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Kai Biermann · Thomas Wiegold

Drohnen

Chancen und Gefahren einer neuen Technik

Kai Biermann
Thomas Wiegold

Drohnen

Chancen und Gefahren
einer neuen Technik

Ch. Links Verlag

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet
diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Juli 2015 (entspricht der 1. Druckauflage von Mai 2015)
© Christoph Links Verlag GmbH
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0
www.christoph-links-verlag.de; mail@christoph-links-verlag.de
Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Fotos von einer
unbewaffneten Drohne vom Typ »Predator«, Mopic/shutterstock.com
Lektorat: Jan Martin Ogiermann, Berlin
Satz: typegerecht, Berlin

INHALT

Einleitung: Scharfschützen am Himmel

TECHNIK

1. Von der Ballonbombe zum ferngelenkten Flugzeug (1898 – 1945)

2. Vom ersten »Hunter-Killer« zum global operierenden »Sensenmann« (1945 – 2015)

3. Am Himmel über dir – Fliegende Drohnen und was sie können

4. Bugs und Hacks – Auch Drohnen sind nur Computer

EINSATZ

5. Zu Wasser und zu Lande – Drohnen gibt es überall

6. Zivile Drohnen – Für Post und Landwirtschaft

7. Allsehende Augen – Staatlicher Einsatz im Inland

ETHIK

8. Schutzengel der Infanterie – Warum Soldaten sich Drohnen wünschen

9. Wenn der Himmel auf den Kopf fällt – Die Opfer des Drohnenkrieges

10. Töten von 9 bis 17 Uhr – Die Entkoppelung von Krieg und Krieger

RECHT

11. Angriff an jedem Punkt der Erde – Wie die USA sich ihr eigenes Völkerrecht basteln

12. Das Luftfahrtrecht und wie es den »EuroHawk« zum Scheitern brachte

ZUKUNFT

13. Die Bundeswehr und ihre (bewaffneten) Drohnen – Gestern, heute, morgen

14. Drones only made in USA? – Europas Aufholjagd

15. Die nächste Generation – Sitzt noch ein Mensch am Steuer ?

ANHANG

Abkürzungen

Verwendete Quellen

Abbildungsnachweis

Angaben zu den Autoren

Scharfschützen am Himmel

»We managed to make one of the last remaining universal symbols of pleasantness – blue sky – completely fucking terrifying.«

(Wir haben es hinbekommen, eines der letzten universellen Symbole für Freundlichkeit – den blauen Himmel – in etwas absolut Entsetzliches zu verwandeln.)

John Oliver, »Last Week Tonight«, September 2014

Ein Blitz erhellt den Bildschirm, gleißendes Weiß im Graugrün der Infrarotkamera. Dann folgt hellgrauer Rauch. Als der sich verzogen hat, sind in der Nähe des Kraters, den die Explosion riss, die Überreste von zwei Menschen zu erkennen. Ihre Körper sind noch warm, hell zeigt die Optik der Wärmebildkamera sie auf dem dunklen, gefrorenen Boden. Ein drittes Opfer lebt noch, sein rechtes Bein ist oberhalb des Knies abgerissen. Der Mann greift sich an den Stumpf, wälzt sich auf der Erde. Blut spritzt aus der Wunde. Es fließt auf den Boden, bildet eine Pfütze. Die Infrarotkamera zeigt es auf dem kalten Boden als einen heißen, hellen Fleck, der langsam blasser wird. Irgendwann bewegt der Mann sich nicht mehr, sein Körper kühlt aus, wird ebenfalls blasser.

Diese Szene hat Airman First Class Brandon Bryant 2007 erlebt und sechs Jahre später einem Journalisten des amerikanischen Magazins GQ beschrieben. Nie mehr werde er sie vergessen, sagt er. Es war das erste Mal, dass er an einem Raketenangriff auf Menschen beteiligt war. Er war damals 21 Jahre alt und Sensor Operator einer MQ-1B »Predator«, also Waffenoffizier einer Drohne der amerikanischen Luftwaffe. Sein Job war es, einen Laser auf das Ziel zu richten, damit die »Hellfire«-Rakete es findet. Für Bryant sahen die Männer aus wie Schäfer, doch sein Befehl sagte, es seien bewaffnete islamistische Kämpfer, also befolgte er ihn und tötete sie.

Während die drei Männer in der Provinz Kunar im Osten Afghanistans starben, saß Bryant Tausende Kilometer entfernt in einem klimatisierten und abgedunkelten Container in der Wüste von Nevada. Zusammen mit dem Piloten der Drohne befand er sich in einer Bodenkontrollstation auf der Nellis Air Force Base, einer Ansammlung von Hangars entlang zweier Landebahnen am Stadtrand von Las Vegas. In seinen sechs Jahren, die Bryant bei der Air Force diente, absolvierte er 6000 Flugstunden mit Drohnen. »Ich sah in dieser Zeit Männer, Frauen und Kinder sterben«, sagte er im Dezember 2013 in einem Interview mit der Zeitschrift Der Spiegel. »Ich hätte nie gedacht, dass ich so viele Menschen töten würde. Ehrlich gesagt, ich dachte, ich könnte gar niemanden töten.« Drohnenoperator Bryant erzählte seine Geschichte den Medien, weil sein Therapeut ihm dazu geraten hatte, über das Erlebte zu sprechen. Und weil er will, dass nun auch bekannt wird, was es heißt, Drohnen zu fliegen. Denn nicht nur die Opfer der Angriffe leiden, auch die Täter. Es ist eine ganz eigene Art von Grauen, dem die Bediener ausgesetzt sind.

Seit dem 11. September 2001 gehören Drohnen zu den wichtigsten Waffen der USA. »Drohne« ist ein laienhafter Sammelbegriff für aus der Ferne gesteuerte unbemannte Flugzeuge oder Hubschrauber, bestückt mit Kameras, Antennen, Waffen. Drohnen in der Luft bestimmen derzeit unser Bild dieser Technik, dabei können Drohnen überall sein: am Himmel, am Boden, auf und im Wasser. Ihr wichtigstes Merkmal ist, dass sie entweder aus der Ferne gelenkt werden oder gleich ganz ohne einen Piloten auskommen. Anfangs dienten sie nur als Instrumente der Aufklärung, seit Ende 2001 aber immer häufiger auch als Scharfschützen am Himmel, als sogenannte Hunter-Killer-Drohnen, die den Gegner jagen und bekämpfen. Drei Länder gibt es derzeit, die Drohnen auf diese Art einsetzen: die USA, Großbritannien und Israel. Dabei haben die USA ohne Zweifel die größte Flotte dieser automatisierten und ferngelenkten Maschinen, amerikanische Drohnen werden deshalb in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen. Von den Tausenden US-Drohnen sind manche so klein, dass sie aus der Hand gestartet werden können, andere sind so groß wie Verkehrsflugzeuge. Im Jahr 2012 bildete die amerikanische Luftwaffe zum ersten Mal mehr Drohnenoperatoren aus als Piloten für Kampfflugzeuge, und dieses Verhältnis wird sich fraglos nicht mehr ändern.

