Götter und Helden: Acht Fantasy Abenteuer

Hendrik M. Bekker

Published by BEKKERpublishing, 2015.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Götter und Helden

Copyright

Zwerg und Wächter

Abstieg in die Tiefe Teil 1

Abstieg in die Tiefe Teil 2

Mjölnirs Diebstahl

Kapitel 1: Diebstahl

Kapitel 2: Lokis Plan

Im Dienste des Königs der Min‘dar

Erster Teil: Drachenjagd

1

2

3

4

5

6

7

8

Zweiter Teil: Der Sharinto-Turm

1

2

3

4

5

6

8

Dritter Teil: Der Falathiri

1

2

Die Dunkelelbin und die Feuerschale von Sundam

Am Ende eines langen Tages...

Radswid im Zauberwald

1

2

3

Edros Suche: Die Insel der Verzweiflung

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Radswid und die Insel der Verzweiflung

Götter und Helden

8 Fantasy Abenteuer

von Hendrik M. Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 242 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält acht Fantasy Abenteuer:

Hendrik M. Bekker: Zwerg und Wächter Teil 1 und 2

Hendrik M. Bekker: Mjölnirs Diebstahl

Hendrik M. Bekker: Im Dienste des Königs Min'dar

Hendrik M. Bekker: Die Dunkelelbin und die Feuerschale von Sundam

Hendrik M. Bekker: Am Ende eines langen Tages

Hendrik M. Bekker: Radswid im Zauberwald

Hendrik M. Bekker & Alfred Bekker: Edros Suche

Hendrik M. Bekker: Radswid und die Insel der Verzweiflung

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author ; Cover: Mara Kreimeier

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

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Zwerg und Wächter

Abstieg in die Tiefe  Teil 1 und 2

von Hendrik Bekker

Ein Zwerg und ein Mensch - beide Wächter der Stadtwache, erleben die skurrilsten und phantastischsten Abenteuer.

Abstieg in die Tiefe Teil 1

Eine dunkle Straße, eine Laterne flackert. Niemand ist zu dieser frühen Stunde noch auf den Straßen Urukors, der Metropole am Jawrik. Niemand, der ein ehrliches Geschäft zu verrichten hat.

Das Licht der flackernden Laterne spiegelt sich in einem kahlen Schädel, von dem spitze, große Ohren abstehen. Augen schimmern grünlich im Dunkeln, während die kleine Kreatur zusammen mit einem Artgenossen aus einer Gasse huscht. Sie laufen von Schatten zu Schatten, flüchtige Blicke könnten sie nicht erfassen.

Sie nähern sich einem Haus, hinter dessen Läden noch ein schwaches Licht brennt.

„Verdammt, Urik, wir sind sowas von tot“, brüllte eine sonore Stimme direkt in Uriks Gesicht. Er öffnete verschlafen die Augen und begriff noch währenddessen, wo der erste Fehler war. Er wachte gerade auf, das hieß, er hatte geschlafen. Anstatt Wache zu halten.

„Ist es...“, begann er, doch sein zwergischer Freund Grodarig Feuerbart, fuhr ihm dazwischen. „Ja, verdammt ja, es ist weg.“

Sie beide waren Mitglieder der Stadtwache, normalerweise patrouillierten sie nachts durch die Stadt oder ermittelten bei Verbrechen. Da sie allerdings in Ungnade gefallen waren, da sie bei einer ihrer Ermittlungen einen reichen Kaufmann beschuldigt hatten, verwickelt zu sein, hatte dieser seine Beziehungen genutzt, um die beiden strafversetzen zu lassen. Nun mussten sie jede Nacht irgendwelche Dinge bewachen.

Diese Nacht hatten sie eine wertvolle, reichverzierte Schatulle bewachen müssen, die angeblich kostbare, mit Magie aufgeladene Kristalle direkt vom Königshof der Seidher beinhaltete.

Allerdings, so schien es, waren sie eingeschlafen und man hatte sie bestohlen.

„Okay, ganz ruhig“, versuchte Urik Grodarig zu beruhigen.

„Ruhig? Ihr Menschen habt wahrlich einen wunderbaren Sinn für Humor, ruhig? Ich bin verdammt nochmal ruhig“, erwiderte Grodarig, doch langsam schien er abzukühlen. „Okay, was haben wir für Spuren?“

Sie blickten sich im Zimmer um. „Keine“, erwiderte Urik. „Fenster unangetastet, ist ja auch erster Stock. Tür, ah, Tür.“

„Was?“

Urik öffnete die Tür und zeigte seinem Freund, was er entdeckt hatte. Der Schlüssel steckte, von außen.

„Klassisch, jemand haut den Schlüssel raus, zieht ihn unter der Tür durch und schließt auf.“

„Aber nicht möglich, diese Tür ist magisch gesichert gegen sowas, also muss jemand schon selbst zaubern können“, erwiderte Grodarig.

Urik nickte. Zaubern, das konnte nicht jeder im Königreich. Menschen, Zwerge und andere Völker waren allgemein magisch unbegabt, lediglich die Menschen aus Seidher konnten die geheime Kraft anwenden. Allerdings, konnte man sie schon von Weitem als Angehörige des Magiervolkes erkennen, denn ihnen wuchsen die Haare von Geburt an in dicken, seltsamen, verfilzten Strähnen.

„Also ein Seidher“, schlussfolgerte auch Grodarig.

