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Münchner Reihe Palliative Care

Palliativmedizin – Palliativpflege – Hospizarbeit

Band 12

 

Schriftleitung

Prof. Dr. med. Gian Domenico Borasio (federführend)

Prof. Dr. med. Monika Führer (federführend)

Prof. Dr. rer. biol. hum. Maria Wasner (federführend)

Beate Augustyn, Palliativpflegekraft

PD Dr. med. Johanna Anneser

PD Dipl.-Psych. Dr. rer. biol. hum. Martin Fegg

Bernadette Fittkau-Tönnesmann MPH

PD Dr. med. Dr. phil. Ralf Jox

Prof. Dr. med. Stefan Lorenzl

Dipl. Soz.-Päd. Dipl. Theol. Josef Raischl

Prof. Dr. theol. Traugott Roser

 

 

 

Die Publikationen in der Münchner Reihe Palliative Care verfolgen das Ziel einer verbesserten Versorgung und Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen und ihrer Angehörigen. Dem Palliative Care-Prinzip der Multiprofessionalität entsprechend widmen sich die Einzelbände unterschiedlichen Themenkomplexen und Handlungsfeldern aus den Bereichen Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit. Dazu dienen Beiträge aus medizinischer, pflegerischer, psychosozialer und seelsorglicher sowie aus rechts- und gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive. Die Reihe richtet sich an alle an diesen Fragestellungen Interessierten, insbesondere im Gesundheitswesen oder in der ehrenamtlichen Arbeit Tätigen.

Corinna Schmohl

Onkologische Palliativ-patienten im Krankenhaus

Seelsorgliche und psychotherapeutische Begleitung

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-026376-5

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-026377-2

epub:    ISBN 978-3-17-029168-3

mobi:    ISBN 978-3-17 -026378-9

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Inhalt

 

 

 

  1. Abkürzungsverzeichnis
  2. Dankwort
  3. Vorbemerkung
  4. Einführung
  5. Das Thema: eine interdisziplinäre Fragestellung
  6. Onkologie und onkologische Erkrankungen
  7. Seelsorge
  8. Die Frage nach dem Sinn
  9. Logotherapie und Seelsorge
  10. Zum Forschungsstand im Grenzbereich zwischen Logotherapie als sinnzentrierter Psychotherapie und Theologie
  11. Vorblick auf die Anlage dieses Buches
  12. 1 Psycho(onko)logie und Klinikseelsorge
  13. 1.1 Psychoonkologie
  14. 1.2 Themen psychoonkologischer Forschung
  15. 1.2.1 Meaning-based Coping (Susan Folkman und Steven Greer)
  16. 1.2.2 Acceptance and Commitment Therapy (ACT) (Steven C. Hayes et al.)
  17. 1.2.3 Dignity Therapy (Harvey Max Chochinov et al.)
  18. 1.2.4 Therapeutisch-spirituelle Begleitung (Monika Renz)
  19. 1.2.5 Meaning-Centered-Psychotherapy (William Breitbart et al.)
  20. 1.2.6 Projekt SMiLE-Lebenssinn (Martin Fegg et al.)
  21. 1.3 Bilanz: Gemeinsamkeiten zwischen Psychoonkologie und Seelsorge?
  22. 2 Klinikseelsorge aus der Sicht des Gesundheitssystems
  23. 2.1 Seelsorge in der Palliativsituation
  24. 2.2 „Nicht der Tod macht krank, sondern die Illusion, ihn ausschalten zu können.“ – Hospizarbeit, Palliativmedizin und Palliative Care
  25. 2.2.1 Cicely Saunders
  26. 2.2.2 Palliativmedizin und Palliative Care
  27. 2.2.3 Die Situation in der Europäischen Union und in Deutschland
  28. 2.2.4 Palliative Care in der Onkologie
  29. 2.2.5 Sinn- und Wertfragen in der Palliativmedizin
  30. 2.2.6 Lebensqualität
  31. 2.2.7 Symptomkontrolle
  32. 2.2.8 Schmerzen
  33. 2.3 „Spiritual Care“
  34. 2.3.1 Spiritualität als Begriff der Medizin, der Religionspsychologie und der Psychotherapie
  35. Die romanische Linie/die monastische Tradition
  36. Die angelsächsische Wurzel
  37. 2.3.2 Medizin
  38. 2.3.3 Religionspsychologie
  39. 2.3.4 Psychotherapie
  40. 2.4 Bilanz: Konzepte von Religion und Spiritualität in Medizin und Psychotherapie
  41. 3 Klinikseelsorge aus kirchlicher und theologischer Sicht – Seelsorge als kirchlicher Dienst im Krankenhaus
  42. 3.1 Rollengebundenes Verhalten und die Spielräume der Seelsorge
  43. 3.2 Die Bedeutung der Konfession
  44. 3.3 Seelsorge an Angehörigen anderer Religionen
  45. 3.4 Bedarf an islamischer Seelsorge
  46. 3.5 Fallbeispiel
  47. Kommentar
  48. 3.6 Kritik am Konzept „Spiritual Care“
  49. 3.7 Bilanz: Folgerungen für den Status der Klinikseelsorge
  50. 4 Die Situation onkologischer Patienten im Krankenhaus
  51. 4.1 Die Binnenlogik des Systems Krankenhaus
  52. 4.1.1 Rückblick: Vom Hospital zum Krankenhaus
  53. 4.1.2 Krankenhaus heute
  54. Das Bild vom Krankenhaus aus der Perspektive medizinischer Laien
  55. Das Erleben der Patienten
  56. Kommunikation zwischen Arzt und Patient insbesondere im Aufklärungsgespräch
  57. Therapieentscheidung
  58. Patientenunmündigkeit und/oder Patientenautonomie?
  59. 4.2 Bilanz: Die Problematik der Divergenz der Therapieziele zwischen Behandlern, Patienten und Angehörigen
  60. 4.2.1 Ziele aus der Sicht der Betroffenen
  61. 4.2.2 Ziele aus der Sicht des Umfeldes
  62. 4.2.3 Ziele aus der Sicht von Ärzteschaft und Pflegepersonal
  63. 4.2.4 Folgerungen für die Arbeit der Klinikseelsorge
  64. 5 Aufklärung und Behandlung sterbender Patienten
  65. 5.1 Die medizinische Sicht
  66. 5.2 Die juristische Sicht
  67. 5.3 Verlorene Patienten?
  68. 5.3.1 Wann beginnt das Sterben?
  69. 5.3.2 Gespräche über den Tod
  70. Keine Hoffnung mehr?
  71. Übertherapie oder Untertherapie?
  72. Medizinische Definitionsversuche des Sterbeprozesses und ihre Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten am Lebensende
  73. 5.4 Verlorene Angehörige?
  74. 5.5 Bilanz: Ent-Sorgung?
  75. 6 … und vor allem Gesundheit?
  76. 6.1 Was ist Gesundheit?
  77. 6.2 Objektive und subjektive Kausalätiologien zur Krebsgenese: Die Frage nach der Entstehung von Krebserkrankungen und ihre Auswirkungen auf die Situation und das Erleben der Patienten
  78. 6.2.1 Das Konzept der Krebspersönlichkeit
  79. 6.2.2 Die Frage nach dem „Warum“: Konflikte, Verantwortung und Schuld
  80. 6.3 Bilanz: Saluti et solatio aegrotum?
  81. 7 Was ist Logotherapie?
  82. 7.1 Logotherapie als angewandte Anthropologie
  83. 7.2 Logotherapie und Religion
  84. 7.2.1 Religion und Sinn
  85. 7.2.2 Seelsorge
  86. 7.3 Vergänglichkeit und Tod in den Werken Viktor Frankls
  87. 7.4 Bilanz: Welche Bedeutung hat die Logotherapie für die Seelsorge?
  88. 8 Die Bedeutung der logotherapeutischen Sinnorientierung für die seelsorgliche Begleitung
  89. 8.1 Angst und Grübeln als Diagnosefolgen
  90. 8.2 Die Haltung der Wahrnehmung in der Logotherapie
  91. 8.3 Logotherapeutischer Umgang mit Ängsten
  92. 8.4 Es gibt keine größere existenzielle Krise als die, dem eigenen Tod ins Auge zu blicken: Die Bedeutung der vertieften Auseinandersetzung mit Sinnfragen in der Palliativsituation
  93. 8.4.1 Der Wandel der Lebenswelten
  94. 8.4.2 Der Krankheit einen Sinn abringen
  95. 8.4.3 Versperrte Kommunikation: Die Bedeutung von Ethik, Sprache, Ritual
  96. 8.5 Forschungsergebnisse von William Breitbart zur Umsetzung der Logotherapie im klinischen Alltag
  97. 8.5.1 Die Ausgangssituation
  98. 8.5.2 Entwicklung der Forschungsziele und Ergebnisse
  99. Untersuchungen 2002–2004
  100. Untersuchungen 2009
  101. Untersuchungen 2012
  102. 8.6 Bilanz für die Situation der Patienten und das betreuende Team
  103. 8.6.1 Ergebnisse für die Situation der Patienten
  104. 8.6.2 Ergebnisse für die Arbeit des therapeutischen Teams
  105. 8.6.3 Mögliche Konsequenzen für eine weiter zu entwickelnde sinnorientierte Seelsorge
  106. 9 Ist Seelsorge Sinnsorge? Beobachtungen in der Begleitung onkologischer Patienten
  107. 9.1 Spirituelle und religiöse Suche nach Sinn
  108. 9.1.1 Die Seelsorgekonzeption von Wolfram Kurz
  109. 9.1.2 Spirituelles Leiden und (spiritueller) Schmerz
  110. 9.1.3 Religiöse Rückbindung und Sprachfindung
  111. 9.1.4 Gibt es einen Zusammenhang zwischen religiöser Praxis und Gesundheit?
  112. 9.2 Bilanz: Was bedeutet wachstumsorientierte Seelsorge in der Palliativsituation?
  113. 10 Quintessenz dieser Arbeit
  114. Literaturverzeichnis
  115. Bücher, Zeitschriften
  116. Internetseiten/Onlineveröffentlichungen
  117. Manuskripte und Arbeitspapiere
  118. Sachwortverzeichnis
  119. Personenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

