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Anna Martach

Alpendoktor Daniel Ingold #3: Ich will mein Herz nur dir schenken

Cassiopeiapress Bergroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Ich will mein Herz nur dir schenken

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 3

von Anna Martach

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 102 Taschenbuchseiten.

 

Der sympathische Bergdoktor Daniel Ingold hat wieder einmal alle Hände zu tun – und einen besonders schwierigen Patienten. Bei seinen unermüdlichen Versuchen, diesem zu helfen, kommt es zu allerlei Verwicklungen und endlich zu einem folgenschweren Missverständnis. Die Lage spitzt sich dramatisch zu … Gibt es für Fabian und Petra eine Zukunft?

 

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1

Unwillkürlich verhielt der Mann mitten im Schritt, als ein Donnerschlag den Untergrund erzittern ließ, der feste Felsen, auf dem er sich befand, schien ein eigenes Leben zu entwickeln, und eine ungewisse Angst machte sich breit.

Unbeständig war das Wetter in den letzten Tagen gewesen. Drückende Hitze und heftige Gewitter hatten sich abgewechselt und machten den Menschen das Leben zur Qual.

Auch jetzt grollte der Himmel wieder, erste Blitze zuckten über die dunkle Wolkenwand, die sich in kurzer Zeit über dem Grimsteig aufgetürmt hatte. Jetzt schien der ganze Berg durch den Donner lebendig geworden zu sein, denn die Erde bebte, und Arnold Moosacher warf misstrauische Blicke umher. Vor gar nicht langer Zeit hatte es nach langer Trockenheit mehrere Bergstürze und Schlammlawinen hier auf dem Grimsteig gegeben, als endlich der erlösende Regen eingesetzt hatte.

Mittlerweile waren alle Routen wieder gesäubert und die Wege freigegeben worden. Doch die Gefahr bestand natürlich auch weiterhin, dass es zu einem erneuten Bergsturz kam, wenn das Wetter verrücktspielte.

Arnold schaute sich suchend um, als die ersten dicken Regentropfen auf seinen Körper und den felsigen Boden klatschten. Ein Baum als Unterstand war nicht unbedingt eine gute Idee, auch wenn er davon abgesehen nicht gerade eine große Auswahl an Schutzmöglichkeiten hatte, oder – na ja, es gab eine Baumgruppe, nur knapp hundert Meter von hier entfernt. Aber hier droben, schon oberhalb der letzten Alm, gab es sonst nichts mehr, um sich zu schützen.

Moosacher zuckte zusammen. Der Donnerschlag betäubte ihn fast, so schrecklich laut war er. Und der Regen wurde zu einer dichten Wand. Ob Baum oder nicht, alles, was ein bisserl Schutz gab, war das rechte.

Arnold rannte auf die Baumgruppe zu – und wurde mitten im Schritt förmlich vom Boden gerissen und durch die Luft geschleudert, als ein Blitz mit elementarer Gewalt in die Bäume einschlug. Die Entfernung betrug höchstens noch zehn Meter, eigentlich hatte der Mann gedacht, in Sicherheit zu sein.

Er lag jetzt am Boden, konnte sich nicht bewegen – sei es durch den Schock oder eine Verletzung – und sah mit ungläubigen Augen, wie sich eine der riesigen Tannen zur Seite neigte und fast direkt auf ihn zustürzte. Unweigerlich musste die Spitze ihn noch erreichen, es sei denn, hier geschah noch ein Wunder.

Der Blitz hatte den Boden erreicht und aufgebrochen, es roch nach Ozon, verbranntem Holz und dem eigentlich sehr aromatischen Duft von Tannennadeln.

Im nächsten Augenblick begruben die schweren Äste des umgestürzten Baumes den einsamen Wanderer, dessen entsetzten Aufschrei niemand hier oben hören konnte.



2

„Seh’ ich das recht, es schaut net gut aus?“ Die dunkelbraunen Augen von Fabian Gerold richteten sich voller Angst und Resignation auf Doktor Daniel Ingold, der gerade seine Untersuchung beendete.

