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Valerie le Fiery

Der letzte Große Preis

Liebe kennt kein Handicap


Sämtliche Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit real existierenden oder bereits verstorbenen Personen sind somit rein zufällig und nicht beabsichtigt.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kapitel 1

„Markus, wo steckst du denn schon wieder?“

 

Die Stimme meines Bruders dringt nur schwach zu mir durch. Eigentlich hatte ich gehofft, dass er nicht mehr daran denkt, unbedingt mit mir zusammen Formel 1 gucken zu wollen. Seufzend erhebe ich mich, setze die Kopfhörer ab, gehe zur Anlage und stelle die CD mit den französischen Chansons ab. Schade, dass ich die hier nie laut hören kann, aber mein Bruder würde mich killen. Er steht nun mal auf Hardrock und Heavy Metal, so ein Softiezeug verabscheut er geradezu. Eigentlich findet er mich ohnehin viel zu weibisch, deswegen höre ich meine Musik lieber nur für mich, so muss ich mir wenigstens keine blöden Bemerkungen anhören.

 

„Ich bin hier, was gibt es denn?“, rufe ich die Treppe hinunter, obwohl ich die Antwort bereits kenne. Widerwillig setze ich mich dabei in Bewegung und gehe langsam die Stufen abwärts.

 

„Hast du vergessen, dass wir das Training zum Großen Preis gucken wollten?“, höre ich Martin aus dem Wohnzimmer, wo bereits der Fernseher läuft und man das Dröhnen der Rennwagen hören kann.

 

„Natürlich nicht“, antworte ich schnell und seufze innerlich. Schade, dass er es nicht vergessen hat. Wetten, dass er wieder jede Menge Bier auf dem Tisch stehen hat und dazu Schweineschwarten und Chips? Weil er ja immer meint, dass das zu einem solchen Männerabend dazugehört. Er will nämlich einen ganzen Mann aus mir machen, einen Kerl aus echtem Schrot und Korn. Ich soll nicht so eine Lusche sein und bleiben, die Musik von den Franzmännern hört, sich gerne Tanzen im TV ansieht und mit Fußball auch nicht wirklich etwas anfangen kann. Eine Schwuchtel eben.

 

Seit er vor einiger Zeit mitbekommen hat, dass es mich nicht zur holden Weiblichkeit zieht – weil ich Mädchen ungefähr so spannend finde wie den Wetterbericht vom letzten Jahr – lässt er nichts unversucht, mich umzupolen. Dazu zieht er alle Register, von gemeinsamen Unternehmungen mit möglichst vielen ungebundenen Mädchen bis hin zu diversen Sportveranstaltungen, die man als Mann eben besuchen muss. Vor allem zieht es ihn zum Fußball und natürlich zur Formel 1, schließlich ist er Kfz-Mechaniker.

 

Mir krampfhaft ein Grinsen ins Gesicht zwingend, schiebe ich mich durch die Tür und lasse mich neben Martin auf dem Sofa nieder. Unsere Eltern sind für längere Zeit im Ausland und so haben wir das ganze Haus für uns allein, was Martin auch heute wieder voll ausnutzt. Wie immer hat er den Fernseher auf volle Lautstärke gedreht. Überdeutlich röhren die Motoren der Boliden aus dem Äther und der Kommentator scheint sich regelrecht überschlagen zu wollen, was er übrigens mit den Fußballreportern gemeinsam hat. Auch die brüllen immer, als gelte es jedes Mal, die Weltmeisterschaft zu gewinnen, selbst wenn es sich nur um Freundschaftsspiele handelt.

 

„Da nimm!“

 

Mit diesen lakonischen Worten drückt mir mein Bruder eine geöffnete Flasche Bier in die Hand, nimmt selbst einen Schluck aus seiner eigenen, rülpst laut und vernehmlich und sieht mich mit einem Blick an, als wollte er dafür gelobt werden wie ein Baby für sein Bäuerchen. Es fällt mir schwer, ihm nicht zu zeigen, wie sehr mich ein solches Benehmen ankotzt. Und dass ich Bier überhaupt nicht mag, ignoriert er ebenfalls mit stoischer Gelassenheit.

 

„Da guck“, stupst er mich in die Seite, und zwar so stark, dass ich mir einen Schmerzenslaut verkneifen muss, „hat der Joe nicht eine hammergeile Braut am Haken? Was sagste, bekommste da nicht doch Appetit auf so ‘ne richtige Frau mit Titten und Möse?“

 

Breit grinsend sieht er mich an und wartet gespannt auf meine Antwort. Allerdings wird die wieder einmal nicht so ausfallen, wie er es sich erhofft hat.

 

„Nein, bekomme ich nicht und Bier mag ich auch nicht. Aber der Joe, der sieht wirklich gut aus.“

 

Fast angeekelt verziehen sich Martins Mundwinkel und mit einer unwirschen Handbewegung wischt er meine Antwort förmlich weg.