 

 

 

APA für (engl.) American Psychiatric Association

CHD für (engl.) Coronary Heart Disease

CUP für (engl.) cancer of unknown primary

DGLE Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse

DKG Deutsche Krebsgesellschaft

DGP Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin

DHPV Deutscher Hospiz- und PalliativVerband

DLT für (engl.) Decisions to Limit Treatment (entspr. TB Therapiebeschränkungen)

EKD Evangelische Kirche in Deutschland

EORTC QLQ-C30 für (engl.) The European Organization for Research and Treatment of Cancer Quality-of-Life Questionnaire: Multidimensionaler Fragebogen zur Erfassung von Lebensqualität

EORTC QLQ-C15-PAL – in der Palliativsituation

G-DRG für (engl.) German Refined Diagnosis Related Groups: Diagnosebezogenes Patientenklassifikationssystem zur Abrechnung stationärer Krankenhausleistungen nach dem Vorbild des australischen DRG-Systems seit dem 01.01.2003

DSM für (engl.) Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

FACIT-SWB für (engl.) Functional Assessment of Chronic Illness Therapy – Spiritual Well-Being Scale

HOPE Hospiz- und Palliativerfassung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. und des Deutschen Hospiz-und Palliativverbandes

HOPE-Sp HOPE-Modul zur Erfassung von Behandlungsdaten für den Bereich Spiritual Care

HDRS für (engl.) Hamilton Depression Rating Scale

ICD-10 für (engl.) International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, in der 10. Revision von 1992

IMCP für (engl.) Individual Meaning-Centered Psychotherapy

iQoL für (engl.) individual Quality of Life

MCGP für (engl.) Meaning Centered Group Psychotherapy

MiL für (engl.) Meaning in Life

SAPV Spezialisierte Ambulante Palliative Versorgung

SAPPV Spezialisierte Ambulante Pädiatrische Palliative Versorgung

SCLC für (engl.) Small Cell Lung Cancer (kleinzelliges Lungenkarzinom)

SEIQoL für (engl.) Schedule for the Evaluation of Individual Quality of Life

SEIQoL-DW für (engl.) Schedule for the Evaluation of Individual Quality of Life-Direct Weighting

SFAP für (franz.) Société Française D’Accompagnement Et De Soins Palliatifs

SGP für (engl.) Supportive Group Psychotherapy

SMiLE für (engl.) Schedule for Meaning in Life Evaluation

QoL für (engl.) Quality of Life

WHO für (engl.) World Health Organization

Dankwort

 

 

 

Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die Begegnung mit engagierten und in ihrer Grundhaltung lebensfreundlichen Menschen. Ihnen allen danke ich an dieser Stelle in dem Bewusstsein, dass es zu unserem Leben gehört, immer nur perspektivisch und ausschnittsweise wahrnehmen zu können, was andere für uns getan haben, und auch eine Danksagung wie diese daher immer unvollständig bleiben wird.

Herrn Prof. Dr. Wolfram Kurz danke ich besonders für seine Vorlesungen zur logotherapeutischen Theorie und vielfältige Gespräche, die mich meine Freude an wissenschaftlicher Arbeit wiederentdecken ließen, Frau Dr. Boglarka Hadinger vor allem für die anregende Vermittlung zahlreicher effektiver logotherapeutischer Interventionsmethoden und intensive Supervisionstreffen, ebenso Frau Dr. Renate Mrusek für ihre vertiefende Zusatzausbildung in logotherapeutischer Paarberatung.

Stellvertretend für alle an der Weiterbildung Palliative Care für Seelsorgende Beteiligte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Christophorus Akademie, Klinikum der Universität München, danke ich den damaligen Kursleitern, Herrn Prof. Dr. Traugott Roser und Herrn Dr. Thomas Hagen, für ihre mannigfachen Anregungen.

