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1. Auflage 2015

 

© 2015 by LAGO, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

 

 

Copyright © 2013 by Laurelin Paige

Published in cooperation with the D4EO Literary Agency. www.d4eoliteraryagency.com

 

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2013 bei Mandevilla Press unter dem Titel Fixed on You.

 

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

 

Übersetzung: Ramona Marten

Redaktion: Carina Heer

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Satz: FotoSatz Pfeifer GmbH

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

 

 

ISBN Print 978-3-95761-013-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-031-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-032-3


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Kapitel eins

Ich fühlte mich lebendig.

Dunkelheit und das Aufblitzen gedämpfter Lichter wechselten sich ab, die Klänge eines Ellie-Goulding-Liedes hämmerten als Club-Mix über verschwitzte Leiber, die tanzten, sich aneinander rieben und sich miteinander amüsierten. Der Sky-Launch-Nachtclub ging mir direkt ins Blut und machte mich auf eine Art an, wie es seit einiger Zeit nichts und niemand mehr getan hatte. Wenn ich hier war, wenn ich an der Bar jobbte, den Kellnern zuarbeitete und mich um die DJs kümmerte, dann fühlte ich mich so frei wie sonst den ganzen Tag über nicht. Der Club hatte etwas Magisches.

Und für mich etwas Heilendes.

Denn mit seiner Lebendigkeit, seinem prallen Leben war der Club für mich ein Zufluchtsort. Hier konnte ich mich festhalten und brauchte keine Sorge zu haben, dass ich über Bord gehen würde. Niemand warf mir vor, ich würde mich zu sehr oder zu lange auf meine Arbeit konzentrieren. Aber es ging das Gerücht, dass die Sky Launch, die schon seit einiger Zeit zum Verkauf stand, jetzt tatsächlich verkauft würde. Und mit einem neuen Eigentümer konnte sich alles ganz schnell ändern.

»Laynie!« Sasha, die Kellnerin, die für den oberen Bereich zuständig war, riss mich aus meinen Gedanken und holte mich zurück zu meinem Job. »Ich brauche einen Wodka Tonic, einen White Russian und zwei Butterballs.«

»Alles klar.« Ich griff nach der Wodkaflasche auf dem Regal hinter mir.

»Ich fass es nicht, wie voll es für einen Donnerstag ist«, sagte sie, während ich ihre Bestellung fertig machte.

»Das ist der Sommeransturm. Warte noch eine Woche, dann geht’s hier erst richtig rund.« Ich konnte es kaum erwarten. Sommer im Club, das war der absolute Wahnsinn.

»Dann wird’s lustig.« David Lindt, der Manager des Clubs, mischte sich in unsere Unterhaltung ein. Im hellen Licht der Bar funkelten seine Augen.

»Und wie!« Ich grinste breit und zwinkerte David zu, während ich die Getränke auf Sashas Tablett stellte, und in meinem Magen flackerte kurz die Begierde auf.

Er zwinkerte zurück, und das Flackern wurde zu einer kleinen Flamme.

David war nicht gerade die Liebe meines Lebens – eigentlich war er nicht mal der richtige Mann für den Augenblick –, aber wir teilten unsere Begeisterung für den Club miteinander, und das löste etwas in mir aus. Mein Interesse daran, etwas dazuzulernen und von der Barkeeperin zu Höherem aufzusteigen, hatte offenbar auch sein Interesse geweckt. Mehr als einmal waren wir nach dem Club noch woanders hingegangen, und das hatte in heftigen Knutschereien und Fummeleien geendet. Obwohl ich mich nicht sofort zu ihm hingezogen gefühlt hatte, war er mir mit seiner kleinen Statur, dem lockigen blonden Haar und den blauen Augen ans Herz gewachsen. Außerdem waren sein ausgeprägter Geschäftssinn und sein außergewöhnlicher Stil, wie er den Club als Manager leitete, genau das, was ich bei einem Mann brauchte. Und ganz ehrlich: Dass er kaum an meine Gefühle rührte, war kein unwesentlicher Aspekt. Wir passten ganz gut zusammen, aber ich flippte vor Begeisterung über ihn nicht aus, wie ich das bei anderen Kerlen getan hatte. David war sicher und solide, und das war meine Definition von einem perfekten Mann.