Obwohl die Ausgaben der US-Regierung für das Militär sinken, obwohl Schiffe und Flugzeuge gestrichen werden und die Zahl der Soldaten zwischen 2013 und 2023 um 100 000 Mann verringert werden soll, wie das Internetmedium Marketplace Tech Report 2012 schrieb, sollen die Ausgaben für Drohnen in der gleichen Zeit um 30 Prozent steigen. Schon 2009 hatte der damalige amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates laut einem Bericht des Nachrichtensenders CNN gesagt, dass die kommende Generation US-Jagdflugzeuge, die F-35, die letzte sein wird, die noch bemannt ist.

Aus Sicht der Militärs sind Drohnen die perfekte Waffe. Wer sie bedient, ist für seine Gegner unerreichbar, er kann nicht verletzt, nicht getötet werden. Gleichzeitig übt er absolute Macht aus, indem er unsichtbar gewissermaßen über allem schwebt und zuschlägt, wann und wo es ihm richtig erscheint. »Der Krieg ist nicht länger bloß asymmetrisch«, schreibt Grégoire Chamayou in seiner Betrachtung »Ferngesteuerte Gewalt«, »sondern absolut einseitig. Was vorher noch wie ein Kampf erschien, verwandelt sich nun in eine bloße Tötungskampagne.«

Ferngesteuerte Flugzeuge sind die bevorzugte Waffe, wenn die USA irgendwo auf der Welt Menschen töten – erst in Afghanistan, Irak und Pakistan, inzwischen auch in Jemen, Somalia oder Libyen. Andere Staaten machen es ihnen nach. Israel, Großbritannien, bald wohl auch Deutschland haben bewaffnete Drohnen im Arsenal. Wie viele Menschen bereits durch von Drohnen abgefeuerte Waffen starben, kann niemand genau sagen. Das Bureau of Investigative Journalism, eine der Organisationen, die versuchen, die Toten zu zählen, geht davon aus, dass bei Angriffen der USA von 2004 bis 2014 zwischen 3204 und 5346 Menschen getötet wurden. Die Zahlen sind offensichtlich nicht zu hoch. Eine der wenigen offiziellen Äußerungen zu dem Thema stammt von US-Senator Lindsey Graham. In seiner Rede im Easley Rotary Club in South Carolina im Februar 2013 sagte er: »Wir haben 4700 getötet.«

In den Ländern, in denen Menschen von den »Hellfire«-Raketen der Drohnen getroffen werden, sorgt das für wütende Proteste. Dort sind die vom Boden aus unsichtbaren und unhörbaren Drohnen zu einem ständigen Schrecken geworden, der über den Köpfen der Menschen schwebt und unberechenbar zuschlägt. Amerika habe es geschafft, sagte der Satiriker John Oliver in seiner Show »Last Week Tonight« im September 2014, »eines der letzten universellen Symbole für Freundlichkeit – den blauen Himmel – in etwas absolut Entsetzliches zu verwandeln«. Selbst in muslimischen Ländern, die den USA freundlich gesinnt sind, lehnt die Mehrheit Drohnenangriffe ab. In der Türkei zum Beispiel sind 81 Prozent der Menschen dagegen, beobachtete das Pew Research Center 2012. In den USA selbst waren es demnach nur 28 Prozent. Doch auch in den USA gibt es erbitterte Gegner dieser Einsätze und diverse Organisationen, die dagegen kämpfen. Sie fordern, bewaffnete Drohnen genau wie Landminen und Streubomben international zu ächten.

Zweite Szene. Am 19. Februar 2011 demonstrierte Clara Bünger mit vielen anderen in Dresden gegen einen geplanten Aufmarsch von Neonazis. Jedes Jahr wollen diese auf ihre Art mit einem »Trauermarsch« an die Bombardierung Dresdens durch britische Flugzeuge im Zweiten Weltkrieg erinnern. Viele tausend Bürger versuchten zu verhindern, dass Neonazis den 19. Februar für sich einnehmen, und traten ihnen auf der Straße entgegen. Sie demonstrierten für Völkerverständigung und Frieden und blockierten die rechtsextreme Kundgebung. Doch die Demos an diesem Tag erregten durch etwas anderes landesweit Aufmerksamkeit: Die sächsische Polizei hatte sogenannte Funkzellenabfragen geschaltet, um Teilnehmer der Demos zu überwachen. Mehr als eine Million Handyverkehrsdaten und über 300 000 Rufnummern wurden dabei von ihr gesammelt, 55 000 Menschen – Demonstranten und Unbeteiligte – gerieten in das Raster der Ermittler.

Die Funkzellen waren nicht das Einzige, was überwacht wurde. Im Deutschlandfunk schilderte Clara Bünger später, was sie beobachtet hatte: »Am 19. Februar war ich in der Nähe vom Hauptbahnhof in Dresden demonstrieren, weil die Nazis sich am Hauptbahnhof versammelt haben und wir uns gegen Nachmittag auch zu einer Kundgebung dort versammelt haben. Während der Versammlung hat mich eine Person angetippt und gefragt: ›Eh, was ist denn dort oben in der Luft?‹ Dann hab ich nach oben geguckt, wie viele andere auch zu dem Zeitpunkt, und hab dort oben was fliegen sehen und hab mich gefragt, was das denn sei. Im ersten Moment habe ich gedacht, schießt das Ding oder filmt es? Ich hab mich natürlich total bedroht gefühlt, von vorne die Polizisten mit den Helmen und der ganzen Montur, von der Seite die Polizisten, von oben auch noch die Drohne, von vorne auch noch die Handkameras der Polizisten, die uns auch gefilmt haben. Dann hab ich im Nachhinein erfahren, dass auch noch mein Handy registriert wurde, und das hat mich natürlich auch total geschockt, weil ich hab mich in der Situation eher wie ein Verbrecher gefühlt oder vielleicht sogar eher, wie der Nazi dann sich eigentlich fühlen sollte.«

