Gunter Pirntke

 

Rodrigo Borgia – Der verkannte Papst

 

Impressum

Digitalisierung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke

ISBN: 9783955018771

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Inhalt

Impressum

Vorwort

Einleitung

Herkunft und Aufstieg

Das Konklave

Die Geliebten

Vanozza de’ Cattanei

Giulia Farnese

Die Kinder

Cesare Borgia

Juan Borgia

Lucrezia Borgia

Jofré Borgia

Giovanni Borgia

Das Pontifikat

Nachbetrachtung

Personen und Erscheinungen

Karl der VIII.

Links gefaltete Hände, rechts gespreizte Schenkel

Ludwig XII.

Fegefeuer der Eitelkeiten

Niccolò Machiavelli

"II Principe" und Cesare Borgia

Der Glanz der Farnese

Der Chronist

Schlussbemerkungen des Autors

Die sündige Familie

Ist der Ruf erst ruiniert…

Quellenverzeichnis

 

Vorwort

 

 

 

Es gibt nicht wenig Menschen im Verlauf der Geschichte, die verkannt, verleumdet und verfemt wurden und deren heutiges Bild durch jahrhundertlangen Einfluss geprägt wurde.

 

Ich stellte dies bereits bei meinen Recherchen über den sächsischen Premierminister Graf Heinrich von Brühl fest und konnte mir dann bei der Suche im Sächsischen Staatsarchiv ein völlig anderes Bild machen.

 

Zu dieser Zeit, wo ich an „Brühl“ arbeitete, war gerade die Honkonjunktur der Borgia-Serien im Fernsehen angebrochen.

 

Borgia ist eine international koproduzierte Fernsehserie, die unter anderem vom ZDF und dem ORF kofinanziert wurde. Im Zentrum des Geschehens steht die Familie Borgia und deren Familienoberhaupt Rodrigo Borgia, der als Papst Alexander VI. bekannt wurde. Die Serie ist ein Konkurrenzprodukt zur US-amerikanischen Fernsehserie Die Borgias mit Jeremy Irons in der Hauptrolle.

 

Da manche Episoden der Serie eine FSK-Freigabe ab 16 oder sogar 18 Jahren haben, sind die TV-Ausstrahlungen im ZDF zensiert worden. Dabei wurden aber nicht nur Sex- und Gewaltszenen entschärft, sondern zum Teil auch normale Handlungsszenen entfernt. Insgesamt wurden 58 Minuten in der Fernsehversion von Borgia nicht gezeigt.

 

Bereits beim ersten Betrachten wurde deutlich, dass künstlerische Freiheiten wesentlich mehr dominierten, als historische Details. So wird Juan in der Serie zum Beispiel als der älteste Sohn dargestellt, obwohl Historiker heute übereinstimmen, dass er jünger als Cesare gewesen sein muss.

 

Weitere Beispiele:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Drehbuchautor Tom Fontana hat das elfjährige Pontifikat Alexanders auf ein knappes Jahr eingedampft und dabei jeden Blödsinn zusammengerührt, der seit Jahrhunderten über die Borgias im Umlauf ist, mit Vorliebe Anekdoten, die erwiesenermaßen von Neidern und Rivalen in die Welt gebracht wurden.

 

Lucrezia darf also wieder einmal die Giftmörderin geben und ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder Cesare pflegen. Von homosexueller Vergewaltigung (Cesare als das Opfer) über Kastration (mehrfach und im Detail) bis zum versuchten Kindsmord (diesmal durch Cesare) wird nichts ausgelassen, was sich garantiert nicht zugetragen hat.

 

Besonders schlimm wird es, wenn in einem sadistischen Höhepunkt zwei Attentäter wie Schweine an den Beinen aufgehängt und von den bald bluttriefenden Henkersknechten bei lebendigem Leib durchgesägt werden. Fontana behauptet, er habe gründlich recherchiert, aber diese Art Strafe gehörte nicht einmal im dunkelsten Mittelalter zum Repertoire. Sie findet sich allerdings auf einem zeitgenössischen Holzschnitt von Lucas Cranach, der die „Marter des Hl. Simon“ darstellt. Andererseits war der katholischen Kirche der Gedanke nie fremd, mit Verweis auf die Märtyrer-Legenden das Volk drastisch zu erziehen.

 

Die deutschen Söldner sind eine Horde dumpfer Schläger, der französische König ist eitel und perfid, die italienischen Kardinäle wichtigtuerische Intriganten, aber dafür wie die Frauen immer aufs Schönste gewandet. Von der Stigmatisierung bis zum Exorzismus fehlt nichts von der durch Dan Browns Historienschinken angefachten antikatholischen Folklore.

 

Auf den Comment der Zeit wird wenig Rücksicht genommen, damit sich die Männer als regelmäßige Gäste in der Kemenate und sogar im Nonnenkloster aufhalten können und die Frauen sich über eine „Ehe ohne Liebe“ beklagen können. Bei Borgia, dessen Hofhaltung berüchtigt war für ihre geizige Frugalität, gibt es ständig Party und wahlweise Gelage, der Papst beschwört das ewige Rom, und die tagesfrische Renaissance, und die Kardinäle haben sich zu einer Dauersitzung versammelt, als wär's Angela Merkels Kabinett.

 

Der schwächste Punkt ist: Lucrezia. Sie erscheint als dummes, flatterhaftes Ding, das durch unberechenbare Liebschaften und religiöse Wahnvorstellungen taumelt, wobei, wie auch der kirchenferne Zuschauer dankbar bemerken wird, immer Gelegenheit zu Entblößungen an den richtigen Stellen gegeben wird.

 

Auch ProSieben hat mit „Die Borgias“ im keinen Schulfunk angeboten. Aber anders als die europäische Version, die unter dem Deckmantel historischer Authentizität und Gelehrigkeit allerlei menschliche Widerlichkeiten genüsslich in Szene setzt, hat Neil Jordan, Produzent von „The Borgias“, die historische Vorlage gleich als spannenden Agententhriller aufgefasst, in dem Brieftauben geheime Depeschen und Dienstboten vergifteten Rotwein durch die Kulisse tragen.

 

Jede Episode der bereits mit einem Emmy ausgezeichneten Miniserie wird durch einen klaren Plot vorangetrieben: Die Pilotfolge „Der vergiftete Kelch“ inszeniert zum Beispiel in knappen Zügen die komplette Machtergreifung Rodrigos bis hin zum Giftmord an seinem Widersacher Orsini. Die ZDF-Fassung braucht allein zwei Folgen, diverse Schauplätze und unüberschaubar viele Ränkespiele, bis Alexander VI. überhaupt zum Papst ausgerufen wird.