Ich tippte Sashas Bestellung in die Kasse, und David füllte ein paar Schnapsgläser – eine Bestellung von Todd, dachte ich, einem anderen Kellner, der neben Sasha stand. David stand nur selten selbst hinter der Bar, aber heute Abend waren wir knapp besetzt, und für seine Hilfe war ich sehr dankbar. Besonders jetzt, da der Laden immer mehr Fahrt aufnahm. Ein Stammkunde und seine Freunde lehnten schon an der Bar und warteten, dass ich sie bediente, und aus dem Augenwinkel sah ich, dass sich am hinteren Ende der Theke ein Typ im Anzug niederließ.

Ich reichte Sasha ihren Kassenbon, aber David hielt sie zurück, ehe sie verschwinden konnte. »Einen Moment noch. Wo wir jetzt wenigstens zu ein paar Leuten hier sind, sollten wir auf Laynie anstoßen.« Er reichte die vollen Schnapsgläser herum. Es war Tequila – mein Lieblingsshot.

Ich schaute ihn misstrauisch an. Es war zwar nicht ungewöhnlich, dass man während einer Schicht an der Bar ein oder zwei Kurze trank, aber das machte man diskret und nie vor dem Manager und ganz sicher nicht, wenn er einen dazu aufforderte.

»Keine Sorge«, sagte David und stupste mich mit der Schulter an. »Das ist ein besonderer Anlass.«

Mit einem Achselzucken lächelte ich und nahm das Glas, das er mir hinhielt. »Du bist der Boss.«

»Es ist zu viel los, als dass ich einen langen Trinkspruch halten möchte, also: Auf Laynie! Wir sind stolz auf dich!«

Ich wurde rot und stieß mit allen an, die in der Nähe standen, auch mit dem Stammkunden und seinen Freunden, die »Hört, hört!« und »Prost!« riefen.

»Juhu!«, schrie ich meine Erregung hinaus. Für mein Examen hatte ich wirklich hart gearbeitet und ich war stolz auf mich. Ich kippte den Tequila runter und genoss das Brennen, als er durch meine Kehle rann und sich in meinem Körper ausbreitete. »Verdammt, ist der gut!«

Sasha merkte, dass ihre Gäste unruhig wurden, und verschwand mit ihren Drinks, während David sich um Todds Bestellung kümmerte. Ich schaute nach dem Stammkunden, dessen Namen ich vergessen hatte. Er lehnte sich über die Bar, um mich zu umarmen, und ich umarmte ihn zurück. Auch wenn ich seinen Namen nicht wusste, weiß ich genau, wie ich mir mein Trinkgeld verdiene!

»Vier Gläser von dem, was ihr im Zapfhahn habt«, rief er, um die Musik zu übertönen. Sie schien in den letzten Minuten lauter geworden zu sein. »Wo ist denn Liesl?«

Ich reichte ihm die ersten beiden Bierkrüge rüber und nahm die nächsten beiden in Angriff. »Sie vertritt mich die ganze nächste Woche über, deswegen hat sie heute Abend frei.« Ach ja – das war der Typ, der immer mit Liesl flirtete, einer anderen Barkeeperin.

»Das ist ja toll. Was machst du denn mit deinem Urlaub?« Da Liesl nicht da war, ließ er jetzt bei mir seinen Charme spielen. Seine Augen wanderten zu meinen Brüsten, die man zugegebenermaßen nur schwer übersehen konnte. Besonders bei meinem tiefen Ausschnitt. Ich habe schöne Brüste, da kann man’s mir nicht verdenken, wenn ich sie auch zeigen will, oder?

»Absolut gar nichts.« Ich hoffte, das klang so, als würde ich mich auf meinen Urlaub freuen. In Wirklichkeit hatte ich mir freigenommen, um nach Hause zu fahren und mich mit meinem älteren Bruder zu treffen. Aber gerade heute Vormittag hatte Brian abgesagt, er sei zu sehr mit Arbeit eingedeckt und würde es nicht mal zu meiner Abschlussfeier schaffen.

Ich unterdrückte die Gefühle, die sich fast auf meinem Gesicht gezeigt hätten. Ich war nicht nur enttäuscht, ich hatte richtig Angst. Wenn ich nichts zu tun hatte, war ich nicht ich selbst. Ich war schon ein paarmal kurz davor gewesen, David zu bitten, mich doch für die nächste Woche einzuteilen, aber immer, wenn ich den Mund aufmachen wollte, fühlte ich mich wie der totale Loser. Vielleicht würde mir eine Woche Urlaub ja guttun. Das würde ich ja wohl noch hinkriegen, oder?

Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um sich Gedanken über die kommende Woche zu machen. Ich machte die Bestellung fertig und ging hinüber, um mich um den Anzugtypen zu kümmern, der sich am Ende der Bar niedergelassen hatte.

»Was kann ich Ihnen ...?« Ich verstummte, als mein Blick und der des Anzugtypen sich trafen. Es war, als würde mir bei seinem Anblick die Luft aus den Lungen gesogen. Dieser Mann ... war ... umwerfend.

Schlicht und einfach umwerfend.

Ich konnte meinen Blick nicht von ihm losreißen, seine ganze Erscheinung zog mich geradezu magnetisch an. Und das bedeutete, dass er genau der Typ von Mann war, dem ich aus dem Weg gehen sollte.

Nach so manchem Liebeskummer, der mich in meiner Vergangenheit gequält hatte, hatte ich begriffen, dass ich die Männer, von denen ich mich angezogen fühlte, in zwei Kategorien einteilen konnte: Die erste Kategorie konnte man beschreiben mit: »ficken und vergessen«. Das waren die Männer, bei denen ich im Schlafzimmer abging, die ich aber leicht hinter mir lassen konnte, sobald es nötig wurde. Das waren die sicheren Männer, und in diese Kategorie fiel auch David.

Und dann gab es da noch die Männer, die genau das Gegenteil davon waren. Das war nicht »ficken und vergessen« – diese Männer gehörten in die Kategorie »Oh, fuck!«. Ich wurde von ihnen so intensiv angezogen und war so von ihnen besessen, dass sie mich regelrecht aufzehrten. Ich war nur noch auf das konzentriert, was sie sagten, taten, waren, und vor dieser Art von Männern rannte ich davon, so schnell und so weit ich nur konnte. Und nur Sekunden nachdem ich dem Blick dieses Mannes begegnet war, wusste ich, dass ich rennen sollte.

Er schien sich hier auszukennen – er musste schon einmal im Club gewesen sein. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich ihn vergessen hätte. Er war der atemberaubendste Mann auf diesem Planeten: kantige Wangenknochen und ein starker Kiefer unter glattem, braunem Haar und so intensiv blickende graue Augen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Bei dem leichten Anflug von Bartstoppeln begann meine Haut zu jucken, ich sehnte mich danach, sie an meinem Gesicht zu spüren – und an den Innenseiten meiner Schenkel. Nach allem, was ich erkennen konnte, war sein teurer marineblauer Dreiteiler gut geschnitten und zeugte von ausgezeichnetem Geschmack. Und sein Geruch – ein schwacher Duft von unparfümierter Seife, von Rasierwasser und reiner Männlichkeit – hätte fast dazu geführt, dass ich in der Luft vor ihm herumgeschnüffelt hätte wie eine läufige Hündin.

Aber es war nicht nur seine Schönheit, die ihresgleichen suchte, und die Ausstrahlung seiner Männlichkeit, die dazu führte, dass es mir zwischen den Beinen brannte und ich mich nach dem nächstgelegenen Ausgang umschaute. Es lag daran, wie er mich ansah: auf eine Weise, wie mich noch nie ein Mann angeschaut hatte. In seinem Blick lag ein hungriger Besitzanspruch, als hätte er mich im Geiste nicht nur ausgezogen, sondern für sich beansprucht, sodass ich in Zukunft nur noch von ihm befriedigt werden würde und von sonst niemandem.

Ich begehrte ihn auf der Stelle, und in meinem Bauch spürte ich den Stachel der Fixierung – ein mir wohlbekanntes Gefühl. Aber dass ich ihn begehrte, war nicht von Bedeutung. Der Ausdruck auf seinem Gesicht besagte, dass er mich besitzen würde, ob ich es wollte oder nicht. Dass es so unausweichlich war, als wäre es bereits geschehen.

Es machte mir wahnsinnige Angst, und in meinem Nacken stellten sich meine Haare auf.

Aber vielleicht auch nur aus reiner Lust.

Oh, verdammt!

