes Buch, selbst als sein eigenes. Hinterher freute er sich, wenn er es in der Hand hielt, darin las und es verschenken konnte. Er blieb seinem Motto treu: Mein Leben war eigentlich ein Leben im Theater, das kann man nicht anders sagen. Wenn ich irgendwo auf der Welt ein Theater betrete, bin ich zu Hause. Das Theater ist für mich, wie man immer so schön sagt, die Welt … Er verwandelte sich, sowie er ein Theater betrat.

Er hatte noch so viele Pläne. Die Wunschliste der Stücke war lang, sie hätte Jahre und viele Theater auf Jahre füllen können. Endlich hatte er den Schauspieler gefunden, in dem er seinen neuen Ulrich Wildgruber sah, und darüber war er glücklich, wie verjüngt. Er hatte 2007 in der durch Krankheit leider abgebrochenen Inszenierung von Was ihr wollt Robert Hunger-Bühler, der den Malvolio spielte, für sich entdeckt. Er besetzte ihn als Andrew Undershaft in Major Barbara und plante mit ihm als seine nächste große Shakespeare-Inszenierung Timon von Athen. Dieses Stück lag ihm sehr am Herzen, weil es den Nerv des Zeitgeistes trifft, doch sagten ihm die augenblicklichen Herren der großen deutschsprachigen Bühnen dafür alle ab. Das begriff er nicht, und es enttäuschte ihn maßlos, zu Recht. Ferner dachte er für Hunger-Bühler an T. S. Eliots Cocktail Party und Pirandellos Heinrich IV. Den Tod eines Handlungsreisenden, den er auch mit ihm hatte machen wollen, verwarf er nach längerem Nachdenken schließlich doch, das Stück deprimierte ihn zu sehr, wie auch Tankred Dorsts Ich soll den eingebildet Kranken spielen. Und wie gern hätte er mit teilweise anderer Besetzung Was ihr wollt wieder aufgenommen und in Wien zur Premiere gebracht. Auch diesen Wunsch griff niemand auf. In seinem Hamburger Zuhause der letzten Jahre, im St. Pauli Theater, wollte er als Zwischenschritt zu den großen Inszenierungen kaum bekannte Einakter von Tennessee Williams auf die Bühne bringen, die vor Endstation Sehnsucht geschrieben waren, This Property is Condemned zum Beispiel oder The Traveling Companion, und Peter dachte über Caryl Churchills Stück Seven Jewish Children – A Play for Gaza für das kleine, alte Theater auf der Reeperbahn nach. Mit Uwe Bohm plante er wieder etwas sehr, sehr Großes, ein Uraltplan: Marlowes Tamerlan. Und ein langjähriger Plan war, seitdem Peter am Odéon in Paris mit Isabelle Huppert in der Rolle der Isabella Mésure pour Mésure inszeniert hatte, auch Endstation Sehnsucht mit ihr zu machen. Juliette Binoche, die so lange schon mit Peter arbeiten wollte, sollte die Stella spielen. Da Binoche mit der kleineren Rolle sicherlich nicht zufrieden gewesen wäre, hatte er vor, beide Schauspielerinnen alternierend die Blanche und die Stella spielen zu lassen. Er hatte sich bereits diverse Theater angeguckt, Produktionszeiten und -kosten und Co-Produktionen erwogen. Die Zofen war das zweite Stück, das Peter mit den beiden Stars machen wollte. Im kommenden September sollte er an der Wiener Staatsoper mit Hindemiths Cardillac Dominique Meyers neue Spielzeit eröffnen und freute sich darauf. Endlich wieder Musik im Zentrum! Sein Team stand fest. Er sprudelte die Stücke und die Themen, die ihn interessierten, einfach so heraus. Und ich hätte ihm die Texte, wenn es nötig war, gern ins Deutsche übertragen, da er meine Sprache so liebte. Es war noch so viel zu tun.