 

Der Übersichtlichkeit halber dichten die Amerikaner Cesare Borgia gleich ein Verhältnis mit seiner kleinen Schwester an, sparen sich aber den cholerischen Charakterzug des Borgia-Bastards, der ihn für den Zuschauer so unausrechenbar macht. Beim ZDF hackt der junge Mann dagegen einem Rivalen erst mal ohne Ankündigung einen Finger ab, später opfert er sein neugeborenes Kind nach biblischem Vorbild seiner Gottesfüchtigkeit und ist auch sonst ein recht unsympathischer Geselle.

 

Die US-Verfilmung verlegt Cesares Aufenthalt während des Konklaves von Pisa (historisch!) nach Rom (praktisch!), damit der heißspornige Sohn den ehrgeizigen Vater beim Kampf gegen seine nur schemenhaft skizzierten Feinde mit allen (auch unchristlichen) Mitteln unterstützen kann. Beim ZDF schwirrt einem angesichts der vielen Namen, Orte, Untaten bald der Kopf – auch ob der vielen Kardinäle im Konklave, die sich mal hier verfeinden, mal dort verbünden.

 

Die Machtpolitik der italienischen Stadtstaaten wird zwar in „Borgia“ ähnlich minutiös aufgefächert wie der Charakter Cesares, aber die Belehrung über die geopolitische Gemengelage wirkt angesichts der saftigen „Privatszenen“ dann doch wie das berühmte Feigenblatt. Ein bisschen bigott kommt diese zur Schau getragene Beflissenheit schon daher, mit der dem Zuschauer die Geschichte der Renaissance in der öffentlich-rechtlichen Variante als hehres Ringen um eine authentische Darstellung serviert wird.

 

Wer ausreichend kunsthistorisches Vorwissen mitbringt, kann die Anspielungen und Randfiguren der Inszenierung dechiffrieren und schätzt also an der ZDF-Verfilmung vor allem den Distinktionsgewinn. Wer sich bisher für die Borgias nicht interessierte und vom Pantoffelkino vor allem Unterhaltung erhofft, wartete auf den „Gegenpapst“ von ProSieben. Dort wurde zwar weniger Körperflüssigkeit verspritzt, der historischen Wahrheit kam man aber auch nicht so recht auf die Spur.

 

Diese Aufzählung könnte man fortsetzen. Es war also an der Zeit, sich mit dieser Sache näher zu beschäftigen. Ich begab mich also in das päpstliche Archiv, war Stammleser in den verschiedensten Bibliotheken und was herauskam, ist dieses Buch.

 

Einleitung

 

 

 

 

Ohne Zweifel gehört Alexander VI. zu den schillerndsten Papstgestalten. Die Schlagzeilen seiner Biografie lesen sich eher wie die eines Mafiapaten als die eines Heiligen Vaters: Korruption, Erpressung, Giftmorde, Skandale, Orgien im Vatikan, Inzest.

 

„Der unheimliche Papst“ nennt ihn denn auch der Schweizer Historiker Volker Reinhardt. Der französische Schriftsteller Stendhal sah ihn als die „gelungenste Inkarnation des Teufels auf Erden“.

 

Ein Monster, der Antichrist leibhaftig, so urteilten schon die Zeitgenossen über Alexander. Verschlagen sei dieser Pontifex maximus, ein Meister der „dissimulazione“, der Täuschung, befand der venezianische Gesandte in Rom, Girolamo Donato.

 

Tatsächlich rief der Name Borgia neben Bewunderung auch Angst und Schrecken hervor, und das sollte er auch. Die Feinde sollten sich fürchten – und fügen.

 

Wer es nicht tat, musste damit rechnen, erdrosselt oder erdolcht aus dem Tiber gezogen zu werden. Andere sollen am Gift der Borgia gestorben sein. Die Söldner und Mordbuben Cesares, der die Truppen des Vaters befehligte, kannten keine Gnade. „Jede Nacht findet man in Rom vier, fünf Ermordete – Bischöfe, Prälaten und andere Leute; die ganze Stadt zittert vor dem Herzog“, berichtete ein Botschafter nach Hause.

 

Jede Nacht? Bei den Borgia weiß keiner so genau, wo „die Fakten enden und die Legenden einsetzen“, warnt Reinhardt. Zeitgenössische Chronisten hätten vieles „dazuerfunden“.

 

Zu den Legenden gehört natürlich die Geschichte, nach der Rodrigo Borgia für seine Wahl einen teuflischen Pakt einging.

 

Man will ihn gesehen haben, wie er sich mit zwei Dämonen vor dem Hauptaltar der Kirche von Santa Maria Maggiore traf.

 

Am Ende soll ihn der Teufel persönlich geholt haben; so bezeugte es der junge Geistliche Gian Pietro Carafa, der im Sterbezimmer Alexanders zugegen war.

 

Der selbst ernannte Augenzeuge wurde als Paul IV. später selbst Papst – und einer der leidenschaftlichsten Beförderer der Inquisition. Wie glaubhaft sind solche Berichte von Gegenspielern, die ihre ureigenen Machtinteressen hatten?

 

Wirkungsvoll waren sie auf jeden Fall. Der Teufelsglaube war Ende des 15. Jahrhunderts weit verbreitet. Die kulturglänzende Epoche der Renaissance zeigte sich auch als Zeit der Endzeitfurcht; Dürer schuf in diesen Jahren seine düsteren Holzschnitte der Apokalypse.

 

Hexenverfolgungen ängstigten die Menschen. Alexanders Vorgänger Innozenz VIII. hatte die Inquisition mit der päpstlichen Bulle „Summis desiderantes affectibus“ legitimiert und den Hexenwahn damit noch befeuert. Es waren düstere Jahrzehnte des Unrechts und der Grausamkeit, während gleichzeitig grandiose Ideen und Erfindungen geboren wurden, der Horizont der Welt sich weitete. Just im Jahr der Wahl Rodrigo Borgias zum Papst entdeckte Kolumbus die Neue Welt. Alexander VI. sollte es denn auch sein, der das Territorium zwischen Spanien und Portugal aufteilte.