„Oder jemand mit einem magisch aufgeladenen Gegenstand. Ich meine, du kannst einen Harnisch mit Runen dauerhaft verzaubern, wieso also nicht etwas anderes, um Türen zu öffnen?“

„Gut, also ein Seidher oder einer, der Geld hat“, stimmte Grodarig zu.

Sie gingen den schmalen Flur des alten Gebäudes entlang. Jeder dieser Räume war Lagerstätte für irgend etwas, immer wenn die Stadtwache etwas lagern wollte, tat sie es hier.

„Kerben“, sagte Grodarig plötzlich. Er deutete auf den Boden.

„Was, wo?“, erwiderte Urik. Grodarig schüttelte verächtlich den Kopf.

„Ihr Menschen seid doch wirklich fast blind, diese Kerben, die sind neu“, erklärte er. Urik begutachtete die Stelle. Er erkannte, dass es Einkerbungen waren, doch ob sie neu waren oder schon lange dort, konnte er nicht bestimmen.

„Die sind regelmäßig“, bemerkte nun Grodarig, während er die hölzerne Treppe hinunterging. „Jemand, der hier war, hinterließ Kerben.“

Sie erreichten das Ende der Treppe, wo ein kreisrunder Tropfen auf dem Boden war. Weitere feine, kleine Tröpfchen zogen sich bis zur Tür.

„Was ist das, Blut?“, fragte Urik. Manche der Tropfen waren für ihn kaum noch erkennbar, andere hingegen etwas größer.

„Falsche Farbe, aber möglich, vielleicht hat sich unser Dieb geschnitten“, spekulierte Grodarig. Urik nickte. „Vielleicht.“

Sie gingen auf die Straße und folgten der feinen Spur weiter. Sie ging um eine Ecke, in eine Sackgasse hinein, die scheinbar nur zum Abladen von einigem Plunder genutzt wurde und sonst keinen Zweck erfüllte.

„Hier“, Grodarig deutete auf eine Ansammlung von Kisten. Sie standen da, als hätte man sie einfach vom Wagen geworfen und liegen gelassen. „Davor hört es auf.“

„Was denkst du, ist dahinter ein Eingang?“

„Vielleicht, es gibt einige unbekannte Eingänge zum Labyrinth“, stimmte Grodarig Urik zu. Das Labyrinth war der Spitzname der Kanalisation der Stadt. Es war ein kompliziertes Gangsystem, dessen tatsächliche Verbindungen nicht völlig kartographiert waren.

Immer wieder hatte die Stadtwache während diverser Verbrechen mit solchen Abschnitten der Kanalisation zu tun gehabt. Allerdings hatte sich eine Erforschung dieser als unergiebig herausgestellt, da immer wieder Leute dabei verschwanden und irgendwann von der Stadtverwaltung die Devise ausging, jeden nicht bekannten Eingang einfach zuzumauern und mit einer Rune zu versiegeln.

Sie schleppten eine der Kisten weg und legten direkt dahinter eine kreisrunde Öffnung im Boden frei. „Na super“, murmelte Grodarig.

„Was bist du eigentlich für ein Zwerg? Nachdem dein Volk aus seinen Bergwerken vertrieben wurde, müsste einer wie du doch darauf brennen, unter der Erde Erkundungen anzustellen, nicht vor Angst zittern“, bemerkte Urik. Grodarigs Eltern gehörten zu den Hurug-Zwergen, jenen, die aus ihrer Hauptstadt von Grion, dem Herrscher der Vampire vertrieben worden waren. Die freien Völker Sorgos führten inzwischen einen erbitterten Krieg gegen die Vampirnation.

„Ich bin ein Stadtgeborener, ich konnte nunmal leider nicht die Freude an engen Räumen ohne Sonne mit der Muttermilch aufsaugen, okay?“, erwiderte Grodarig. „Außerdem hab ich keine Angst, Milchbart.“

So nannte Grodarig Urik immer dann, wenn er zu weit ging, er bezog sich damit auf den feinen Flaum, der Urik wuchs und einfach nicht mehr werden wollte. Bei den Zwergen gab es einige Schimpfwörter, die mit mangelndem Bartwuchs zu tun hatten, „Milchbart“ war eher eine freie, entschärfte Übersetzung eines dieser Wörter.

„Sollen wir nicht jemandem sagen, wo wir hingehen?“, fragte Urik nach einem Moment des Schweigens.

„Klar, hey, wir haben die Schatulle verloren, sind verbotenerweise in der Kanalisation, um sie wiederzuholen‘, kommt sicher Klasse“, bemerkte der Zwerg.

„Na dann los“, erwiderte Urik.

––––––––

Sie gingen zurück zum Gebäude, in dem sie die Nacht über hatten Wache halten müssen. In einem der Räume dort lagerte die Stadtwache Dinge, die im Hauptwachgebäude zu viel waren, wie Fackeln, ausrangierte Schwerter, konfiszierte Waffen. Auch Seile waren darunter, so dass sie sich damit und mit zwei Fackeln ausrüsteten und zurück zur Öffnung im Boden gingen.

Allzu weit hinunter ging es gar nicht, nach wenigen Metern bereits erreichten sie den Boden.

„Das hier ist auf jeden Fall nicht regulär“, murmelte Urik, während er die Fackel aufhob, die er vorher in den Schacht geworfen hatte, um die Hände fürs Klettern frei zu haben. Sie brannte munter vor sich hin und ließ Schatten über die kahlen Steinwände um sie herum tanzen. Sie befanden sich irgendwo in einem schmalen, recht niedrigen Gang, der bereits nach wenigen Metern in beide Richtungen abzweigte.

