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Buchinfo

Emely kann es kaum erwarten! Zusammen mit ihrer besten Freundin Anna fährt sie in den Ferien ins Abenteuercamp. Das bedeutet Action pur! Aber dann stellt sich heraus, dass auch »Pferde-Laura« mit von der Partie ist. Ausgerechnet die! Sie prahlt den ganzen Tag von ihrer Superstute Rapsodie. Na, das kann ja heiter werden …

Autorenvita

Patricia Schröder

© privat

Patricia Schröder, 1960 geboren, lebt mit ihrem Mann und einer Handvoll Tieren auf einer Warft an der Nordsee. Ihr »richtiger« Beruf ist Textildesignerin, noch lieber aber als Muster für Blusen, T-Shirts oder Krawatten denkt sie sich Geschichten für junge Mädchen aus, und so hängte sie ihren ersten Beruf vor einigen Jahren kurzerhand an den Nagel. Inzwischen gehört sie zu den erfolgreichsten und beliebtesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen.

www.patricia-schroeder.de

LESEGÖREN – Patricia Schröder – EMELY – absolut verstrickt! – PLANET GIRL

Geschäfte und anderes

»Also, ich wüsste schon, was ich mit der Kohle machen würde«, sagt Jonathan.

»Me too«, vermeldet Anna, die sich bäuchlings auf meinem Bett lümmelt.

In der letzten Englischarbeit hat sie als Einzige aus unserer Klasse eine Eins plus geschrieben, worauf sie natürlich irre stolz ist, und seitdem versucht sie immer wieder mal ein paar Worte auf Englisch einzuflechten. Ich hatte übrigens nur eine ganz normale Eins, aber das zählt in den Augen meiner Freundin sowieso nicht, weil meine Mutter Engländerin ist. Dabei hat Moms mit meinem Bruder Teo und mir eigentlich so gut wie nie Englisch gesprochen.

»Aber das habe ich euch ja bereits alles aufgezählt«, setzt Anna auf Deutsch hinzu.

»Klar.« Jona bedenkt sie mit einem Augenzwinkern. »Häkelgarn, Filz, Knöpfe, Zierbänder …«

Mein bester Kumpel und ich hocken neben meinem Bett auf dem Boden und spielen mit Missie H., meinem schwarz-weiß-orange gefleckten Babykätzchen, das wie ein kleiner Affe auf uns herumturnt und gegen unsere Finger kämpft.

»Mach dich nur lustig«, brummt Anna, woraufhin Jonathan sofort abwehrend die Hände hebt.

»Mach ich nicht. Aber es geht hier immerhin um fünfhundert Euro«, betont er. »Und Emelys Oma hat ausdrücklich gesagt, dass sie sich davon einen Herzenswunsch erfüllen soll.«

»Einen oder mehrere«, korrigiere ich.

»Eben«, bekräftigt Jonathan. »Es wäre geradezu fatal, alles in Häkelgarn, Filz, Knö…«

»Ja, ja, ja!« Anna sieht Jona mit glühenden Augen an. »Kapierst du denn nicht, dass Emely damit ein Riesengeschäft aufziehen könnte?«

Ich tippe mir an die Stirn. »Jetzt übertreib mal nicht.«

»Mensch, Em!« Anna setzt sich mit einem Ruck auf und richtet ihren Glühblick nun auf mich. »Ich weiß, wir haben seit heute Mittag Herbstferien, trotzdem solltest du deine grauen Zellen nicht völlig einschläfern. Wenn das Material für eine Mütze vier Euro kostet und du sie für zwölf verkaufst, hast du am Ende nämlich drei Mal so viel.«

Schon klar! Das kann ich sogar mit grauzellenreduziertem Feriengehirn ausrechnen. Aber darum geht es nicht.

»Auf keinen Fall werde ich das ganze Geld in ein einziges Projekt stecken«, erkläre ich meinen Freunden.

»Klapp, klapp, klapp«, sagt Jonathan und klatscht bedächtig Beifall.

»Jetzt behaupte bloß nicht, dass du das auch vorschlagen wolltest«, gibt Anna unwirsch zurück.

»Nee, Jona würde sich natürlich ein neues BMX-Bike kaufen«, erwidere ich, schnappe mir Missie H. und vergrabe meine Nase in ihrem weichen Fell.