 

Selbst dabei holte er sich seinen Profit heraus, in dem Fall ein Herzogtum für seinen Lieblingssohn Juan. Das war ein Dankeschön für gute Dienste – immerhin hatte der Papst die spanischen Könige Isabella und Ferdinand um einige Längengrade und damit riesige Einflusszonen begünstigt, auch wenn die Portugiesen das später erfolgreich monierten.

 

Alexander VI. hat den Nepotismus nicht erfunden. Verwandtenbegünstigung, Ämterkauf und persönliche Bereicherung waren in der Kirche schon länger verbreitet und trieben nun neue Blüten. Papst Sixtus IV. (1471–1484) aus der Familie della Rovere etwa beförderte gleich sechs Familienmitglieder in Kardinalswürden.

 

Das noch vom Großen Abendländischen Schisma geschwächte Papsttum tat alles, um seine wiedererlangte Herrschaft in Rom auszubauen und sich Einnahmen zu verschaffen. Dazu ließ sich der Vatikan neuerdings nicht nur kirchliche Verwaltungsakte teuer bezahlen, sondern er begann, Posten zu schaffen und diese zu verkaufen.

 

Rodrigo Borgia kannte die schmutzige Praxis, seit ihn sein Onkel, Papst Calixt III., 1457 zum päpstlichen Vizekanzler bestallt hatte.

 

Das Amt, das Rodrigo antrat, war in Bedrängnis, ein weitgehend politischer Posten, der ein Reich verteidigen musste. Frankreichs König Karl VIII. marschierte in Italien ein, am Silvestertag 1494 stand er in der Ewigen Stadt. Der Papst musste in der Engelsburg Schutz suchen.

 

Doch wie so oft hatte Alexander den längeren Atem: Mit einer „Heiligen Allianz“ europäischer Verbündeter konnte er den Eindringling schließlich ganz zurückschlagen.

 

Doch die Macht und die Gebiete, die er gewann, nutzte er vor allem zur Bereicherung seiner Familie: „All sein Trachten richtet sich darauf, seinen Söhnen Staaten zu verschaffen“, lautete das Urteil des Venezianers Donato.

 

Seinen eigenen Sohn Cesare hatte er schon zum Kardinal gemacht, als der gerade 17 Jahre alt und noch nicht einmal zum Priester geweiht war. Insgesamt 16 Bischofstitel häufte Cesare an; doch ließ er sich bald von seinen Kirchenämtern befreien, um sich ganz der Kriegsführung widmen zu können.

 

Seine Schwester Lucrezia, auch sie illegitimes Kind der Lieblingsmätresse Vanozza, wurde unterdessen wie ein Kapital aus dem Familienvermögen hin- und herinvestiert in immer neue Hochzeiten, stets maximal gewinnbringend; die alten Ehemänner ließ mutmaßlich Cesare mit Hilfe von Würgeschlingen beseitigen.

 

Dass Kirchenfürsten Kinder mit Geliebten zeugten, war in der Epoche normal, nicht jedoch, dass sie die illegitimen Sprösslinge als leibliche Nachfahren anerkannten. Das tat Alexander bei mindestens sieben Kindern.

 

Lucrezia soll er vergöttert haben. Die selbstbewusste junge Frau, die im Kloster viele Fremdsprachen, auch Latein und Griechisch, studiert hatte, forderte die Kirchenwelt heraus. In einer Zeit, in der gebildete Frauen als Hexen verbrannt wurden, ging sie im Vatikan ein und aus, verkehrte ganz selbstverständlich mit den höchsten geistlichen Würdenträgern, wurde vom Vater in seiner Abwesenheit sogar einmal als Stellvertreterin eingesetzt.

 

Das musste provozieren.

 

Lucrezia Borgia wurde zur Femme fatale. In späteren Jahrhunderten, vor allem durch die französische Romantik, war sie die Giftmischerin, der männermordenden Salome gleich. Ihr Vater, dessen Appetit nach Frauen legendär war, soll mit ihr Inzest getrieben, sogar ein Kind gezeugt haben.

 

Reinhardt hält das für „abwegig“: Alexander habe genug willige Gespielinnen gehabt, die Blutschande hätte sein Image verheerend geschädigt. Schriftsteller wie Dumas oder Victor Hugo, auch der Komponist Gaetano Donizetti sorgten dafür, dass der düstere Borgia-Mythos weiterlebte, obwohl Lucrezia sich als spätere Herzogin von Ferrara mit Krankenfürsorge, der Kunstförderung und großem Geschäftssinn als Einzige der Familie ein ehrbares Ansehen erwarb.

 

Während sie dämonisiert wurde, erntete ihr brutaler Bruder Cesare, der sogar die Ermordung seines Bruders Giovanni veranlasst haben soll, Lob; der Renaissance-Philosoph und Diplomat Niccolò Machiavelli hebt ihn in seinem berühmten Werk „Der Fürst“ als „Vorbild“ eines machtbewussten Herrschers heraus. Noch Friedrich Nietzsche feierte um 1880 Cesare als einen „Virtuosen des Lebens“, ihm gefiel dessen Ruchlosigkeit wider die christliche Moral.

 

Manche hielten gar den Sohn für den eigentlichen Spiritus Rector von Alexanders Pontifikat. Falsch, meint Reinhardt, der Papst habe ganz klar die Fäden in der Hand gehabt, Vater und Sohn hätten vielmehr eine perfekte Rollenteilung betrieben mit Cesare als Mann fürs Grobe. Er führte das Terrorregime in Rom und der Romagna, mit dem die Familie den alten Feudaladel von seinem Besitz verdrängte. Vater und Sohn ließen auch den venezianischen Kardinal Giovanni Michiel vergiften, um sich dessen Besitztümer anzueignen.

 

Der Fall erregte ein solches Aufsehen, dass der nachfolgende Papst Julius II. 1504 dazu einen Kriminalprozess anstrengte.

 

Zorn und Hass auf die Borgia wuchsen, doch nur wenige trauten sich, öffentlich gegen die mächtige Familie aufzutreten.

 

Es brauchte erst einen Girolamo Savonarola, jenes berühmten, aber auch berüchtigten Bußpredigers aus Florenz, der zum Märtyrer werden sollte. Er wird heute verklärt dargestellt, doch am Ende wollte er auch nur eines: Macht.

 

Alexander ließ den Mönch exkommunizieren. Doch auch die Machtkämpfe um das von Savonarola damals beherrschte Florenz führten dazu, dass der Eiferer ins Gefängnis geworfen, gefoltert und schließlich am 23. Mai 1498 öffentlich hingerichtet wurde.