Der Bursche war schon mit jungen Jahren von einer schwierigen Nierenkrankheit heimgesucht worden, und seit mehr als fünf Jahren war es zweimal die Woche ein trauriges Ritual, dass er sich einer Dialyse, einer Blutwäsche, unterziehen musste. Längst stand er auf der Liste für eine Transplantation, doch die Organe waren selten, und selbst, wenn es eines gab, so blieb immer noch die Frage der Verträglichkeit.

Für einen jungen Mann von gerade mal 26 Jahren war das eine große Belastung. Dazu kam, dass sein Körper nicht sehr kräftig war und jede Dialyse ihn weiter schwächte, er galt schon fast als bettlägerig, auch wenn er sich immer wieder anstrengte, um nicht völlig hilflos zu sein. Natürlich konnte er auch keinem regelmäßigen Beruf nachgehen und war gezwungen, im täglichen Leben viele Rücksichten zu nehmen.

Etwas verbittert war er geworden in letzter Zeit, er fürchtete, den Rest seines Lebens, das vielleicht nicht sehr lange dauern würde, in einem solch belastenden Zustand verbringen zu müssen. Keine sehr schönen Aussichten.

So suchte er jetzt im Gesicht des Arztes nach Anzeichen, dass Dr. Ingold ihn mit einer weiteren niederschmetternden Diagnose deprimieren würde.

Daniel aber hob ein Stückchen die Augenbrauen und lächelte den Burschen spöttisch an.

„Willst denn unbedingt schlechte Nachrichten haben? Oder was treibt dich an, düstere Prophezeiungen förmlich zu suchen? Bist ein fescher Bursch’, Fabian, und mal abgesehen von deinem Handicap könntest eigentlich mal auf die Suche nach einem Madl gehen. Eigentlich müssten die Madln ja schon im Gartenweg Schlange stehen.“

Der Scherz verfehlte seine Wirkung. Fabian verzog nur das Gesicht.

„Welches Madl tät’ mich denn nehmen wollen? Ich bin doch net mehr als ein Krüppel.“ Das kam so bitter, dass der Doktor erschrak. Er musste ein bisschen aufpassen, es durfte nicht passieren, dass Fabian in Trübsinn verfiel. Das würde sich dann nicht nur in seinen Launen bemerkbar machen, nein, es käme auch der körperlichen Verfassung nicht besonders gut entgegen.

„Komisch, ich dacht’ immer, ein Krüppel wär’ einer, der sich selbst bemitleiden tät’. Es ist net die körperliche Verfassung, die einen zum Krüppel macht, es ist nämlich das dumme Denken, was du da grad in deinem Kopf entwickeln tätst. Das solltest mal gleich wieder abstellen. Hast im Grunde doch noch ein gutes Leben. Ich tät’ da ein paar Leut’ kennen, die es wirklich schwer im Leben haben – die jeden Tag drum kämpfen müssen, dass genug zu essen auf dem Tisch steht, dass die Medikamente bezahlt werden können, und dass da auch noch Kinder sind, die Erziehung und Hilfe brauchen. Und du gehst daher und tust, als ginge die Welt unter, weil du körperlich ein bisserl eingeschränkt bist. Wie wär’s, wenn du dich stattdessen mal um andere kümmern würdest, die es vielleicht ebenso schwer getroffen haben – aber net mit so viel Glück geschlagen sind wie du mit deinen Eltern.“

„Worte, nix als Worte“, stieß der Bursche hervor.

„Was hättst denn lieber, einen Satz Maulschellen?“, fragte der Doktor gutmütig, der mit dieser groben Therapie hoffte, Erfolg zu haben.

Plötzlich musste Fabian doch lachen und schüttelte über sich selbst den Kopf. „Ich glaub’, ich hab mich grad ziemlich dumm benommen, ja?“

„Bist halt manchmal ein rechter Esel. Ich tät’s ja verstehen können, hast es ja wirklich net ganz leicht. Aber darfst nimmer den Fehler machen, dich in Angst und Trübsinn ziehen zu lassen. Musst positiv denken. Such dir jeden Tag was Schönes, über das du dich freuen kannst. Einen Sonnenaufgang, der Gesang der Vögel, ein gutes Buch, was auch immer. Auch wenn’s net leicht fällt. – So, und nun muss ich noch mit deinen Eltern reden. Ich denk’ nämlich, es wär’ gut, wenn die in Zukunft ein bisserl entlastet werden von deiner Pflege. Es wär’ sinnvoll, wenn eine Krankenschwester ins Haus käme, die sich um dich kümmert.“

„Das ist ja deppert“, fuhr Fabian auf. „So viel Arbeit tät’ ich meinen Eltern nun auch net machen.“

„Net? Bist dir da wirklich sicher?“ Daniel schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, und der Bursche wurde unsicher.