»Einen Single-Malt-Scotch pur, bitte.«

Ich hatte fast schon vergessen, dass ich ihn ja eigentlich bedienen sollte. Und die Vorstellung, ihn zu bedienen, erschien mir so sexy, dass ich fast über meine Füße stolperte, um ihm seinen Drink zu servieren, als er mich an meinen Job erinnerte. »Ich habe einen zwölf Jahre alten Macallan.«

»Sehr schön.« Das war alles, was er sagte, aber wie er es sagte, mit einer tiefen, heiseren Stimme, ließ mein Herz flattern.

Als ich ihm seinen Scotch reichte, berührten seine Finger die meinen, und mich überlief ein Schauer. Ein unübersehbarer Schauer. Er hob ganz leicht die Augenbrauen, als würde es ihn freuen.

Ich riss die Hand zurück und legte sie auf das Mieder meines Kleides, als könnte der Stoff die Hitze auslöschen. Doch die war bereits von dort, wo wir uns mit den Händen berührt hatten, bis zwischen meine Beine gewandert, wo mein bedürftiges Zentrum lag.

Ich berührte nie die Finger eines Kunden – warum hatte ich es jetzt getan?

Weil ich es nicht ertragen hätte, ihn nicht zu berühren. Ich fühlte mich so zu ihm hingezogen, so begierig nach etwas, wofür ich keine Worte fand, dass ich alles an Berührung nehmen würde, was ich bekommen konnte.

Nicht das schon wieder. Nicht jetzt!

Überhaupt nie mehr.

Ich ging von ihm weg, rasch und weit weg, das heißt, so weit ich eben konnte, also zum entgegengesetzten Ende der Bar. David sollte den Typen bedienen, wenn er noch irgendwas wollte. Ich wollte wirklich nicht mehr in seine Nähe kommen.

Und dann, wie aufs Stichwort, kam Sasha zurück, und ich hatte mein übliches Pech. »David, die Gruppe in Nummer fünf belästigt mal wieder die Kellnerin.«

»Bin schon unterwegs.« Er wandte sich an mich. »Du kommst doch einen Moment allein zurecht?«

»Ich hab alles im Griff.« Ich hatte überhaupt nichts im Griff. Nicht wenn Mr Ich-ziehe-Laynie-um-jeden-Preis-an-und-wenn-sie-dabei-verrückt-wird am anderen Ende der Bar saß.

Aber ich hatte überzeugend genug geklungen, David glitt hinter der Theke hervor und ließ mich mit dem Anzugtypen allein. Der Stammkunde und seine Freunde hatten sich zu einer Gruppe kichernder Mädchen an einen Tisch in der Nähe gesellt. Ich ließ den Blick über die Tanzfläche gleiten und hoffte, dass ich aus dem Meer der Gesichter einen Kunden anlocken konnte. Ich brauchte dringend neue Bestellungen, sonst würde der Anzugtyp denken, ich ginge ihm extra aus dem Weg und verstecke mich hier in meiner Ecke – was natürlich stimmte. Aber ehrlich gesagt trug der Abstand zwischen uns nichts dazu bei, den festen Knoten der Begierde, der sich in meinem Magen gebildet hatte, aufzulösen. Es war völlig sinnlos, dem Mann aus dem Weg zu gehen.

Ich seufzte und wischte die Theke ab, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre, nur, um mich zu beschäftigen. Als ich einen Blick hinüber zu meinem heißen Typen wagte, sah ich, dass sein Glas fast leer war.

Ich bemerkte auch, dass er die Augen fest auf mich gerichtet hielt. Sein durchdringender Blick fühlte sich anders an als der typische Blick eines Kunden, der versucht, die Aufmerksamkeit des Barkeepers auf sich zu lenken. Aber ich weiß, dass ich ohnehin dazu tendiere, die Bedeutung von dem zu überschätzen, was andere Menschen tun, also ließ ich diesen Gedanken wieder fallen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und zwang mich, zu ihm hinüberzugehen und nach ihm zu schauen.

Wem wollte ich eigentlich was vormachen? Ich musste mich nicht dazu zwingen, zu ihm zu gehen – ich glitt zu ihm hinüber, als würde er mich an einem unsichtbaren Seil zu sich ziehen. »Noch einen Scotch?«

»Nein danke.« Er reichte mir einen Hunderter. Das war ja klar. Ich hatte gehofft, er würde mir seine Kreditkarte geben, damit ich seinen Namen herausfinden konnte.