 

In all den Wirren und Skandalen führte einer akribisch Buch: der deutsche Zeremonienmeister des Papstes, Johannes Burckard, ein prinzipientreuer Traditionalist. In seinem Tagebuch notierte er alles, was im Vatikan und auch außerhalb vor sich ging.

 

Es kam nie zum offenen Bruch, aber begann sich der Chronist so für die Nachwelt zu distanzieren vom Skandal-Papst? Immerhin kopierte Burckard auch einen anonymen Brief, angeblich aus einem spanischen Heerlager an einen italienischen Edlen gesandt, in dem der Heilige Vater als „Verräter der Menschheit“, „Feind Gottes, Belagerer des Glaubens Christi und Unterwühler der Religion“ angeprangert wird; alles sei „beim Papste käuflich: Würden, Ehren, Ehebünde und -scheidungen“.

 

Der wohl fiktive Brief datiert vom 15. November 1501.

 

Da neigt sich Alexanders Pontifikat schon dem Ende zu. Der Papst stirbt im August 1503 überraschend nach plötzlichem Unwohlsein am Fieber.

 

Die Macht der Borgia stürzt nun wie ein Kartenhaus zusammen. Cesare landet später in einem spanischen Kerker, kann fliehen und stirbt 1507 schließlich bei einem Kampf.

 

Bei aller Wut, die nun gegen die Borgia losschlug: Von der Kurie wurde Alexanders Amtszeit hinter vorgehaltener Hand als durchaus erfolgreich bewertet.

 

Als Herrscher des Kirchenstaates hatte er sich ja durchaus klug gezeigt, das politische Gleichgewicht in Italien zwischen Frankreich und Spanien zu erhalten versucht, urteilen etwa August Franzen und Remigius Bäumer in ihrer Papstgeschichte. Für die Kirche allerdings, so ihre Bilanz, war sein Pontifikat dennoch „ein Unglück“.

 

Noch sein Tod löste wilde Gerüchte aus: War er womöglich selbst Opfer einer Vergiftung geworden? Hatten er und sein Sohn versehentlich aus Pokalen getrunken, die eigentlich für ihre Feinde bestimmt waren? Die Forschung hält längst auch eine profanere Ursache für möglich: Malaria.

 

Der Rest ist Legende.

 

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Die Kritik an dem landläufigen Geschichtsbild von den verbrecherischen und sittenlosen Borgia, das etwa Alexander VI., um nochmals Stendhal zu zitieren, als die gelungenste Inkarnation des Teufels auf Erden erscheinen lässt, beschränkt sich nicht etwa auf den Versuch, lediglich einen Teil der gegen die Borgia erhobenen Vorwürfe zu entkräften oder zu mildern. Sie versucht vielmehr nachzuweisen, dass dieses Geschichtsbild in seiner Gesamtheit mit den historischen Tatsachen nicht vereinbar ist und die Borgia das Opfer einer Legendenbildung geworden sind. So vertritt etwa Susanne Schüller-Piroli in einem 1963 erschienenen Werk mit dem Titel „Borgia. Die Zerstörung einer Legende“ die Auffassung, dass das Bild der Borgia im Laufe der Zeit eine regelrechte Dämonisierung erfahren hat.

 

Dies ist freilich nur eine von vielen Kritiken an dem herkömmlichen Borgia-Bild. Schon der den Päpsten sicher keine übermäßige Sympathie entgegenbringende Voltaire hat sich über die Verteufelung der Borgia lustig gemacht. Der große katholische Historiker der Päpste, Ludwig von Pastor, distanzierte sich von dem ausschließlich negativen Borgia-Bild ebenso wie der liberale Ferdinand Gregorovius, der nach einem eingehenden Quellenstudium in seiner Biografie über Lucrezia Borgia nachwies, dass diese sicher nicht das giftmörderische Ungeheuer war, als das sie vielfach dargestellt worden ist. Allerdings sieht auch das Bild, welches Pastor und Gregorovius von den Borgia zeichnen, immer noch wenig vorteilhaft aus. Die wohlwollendsten Beurteilungen der Borgia findet man häufig bei protestantischen, angelsächsischen Historikern. Es seien hier nur die Namen von Roscoe, Creighton, einem anglikanischen Bischof, und Garnett genannt. Nicht zu Unrecht meint daher Will Durant in seiner „Kulturgeschichte der Menschheit“ etwas skeptisch, dass sich das Urteil dieser Autoren über die Borgia durch große Milde auszeichne. Sein eigenes Urteil über die Borgia unterscheidet sich dann allerdings von dem der eben genannten Autoren wenig. Die wohl leidenschaftlichste Verteidigung der Borgia findet sich in dem fünfbändigen Werk des Paters Peter de Roo „Material for a History of Pope Alexander VI“.

 

Insgesamt kann man sich jedoch — trotz de Roo — nicht des Eindrucks erwehren, dass die Borgia in der Regel um so milder beurteilt werden, je weniger nah der Beurteilende der katholischen Kirche steht. Bei der Frage, ob dies Zufall ist oder tiefere Gründe hat, sollte man vielleicht eine Tatsache nicht außer acht lassen:

Aus heutiger Sicht scheinen die Borgia römischen Cäsarengestalten wie Caligula und Nero näher zu stehen als unserer Gegenwart. Gleichwohl waren die Borgia-Päpste Calixt III. und Alexander VI. — von einer Ausnahme abgesehen — die letzten nichtitalienischen Päpste der Kirchengeschichte bis zu dem am 16. 1o. 1978 zum Papst gewählten Polen Karol Wojtyla. Zugleich waren sie nach dem „Exil“ der Päpste von Avignon, an dessen Beendigung Calixt maßgeblichen Anteil hatte, das einzige nichtitalienische Geschlecht, das wie die großen italienischen Häuser der Colonna, Orsini, Conti, Gaetani, Medici, della Rovere als Familie, oder besser als Dynastie, die Macht im Vatikan ausgeübt hat.

 

Nach den von den Italienern als Maranen — eine Bezeichnung für getaufte, aber ihrem Glauben treugebliebene Juden — bezeichneten Borgia hat es bis zur Wahl von Johannes Paul II. nur einen nichtitalienischen Papst gegeben. Dies war der ehemalige Erzieher Kaiser Karls V., der Holländer Hadrian VI. Er wurde am 9. I. 1522 zum Papst gewählt, trat sein Amt am 31.8. 1522 an und verstarb schon ein Jahr später am I 5. 9. 1523. Es wurde von Gift gesprochen.