Bünger sah eine Drohne der sächsischen Polizei, genauer einen Sensocopter vom Typ md4-1000 der Firma Microdrones. Diese werden von vier Rotoren angetrieben, haben einen Durchmesser von ungefähr einem Meter, können bis zu 1000 Meter hoch fliegen und eine Kameraausrüstung mit bis zu 1,2 Kilogramm Gewicht tragen, deren Bilder verschlüsselt an eine Leitstelle am Boden gesendet werden. Die Drohne wurde ferngesteuert und gehörte dem sogenannten Servicebereich Bildübertragung beim sächsischen Polizeiverwaltungsamt. 2008 begann die Polizei des Bundeslandes, solche Kopter zu testen. Seit 2010 ist dort ein Exemplar des Typs md4-1000 im Einsatz.

Die sächsische Polizei nutzt das Gerät nach eigener Aussage, um eine »Lücke« in der Videobeobachtung zu schließen – zwischen Kamerateams am Boden und Kameras in Hubschraubern. Denn am Boden fehlt der Überblick, und Hubschrauber dürfen über bewohntem Gebiet gewisse Mindestflughöhen nicht unterschreiten. Das klingt einleuchtend, doch der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig sah die Sache anders. Er kritisierte später im Deutschlandfunk, die umfassende Videoüberwachung der Demonstration habe eine abschreckende Wirkung auf die Demonstranten. Das sei ein Problem, denn es hindere »möglicherweise den Bürger, der sein demokratisches Grundrecht auf Versammlungsbetätigung wahrnehmen will, daran, sich politisch zu betätigen«.

Eine dritte Szene, zitiert aus einer Meldung der bayerischen Polizei: »Am Donnerstag, gegen 16.45 Uhr, wurde die Polizei darüber verständigt, dass eine Hubschrauberdrohne in der Oberndorferstraße unterwegs war. Diese Drohne stand längere Zeit über einer Garage und filmte dabei einen von außen uneinsehbaren Garten. Darin sonnten sich die 47-jährige Wohnungsbesitzerin und ihr Lebensgefährte. Beide lagen nackt im Garten. Die Polizei hat ein Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen eingeleitet. Der 62-jährige ›Pilot‹ muss nun mit einer Strafanzeige rechnen.«

Drei Drohnen und drei Einsatzmöglichkeiten dieser Technik, die derzeit immer wieder Schlagzeilen machen: Kampfeinsätze, Videoüberwachung und Hobbyspanner sind die Szenarien, die das Bild dieser Kulturtechnik bestimmen und mit denen der Begriff Drohne derzeit verknüpft ist. Gleichzeitig gibt es weltweit eine riesige Szene von Enthusiasten, für die Drohnen – oder genauer: mit Kameras ausgerüstete ferngesteuerte Flugzeuge und Kopter – die Erfüllung eines Traumes sind. Wenige hundert Euro kosten die Geräte, sie lassen sich im Eigenbau herstellen und mit quelloffener Software steuern, die Entwickler kostenlos im Netz zur Verfügung stellen. Mobiltelefone haben das letztlich möglich gemacht. Der riesige Markt, der immer kleinere Sensoren, Chips und Steuerelemente hervorbringt, hat auch dazu geführt, dass Drohnentechnik leichter und billiger wurde. Dank solcher Chips können Drohnen sich im Flug stabilisieren, sich an Geokoordinaten orientieren oder auch ganz autonom operieren.

Wer etwas übt, kann solche Drohnen problemlos fliegen, kann sie 50, 100 oder mehr Meter hoch schweben lassen und sich die Bilder, die sie senden, auf dem Laptop, dem Smartphone oder einer Videobrille anzeigen lassen. Die Erde aus einer anderen Perspektive zu erleben, ist kein teurer Traum mehr. Für ihre Piloten sind Drohnen der Weg zu einem gottgleichen Blick, der ihnen immer neue Einsichten gewährt. Sie sehen durch die Augen der Drohnen eine andere, größere Welt.

Und dann gibt es noch die Menschen, denen Drohnen das Leben erleichtern oder es ihnen sogar retten. Hauptmann Marcel Bohnert, ein Panzergrenadier der Bundeswehr, war als Kompaniechef der Schnellen Eingreiftruppe in Nordafghanistan eingesetzt. Mit seinen Männern war er außerhalb der befestigten Camps unterwegs und immer wieder in Dörfern, in denen die Soldaten in Hinterhalte geraten konnten – und schon geraten waren. Dass dabei eine Drohne die Truppe im Auge behielt und die Umgebung absuchte, war für den Soldaten eine Erleichterung. »Kaum eine Patrouille musste ohne Luftunterstützung stattfinden«, erzählt Bohnert nach seiner Rückkehr nach Deutschland. Über den Einsatz von Aufklärungsdrohnen dürfe es »keine ernsthaften Diskussionen geben. Sie sind unverzichtbar!« Und ein Drohnenpilot der Bundeswehr sagt über seine Kameraden am Boden: »Wenn sie einmal eine[n] ›Heron‹ [über sich] hatten, sind sie süchtig danach. Sie machen Operationen nur noch, wenn sie eine[n] ›Heron‹ haben.«

Über Bohnert und seiner Kompanie schwebten aber nicht nur die fliegenden Kameras, sondern auch waffentragende Fluggeräte. Auch damit hat er kein Problem: »Bewaffnete Drohnen erscheinen als Begleiter deutscher Bodentruppen im Einsatzgebiet und zu deren direkter Unterstützung ebenfalls legitim.« Die Bundeswehr selbst hat bislang keine unbemannten Systeme mit Waffen. Am Hindukusch sorgten die Verbündeten dafür, dass auch den Deutschen im Notfall Raketen aus der Luft zur Verfügung standen – abgeschossen von Kampfjets, Hubschraubern oder eben Drohnen.