Nein, das hoffte ich nicht! Es war mir völlig egal, wie er hieß. Und es fiel mir auch nicht auf, dass er keinen Ring trug. Oder dass er noch immer jede meiner Bewegungen verfolgte, als ich den Geldschein entgegennahm und die Kasse bediente.

»Ein besonderer Anlass?«, fragte er.

Ich runzelte die Stirn, und dann erinnerte ich mich, dass er ja gesehen hatte, wie wir miteinander anstießen. »Ähm, ja. Mein Abschluss in Betriebswirtschaft. Morgen ist die Verabschiedung.«

Sein Gesicht leuchtete in ehrlicher Bewunderung auf. »Herzlichen Glückwunsch. Auf Sie und Ihre Erfolge!« Er hob sein Glas, prostete mir zu und kippte den Rest hinunter.

»Danke schön.« Ich war wie gebannt vom Anblick seines Mundes und seiner Zunge, die hervorschoss und den letzten Tropfen von seinen Lippen leckte. Zum Anbeißen.

Als er sein Glas abstellte, streckte ich ihm die Hand mit dem Wechselgeld hin und machte mich bereit für den Wonneschauer darüber, erneut seine Hand zu berühren, denn das würde unweigerlich passieren, wenn er das Geld von mir entgegennahm.

Aber es kam zu keinem Kontakt. »Der Rest ist für Sie.«

»Das kann ich nicht annehmen.« Er hatte mir einen Hunderter gegeben. Für ein Glas Scotch! Das ging wirklich nicht.

»Das können Sie, und Sie werden es auch.« Sein Kommandoton hätte mich ärgern sollten, aber stattdessen geriet mein Innerstes noch mehr in Aufruhr. »Betrachten Sie es als Geschenk zum Examen.«

»Na gut.« Sein Auftreten lähmte meinen Willen, mit ihm zu diskutieren. »Danke schön.« Ich drehte mich um und steckte das Geld in mein Trinkgeldglas im hinteren Bereich der Bar. Gleichzeitig war ich sauer auf mich selbst, dass dieser Fremde so einen starken Eindruck auf mich machte.

»Ist das gleichzeitig eine Abschiedsparty?«, fragte seine Stimme hinter mir, und ich drehte mich wieder zu ihm um. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit einem Abschluss in Betriebswirtschaft weiter hinter der Bar stehen werden.«

Natürlich würde ein Typ im Anzug das denken. Er war wahrscheinlich irgend so ein Businesstyp, der genau der gleichen Meinung war wie mein Bruder: Es gab Jobs, die sich lohnten, und es gab Jobs für die anderen. Und Barkeeperin gehörte in die zweite Kategorie.

Aber ich liebte es, hinter der Bar zu stehen. Mehr noch: Ich liebte diesen Club. Ich hatte das Studium nur begonnen, um mehr zu tun zu haben. Ich hatte etwas gebraucht, das mich »beschäftigt« hielt, wie mein Bruder Brian es nannte, als er mir angeboten hatte, alle Ausgaben zu übernehmen, die nicht durch mein Stipendium und den Studienkredit abgedeckt wurden.

Es war eine gute Entscheidung gewesen – die richtige Entscheidung, denn sie verhinderte, dass mein Leben völlig außer Kontrolle geriet. In den letzten drei Jahren hatte ich mich voll und ganz auf die Uni und den Club konzentriert. Dumm war nur, dass der Abschluss mich sehr viel Zeit kostete, die ich nicht arbeiten konnte. Und jetzt versackte ich in den Schulden des Studienkredits und musste schauen, wie ich über die Runden kam, ohne dass ich dafür die Sky Launch aufgeben musste.

Aber ich hatte schon einen Plan: Ich wollte befördert werden. Im vergangenen Jahr hatte ich bereits Führungsaufgaben übernommen, aber ich hatte keinen offiziellen Titel bekommen, denn als Manager musste man Vollzeit arbeiten. Jetzt, da ich die Uni beendet hatte, konnte ich mehr arbeiten. David hatte mich schon auf den neuen Job vorbereitet. Die einzige Unbekannte in dieser Gleichung war der neue Eigentümer. Aber darüber machte ich mir keine Gedanken – noch nicht.