Im Gegensatz zu den Borgia-Päpsten war Hadrian, der als einziger der Renaissancepäpste ernsthaft den Versuch unternommen hat, die Kirche zu reformieren, über jeden moralischen Zweifel erhaben. Gleichwohl oder gerade deshalb zog sich Hadrian den unversöhnlichen Hass der Römer zu. über seinen Tod berichtet Gregorovius: „Nicht der Tod Alexanders VI. war in Rom mit solcher Freude begrüßt worden. Die ausgelassene Jugend bekränzte die Haustüre des päpstlichen Arztes und heftete darauf die Inschrift: >Dem Retter des Vaterlandes. Der Senat und das Volk von Rom.< Als den vielleicht Einsamsten der Päpste hat ihn der Historiker Heinz Kühner wohl zu Recht bezeichnet.“

 

Der Hass, der diesem völlig integren Papst entgegengeschlagen ist, spricht sicher nicht gegen die Meinung derer, die, wie etwa Susanne Schüller-Piroli, die Auffassung vertreten, der Hass gegen die Borgia sei weniger eine Folge ihrer Sittenlosigkeit als ihrer Herkunft und der Tatsache gewesen, dass sie es unternommen haben, die Macht des römischen Adels im Kirchenstaat zu brechen.

 

 

 

Herkunft und Aufstieg

 

 

 

Die Borgia (italienisch) oder Borja (spanisch und valencianisch) waren eine aus Spanien (genauer: der heutigen Autonomen Region Valencia) stammende Adelsfamilie. Die Borgia stammen aus dem Königreich von Valencia, im Süden der Konföderation der Krone Aragón, vor allem aus València und Xàtiva. Die Familie kam zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Italien zu Macht und Reichtum.

 

Die Borgiafamilie stammte aus dem Dorf Borja in Aragón. Sie pflegten ihre Wurzeln und sprachen auch in Rom innerhalb der Familie die katalanische Sprache. Roderic Llançol i de Borja wurde als Sohn des aus Valencia stammenden Jofré de Borja y Escrivà (1390–1436), Sohn von Rodrigo Gil de Borja i de Fennolet und Sibilia d’Escrivà i de Pròixita, und der aus Aragonien stammenden Isabel de Borja y Llançol (1390–1468), Tochter von Juan Domingo de Borja und Francina Llançol, geboren.

Andere Quellen sprechen aber dafür, dass er als unehelicher Sohn seines „Onkels“, des späteren Papstes Calixt III., geboren wurde; seine Mutter war eine Schwester Calixts.

 

Der Familienname wird Llançol in Valencia geschrieben. Die allgemeine spanische Schreibweise ist Lanzol. Rodrigo nahm den Familiennamen Borgia an, als sein Onkel mütterlicherseits, Alonso de Borja, zum Papst gewählt wurde. Dieser regierte als Papst Kalixt III. von 1455 bis 1458 und ermöglichte Rodrigo de Borja den Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie.

 

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Wappen der Borgia

 

Rodrigo Borgia studierte zunächst – ab etwa 1453 – in Bologna kanonisches Recht1, nachdem er von seinem Onkel bereits mit zahlreichen lukrativen Pfründen ausgestattet worden war, unter anderem als Kanonikus in Xàtiva. Er war zwar kein Priester – das wurde er, wie damals nicht unüblich, erst Jahre später – dennoch ernannte ihn sein päpstlicher Onkel am 20. Februar 1456 zum Kardinaldiakon von San Nicola in Carcere und bereits im darauffolgenden Jahr zum „Vizekanzler der Heiligen Römischen Kirche“. Dieses auf Lebenszeit verliehene Amt und seine zahlreichen Pfründen – Rodrigo stand etwa 30 Bistümern als Titularbischof vor – machten ihn zu einem der reichsten Männer Europas. Ab 1458 war er in commendam Kardinaldiakon von Santa Maria in Via Lata. 1471 wurde er Kardinalbischof von Albano und 1476 von Porto.

 

Schauen wir uns zunächst den ersten Papst aus dem Geschlecht der Borgia etwas genauer an.2

 

Er wurde als Sohn von Juan Domingo de Borja und Francina Llançol in Xàtiva, einem Ort in València, geboren. Alonso stammte aus dem spanischen Geschlecht der Borja, das dem niederen Landadel angehörte und im Laufe der Zeit verschiedene Führungspositionen in Valencia eingenommen hatte. Seine Schwester war Isabella de Borja y Llançol, die mit Jofré de Borja y Escrivà (Jofré de Borja) verheiratet wurde und Mutter des späteren Papsts Alexander VI. war. Er studierte zunächst kanonisches Recht in Lleida und begann 1408 seine kirchliche Laufbahn. 1411 wurde er zum Kanoniker an der Kathedrale von Lleida ernannt, ein Amt, für das der Familie Borja offensichtlich ein Vorschlagsrecht zustand. Um diese Zeit prophezeite der dominikanische Bußprediger Vicente Ferrer dem jungen Kleriker, dass er einmal Papst werden würde. Alonso, der einen hervorragenden Ruf als Kenner des kanonischen Rechts genoss, wurde zunächst vom Gegenpapst Benedikt XIII. als Berater an seinen Hof gerufen. Benedikt war einer von damals drei rivalisierenden Päpsten, die allerdings durch das Konzil von Konstanz enthoben und durch den 1417 neugewählten Martin V. ersetzt wurden. Alonso trat deshalb in die Dienste des Königs von Aragón, Alfons V. Dort fiel ihm vor allem die Aufgabe zu, in den Verhandlungen mit der Kurie die Interessen des Königs durchzusetzen. So verlangte Alfons für die Einstellung seiner Unterstützung der Gegenpäpste (Clemens VIII. und Benedikt XIII. hatten sich geweigert zurückzutreten) zahlreiche Zugeständnisse. Alfons konnte durch den Einsatz des versierten Juristen die Durchsetzung seiner Ansprüche beim Papst erreichen; Clemens, dem Alonso die Botschaft persönlich überbracht hatte, trat daraufhin zurück.

 

Auf Fürsprache des Königs wurde Alonso 1429 zum Bischof von Valencia erhoben; wie damals üblich, musste der neue Bischof dem König die Würde finanziell ablösen.