Drohnen sind längst überall. Das Militär trieb ihre Entwicklung voran, sah in ihnen erst fliegende Augen, dann Waffen. Inzwischen aber haben auch in vielen anderen Bereichen Menschen erkannt, was Drohnen können. Nicht zuletzt private Unternehmen forcieren nun ihre Weiterentwicklung. In vielen Filmproduktionen ersetzen sie teure Hubschrauberflüge oder machen Einstellungen möglich, die es bislang nicht gab. Auf Höhe einer Hundenase neben einem Fußgänger am Boden schweben, kurz darauf hoch empor in die Luft steigen und ihn von oben zeigen ist kein Problem mehr und verlangt keine aufwendigen Krankonstruktionen. Aber auch Landvermesser nutzen Drohnen, Wissenschaftler und Lebensretter. Eine Art Goldrausch ist gerade im Gange – Drohnen sind eine Technik, von der sich viele Unternehmer viel versprechen.

Amazon und die Deutsche Post erhoffen sich von ihnen die schnelle Lieferung von Paketen in entlegene Regionen. Der wohl noch viel größere Markt für Drohnen, die Landwirtschaft, wächst sogar schon seit Jahren im Stillen. Bauern in Japan setzen längst auf diese Technik, um kranke Pflanzen früh zu erkennen, schlecht gedüngte Bereiche zu finden oder um Pestizide zu versprühen.

Wie bei allen Maschinen wird auch die Entwicklung von Drohnen von dem Wunsch getrieben, sich die Arbeit einfacher zu machen und Gefahren zu vermeiden. Dull, dirty, dangerous – langweilig, schmutzig und gefährlich sind die Jobs, die Roboter erledigen sollen. »Eine unbemannte Drohne hat keine Furcht, keine Familie und keine Zweifel. Sie fliegt in die gefährlichste, in die feindseligste Umgebung und schießt dort die besten, die unglaublichsten Aufnahmen, auf die wir Reporter nur hoffen können«, sagte BBC-Producer Ognian Boytchev. Denn nicht nur das Militär ist auf Bilder angewiesen, Medien sind es auch. Daher stellt der britische Sender BBC ein Drohnenteam auf. Es soll künftig Kameramännern in Kriegsgebieten Arbeit abnehmen, sodass diese nicht mehr ihr Leben riskieren müssen.

Piloten wird es bald wohl nur noch am Boden geben. Drohnen – unbemannte und bald auch autonom agierende Fluggeräte – sind eine wichtige Kulturtechnik, noch zuallererst für das Militär. Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière warnte 2013 davor, die Entwicklung von Drohnen für die Bundeswehr generell in Frage zu stellen. »Das ist eine riesige Zukunftstechnologie in Deutschland und Europa. Wir können uns und sollten uns davon nicht abkoppeln.« Doch Drohnen können mehr als überwachen, schießen und zerstören. Sie können das Leben leichter und besser machen und neue Einblicke gewähren. Nicht nur am Himmel, auch am Boden und unter Wasser.

Dieses Buch will einen Überblick darüber geben, was Drohnen leisten, was sie wahrscheinlich leisten werden und wo ihre Grenzen sind. Es will beschreiben, welche Drohnen es gibt und welche es in naher Zukunft geben wird. Es will diskutieren, welche Gefahren beim Einsatz dieser Geräte existieren und welche rechtlichen Normen entwickelt werden müssen, um ihren Einsatz zu regeln. Denn eines steht außer Frage: Drohnen sind eine Chance, aber auch eine Herausforderung für unsere Gesellschaft, die den Umgang mit ihnen noch lernen muss. Sie können ein Fortschritt sein – oder eine tödliche Gefahr.

TECHNIK

1. Von der Ballonbombe zum ferngelenkten Flugzeug (1898 – 1945)

Was sind Drohnen?

Es ist wohl der größte Makel der Menschen, dass sie nicht in Frieden miteinander leben können. Gewalt und Waffen begleiten den Weg der Menschheit seit Anbeginn. Auch Drohnen sollten zuerst und vor allem Waffen sein – oder den Einsatz von Waffen ermöglichen. Bereits die Ersten, die über dieses Konzept nachdachten, sahen darin das Potenzial zum Töten. Andere Ideen, wie sich damit vielleicht Pakete transportieren oder die Landwirtschaft verbessern ließen, kamen erst viel später. Lange waren es Militärs, die ihre Entwicklung vorantrieben. Daher soll es im Weiteren erst einmal um Drohnen als Waffen gehen, obwohl sie – wie nahezu jede Technik – zum Schlechten genauso eingesetzt werden können wie zum Guten.

Was also bedeutet der Ausdruck Drohne, und woher kommt die Technik eigentlich? Ist sie wirklich so neu, wie sie zu sein scheint? Die kurze Antwort darauf lautet: Nein, ist sie nicht. Die etwas längere Antwort beginnt vor ungefähr 160 Jahren.

Seit der Erfindung von Pfeil und Bogen existiert die Idee, über große Entfernungen hinweg zu kämpfen und auf Abstand zum Gegner zu bleiben. Artillerie, Flugzeuge, Raketen und Marschflugkörper sind die konsequente Weiterführung von Pfeil und Armbrust. Gleichzeitig waren und sind in jedem Kampf, den Menschen gegeneinander führten und führen, beide Seiten auf Informationen angewiesen, um die Truppen zu lenken. Boten, Signaltürme, Brieftauben und Funk waren Lösungen dafür. Doch das geschriebene und das gesprochene Wort können nur eine begrenzte Menge Informationen übermitteln, Bilder sagen mehr. Schon im Ersten Weltkrieg kreisten Maschinen über der Front, um die Gräben zu fotografieren. Später waren es speziell konstruierte Flugzeuge wie die amerikanische »Lockheed U-2« oder die sowjetische M-17 »Stratosfera«, die für Fotos sorgten, bis Satelliten sie ablösten. Die ersten warfen ihre Fotokapseln noch zur Erde, später funkten sie die Bilder. Die heute in Echtzeit übertragenen Videos bieten ganz neue Informationsmengen.

Satelliten können diese Informationen liefern, doch sie sind teuer und schwer an einen bestimmten Punkt über der Erdoberfläche zu steuern. Drohnen sind schneller und wendiger. Sie können länger in der Luft bleiben als Flugzeuge, über einem Punkt kreisen und sind doch ähnlich unsichtbar wie Satelliten. Vor allem aber sind sie kein so großer Verlust, wenn sie abstürzen. Drohnen sind zwar alles andere als billig, die Sensoren in ihnen kosten Millionen. Aber sie sind dennoch viel günstiger als Satelliten, und in ihnen sitzt kein Pilot, der sterben kann. So waren Drohnen geradezu prädestiniert dazu, dem Militär als »Augen« zu dienen. Und obwohl sie inzwischen auch Waffen tragen, ist ihr wichtigster Zweck noch immer die Aufklärung.