Ich danke den Patienten, ihren Angehörigen und Nahestehenden sowie allen Mitarbeitenden, die mir Anteil an ihrem Leben gegeben und mir die Augen für das Geschenk des Lebens und seine Zerbrechlichkeit ein wenig mehr geöffnet haben.

Diese Arbeit lag der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 2013 als Inauguraldissertation vor unter dem Titel: „Der Schmerz der Endlichkeit. Sinnzentriert-psychotherapeutische und seelsorgliche Perspektiven in der Begleitung onkologischer Palliativpatienten im Krankenhaus“.

Sehr herzlich danke ich Herrn Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost, der sofort bereit war, diese Studie als Doktorvater zu betreuen und zu begleiten, und das Erstgutachten verfasst hat, ebenso Herrn Prof. Dr. Eberhard Hauschildt für das Zweitgutachten. Der Prüfungskommission danke ich für die Annahme der Arbeit im Promotionsverfahren, den Mitgliedern der engeren Prüfungskommission, Herrn Dekan Prof. Dr. Udo Rüterswörden, Herrn Prof. Dr. Michael Wolter, Herrn Prof. Dr. Wolfram Kinzig, Herrn Prof. Dr. Andreas Pangritz und Herrn Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost überdies für die Gestaltung der Disputation.

Sehr herzlich danke ich außerdem Herrn Prof. Dr. Wilfried Engemann, Sigmund-Freud-Universität Wien, für seinen fachlichen Rat hinsichtlich der Überarbeitung des Werkes für den Druck.

Herrn Dr. Ruprecht Poensgen, Verlagsleiter im Verlag W. Kohlhammer, sowie der Schriftleitung danke ich für die freundliche Aufnahme der Arbeit in die Münchner Reihe Palliative Care.

Der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) danke ich für die Förderung der Veröffentlichung.

Der Dank an meinen Ehemann, Stefan Ströle, der aus der Sicht eines Diplom-Ingenieurs wesentliche Anregungen beigetragen hat, lässt sich nicht in Worte fassen.

Stuttgart, im Juli 2015

Corinna Schmohl

Vorbemerkung

 

 

 

 

Die Verfasserin versteht Praktische Theologie als Deutekunst, die an der Praxis wahrnehmend, reflektierend und gestaltend interessiert ist.1 Die Thematik soll so dargestellt werden, dass sie auch für interessierte Laien nachvollziehbar wird. Sie will Feldkompetenz bieten und zur Entwicklung eigener kreativer Lösungsansätze in einem Themengebiet Mut machen, von dem wir letztlich alle betroffen sind.

Mit Ausnahme von Rückblicken in die Geschichte2 und eines abschließend berücksichtigten Internetzugriffs vom 05.02.20133 bezieht sich die Arbeit auf Veröffentlichungen zwischen 1946 (Viktor Frankl) und 2012. Die Fallbeispiele entstammen, sofern nicht anders angegeben, (anonymisiert) der beruflichen Praxis der Verfasserin.

Für einige medizinische Fachbegriffe, z. B. „Palliative Care“, „Spiritual Care“, existiert in der deutschen Sprache kein Äquivalent bzw. sie gelten als fachtypische Ausdrucksweise, wie z. B. die Wendung „State of the Art“. Sie wurden in der im Deutschen üblichen Zitierweise „[…]“ gesetzt. Wo diese Begriffe als Zitate aus dem Englischen zu verstehen sind, wurde die in der englischen Sprache gebräuchliche Form des Zitierens “[…]” gewählt. Die Anführungszeichen innerhalb von Zitaten wurden wie im Original übernommen, ebenso Hervorhebungen und Auslassungspunkte in Zitaten und Literaturangaben.4 Ergänzungen in eckigen Klammern, z. B. innerhalb der Literaturangaben, erfolgten durch die Verfasserin. Wenn im Text – aus Gründen der Lesbarkeit – männliche und weibliche Form nicht gleichermaßen genannt sind, bezieht sich die Verfasserin stets auf beide Geschlechter.

Insgesamt sind menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen. Die Verfasserin hat größte Mühe darauf verwandt, dass auch die Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen dem jeweiligen Wissensstand bei Fertigstellung der Arbeit entsprechen. Da die medizinische Wissenschaft ständig im Fluss ist, unterliegen diese Angaben einem laufenden Wandel.

1     Vgl. dazu Traugott Roser, Spiritual Care: Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge; ein praktisch-theologischer Zugang; mit einem Geleitwort von Eberhard Schockenhoff, Münchner Reihe Palliative Care, Band 3, Stuttgart, Kohlhammer, 2007, 15-27 mit Verweis auf Don S. Browning, A Fundamental Practical Theology: Descriptive and Strategic Proposals, Minneapolis, [Fortress Press], 1991.

2     Im Abschnitt „Gespräche über den Tod“ Verweise auf Texte von Arthur Schnitzler (1892), im Abschnitt „Der Wandel der Lebenswelten“ auf Georg Niege (1592), Ämilie Juliane Gräfin zu Schwarzburg-Rudolstadt (1688) und Wolfgang Amadeus Mozart (1787).

3     Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, http://www.dgpalliativmedizin.de/wissenschaftliche-arbeitstage.html, Zugriff vom 05.02.2013.

4     Boglarka Hadinger zitiert in ihrer Dissertation grundsätzlich “[…]“. Martin Fegg schreibt in seiner Dissertation generell „z. B.“ ohne Leerzeichen. Die Verfasserin hätte es als schulmeisterlich empfunden, solche und ähnliche Abweichungen durch [sic!] zu kennzeichnen. Gleiches gilt für Abweichungen von den seit dem 01.08.1998 geltenden amtlichen Rechtschreibregeln, die diesen gegenüber an der traditionellen Schreibweise festhalten. Wesentlich erscheint der Verfasserin hier der Inhalt des Zitats, weniger die Frage, ob „im Wesentlichen“ von den Autoren der Neuregelung entsprechend groß oder klassisch weiterhin klein geschrieben wird.

Einführung

 

 

 

 

Rein Diagnostisch Betrachtet

 

ein unspezifischer
raum fordernder prozess
sagt der onkologe
rein diagnostisch betrachtet

 

im freien fall
der patient
absturz ins bodenlose
alle haltegriffe
stürzen ihrerseits
mit in die Tiefe

 

eine unspezifische angst
greift um sich
ein raum fordernder prozess
rein diagnostisch betrachtet5

Das Thema: eine interdisziplinäre Fragestellung

Eine Krebserkrankung ist eine große Herausforderung – für die Patienten und Patientinnen selbst und ihre Angehörigen, für die medizinischen Arbeitsbereiche, die an Diagnose und Therapie beteiligt sind, und für die Krankenhauspfarrerin, den Klinikseelsorger, die mit Patienten, Angehörigen und Mitarbeitenden in Kontakt stehen. Krankenhauspfarrer sind einerseits mit einer eigenen geistlichen Identität in der Welt der Klinik präsent und unspezialisiert tätig, sie sind aber andererseits gerade in der Onkologie in einem komplexen Arbeitsbereich eingesetzt und benötigen Feldkompetenz.