„Na, gut, reden S’ mit meinen Eltern. Aber die werden ganz bestimmt auch meiner Meinung sein.“

Der Arzt seufzte auf. Das war in der Tat eines der Probleme. Die Eltern vom Fabian bemutterten ihren Sohn viel zu sehr und versuchten, ihm alles abzunehmen. Dabei täte es ihm vielleicht recht gut, wenn er öfter mal gefordert würde. Dann hätte er weniger Zeit, um über sich selbst nachzudenken.

Daniel gab dem Burschen einen aufmunternden Klaps auf die Schultern und ging aus dem Zimmer.

Die Eltern, Katharina und Willi Gerold, saßen im Wohnzimmer und starrten dem Doktor angstvoll entgegen. Auch sie erwarteten nichts weniger als eine neue Hiobsbotschaft.

„Wie schaut’s aus?“, wollte der Willi wissen.

„Net viel verändert“, meinte Daniel. Dann versuchte er, den beiden die Idee mit der Pflegerin schmackhaft zu machen. Wie er befürchtet hatte, erntete er zunächst nur Ablehnung.

„So kann’s aber net auf Dauer weitergehen, Katharina“, mahnte Daniel. „Schaut’s euch doch nur selbst an. Ihr seht schlechter aus als Fabian. Ihr tätet auch mal ein bisserl Ruhe brauchen, denn ihr reibt euch auf für den Burschen. Und ich hab keine große Lust, hier demnächst drei Patienten besuchen zu müssen.“

„Nun übertreibst aber maßlos“, begehrte die Katharina auf.

„Net viel, fürchte ich.“ Die Miene des Arztes war ernst. „Ich kann euch natürlich net dazu zwingen, vernünftig zu sein, aber es wär’ besser für euch und besonders für den Fabian. Und ihr wollt doch, dass es ihm so gut wie möglich geht?“

Das war nun genau der Punkt, an dem man die beiden treffen konnte. Es gab wohl noch einiges hin und her, doch schließlich war es beschlossene Sache, dass so bald als möglich eine Privatschwester ins Haus kam. Die Kosten spielten keine Rolle, die Familie war ausgesprochen wohlhabend.

Fabian stand dem zwar noch immer nicht sehr aufgeschlossen gegenüber, doch vielleicht würde es ihm guttun, wenn da jemand war, der nicht soviel Rücksichten nahm wie seine Eltern.

Als der Doktor wieder nach Hause kam, griff er zum Telefon und rief einen alten Freund an, der gerade die Adresse einer sehr guten Schwester zur Hand hatte. Natürlich konnte die Familie Gerold sich gegen sie entscheiden, aber Daniel wollte schon gleich beim ersten Versuch die möglichst perfekte Person anbieten.



3

Wieviel Zeit mochte vergangen sein? Als Arnold Moosacher wieder zu sich kam, spürte er nicht sehr viel von seinem Körper. Rings um ihn lagen Zweige und Äste von dem umgestürzten Baum – und er schien genau unter der Spitze zu liegen, einen halben Meter weiter, und man hätte nichts mehr von ihm gefunden, weil der Baum ihn dann zerquetscht hätte. Probeweise versuchte er sich zu bewegen. Es dauerte eine Weile, bis sein Körper überhaupt reagierte, doch dann zog ein stechend scharfer Schmerz durch den Rücken, und er fühlte wieder etwas, eigentlich viel zuviel. Vielleicht war es vorher doch besser gewesen?

Der linke Arm war eingeklemmt, doch den rechten konnte er heben und sich wenigstens den strömenden Regen aus dem Gesicht wischen. So bald würde hier vermutlich niemand herkommen, nur er selbst hatte ja trotz des Wetters auf seiner Wanderung bestehen müssen.

Natürlich war es für ihn in gewisser Weise wichtig, denn auf solchen Wanderungen entwickelte er neue Ideen – Arnold Moosacher war Schriftsteller und lebte davon, Figuren, Geschichten und Begebenheiten zu erfinden und zu verkaufen. Das konnte er nun mal am besten, wenn er lief.