„Wieso?“, fragte Grodarig. Dann verstand er. Die Gänge waren zu niedrig und die Wände vollkommen glatt. Beides war in den normalen Bereichen der Kanalisation nicht üblich, die Gänge hatte meist Ork-Höhe, denn die Ork-Sklaven des Echsenreiter-Königs hatten einst die Kanalisation errichten müssen. Dies war vor fast 400 Jahren geschehen, angeblich zusammen mit den Luisaren. Diese hatten angeblich in den Resten der alten Kanalisation gelebt, heute allerdings wusste man nicht mehr viel von ihnen, doch sie waren Stoff vieler Mythen und Legenden. Meistens Geschichten über blutrünstige kleine Dämonen, die hier im Dunkel hausten. Unglücklicherweise fielen sie Urik gerade alle wieder ein.

„Na dann, wo lang?“, fragte Grodarig. Er trug wie Urik eine Fackel und blickte unentschlossen in beide Richtungen.

„Da lang“, sagte Urik dann. Auf Grodarigs fragenden Blick antwortete er: „Is‘ so ein Gefühl.“

Sie folgten dem Gang, wobei nach dieser Kurve bald eine neue kam und eine neue. Nach einer Weile merkten sie, dass der Boden abschüssig wurde.

Nach einiger Zeit machte der Gang wieder eine scharfe Biegung, und endete auf einmal. Sie standen in einer ziemlich weitläufigen Halle, deren Decke mehrere Mannlängen über ihnen im Dunkeln lag. Verzierte Säulen ragten überall empor.

„Wo sind wir?“, flüsterte Urik. Grodarig blickte abwesend ins Dunkel.

„Groda?“

„Psst, hör doch mal“, sagte dieser. Urik lauschte. Da war etwas, ein Geräusch. Erst dachte er, er bilde sich das ein, doch ganz leise war etwas zu hören. Es erinnerte ihn an Stimmen.

„Wollen wir mal schauen, wer hier so unterwegs ist?“, meinte Grodarig. Er reichte Urik seine Fackel.

„Bleib hier stehen, die Säule verdeckt das Licht besser. Ansonsten wird man dich in der ganzen Halle sehen können, befürchte ich, ich geh mal schauen.“

„Groda, du hast Schiss in beengten Räumen, also spiel jetzt nicht den Helden“, erwiderte Urik. Ihm behagte der Gedanke nicht, alleine hier unten zu sein.

„Okay, ich würde gern tauschen, aber du wartest hier und ich gehe nachsehen. Zwerge können ziemlich gut ohne Licht gucken, weißt du?“, erklärte er und klopfte Urik auf die Schulter. „Bis gleich.“

Er ging geradewegs ins Dunkel hinein, und nach wenigen Schritten war er weg. Urik stand da und überlegte, wie wahrscheinlich es war, dass er einen Albtraum hatte und gleich aufwachte.

––––––––

Grodarig schlich hinein ins Dunkel. Er zog sein Kurzschwert aus der Gürtelscheide und klemmte sie so zur Seite, dass sie keine Geräusche beim Gehen verursachte.

Er befürchtete, dass wer auch immer hier war besonders wachsam lauschen würde. Also vermied er jedes unnötige Geräusch, etwas, wofür ein Zwerg seiner Meinung nach nur bedingt geschaffen war.

Er schlich vorwärts, bis er das Gefühl hatte, dass es langsam heller wurde. Vor ihm schwebte ein großer, mattblau schimmernder Kristall.

Nein, er schwebt nicht, er ist nur geschickt befestigt, ging es ihm durch den Kopf. Unter dem Kristall standen viele hundert Personen. Grodarig blinzelte, denn der Stein schien heller zu werden, wenn auch nur etwas.

Alle diese Wesen dort waren so groß wie er. Doch es waren sicher keine Zwerge, denn man konnte die von den kahlen Schädeln abstehenden, spitzen Ohren bereits aus einiger Entfernung sehen.

Luisaren, erkannte Grodarig ehrfurchtsvoll. All die Geschichten über die „Missgeburten der Tiefe“, wie sein Vater sie immer genannt hatte, stimmten. Dort standen sie, hunderte von ihnen, und murmelten irgendwelche sich wiederholenden Worte. Es schien eine Beschwörung zu sein, oder ein religiöses Ereignis. Grodarig hatte schon öfter Ähnliches bei Veranstaltungen in Menschentempeln beobachtet, es wurde ein gemeinsames Bekenntnis gesprochen, das deutlich machte, dass sie alle dem gleichen Gott huldigten.

Die Luisaren wurden langsam immer lauter. Grodarig schlich vorsichtig weiter und versuchte herauszufinden, was am Fuße des Kristalls vor sich ging. Dort standen mehrere Luisaren, die nicht wie die anderen in Fetzen oder Lumpen gekleidet waren, sondern in dunkelrote Gewänder, die einen Kontrast darstellten. Sie bekamen Gegenstände gebracht, von mehreren anderen. Einer gab einem Luisaren, der etwas größer als die anderen war, ein Schwert. Grodarig erkannte die  Klinge, es war eine zwergische Runenklinge. Ein Zwerg wurde dabei bei der Bearbeitung des bekannten Foringer Stahls unterstützt von einem Seidher, der magische Energie in die Fertigung fließen ließ. Dies veränderte das Schwert, so dass es leichter zu schärfen war, eine leichtere Klinge ohne zusätzliche Festigkeitseinbußen besaß, und es war bedingt in der Lage, Magie zu neutralisieren. Letzteres allerdings war immens abhängig davon, was für Magie es war.