Die Arbeit reflektiert Erfahrungen, Gespräche und Wahrnehmungen der eigenen Seelsorgepraxis am Onkologischen Schwerpunkt einer Klinik der Zentralversorgung. Insgesamt geht es darum, die Lebenswelt krebskranker Patienten aus der Sicht einer Krankenhauspfarrerin zu beschreiben, die als Seelsorgerin auch mit Methoden der Logotherapie arbeitet. Schon bei den ersten Vorarbeiten war deutlich, dass es dabei wichtig ist, auch die Rahmenbedingungen der seelsorglichen Arbeit sowie die Rolle der Klinikseelsorge im Krankenhaus ausführlicher darzustellen, da diese als Ausgangspunkt vieler Gespräche in der Seelsorge von zentraler Bedeutung sind. Die Reflexion des zunehmend raschen Wandels im Gesundheitswesen insgesamt und damit auch der Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeitenden an Kliniken in den letzten Jahren, der Folgen für Patienten und Patientinnen, machte der Verfasserin deutlich, dass auch die Gesprächsbedingungen der Arbeit in der Seelsorge durch diesen Wandel sehr viel stärker beeinflusst werden, als ursprünglich angenommen. Deshalb wurde eine ausführlichere Darstellung dieser Gegebenheiten vorgenommen, inklusive eines Ausblicks auf mögliche weitere Entwicklungen, Grenzen und Chancen des Wandels.

Die Fragen, die zunächst im Zusammenhang dieser Tätigkeit im Vordergrund standen, waren z. B.:

•  Wie erleben onkologische Patienten den Klinikalltag?

•  Was haben wir als Seelsorgende krebskranken Patienten substantiell zu bieten? Wie geschieht dies?

•  Wie geht Seelsorge mit „religiös unmusikalischen“ Patienten und Patientinnen um?

•  Finden durch die Erkrankung Entwicklungen und Veränderungen statt?

•  Hatte die Frage nach dem Sinn im Leben der Patienten vor der Erkrankung eine Bedeutung?

•  Gibt es Bedingungen, unter denen die Sinnfrage zur Gottesfrage führt?

•  Welche Aspekte sind in der Begleitung sterbender Patienten und ihrer Angehörigen von besonderer Bedeutung?

•  Wie definiert die Seelsorge ihre Arbeit im Verhältnis zur Psychoonkologie?

•  Welche Bedeutung hat die Logotherapie für die Seelsorge an onkologischen Patienten?

•  Welche Bedeutung hat die Seelsorge für die Logotherapie?

•  Gibt es eine positive Bedeutung der Logotherapie über die Theologie, der Seelsorge über die Logotherapie hinaus?

Sie erwiesen sich als wichtige Aspekte der Arbeit mit onkologischen Patienten im Krankenhaus.

Zunehmend rückte darüber hinaus aber das Thema „Schmerz“ in den Fokus dieser empirischen Arbeit. Die Behandlung physischer Schmerzen nimmt in der Therapie onkologischer Patienten einen breiten Raum ein, insbesondere beim Fortschreiten der Erkrankung. Der Blick der Seelsorgerin richtet sich darüber hinaus auf den oft gleichzeitig oder auch unabhängig von physischen Schmerzen vorhandenen psychosozialen und besonders den spirituellen Schmerz, der das innerste Motiv des Leidens sein kann. Es geht um den Schmerz, der implizit überall da entsteht, wo sich Menschen von ihrer Beziehung zur Welt, zum Leben, zu Gott abgeschnitten erleben, das Innerste verletzt ist, eine vielleicht namenlose innere Überzeugungswelt berührt oder auch erschüttert wird:6 Es geht um den Schmerz über die Endlichkeit des Lebens, der insbesondere die Patienten und ihre Angehörigen, aber auch die Mitarbeitenden im betreuenden Team (teilweise bewusst, teilweise unbewusst) immer wieder stark beschäftigt: „Der eine Patient kann den Zerfall seines Körpers, der andere seine Schwäche und sein Angewiesensein auf andere, ein dritter seine eingeschränkte Selbstverfügung als wesentliche Verletzung seines Innersten erleben.“7 Es sind jene Lebenssituationen, in denen nicht selten die Frage nach dem Warum, nach dem Sinn, nach Gott aufbricht.

Der Umgang mit dem „Schmerz der Endlichkeit“ erwies sich als Leitmotiv in der Suche nach sinnzentriert-psychotherapeutischen und seelsorglichen Perspektiven in der Begleitung onkologischer Patienten im Krankenhaus. Die Frage, ob sich Patienten bereits in einer palliativen Situation oder noch im Bereich der kurativen Therapiemöglichkeiten befinden, wird dabei je nach individueller Sichtweise der Betroffenen und den an der Behandlung Beteiligten immer wieder unterschiedlich beantwortet werden.

Patienten kommen zunehmend vor allem zur genaueren diagnostischen Abklärung, zur Operation, zu Kriseninterventionen im Krankheitsverlauf (z. B. wegen Nebenwirkungen von Chemotherapien, Infektionen, weiterer Tumorsuche, Wechsel der therapeutischen Strategie) und bei Therapiezieländerungen und schwierigen Verläufen in der Palliativsituation zur stationären Aufnahme ins Akutkrankenhaus. Die Liegezeiten verkürzen sich zunehmend weiter durch verstärkt konsequente Umsetzung der G-DRG-Vorgaben, aber auch als Ergebnis frühzeitig eingeleiteter interdisziplinärer Ethikberatung. Angesichts der oft weit fortgeschrittenen Krankheitsstadien, der Vielzahl der Patienten und der gleichzeitigen Stagnation bzw. Kürzungen bei den Personalstellen in der Klinikseelsorge in vielen Landeskirchen und Diözesen, haben sich die Möglichkeiten zu umfangreicher Begleitung auch für die Mitarbeitenden in der Seelsorge deutlich reduziert. Klinikseelsorge hat zunehmend die Aufgabe, punktgenaue Krisenintervention zu leisten. Damit stellt sich die Frage, wie ein Konzept sinnorientrierter Seelsorge speziell für die Arbeit mit diesen schwerstkranken Patienten aussehen müsste und welche Mindestpräsenz notwendig ist, um hier auch interdisziplinär sinnvoll arbeiten zu können.