Ihren Namen haben Drohnen wohl von den männlichen Bienen. Ihr lautes Brummen hat ihnen die Bezeichnung wahrscheinlich beschert. Drohne stammt von dem Niederdeutschen drane beziehungsweise drone ab, das mit dem Verb dröhnen verwandt ist. Wie genau es zur Übertragung auf unbemannte fliegende Objekte kam, ist unklar. Eine Theorie besagt, es sei eben das brummende Geräusch, das auch einige Drohnenmodelle im Flug machen, das ihnen zu dem Namen verhalf. Eine zweite Theorie lautet: Soldaten im Zweiten Weltkrieg hätten diesen Namen erfunden. Während des Krieges nutzten die USA ferngesteuerte Flugzeuge als Ziele bei der Ausbildung von Flak-Mannschaften. Die Maschinen mit der Bezeichnung OQ-3 erhielten einen Anstrich mit schwarzen Streifen am Rumpf. Diese Ähnlichkeit mit Bienen habe ihnen bei den Flak-Mannschaften zu dem Namen verholfen.

Und dann gibt es noch jemand, der die Erfindung des Namens für sich beansprucht, aber es existiert außer ihm selbst keine weitere Quelle dafür. Der damalige Marineoffizier Delmar S. Fahrney beschreibt die Namensfindung in seiner »History of Pilotless Aircraft and Guided Missiles«. Demnach habe der Autor zusammen mit dem Wissenschaftler Albert Hoyt Taylor im November 1936 am Naval Research Laboratory nach einem Namen für die Zieldarstellungsdrohne OQ-3 gesucht. Sie seien dabei von einem britischen ferngelenkten Flugzeug inspiriert worden, der sogenannten »Queen Bee« (Bienenkönigin), das die Briten ihrerseits für Zielübungen einsetzten. Nachdem er und Taylor viele Namen von Insekten und Vögeln verworfen hätten, seien sie dank der »Queen Bee« auf Drohne gekommen, schreibt Fahrney.

Abwegig ist das nicht. Bezeichnungen aus dem Tierreich dienen in den USA, in Großbritannien und auch in Deutschland häufig als Bezeichnung für Waffen. Es wimmelt dort von Tigern, Falken und Wieseln: Die echten Drohnen sind so etwas wie unvollständige Bienen, da sie nicht arbeiten, keinen Stachel haben und nur der Fortpflanzung dienen. Die funkferngesteuerten Geräte ohne Piloten an Bord sind Pseudoflugzeuge, umgangssprachlich eben Drohnen. Techniker und Militärs nennen sie allerdings ungern so. Lieber werden sie als UAV bezeichnet, die Abkürzung für das englische Unmanned Aerial Vehicle, unbemannte Luftfahrzeuge. Oder aber als Remotely Piloted Aircraft, als ferngesteuertes Fluggerät – denn unbemannt sind sie eigentlich gar nicht, der Pilot sitzt nur nicht darin, sondern an einem Steuerpult am Boden. Noch zumindest, bald werden die ersten Maschinen komplett autonom unterwegs sein. Und auch der Ausdruck Aircraft ist eigentlich ungenau, denn schließlich gibt es Drohnen auch an Land wie zu Wasser.

Ursprünglich war der Ausdruck Drohne sprachlich neutral, mit der Technik wurde vor zehn oder zwanzig Jahren in der Öffentlichkeit nicht viel mehr verbunden als ein logischer Fortschritt der Luftfahrt. Es gab sie nur als militärisches Gerät, was bedeutete, dass sie außerhalb der Übungs- und Kampfgebiete kaum jemand zu Gesicht bekam. Wie jede neue Militärtechnik wurden sie außerdem erst einmal geheim gehalten, und selten waren sie auch. Erst ab 2001 begannen die USA, sie in Massen einzusetzen. Und erst seit den Kriegen in Afghanistan und Irak sind Drohnen jedem ein Begriff – seit die USA in etlichen Ländern der Welt ständig tödliche Angriffe fliegen, auch ohne mit diesen Ländern im Krieg zu stehen.

Visionen und Pioniertaten

Dabei ist die Idee unbemannter Fluggeräte älter, viel älter. Wer will, kann in den österreichischen Brüdern Franz und Josef Uchatius so etwas wie die Erfinder von automatisiert fliegenden Waffen sehen. Beide waren Oberleutnants der österreichischen Armee und dienten bei der Artillerie. Diese bekämpfte 1849 das aufmüpfige Venedig, das sich vom Habsburgerreich lossagen wollte. Die Geschütze der österreichischen Artillerie konnten Venedig nicht erreichen, da sie nicht weit genug trugen. Die Brüder Uchatius ließen daher im Jahr 1849 unbemannte Ballons steigen, die eine 15 Kilogramm schwere Sprengladung über die Lagune tragen sollten. Eine langsam brennende Zündschnur sollte als primitiver Zeitzünder dafür sorgen, dass die angehängte Sprengladung nach einer halben Stunde zu Boden fiel und dort explodierte. Der Wind trieb die meisten Ballons in die falsche Richtung, ein paar von ihnen auch zurück über die österreichischen Linien, doch im Juli 1849 detonierten einige Bomben am Lido und am Markusplatz. Der Schaden war gering, aber der dadurch ausgelöste Schrecken soll dazu beigetragen haben, dass Venedig kapitulierte und seine Rebellion gegen Österreich beendete.

Es war das erste Bombardement aus der Luft und der erste Versuch, automatisierte fliegende Waffen einzusetzen. In späteren Kriegen gab es weitere Experimente mit Ballonbomben. Japaner und Briten setzten sie in großem Stil noch im Zweiten Weltkrieg ein. Das Problem, dass diese Ballons allein vom Wind gesteuert wurden, lösten auch sie nicht. Außerdem ließen sie sich nicht wiederverwenden. Streng genommen sind die Ballonbomben daher die Vorfahren heutiger Marschflugkörper, englisch Cruise Missile. Diese nichtballistischen raketengetriebenen Bomben sollen ihre Sprengladung mit gleichbleibend hoher Geschwindigkeit ins Ziel bringen. Zwar lenken sie während des Fluges und ändern ihre Richtung, aber ihr kompletter Kurs und ihr Ziel werden bereits vor dem Start programmiert. Sind sie einmal detoniert, bleiben ein großer Krater und von der Cruise Missile nur Trümmer.