»Hmm.« Mein bester Kumpel nickt. »An meiner Stelle. An deiner natürlich nicht.«

»Nö, da fällt die Wahl wohl eher auf ein neues Skateboard.« Meine Freundin schüttelt missbilligend den Kopf. »Keine gute Idee.«

Jona setzt eine Unschuldsmiene auf.

»Und wieso nicht?«, erkundigt er sich.

»Das weißt du ganz genau«, entgegnet Anna und zieht geräuschvoll Luft ein, bevor sie weiterspricht. »Because it’s too dangerous for her.«

»So ein Quatsch!«, brummt Jonathan.

»Überhaupt nicht!«, widerspricht Anna. »Emely ist viel zu unkonzentriert, um mit einem noch schnelleren Brett unterwegs zu sein.«

Ich verpasse ihrem Knie einen freundschaftlichen Stupser.

»Muss ich mich jetzt etwa dafür bedanken, dass du das Wort ›schusselig‹ so nett umschrieben hast?«, flachse ich.

Anna antwortet mit einem Kussmündchen.

Missie H. nutzt die Gelegenheit, befreit sich aus meiner Umarmung und macht sich über den Inhalt meines umgekippten Papierkorbs her.

»An ein neues Skateboard hatte ich eigentlich nicht gedacht«, bemerkt Jona. »Falls das hier noch irgendjemanden interessiert.«

»Und wie«, entgegne ich. »Allerdings habe ich keine Lust auf Rätselraten.«

»Eigentlich hatte ich auch nicht vor, ein Quiz zu veranstalten«, erwidert er.

»Nee, klar«, murmelt Anna. »Hat sich einfach so ergeben.«

»Ich merke schon, es ist gar nicht so einfach, sich mit zwei Mädchen gleichzeitig zu unterhalten«, stellt Jonathan seufzend fest.

»Blödmann!« Anna packt sich eins der kleinen Kissen von meinem Bett und schleudert es ihm an den Kopf.

Jonathan wirft es umgehend zurück und wird dafür von meiner Freundin mit einer ganzen Kissensalve bombardiert. So geht es eine Weile hin und her. Missie H. flüchtet entsetzt unter den Schreibtisch und ich warte geduldig ab, bis meinen Freunden die Puste ausgeht.

»Fünfhundert sind schwer in drei gleich große Teile zu teilen«, sage ich dann.

»Find ich nicht«, meint Jona. »Dreimal hundertfünfzig plus fünfzig als eiserne Reserve. Das würde übrigens auch zu meinem Vorschlag passen«, fügt er mit einem Grinsen hinzu.

»Aha?« Anna sieht ihn erwartungsvoll an.

»Hundertfünfzig als Investition für Mützenmaterial«, beginnt er. »Wenn du richtigliegst mit deiner Kalkulation, dann läge der Gewinn am Ende bei dreihundert Euro.«

»Investition! … Kalkulation!«, stöhne ich. »Wie wär’s, wenn ihr mein Geld mir überlasst und ich ganz normale Dinge damit anstellen darf?«

»Aber gerne doch«, erwidert Jonathan und wirft mir ebenfalls ein Kussmündchen zu.

Ich starre ihn an und Jona starrt zurück. Anna guckt abwechselnd von ihm zu mir, als würde sie ein Tennismatch verfolgen. Ein paar endlos lange Sekunden herrscht absolute Stille in meinem Zimmer. Schließlich senkt Jona den Kopf. Die fluffige Röte, die für einen kurzen Moment seine Wangen überzieht, entgeht mir trotzdem nicht, und auch ich spüre, wie mir die Hitze hinter den Ohren aufsteigt.

»Hab ich doch gesagt«, brummt Jonathan. »Mit zwei Mädchen gleichzeitig zu reden, kann eine ziemliche Herausforderung sein. Zumindest für einen Jungen.«

Anna fängt an zu kichern, und die Spannung löst sich zum Glück ganz schnell in Wohlgefallen auf.

»Und wann verrätst du uns, was du mit deinem Geld vorhast?«, will meine Freundin von mir wissen.

Ich zucke mit den Schultern. »Jetzt gleich, wenn ihr wollt.«

Anna und Jonathan wechseln einen Blick.

»Jaa, stell dir vor, das wollen wir«, erwidert Anna.