Onkologie und onkologische Erkrankungen

Onkologie ist das Teilgebiet der Inneren Medizin, das sich mit der Entstehung und Behandlung von Tumoren und tumorbedingten Erkrankungen beschäftigt. „Krebs“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung für maligne (bösartige) Erkrankungen, z. B. Karzinom, Sarkom, Leukämie. Mehr als hundert verschiedene Krebserkrankungen sind derzeit bekannt.8 Unter dem Stichwort “Cancer” formuliert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Definition des Begriffs, den Ursachen der Erkrankung und den Therapiemöglichkeiten:

“Cancer is the uncontrolled growth and spread of cells and arises from a change in one single cell. The change may be started be external agents and inherited genetic factors and can affect almost any part of the body. The transformation from a normal cell into a tumor cell is a multistage process where growths often invade surrounding tissue and can metastasise to distant sites. These changes result from the interaction between a person’s genetic factors and three categories of external agents, including: physical carcinogens, such as ultraviolet and ionising radiation or asbestos; chemical carcinogens, such as vinyl chloride, or betnapthylamine9 [sic!] (both rated by the International Agency for Research into Cancer as carcinogenic) components of tobacco smoke, aflatoxin (a food containment) an arsenic (a drinking-water contaminant); and biological carcinogen, such as infections from certain viruses, bacteria or parasites. Most chemicals to which people are exposed in everyday life have not been tested for their long-term impact on human health. Many cancers can be prevented by avoiding exposure to common risk factors, such as tobacco smoke. In addition, a significant proportion of cancers can be cured, by surgery, radiotherapy or chemotherapy, especially if they are detected early.”10

Weltweit sind Krebserkrankungen eine der häufigsten Todesursachen.11 In Europa werden derzeit 20% der Todesfälle durch Krebs verursacht. Krebserkrankungen stehen mit mehr als 3 Millionen Neuerkrankungen und 1,7 Millionen Sterbefällen pro Jahr an zweiter Stelle der häufigsten Todesursachen nach den cardiovaskulären Erkrankungen.12

Die Krankheitsverläufe bei onkologischen Erkrankungen sind sehr unterschiedlich. Trotz der in den letzten Jahrzehnten wesentlich verbesserten therapeutischen Möglichkeiten sind erfolgreiche Heilungen oft nicht möglich. Es gibt zwar chronische Verläufe, die über lange Zeit hinweg stabil behandelbar bleiben, in anderen Fällen aber führt die Erkrankung trotz intensiver Therapien innerhalb weniger Monate zum Tod. Alter und Konstitution der Patienten spielen eine Rolle, der Typus der Krebserkrankung, das Stadium, in dem die Krankheit entdeckt wird. Ein eigenes Krankheitsbild wird z. B. dadurch charakterisiert, dass der Primärtumor nicht gefunden werden kann (CUP-Syndrom), was Patienten häufig als besonders belastend erleben.

Insbesondere in der Palliativsituation, dann, wenn eine kurative Behandlung des Krankheitsbildes nicht mehr möglich ist, gilt: „Die große Mehrheit dieser Patienten leidet an Schmerzen, Atemnot und anderen körperlichen Symptomen oder benötigt Unterstützung bei psychosozialen oder spirituellen Problemen, die mit dem Fortschreiten ihrer Erkrankung auftreten können.“13 Eine eher vorsichtige Schätzung geht davon aus, dass mindestens 20% der onkologischen (und 5% der nicht onkologischen) Patienten in ihrem letzten Lebensjahr spezialisierte Palliativversorgung benötigen.14

Um den betroffenen Patientinnen und Patienten eine verbesserte fachliche und interdisziplinäre Versorgung anbieten zu können, wurden in Deutschland an Kliniken der Maximal- und Zentralversorgung sogenannte Comprehensive Cancer Center (CCC) bzw. (diesen untergeordnet) Onkologische Zentren eingerichtet. In Baden-Württemberg wurden als Spezifikum auf Anforderung des Landes außerdem sogenannte Onkologische Schwerpunkte außerhalb der Universitätskliniken eingerichtet. In allen Fällen liegt die onkologische Qualitätssicherung bei der Deutschen Krebshilfe, nicht in der Landeshoheit. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hat damit begonnen, ihre Dienstaufträge in der Klinikseelsorge entsprechend u. a. auch der Arbeit an solchen Zentren bzw. Schwerpunkten zuzuordnen, betont aber gleichzeitig, dass der Zugang zu seelsorglicher Begleitung allen Menschen gleichermaßen offen stehen muss und nicht von einem bestimmten Krankheitsbild abhängig sein darf.

Seelsorge

Seelsorge im Krankenhaus ist auch im Umfeld einer schwäbischen Industriestadt zunehmend Seelsorge an Konfessionslosen.15 Die Bindung breiter Bevölkerungsschichten an die traditionellen christlichen Kirchen nimmt ab.16 Gleichzeitig ist Seelsorge in der Klinik durchaus erwünscht, obwohl drei Viertel derer, die einer Religionsgemeinschaft angehören, keinen oder kaum Kontakt zu ihrer Gemeinschaft haben.17 Von der Seelsorge wird Hilfe beim Deuten und Verstehen der Erkrankung im Lebenskontext erwartet. Außerdem sind Zuhören, Trost und Hilfe bei Problemen wichtige Anliegen der Patienten an die Seelsorge.18

Die Frage nach dem Sinn

Es ist zu beobachten, dass sich mit dem Erleben und der Erfahrung einer Krebserkrankung nicht selten Lebenskrisen ereignen, in denen sich für Patienten und Angehörige existenziell die Frage nach dem Sinn stellt: „Seelsorger/innen in der säkularen Institution Krankenhaus berichten immer wieder mit Erstaunen darüber, mit welchem Vertrauen sie von Menschen, die der Kirche entfremdet oder gar aus ihr ausgetreten sind, empfangen werden.“19 In der Sprache eines Patienten könnte die Formulierung z. B. lauten: „Wenn die Pfarrerin kommt, kommt der liebe Gott zu Besuch!“

„Vermutlich besteht bei diesen Menschen noch eine Ahnung davon, daß Glaube (aus welcher Quelle er sich auch immer speist) Wege aufzeigt, auf denen wir Sinn für unser Leben finden oder diesen Sinn aufrechterhalten. Und sie sehen in dem Seelsorger einen Fachmann, und in der Seelsorgerin eine Fachfrau für eben dies Gebiet. Schwere Krankheit, die eine Einweisung in das Krankenhaus notwendig macht, provoziert ja die Frage nach dem Sinn. Der Sinn des Lebens, so wie es bislang gelebt wurde, ist zerbrochen oder droht verlorenzugehen.“20

Der Eröffnungssatz „„Ich sage es ihnen gleich – ich bin kein Kirchgänger““21 den Piper/Piper in diesem Zusammenhang zitieren, ist auch nach der Erfahrung der Verfasserin keine Ablehnung des Gesprächsangebotes – Patienten möchten eben nur nicht „angepredigt“ werden, sondern vielmehr nach dem Sinn fragen dürfen.22 Viele Patienten mit einer fortgeschrittenen Erkrankung gehen dem Tod mit Empfindungen von Trost und Sinn entgegen und schildern gleichzeitig Gefühle der Lebensmüdigkeit. Die Frage nach dem Sinn stellt sich nicht nur für die Patienten, sondern für alle, die mit kranken Menschen zu tun haben, oft in großer Intensität, sei es als professionell oder ehrenamtlich Helfende, als Angehörige oder Nahestehende. Dass die Frage nach dem Sinn zur Frage nach Gott führt, ist möglich: „Religiöse Erfahrung im Leiden ist zunächst Verlust-Erfahrung. Lebenssinn geht verloren. Das Verlorengegangene aber muß zur Sprache gebracht werden.“23

Logotherapie und Seelsorge

Ob der Mensch als Mensch religiös ist, Religiosität ein Strukturelement von Existenz ist, ist umstritten.24 Wolfram Kurz formuliert: „Wirkliche Begegnung mit objektiver Religion ist gar nicht möglich, sofern der Mensch sich selbst in der Tiefe seiner Selbst noch gar nicht begegnet ist.“25 Demnach kommt in Gestalt der Sinnfrage Gott in jedem Menschenleben vor – als Frage nach dem Gelingen der je eigenen Existenz. In besonderer Weise, so Kurz, ist dies bei schicksalsorientierter Problematik der Fall, da es hier um Lebensfragen geht, von denen nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen sind. Die Konfrontation mit der Diagnose einer onkologischen Erkrankung ist eine solche Schicksalsfrage.