Einem Fremden meine Absichten zu erklären war allerdings nicht leicht. Wie vernünftig war es, einen MBA-Abschluss von der Stern, der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der New York University, für eine Karriere im Management eines Nachtclubs zu benutzen? Wahrscheinlich war es sehr unvernünftig. Also schluckte ich, ehe ich dem Anzugtypen antwortete. »Ich möchte mich gerne hier hocharbeiten. Ich liebe die Nachtclub-Szene.«

Zu meiner Überraschung nickte er, und seinen Augen schimmerten, als er sich in das grellweiße Licht der Bar vorbeugte. »Man fühlt sich so lebendig.«

»Ganz genau.« Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Woher wusste er das?

»Das sieht man.«

Sexy, reich und genau auf meiner Wellenlänge. Er war genau die Art von Mann, von dem ich besessen sein konnte, und das auf eine sehr ungesunde Art.

»Laynie!« Der Ruf des Stammkunden von eben zog mich von den intensiven grauen Augen des Fremden weg. »Ich bin jetzt weg, wollte dir nur noch mal gratulieren und dir alles Gute wünschen. Ach, und hier ist meine Nummer, meld dich doch mal! Ich kann gerne behilflich sein, wenn du in deinem Urlaub was erleben willst.«

»Tja, vielen Dank ...« – Ich las den Namen, den er auf die Serviette geschrieben hatte – »Matt.« Ich wartete, bis er weg war, dann warf ich sie in den Mülleimer unter der Theke und fing dabei einen Blick des Anzugtypen auf.

»Machen Sie das immer so, wenn Ihnen jemand seine Nummer gibt?«

Ich schwieg. Es war nicht so, dass ich mich noch nie mit einem Kunden eingelassen hätte, aber noch nie mit einem Stammkunden. Das gehörte zu den Regeln. Ich wollte die Männer hinterher nicht wiedersehen. Die Versuchung war zu stark, dass ich verrückt nach ihnen werden würde.

Aber ich hatte keine Lust, mich mit dem Anzugtypen darüber zu unterhalten. Seine Augen hingen die ganze Zeit an mir, und ich glaubte allmählich, dass mein Interesse an ihm nicht ganz einseitig war. Immerhin hatte er mir ein außerordentlich großzügiges Trinkgeld gegeben. »Versuchen Sie gerade rauszukriegen, ob ich Ihre Nummer auch wegwerfen würde?«

Er lachte. »Vielleicht.«

Ich musste über seine Reaktion lächeln und wurde immer feuchter. Es machte Spaß, mit ihm zu flirten. Zu dumm, dass ich dem ein Ende machen musste. Ich stützte die Hände auf die Theke und beugte mich zu ihm, sodass er mich bei der lauten Musik besser hören konnte. Und ich versuchte, mich nicht über den begehrlichen Blick zu freuen, den er dabei auf meinen Busen warf. »Ihre Nummer würde ich nicht wegwerfen. Ich würde sie gar nicht erst entgegennehmen.«

Er kniff leicht die Augen zusammen, aber das Lachen von vorhin tanzte noch immer darin. »Ich bin wohl nicht Ihr Typ?«

»Nicht unbedingt.« So zu tun, als fände ich ihn nicht attraktiv, war sinnlos. Es musste ihm aufgefallen sein, wie ich auf ihn reagiert hatte.

»Und warum sonst?«

»Weil Sie nur einen Zeitvertreib suchen. Ein bisschen Spaß. Sie wollen nur herumspielen.« Ich lehnte mich noch weiter zu ihm, um meine Pointe gut zu platzieren – und die schreckte stets auch noch den allergeilsten Mann ab. »Und ich bin eine sehr anhängliche Frau.« Ich richtete mich wieder zu meiner vollen Höhe auf, sodass ich seine Reaktion betrachten konnte. »Und, macht Ihnen das jetzt nicht ganz entsetzlich Angst?«

Ich hatte erwartet, einen Anflug von Panik auf seinem Gesicht zu sehen. Stattdessen sah er amüsiert drein. »Sie, Alayna Withers, machen mir alles andere als Angst.« Aber trotz seiner Worte stand er auf und knöpfte sein Jackett zu. »Nochmals meine Glückwünsche. Da haben Sie ganz schön was erreicht.«

Ich schaute ihm viel zu lange nach, während er ging, und ich war über seinen abrupten Aufbruch niedergeschlagener, als ich zugeben wollte.

Nachdem er fort war, brauchte ich gut und gern fünf Minuten, bis mir auffiel, dass ich ihm meinen Namen gar nicht genannt hatte.