 

Für Alfons, der den Thron von Neapel zu usurpieren gedachte (das Königreich Neapel war ein päpstliches Lehen) und die französischen Anjou vertrieben hatte, verhandelte Alonso mit dem Papst, mittlerweile Eugen IV., und erreichte 1439 einen Waffenstillstand mit Rom. Alonso führte sowohl im Auftrag des Königs die Verhandlungen mit dem örtlichen Adel um die Anerkennung der neuen Herrschaft als auch 1443 mit dem Papst, der schließlich die Herrschaft Alfons’ über Neapel anerkannte; im Gegenzug entzog der König dem Konzil von Basel − Sammelpunkt der innerkirchlichen Opposition gegen den Papst − seine Unterstützung.

 

Als Anerkennung für seine Dienste erreichte Alfons die Verleihung der Kardinalswürde, die Alonso 1444 als Kardinal von Valencia erhielt. Entsprechend den Sitten der Zeit begann er nun, die Karriere zweier Neffen zu fördern: dabei handelte es sich um die Söhne seiner Schwester Isabel, Rodrigo de Borja und Pedro Luis de Borja3. Ersteren holte er 1449 zu sich nach Rom.

 

Unter dem 1447 zum Papst gewählten Humanisten Tommaso Parentucelli, der den Namen Nikolaus V. annahm, kam es in Italien zu weitreichenden Veränderungen: die Sforza bestiegen den mailändischen Herzogsthron (Francesco Sforza war einer der Condottiere Alfons’ in Neapel gewesen) und mit dem Fall Konstantinopels am 29. Mai 1453 gewann die Kreuzzugsidee neue Bedeutung.

 

Nach dem Tod Nikolaus’ V. 1455 standen sich im Konklave, das am 4. April des Jahres begann (und an dem 15 Kardinäle teilnahmen − so wenige werden es nie mehr sein), die Fraktionen der Colonna und der Orsini gegenüber. Doch keine der beiden Seiten war imstande, ihren Favoriten durchzusetzen. Der zunächst als Kompromisskandidat eingeführte Kardinal Bessarion scheiterte, damit schlug die Stunde des mittlerweile 77-jährigen Katalanen. Alt und von untadeligem Ruf, dazu ein versierter Jurist, schien der Kardinal von Valencia keine ernsthafte Bedrohung der herrschenden Interessen zu sein. Am 8. April 1455 erfüllte sich die Prophezeiung Ferrers und Alonso wurde gewählt. Der Grund der Namenswahl war zweideutig: Es könnte ein Eigenlob sein (griech. Kallistos, der Schönste, Glänzende) oder auch eine Anspielung auf den Santo Cáliz, den in Valencia verehrten Abendmahlskelch Jesu („Heiliger Gral“).

 

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Kalixt III. ernennt Enea Silvio Piccolomini zum Kardinal – Fresko von Pinturicchio

 

Sein Pontifikat stand zwar unter den Zeichen des Kampfes gegen die Türken, die das Abendland bedrohten, doch war er der erste Papst, der einem geradezu schrankenlosen Nepotismus huldigte. Seine anfängliche Zurückhaltung in dieser Hinsicht gab er 1456 auf. Im Februar 1456 wurden Rodrigo de Borja und sein Neffe Luis Juan de Milà zu Kardinälen ernannt. Bald zeigte sich, dass Kalixt III. in übergroßem Maß Verwandte und katalanische Landsleute förderte, was den ohnehin wenig volksnahen Spanier in Rom geradezu verhasst machte. Bereits 1457 wurde Rodrigo zum Vizekanzler der Kurie ernannt − einem Amt auf Lebenszeit, das als das wichtigste Amt nach dem Papst gilt und jedenfalls als das einträglichste der Kurie. Dazu wurde er zum Hauptmann der päpstlichen Truppen bestellt, während Pedro Luis die Kommandantur der Engelsburg und zahlreiche kirchliche Lehen übertragen erhielt.

 

Bald geriet Kalixt in einen Konflikt mit seinem früheren Förderer, dem König von Aragón, der als Alfons I. auch den Thron von Neapel innehatte. Während die Auseinandersetzungen eskalierten, sah der Papst im neapolitanischen König das Haupthindernis für sein größtes Anliegen, nämlich die Rückeroberung Konstantinopels und ein neuer Kreuzzug. Der König drohte dem Papst mit einem Konzil zu seiner Absetzung und der Papst mit dem Entzug des kirchlichen Lehens Neapel. Als Alfons auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen am 27. Juni 1458 starb, verweigerte er dessen Sohn Ferrante (dem späteren König Ferdinand I.) die Krone und zog das Lehen ein. Sein Neffe Pedro Luis wurde mit den Vikariaten von Terracina und Benevent belehnt, die bislang der verstorbene König innehatte, dazu wurde er mit der Führung der Truppen im unausweichlichen Krieg gegen die Aragonesen betraut − das Königreich Neapel sollte, so Kalixt’ Absicht, seiner Familie zufallen. Rodrigo, als Alexander VI. später selbst Papst, sollte diese Idee für seinen Sohn Cesare Borgia neuerlich aufgreifen.

 

Als Ende Juli Kalixt schwer erkrankte, stürzte das Machtgeflecht der Borgia zusammen: Pedro Luis musste die Engelsburg übergeben, während die Orsini ihre verlorenen Kastelle zurückeroberten. Am 6. August 1458 starb Calixtus in Rom.

 

Er veranlasste eine Revision des Prozesses gegen Jeanne d’Arc, in deren Verlauf sie rehabilitiert wurde, und sprach den Dominikaner Vicente Ferrer heilig, der ihm einst die Papstkrone vorhergesagt hatte.

 

Kalixt III. war nicht nur ein hervorragender Jurist, sondern auch den Glaubensanliegen verpflichtet, wie sein Engagement in Sachen Konstantinopel beweist. Er führte ein einfaches Leben, war jeder Prunksucht abgeneigt, hielt eine einfache Tafel und hatte keine Affären, und auch keine Kinder, was ihn aus der Vielzahl geistlicher Würdenträger der damaligen Zeit heraushob. Dies alles war auch ausschlaggebend für seine Wahl, dazu war er bereits alt. Auch hatte er als Kardinal seine Verwandten nicht mehr als üblich gefördert.

 

Den gewählten Päpsten wurde zugestanden, zumindest einen Verwandten zum Kardinal zu erheben, und auch die Belehnung von Verwandten mit kirchlichen Lehen und die Vergabe von einträglichen Pfründen war durchaus üblich und wurde akzeptiert. Da er bis zu seiner Papstwahl keinerlei Anzeichen der damals üblichen Macht- und Geldgier zeigte, meinte man, Alonso werde seine Zurückhaltung auch als Papst beibehalten.