Insofern kann Logotherapie Anregung und Impuls für die Seelsorge sein:26 einerseits für Patienten, sich auf dem Weg der Frage nach dem Sinn auf das Angebot der kirchlichen Seelsorge einzulassen, andererseits für die Seelsorgenden, die aus der Logotherapie für ihre Arbeit Zugangsweisen, Impulse und Gesprächstechniken hinzugewinnen können, um Menschen in Grenzsituationen optimal zu beraten und zu begleiten.

In der sinnzentrierten Psychotherapieform der Logotherapie steht die positive Kategorie „Sinn“ im Zentrum. Nach Viktor Frankl (1905-1997), dem Begründer der Logotherapie, ist der Mensch seinem Wesen nach auf der Suche nach Sinn. „Der Wille zum Sinn stellt die zentrale Motivation dar, Leben zu führen und zu gestalten.“27 Aus der Sicht der Logotherapie ist es, auch im Status des Patienten, die vorrangige Intention des Menschen, sein Leben sinnvoll zu führen – so zu gestalten, dass er es selbst als sinnvoll wahrnehmen kann. Zu dieser subjektiven Bedeutsamkeit gehört gleichzeitig die transsubjektive Bedeutsamkeit – die Wahrnehmung, dass das eigene Leben für anderes Leben sinnvoll ist, etwas zur Bereicherung fremden Lebens beiträgt.28

Ein positiver Kontakt zur Seelsorgeperson im Einzelgespräch mit therapeutisch-zwischenmenschlichem Schwerpunkt bringt nicht selten eine positive Veränderung der Sichtweise auf die religiös-rituellen Angebote der Kirche mit sich. Damit ist auch eine Chance gegeben, Menschen wieder einen Raum in der institutionalisierten Religion zu eröffnen.29 Gerade im Krankenhaus besteht ein Bedürfnis nach sakramentalen Handlungen und nach sakralen Räumen – auch von Zeitgenossen, die sich nicht mehr der Institution Kirche verbunden fühlen.30 Wenn z. B. im Krankenhausgottesdienst Geschichten vom heilenden Handeln Gottes thematisiert und in der Predigt mit dem Leben der Patienten verbunden werden, geschieht diese Unterstützung.31

Zum Forschungsstand im Grenzbereich zwischen Logotherapie als sinnzentrierter Psychotherapie und Theologie

Bereits 1974 hatte Böschemeyer32 die Sinnfrage in der Existenzanalyse und Logotherapie Frankls aus theologischer Sicht dargestellt. Im Bereich der Poimenik gilt aber im Grunde bis heute, was Karl-Heinz Röhlin in der Einleitung zu seiner 1985 erstmals erschienenen Dissertation feststellt: „Das Werk Frankls fand bisher im kontinentalen evangelischen Raum kaum Beachtung, obwohl die Existenzanalyse wie kaum eine andere psychotherapeutische Konzeption offen ist für das Fragen nach der Transzendenz.“33 Es ist das Verdienst seiner Untersuchung, die Existenzanalyse und Logotherapie V. E. Frankls im Vergleich mit den seinerzeit neueren evangelischen Seelsorgekonzeptionen (E. Thurneysen: kerygmatische Seelsorge, J. Scharfenberg und H.-J. Thilo: Seelsorge als tiefenpsychologisch orientiertes Gespräch, D. Stollberg, R. Riss und H.-Chr. Piper: Seelsorge als therapeutische Kommunikation) untersucht und mögliche logotherapeutische Impulse für die kirchliche Seelsorge herausgearbeitet zu haben, wobei die sinnorientierte Seelsorge an Kranken nur einen untergeordneten Teilaspekt der Untersuchung ausmacht.34 Peek hat später die Ansätze Frankls und Tillichs für Theorie und Praxis der Seelsorge an suizidgefährdeten Menschen untersucht.35 Anzenberger36 hat in einer Untersuchung zur Anthropologie Paul Tillichs unter anderem die Korrelation des psychotherapeutischen Menschenbildes nach Frankl mit der Anthropologie Tillichs untersucht. Im Bereich der katholischen Theologie liegen daneben weitere Untersuchungen zu einer ganzen Bandbreite theologischer und logotherapeutischer Fragestellungen vor: Zur theologischen Relevanz der Logotherapie hat Vardidze37 gearbeitet. Raskob, die eine systematische und kritische Darstellung der Logotherapie verfasst hat, schlägt in der Auseinandersetzung mit Frankls Religionsverständnis ein alternatives „universelles/kosmisches Religionsverständnis“38 und ein „individualisiertes Religionsverständnis“39 vor, da sie das Religionsverständnis Frankls aus theologischer Sicht als nicht haltbar ansieht. Für psychotherapeutische Zwecke wird eine fehlende tiefendynamische Dimension angemahnt.40 Waldosch41 hat den Umgang mit Leid in der Logotherapie und Existenzanalyse und in der mystischen Theologie untersucht, Zaiser42 den Begriff des „übernatürlichen Existentials“ (Rahner) im Licht der Franklschen These vom unbewussten Gott. Zu philosophischen Aspekten des Franklschen Denkens hatte schon 1988 Zsok gearbeitet und den Sinnbegriff Frankls untersucht,43 zur ethischen Dimension in Frankls Menschenbild vgl. Leitner-Schweighofer44.

Die Bedeutung des Sinnbegriffs der Logotherapie für die Medizin hat Firus 1992 bearbeitet.45 Er beschäftigt sich u. a. mit dem Arzt-Patientenverhältnis: „Die Auseinandersetzung […] mit dem, was schmerzt, wird immer mehr zur entscheidenden Aufgabe von Arzt und Patient.“46 Er nimmt den Gedanken von Tellenbach auf, dass die Medizin nicht über eine originäre theoretische Begründung verfügt, aus der sie das Wesen von Krankheit und Gesundheit begreifen und sich als Heilkunde entfalten könnte. Sie sei somit von Heilung „im Sinne der Wiederherstellung einer natürlichen Lebenssituation“47 weit entfernt. Pfeifer48 hat eine vergleichende Studie über Leben und Werk von Paul Tournier (Médecine de la Personne) und Frankl vorgelegt.