Der Luisar nahm die Klinge und ein dunkelgrüner Blitz schlug von ihr aus in den Kristall ein. Dieser flackerte kurz, leuchtete dann aber noch stärker weiter.

Ähnliches geschah noch mit weiteren Dingen, die dem großen Luisaren gebracht wurden. Grodarig erkannte bald, woher sie geholt wurden. Hinter einer Säule war ein großer Berg mit Gegenständen, drei oder vier Luisaren pendelten immer zwischen dort und dem Priester, wie ihn Grodarig in Gedanken nannte. Er schien irgendetwas damit zu machen, es sah nach Magie aus, und das stank Grodarig gewaltig. Niemand außer einem Seidher konnte Magie anwenden, außer vielleicht die Vampirbrut. Es war nicht natürlich.

Er schlich vorsichtig an den Sammelberg an magischen Gegenständen heran. Er erkannte, dass nicht alle magisch waren, einige waren augenscheinlich Plunder. Scheinbar hatten die, die sie gesammelt hatten, nicht nur gute Arbeit geleistet. Die pendelnden Luisaren nahmen immer zwei oder drei Dinge hoch, begutachteten sie und warfen das Nichtmagische weg.

Unter den Gegenständen war auch, zu Grodarigs Erleichterung, die Kiste. Scheinbar war das Schloss der Schatulle ungebrochen.

Hoffnung wallte in ihm auf. Während einer der kleineren Luisaren gerade mit einem Ring zum hinauf Hohepriester ging, ging Grodarig etwas näher an die Szenerie heran. Er blickte hektisch in alle Richtungen, doch er konnte einfach keine Wachen finden. Sie schienen nicht damit zu rechnen, dass man sie hier auf ihrem eigenen Boden bestahl. Er griff nach der Schatulle. Ein ohrenbetäubendes Geräusch begann, ein Luisar stürzte aus den Schatten auf ihn zu. Er hatte ihn wohl gerade erst bemerkt.

Grodarig erwischte den Luisaren mit der flachen Seite seines Schwertes am Kopf und rannte so schnell ihn seine Beine trugen zurück in Richtung Urik.

Dicht hinter sich konnte er schritte hören, hunderte Schritte, die in dem kuppelartigen Bau nachhallten. Als er um eine Säule bog, wurde er so stark geblendet, dass er erst dachte, seine Augen würden sich nie wieder erholen.

Urik stand dort, inzwischen nur noch mit einer Fackel, und blickte ihn verdutzt an.

„Lauf“, brüllte Grodarig und Urik, der zwar die Luisaren nicht genau sehen konnte, doch aber zumindest die Reflexionen des Fackelscheines in ihren Augen, ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie rannten direkt auf den Ausgang zu, hinter sich das wütende Geschrei unzähliger Kehlen.

Urik konnte bald die helle Lichtsäule sehen, die die Rettung versprach.

––––––––

„Und das“, knurrte Hauptmann Jovra gefährlich ruhig, „soll ich Ihnen glauben?“

„Ja, Sir.“

„Sie haben die ganze Nacht Wache getan, es ist nichts passiert und diese Schatulle hat die Schrammen schon vorher gehabt?“

„Ja, Sir“, erwiderten beide erneut. Eine Weile herrschte Stille.

„Sie können gehen“, sagte dann Hauptmann Jovra. Er war ein harter Hund und bekannt für seine Wutausbrüche, doch diesmal schien er zu wissen, dass er nichts in der Hand hatte. Jovra konnte nicht beweisen, dass sie Mist gebaut hatten, auch wenn er es ahnte.

Er war zu einer Kontrolle gekommen, gerade als sie sich in dem Raum verschanzt hatten, aus Angst die Luisaren würden ihnen doch ins Licht folgen. Diese waren nämlich kreischend davor zurückgeschreckt.

Jovra hatte sie mit verdreckter Kleidung vorgefunden, Panik in den Augen.

Sie verließen nun das Gebäude und traten auf die Straße hinaus.

Wortlos wandten sie sich erneut zu der Gasse, aus der sie noch vor Kurzem geflohen waren. Dort waren noch immer die Kisten aufgetürmt, doch die Öffnung im Boden war verschwunden.

„Sie haben den Gang zum Einsturz gebracht, denke ich“, meinte Grodarig mit prüfendem Blick.

„Unser Sonnenliebhaber, dessen weitester Weg unter die Erde bis auf dieses Erlebnis vermutlich ein Besuch im Keller war, sieht das natürlich mit zwergischem Fachblick“, merkte Urik grinsend an.

„Ich geb dir gleich mit zwergischem Fachblick einen auf dein Kinderkinn, Mensch“, erwiderte dieser und sie wandten sich ab.

„Lass uns wachsam sein, wer weiß, ob die herausfinden, wo wir wohnen“, merkte Urik nach einer Weile an. Grodarig nickte. „Aber bis dahin, lass uns in den Tanzenden Tosiphonius gehen. Einen heben.“

ENDE Teil 1

Abstieg in die Tiefe Teil 2

„Urik, hast du die freudige Botschaft schon vernommen?“, fragte Grodarig Feuerbart und ließ sich auf den Platz gegenüber Uriks auf eine Bank fallen. Sie saßen in einer Taverne nach Feierabend, wo sich die beiden Stadtwachen jeden Abend zusammensetzen.