Drohnen hingegen sind ferngesteuerte Flugzeuge, die – angetrieben von Propellern oder Jet-Triebwerken – Antennen, Kameras und auch Raketen tragen. Ein Pilot steuert sie während ihres gesamten Fluges aus der Ferne. Hat die Drohne ihren Auftrag erfüllt, fliegt der Pilot sie von seinem Leitstand aus zum Flugplatz zurück. Er kontrolliert sie dabei jederzeit. Bricht während des Fluges der Funkkontakt ab, versucht die Drohne eine automatische Landung – oder stürzt ab.

Die Geschichte der Drohnen beginnt daher eigentlich erst mit einer Erfindung, die Nikola Tesla auf der Weltausstellung 1898 im Madison Square Garden in New York vorführte: der Funkfernsteuerung, nach ihrer Abkürzung für die englische Bezeichnung radio controlled oder remote controlled als RC-Steuerung bezeichnet. Der Erfinder hatte ein System entwickelt, um ein fast zwei Meter langes metallenes Modellschiff mit Radiowellen aus der Ferne zu lenken. Schon Tesla sah in der Technik vor allem eine Waffe. Die »zuverlässige und unbegrenzte Zerstörungskraft« seiner Technik werde zu »ständigem Frieden zwischen den Nationen« führen und diesen sichern. Diese Hoffnung, oder besser noch diese Rechtfertigung, findet sich in der Geschichte der Waffen und ihrer Erfinder immer wieder. Obwohl die meisten Menschen Krieg als große Sünde verstehen, finden sie doch immer wieder Entschuldigungen, warum er jetzt gerade doch noch einmal nötig sei, um mit einer letzten Waffe alle Kriege für immer zu beenden.

Die Idee ferngesteuerter Waffen schlug sich bald in der Populärkultur nieder. Der Film »The Airship Destroyer«, auf Deutsch »Der Luftkrieg der Zukunft«, machte sie 1909 bekannt. Eine Flotte Zeppeline greift in diesem Stummfilm England an, bombardiert eine Art gepanzertes Auto, Bahnstrecken, Straßen, Häuser, ganze Städte. Flugzeugen gelingt es nicht, die Angreifer zu stoppen. Doch ein junger Erfinder hat die Lösung: Sein autonomer Lufttorpedo schießt einen der Zeppeline vom Himmel. Der Science-Fiction-Film von Walter R. Booth, der von H. G. Wells inspiriert war, wurde ein Erfolg. Und 1915, als deutsche Zeppeline tatsächlich gegen England flogen, wurde er erneut in den Kinos aufgeführt. Eine interessante Koinzidenz: Die Konstruktion des jungen Erfinders im Film ist heutigen Kampfdrohnen vom Typ »Predator« und »Reaper« verblüffend ähnlich. Auch sein Lufttorpedo hatte schon eine bullig-spitze Schnauze, einen sich nach hinten verjüngenden Rumpf, große Flügel, den Propeller am Heck und ein nach unten gerichtetes Leitwerk.

Ein Jahr später versuchte dann jemand, diese Idee in die Realität umzusetzen. Der Techniker Thomas Raymond Phillips aus Liverpool zeigte 1910 im Londoner Hippodrom sein Torpedo Airship. Mit Hilfe einer Fernsteuerung ließ er den sechs Meter langen Zeppelin über die Zuschauer hinwegfliegen und warf aus einer sich auf Knopfdruck öffnenden Schachtel Papiervögel über ihnen ab. Auch Phillips hatte dabei nur die Waffe im Sinn. »Ich kann in einem Sessel in London sitzen und mein Luftschiff einen Blumenstrauß in den Garten eines Freundes in Manchester oder Paris oder Berlin werfen lassen«, zitierte ihn die New York Times am 22. Mai 1910. Doch nicht um Blumen gehe es dem Erfinder, schrieb die Zeitung weiter, sondern um Bomben. Er könne sein Luftschiff mit Dynamit beladen, es von seinem Büro aus auf jede Stadt lenken »und diese Stadt auslöschen«, habe er bei der Veranstaltung gesagt. Zitat Phillips: »Selbstverständlich ist meine Erfindung vor allem eine kriegerische.«

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Deutsche Zeppelin-Luftschiffe als neues »Kriegswerkzeug« auf einem Kaisermanöver 1909.

Ein Problem allerdings hatte er nicht gelöst. Während der Veranstaltung wurde er gefragt, woher er denn in seinem Sessel sitzend wissen könne, dass sein Torpedoschiff auch die richtige Stadt erreicht habe. Die Antwort des Erfinders darauf war etwas wolkig, aber prophetisch. Er erzählte etwas von »telefotografischen Linsen«, mit denen er seine Zeppeline ausstatten wolle. Phillips’ Luftschiff war zumindest der Idee nach ein Vorläufer heutiger Drohnen. Plante er doch, das ferngelenkte Vehikel nach seinem Einsatz zurückzubeordern, neu zu beladen und immer wieder zu verwenden. Wenige Jahre später setzte die deutsche Armee Luftschiffe genau zu diesem Zweck ein. Sie flogen – wenn auch nicht ferngesteuert – während des Ersten Weltkrieges Hunderte Aufklärungsmissionen über Nord- und Ostsee, dazu Bombenangriffe gegen England, Belgien und Frankreich.

Während das kaiserliche Heer die Luftschiffe förderte, interessierte sich die Kriegsmarine seit 1908 – also noch vor der Veröffentlichung des Films »The Airship Destroyer« und noch vor der Vorführung des ferngelenkten Airships in New York – für die Entwicklung der sogenannten Drahtfernlenkung, der Fernsteuerung mit Hilfe eines mitgeschleppten Kabels. Die Versuche wurden zwischenzeitlich wieder aufgegeben, aber das Kriegsministerium wies nach Beginn des Ersten Weltkrieges Ende 1914 verschiedene Dienststellen an, Fernsteuerungen für Luftschiffe, Flugzeuge, Boote und Torpedos zu entwickeln. Letztlich entschied sich die Kriegsmarine dafür, per Draht gesteuerte Sprengboote bauen zu lassen.