Zur ethischen Erziehung als religionspädagogischer Aufgabe unter logotherapeutischem Aspekt und zur Weiterentwicklung der Logotherapie für die (evangelische) Religionspädagogik hat Wolfram Kurz49 vielfältig gearbeitet.

Einen kurzen Überblick über Arbeiten, die sich mit möglichen Anwendungsmöglichkeiten der Logotherapie auf dem Gebiet der Seelsorge in neuerer Zeit auseinandersetzen, bietet auch die katholisch-theologische Arbeit von Kreitmeir.50 Schwarzkopf51 sieht die Logotherapie als Anregung und Impuls für die Seelsorge.

Umfassende deutschsprachige systematische Werke über die „Dritte Wiener Schule“ der Logotherapie und Existenzanalyse gibt es nur wenige: neben dem „Kompendium der Logotherapie und Existenzanalyse“ von Kurz und Sedlak, herausgegeben 199552, das „Lehrbuch der Logotherapie“ von Lukas, erstmals 1998 und in erweiterter Neuausgabe 2002 veröffentlicht.53 Ebenfalls 2002 erstmals veröffentlicht, zuletzt 2008, wurde das „Handbuch Existenzanalyse“ von Riedel/Deckart/Noyon.54 2002 gab auch Zsok das Buch „Logotherapie in Aktion“ heraus.55 Riemeyer56 geht nach einer Abhandlung der klassischen Logotherapie vor allem auf die Konzepte von E. Lukas, U. Böschemeyer, W. Böckmann und A. Längle ein.

Vorblick auf die Anlage dieses Buches

In der Grundfrage beschäftigt sich diese Arbeit mit dem Verhältnis der Wissenschaften zueinander.

Medizin und insbesondere Palliativmedizin haben es unter verschiedenen Aspekten mit dem Thema „Schmerz“ zu tun. Häufig steht der körperliche Schmerz der Patienten im Fokus. Dies ist insofern eine sehr positive Entwicklung, als die individuellen Schmerzempfindungen der Patienten damit ernstgenommen werden. Noch wenig im Blick ist allerdings Schmerz als multidimensionales Geschehen, das den ganzen Menschen betrifft, gerade auch in seiner religiösen oder spirituellen Existenz.

Sterben und Tod sind mit großen Emotionen besetzt. Der Gedanke, den Tod mit einer transzendenten Macht in Verbindung zu bringen, die Erwartung eines Lebens nach dem Tod, die Auferstehungshoffnung, finden keine allgemeine Zustimmung mehr.57 Angst spielt (wenn auch häufig uneingestanden und unausgesprochen) nicht allein bei den Sterbenden und ihren Angehörigen, sondern auch bei den professionell in diesem Bereich Tätigen eine zentrale und immer wieder auch folgenschwere Rolle im Umgang mit jenen Situationen, die sich aus der Diagnose einer lebensbegrenzenden Erkrankung und ihren Folgen ergeben.

Angst und Schmerz gehen Hand in Hand. Der Schmerz über die Endlichkeit des Lebens, das ist die Grundthese dieser Arbeit, ist das übersehene innerste Motiv des Leidens, das der Angst eigentlich und zutiefst zu Grunde liegt. Er ist die eigentliche Ursache für den noch immer häufig anzutreffenden „sinnlosen“ Aktionismus im Umgang mit Palliativpatienten. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es daneben ein gesellschaftlich vergessenes Sterben altersgebrechlicher hochbetagter Patienten mit demenziellen Erkrankungen gibt, deren Betreuung in Zukunft eine weitere große Aufgabe sein wird. Auch Patienten mit nichtonkologischen Erkrankungen (neurologischen Erkrankungen, HIV/AIDS, fortgeschrittenen Herz-, Lungen- oder Nierenerkrankungen) können die gleichen palliativen Versorgungsbedürfnisse wie onkologische Patienten haben, dennoch ist für sie der Zugang zu palliativer Versorgung derzeit ungleich schwieriger.

Interdisziplinäre Aspekte, die Frage nach dem Verhältnis von Psychoonkologie und Seelsorge, die Darstellung einiger Aspekte der Situation des Gesundheitswesens in Deutschland und insbesondere Rolle und Aufgaben der Palliativmedizin bilden in dieser Arbeit den Rahmen zur Erörterung der Kernfrage nach sinnzentriert-psychotherapeutischen und seelsorglichen Perspektiven in der Begleitung onkologischer Patienten in der Palliativsituation und zeigen die Gesprächsbedingungen auf. Auch das Thema Spiritualität und die Frage, ob „Spiritual Care“ ein zukunftsfähiger Ansatz sein kann, werden in diesem Zusammenhang diskutiert.

Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie sich Seelsorge als kirchlicher Dienst im Krankenhaus gegenwärtig versteht und die Frage nach den Möglichkeiten einer interkulturellen Seelsorge angesprochen.

Die Entstehungsgeschichte des gegenwärtigen Systems Krankenhaus wird beleuchtet, um insbesondere die Situation onkologischer Patienten in dieser Struktur in den Blick nehmen zu können. Wesentlich sind hier die Fragen nach dem Erleben der Patienten, der Bedeutung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient und der Darstellung der komplexen Prozesse, die bei Fragen der Therapieentscheidung eine Rolle spielen, inklusive der nicht selten vorhandenen Divergenz in den Behandlungszielen zwischen Behandlern, Patienten und Angehörigen bzw. den ihnen nahestehenden Menschen.

Die Themen Patientenunmündigkeit bzw. Patientenautonomie werden insbesondere unter dem Aspekt der Aufklärung und Behandlung sterbender Patienten entfaltet, auch unter Berücksichtigung juristischer Aspekte.

Mit der Diagnose einer schweren Erkrankung rückt fast immer die Frage in den Blick, was wir unter Gesundheit verstehen. Die Bedeutung von Gesundheit und Krankheit wird hier unter anderem unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Salutogeneseforschung und anhand der Überlegung erörtert, wie viel Krankheitserfahrung zu einem gelingenden Leben dazugehört.

Da die Frage nach der Entstehung von Krebserkrankungen nicht zuletzt für das Krankheitserleben von Patienten und Angehörigen eine bedeutende Rolle spielt, wird die Bedeutung objektiver und subjektiver Kausalätiologien zur Krebsgenese dargestellt und das Konzept der Krebspersönlichkeit diskutiert, zu dem auch die Ergebnisse psychoneuroimmunologischer Forschung gehören.