»Also …« Ich hole tief Luft und lege die fünf Hunderteuroscheine nebeneinander vor mir auf dem Teppich aus. »Hundertfünfzig für Mützenmaterial, hundertfünfzig für Spaß im Wildcamp und hundertfünfzig für eine Kamera.«

»Bingo!«, ruft Jona. »Genauso hatte ich mir das auch gedacht! Ich persönlich würde allerdings hundertfünfzig Euro nicht einfach auf den Kopf hauen.«

»Wieso denn nicht?«, entgegnet Anna. »Durch das Mützengeschäft kriegt Emely doch fast alles wieder rein.«

»Na ja, nicht ganz«, sage ich. »Erstens musst du mir bei der Herstellung helfen und wirst dafür natürlich am Gewinn beteiligt.«

»Yes!«, freut Anna sich und reckt beide Daumen in die Höhe.

»Und zweitens?«, fragt Jona.

»Werde ich die Hälfte meines Gewinns Tieren in Not spenden.«

Ich habe nämlich beschlossen, dass Annas und meine Blog-Aktion »Eine Mütze für Nachbars Mieze«, die wir in den letzten Wochen vor den Ferien im Rahmen eines Projekts des Deutschunterrichts gestartet hatten und die ein riesiger Erfolg war, keine einmalige Sache gewesen sein soll.

»Find ich gut«, sagt Anna zögernd.

Sie streicht sich die roten Ponylocken aus der Stirn und schaut mich aus ihren braunen Augen nachdenklich an. Bestimmt gefällt es ihr nicht, dass ich diese Entscheidung ohne sie getroffen habe, und ich hoffe sehr, dass sie jetzt nicht allzu böse mit mir ist.

»Ich werde es genauso machen«, fährt sie dann aber zu meiner Erleichterung fort. »Abgesehen davon ist die ganze Häkelei und der Blog und so ohnehin unser gemeinsames Ding.«

»Fantastisch«, meldet Jona sich zu Wort. »Falls die Damen einen Unternehmensberater brauchen … Ich stelle mich gern zur Verfügung.«

»Nee, lass mal«, winkt meine Freundin ab. »Das kriegen wir Mädels auch alleine hin.«

»Schon kapiert.« Jonathan zieht eine Flappe. »Ich glaub, ich geh dann mal«, brummt er und rappelt sich auf.

»Du hast doch sowieso schon genug mit dem BMX-Wettbewerb zu tun«, versuche ich, Annas Kommentar ein wenig abzumildern, und springe ebenfalls auf die Füße.

Jona antwortet nicht, sondern nickt Anna zum Abschied kurz zu, dann liegt seine Hand bereits auf der Klinke.

»Ich bring dich noch raus«, sage ich und hechte ihm hinterher.

Er macht allerdings keine Anstalten, auf mich zu warten, sondern geht mit strammen Schritten auf die Haustür zu.

»Jetzt sei bitte nicht sauer«, flehe ich, und komme mir dabei reichlich albern vor.

Bisher haben Jona und ich uns nahezu blind verstanden. Unser oder besser gesagt mein einziges Problem war Annas ständige Eifersucht. Sie wollte nämlich nicht einsehen, dass ich mit Jonathan – einem Jungen! – genauso dick befreundet sein konnte wie mit ihr, und hackte ständig auf ihm herum. Mittlerweile kennt sie ihn etwas besser und findet ihn nach eigener Aussage »gar nicht mal so übel«.

Doch leider haben wir jetzt ein neues Problem: Als Dreier-Konstellation funktionieren wir leider nicht optimal. Irgendwie ist immer einer der beiden das fünfte Rad am Wagen, und dann muss ich dafür sorgen, dass die Sache trotzdem einigermaßen rundläuft. Und das ist ganz schön nervig.

»Ich bin nicht sauer«, behauptet Jona mit Miesepeter-Miene. »Und du hast ja recht: Ich sollte wirklich ein bisschen mehr trainieren. Die neue Kette ist noch nicht richtig eingefahren und außerdem will ich unbedingt einen perfekten dreihundertsechzig-Grad-Tailwhip hinbekommen.«

»Gehört der zum Wettbewerb?«

Jonathan schüttelt den Kopf. »Eine halbe Drehung auf dem Vorderrad genügt, aber …« In seinen hellen grauen Augen blitzt es übermütig auf.

»Du willst unbedingt gewinnen«, sage ich grinsend.

Er nickt. »Mhm …«

»Was denn noch?«, erkundige ich mich stirnrunzelnd.

Jona holt tief Luft und druckst ein wenig herum.

»Ich fände es irgendwie cooler, wenn du dabei wärst«, rückt er schließlich heraus.