Ab 1916 wurden insgesamt 17 dieser ferngelenkten Boote, die sogenannten FL-Boote, in der Bremer Lürssen-Werft gebaut. Das waren keine Spielzeuge mehr, sondern 13 Meter lange schwimmende Bomben, die 700 Kilogramm Sprengstoff transportierten. Während der Fahrt spulten sie einen 20 Kilometer langen Kupferdraht ab, der sie mit einer Steuerstation an Land verband. Ziel und Richtung bekam der Leitstand dazu von Flugzeugen in der Luft gemeldet. Die FL-Boote setzte die Kriegsmarine während des Krieges mehrfach ein. Der Erfolg war mäßig. Allein die Kabeltrommel an Bord für das Steuerkabel wog 800 Kilogramm, außerdem war die Navigation schwierig, und die Boote erwiesen sich als nicht sehr zuverlässig. Zugleich wurde mit Funkfernsteuerungen experimentiert, wofür man einige FL-Boote entsprechend umrüstete. Sie waren allerdings noch störanfälliger, die Funktechnik taugte noch nicht für den Einsatz im Krieg. Doch die Idee, Waffen aus der Ferne zu steuern, ohne das Leben eines Piloten zu gefährden, war in der Welt.

Georg Wilhelm von Siemens, Sohn und Erbe des Firmengründers Werner von Siemens, übertrug sie in die Luft und ließ ab 1915 einen Torpedogleiter entwickeln, ein unbemanntes drahtgesteuertes Doppeldecker-Flugzeug. Dieses wurde von einem Luftschiff aus abgeworfen und ebenfalls per Kupferdraht gesteuert. Vor dem Ziel zerlegte sich das Gerät in der Luft auf ein entsprechendes Steuerkommando hin. Die Konstruktion klappte in der Mitte auseinander und ließ einen Torpedo fallen. Der stürzte ins Wasser und bewegte sich dort weiter in Richtung des zu versenkenden Schiffes. Zwischen 1915 und 1918 wurden ungefähr einhundert dieser Torpedogleiter getestet. Sie waren die Vorläufer heutiger Marschflugkörper, und deutsche Ingenieure waren nicht die einzigen, die in Fernsteuerungen großes Potenzial sahen, um Menschen umzubringen.

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Nachbau des amerikanischen Lufttorpedos »Kettering Bug«, der 1918 getestet wurde.

Fliegende Ziele

Auftritt Archibald Montgomery Low. Low, geboren 1888 in London, war ein britischer Erfinder, der viele Dinge lange vor ihrer Zeit erahnte und erdachte. Allerdings lag es ihm nicht, Projekte zu Ende zu bringen, schnell ließ er sich von neuen Ideen ablenken. Von der Gasturbine bis hin zum Eierkocher interessierte er sich für viele technische Prozesse und entwarf beispielsweise einen Apparat namens TeleVista, um Lichtwellen in elektrische Impulse zu wandeln, und damit die Technik für spätere Fernseher. Auch diese Idee verfolgte er nicht weiter, sodass bald darauf andere damit berühmt wurden. In einem Feld aber gilt er als Pionier: im Bereich funkgesteuerter Torpedos, Flugzeuge und Raketen. Als der Erste Weltkrieg begann, meldete Low sich freiwillig zum britischen Militär. Sein Auftrag lautete, eine ferngelenkte Waffe zu entwickeln, die die deutschen Zeppeline abschießen konnte.

Unter dem Tarnnamen »Aerial Target«, also ein Gerät für Luftzielübungen, baute er zusammen mit seinem Team einen Prototypen. Am 21. März 1917 flog dieser bei der Upavon Central Flying School in der Nähe von Salisbury Plain im Süden Englands zum ersten Mal. Es war ein schmaler Eindecker mit Kufen und einem kleinen Motor. Er wurde mit Druckluft von der Ladefläche eines Lastwagens gestartet, ebenfalls ein Novum. Low konnte die Maschine dabei per drahtloser Fernsteuerung kontrollieren, zumindest eine kurze Zeit lang, dann setzte der Motor aus, und sie ging zu Bruch. Doch genügte das, um zu demonstrieren, dass ein Flugzeug per Funk gesteuert werden kann. Es war der erste Flug einer Drohne. Low verbesserte sie anschließend, aber nachdem drei weitere Testflüge schiefgegangen waren, sah das Militär keine Perspektive dafür und stellte das Projekt alsbald ein.

In den USA gab es zur gleichen Zeit Versuche, ein Flugzeug mit Autopilot zu schaffen, das als fliegende Bombe Sprengstoff ins Ziel transportieren sollte. Einer der Erfinder der Maschine, Elmer Sperry, wollte diese per Fernsteuerung lenken. Er hatte zuvor bereits Gyroskope erforscht, mit denen sich Schiffe und Torpedos automatisieren ließen. Sein Kollege Peter Hewitt sprach sich für Gyroskope statt Funk zur Steuerung aus, da sich damit der Flug besser stabilisieren ließ, um einen einmal eingeschlagenen Kurs zu halten. Daneben wurden ein Barometer für die Höhensteuerung eingesetzt und ein Messgerät für die im Flug zurückgelegte Entfernung. Daher ist das nach seinen Entwicklern benannte Hewitt-Sperry Automatic Airplane ebenfalls eine Art Vorläufer der Cruise Missiles. Das Gerät flog, erreichte sein »programmiertes« Ziel und warf dort einen Sandsack ab. Allerdings erfüllte es nicht alle Anforderungen der Navy, da der Autopilot etwaigen Wind nicht ausgleichen konnte.

Daraufhin wurde die Fernsteuerung in Wasserflugzeuge eingebaut – und dieses Mal funktionierte es: Die Flugeigenschaften der erprobten Wasserflugzeuge waren besser als die der Sperry’schen Eigenkonstruktion. Die Maschine flog, erreichte ihr Ziel und kehrte zurück. Aber es war ein zweites Flugzeug nötig, von dem aus die Maschine gesteuert werden musste. Das flog in einiger Entfernung hinterher, was in den Augen der Armee nicht praktikabel war. Die Entwicklung wurde schließlich eingestellt.