„Was‘n?“, fragte Urik müde. Er hatte eine Nachtschicht extra gemacht, soweit Grodarig wusste, und war entsprechend fertig. Urik hob die Hand, um der zierlichen rothaarigen Kellnerin zu zeigen, dass sie noch etwas bestellen wollten.

„Das Horimbar-Viertel wird renoviert“, setzte Grodarig an und wurde von der Rothaarigen unterbrochen.

„Was darf‘s sein, die Herren Stadtwachen?“

„Met“, sagte Urik müde. „Zwei.“

Grodarig nickte und sie rauschte ab.

„Also, das Horimbar-Viertel wird renoviert, wurde von Fürst Zuil gekauft, diesem Vanth. Da werden Fundamente verändert werden müssen und vor allem wird da die Kanalisation überarbeitet. Und rate mal, wen Zuil mit der Beaufsichtigung der Bauarbeiter beauftragt hat? Die Stadtwache, der missbraucht das ganze Rechtssystem doch für seine Bauarbeiten, um Nobelwohnungen zu bauen“, ereiferte sich Grodarig.

„Sag bitte nicht...“, setzte Urik an, doch Grodarig nickte.

„Ja, wir sind auch eingeteilt, gleich morgen Mittag geht’s los“, erklärte er.

„Hoffentlich bekommen wir genug Verstärkung, um uns zu wehren, falls die...“, er suchte nach dem passenden Wort, „...Dinger wieder auftauchen.“

Grodarig nickte. Er erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sie vor einem Monat eine Begegnung gehabt hatten.

„Ach, wird schon irgendwie gut gehen, ich denke nicht, dass sich wer traut, die Bauarbeiter zu behelligen. Eher finden wir ‘nen Schmuggler oder Diebestunnel da“, meinte Grodarig.

––––––––

„Beim Barte des alten Worworik, hat er meine Augen verhext?“, murmelte Grodarig, als sie am nächsten Morgen den Übungsplatz vor der Wachkaserne betraten. Worworik war einer alten Zwergenlegende nach eine Art Dämon, der für seine schlimmen Taten verflucht wurde und jeden Tag in einer Höhle verbringen musste, denn die Sonnenstrahlen ließen ihn zu Stein werden. Bei Mondlicht wiederum konnte er normal wandeln. Es gab einige Flüche bei den Zwergen, die sich auf ihn bezogen.

Urik kannte diese inzwischen durch die gemeinsame Zeit mit Grodarig ziemlich gut und fand, dass Grodarig es treffend ausgedrückt hatte.

Der Platz vor ihnen war voll mit gut sechzig Leuten. Und das Dutzend Wachen, das daneben stand, war vermutlich die gesamte Eskorte. Natürlich zuzüglich der beiden, obwohl sich Urik fragte, ob er sich spontan noch würde krank melden können.

„Ah, die beiden Wachmänner Grodarig und Urik, etwas spät nicht?“, bemerkte ein gut gelaunter glatzköpfiger Wachmann, der ihnen flüchtig bekannt war.

„Eben diese, Wachmann... Koril, richtig?“, antwortete Urik.

Der als Koril angesprochene nickte. „Korrekt.“

„Und, wie werden die verteilt?“, fragte Grodarig und blickte skeptisch zu der Bautruppe hinüber. Die meisten trugen volle Beutel und Säcke auf dem Rücken, in denen es leicht schepperte, wenn sie sich bewegten. Vermutlich randvoll mit Werkzeugen.

„Wir werden von der Fassbindergasse aus hinabgehen und dort werden sie einige Wände einschlagen, die laut den Architekten vermutlich nicht tragend sind“, erklärte Koril und Urik legte Grodarig beruhigend die Hand auf die Schulter, da er sehen konnte, dass Grodarig loszetern wollte, als er die Worte „vermutlich nicht tragend“ hörte.

„Die anderen haben ihre Aufgaben, sie beiden unterstehen heute meinem Kommando“, erklärte Koril. Urik und Grodarig nickten.

Sie folgten ihm mit guten zwei Dutzend beladener Arbeiter zur Fassbindergasse und stiegen dort in die Kanalisation hinab durch eines der schweren eisernen Gitter, durch die bei starkem Regen das Wasser von den Straßen ablaufen konnte.

Am Gitter lagen allerlei Kleinteile, wobei Grodarig sogar mehrere Münzen fand und sie einsteckte. Fiel den Leuten etwas hinunter, blieb es hier, denn die Eisengitter waren mit einem Schloss befestigt, das verhinderte, dass sie entfernt oder gestohlen wurden. Nur Befugte der Stadt bekamen diese Schlüssel ausgehändigt.

Sie gingen durch schmale, enge Gänge, bis ihnen einer der Arbeiter erklärte, dass sie hier richtig seien. Meißel wurden herausgeholt und mit Hämmern wurde eine der Wände bearbeitet. Immer wieder blickten einige der Arbeiter auf Karten, die sie hatten und die den geplanten Neuverlauf des Abwassers anzeigen sollten.

Für Grodarig und Urik war es langweilig und anstrengend ihnen zuzusehen, denn sie mussten gegen das ermüdende Geklopfe der Hämmer ankämpfen und wollten keine Sekunde unaufmerksam sein. Zudem war die ganze Szenerie in ein gespenstisches Licht von mehreren Fackeln getaucht, die munter vor sich hin brannten. Bald stank die abgestandene Luft im Gang nach dem Schweiß der Arbeiter.