Unter der Überschrift „Was ist Logotherapie?“ werden aus dem Bereich dieser sinnzentrierten Schulrichtung der Psychotherapie die Aspekte der angewandten Anthropologie, das Verhältnis von Logotherapie und Religion, Religion und Sinn und die Behandlung der Themen Vergänglichkeit und Tod in den Werken Viktor Frankls dargestellt. Dieses Kapitel bildet die Grundlage für die anschließenden Überlegungen über die Bedeutung der logotherapeutischen Sinnorientierung für die seelsorgliche Begleitung. Ausführlicher erörtert werden in diesem Zusammenhang die Forschungsergebnisse von William Breitbart zur Umsetzung der Logotherapie im klinischen Alltag. Angedeutet werden die Konsequenzen für eine weiter zu entwickelnde sinnorientierte Seelsorge.

Abschließend wird anhand von Beobachtungen in der Begleitung onkologischer Patienten gezeigt, inwiefern Seelsorge Sinnsorge ist und wie sich spirituelle und religiöse Suche nach Sinn zeigt.

Im Anschluss an eine kurze Darstellung der Seelsorgekonzeption von Wolfram Kurz geht es um die Herausforderung, die spirituelles Leiden und spiritueller Schmerz für das Behandlungsteam bedeuten, und darum, welche theologischen Aspekte in der seelsorglichen Begleitung grundlegend sind. Deshalb wird bei der Behandlung der Frage nach einem Zusammenhang von religiöser Praxis und Gesundheit am Ende des 9. Kapitels noch einmal das Thema der Bedeutung des Rituals aufgegriffen, welches in dieser Arbeit an verschiedenen Stellen berührt wird: Rituale haben auch für die medizinische Praxis Bedeutung. In Ritualen wird etwas vom Sinnhorizont menschlichen Lebens erahnt. Segensrituale sind keine Medikamente, aber auch kein Placebo, und sie erfordern Achtsamkeit und Behutsamkeit. Es wird zunehmend wichtig werden für diejenigen Menschen, die die rituellen Antworten des christlichen Glaubens nicht mehr entziffern können, performative, frei gestaltete Rituale zu entwickeln, die deren individuelle Bilderwelt aufnehmen, und diese durch Symbole und Rituale zu gestalten.

Außerdem wird die Bedeutung des Gottesbildes erörtert. Es ist grundlegend dafür, wie Seelsorgepersonen ihre Praxis verstehen und ausüben, und außerdem entscheidend für die Erwartungen, die Patienten und Patientinnen den Seelsorgenden entgegenbringen; es kann abhängig von der religiösen Sozialisation sowohl stärkend wirken als auch destruktiv sein.

Am Schluss der Ausführungen geht es um die Bedeutung der Hoffnung als affektiver religiöser Grundgesinnung in Krankheitssituationen und Heilungsprozessen. Heilung und Hoffnung hängen sowohl sprachlich-metaphorisch als auch sachlich-medizinisch oftmals eng zusammen.

In einer Quintessenz werden wesentliche Ergebnisse in zehn Punkten zusammengefasst.

Die Darstellung der Gesprächsbedingungen im Krankenhaus nimmt nicht zufällig breiten Raum in dieser Arbeit ein. Auch die professionell Seelsorgenden sind nicht frei vom Sog des Systems. Es lässt sich ein Leiden an den Strukturen des Gesundheitssystems feststellen, das aus Menschen Funktionsträger macht, wodurch Mitarbeitende auf lange Sicht in die Resignation getrieben werden.

Die Zugkraft der Behandlungsmechanismen ist so wirkmächtig, dass es für den einzelnen Patienten, nachdem eine schwere Erkrankung eingetreten ist, überaus herausfordernd und oft auch kaum mehr möglich ist, Ideen dafür zu entwickeln, was ein erfülltes Leben ausmacht oder in der verbleibenden Lebenszeit noch ausmachen könnte. Mindestens ebenso schwierig ist es, sodann wenigstens noch selbstwirksam auf die Rahmenbedingungen des eigenen Sterbens Einfluss zu nehmen. Gleichwohl ist in der Krankheitssituation immer auch die Chance großer Reifungsprozesse gegeben – oft in sehr kurzer Zeit – und dazu hin, aufgrund der Erfahrungen in der Begleitung des Kranken und mit der Krankheit des Patienten, auch die Möglichkeit einer Neuausrichtung des Weiterlebens für Angehörige und Freunde.

Medizin und Psychologie haben die Bedeutung der Spiritualität mit den ihnen eigenen Instrumentarien erkannt. Der Leitgedanke „Spiritual Care“ kommt aus dem Gesundheitswesen selbst. Die Fragestellungen, Methoden und Begrifflichkeiten sind andere, als sie in der Theologie gebräuchlich sind. Dies sollte die theologische Arbeit nicht daran hindern, das Thema Spiritualität als Anknüpfungspunkt eines Gedankenaustauschs zwischen Medizin, Psychologie, Theologie und Kirche aufzugreifen und fruchtbar zu machen und die spirituelle Suche insbesondere im Bereich von Krankheit und Therapie als einen auch für christliche Theologie und Seelsorge wichtigen Ort des Dialogs anzusehen.

Wenn Spiritualität als Reaktionsverhalten auf existenzielle Bedrohungen gesehen wird,58 trägt dies der Erfahrung Rechnung, dass lebensverändernde Erkrankungen sich massiv auf Einstellungen und Werte von Menschen auswirken können.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass Religion und Spiritualität einander sich überschneidende Bereiche sind, wobei „Glaube“ im Deutschen ein sehr weites und vielen Menschen zugängliches Konzept ist, während „Religiosität“ heute eher institutionell organisierte Überzeugungen, Werte und Verhaltensweisen zusammenfasst.

Überraschend modern wirkt hier die Sicht Viktor Frankls:

„In jedem Glaubensentscheid spricht ebenso viel für die eine Denkmöglichkeit wie für die andere – z. B. ebenso viel für einen letzten Unsinn des Daseins wie für einen letzten Sinn, einen Übersinn59. So ist sowohl die Existenz Gottes als auch seine Nichtexistenz je eine Denkmöglichkeit, aber eben nur eine Denkmöglichkeit, nicht etwa eine Denknotwendigkeit. Nur zu einem Wissen kann ich gezwungen sein – zum Glauben nicht. Gerade dort fängt ja der Glaube überhaupt erst an, wo ich frei zu wählen, mich zu entscheiden habe für eine der Möglichkeiten, wo also die Waagschalen des Für und Wider gleich hoch stehen: ebendort wirft der Wählende und Wägende sich selbst, das Gewicht seiner eigenen Existenz, in eine der beiden Waagschalen. Der Glaube ist nicht ein Denken, vermindert um die Realität des Gedachten, sondern ein Denken, vermehrt um die Existentialität des Denkenden […].“60

Mit Frankl geht die Verfasserin davon aus, dass der Mensch als Sinn suchendes Wesen „eine, wenn auch unbewusste, so doch intentionale Beziehung zu Gott“61 immer schon hat. Es gehört, mit Paul Tillich formuliert,62 „“… zum Wesen des menschlichen Geistes – im Sinne der Selbst-Transzendierung des Lebens – auf etwas Unbedingtes bezogen zu sein.““63 In Gestalt der Sinnfrage, als Frage nach dem Gelingen der je eigenen Existenz, kommt Gott in jedem Menschenleben vor.

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