 

Tatsächlich enthielt sich Kalixt weiterhin aller Affären oder eines aufwendigen Lebenswandels, nicht jedoch des Nepotismus. Auch seine Vorgänger − etwa Bonifaz VIII., der seine zahlreiche Verwandtschaft mit einer Vielzahl von Lehen bedachte − huldigten diesem Prinzip, doch keiner tat es so aggressiv wie Kalixt. Kleinere, erbliche Güter den Verwandten zukommen zu lassen, war durchaus verbreiteter Brauch. Zum ersten Mal aber sind unter Calixt die Bestrebungen des Papsttums darauf ausgerichtet, einem Papstnepoten ein über eine Grafschaft hinausreichendes Herrschaftsgebiet (in diesem Falle das Königreich Neapel) zu verschaffen. Mit dem Jahr 1458 beginnt eine Phase des Nepotismus, die man als territorialen Nepotismus bezeichnen kann. Für alle nach ihm folgenden Päpste sind die Mauern des Anstandes und der Selbstbeschränkung eingerissen. Sie werden in Zukunft auch nicht vor Mord oder Kriegen für die Güter ihrer Nepoten zurückschrecken.

 

Und mit einem Gerücht musste er, wie auch später sein Neffe Rodrigo immer kämpfen, dass die Borgias ein Judengeschlecht waren. Der Verdacht, die Borgia könnten Anhänger einer von der christlichen Kirche bekämpften Religion sein, hat schon die Fantasie ihrer Zeitgenossen stark beschäftigt. Dies um so mehr, als die getauften Juden in Spanien eine sehr bedeutende Rolle spielten.

 

Doch es gibt für diese Annahme nicht den geringsten Beweis.

 

Welches Blut auch immer in den Adern der Borgia geflossen sein mag, eines steht mit Sicherheit fest: Die Borgia waren nach ihrer ganzen Mentalität und ihrem Selbstverständnis Spanier. Sie sprachen untereinander spanisch. Selbst in der Öffentlichkeit unterhielt sich Alexander, besonders wenn er freudig erregt war, mit seinen Kindern auf spanisch. Spanisch war fast die gesamte engere Umgebung der Borgia, von den Leibgarden Alexanders und Cesares über Hauslehrer und Hofstaat bis hin zu Michelozzo, dem berüchtigten Meuchelmörder in Cesares Diensten.

 

Spanisch waren der ausgeprägte Sinn der Borgia für prunkvolle Hofetikette, Lucrezias Vorliebe für spanische Mode und Tänze, ebenso wie ihre Begeisterung für den Stierkampf. Rodrigo brachte den spanischen Nationalsport nach Rom, Cesare in die Romagna. Nach mehreren Todesfällen wurde er aber wieder abgeschafft.

 

***

 

Kehren wir zu Rodrigo zurück. Dem weiblichen Geschlecht war er trotz seiner Kirchenwürden sehr zugetan und verbarg dies – typisch für die Renaissance – kaum vor der Öffentlichkeit. Dass der freizügige Lebenswandel, bei vielen der zeitgenössischen Prälaten üblich, durchaus auch in der Kurie auf Widerspruch stieß, ist durch ein Schreiben Papst Pius’ II.4 – den Nachfolger seines Onkels als Papst - dokumentiert, in dem er den jungen Prälaten wegen seines Sexuallebens rügte.

 

Und das geschah folgendermaßen: Gleich nach seiner Wahl berief Pius daher einen Fürstenkongress ein, der ein einheitliches Vorgehen der Christenheit gegen die Türken zum Ziel hatte. Dieser fand in Mantuas statt. Der Vizekanzler der Kirche Rodrigo tauchte in den Berichten über den Kongress nur einmal auf. Borgia war offensichtlich der Auffassung, dass der Verzicht auf die Annehmlichkeiten Roms kein Grund sei, auf jede Art von Vergnügung zu verzichten. Er nahm sich den mantuanischen Hof zum Beispiel, zu dessen Hauptvergnügen im Sommer Ruderpartien auf den ausgedehnten Gewässern und Kanälen der Umgebung zählten. Im Verein mit den Kardinälen Colonna und dEstouteville besorgte er eine Barke, die mit ihren Sängern und Musikanten bald zu einer geschätzten Bereicherung der Bootspartien wurde. Pius II. schien diese Art von Freizeitgestaltung seiner Kardinäle dem Anlass dieses Kongresses alles andere als angemessen, und er brachte dies auch deutlich zum Ausdruck.

 

Die so gerügten geistlichen Weltmänner scheinen aber nicht nur mit ihrer Barke, sondern auch durch ihr Auftreten bei den im Sommer so zahlreich stattfindenden Gesellschaften in den Lustschlössern an den Ufern der Wasserwege Eindruck gemacht zu haben.

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Papst Pius II. unter einem Baldachin, geschmückt mit seinem Wappen; Fresko von Pinturicchio

 

 

Und ein weiterer Rüffel ist in den Analen verzeichnet: Seine Vorliebe für das schöne Geschlecht war an der Kurie notorisch. Pius richtete dann auch ein zornentbranntes Schreiben 1460 an den damals neunundzwanzigjährigen Kardinal:

Es sei ihm zu Ohren gekommen, dass er auf einem Gartenfest zu Siena wie ein liebestoller Galan in Erscheinung getreten sei; Auftritte dieser Art solle er bitte im Interesse seiner eigenen Reputation und der Würde des Heiligen Stuhls künftig unterlassen.

 

Die in ihm enthaltenen Vorwürfe hat er dann zwar später in einem weiteren Schreiben abgemildert. Vermutlich nachdem sich sein erster Zorn gelegt hatte, dürfte ihm klar geworden sein, dass es im Interesse aller Beteiligten liegen würde, dem Ganzen eine möglichst harmlose Deutung zu geben.

 

Doch Pius hätte sich auch an seine eigene Nase fassen können, denn vor seiner kirchlichen Laufbahn führte Enea Silvio Piccolomini, wie er mit bürgerlichen Namen hieß, ein Leben als Dichter und Lebemann und war in seinem Wirken ebenso widersprüchlich wie später als Papst.

 

Am 19. August 1458 wurde Enea Silvio Piccolomini in einem dreitägigen Konklave in Rom zum Papst gewählt und am 3. September inthronisiert. In seinen Memoiren erinnerte sich Pius II. mit Abscheu an das abgekartete Spiel im Konklave. Die Wahl seines Papstnamens gilt als Anspielung auf den pio Enea, den ‚frommen Äneas“, von Vergil.