 

„Papperlapapp, so einer wie der Joe, das ist ein echter Kerl. Der bumst nur Frauen, der will weiche Möpse in den Händen haben und keine baumelnden Eier vor sich sehen, wenn er von hinten vögelt. Aber du weißt das Beste noch gar nicht. In zwei Wochen ist der ganze Formel-1-Zirkus ja hier in der Nähe und … tadaaaa … ich habe Eintrittskarten für uns beide. Na, was sachste nu dazu?“

 

Nach diesen Worten hebt er die Flasche erneut an den Mund und lässt das herbe Gesöff fast ohne zu schlucken seine Kehle hinabrinnen, wobei Selbiges sich dann mit einem erneuten Rülpser noch einmal zu Wort meldet. Eine Kuh im Stall ist nichts dagegen. Also wenn das „Mann-Sein“ ist, das wäre ich lieber eine Frau oder etwas ganz anderes.

 

Pflichtschuldig nicke ich ihm freundlich zu, stelle meine Flasche auf dem Tisch ab und hoffe, dass die Übertragung bald zu Ende ist. Das Einzige, was mich wirklich fasziniert, ist das hin und wieder eingeblendete Gesicht von Joe, dem Starfahrer des größten Rennstalls und derzeit Führenden in der Wertung. Nur seine Frau trübt mein Bild von ihm ein wenig, mir wäre er solo lieber gewesen, aber was soll’s? An ihn würde ich ohnehin nie herankommen und schwul ist er ja definitiv nicht. Immerhin ist er mit dieser Celine verheiratet und Vater einer einjährigen Tochter. Zumindest wenn ich Martin vorhin richtig verstanden habe. Verdammt, der sieht so was von süß aus. Musste Martin mich so deutlich auf ihn hinweisen?

 

Auch nachdem die Übertragung beendet ist und ich endlich wieder in meinem Zimmer auf dem Bett liege, geht mir das Bild des lachenden und strahlenden Formel-1-Helden nicht aus dem Sinn. Er ist meiner Schätzung nach so ungefähr achtundzwanzig, mindestens einsfünfundachtzig groß und hat strohblonde Haare. Sein Lächeln vorhin nach dem Sieg ließ eine Reihe schneeweißer Zähne erkennen, mit denen er problemlos Werbung machen könnte, und wenn man genau hingesehen hat, konnte man ein kleines Grübchen unten an seinem Kinn sehen. Allerliebst und zum Streicheln einladend.

 

Ich spüre, wie mir langsam heißer und heißer wird. Meine Lenden werden unruhig und das Blut scheint sich mehr und mehr in der Körpermitte zu sammeln. Wie ferngesteuert tastet sich eine Hand nach unten, bis sie die harte Erektion zu fassen bekommt. Mit geschlossenen Augen beginne ich zu reiben, und mit dem Bildnis meines blonden Adonis vor dem inneren Auge dauert es gar nicht lange, bis ich meine Säfte aufsteigen spüre und das Sperma schubweise aus mir herausspritzt. Da ich üblicherweise nackt zu schlafen pflege und aufgrund der Wärme nicht zugedeckt bin, klebt es mir überall auf Oberschenkeln und Bauch. Genussvoll schmiere ich damit noch eine Weile herum, während ich darauf warte, dass sich mein Herzschlag wieder im normalen Bereich einpendelt und die Beine nicht mehr aus Gummi sind, sodass sie mich wieder tragen können.

 

So heftig und vor allem so schnell ist es mir schon lange nicht mehr gekommen. Habe ich mich jetzt etwa in einen unerreichbaren Rennfahrer verknallt, der noch dazu hetero ist und den ich nie bekommen kann? Ich fühle mich schlimmer als ein Groupie, der einen Rockstar verehrt. Mit fünfundzwanzig sollte ich eigentlich aus dem Alter heraus sein, in dem man irgendjemanden anhimmelt.

 

Kopfschüttelnd stehe ich auf, gehe ins Bad und nehme eine schnelle Dusche. Anschließend tapse ich – barfuß bis zum Hals – zurück zu meinem Bett, lege ein Badetuch über das Laken, weil ich zu faul bin, es um diese Uhrzeit noch auszuwechseln, und falle in einen unruhigen Schlaf, durch den immer wieder ein strahlendes Lächeln geistert und ein Grübchen, nach dem ich nur zu gerne meine Hand ausstrecken würde.

 

 

Zwei Wochen später ist es so weit, ich stehe mit Martin am Rand der Rennstrecke und schaue auf die immer wieder an uns vorbeidröhnenden Boliden. In der letzten Zeit habe ich mehr an Joe gedacht als mir eigentlich lieb ist, denn eine Schwärmerei, die so sinnlos ist, kann ich in meinem Leben eigentlich so gar nicht gebrauchen. Trotzdem ertappe ich mich immer wieder, wie ich im Internet nach seinem Foto Ausschau halte und am Kiosk auf die Regenbogenpresse schiele, wenn etwas Neues über ihn geschrieben wird.