»Wie jetzt?«

Will er etwa, dass ich auf das Wildcamp verzichte und ihn stattdessen zu seinem BMX-Workshop begleite? Doch anstatt mir zu antworten, guckt er mich nur hammertraurig an.

»Was ist los?«, frage ich bestürzt.

»Ach … nix.«

»Das stimmt nicht, Jona«, entgegne ich und kralle meine Finger in sein T-Shirt, damit er nicht einfach abhauen kann. »Mach mir bloß nichts vor. Irgendwas ist mit dir.«

»Und wenn schon!«

»Nein, Jona, ich …«

»Vergiss es einfach«, unterbricht er mich. Er fasst nach meiner Hand und befreit sein T-Shirt aus dem Griff meiner Finger. »Mach dir keine Gedanken«, fährt er etwas sanfter fort. »Und hab Spaß mit Anna.«

»Aber das kann ich nicht, wenn du …«

»Wir whatsappen, okay?«, fällt er mir abermals ins Wort. »Es bringt überhaupt nichts, jetzt auf die Schnelle darüber zu reden«, meint er schulterzuckend. »Es ist nämlich kein Fünf-Minuten-Thema.«

Ich spüre geradezu, wie ich blass werde.

»Sondern was Ernstes?«, hauche ich.

Jona senkt den Blick und betrachtet eingehend seine Sneakers. Schließlich nickt er.

»Es hat allerdings nichts mit dir zu tun«, setzt er hastig hinzu.

Na toll!

Der Gedanke, dass Jonathan etwas bedrückt und ich keine Ahnung habe, was es ist, macht mich ganz kirre.

»Wie soll ich denn da Spaß haben?«, brumme ich.

Am liebsten würde ich den Rest des Tages mit ihm verbringen, damit er mir alles haarklein erzählen kann. Aber dafür müsste ich Anna vor die Tür setzen, was sie mir garantiert oberübel nehmen würde. Dabei haben sie und ich die ganzen Herbstferien für uns allein, während ich meinen besten Kumpel vierzehn lange Tage nicht zu Gesicht bekommen werde.

»Jona, es tut mir so leid«, krächze ich.

»Schon gut«, murmelt er.

Plötzlich schlingt er seine Arme um mich, drückt mich für ein paar Millisekunden total fest an sich, und noch ehe meine Gehirnzellen wieder richtig herum arbeiten, ist er bereits durch die Haustür verschwunden.

»Na, habt ihr geknutscht?«, fragt Anna, als ich in mein Zimmer zurückkomme.

Ich tippe mir an die Schläfe.

»Spinnst du! Wie kommst du denn da drauf?«

»Och, nur so.« Anna, die sich während meiner Abwesenheit wieder der Länge nach auf meinem Bett ausgestreckt und sich die neueste Ausgabe der Power Girls geschnappt hat, grinst von einem Ohr zum anderen. »Weil ihr so lange gebraucht habt, um euch voneinander zu verabschieden.«

Sie zwinkert mir bedeutungsvoll zu.

»Du bist echt bescheuert«, knurre ich, lasse mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen und schlage eine neue Seite meines Notizblocks auf. »Jona und ich sind Freunde und nichts weiter.«

Abgesehen davon weiß Anna sehr genau, dass ich mit Jungen nichts am Hut habe.

»Jetzt sei nicht beleidigt«, sagt sie. »Das war doch nur Spaß.«

»Hmh, sehr witzig«, grummle ich, greife nach einem dunkelgrünen Gelstift und stelle eine Rechnung auf.

Grundstock:150 Euro (Material für ca. 38 Mützen)
Verkaufspreis:  12 Euro pro Mütze = 456 Euro
Lohn Anna:    3 Euro pro Mütze (18) = 54 Euro
Gewinn:252 Euro
eigener Lohn:    3 Euro pro Mütze (20) = 60 Euro
absolut. Gewinn:192 Euro – 150 Euro für neues Material
Rest:  42 Euro für Tiere in Not

»Hm, das ist eigentlich zu wenig«, murmele ich.

»Was ist zu wenig?« Anna springt von meinem Bett herunter und späht mir über die Schulter. »Was machst du denn da?«

»Ich habe ausgerechnet, wie viel Geld …«

»Schon kapiert«, fährt meine Freundin dazwischen und schiebt sich neben mich auf den Stuhl. »Das ist sowieso alles Blödsinn«, meint sie, nimmt mir den Stift aus der Hand und streicht meine Aufstellung durch.