„Oh verdammt“, rief einer der Arbeiter, als die Wand einbrach, und es dahinter vollkommen dunkel war. An einer anderen Stelle waren sie bereits durchgebrochen und in einem anderen Gang gelandet, so wie geplant. Allerdings arbeiteten da nun auch drei Männer unter Korils Aufsicht und Grodarig wurde klar, was den Arbeiter am zweiten Durchbruch störte. Es war dunkel dort, das war nicht der gleiche Gang, sondern eine Kammer.

„Ist die verzeichnet?“, rief er zu dem Mann mit den Plänen hinüber.

„Nee“, erwiderte dieser und studierte die Zeichnungen, die er hatte. Grodarig spähte ebenfalls hinein und sah, dass sie zwar an der richtigen Stelle waren, der Raum aber nicht da sein sollte.

„Gib ma‘ einer ‘ne Fackel“, rief der Arbeiter, der den Durchbruch gemacht hatte.

„Sollen wir mit?“, flüsterte Urik leise zu Grodarig.

„Vermutlich“, erwiderte dieser ebenso wenig begeistert und sie beide folgten dem Arbeiter in den dunklen Raum.

„Hier, das sieht aus wie Betten“, bemerkte der Arbeiter und deutete auf Holzkonstruktionen mit Pritschen, auf denen alte Lumpen lagen.

„Oder das Materiallager eines Papiermachers.“

Urik hatte davon gehört, dass sie Lumpen ankauften, um den wertvollen Stoff zu erstellen, auf dem von Gesetzen bis hin zu Legenden Wissen festgehalten wurde.

„Vielleicht wirklich ein Schlupfwinkel von jemandem“, überlegte Grodarig laut.

„Wird es in irgendeiner Weise die Arbeiten verzögern?“, fragte Urik und blickte dabei den Arbeiter an.

Dieser schüttelte den Kopf. „Nicht sonderlich, wir werden nur diesen Abschnitt erstmal so lassen. Nicht dass wir hier was Tragendes umhauen.“

„Das wird den Fürsten nicht gerade freuen“, meinte Urik, der sich noch lebhaft an das Gerede der Leute über Fürst Zuil erinnern konnte. Er wurde meistens auf unschmeichelhafte Weise beschrieben, dass er nicht nur selbstverliebt war, sondern auch ungeduldig und ignorant, wenn es um die Sicherheit anderer ging. Vielleicht gerade deshalb war er aktuell immer wieder im Gespräch, da er massiv an Einfluss in verschiedenen Wirtschaftszweigen gewann.

Sie gingen dabei weiter im Raum auf und ab, inzwischen waren ihnen einige massiv wirkende Holztüren aufgefallen, die geschickt versteckt in den Schatten, die die Bettkonstruktionen warfen, lagen.

„Mir egal, ich bin nicht aus der Stadt“, grinste der Arbeiter. „Wie heißt ihr eigentlich?“

„Mein verehrter Kollege hört auf den klangvollen Namen Grodarig Feuerbart und mich nennt man Urik“, erklärte selbiger schwungvoll und mit einer ausholenden Geste, die er übertrieben gestellt wirken ließ.

„Angenehm, mich nennt man den Hammerschwinger, Höhergestellte nennen mich ‚He du‘ und andere wiederum nur Grao“, erklärte Grao und machte eine ebenso übertriebene Halbverbeugung.

Plötzlich war ein Ruf zu vernehmen aus dem Gang, in dem unablässig das Hämmern und Klopfen der Arbeiter dominierte.

„Scheiße, seht euch die Missgeburt an“, dröhnte es durch den Gang. Das Hämmern hörte auf.

„Schaun wir mal“, murmelte Urik zu Grodarig, während sie beide Böses ahnend in den Gang zurücktraten.

Es hatte sich eine kleine Traube um die „Missgeburt“ gebildet. Grodarig drängelte sich durch, indem er die Leute in Hüfthöhe wegrempelte.

Er wollte gerade noch einmal mit Kraft jemanden wegstoßen, da tat sich ihm die Sicht auf das Zentrum der Versammlung auf. Eine der seltsamen Kreaturen, die er und Urik bereits von ihrer letzten Eskapade unter der Stadt kannten, saß dort. Sie hatte spitze Ohren, die von ihrem kahlen Schädel abstanden. Die hohe Stirn hatte sie in Falten gelegt, während sie mit ihren schwach grünlich leuchtenden Augen die Arbeiter musterte.

„Shin‘shari?“, murmelte sie dabei. Grodarig hatte nicht die geringste Ahnung, was das hieß, geschweige denn welcher Sprache es entstammte. Er hatte schon so einige bei seinem Dienst für die Stadtwache der Hafenstadt Urukor gehört, doch diese war ihm fremd.

„Na, wo kommst du her?“, fragte einer der Männer und betonte die Wörter, als rede er mit einem Kind.

„Geht, Grodo, Halbwilde, sterbliche Diener“, flüsterte es dann auf einmal aus den Schatten weiter hinten im Gang. Einige grünlich glimmende Augenpaare waren zu erkennen. Und es schienen mehr zu werden.

„Was zum...“, begann einer der Arbeiter, doch weiter kam er nicht. Eine der Kreaturen sprang ihm an den Hals und riss ihn mit ihren spitzen Klauen auf. Blut sprühte über die Menschenmenge und Grodarig. Die Menge teilte sich in jene, die reflexartig ihre Arbeitswerkzeuge nutzen, um sich gegen die Kreaturen zu wehren, und einige, die wie Grodarig weiter weg waren von der ersten Angriffswelle und sofort umdrehten, um wegzulaufen.