 

Gespannt verfolge ich das Rennen, wenngleich ich den Sinn im Kreisfahren nicht wirklich erkennen kann. Wie erwartet schafft Joe den dritten Sieg in Folge und steht schließlich ganz oben auf dem Siegerpodest, lässt sich die obligatorische Magnumflasche Champagner reichen und freut sich über die Sektdusche seiner Kollegen auf den beiden anderen Plätzen. Dadurch, dass wir recht nahe stehen, kann ich das Spektakel ganz gut mitverfolgen, es gelingt mir sogar, einmal einen Blick in seine Augen zu werfen, als er in unsere Richtung sieht. Für den Bruchteil einer Sekunde scheint die Welt sich nicht mehr zu drehen und selbst die Vögel schweigen, als ich in diesen untypisch braunen Augen versinke und das Atmen fast vergesse.

 

Dann ist dieser Moment auch schon wieder passé, denn Joe steigt vom Podest herunter, wo er von seiner Frau in Empfang genommen und mit einer besitzergreifenden Umarmung regelrecht weggeführt wird. Ein weiteres Mal treffen sich unsere Blicke und ich vermeine, bei ihm ein leichtes Aufblitzen zu erkennen, doch viel zu schnell ist der kurze Augenblick vorbei und ich sehe nur noch seinen Rücken im Rennoverall, unter dem sich ein mehr als knackiger Hintern abzeichnet. Mein Herz schlägt so schnell, als hätte ich eben einen Hundertmeterlauf absolviert und mein Puls rast wie ein Hochgeschwindigkeitszug. In meinem Bauch flattern plötzlich Tausende von Schmetterlingen und ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut aufzuseufzen.

 

Prüfend sieht Martin mich an, dann grinst er.

 

„Ey, echt klasse die Frau, oder? Wenn man so eine haben will, muss man schon was bieten können. Erfolg oder Geld oder am besten beides zusammen. Aber vor allem muss man Eier in der Hose haben und einen dazu passenden Schwanz, um einer solchen Frau das Hirn rauszuvögeln, sodass sie nicht auf den Gedanken kommt, auch nur zur Seite zu schauen, geschweige denn zu springen. Was glaubst du wohl, geht bei denen nach einem solchen Sieg heute im Bett noch ab? Da wird gerammelt, bis die Schwarte kracht und das Bett zusammenkracht.“

 

Man merkt ihm an, dass er sich über seinen nicht besonders guten Reim geradezu ausschütten will. Im nächsten Augenblick verziehe ich etwas schmerzhaft das Gesicht, denn er haut mir mit voller Wucht seine Pranke auf den Rücken. Es sieht fast so aus, als wäre er auf einmal davon überzeugt, in mir jemand Gleichgesinnten gefunden zu haben. Irgendwie scheint er zu glauben, dass ich endlich „normal“ geworden bin, denn jovial zieht er mich mit sich und erzählt jedem, der es wissen will – oder auch nicht – dass er jetzt mit seinem Bruder erst mal ordentlich einen trinken gehen wird.

 

Kapitel 2

Wieder vergehen einige Wochen, reihen sich zu Monaten und es nähert sich das Ende der Formel-1-Saison. Drei Rennen sind noch zu fahren und Joe liegt in der Gesamtwertung Kopf an Kopf mit seinem Verfolger. Im nächsten Rennen soll hoffentlich die Entscheidung fallen.

 

Es ist Herbst und die Blätter fallen, machen die Straßen zu Rutschbahnen und sorgen für den einen oder anderen Unfall. Da schlägt morgens wie eine Bombe genau zur Frühstückszeit folgende Radiomeldung ein und sorgt sicher nicht nur bei mir für Entsetzen:

 

„Wie uns soeben mitgeteilt wurde, ist der Rennfahrer und amtierende Weltmeister Joe Miller heute Nacht mit dem Auto verunglückt. Er wurde mit schwersten Verletzungen in eine Spezialklinik geflogen. Über den genauen Hergang des Unfalls ist zu diesem Zeitpunkt noch nichts bekannt. Wir halten Sie auf dem Laufenden, sobald wir etwas Neues erfahren. Und nun zurück zu …“

 

Mir bleibt fast der Atem weg. Hat der da im Radio wirklich gerade eben erzählt, dass Joe schwer verletzt ist? Das Brötchen fällt mir aus der Hand und ich stürze zum Notebook. Mit fliegenden Fingern starte ich den Laptop und trommle ungeduldig auf den Tisch. Warum dauert das denn so lange, bis das Ding endlich einsatzfähig ist? Hastig klicke ich mehrmals, bis ich auf der Nachrichtenseite das eben Gehörte bestätigt bekomme. Es ist wahr, Joe, der Mann, in den ich mich spontan und nach nur einem tiefen Blick verliebt habe, hat einen schweren Unfall nur knapp überlebt. Es besteht laut Aussage der Ärzte zwar keine direkte Lebensgefahr, jedoch ist sein Zustand immer noch kritisch. So zumindest steht es da schwarz auf weiß auf meinem Bildschirm.

 

 

 

 

 

 

EHE-AUS BEIM WELTMEISTER