Gewinn:456 Euro
Tiere:200 Euro
Material:150 Euro
Lohn:106 Euro (E. und A. je 53 Euro)

»Die ersten hundertfünfzig brauchst du doch gar nicht mitzurechnen«, sagt sie, nachdem sie ihre Liste erstellt hat, und deutet auf die Scheine, die ich auf dem Fußboden ausgebreitet habe. »Die liegen da ja schon.«

Ich starre meine Freundin an und es dauert ein paar Atemzüge, bis sich die Verknotung meiner grauen Zellen gelöst hat. Dann allerdings herrscht Festbeleuchtung in meinem Oberstübchen.

»Verdammt noch mal, das stimmt!«, stoße ich aus. »Mensch, Anna, du bist echt genial!«, jubele ich.

»Jonathans Hilfe brauchten wir dafür jedenfalls nicht«, stellt sie mit einem zufriedenen Grunzen fest.

»Ach, und wenn schon«, sage ich. »Gestorben wären wir daran auch nicht.«

»Du vielleicht«, erwidert sie.

»Du genauso wenig«, gebe ich zurück. »Außerdem wollte er nur nett sein.«

»Denkst du!«

»Was denn sonst?«, entgegne ich.

»Sich zwischen uns drängen«, sagt Anna so, als gäbe es nichts auf der Welt, was klarer wäre.

»Das ist absoluter Quatsch!«, knurre ich, schieße vom Stuhl hoch und sammle mein Geld ein, auf dem Missie H. es sich gerade bequem machen wollte.

»Und das mit der Kamera hat er garantiert auch bloß so gesagt«, macht Anna weiter.

Ich zeige ihr einen farbenprächtigen, zweifingerigen Doppelvogel.

»Du spinnst doch! Wieso sollte er?«

»Um sich einzuschleimen natürlich.«

»Klar!«

Das hat Jona gerade nötig! Er weiß doch, dass ich ihn mag und wahnsinnig gern Zeit mit ihm verbringe. Besonders auf der Skatebahn – wo Anna zum Beispiel keine zehn Pferde hinkriegen.

»Und ich dachte, ihr versteht euch«, sage ich frustriert.

»Tun wir ja auch«, erklärt sie achselzuckend. »Trotzdem sollten wir ein paar Dinge ganz klar trennen. Oder findest du es etwa prickelnd, wenn wir ständig zu dritt aufeinanderhocken?«

»Das tun wir doch überhaupt nicht«, erwidere ich kopfschüttelnd. »Und heute war sowieso eine Ausnahme. Eigentlich wäre es nur fair gewesen, wenn ich etwas mit ihm allein unternommen hätte.«

Anna verdreht die Augen. »Zum Glück hast du das nicht.«

Hallo!? Ich glaub, ich hab ’ne Gehörgangentzündung!

»Was soll denn das schon wieder heißen?«

»Ist doch ganz einfach.« Anna steht ebenfalls von meinem Schreibtischstuhl auf und greift nach ihrer blaubeervioletten Jeansjacke, die sie über das Fußende von meinem Bett gehängt hat. »Ihr wärt garantiert zur Skatebahn gefahren.«

»Ja und?«

»Jona hätte irgendein waghalsiges Kunststück auf seinem BMX eingeübt und dich damit angesteckt.«

»Hä?«

Jetzt kapiere ich wirklich gar nichts mehr, und das sieht man mir offenbar auch an, denn meine Freundin lacht nun lauthals los – allerdings nur für ungefähr fünf Sekunden, dann hat sie bereits wieder diese berühmt-berüchtigte bierernste Miene aufgesetzt, die sich immer dann auf ihrem Gesicht abzeichnet, wenn sie sich ernsthafte Sorgen um mich macht.

»Ach so, du hast schon wieder Angst, dass ich mich auf die Nase legen könnte«, schlussfolgere ich grinsend.

»Das ist nicht lustig«, erwidert Anna. »Du fährst immer viel zu waghalsig und total unkonzentriert obendrein«, übertreibt sie wieder maßlos. »Und wenn Jonathan dich dann auch noch anstachelt …«

»Macht er nicht«, falle ich ihr ins Wort. »Jona ist nämlich ebenso wenig scharf darauf, dass ich mich verletze, wie du. Außerdem trage ich jetzt dieses Ding hier«, setze ich hinzu und tippe auf das rahmenlose Brillengestell auf meiner Nase.