Jetzt und hier musste er sich jedoch eingestehen, dass seine Idee ihn in eine ziemlich dicke Tinte gebracht hatte.

Bestimmt kam heute niemand mehr hierher, es wäre ja auch einigermaßen verrückt. Jeder normale Mensch blieb bei diesem Wetter daheim.

Der mit dem Gewitter einhergehende Wind peitschte die Bäume und trieb dem einsamen verletzten Mann immer wieder schmerzhaft die Zweige ins Gesicht. Trotz der Schmerzen, die jetzt seinen ganzen Körper ausfüllten, wäre es das Klügste, den Versuch zu machen, sich selbst zu befreien. Erst einmal den zweiten Arm.

Ein langgezogener Schrei löste sich aus der Kehle des Mannes, als es ihm wirklich gelang, den Arm herauszuziehen. Der Druck der Zweige und der Baumspitze belasteten jetzt den Brustkorb, während der Arm in einem seltsamen Winkel abstand und dann kraftlos herabfiel. Tränen liefen in Strömen über das Gesicht von Arnold, mischten sich mit dem Regen und machten dem Mann klar, dass er tief in der Klemme steckte.

Doch nun mischten sich andere Töne in den rauschenden Regen und den Sturm. Menschliche Stimmen!

Unmöglich, dachte der Mann.

Doch die Stimmen kamen rufend näher.

„Hallo, ist da jemand? Sind S’ vielleicht verletzt? Können wir helfen?“

„Hier – hier bin ich“, krächzte Arnold und erschrak über den Klang seiner eigenen Stimme.

„Hallo, wo sind S’ denn?“

Unter großen Mühen hob Arnold den unverletzten Arm und winkte, rief dann noch mal laut und drehte schließlich den Kopf, als zwei Männer neben dem umgestürzten Baum standen.

„Oh, Gott, das tät’ schwierig werden“, sagte der eine. „Wir hatten uns vor dem Unwetter in einer Höhle in Sicherheit gebracht und haben S’ grad schreien gehört. Können S’ sich bewegen? Es schaut allerdings net gut aus mit Ihnen.“

„Ich bin hier unter der Spitze eingeklemmt“, erklärte Arnold, der für die beiden Männer inmitten von dicken schweren Ästen kaum zu erkennen war. Er keuchte bei jedem Wort, es lastete viel Gewicht auf seinem Körper.

Die beiden Mannsbilder tasteten sich voran, vorsichtig darauf bedacht, nicht noch Unruhe in die Äste zu bringen, das hätte den eingeklemmten Mann noch weiter in Bedrängnis bringen können.

Eine gute Stunde arbeiteten die zwei Helfer, dann schafften sie es, die Spitze des Baumes ein wenig anzuheben und den Verletzten Stück für Stück herauszuziehen. Er versuchte die Schreie der Schmerzen zu unterdrücken, doch ein Ächzen und Stöhnen konnte er nicht verhindern.

Schließlich aber lag er am Boden, frei von dem quälenden Gewicht auf seiner Brust. Aber sich aufsetzen oder gar aufstehen konnte er nicht.

Die Gesichter der beiden Männer wirkten besorgt.

„Du, Hannes, läufst ins Tal nach Hindelfingen“, befahl der eine. „Hilf mir noch eben, den Mann in die Höhle zu bringen. Dann machst dich auf den Weg zum Doktor, der soll die Bergwacht gleich mitbringen, die täten wissen, wie man einen Verletzten heil herunterbringt.“

Vorsichtig schleppen die zwei Arnold in die Höhle, die ihnen vorhin als Unterschlupf gedient hatte. Wenn Moosacher etwas mehr Ausschau gehalten hätte auf seiner Suche nach einem Unterschlupf, dann wäre ihm der Eingang sicher nicht entgangen. Aber nun hatte es keinen Zweck, noch einen Gedanken daran zu verschwenden, was hätte sein können. Er war schon dankbar, dass sein bisher noch unbekannter Retter Holz sammelte und recht geschickt ein Feuer entzündete. Denn mittlerweile hatte er nicht nur rasende Schmerzen, sondern er fror auch ganz erbärmlich.