 

Als Papst war Piccolomini nun ein entschiedener Verfechter des Papalismus und kämpfte für die Entscheidungsgewalt des Papstes in allen kirchlichen und weltlichen Belangen. So erließ er am 18. Januar 1460 die Bulle Exsecrabilis, die eine Appellation an ein allgemeines Konzil gegen den Papst mit der Exkommunikation belegte. Damit war dem Konziliarismus ein wichtiges Instrument aus der Hand genommen.

 

Hatte man bisher nur die Macht des Christentums in Europa im Blick, so bahnte sich nun die Säkularisierung an, was Piccolomini lange vor seinem Papstamt bewusst war. Dies hat ihn sehr besorgt, denn er wollte die alte päpstliche Machtfülle wiederherstellen. Um Macht ging es auch in der Auseinandersetzung mit Georg von Podiebrad, dem König von Böhmen. Der vorgeschlagene Staatenbund-Plan und die Verweigerung des Obedienzeides bescherten ihm einen großen Streit.

 

In dem deutsch-kanadischen Historienfilm >Das Konklave< werden die Umstände, die zur Wahl von Pius II. führten, aus der Sicht des damals noch jungen Rodrigo Borgia erzählt.

 

Seine Stimme bei der Wahl von Papst Sixtus IV. hatte Kardinal Rodrigo Borgia eine Abtei mit vielen Burgen und einem stolzen Schloss als Gegenleistung eingebracht. Dieses „Geschenk“ zeigt, wie viel sein Votum schon dreizehn Jahre nach dem Tod Calixtus’ III. wert war. Als Vizekanzler hatte Rodrigo Borgia nach dem Papst die meisten Kontakte zu den europäischen Herrschern, die er durch Gewährung von Gnaden gewogen stimmen konnte. Das Geschick, das er bei solchen Geschäften an den Tag legte, wurde an der Kurie rasch legendär.

 

Er verfügte nach einhelligem Zeugnis der Zeitgenossen über eine ungewöhnliche Beredsamkeit, gepaart mit psychologischem Scharfblick und juristischer Sachkenntnis. Das alles machte ihn zu einem Meister in der Kunst des Verhandelns. Allerdings wurden seine dabei erzielten Erfolge nicht nur auf diese Qualitäten, sondern mindestens ebenso sehr auf die Fähigkeit zurückgeführt, sein Gegenüber über seine wahren Absichten zu täuschen und dabei auch den kleinsten Vorteil rücksichtslos auszunutzen. Strenger denkende Zeitgenossen mochten dieses Gebaren missbilligen, doch auch sie mussten einräumen, dass die Kurie solche Kardinäle brauchte. Die gegenwärtigen Zeiten verlangten nach Kirchenfürsten mit politischer Durchsetzungsfähigkeit.

 

Die Päpstliche Kanzlei (Cancellaria Apostolica) war eines der ältesten Ämter der Römischen Kurie, ihre Gründung geht bis auf das 4. Jahrhundert zurück. Sie war anfänglich für die Ausfertigung, Beglaubigung, Versiegelung und Archivierung von Apostolischen Schreiben und päpstlichen Anordnungen zuständig. Sie wurde bis zum 12. Jahrhundert auch als „Scrinium Apostolica“ (Päpstliches Archiv) bezeichnet. Seit 1088 wurde sie vom „Kanzler der Heiligen Römischen Kirche“ geleitet. Der „Cancellarius“ darf nicht mit dem Camerlengo verwechselt werden.

 

Rodrigo diente als Vizekanzler unter folgenden Päpsten:

 

1455 – 1458 Kalixt III.

 

1458 – 1464 Pius II.

 

1464 – 1471 Paul II.5

 

1471 – 1484 Sixtus IV.6

 

1484 – 1492 Innozenz VIII.7

 

Über Kalixt und Pius wurde schon kurz berichtet. Was zeichnete deren Nachfolger nun aus?

 

Paul II.

Pietro Barbo war der Sohn eines wohlhabenden venezianischen Kaufmanns, seine Mutter Polixena Condulmer war eine Schwester von Papst Eugen IV. Schon früh profitierte Pietro Barbo vom Pontifikat seines Onkels, der ihm gute Privatlehrer sandte.

 

Im Jahr 1440 ernannte Papst Eugen IV. seinen Neffen Pietro Barbo zum Kardinal von Santa Maria Nuova in Rom. Außerdem war er Apostolischer Protonotar, Archidiakon von Bologna, ab 1440 Bischof von Cervia, ab 1451 Bischof von Vicenza und ab 1459 Bischof von Padua. Von seinen zahlreichen Pfründen ließ Pietro Barbo den römischen Palazzo Venezia erbauen.

 

Am 30. August 1464 wählte ihn das Konklave nach dreitägiger Wahldauer im Vatikan zum neuen Papst. Eigentlich wollte sich Pietro Barbo Papst Formosus II. nennen, aber die Kardinäle überredeten ihn, diesen Namen nicht zu verwenden. Seine zweite Wahl fiel auf den Namen Papst Marcus II., doch auch der Name des Evangelisten erschien den Kardinälen als nicht angemessen, da sie wie Apostelnamen generell als Papstnamen unüblich sind (bei Papst Marcus I. war es der bürgerliche Name). So überzeugten sie Pietro Barbo, den Namen Papst Paul II. anzunehmen, der als Name des Völkerapostels, der nicht zum Kreis der Zwölf und nicht zu den Evangelisten zählt, akzeptabel erschien. (Der Papstname Johannes bezieht sich auf Johannes den Täufer.)

 

Wie zu dieser Zeit üblich, verlangten die Kardinäle von ihm eine Wahlkapitulation, doch Papst Paul II. widerrief seine Wahlkapitulation, die ihn zur Berufung eines allgemeinen Konzils und zum Türkenkrieg verpflichtete, sofort nach seiner Krönung. Papst Paul II. wandte sich offen gegen die römische Akademie und hob schließlich auch das Abbreviatorenkollegium8 auf.

 

Aus heutiger Sicht wird Papst Paul II. als ein Antihumanist bezeichnet: Er war des Lateinischen nicht mächtig und auch kein Freund der Bildung. Er führte das Birett9 der Kardinäle ein und legte 1470 das Jubeljahr auf alle 25 Jahre fest.

 

Sixtus IV.