Urik, Grodarig und Grao liefen mit einigen anderen Arbeitern los, doch kaum dass sie einige Meter weit gekommen waren, sahen sie bereits, wie sich das Licht ihrer Fackeln in den Augen anderer Bestien spiegelte, die auf sie warteten. Urik zog Grodarig und Grao, kurz bevor eine der heranspringenden Kreaturen sie erwischen konnte, am Kragen zur Seite und riss sie in den Raum mit den Lumpen.

„Wohin?“, fragte Urik an Grodarig gewandt, der auf eine der Türen deutete, die hinter den Bettkonstruktionen im Schatten lagen.

„Die da.“

„Wieso, weißt du, was dahinter ist?“

„Nein, aber von da her müffelte es nicht so“, erwiderte Grodarig und rannte dicht gefolgt von den anderen beiden zur Tür. Er riss sie auf und war erfreut festzustellen, dass sich das Licht seiner Fackel nicht in den Augen einer Kreatur spiegelte, sondern einen Gang beschien, der sich irgendwo in der Dunkelheit zu verlieren schien.

„Kann man die absperren?“, fragte Urik, doch Grao schüttelte den Kopf. „Kein Schloss.“

Sie rannten, ohne sich umzudrehen, los und warteten darauf, dass sie Schritte hinter sich hören würden, doch es kamen keine. Mehrmals kamen sie an Abzweigungen und entschieden sich nach Grodarigs Gefühl spontan für eine.

Bald landeten sie in einer kleinen Kammer ähnlich der, aus der sie gekommen waren, nur dass hier Bücher und Schriften auf den Regalkonstruktionen wahllos herumlagen. Eine einzelne Kreatur stand über ein Buch gebeugt, das fast so groß wie sie selbst war, und blickte im schwachen Licht eines Kerzenhalters mit mehreren Kerzen auf die vergilbten Seiten.

Urik und Grodarig blickten sich an und nickten. Sie machten Groa ein Zeichen, dass er warten sollte, und sie schlichen gemeinsam zu der Kreatur. Grodarig packte sie von hinten und hielt ihr den Mund mit der einen Hand zu, während er sie mit der anderen würgte. Urik zog seine Klinge und hielt sie der Kreatur an den Hals, die nach einigen Versuchen aufhörte sich zu wehren.

„Kannst du unsere Sprache sprechen? Nicke, wenn ja“, sagte Urik. Einen Moment schien die Zeit still zu stehen, bis die Kreatur nickte.

„Wir wollen nur ein paar Auskünfte von dir, danach lassen wir dich gehen“, erklärte Urik und war froh, dass das Wesen Grodarig in diesem Moment nicht sehen konnte, dessen Gesicht aussah, als wäre er da ganz anderer Meinung.

Die Kreatur nickte erneut und Grodarig ließ seine Hand etwas locker.

„Wer seid ihr?“, fragte die Kreatur mit einem seltsamen Akzent, nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte.

„Wir stellen hier die Fragen. Wie heißt du?“, sagte Urik.

„Sholshawrir“, erwiderte die Kreatur.

„Okay, Shol, wo sind wir hier?“

„In einem der Wissenshorte“, erklärte Sholshawrir mit einem Tonfall, der deutlich nach Freude über ihr Unwissen klang.

„Was bist du?“

„Ein stolzer Diener der Komokawa, doch ihr nanntet uns stets anders, nach unserem Urahn, Luisaren.“

„Warum habt ihr uns angegriffen?“, mischte sich nun Grao ins Gespräch ein. „Was haben wir euch getan?“

„Ich weiß nicht, was ihr meint, Menschen werden nur getötet, wenn es zweckdienlich ist oder ihr uns zu nahe kommt, aber wir müssen uns ja nicht mehr allzu lange verstecken...“, erklärte Shol und biss sich auf die Lippe, bevor er noch mehr sagen konnte.

„Wieso?“, fragte Urik ruhig und piekste Shol mit der Spitze seines Schwertes in den langen Finger. Dieser zuckte. „Ihr werdet es nie aus mir herausbekommen!“

„Na dann“, erwiderte Urik und schnitt eine handbreit den Unterarm des Luisaren entlang, der jaulte, was aber nicht allzu laut war, da Grodarig ihm rechtzeitig den Mund zuhielt.

„Ich kann das den ganzen Tag machen“, erklärte Urik und grinste böse, um den Luisaren einzuschüchtern. Es funktionierte.

„Also gut, also gut, ich könnt mit diesem Wissen eh nicht mehr viel anrichten“, erklärte er, wie um sich selbst zu beruhigen. „Wir werden einen unserer Meister,  Fir‘raf, wiederbeleben. Nach all der Zeit ist es uns nun gelungen, genug Magie zu sammeln, um ihn wiederzubeleben, damit er uns in ein neues Zeitalter führt, fernab dieser dreckigen Kloake, in der wir seit Jahrhunderten schmachten.“

„Wunderbar, und wie?“, fragte Urik, der ihm nicht ein Wort glaubte. Andererseits, ging es ihm durch den Kopf, hatte es vielleicht mit dem zu tun, was sie vor einer Weile hatten mit ansehen dürfen?

„Wie kommt man am schnellsten zur Oberwelt?“, fragte Grodarig, während Urik noch nachdachte.