Schweigend streift Anna sich ihre Jacke über.

Okay, sie hat recht. Ich bin zuweilen nicht ganz bei der Sache und dann passiert auch schon mal ein klitzekleines Unglück. Bisher hat sich allerdings meinetwegen noch niemand ernsthaft verletzt. Weder ich noch jemand anderes. Und mit Jona hat das alles sowieso nichts zu tun.

»Wenn ich mit ihm übe, bin ich viel vorsichtiger und dann lerne ich auch am schnellsten dazu«, rede ich weiter auf meine Freundin ein. »Du solltest mal mitkommen und es dir anschauen.«

»Besten Dank«, winkt Anna sofort ab. »Mir wäre es ohnehin am liebsten, du würdest auf ein Fahrrad umsteigen. Und zwar auf ein ganz normales«, betont sie.

»Oh, das traust du mir allen Ernstes zu?«, versuche ich zu scherzen. »Wäre es nicht viel besser, wenn es Stützräder hätte und außerdem selbstständig abbremsen würde, sobald ich schneller als fünf Stundenkilometer fahre?«

Anna bedenkt mich mit einem finsteren Blick. »Du bist blöd.«

»Ja, ich weiß. Tut mir leid«, lenke ich ein. »Ich finde allerdings, du übertreibst es gerade ein bisschen mit deiner Angst.«

»Ich will einfach nicht, dass ausgerechnet jetzt noch was passiert«, entgegnet Anna. »Kurz bevor wir ins Wildcamp fahren.«

»Oh!« In diese Richtung läuft also der Hase. »Und wenn wir erst dort sind, darf ich mir also den Hals brechen, oder was?«

»Natürlich nicht.« Sie lächelt verschmitzt »Allerhöchstens den kleinen Finger.«

»Ich würde auch mit Gipsbein dorthin reisen«, sage ich. »Also hör auf, dir einen Kopf um Sachen zu machen, die sowieso nicht eintreten werden.«

»Ich bin trotzdem froh, dass du heute nicht mehr mit Jona zur Skatebahn gefahren bist«, erwidert Anna. Sie knöpft ihre Jacke zu und schlingt mir die Arme um den Hals. »Bis morgen, Emely«, murmelt sie und küsst mich auf die Wange.

»Wieso willst du überhaupt schon nach Hause?«, frage ich.

»Weil ich keine Lust habe, auf den letzten Drücker zu packen.«

»Aber wir fahren erst am Donnerstag«, erinnere ich sie. »Du hast noch ganze fünf Tage Zeit dir zu überlegen, was du mitnehmen willst.«

Abgesehen davon hätte ich Jona eben nicht einfach gehen lassen, wenn ich geahnt hätte, dass Anna auch nicht mehr lange bleiben würde.

»Ihr könnt ja nachher noch skypen«, schlägt sie vor, als hätte sie meine Gedanken erraten. »Oder whatsappen.«

»Ja«, sage ich seufzend. »Genau das haben wir vor.«

»Gut.«

Anna verpasst mir noch einen Schmatzer auf die andere Wange, und dann ist sie so schnell verschwunden, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass Kofferpacken das Einzige ist, was sie heute noch erledigen will.

Kleines Ding, großes Ding

Ich hole mein Smartphone aus dem Seitenfach meines Rucksacks hervor und will gerade WhatsApp aktivieren, als es an der Haustür klingelt.

Bestimmt hat Anna etwas vergessen!, schießt es mir durch den Kopf. Oder sie hat es sich anders überlegt und will doch noch eine Weile mit mir abhängen. Ich werfe das Handy aufs Bett und stürze aus dem Zimmer, doch leider ist mein Bruder schneller als ich. Als er mich bemerkt, legt er sogar noch einen Zahn zu und springt die Klinke an, als wäre er Spiderman höchstpersönlich.

»Ey, du Lappen!«, rufe ich und hechte ihm hinterher. »Das ist sowieso für mich.«

»Kannst du neuerdings durch Wände gucken?«, frotzelt Teo und reißt die Tür auf. »Oder erwartest du deinen Lover?«

»Na, das nenne ich ja mal eine stürmische Begrüßung«, freut sich Oma Berlin und strahlt zuerst Teo an und dann mich.

Sie putzt sich die Schuhe auf der Fußmatte ab und tritt in den Flur.