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Eine 1944 gebaute de Havilland DH-82B »Queen Bee«, 2008 bei einer Luftfahrtshow. Der ferngelenkte Doppeldecker gilt als Urdrohne.

Dabei funktionierte sie. Die umgerüstete »Curtiss« N-9H flog 1923 mehrfach auch vom Boden aus gesteuert und ohne Begleitflugzeug. Während der Flüge bei Washington, D.C. saß zur Kontrolle immer noch ein Pilot im Cockpit. Doch am 15. September 1924 stieg auch dieser erstmals aus, und die N-9H flog 40 Minuten ausschließlich ferngesteuert. Bis auf eines führte sie jedes der 50 funkübertragenen Kommandos korrekt aus, anschließend ließen die Lenker am Boden sie sicher wieder am Ausgangspunkt landen.

Nur wenige Tage zuvor war den Briten das Gleiche geglückt, auch wenn beide Teams nichts voneinander wussten, da ihre Experimente streng geheim gehalten wurden. Den Briten wie den Amerikanern ging es vor allem darum, Zieldrohnen für die Ausbildung von Geschützbedienungen zu bauen. Das erste große Flugzeug, das die Briten auf diese Art lenkten, war die Fairy III F, ein Langstreckenaufklärungsflugzeug, das noch im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs zum Einsatz gekommen war. Drei Stück wurden von der ferngelenkten Version unter dem Namen »Fairy Queen« gebaut.

Daneben gab es in den dreißiger Jahren noch eine ferngelenkte Version der sogenannten »Tiger Moth«. Die de Havilland DH.82 war ein Doppeldecker und ein Ausbildungsflugzeug der Royal Air Force. Sie bildete die Basis der ersten Drohne, die mit 400 Exemplaren in größerem Umfang hergestellt wurde, und ist damit so etwas wie die Urdrohne. Die Flügel der »Tiger Moth« und der hölzerne Rumpf des Vorgängermodells DH.60 »Moth« wurden zur Zielübungsdrohne für Schiffsartilleristen umgebaut und dazu per Funk ferngesteuert. Das vordere Cockpit des Zweisitzers war unverändert, bei Überführungsflügen konnte dort ein Pilot sitzen und steuern. Die Funkfernsteuerung befand sich im hinteren Cockpit, von wo aus die Hebel vorn pneumatisch bedient wurden. In dieser Konfiguration hieß die Maschine DH.82 »Queen Bee« – und inspirierte möglicherweise die Bezeichnung »Drohne«.

Teletanks

Zielübungsdrohnen und ferngelenkte fliegende Bomben waren nur zwei Ideen der damaligen Zeit. Eine andere wurde in der Sowjetunion in größerem Umfang getestet und auch im Kampf eingesetzt: ferngesteuerte Panzer, sogenannte Teletanks. Verschiedene Modelle wurden dazu umgebaut, vor allem leichte Panzer wie der T-18 und der T-26. Die ferngelenkte Version hieß dann TT-18 oder TT-26. Die Idee war, bestimmte Waffen oder Sprengladungen möglichst nah an die feindliche Linie heranzuführen. Mit dem Teletank wurde eine Kiste mit 500 Kilogramm Sprengstoff beispielsweise an einen Bunker herangefahren und dort abgelegt. Ein Zeitzünder ermöglichte den Rückzug des Panzers, bevor die Ladung explodierte und den Bunker zerstörte. Gesteuert wurden die Fahrzeuge aus einem zweiten Panzer heraus, der sich in maximal 1500 Metern Entfernung befinden durfte. Ihr größter Nachteil: Die Teletanks waren blind, sie hatten keine Kameras an Bord. Der Fahrer sah nicht, was direkt vor ihnen geschah. Zumindest im Sowjetisch-Finnischen Winterkrieg 1940/41 wurden Teletanks verwendet, um Bunker zu zerstören. Auch während des Zweiten Weltkriegs gab es in der Roten Armee zwei Bataillone mit diesen Panzern, die aber kaum zum Einsatz kamen.

Die deutsche Wehrmacht nutzte ebenfalls ferngesteuerte Panzer, die allerdings nicht über Funk, sondern über ein abgerolltes Kabel gelenkt wurden. Eigentlich waren es rollende Bomben, allein dazu gedacht, so nah wie möglich am Gegner zu explodieren. Der Leichte Ladungsträger »Goliath« hatte dazu 60 oder 100 Kilogramm Sprengstoff an Bord. Mehr als 7000 Stück wurden von den verschiedenen Versionen produziert und ab 1942 eingesetzt. Wirklich erfolgreich waren sie aber selten. Vor allem die elektrisch betriebene Version erwies sich als unpraktisch, da die Batterie nur für acht Minuten Fahrtzeit reichte. Die spätere Version verfügte daher über einen Verbrennungsmotor. Das gleiche Prinzip nutzte der Mittlere Ladungsträger »Springer«, ein umgebautes Kettenkrad. Damit konnten 330 Kilogramm Ladung transportiert werden. Das Gerät wurde ebenfalls bei der Explosion zerstört, was sich schnell als uneffektiv und teuer erwies. Daneben gab es bei der Wehrmacht ab 1942 noch den Schweren Ladungsträger »Borgward« B IV. Der konnte wie die sowjetischen Teletanks eine Sprengladung von 450 Kilogramm Gewicht am Ziel absetzen und anschließend in Sicherheit gelenkt werden. Den größten Teil der Strecke wurde der »Borgward« dabei von einem Fahrer gefahren. Erst kurz vor dem Ziel stieg dieser aus und lenkte den Rest per Funkfernbedienung. Für den Fahrer bedeutete das ein hohes Risiko, auch weil der B IV recht schwach gepanzert war. Insgesamt wurden mehr als 1500 Stück gebaut.

Russland hat die Idee, komplette Kampfpanzer fernzusteuern, bis in die Gegenwart weitergeführt. Der sowjetische T-72 ist der derzeit meistgenutzte Panzer der Welt. Er existiert in vielen Baureihen, da er immer wieder modernisiert und überarbeitet wurde. So gibt es auch eine ferngesteuerte Version. Basis ist der Kampfpanzer T-72B, der 1985 in die Serienproduktion ging. Der Leitstand befindet sich dabei in einem Lkw vom Typ SIL-131. Fahrer und Schütze sitzen dort und lenken den Panzer mit Touchscreens und Joysticks.

Die Massenproduktion von Drohnen