„Der einzige Weg führt dort entlang“, sagte Shol und deutete mit dem Kopf zu einer Tür in der Nähe. „Von der großen Halle aus kommt man überall hin.“

„Vielen Dank“, erwiderte Urik und schlug ihm den Knauf seines Schwertes gegen die Stirn, woraufhin der Luisar bewusstlos wurde.

„Willst du ihn hierlassen und das Risiko eingehen, dass er aufwacht und uns verpfeift?“, fragte Grao und Urik nickte. „Er hat uns geholfen“, erwiderte er. „Dafür bring ich ihn nicht um.“

„Dann will ich hoffen, dass uns das nicht noch Ärger bringt“, sagte Grao und beließ es dabei. Sie wandten sich der Tür zur und Grodarig öffnete sie einen Spalt, um zu sehen, was dahinter war. Währenddessen tauschten sie ihre Fackel gegen eine der Laternen, die an den Regalen hingen und Klappen besaßen, um das Licht auszurichten.

„Nichts, niemand. Nur verdammt dunkel und groß“, erwiderte er auf Uriks Frage, was dort sei. Sie öffneten die Tür und gingen hinaus, jeder mit einer Laterne bewaffnet, deren Strahl nur direkt vor sie wies.

Eine Weile gingen sie geradeaus, ohne weiter sehen zu können als einige Schritte, bis sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten.

„Urik, wir waren schon einmal hier, oder?“, fragte Grodarig nach einigen weiteren Schritten. Urik nickte. Die Decke war nur schemenhaft über ihnen zu sehen. Teils mit aufwendigen Mustern verzierte Säulen stützen sie ab.

„Ja“, hauchte Urik, denn er hatte Sorge, dass seine Stimme hier ungeahnt weit getragen werden würde.

Sie schlichen weiter, bis sie wieder an eine Außenwand kamen, an der sie sich nach links wandten und weitergingen.

„Ihr wisst, wohin ihr geht?“, flüsterte Grao leise, nachdem sie bereits eine Weile unterwegs waren, zweifelnd.

Grodarig nickte und erwiderte: „Die Luft wird besser, vertrau der Nase eines Zwerges.“

Urik konnte den zweifelnden Blick Graos völlig verstehen, schaute aber zuversichtlich, um ihn zu beruhigen. Auch wenn es dämlich klang, Zwerge hatten ein Gespür für die Richtung, in die sie gingen, zumindest wenn es halbwegs dunkel war und sie nicht abgelenkt wurden. Dass Grodarig das auf seine Nase zurückführte, war seine Sache.

Bald erreichten sie einen aufwendig verzierten Durchgang, hinter dem ein Gang in Trümmern lag. Stücke der Decke waren heruntergebrochen und an manchen Stellen war sie künstlich mit Holzbalken verstärkt worden. Grodarig ging geradewegs darauf zu. Urik hielt ihn an der Schulter fest und blickte ihn fragend an.

„Das ist der richtige Weg, denke ich“, erklärte er und schüttelte Uriks Hand ab. Urik zuckte mit den Schultern und ging gefolgt von Grao hinterher.

Die Wände waren reich verziert gewesen in früher Zeit, zumindest wirkten sie auf Urik so. Farbreste an einigen Stellen zeugten von Wandgemälden, die sicherlich einmal eine Bedeutung gehabt haben mussten, heute aber nur noch zu erahnen waren.

„Was hier wohl einmal war?“, fragte Urik ehrfurchtsvoll, weil er sich vorstellte, wie prächtig dieses Gewölbe einmal ausgesehen haben musste.

„Angeblich sind die Menschen ja die Zweiten, die hier leben“, erwiderte Grao. „Bei Bauarbeiten ist man immer wieder auf nicht verzeichnete Abschnitte gestoßen, in manchen waren sogar Statuen. Man sagt, dass die Elben einst hier gehaust haben, sie sollen die die spitzohrigen Dämonen erschaffen haben. Unsterblich und Gottgleich sollen sie gewesen sein in jenen Tagen.“

„Die sind erfunden“, erwiderte Urik entschlossen. „Man erzählt kleinen Kindern von ihnen, aber ich bezweifle, dass es wirklich eine unsterbliche Rasse von so mächtigen Wesen gegeben haben soll. Ich meine, wo ist sie denn bitte heute, wenn sie so mächtig ist? Das ist reine Erfindung. Oder Übertreibung.“

„Auch wieder wahr“, stimmte ihm Grao zu. „Aber Fakt ist, dass es Urukor schon länger gibt, als wir denken. Ich glaube, dass ein vergangenes Königreich diesen Ort bereits als Stadt nutzte, vor langer, langer Zeit, so dass es keine Erzählungen mehr darüber gibt, wie es Teil unseres Königreichs wurde.“

Schweigend gingen sie weiter, immer bedächtig auf fremde Schritte lauschend, und auf das Knirschen der Decke.

Bald hörten sie eine Bewegung weiter vorne im Gang. Sie verbargen sich sofort hinter einem Haufen Schutt und lauschten. Zwei leise Stimmen waren zu hören. Grodarig reichte Grao eines seiner Beile und sie schlichen leise vorwärts. Hinter einer Biegung öffnete sich der Gang in einen Saal von zwanzig mal zwanzig Schritten, der fast völlig von einer auf den ersten Blick wirren Holzbalkenkonstruktion getragen wurde. Erst bei näherem Hinsehen wurde klar, dass die Konstruktion schlichtweg genial das Gewicht meist zu den Seiten wegleitete und so nur wenige Stützbalken den Boden berühren mussten. Diese wurden wiederum von einigen Seilen in Position gehalten.