Dieser nun doch letzte Band der Autobiographie um- oder überspannt die große Schaffensperiode von 1980 bis 2009 und viele Stationen seines Lebens zwischen Berlin, Wien, München, Stuttgart, Paris, Salzburg, Hamburg und Zürich. Der Bogen reicht von der Berliner Freien Volksbühne unter Kurt Hübner, dem Schiller Theater unter Boy Gobert, dem Burgtheater unter Claus Peymann, den Münchner Kammerspielen unter Dieter Dorn bis zur eigenen Intendanz am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Mitte der 8oer Jahre und führt weiter zum Fünfer-Direktorium am BE und weiteren Wiener Inszenierungen bei Klaus Bachler bis zu den kleineren Hamburger Theatern, den Kammerspielen und dem St. Pauli Theater unter Uli Waller. 30 Jahre prägender, tonsetzender europäischer Theatergeschichte. In der Zeit entstanden nicht nur die wilden Revuen wie Jeder stirbt für sich allein, Ghetto und Andi, sondern auch die unvergessliche Monsterunternehmung namens Lulu und dazwischen, quasi als Atempause und Rückbesinnung auf die Peter so wichtige, innere Intensität, die lange Reihe der Kammerstücke oder Kammermusiken. Ich will nur einige nennen: Yerma, Baumeister Solness, Wenn wir Toten erwachen, Ivanov, Der Kirschgarten, Rosmersholm und Hamlet mit Angela Winkler, was beides war – das Jahrhundert umfassend und in der Konzentration nach innen auf die reine Gegenwärtigkeit der Bühne gerichtet. Peter wußte sehr wohl, wie er die Zeit aufhob und den Tod, den er so absurd fand, wegspielte.

Es war eine unruhige Zeit, nicht nur markiert durch den Fall der Berliner Mauer, es war ein unruhiges Leben auf ständiger Suche, wobei Peter unbeirrt seinem basso continuo folgte: den Stücken der Autoren, denen er sich stellte, und seinen Lieblingen, den Schauspielern wollte er dienen, deren Phantasie freisetzen und beleben, gegen alle neuen Moden um ihn herum.

Unser Auto – und es waren immer die schönsten, unsozialsten Coupés, nur für uns zu zweit – glich, wenn er wieder zu einem neuen Theater unterwegs war, jedesmal einem Möbelwagen, vollgestopft mit Büchern, Manuskripten, LPs, CDs, Videos, DVDs, die zehn Paar Schuhe und zehn verschiedenen Mäntel – für jedes Wetter sollte ein Paar bzw. ein sehr bedacht ausgewählter Mantel schützen – gar nicht eingerechnet. Ich habe Peter gesagt, daß ich in meinem dritten Beruf zur Packerin und Fernfahrerin geworden sei. Wie viele Wohnungen haben wir im Lauf der Jahre gemietet! Allein in Wien waren es acht, die dann vom Salzfaß bis zur stimmigen Liste der diversen Ärzte aus dem Boden gestampft und mit unserem Leben gefüllt werden mussten. Und wie viele habe ich in den Städten angeschaut und verworfen, bis die ruhige, einigermaßen mögliche gefunden war.

Der Tod seiner Freunde und Weggefährten – Robert Muller, Kurt Hübner, Grüber, Guy Peellaert – nahm ihn sehr mit. Auch Harold Pinters Tod. Damit war für ihn eine große Ära nicht nur des englischen, sondern des zeitgenössischen Theaters unwiderruflich zu Ende gegangen. Im Gegenzug dazu beschäftigte er sich mehr und mehr mit seinen Jugendfreunden und bestellte sich ihre Bücher bei Amazon, auch wenn er die Freunde aus den Augen verloren hatte oder es sie nicht mehr gab – Bernice Rubens, die 1947 seine Salome gewesen war und erst später zu schreiben begann, der Lyriker Peter Vansittart, Bernard Levin, der ehemalige Kolumnist der Times und des Observers, Emanuel Litvinoff, der das jüdische East End seiner Kindheit in London porträtiert hatte …

Peter sagt in einem seiner letzten Interviews: Alter ist eine Belastung und ein Irrtum der Natur. Vollkommen unnötig. Genau wie Sterben. Ich finde, Sterben ist eine Absurdität. Wenn man endlich wirklich etwas vom Leben versteht, dann stirbt man. Es ist, als ob Gott zu feige wäre, zuzulassen, daß es Leute auf der Welt gibt, die ihn durchschauen.

Cleopatra träumt sich noch einmal zurück auf ihre Barke, noch einmal zurück zum Cydnus, um Antonius zu treffen, während der Nilwurm, der ohne Schmerzen tötet, an ihrer Brust liegt und sie schon gebissen hat. Ich wünsche mir, daß ich die Zeit um dreißig Jahre zurückdrehen könnte, um mein Leben mit Peter noch einmal zu beginnen.

Hamburg im Oktober 2009

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