»Moms ist nicht da«, sagt mein Bruder. »Sie kommt freitags nie vor acht Uhr nach Hause.«

»Kein Grund, mir die Tür gleich wieder vor der Nase zuzuschlagen«, erwidert meine Großmutter.

Teo läuft knallrot an.

»Das hatte ich gar nicht vor«, verteidigt er sich.

»Sollte ja auch bloß ein Scherz sein«, meint Oma Berlin und spaziert an uns vorbei zur Garderobe. »Offenbar kommt es euch gar nicht in den Sinn, dass mein Besuch auch euch gelten könnte, hm?«

Sie nimmt ihr dünnes dunkelblaues Wolltuch ab und mustert uns mit hochgezogenen Brauen.

»Na ja«, sage ich. »Es ist ja auch schon eine ganze Weile her, dass du hier …«

»Ich weiß«, unterbricht sie mich und zieht ihre Jacke aus. Sie stopft das Tuch in den Ärmel und hängt die Jacke über einen Bügel. Anschließend zupft sie sich vor dem Spiegel ihre dichten grau gesträhnten Haare zurecht. »Und ich möchte jetzt bitte keine Vorwürfe hören.«

»Aber ich wollte doch gar nicht …«, stammele ich. »Ich finde es nämlich total okay, wenn wir zu Opa und dir kommen … und Teo bestimmt auch. Wir haben uns bloß gewundert.«

»Oh Mann!«

Mein Bruder verdreht stöhnend die Augen und stapft auf sein Zimmer zu.

»Stopp! Hiergeblieben!«, hält Oma Berlin ihn zurück. »Es mag ja sein, dass du anderer Auffassung bist als deine Schwester, aber ich habe mit euch beiden zu reden. Am besten, wir setzen uns gemütlich ins Wohnzimmer.« Sie wendet sich mir zu und streicht mir sachte über die Wange. »Emely, Schätzchen, bist du so lieb, und besorgst uns etwas zu trinken?«

»Ich hab keinen Durst«, brummt Teo. Er ändert die Richtung und stapft nun aufs Wohnzimmer zu. »Und besonders viel Zeit habe ich auch nicht.«

»Was gibt’s denn so Wichtiges am ersten Ferientag?«, fragt meine Großmutter belustigt. »Geschäfte?«

Dabei weiß sie ganz genau, wie sehr mein Bruder und ich es hassen, uns lange im selben Zimmer aufzuhalten. Die Phase, in der es ein bisschen anders war und nicht sofort die Fetzen flogen, ist ziemlich kurz gewesen und längst wieder vorbei.

Ich bin jedenfalls froh, dass ich noch einen Abstecher in die Küche machen kann, und lasse mir alle Zeit der Welt dabei, drei Gläser aus dem Hängeschrank und eine Flasche O-Saft aus dem Kühlschrank zu nehmen.

Als ich das Wohnzimmer betrete, sitzt Oma Berlin auf dem Sofa, während mein Bruder mit verschränkten Armen und muffigem Gesicht in einem der beiden Sessel hockt.

»Der Orangensaft ist eklig«, brummt er.

»Dann hol dir doch was anderes«, brumme ich zurück, stelle die Gläser auf den Tisch und drehe den Schraubverschluss von der Flasche.

»Ich hab ihn übrigens schon darauf hingewiesen, dass er gerade kein besonders hübsches Bild abgibt«, meint meine Großmutter.

Das tut er nie, liegt es mir auf der Zunge, zu sagen, verkneife es mir jedoch. Ich habe keine Lust zu streiten, sondern will das hier so schnell wie möglich hinter mich bringen. Und da Teo Oma Berlins Bemerkung völlig ungerührt an sich abperlen lässt, scheint es ihm ganz ähnlich zu gehen. – Tja, in manchen Dingen sind wir uns eben doch schon immer sehr schnell einig gewesen.

Ich fülle die Gläser, reiche eins meiner Großmutter und setze mich mit dem anderen zu ihr aufs Sofa.

Teo wirft mir einen feindseligen Blick zu, dann sieht er Oma Berlin an. »Was ist denn?«, will er wissen.

Meine Großmutter schenkt ihm ein Lächeln. Sie nimmt einen großen Schluck O-Saft und stellt das halb geleerte Glas geräuschvoll auf den Tisch zurück.

»Ich werde morgen an die Nordsee reisen und habe beschlossen, euch mitzunehmen«, teilt sie uns ohne Umschweife mit.